MitGedacht - Nur das Beste für mein Kind! - Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung - Bund Freier evangelischer Gemeinden
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MitGedacht Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu 1/2019 vorgeburtlicher Diagnostik 17. Jahrgang
Herausgeber: Gesprächskreis für soziale Fragen im Bund Freier evangelischer Gemeinden KdöR Derzeitige Mitglieder des Gesprächskreises: Manfred Daub, Edgar Daub, Karl-Heinz Espey, Rebekka Ethen, Prof. Dr. Wolfgang Heinrichs, Prof. Dr. Markus Iff, Dr. Detlev Katzwinkel, Ernst Kirchhof, Ulrich Kühn, Friederike Meißner, Jost Stahschmidt, Klaus Tesch, Burkhard Theis, Wolfgang Thielmann und Dr. Jochen Wagner. Vorsitzender: Karl-Heinz Espey Adresse: Bahnhofstraße 43 25451 Quickborn E-mail: gsf@bund.feg.de Layout: Rolf Schwärzel, Norden Druck: Druckhaus Dortmund Fotos: So weit im Bild nicht anders vermerkt: www.pexels.com
Inhaltsverzeichnis Vorwort........................................................................................................ 6 1. Einführung ............................................................................................. 8 2. Theologische und ethische Aspekte ...................................................... 9 2.1. Christliche Perspektive ......................................................................... 9 3.2. Ethische Entscheidungsfindung ............................................................ 10 3. Hauptsache gesund!? ............................................................................. 12 3.1. Psychosoziale Aspekte .......................................................................... 12 3.2. Diagnostik und Therapie vor der Geburt: ............................................ 14 Heilen und helfen statt aussortieren 3.3. Wie viel Diagnostik ist für mich und mein Kind sinnvoll? ................... 15 4. Methoden ................................................................................................ 16 4.1. Nach Eintritt einer Schwangerschaft: Pränatal-Diagnostik............. 16 4.1.1 Nicht-invasive Pränataldiagnostik .................................................... 16 a. Blut-Untersuchungen ab 9. SSW: Bluttest 14.-16. SSW: Blutuntersuchungen auf Alpha-Fetoprotein (AFP) 16. SSW: Triple-Test bzw. Quadruple-Test b. Ultraschall-Untersuchungen 12.-14. SSW: Früh-Missbildungs-Ultraschall 18.-22. SSW: Spezial-Ultraschall 4.1.2. Invasive Pränataldiagnostik ............................................................. 19 13.-18. SSW: Amniozentese 18.-22. SSW: Chorionzottenbiopsie 21.-23. SSW: Chorozentese
4.2. Reproduktionsmedizin/Präimplantantions-Diagnostik...................... 20 4.2.1. Eizellkonservierung 4.2.2. IVF und ICSI 4.2.3. Embryoscop 4.2.4. Präimplantations-Diagnostik (PID) 4.2.5. Genom Editing – Eingriff in die DNA 4.2.6. Embryonentransfer - Transfer des Embryos in die Gebärmutter 4.3. Reproduktionsmedizin für Mehr-Eltern-Kinder ................................. 25 a. in Deutschland erlaubte Methoden .......................................................... 25 4.3.1. Embryonenspende 4.3.2. Samenspende b. in Deutschland nicht erlaubte Methoden ................................................. 26 4.3.3. Eizellspende 4.3.4. Leihmutter 4.3.5. Mitochondrien-Transfer 5. Wenn die Kinderwunscherfüllung Hilfe braucht .............................. 27 5.1. Hauptsache mein genetisches Kind? .................................................... 27 5.2. Wie viel künstliche Hilfe gehen wir mit? ............................................... 27 5.3. Gesellschaftliche Entwicklungen........................................................... 28 6. Gottes- und Nächstenliebe als Entscheidungskriterium .................... 30 7. Glossar .................................................................................................... 32 8. Weitere Informationen .......................................................................... 36 5
MitGedacht 1/2019 Vorwort „Wie geht es dir?“ höre ich es über an. Er fällt auf, weil er etwas kleiner den Flur schallen. Fröhlich, gut gelaunt, ist als der Durchschnitt. Sein Hals ist vielleicht noch ein bisschen müde hebt etwas kürzer und seine Augen stehen B. die Hand, um mich an diesem Tag vor weiter auseinander als bei den meisten. meiner Morgenbesprechung zu begrü- Man kann ihn als einen von Trisomie ßen. „Was war nur los mit euch gestern 21 geprägten jungen Mann erkennen. Abend?“ fragt er mich herausfordernd. Ich mag B., wie viele andere in unserer „Gestern Abend?“ Ich stutze. Dann Klinik auch. wird es mir jedoch klar. B. meint das Die Pränatal-Diagnostik (PND) arbei- Ausscheiden meines Fußball-Clubs aus tet mit Techniken und Wissen an der der Europaliga. Richtig, „wir“ hatten Untersuchung von ungeborenen Kin- zunächst gut gespielt, aber am Ende dern, auch an der von Trisomie 21 unglücklich verloren und waren ausge- Betroffenen. Das ist eine sensible Ange- schieden. legenheit, bei der es einerseits um den B., der kleiner ist als ich, legt seine Hand auf meine Schulter und tröstet mich: „Vielleicht nächstes Jahr, es kann halt nicht jeder so gut sein wie „wir Bayern“. Dabei grinst er mir ein wenig herausfordernd, aber doch eher milde und breit lächelnd ins Gesicht. „Wir sehen uns beim Essen“, sage ich zu ihm. Dann trennen wir uns, wie immer in dem Gefühl, als Teil der Belegschaft unserer Krankenhaus-Mannschaft freundschaft- Wunsch geht, Krankheiten heilen zu lich miteinander verbunden zu sein. können, Schutz vor Erkrankungen zu Sind wir Freunde? Ja, ich denke wir sind ermöglichen und so eine bestmögliche Freunde geworden über all die Jahre, die Entwicklung fördern zu können; ande- wir jetzt gemeinsam in der gleichen Ein- rerseits, Kinder mit einer Behinderung richtung an unterschiedlichen Stellen frühestmöglich in der Schwangerschaft zum Wohl von Patienten tätig sind. zu identifizieren, um sie nach einer B. ist fast dreißig Jahre alt. Er arbei- eingehenden Beratung auf Wunsch der tet schon lange in unserem Haustech- Eltern innerhalb der gesetzlichen Frist nikteam. Ich kenne ihn vom ersten Tag straffrei abzutreiben. Derzeit werden 6
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik mehr als 95% der von Trisomie betrof- Dabei verbergen wir nicht, dass fenen Ungeborenen nicht mehr bis zur menschliches Leben von Anfang an Geburt ausgetragen. lebenswert und jeder Mensch geliebt ist Dieses Heft will dazu beitragen, dass - ohne Abstriche, ohne Vorbehalte und Mütter und Eltern auf Grundlage eines ohne Relativierung durch Qualitätskri- christlichen Menschenbildes einen Weg terien, Verdachtsmomente oder gar Dia- durch die Fülle von Untersuchungen, gnosen. Informationen und unterschiedlichen Interessen finden können, der letztlich dem Wohl ihres ungeborenen Kindes Dr. Detlev Katzwinkel, Ulrich Kühn, dient und ihrem eigenen Verantwor- Dr. Heike Fischer, Karl-Heinz Espey tungsempfinden nahe kommt. 7
MitGedacht 1/2019 1. Einführung Ob geplant oder ungeplant, wenn schaft erleben und sich auf ihr Kind eine Schwangerschaft eintritt, tauchen freuen wollen, nicht mehr guter Hoff- Fragen am Horizont der werdenden nung, sondern in Vor-Sorge. Viele Eltern auf: Wird alles gut verlaufen? Eltern haben längst begriffen, dass Wird unser Kind gesund sein? Haben sowohl die vorgeburtliche Diagnostik wir uns richtig verhalten? Hat unser als auch die „Pränatal-Diagnostik- Kind vielleicht durch das ein oder Player“ nicht nur das Wohl des neuen andere Medikament, durch Nikotin, Lebens (also des Kindes) im Fokus Alkohol, Drogen oder Strahlenbela- haben, sondern gegebenenfalls auch stung Schaden sein vorzeitiges Aus. Manche Handeln- genommen? den im Rahmen der Pränatal-Diagno- Hätte ich stik (PND) gehen geradezu akribisch mich bzw. das daran, neues Leben mit Behinderung Kind schützen oder Krankheit zu identifizieren, bevor müssen? es geboren werden könnte. Andere stehen vor der Frage, ob sie das Es ist also von enormer Bedeutung, Kind überhaupt haben möchten. Denn sich selbst ein Bild zu machen, wel- eine ungeplante Schwangerschaft ist ches Vorgehen und welche Methoden für etliche ein Ereignis, das sie nicht ethisch und inhaltlich verantwortbar zulassen wollen, das sie glauben nicht sind. Bevor man sich als „Mutter“, zulassen zu können. Auf der ganzen „Patientin“ oder „Elternpaar“ für eine Welt stellen werdende Eltern diese pränatale Diagnostik entscheidet, Fragen. Sie sind statistisch jeweils nur erscheint es sinnvoll, die eigene grund- anders verteilt. Heutzutage versuchen legende Position zu klären. Schwangere vor allen Dingen durch Das vorliegende Heft ist eine Koope- die Recherche im weltweiten Netz ration des Gesprächskreis für soziale Antworten darauf zu erhalten. Dabei Fragen mit der Stiftung ProVita. Es soll werden sie jedoch die Motivation vor allem Mütter bzw. Eltern befähigen hinter den dort gegebenen Antworten und anregen, sich selbst zu positionie- kaum erkennen können, denn zu spe- ren. Keiner sollte später bereuen, auf ziell und differenziert sind die Hinter- der Grundlage von zu wenig Informa- gründe und Details. tion eine Entscheidung subjektiv falsch Aufgrund der zahlreichen Möglich- getroffen zu haben, sie jedoch nicht keiten der pränatalen Diagnostik und mehr rückgängig machen zu können. der Befindlichkeiten aller Beteilig- ten sind selbst diejenigen werdenden Eltern, die eine gewollte Schwanger- 8
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 2. Theologische und ethische Aspekte 2.1. Christliche Perspektive Menschen, die im christlichen Glau- prozess seiner Existenz als kreatives ben Halt finden und Orientierung Handeln und Gestalten seines Gottes suchen, fragen danach, wie sich die (Psalm 139, 13-16; Hiob 10,10f). medizinischen Möglichkeiten mit Nach dem Verständnis des christli- ihrem Glauben vereinbaren lassen. chen Glaubens steht der Mensch in Nach christlicher Überzeugung ist einer besonderen Position sowohl Nachkommenschaft ein Geschenk Gottes (Psalm 127,3). Leben ist von Gott geschaffen und gründet damit in seinem Willen. Der Geschenkcha- rakter des Lebens verweist darauf, dass weder ein Anrecht auf ein eige- nes Kind noch auf ein gesundes Kind besteht. Menschliches Leben gilt aus zu seinem Schöpfer als auch zu der der Sicht des christlichen Glaubens als geschaffenen Natur. Diese Sonderstel- unverfügbar (1.Mose 30, 1f) und steht lung wird mit den Worten „…zum Bild unter dem besonderen Schutz Gottes Gottes schuf er ihn…“ beschrieben (1. (1.Mose 4, 15). Mose 1, 26ff). Wie ein Standbild des Die Bibel, das Zeugnis christlichen Königs damals den König vertrat, so Glaubens, unterscheidet nicht zwischen vertritt der Mensch Gott – sozusagen einem Embryo mit und einem Embryo als sein Repräsentant. Der Mensch ohne Behinderungen. Fremd ist ihr wird also als „lebendige Statue Gottes“ auch die Frage, ab wann innerhalb der geschaffen.1 Nach dem Bilde Gottes Schwangerschaft von einem Menschen geschaffen zu sein bedeutet, in einer die Rede sein kann, ob schon ab der unübertrefflichen Nähe zu Gott zu Zeugung oder erst ab einem späteren stehen – ohne selbst Gott zu sein; Zeitpunkt. Vielmehr begreift der Glau- ebenso, wenn auch in einem weiteren bende den intrauterinen Wachstums- Sinne, gewollt zu sein.2 1 So Janowski, B., Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Gott und Mensch im Dialog, Bd. 1, FS O. Kaiser, hg. v. M. Witte (BZAW 345), Berlin 2004, 183-214. 2 Vgl. Böttrich, Adam und Eva, in: Zimmermann / Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübin- gen 2013, 273. 9
Mit der Position ist eine Aufgabe ver- „Würde“ zutreffend beschreiben. bunden. Nur der Mensch wird mit der Die von Gott verliehene und deshalb Weltgestaltung beauftragt, die er Gott unverlierbare Würde steht auch dem gegenüber verantwortet. Gott wür- noch nicht geborenen Menschen zu, digt seine Menschen3, indem er ihnen da folglich „ein Kind, welches zwei das Mandat der Weltverwaltung und Menschen als Eltern hat, vom ersten -gestaltung überträgt (1. Mose 1,28; Moment seiner Existenz nichts anderes 2,15). Diese besondere Rolle innerhalb sein kann als auch ein Mensch“ (Peter der Schöpfung und gegenüber dem Singer)4. Schöpfer lässt sich mit dem Begriff 2.2. Ethische Entscheidungsfindung Der Begriff der „Würde / Menschen- Vor diesem Hintergrund verträgt es würde“ hat viele Facetten. Ausdruck sich nicht mit der Würde des unge- von Würde ist u. a. Selbstbestimmung, borenen Menschen, durch pränatale Privatheit, Teilhabe, Lebensschutz und Diagnostik erkennbar behinderte Men- Selbstzwecklichkeit. Letzteres meint, schen als unerwünscht auszusortieren. dass ein Mensch von einem anderen Eine Facette der Menschenwürde ist Menschen nicht als bloßes Mittel zu der Lebensschutz. Deshalb steht ein einem Zweck benutzt werden darf. Kinderwunsch, der im Rahmen der Weil jeder Mensch einen Zweck in PID den Tod „überflüssiger“ befruch- sich selbst hat, darf er nicht als Objekt teter Eiszellen in Kauf nimmt, in Span- behandelt werden. Die Achtung der nung zur Menschenwürde. Dagegen Menschenwürde, wie sie auch im ist es Ausdruck einer menschenwür- Grundgesetz der Bundesrepublik digen Fürsorge, pränatal-diagnostisch Deutschland im 1. Artikel festgeschrie- erkannte Krankheiten – sofern möglich ben ist, bedeutet, dass Menschen unter – therapeutisch zu behandeln. allen Umständen ein Anrecht auf Ach- tung ihrer Würde haben. 3 „Adam“ bezeichnet den einzelnen Menschen als auch die Menschheit (Jenni/Westermann, ThHAT, Bd. 1, Sp. 43f. 4 Singer zitiert nach Miltiadis Vantsos, Ethik des Lebensbeginns, Fußnote 1 in: Rupert M. Scheule (Hg), Ethik des Lebensbeginns, Regensburg 2015, S. 66. 10
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik Die Fragen bezüglich des Lebens- • Wie sind die möglichen/angebote- beginns bedürfen einer verantwor- nen Maßnahmen zu verantworten tungsethischen Perspektive, um gegenüber dem eigenen Gewissen, Entscheidungen angemessen treffen zu gegenüber Gott als dem Schöpfer können. Dabei geht es zum einen um des Lebens? Verantwortung gegenüber einer über- • Wie kann seine Würde am besten geordneten kontrollierenden Ebene, z. geachtet, sein Leben beschützt B. in einem sozialen (Rechtsprechung), werden? intrapsychischen (Gewissen) und/oder religiösen (Gott) Systems; zum ande- • Sind wir bereit, mit Gottes Hilfe ren um Verantwortung für jemand im Verantwortung für das ungebo- Sinne der Fürsorge.5 Angewendet auf rene, eventuell behinderte Kind zu die pränatale Diagnostik wird sich übernehmen? deshalb ein Paar mit Kinderwunsch unter anderem mit folgenden Fragen beschäftigen (müssen): www.fotolia.de 5 „Fischer/Gruden/Imhof/Strub, Grundkurs Ethik, Stuttgart 22008, S. 427-430. 11
MitGedacht 1/2019 3. Hauptsache gesund?! Hauptsache gesund! So äußern sich ligkeit und Ausprägung u. U. so stark viele Menschen in Bezug auf ihr im verändert, dass die guten Wünsche Mutterleib heranwachsendes Kind. Sie und Vorstellungen kaum noch erreich- sagen dies in wirklich guter Absicht bar erscheinen. Solche Situationen und wollen alles Mögliche unterneh- hat man in der Vergangenheit als von men, damit ihr Kind gesund und mit Gott gegeben hingenommen bzw. als den besten Startbedingungen auf diese von der Natur so angelegt hinnehmen Welt kommen mag. müssen. Während der Schwangerschaft, bei Durch das kritische Fragen der syste- der Geburt und in der Zeit danach matischen Wissenschaft wurden in können Störungen bei der Entwicklung den vergangenen Jahrzehnten große eines Kindes auftreten. Deshalb ist es Anstrengungen unternommen, mehr zweifellos eine Herausforderung für über die Entwicklung des Individuums werdende Eltern, pränatal festgestellte von seinem Beginn her zu erfahren Auffälligkeiten bei ihrem Kind akzep- bzw. zu verstehen. Dabei war die Ent- tieren zu müssen. Jede Mutter, jeder stehung von Abweichungen, Störun- Vater wünscht sich in jeder Hinsicht gen und Missbildungen besonders im und im tiefsten Grunde das Beste für Fokus. Ebenso waren die Einflüsse von sein Kind. Diese guten Vorstellungen Krankheiten auf diese Entwicklung und Wünsche für sein Leben können von Interesse. Die Embryologie, also mit einer pränatalen Diagnose unter die Kunde von der menschlichen Ent- Umständen zunächst in Frage gestellt wicklung bis zur 9. Schwangerschafts- oder gar ganz zunichte gemacht woche, hat inzwischen tiefgehende werden. Das Leben des Kindes und das Einblicke in diese Abläufe ermöglicht. eigene Leben werden je nach Auffäl- 3.1. Pschosoziale Aspekte 3.1.1. Für viele Paare und Familien nicht lebensfähigen Kindern. Eltern sowie für die Gesellschaft sind Kinder berichten vielfach vom Glück, das aus sozialer, kultureller und psycholo- sie durch ihre Kinder erleben durften. gischer Sicht grundsätzlich und ganz Mutter- bzw. Vatersein, Elternschaft allgemein eine Bereicherung; eine zu leben ist eine Form, sich selbst zu beglückende Erfahrung, auch für zahl- verwirklichen und die eigene Identi- reiche Eltern von Kindern mit Behinde- tät weiter auszugestalten. Kinder zu rungen, unheilbaren Erkrankungen und zeugen und ins Leben zu begleiten ist 12
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik eine Weise, die Fähigkeit zur Liebe zu heit des Embryos und seine Entwick- leben. lung, sondern können lebensbedrohlich Schwangerschaft und Geburt haben wirken. einen prägenden Einfluss auf das Kind Belastend bis schädigend wirken sowie auf die Identität und Lebens- außerdem eine ablehnende Einstel- gestaltung der werdenden Eltern. Die lung zur Schwangerschaft im sozialen Auseinandersetzung mit der Rolle Umfeld der Betroffenen, das häusliche als Mutter bzw. Vater fordert heraus, Milieu, Stress im Beruf, Stress in der grundsätzliche Fragen zu klären: Partnerschaft bzw. in der Beziehung Warum will ich ein Kind? Welche Vor- mit dem beteiligten Vater des Kindes stellungen, Hoffnungen und Erwartun- sowie Stress mit den Herkunftsfami- gen verbinde ich damit für mich? Was lien und finanzielle Sorgen. bedeutet es für mich, Vater bzw. Mutter zu sein? Inwieweit geht es mir dabei 3.1.3. Ein Kinderwunsch kann um mich selbst? Wie sehr begreife ich durchaus auch egoistisch motiviert Elternschaft als Aufgabe, einen Men- sein. Das Kind wird dabei dem Risiko schen um seiner selbst willen ins Leben ausgesetzt, z. B. Defizite im Selbst- zu begleiten? wertgefühl der Mutter bzw. des Vaters ausgleichen zu sollen und so bereits 3.1.2. Die Eltern-Kind-Beziehung vor seiner Geburt mit einem „Auftrag“ ist auf dem Weg zum Erwachsen- befrachtet zu werden, den es nicht sein der Kinder teils einseitig von der erfüllen kann. Fürsorge der Eltern für ihre Kinder Manche Paare betrachten ein eigenes bestimmt. Elternschaft bedeutet Ver- Kind als probate Lösung partnerschaft- antwortung zu übernehmen; ebenso, licher Probleme. Zum „Retter“ einer einen Menschen aus der Fürsorge zur brüchigen Partnerbeziehung gemacht Sorge um sich selbst zu befähigen zu werden birgt ein hohes Potential an (Schmid).6 Die verantwortungsvolle Entwicklungsstörungen für das Kind. Fürsorge für ihn beginnt mit dem Tag, Denn es wird in eine Rolle gedrängt, an dem die Schwangerschaft bewusst die es völlig überfordert. Menschen als wird. Suchtmittel, die die schwangere bloßes Mittel zum Zweck zu benutzen Frau als Nikotin, Alkohol und Drogen ist eine Missachtung ihrer Menschen- konsumiert, haben nicht nur einen würde (Kant).7 Angemessene und ver- erheblichen Einfluss auf die Gesund- antwortbare Maßnahmen, seelischen 6 Wilhelm Schmid, Mit sich selbst befreundet sein, Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst, Frankfurt am Main 2004, S. 383 – 392. 7 Dietmar von der Pfordten, Zur Würde des Menschen bei Kant, www.rechtsphilosophie.uni-goettingen. de/ZurWuerdeDesMenschenBeiKant.pdf, S. 14ff, (5/2017). Vgl. Wilfried Härle, Würde, München 2010, S. 35. 13
MitGedacht 1/2019 und psychosozialen Problemen zu ungewollter Kinderlosigkeit sind aus begegnen, sind Paarberatung, Fami- ethischen, medizinischen und psycho- lien- und Psychotherapie. Künstlich sozialen Gründen kritisch zu hinterfra- erzwungene Schwangerschaften als gen. Therapeutikum zur Leidlinderung bei 3.2. Diagnostik und Therapie vor der Geburt: heilen und helfen statt aussortieren Die Pränatal-Diagnostik (PND) ist Einige Krankheitsbilder können durch ein diagnostisches Instrument, das uns eine pränatale oder postnatale Opera- Informationen über ein ungeborenes tion behoben oder gelindert werden. Kind liefert. Sie ist in der Lage, viele Andere erfordern, dass die Eltern sich Details zu untersuchen, manchen gene- frühzeitig über Hilfsmittel, Therapien, tisch bedingten Befund oder aber auch Hilfestellungen, soziale Beratungen zufällig abweichende Details aufzuzei- oder Sonstiges informieren, um für gen. sich und das Kind nach der Geburt ein Die PND ist gege- gutes Umfeld zu schaffen. benenfalls auch in der Wer als Betroffener diesen Lage, zur Verbesse- Weg einschlägt, ganz moti- rung der Versorgung viert, zum Wohle seines und gesunden Ent- Kindes zu agieren, der sollte wicklung des Kindes sich bewusst bleiben, dass für beizutragen. Eine den ein oder anderen Han- Diagnose eröffnet delnden im Arbeitsfeld der Möglichkeiten, nach PND im Zweifel der künstlich bestem Wissen und von außen herbeigeführte Tod Gewissen Gutes zu des Ungeborenen als „das tun, zu heilen, zu för- Beste für das Kind“ betrach- dern und zu versorgen. tet werden könnte. Selektion Gleichzeitig wird die durch Abtreibung scheint PND aber auch als ein dann der vermeintlich leich- Instrument missbraucht, vorgeburt- tere Weg zu sein. In solch einer emotio- lich zwischen „akzeptabel“ und „nicht nal herausfordernden, manchmal auch mehr akzeptabel“ zu selektieren. Des- überfordernden Situation, sind Mut halb gilt es das Kind zu schützen. Es und Stärke gefordert, um dem Kind ahnt nicht im Entferntesten, man könne nicht nur eine Chance zum Überleben, etwas anderes von ihm wünschen, als sondern auch zum Leben zu geben. dass es möglichst wohlbehalten das Licht der Welt erblicken möge. 14
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 3.3. Wie viel Diagnostik ist für mich und mein Kind sinnvoll? War man vor Jahren noch auf risi- • Was können wir für unser Kind tun? koreiche Fruchtwasseruntersuchungen in einem eher fortgeschrittenen Sta- • Gibt es Behandlungsmethoden, um dium der Schwangerschaft angewie- ihm zu helfen? sen, ist man heute in der Lage, nach Eintritt der Schwangerschaft viele • Steht das Wohl des Kindes in jedem Details des Genoms eines Embryos aus Fall im Mittelpunkt? kindlichen Zellen einer mütterlichen Blutprobe heraus zu analysieren. Z. B. • Brauchen wir eine Grund-Skepsis kann man per Schnelltest Mono- oder gegenüber der Pränatal-Diagnostik? Trisomien (z.B. Trisomie21: Down- Syndrom) ermitteln. „Hauptsache gesund“, darunter ver- In medizinischen Fachzeitschriften stehen immer mehr Menschen, dass sie und im Internet werden diese Tests als ihr von der Norm abweichendes Kind das „schonende Verfahren“ zur Aufdec- gar nicht erst austragen wollen. Aus kung möglicher Störungen geradezu der Statistik der vergangenen Jahre angepriesen. Möglichst jeden noch so ist abzulesen, dass wegen genetischer kleinen Verdacht auf eine Störung ent- bzw. chromosomaler Abweichungen weder auszuschließen oder weiter zu beim Kind immer häufiger zur Abtrei- verfolgen, hat vielschichtige Motiva- bung geraten wird. Damit leistet man tionen. Nicht zuletzt verspricht dieser einer möglichst hundertprozentigen Aufwand finanzielle Erträge für die Aufklärung sämtlicher erkennbaren beteiligten Mediziner und Biologen. oder erahnbaren Abweichungen von Da viele Handelnde in der Pränatal- einer noch „unbestimmten Norm“ Vor- Diagnostik bei einer Reihe von Dia- schub. Vor diesem Hintergrund stellt gnosen ohne Therapieoption schnell sich die Frage, wer letztlich entschei- Handlungsbedarf zur frühzeitigen Eli- det, was die „menschliche Norm“ ist. minierung sehen können, stehen Eltern Und ob es erstrebenswert ist, normkon- vor schwer wiegenden Fragestellun- form zu sein. gen: Unseres Erachtens ist es notwendig, dass Eltern eine möglichst mündige Entscheidung im Dschungel der viel- fältigen Methoden vorgeburtlicher Diagnostik treffen können! 15
MitGedacht 1/2019 4. Methoden Wissen bedeutet Freiheit zur Entschei- besonderen Bedürfnisse von Kindern dung und Verantwortung. Wissend und mit Auffälligkeiten vorzubereiten. Sie frei können wir uns in jede erdenkliche können Betroffene aber auch vor die Richtung entscheiden. Angesichts der Entscheidung zwischen Leben und Tod Verantwortung für einen Menschen des eigenen Kindes stellen. kann die Belastung darin liegen, unter Das Grundgesetz der Bundesrepublik verschiedenen Entscheidungsmöglich- Deutschland garantiert nach Artikel keiten eine Auswahl treffen zu müssen. 2(1)8 in Verbindung mit Artikel 1(1)9 Die Angebote zur Durchführung prä- jedem Menschen seine allgemeinen natal-diagnostischer Untersuchungen Persönlichkeitsrechte. sind zahlreich und erscheinen in der Dazu zählt das Recht auf Wissen, emotionalen Ausnahmesituation einer genauso wie das Recht auf Nichtwis- Schwangerschaft durch die subjek- sen im Rahmen persönlicher Lebens- tive Darstellung einzelner Handelnder gestaltung. unmittelbar zwingend zu sein. Wir dürfen selbst entscheiden, was Pränatal-diagnostische Methoden wir wissen wollen! können hilfreich sein, sich auf die 4.1. Nach Eintritt einer Schwangerschaft: Pränatal-Diagnostik 4.1.1. Nicht-invasive Pränataldiagnostik a) Blutuntersuchungen werden. Per Schnelltest können inner- halb einer Woche Aussagen über mög- ab 9. SSW: Bluttest liche Krankheiten gemacht werden. Die Hersteller dieser Tests räumen ein, Im Blut der Schwangeren können ab dass ihr Test kein diagnostischer, son- der 9. SSW Bruchstücke der embryona- dern ein Screening-Test ist. Die Tests len DNA nachgewiesen und analysiert der 2. Generation sollen jedoch eine 8 Grundgesetz Artikel 2 (1): Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. 9 Grundgesetz Artikel 1 (1): Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. 16
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 99%ige Sicherheit bieten. Sie können Angabe der Schwangerschaftswoche embryonale von mütterlichen Zellen das individuelle Risiko für Chromoso- unterscheiden. Sogar eine Unterschei- menstörungen. Mittels eines speziellen dung der Zellen von Zwillingen ist Risiko-Kalkulationsverfahrens errech- möglich. Trotzdem wird nach der Dia- net man aus diesen Faktoren ein Risi- gnose von Auffälligkeiten ein invasiver kopotential. Der Triple-Test ergibt also Test durchgeführt, um das Ergebnis zu keinen eindeutigen Befund, sondern verifizieren. zeigt lediglich das Risiko an, dass ein Kind eine Chromosomen-Anomalie haben könnte. 14.-16. SSW: Blutuntersuchungen Wenn das für die jeweilige Schwan- auf Alpha-Fetoprotein (AFP) gerschaft ermittelte individuelle Risiko Blutuntersuchungen der Schwan- geren auf Alpha-Fetoprotein (AFP) als Hinweis auf mögliche Chromo- somenstörungen bzw. Neuralrohr- defekte („offenes Rückenmark“) in der 14.-16. Schwangerschaftswoche (SSW) dienen ebenfalls der Iden- tifikation Ungeborener mit einem erhöhten Potential genetischer Abweichung vom normalen Muster. Als Konsequenz bei auffälligen Befunden wird üblicherweise eine Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) deutlich das altersgemäße übersteigt, zur weiteren Abklärung empfohlen. wird zur Klärung des Chromosomenbe- fundes in der Regel eine Amniozentese oder Chorionzotten-Biopsie empfoh- 16. SSW: Triple-Test bzw. len, die jedoch ein eigenes Risiko für Quadruple-Test die Schwangerschaft mit sich bringen. Bei diesem Test werden drei (= triple) bzw. vier (= quadruple) chemische b) Ultraschall-Untersuchungen Stoffe (α-Fetoprotein, freies Estriol, freies β-hCG, und evtl. Inhibin A) im Die frühe Fehlbildungsdiagnostik Blut der Schwangeren bestimmt. Aus setzt ein hochauflösendes Ultraschall- deren Konzentrationen ermittelt man gerät sowie Erfahrung und Qualifi- unter Berücksichtigung des Alters kation des betreffenden Untersuchers der Schwangeren sowie der genauen voraus. 17
MitGedacht 1/2019 12.-14. SSW: Früh-Missbildungs- Inzwischen wird diese Ultraschallun- Ultraschall tersuchung wegen der zunehmenden Genauigkeit der Bluttests von einigen Diese Ultraschall-Frühdiagnostik Fachleuten als Zeitverschwendung wird kombiniert mit der Blutunter- angesehen, die auf dem Weg zu einem suchung (freies β-hCG, PAPP-A) Schwangerschaftsabbruch nach Dia- der schwangeren Frau unter Berück- gnosestellung von Auffälligkeiten in sichtigung ihres Alters zum Erst- Frage zu stellen sei. trimester-Screening. Es dient der Risikoabschätzung in der Frühschwan- gerschaft. Hier geht es im Wesent- 18.-22. SSW: Spezial-Ultraschall lichen um Chromosomenstörungen (Trisomien 13, 18, 21) beim ungebore- Diese Untersuchung dient der geziel- nen Kind. Dabei werden verschiedene ten Erfassung bzw. dem Ausschluss Werte des Fötus im Ultraschall gemes- fetaler Fehlbildungen, z. B. Herzfeh- sen, insbesondere die Nackentranspa- ler, Nierenabnormitäten, Fehlentwick- renz (nuchal translucency). lungen im Bereich des Gesichts, des Gehirns, Rücken- marks und Skeletts sowie im Bereich der Extremitäten und der Bauchorgane. Sie wird auch eingesetzt, um Störungen nach speziellen Belastun- gen der Frühschwan- gerschaft (z. B. nach Infektionskrankhei- ten, Medikamenten- und Drogennutzung Bei jedem Ungeborenen liegt nur zu oder Röntgenunter- diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft suchungen) auszuschließen. Die wei- eine gewisse Flüssigkeitsansammlung tere ursächliche Klärung auffälliger im Nackenbereich vor. Deshalb ist die Befunde erfolgt durch Chromosomen- Messung zu einem anderen Zeitpunkt analyse (Amniozentese) bzw. Bestim- nicht aussagekräftig. Eine Vermeh- mung spezifischer Antikörper am rung der Flüssigkeitsansammlung ist Nabelschnurblut. vor allem bei Embryonen mit Chro- mosomenstörungen und/oder anderen Krankheiten zu finden. 18
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 4.1.2. Invasive Pränataldiagnostik 13.-18. SSW: Amniozentese Dabei wird durch die Bauchdecke der Schwangeren unter Ultraschall- sicht Fruchtwasser aus der Fruchthöhle entnommen, um kulturfähige fetale Zellen zu gewinnen sowie biochemi- sche Marker für Nierenschäden oder Neuralrohrdefekte („offenes Rüc- kenmark“) zu bestimmen. Nach 2-3 Wochen Kultur erfolgt die mikroskopi- sche Chromosomenanalyse bzw. mole- kulargenetische Diagnostik. Das Risiko einer Fehlgeburt durch diesen Eingriff liegt bei 0,5-1 %. Bei einem auffälligen Befund ist lediglich bei wenigen Dia- gnosen eine pränatale Therapie mög- lich. Ansonsten bleibt den Eltern zu entscheiden, ob sie sich auf das Leben mit einem kranken Kind oder auf einen stellungen zur Einzelfallentscheidung Schwangerschaftsabbruch vorbereiten. angeboten. 18.-22. SSW: Chorionzottenbiopsie 18.-22. SSW: Chordozentese Bei der Chorionzottenbiopsie werden Dabei wird unter Ultraschallsicht Mutterkuchenzellen durch die Scheide Nabelschnurblut zur Chromosomen- oder die Bauchdecke entnommen, um analyse, zu diagnostischen Zwecken teilungs- und kulturfähiges fetales Zot- oder auch zur Therapie im Rahmen tengewebe zu gewinnen. Nach der Zell- von Stoffwechselerkrankungen, Blut- kultur lassen sich die Chromosomen gruppenunverträglichkeit oder fetalen mikroskopisch oder molekulargene- Infektionen entnommen. Risiko: 2% tisch analysieren. Risiko der Untersu- Fehlgeburten. Die Chordozentese ist chung: 2-5 % Fehlgeburten. Deshalb eine wenig riskante Untersuchung, die wird sie inzwischen nicht mehr gene- teilweise mit wirksamen Therapieo- rell als der Amniozentese gleichwertig ptionen für das Kind verknüpft ist (z. betrachtet, sondern in speziellen Frage- B. Blutaustausch). 19
MitGedacht 1/2019 4.2 Vor Eintritt einer Schwangerschaft: Reproduktionsmedizin und Präimplantations-Diagnostik (PID) Mit dem Begriff der Reproduktions- Darüber hinaus gibt es die Mög- medizin sind alle medizinischen Ver- lichkeit, einen Embryo mit Hilfe fahren gemeint, die zur Erfüllung des von Samenspende, Eizellspende Kinderwunsches eines unfruchtbaren oder beidem zu erzeugen oder eine Paares geeignet sind. Embryonenspende in Anspruch zu Bevor es zur Entstehung eines nehmen. In diesen Fällen ist eine PID Embryos kommt, sind i. d. R. verschie- in Deutschland verboten. Ebenfalls dene diagnostische und therapeutische verboten ist die Leihmutterschaft zur Maßnahmen erforderlich, häufig ver- Austragung eines Embryos in einer bunden mit einer Hormonbehandlung fremden Gebärmutter. der Frau, um eine ausreichende Anzahl geeigneter Eizellen zu gewinnen. So gewonnene Eizellen werden bei 4.2.1. Eizellkonservierung allen reproduktionsmedizinischen Methoden extrakorporal (außerhalb Bei der Eizellkonservierung wird des Mutterleibes) befruchtet. Das wird betroffenen Frauen Eierstockgewebe mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) samt Eizellen entnommen, anschlie- erreicht. Die daraus entstehenden ßend kryokonserviert und später zur Embryonen entwickeln sich bis zum Gewinnung sprungreifer Follikel 3. oder evtl. 5. Tag (Blastocysten-Sta- weiterverwendet. Eine irgendwann dium) in einem Brutschrank. Bevor sie gewünschte Schwangerschaft würde in die Gebärmutter eingesetzt werden, durch In-Vitro-Fertilisation herbeige- werden sie auf eventuelle Auffällig- führt werden. keiten hin untersucht. Nur unauffällige Die Eizellkonservierung wurde bisher Embryonen sollen der Mutter in die angewendet, um an Krebs erkrankten Gebärmutter eingesetzt werden, damit Frauen nach erfolgter Chemotherapie möglichst eine gesunde Schwanger- eine Schwangerschaft ermöglichen zu schaft entsteht. können. Für Indikationen außerhalb Die PID ist in Deutschland lediglich der Tumortherapie birgt diese Technik für Paare zugelassen, die aufgrund zurzeit noch zu viele Unsicherheits- einer streng definierten erblichen Stö- Faktoren. Gleichzeitig entwickeln rung überwiegend schwerstbehinderte sich theoretische Szenarien, die Opti- Kinder austragen würden. Die Eltern misten davon träumen lassen, einen sind in diesen Fällen auch die geneti- Kinderwunsch sogar nach Jahrzehnten schen Eltern. noch zu verwirklichen. Bisher gibt es jedoch keine Erfahrungen damit, in 20
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik welchem Zustand Eizellen sind, die Samenzellen in die Eizelle eindringt, nach 10 oder gar 20 Jahren aufgetaut bleibt der Natur überlassen. werden; ebenso, welche Risiken für Die intrazystoplasmatische Sper- das dann gewünschte Kind damit ver- mieninjektion (ICSI) ist eine spezielle bunden sind. Außerdem verändern sich Form der In-vitro-Fertilisation, bei der bei der potentiellen Mutter mit zuneh- die Spermien mittels Biopsie aus dem mendem Alter die Voraussetzungen für Hoden entnommen werden. Anschlie- eine Schwangerschaft bezüglich der ßend bringt man ein Spermium direkt Gebärmutter und des Hormonhaushal- in die Eizelle ein, wobei nach morpho- tes enorm. Beide spielen jedoch für die logischer Begutachtung auf die Qua- Einnistung des Embryos in die Gebär- lität der Eizelle und des Spermiums mutter sowie seine Austragung eine geachtet wird. Nach einigen Stunden, wichtige Rolle. wenn die Zellkerne der Eizelle und der Inzwischen entwickelt sich die Samenzelle verschmolzen sind, ent- Technik weiter und weckt Begehr- steht das neue Leben. lichkeiten ganz anderer Indikations- Das Stadium bis zur Kernverschmel- zusammenhänge. So gab es im Jahr zung ist das Vorkern-Stadium. Nach 2015 einen Vorstoß großer, internatio- der Kernverschmelzung ist schließlich nal agierender Firmen, ihren jungen, ein Embryo entstanden. Diese Unter- qualifizierten Mitarbeiterinnen die scheidung ist rechtlich relevant, weil Eizellkonservierung zu finanzieren, in Deutschland nur in Ausnahmefäl- damit sie die Familienplanung zugun- len Embryonen, in der Regel nur Vor- sten des Arbeitgebers in eine Lebens- kernstadien, kryokonserviert werden phase verschieben könnten, in der es dürfen. natürlicherweise schwieriger wird schwanger zu werden. Rechtliche Einordnung: In Deutschland sind beide Verfahren erlaubt. Nach dem Embryonenschutz- 4.2.2. In-vitro-Fertilisation (IVF) und gesetz dürfen Embryonen nur derjeni- intrazystoplasmatische gen Frau eingepflanzt werden, von der Spermieninjektion (ICSI) die Eizelle stammt. Maximal dürfen 3 Embryonen transferiert werden. Die durch eine Hormonbehandlung Inzwischen wird häufig eine erwei- herangereiften Eizellen werden der terte Interpretation der Dreierregel Frau operativ entnommen. angewendet (Deutscher Mittelweg), Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) weil handelnde Therapeuten argumen- wird eine dieser Eizellen in einem tieren, dass nicht alle zu Embryonen Reagenzglas mit den Samenzellen des entwickelten Vorkernstadien weiter Mannes zusammengeführt. Welche der entwicklungsfähig seien und somit für eine Einpflanzung nicht geeignet 21
MitGedacht 1/2019 seien. Um drei geeignete Embryonen embryonale Reparaturmechanismen einpflanzen zu können, müsse man existieren, die anfängliche Abweichun- deshalb mehr als drei entwickeln. Auf gen ausgleichen können. diese Weise entstehen im Einzelfall „überzählige Embryonen“. Bis dato wussten wir über den Anfang des Lebens folgendes: An Tag 1 verschmelzen Ei- und Sper- 4.2.3. Embryoscop mienzelle, ohne dass deren Zellkerne verschmelzen (Vorkern-Stadium). Um die Lebensbedingungen der An Tag 2 verschmelzen beide Kerne. Embryonen weiter zu optimieren und Damit ist neues Leben entstanden. Störfaktoren auszuschließen, werden Sofort beginnt die Teilung in zunächst in die Brut-Inkubatoren Spezial-Kame- 2, dann 4 Zellen. An Tag 3 in 8 Zellen ras eingebaut, die alle 20 Minuten den und immer so weiter. Bis zum 8-Zell- Stand der Entwicklung der sich tei- Stadium geht man davon aus, dass lenden Embryonen aufnehmen. Der aus jeder dieser Zellen ein kompletter Embryo muss zur mikroskopischen Embryo entstehen könnte, wenn diese Begutachtung nicht mehr aus seiner getrennt würden. Umgebung genommen werden, und Durch die Beobachtungen mit Hilfe die Fotos gewährleisten eine kontinu- eines Embryoskops wurde deutlich, ierliche Überwachung. dass sich Embryonen im Frühstadium gar nicht gesetzmäßig nach dem bisher gedachten Schema entwickeln. Sie nehmen teilweise ganz überraschende Stadien von 3, 5 oder gar 7 Zellen an. Teilweise reduzieren sie sich zwi- schenzeitlich von 3 auf 1 oder von 5 auf 3, bevor sie sich erneut vermehren. Das deutet auf ein frühes Korrekturpo- tential ungeahnten Ausmaßes hin. In einer Art Zeitraffer-System können Im Laufe der kontinuierlichen Beob- alle Stadien ausgewertet werden. Nur achtung stellte sich heraus, dass in die sich augenscheinlich optimal ent- einer bestimmten Phase bis zu 80% der wickelnden Embryonen werden ent- In-vitro erzeugten Embryonen Störun- nommen und transferiert. Die anderen gen zeigen. Weitere Beobachtungen werden verworfen, weil sie voraus- zeigten, dass zu einem späteren Zeit- sichtlich nicht optimal lebensfähig punkt nunmehr 80% dieser zunächst erscheinen und eventuell zu einer auffälligen Embryonen später ein ganz Fehlgeburt führen könnten. Neueste unauffälliges Zwischenstadium errei- Beobachtungen zeigen jedoch, dass chen. 22
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 4.2.4. Präimplantations-Diagnostik der haben Ethik-Kommissionen, die (PID) über jeden konkreten Einzelfall ent- scheiden. • PID = Präimplantationsdiagnostik (allgemein) Dem in-vitro erzeugten Embryo wird 4.2.5. Genom Editing – im 8-Zell-Stadium eine Zelle entnom- Eingriff in die DNA men, um sie auf Auffälligkeiten zu untersuchen. Nachweisliche Schä- Genom Editing könnte zur Zukunft den am nun aus 7 Zellen bestehenden der Reproduktionsmedizin gehören. Embryo entstehen offensichtlich nicht. In Großbritannien wurde die Manipu- lation an menschlichem Erbgut 2016 • PGD = genetische Präimplan- bereits zu Forschungszwecken erlaubt. tationsdiagnostik Die DNA keines Menschen ist perfekt. Bei dieser speziellen Form der PID Jede DNA enthält Fehler, Abweichun- wollen die von einer genetisch beding- gen, also Mutationen. Von zahlreichen ten Krankheit betroffene Eltern wissen, Mutationen spüren wir gar nichts. ob ihr Kind dieselbe Erbanlage trägt. Einige verursachen jedoch teilweise schwere Krankheiten. Bisher wurde Genom Editing nur zu therapeutischen Zwecken angewen- det. Dabei werden DNA-Sequenzen, die fehlerhaft erscheinen oder uner- wünscht sind aus der DNA herausge- schnitten und unter Umständen durch andere Sequenzen ersetzt; d. h. verän- • PGS = genetisches Präimplan- derte, reparierte DNA wird dem Körper tationsscreening wieder zugeführt. Dort soll sie kopiert Diese Methode wird als präventive werden und die fehlerhafte DNA erset- Untersuchung für gesunde Eltern mit zen. Das passiert jedoch nicht immer vergeblichen IVF-Versuchen angebo- vollständig. ten, die Auffälligkeiten ausgeschlossen Durch eine somatische Genthera- sehen wollen. Die Untersuchung wird pie wird Patienten geholfen, aber es in der 10.-20. Schwangerschaftswoche werden keine erblichen Veränderungen durchgeführt. vorgenommen. Das wird bereits seit 1985 mit unterschiedlichen, meist sehr Rechtliche Einordnung: aufwändigen und kostenintensiven Die PID mit ihren Varianten ist in Methoden durchgeführt. Deutschland nur unter eng definierten CRISPR ist die neueste Methode, die Bedingungen erlaubt. Alle Bundeslän- wegen ihrer relativen Einfachheit und 23
MitGedacht 1/2019 geringer Kosten von der Wissenschaft die Lebensbedingungen im Reagenz- ungewohnt schnell und unkritisch auf- glas ständig verbessert werden, erreicht gegriffen wurde und inzwischen einen ein hoher Prozentsatz der Embryonen breiten Einsatz findet. Doch es gibt das Blastocysten-Stadium im Reagenz- Risiken; bleibende Schäden können glas gar nicht erst. entstehen, deren Tragweite noch nicht absehbar ist. Die moderne Reproduktionsmedizin 2012 wurde zum ersten Mal Genom bietet ein sogenanntes Optimum des Editing zur Veränderung des Erbgutes derzeit Machbaren an. Es soll verloc- eingesetzt. Manipuliertes Erbgut ist an kend wirken und scheinbar jede Hürde andere Generationen vererblich. überwinden, um alle Wünsche erfüllen zu können: 4.2.6. Embryonen-Transfer – 1. In einer ICSI wird das Spermium Transfer des Embryos in die direkt in die Eizelle injiziert. Gebärmutter 2. Der Embryo wird im Brutkasten Bisher wurden 2-3 Tage alte Embryos unter ständiger Kamerakontrolle (8-Zell-Stadium) in die Gebärmutter bis zum 3. Tag, möglichst aber transplantiert. Insbesondere bei Frauen bis zum 5. Tag (Blastocysten-Sta- ab 35 Jahren wird die Chance, dass sich dium) entwickelt. ein Embryo in die Gebärmutter einni- stet (Nidation), zunehmend kleiner, 3. Der Embryo wird außerdem mit egal ob es sich um einen natürlich oder den Methoden der Präimplantati- in-vitro entwickelten Embryo handelt. ons-Diagnostik (PGD, PGS) einer Einige Forscher sehen Vorteile darin, genetischen Untersuchung unter- einen höher entwickelten, d. h. einen zogen. [siehe Glossar] 5 Tage alten Embryo, der sich im sogenannten Blastocysten-Stadium 4. Der 5 Tage alte Embryo wird befindet, in die Gebärmutter einzu- schließlich in die Gebärmutter der pflanzen. Das bedeutet einen höheren Mutter eingebracht. Die vorherige Embryonenverbrauch. Denn obwohl Kameraüberwachung soll die best- mögliche Qualität des ausgesuch- ten Embryos gewährleisten, damit sehr gute Entwicklungschancen bestehen und nur ein Embryo übertragen werden muss (zur Ver- meidung von Mehrlingsschwan- gerschaften und Fehlgeburten). 24
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik 4.3 Reproduktionsmedizin für Mehr-Eltern-Kinder Der Kinderwunsch potentieller Eltern alle genetischen Eltern nach erfolgrei- ist in einigen Fällen nur mit Hilfe eines cher Behandlung und Schwangerschaft dritten oder vierten Elternteils zu erfül- diese Embryonen zur weiteren Fami- len. Ein Grund dafür kann die Angst lienplanung nutzen wollen, entstehen vor einer genetisch bedingten Krank- „überzählige Embryonen“. Laut einer heit des Kindes sein. Oder das Paar, das belgischen Reproduktionsklinik10 ent- Eltern werden will, ist eingeschränkt scheiden sich 20% der genetischen fortpflanzungsfähig. Um dennoch den Eltern für eine Embryonenspende, 20% Kinderwunsch zu erfüllen, kann man werden verworfen und 60% der For- mit Hilfe von Samenspende, Eizell- schung zur Verfügung gestellt. spende oder beidem einen Embryo erzeugen; ebenso eine Embryonen- Rechtliche Einordnung: spende in Anspruch nehmen oder im Die Embryonenspende wird in Ausland eine Leihmutterschaft anstre- Deutschland praktiziert. Eine breite ben. Diskussion und gesetzliche Regelung dazu wird in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates gefordert. A. In Deutschland erlaubte Methoden Beteiligte sind die genetischen Eltern (= Spendereltern), von denen Ei- und 4.3.1. Embryonenspende Samenzelle stammen. Biologische Eltern sind die genetischen Eltern; Häufig werden sogenannte „über- ebenso die Geburtsmutter (= Empfän- zählige Embryonen“ von ihren gene- germutter). Sie ist laut Familienrecht tischen Eltern zur Embryonenspende die biologische Mutter. Sofern sie freigegeben. Auf Basis des „Deut- verheiratet ist, gilt deren Ehemann als schen Mittelweges“ entwickelt man Vater. Ist sie es nicht, muss der Lebens- gleichzeitig mehr als drei Embryonen gefährte die Vaterschaft anerkennen für einen Zyklus zur Transplanta- lassen. tion und entscheidet sich für die drei Embryonen, die das größte Ent- wicklungspotential zeigen. Die 4.3.2. Samenspende schlechter entwickelten Embryonen sterben manchmal von selbst ab, oder Bei der homologen Samenspende sie werden für einen potentiell näch- handelt es sich um die Samenspende sten Zyklus kryokonserviert. Da nicht des Partners der Mutter, bei der hete- 10 Lisa Nienhaus, 16.11.2010; http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/familie/praeimplantationsdiagno- stik-die-babymacher-aus-belgien-1575425.html 25
MitGedacht 1/2019 rologen Samenspende um die Samen- 4.3.5. Mitochondrien-Transfer spende eines Dritten. Sie kann sowohl anonym als auch offen sein. Das Kind In Großbritannien wurde 2015 wurde hat ein Recht auf Kenntnis der Her- erstmals der Mitochondrien-Transfer kunft. Inwieweit das gegen andere zugelassen. Interessen durchsetzbar ist, ist juri- Jede menschliche Zelle besitzt unzäh- stisch strittig. lige Mitochondrien. Sie sind Zellorga- nellen, die für die Energieversorgung benötigt werden. Bei Störungen der B. Aktuell in Deutschland nicht Mitochondrien sind besonders häufig erlaubte Methoden Organe betroffen, die für den Stoff- wechsel verantwortlich sind: Muskeln, 4.3.3. Eizellspende Herz, Augen, Gehirn. Fehlgebildete Mitochondrien können Die Eizellspende einer Frau an ein in allen Organen Störungen hervor- unfruchtbares Paar wird rechtlich wie rufen. Durch Mutationen der Mito- die heterologe Samenspende einge- chondrien entstehen unterschiedliche ordnet. Sie erfolgt anonym oder offen. Krankheitsbilder (Mitochondriopa- Die Dokumentation muss so lücken- thien). los geführt werden, dass dem Recht Betrifft die Mutation jedes einzelne des Kindes auf Kenntnis der Herkunft Mitochondrium (Homoplasmie), Rechnung getragen werden kann. erwartet man einen schwereren Krank- heitsverlauf. Sind nicht alle Mitochon- 4.3.4. Leihmutterschaft drien betroffen (Heteroplasmie), ist der Krankheitsverlauf milder. Ein in-vitro erzeugter Embryo der Mitochondrien besitzen eigene Erbin- genetischen Eltern wird einer zweiten formationen (DNA mit 37 Genen). Die Frau zur Erzeugung einer Schwan- Gene werden sowohl vom Zellkern als gerschaft transferiert. Diese trägt auch von den Mitochondrien selbst die Schwan- gesteuert und können Mutationen auf- gerschaft aus weisen. und wird die Zur Beseitigung der Mutationen Geburtsmutter. (Störungen), die ausschließlich von Nach deutschem mitochondrialer DNA hervorgeru- Recht wäre sie fen werden, wurden zwei Techniken zusammen mit den genetischen Eltern entwickelt, die bei der Entstehung die biologischen Eltern. Das Kind hätte neuen Lebens im Rahmen künstlicher somit zwei Mütter und einen Vater. Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) angewandt werden können. Dies geschieht in beiden Fällen durch Mito- 26
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik chondrien-Transfer. Die kranke Mito- Mitochondrien-Transfer ist jedoch ein chondrien-Information wird durch Eingriff in die menschliche Keimbahn, gesunde Mitochondrien-Information der dazu führt, dass das Erbgut einer aus der Eizelle einer dritten beteilig- dritten Person an weitere Generationen ten Person ersetzt, so dass fehlerhafte vererbt wird. Information nicht mehr an das neu ent- stehende Mitochondrium weitergege- ben werden kann. 5. Wenn der Kinderwunsch Hilfe braucht 5.1. Hauptsache, mein genetisches Kind? Es gibt familiäre Konstellationen, bei In solchen Konstellationen müssen denen das Risiko ein Kind mit Auffäl- grundlegende Fragen beantwortet ligkeiten zu bekommen erhöht, gleich- werden: zeitig der Wunsch nach einem eigenen Kind unvermindert groß ist. Dann • Wollen wir unter diesen Umständen suchen Eltern potentielle Partner, z. B. überhaupt ein Kind? Co-Eltern, um das Risiko für eine kind- • Wollen wir ausschließlich ein gesun- liche Behinderung zu minimieren. Dies des Kind? geschieht häufig nach Leiderfahrungen • Wollen wir unbedingt ein Kind, wie erlittene Fehlgeburten, Kinder mit dessen genetische Eltern wir sind? Auffälligkeiten in der unmittelbaren • Kommt die Adoption eines Kindes in Verwandtschaft, oder weil man Träger Frage? einer genetischen Anomalie ist. 5.2. Wieviel künstliche Hilfe gehen wir mit? Wenn genetisch belastete Eltern Welche medizinischen Mög- unbedingt ein gesundes, genetisch von lichkeiten gibt es nach Eintritt einer ihnen selbst abstammendes Kind wün- Schwangerschaft, mit Hilfe der Präna- schen, stellen sich weitere Fragen: tal-Diagnostik unserem Kind zu helfen? Was versprechen wir uns berechtig- Kommen die medizinischen Mög- terweise oder auch unberechtigterweise lichkeiten der Pränatal-Diagnostik für von den Methoden der Präimplantati- uns überhaupt in Frage? ons- und Pränatal-Diagnostik? 27
MitGedacht 1/2019 Welche Argumente drängen uns zu stungssituationen. Viele von ihnen dieser Diagnostik? lehnen dennoch nicht leichtfertig „feh- • Leiderfahrungen? lerhaftes“ Leben ab. Sie müssen sich ja • Ein unstillbarer Wunsch nach auch damit auseinander setzen, dass sie Gewissheit? Gewissheit worüber? selbst als Gen-Überträger „fehlerhaft“ • Nach welchen Kriterien bzw. wie sein könnten und dass ihr Kind auffäl- werden wir uns bei uneindeutigem lig oder sogar lebensunfähig werden Ergebnis entscheiden? könnte. • Wie können wir uns auf die beson- Solche Eltern stehen zwischen ihren deren Bedürfnisse eines Kindes bisher als gut erachteten Maßstäben mit Auffälligkeiten vorbereiten? und der scheinbaren Unmöglichkeit, (Pflege, Operationen) diese nun auch leben zu können. Der Zwang, über Leben und Tod ihres Welche der diversen medizini- Kindes entscheiden zu müssen, führt schen Möglichkeiten wollen wir in sie in das Dilemma, den eigenen an Anspruch nehmen? Christus bzw. der christlichen Ethik Jede Methode/Untersuchung wirft orientierten Maßstäben unter Umstän- neue Fragen auf. Sind wir darauf vor- den nicht mehr gerecht werden zu bereitet, dass wir unter Umständen über können. Leben oder Tod entscheiden müssen? Menschen in Ausnahmesituationen Wie lassen sich christliche Maßstäbe sollen nicht allein stehen müssen. Die und die Herausforderungen des Lebens Stiftung ProVita will gemeinsam mit in Einklang bringen? vielen anderen Christen und Gemein- den bei ihnen bleiben; sie unterstüt- Eltern und ihre Angehörigen, die sich zen, ihre getroffenen Entscheidungen diesem Dilemma ausgesetzt sehen, tragen zu können. durchlaufen enorme seelische Bela- 5.3. Gesellschaftliche Entwicklungen Wir leben in einer Leistungsgesell- schen Miteinander. schaft. Im privaten wie im geschäft- Viele gehen davon aus, Anspruch auf lichen Leben zählt Erfolg. Dass man ein gutes, glückliches, langes Leben seine Lebensziele erreicht, wird als mit maximaler Gestaltungsfreiheit und selbstverständlich angesehen; genauso Gesundheit zu haben; ebenso ihre Ziele ständiger Fortschritt in Technik und verwirklichen zu können. Sobald etwas Wissenschaft. Diese Leistungs- und erkenntnistheoretisch möglich ist, soll Erfolgsfokussierung beeinflusst unsere es in kurzer Frist machbar werden, dem Maßstäbe im gesellschaftlich-ethi- eigenen Nutzen dienen, mit möglichst 28
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