MitGedacht - Nur das Beste für mein Kind! - Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung - Bund Freier evangelischer Gemeinden

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MitGedacht - Nur das Beste für mein Kind! - Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung - Bund Freier evangelischer Gemeinden
MitGedacht
               Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung

                             Nur das Beste
                             für mein Kind!
                                       Eine Denkhilfe zu
1/2019                         vorgeburtlicher Diagnostik
17. Jahrgang
MitGedacht - Nur das Beste für mein Kind! - Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung - Bund Freier evangelischer Gemeinden
MitGedacht - Nur das Beste für mein Kind! - Gesprächsimpulse zur sozialen Verantwortung - Bund Freier evangelischer Gemeinden
Herausgeber:
Gesprächskreis für soziale Fragen
im Bund Freier evangelischer Gemeinden KdöR

Derzeitige Mitglieder des Gesprächskreises:
Manfred Daub, Edgar Daub, Karl-Heinz Espey,
Rebekka Ethen, Prof. Dr. Wolfgang Heinrichs,
Prof. Dr. Markus Iff, Dr. Detlev Katzwinkel,
Ernst Kirchhof, Ulrich Kühn, Friederike Meißner,
Jost Stahschmidt, Klaus Tesch, Burkhard Theis,
Wolfgang Thielmann und Dr. Jochen Wagner.

Vorsitzender:   Karl-Heinz Espey
Adresse:        Bahnhofstraße 43
		              25451 Quickborn
E-mail:         gsf@bund.feg.de
Layout:         Rolf Schwärzel, Norden
Druck:          Druckhaus Dortmund
Fotos:          So weit im Bild nicht anders vermerkt:
		              www.pexels.com
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort........................................................................................................ 6

1. Einführung ............................................................................................. 8

2. Theologische und ethische Aspekte ...................................................... 9
2.1. Christliche Perspektive ......................................................................... 9
3.2. Ethische Entscheidungsfindung ............................................................ 10

3. Hauptsache gesund!? .............................................................................           12
3.1. Psychosoziale Aspekte ..........................................................................          12
3.2. Diagnostik und Therapie vor der Geburt: ............................................                      14
     Heilen und helfen statt aussortieren
3.3. Wie viel Diagnostik ist für mich und mein Kind sinnvoll? ...................                              15

4. Methoden ................................................................................................ 16
4.1. Nach Eintritt einer Schwangerschaft: Pränatal-Diagnostik............. 16

4.1.1 Nicht-invasive Pränataldiagnostik .................................................... 16
    a. Blut-Untersuchungen
       ab 9. SSW: Bluttest
       14.-16. SSW: Blutuntersuchungen auf Alpha-Fetoprotein (AFP)
       16. SSW: Triple-Test bzw. Quadruple-Test
     b. Ultraschall-Untersuchungen
       12.-14. SSW: Früh-Missbildungs-Ultraschall
       18.-22. SSW: Spezial-Ultraschall

4.1.2. Invasive Pränataldiagnostik ............................................................. 19
13.-18. SSW: Amniozentese
     18.-22. SSW: Chorionzottenbiopsie
     21.-23. SSW: Chorozentese
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4.2.
       Reproduktionsmedizin/Präimplantantions-Diagnostik...................... 20

4.2.1. Eizellkonservierung
4.2.2. IVF und ICSI
4.2.3. Embryoscop
4.2.4. Präimplantations-Diagnostik (PID)
4.2.5. Genom Editing – Eingriff in die DNA
4.2.6. Embryonentransfer - Transfer des Embryos in die Gebärmutter

4.3. Reproduktionsmedizin für Mehr-Eltern-Kinder ................................. 25

a. in Deutschland erlaubte Methoden .......................................................... 25
4.3.1. Embryonenspende
4.3.2. Samenspende

b. in Deutschland nicht erlaubte Methoden ................................................. 26
4.3.3. Eizellspende
4.3.4. Leihmutter
4.3.5. Mitochondrien-Transfer

5. Wenn die Kinderwunscherfüllung Hilfe braucht ..............................                                27
5.1. Hauptsache mein genetisches Kind? ....................................................                   27
5.2. Wie viel künstliche Hilfe gehen wir mit? ...............................................                 27
5.3. Gesellschaftliche Entwicklungen...........................................................               28

6. Gottes- und Nächstenliebe als Entscheidungskriterium .................... 30

7. Glossar .................................................................................................... 32

8. Weitere Informationen .......................................................................... 36

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    Vorwort
      „Wie geht es dir?“ höre ich es über        an. Er fällt auf, weil er etwas kleiner
    den Flur schallen. Fröhlich, gut gelaunt,    ist als der Durchschnitt. Sein Hals ist
    vielleicht noch ein bisschen müde hebt       etwas kürzer und seine Augen stehen
    B. die Hand, um mich an diesem Tag vor       weiter auseinander als bei den meisten.
    meiner Morgenbesprechung zu begrü-           Man kann ihn als einen von Trisomie
    ßen. „Was war nur los mit euch gestern       21 geprägten jungen Mann erkennen.
    Abend?“ fragt er mich herausfordernd.        Ich mag B., wie viele andere in unserer
    „Gestern Abend?“ Ich stutze. Dann            Klinik auch.
    wird es mir jedoch klar. B. meint das          Die Pränatal-Diagnostik (PND) arbei-
    Ausscheiden meines Fußball-Clubs aus         tet mit Techniken und Wissen an der
    der Europaliga. Richtig, „wir“ hatten        Untersuchung von ungeborenen Kin-
    zunächst gut gespielt, aber am Ende          dern, auch an der von Trisomie 21
    unglücklich verloren und waren ausge-        Betroffenen. Das ist eine sensible Ange-
    schieden.                                    legenheit, bei der es einerseits um den
      B., der kleiner ist als ich, legt seine
    Hand auf meine Schulter und tröstet
    mich: „Vielleicht nächstes Jahr, es kann
    halt nicht jeder so gut sein wie „wir
    Bayern“. Dabei grinst er mir ein wenig
    herausfordernd, aber doch eher milde
    und breit lächelnd ins Gesicht. „Wir
    sehen uns beim Essen“, sage ich zu ihm.
    Dann trennen wir uns, wie immer in dem
    Gefühl, als Teil der Belegschaft unserer
    Krankenhaus-Mannschaft freundschaft-         Wunsch geht, Krankheiten heilen zu
    lich miteinander verbunden zu sein.          können, Schutz vor Erkrankungen zu
    Sind wir Freunde? Ja, ich denke wir sind     ermöglichen und so eine bestmögliche
    Freunde geworden über all die Jahre, die     Entwicklung fördern zu können; ande-
    wir jetzt gemeinsam in der gleichen Ein-     rerseits, Kinder mit einer Behinderung
    richtung an unterschiedlichen Stellen        frühestmöglich in der Schwangerschaft
    zum Wohl von Patienten tätig sind.           zu identifizieren, um sie nach einer
      B. ist fast dreißig Jahre alt. Er arbei-   eingehenden Beratung auf Wunsch der
    tet schon lange in unserem Haustech-         Eltern innerhalb der gesetzlichen Frist
    nikteam. Ich kenne ihn vom ersten Tag        straffrei abzutreiben. Derzeit werden

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Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

mehr als 95% der von Trisomie betrof-            Dabei verbergen wir nicht, dass
fenen Ungeborenen nicht mehr bis zur           menschliches Leben von Anfang an
Geburt ausgetragen.                            lebenswert und jeder Mensch geliebt ist
 Dieses Heft will dazu beitragen, dass         - ohne Abstriche, ohne Vorbehalte und
Mütter und Eltern auf Grundlage eines          ohne Relativierung durch Qualitätskri-
christlichen Menschenbildes einen Weg          terien, Verdachtsmomente oder gar Dia-
durch die Fülle von Untersuchungen,            gnosen.
Informationen und unterschiedlichen
Interessen finden können, der letztlich
dem Wohl ihres ungeborenen Kindes              Dr. Detlev Katzwinkel, Ulrich Kühn,
dient und ihrem eigenen Verantwor-             Dr. Heike Fischer, Karl-Heinz Espey
tungsempfinden nahe kommt.

                                                                                             7
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    1. Einführung

      Ob geplant oder ungeplant, wenn          schaft erleben und sich auf ihr Kind
    eine Schwangerschaft eintritt, tauchen     freuen wollen, nicht mehr guter Hoff-
    Fragen am Horizont der werdenden           nung, sondern in Vor-Sorge. Viele
    Eltern auf: Wird alles gut verlaufen?      Eltern haben längst begriffen, dass
    Wird unser Kind gesund sein? Haben         sowohl die vorgeburtliche Diagnostik
    wir uns richtig verhalten? Hat unser       als auch die „Pränatal-Diagnostik-
    Kind vielleicht durch das ein oder         Player“ nicht nur das Wohl des neuen
    andere Medikament, durch Nikotin,          Lebens (also des Kindes) im Fokus
    Alkohol, Drogen oder Strahlenbela-         haben, sondern gegebenenfalls auch
                            stung Schaden      sein vorzeitiges Aus. Manche Handeln-
                            genommen?          den im Rahmen der Pränatal-Diagno-
                            Hätte        ich   stik (PND) gehen geradezu akribisch
                            mich bzw. das      daran, neues Leben mit Behinderung
                            Kind schützen      oder Krankheit zu identifizieren, bevor
                            müssen?            es geboren werden könnte.
    Andere stehen vor der Frage, ob sie das      Es ist also von enormer Bedeutung,
    Kind überhaupt haben möchten. Denn         sich selbst ein Bild zu machen, wel-
    eine ungeplante Schwangerschaft ist        ches Vorgehen und welche Methoden
    für etliche ein Ereignis, das sie nicht    ethisch und inhaltlich verantwortbar
    zulassen wollen, das sie glauben nicht     sind. Bevor man sich als „Mutter“,
    zulassen zu können. Auf der ganzen         „Patientin“ oder „Elternpaar“ für eine
    Welt stellen werdende Eltern diese         pränatale Diagnostik entscheidet,
    Fragen. Sie sind statistisch jeweils nur   erscheint es sinnvoll, die eigene grund-
    anders verteilt. Heutzutage versuchen      legende Position zu klären.
    Schwangere vor allen Dingen durch            Das vorliegende Heft ist eine Koope-
    die Recherche im weltweiten Netz           ration des Gesprächskreis für soziale
    Antworten darauf zu erhalten. Dabei        Fragen mit der Stiftung ProVita. Es soll
    werden sie jedoch die Motivation           vor allem Mütter bzw. Eltern befähigen
    hinter den dort gegebenen Antworten        und anregen, sich selbst zu positionie-
    kaum erkennen können, denn zu spe-         ren. Keiner sollte später bereuen, auf
    ziell und differenziert sind die Hinter-   der Grundlage von zu wenig Informa-
    gründe und Details.                        tion eine Entscheidung subjektiv falsch
     Aufgrund der zahlreichen Möglich-         getroffen zu haben, sie jedoch nicht
    keiten der pränatalen Diagnostik und       mehr rückgängig machen zu können.
    der Befindlichkeiten aller Beteilig-
    ten sind selbst diejenigen werdenden
    Eltern, die eine gewollte Schwanger-

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2. Theologische und ethische Aspekte

2.1. Christliche Perspektive

 Menschen, die im christlichen Glau-                  prozess seiner Existenz als kreatives
ben Halt finden und Orientierung                      Handeln und Gestalten seines Gottes
suchen, fragen danach, wie sich die                   (Psalm 139, 13-16; Hiob 10,10f).
medizinischen Möglichkeiten mit                        Nach dem Verständnis des christli-
ihrem Glauben vereinbaren lassen.                     chen Glaubens steht der Mensch in
Nach christlicher Überzeugung ist                     einer besonderen Position sowohl
Nachkommenschaft ein Geschenk
Gottes (Psalm 127,3). Leben ist von
Gott geschaffen und gründet damit
in seinem Willen. Der Geschenkcha-
rakter des Lebens verweist darauf,
dass weder ein Anrecht auf ein eige-
nes Kind noch auf ein gesundes Kind
besteht. Menschliches Leben gilt aus                  zu seinem Schöpfer als auch zu der
der Sicht des christlichen Glaubens als               geschaffenen Natur. Diese Sonderstel-
unverfügbar (1.Mose 30, 1f) und steht                 lung wird mit den Worten „…zum Bild
unter dem besonderen Schutz Gottes                    Gottes schuf er ihn…“ beschrieben (1.
(1.Mose 4, 15).                                       Mose 1, 26ff). Wie ein Standbild des
 Die Bibel, das Zeugnis christlichen                  Königs damals den König vertrat, so
Glaubens, unterscheidet nicht zwischen                vertritt der Mensch Gott – sozusagen
einem Embryo mit und einem Embryo                     als sein Repräsentant. Der Mensch
ohne Behinderungen. Fremd ist ihr                     wird also als „lebendige Statue Gottes“
auch die Frage, ab wann innerhalb der                 geschaffen.1 Nach dem Bilde Gottes
Schwangerschaft von einem Menschen                    geschaffen zu sein bedeutet, in einer
die Rede sein kann, ob schon ab der                   unübertrefflichen Nähe zu Gott zu
Zeugung oder erst ab einem späteren                   stehen – ohne selbst Gott zu sein;
Zeitpunkt. Vielmehr begreift der Glau-                ebenso, wenn auch in einem weiteren
bende den intrauterinen Wachstums-                    Sinne, gewollt zu sein.2

1
 So Janowski, B., Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in:
Gott und Mensch im Dialog, Bd. 1, FS O. Kaiser, hg. v. M. Witte (BZAW 345), Berlin 2004, 183-214.
2
 Vgl. Böttrich, Adam und Eva, in: Zimmermann / Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübin-
gen 2013, 273.

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Mit der Position ist eine Aufgabe ver-               „Würde“ zutreffend beschreiben.
     bunden. Nur der Mensch wird mit der                   Die von Gott verliehene und deshalb
     Weltgestaltung beauftragt, die er Gott                unverlierbare Würde steht auch dem
     gegenüber verantwortet. Gott wür-                     noch nicht geborenen Menschen zu,
     digt seine Menschen3, indem er ihnen                  da folglich „ein Kind, welches zwei
     das Mandat der Weltverwaltung und                     Menschen als Eltern hat, vom ersten
     -gestaltung überträgt (1. Mose 1,28;                  Moment seiner Existenz nichts anderes
     2,15). Diese besondere Rolle innerhalb                sein kann als auch ein Mensch“ (Peter
     der Schöpfung und gegenüber dem                       Singer)4.
     Schöpfer lässt sich mit dem Begriff

     2.2. Ethische Entscheidungsfindung

      Der Begriff der „Würde / Menschen-                     Vor diesem Hintergrund verträgt es
     würde“ hat viele Facetten. Ausdruck                   sich nicht mit der Würde des unge-
     von Würde ist u. a. Selbstbestimmung,                 borenen Menschen, durch pränatale
     Privatheit, Teilhabe, Lebensschutz und                Diagnostik erkennbar behinderte Men-
     Selbstzwecklichkeit. Letzteres meint,                 schen als unerwünscht auszusortieren.
     dass ein Mensch von einem anderen                     Eine Facette der Menschenwürde ist
     Menschen nicht als bloßes Mittel zu                   der Lebensschutz. Deshalb steht ein
     einem Zweck benutzt werden darf.                      Kinderwunsch, der im Rahmen der
     Weil jeder Mensch einen Zweck in                      PID den Tod „überflüssiger“ befruch-
     sich selbst hat, darf er nicht als Objekt             teter Eiszellen in Kauf nimmt, in Span-
     behandelt werden. Die Achtung der                     nung zur Menschenwürde. Dagegen
     Menschenwürde, wie sie auch im                        ist es Ausdruck einer menschenwür-
     Grundgesetz der Bundesrepublik                        digen Fürsorge, pränatal-diagnostisch
     Deutschland im 1. Artikel festgeschrie-               erkannte Krankheiten – sofern möglich
     ben ist, bedeutet, dass Menschen unter                – therapeutisch zu behandeln.
     allen Umständen ein Anrecht auf Ach-
     tung ihrer Würde haben.

     3
      „Adam“ bezeichnet den einzelnen Menschen als auch die Menschheit (Jenni/Westermann, ThHAT, Bd.
     1, Sp. 43f.
     4
      Singer zitiert nach Miltiadis Vantsos, Ethik des Lebensbeginns, Fußnote 1 in: Rupert M. Scheule (Hg),
     Ethik des Lebensbeginns, Regensburg 2015, S. 66.

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Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

 Die Fragen bezüglich des Lebens-                          •     Wie sind die möglichen/angebote-
beginns bedürfen einer verantwor-                                nen Maßnahmen zu verantworten
tungsethischen     Perspektive,    um                            gegenüber dem eigenen Gewissen,
Entscheidungen angemessen treffen zu                             gegenüber Gott als dem Schöpfer
können. Dabei geht es zum einen um                               des Lebens?
Verantwortung gegenüber einer über-
                                                           •     Wie kann seine Würde am besten
geordneten kontrollierenden Ebene, z.
                                                                 geachtet, sein Leben beschützt
B. in einem sozialen (Rechtsprechung),
                                                                 werden?
intrapsychischen (Gewissen) und/oder
religiösen (Gott) Systems; zum ande-                       •     Sind wir bereit, mit Gottes Hilfe
ren um Verantwortung für jemand im                               Verantwortung für das ungebo-
Sinne der Fürsorge.5 Angewendet auf                              rene, eventuell behinderte Kind zu
die pränatale Diagnostik wird sich                               übernehmen?
deshalb ein Paar mit Kinderwunsch
unter anderem mit folgenden Fragen
beschäftigen (müssen):
www.fotolia.de

5
       „Fischer/Gruden/Imhof/Strub, Grundkurs Ethik, Stuttgart 22008, S. 427-430.

                                                                                                       11
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  3. Hauptsache gesund?!

       Hauptsache gesund! So äußern sich       ligkeit und Ausprägung u. U. so stark
     viele Menschen in Bezug auf ihr im        verändert, dass die guten Wünsche
     Mutterleib heranwachsendes Kind. Sie      und Vorstellungen kaum noch erreich-
     sagen dies in wirklich guter Absicht      bar erscheinen. Solche Situationen
     und wollen alles Mögliche unterneh-       hat man in der Vergangenheit als von
     men, damit ihr Kind gesund und mit        Gott gegeben hingenommen bzw. als
     den besten Startbedingungen auf diese     von der Natur so angelegt hinnehmen
     Welt kommen mag.                          müssen.
       Während der Schwangerschaft, bei          Durch das kritische Fragen der syste-
     der Geburt und in der Zeit danach         matischen Wissenschaft wurden in
     können Störungen bei der Entwicklung      den vergangenen Jahrzehnten große
     eines Kindes auftreten. Deshalb ist es    Anstrengungen unternommen, mehr
     zweifellos eine Herausforderung für       über die Entwicklung des Individuums
     werdende Eltern, pränatal festgestellte   von seinem Beginn her zu erfahren
     Auffälligkeiten bei ihrem Kind akzep-     bzw. zu verstehen. Dabei war die Ent-
     tieren zu müssen. Jede Mutter, jeder      stehung von Abweichungen, Störun-
     Vater wünscht sich in jeder Hinsicht      gen und Missbildungen besonders im
     und im tiefsten Grunde das Beste für      Fokus. Ebenso waren die Einflüsse von
     sein Kind. Diese guten Vorstellungen      Krankheiten auf diese Entwicklung
     und Wünsche für sein Leben können         von Interesse. Die Embryologie, also
     mit einer pränatalen Diagnose unter       die Kunde von der menschlichen Ent-
     Umständen zunächst in Frage gestellt      wicklung bis zur 9. Schwangerschafts-
     oder gar ganz zunichte gemacht            woche, hat inzwischen tiefgehende
     werden. Das Leben des Kindes und das      Einblicke in diese Abläufe ermöglicht.
     eigene Leben werden je nach Auffäl-

     3.1. Pschosoziale Aspekte

     3.1.1.  Für viele Paare und Familien      nicht lebensfähigen Kindern. Eltern
     sowie für die Gesellschaft sind Kinder    berichten vielfach vom Glück, das
     aus sozialer, kultureller und psycholo-   sie durch ihre Kinder erleben durften.
     gischer Sicht grundsätzlich und ganz      Mutter- bzw. Vatersein, Elternschaft
     allgemein eine Bereicherung; eine         zu leben ist eine Form, sich selbst zu
     beglückende Erfahrung, auch für zahl-     verwirklichen und die eigene Identi-
     reiche Eltern von Kindern mit Behinde-    tät weiter auszugestalten. Kinder zu
     rungen, unheilbaren Erkrankungen und      zeugen und ins Leben zu begleiten ist

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Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

eine Weise, die Fähigkeit zur Liebe zu               heit des Embryos und seine Entwick-
leben.                                               lung, sondern können lebensbedrohlich
  Schwangerschaft und Geburt haben                   wirken.
einen prägenden Einfluss auf das Kind                  Belastend bis schädigend wirken
sowie auf die Identität und Lebens-                  außerdem eine ablehnende Einstel-
gestaltung der werdenden Eltern. Die                 lung zur Schwangerschaft im sozialen
Auseinandersetzung mit der Rolle                     Umfeld der Betroffenen, das häusliche
als Mutter bzw. Vater fordert heraus,                Milieu, Stress im Beruf, Stress in der
grundsätzliche Fragen zu klären:                     Partnerschaft bzw. in der Beziehung
Warum will ich ein Kind? Welche Vor-                 mit dem beteiligten Vater des Kindes
stellungen, Hoffnungen und Erwartun-                 sowie Stress mit den Herkunftsfami-
gen verbinde ich damit für mich? Was                 lien und finanzielle Sorgen.
bedeutet es für mich, Vater bzw. Mutter
zu sein? Inwieweit geht es mir dabei                 3.1.3. Ein Kinderwunsch kann
um mich selbst? Wie sehr begreife ich                durchaus auch egoistisch motiviert
Elternschaft als Aufgabe, einen Men-                 sein. Das Kind wird dabei dem Risiko
schen um seiner selbst willen ins Leben              ausgesetzt, z. B. Defizite im Selbst-
zu begleiten?                                        wertgefühl der Mutter bzw. des Vaters
                                                     ausgleichen zu sollen und so bereits
3.1.2. Die Eltern-Kind-Beziehung                     vor seiner Geburt mit einem „Auftrag“
ist auf dem Weg zum Erwachsen-                       befrachtet zu werden, den es nicht
sein der Kinder teils einseitig von der              erfüllen kann.
Fürsorge der Eltern für ihre Kinder                    Manche Paare betrachten ein eigenes
bestimmt. Elternschaft bedeutet Ver-                 Kind als probate Lösung partnerschaft-
antwortung zu übernehmen; ebenso,                    licher Probleme. Zum „Retter“ einer
einen Menschen aus der Fürsorge zur                  brüchigen Partnerbeziehung gemacht
Sorge um sich selbst zu befähigen                    zu werden birgt ein hohes Potential an
(Schmid).6 Die verantwortungsvolle                   Entwicklungsstörungen für das Kind.
Fürsorge für ihn beginnt mit dem Tag,                Denn es wird in eine Rolle gedrängt,
an dem die Schwangerschaft bewusst                   die es völlig überfordert. Menschen als
wird. Suchtmittel, die die schwangere                bloßes Mittel zum Zweck zu benutzen
Frau als Nikotin, Alkohol und Drogen                 ist eine Missachtung ihrer Menschen-
konsumiert, haben nicht nur einen                    würde (Kant).7 Angemessene und ver-
erheblichen Einfluss auf die Gesund-                 antwortbare Maßnahmen, seelischen

6
 Wilhelm Schmid, Mit sich selbst befreundet sein, Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst,
Frankfurt am Main 2004, S. 383 – 392.
7
 Dietmar von der Pfordten, Zur Würde des Menschen bei Kant, www.rechtsphilosophie.uni-goettingen.
de/ZurWuerdeDesMenschenBeiKant.pdf, S. 14ff, (5/2017). Vgl. Wilfried Härle, Würde, München
2010, S. 35.

                                                                                                    13
MitGedacht 1/2019

     und psychosozialen Problemen zu            ungewollter Kinderlosigkeit sind aus
     begegnen, sind Paarberatung, Fami-         ethischen, medizinischen und psycho-
     lien- und Psychotherapie. Künstlich        sozialen Gründen kritisch zu hinterfra-
     erzwungene Schwangerschaften als           gen.
     Therapeutikum zur Leidlinderung bei

     3.2. Diagnostik und Therapie vor der Geburt: heilen und helfen statt aussortieren

       Die Pränatal-Diagnostik (PND) ist          Einige Krankheitsbilder können durch
     ein diagnostisches Instrument, das uns     eine pränatale oder postnatale Opera-
     Informationen über ein ungeborenes         tion behoben oder gelindert werden.
     Kind liefert. Sie ist in der Lage, viele   Andere erfordern, dass die Eltern sich
     Details zu untersuchen, manchen gene-      frühzeitig über Hilfsmittel, Therapien,
     tisch bedingten Befund oder aber auch      Hilfestellungen, soziale Beratungen
     zufällig abweichende Details aufzuzei-     oder Sonstiges informieren, um für
     gen.                                       sich und das Kind nach der Geburt ein
       Die PND ist gege-                                  gutes Umfeld zu schaffen.
     benenfalls auch in der                                Wer als Betroffener diesen
     Lage, zur Verbesse-                                  Weg einschlägt, ganz moti-
     rung der Versorgung                                  viert, zum Wohle seines
     und gesunden Ent-                                    Kindes zu agieren, der sollte
     wicklung des Kindes                                  sich bewusst bleiben, dass für
     beizutragen.       Eine                              den ein oder anderen Han-
     Diagnose       eröffnet                              delnden im Arbeitsfeld der
     Möglichkeiten, nach                                  PND im Zweifel der künstlich
     bestem Wissen und                                    von außen herbeigeführte Tod
     Gewissen Gutes zu                                    des Ungeborenen als „das
     tun, zu heilen, zu för-                              Beste für das Kind“ betrach-
     dern und zu versorgen.                               tet werden könnte. Selektion
       Gleichzeitig wird die                              durch Abtreibung scheint
     PND aber auch als ein                                dann der vermeintlich leich-
     Instrument missbraucht, vorgeburt-         tere Weg zu sein. In solch einer emotio-
     lich zwischen „akzeptabel“ und „nicht      nal herausfordernden, manchmal auch
     mehr akzeptabel“ zu selektieren. Des-      überfordernden Situation, sind Mut
     halb gilt es das Kind zu schützen. Es      und Stärke gefordert, um dem Kind
     ahnt nicht im Entferntesten, man könne     nicht nur eine Chance zum Überleben,
     etwas anderes von ihm wünschen, als        sondern auch zum Leben zu geben.
     dass es möglichst wohlbehalten das
     Licht der Welt erblicken möge.

14
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

3.3. Wie viel Diagnostik ist für mich und mein Kind sinnvoll?

  War man vor Jahren noch auf risi-            • Was können wir für unser Kind tun?
koreiche Fruchtwasseruntersuchungen
in einem eher fortgeschrittenen Sta-           • Gibt es Behandlungsmethoden, um
dium der Schwangerschaft angewie-              ihm zu helfen?
sen, ist man heute in der Lage, nach
Eintritt der Schwangerschaft viele             • Steht das Wohl des Kindes in jedem
Details des Genoms eines Embryos aus           Fall im Mittelpunkt?
kindlichen Zellen einer mütterlichen
Blutprobe heraus zu analysieren. Z. B.         • Brauchen wir eine Grund-Skepsis
kann man per Schnelltest Mono- oder            gegenüber der Pränatal-Diagnostik?
Trisomien (z.B. Trisomie21: Down-
Syndrom) ermitteln.                              „Hauptsache gesund“, darunter ver-
  In medizinischen Fachzeitschriften           stehen immer mehr Menschen, dass sie
und im Internet werden diese Tests als         ihr von der Norm abweichendes Kind
das „schonende Verfahren“ zur Aufdec-          gar nicht erst austragen wollen. Aus
kung möglicher Störungen geradezu              der Statistik der vergangenen Jahre
angepriesen. Möglichst jeden noch so           ist abzulesen, dass wegen genetischer
kleinen Verdacht auf eine Störung ent-         bzw. chromosomaler Abweichungen
weder auszuschließen oder weiter zu            beim Kind immer häufiger zur Abtrei-
verfolgen, hat vielschichtige Motiva-          bung geraten wird. Damit leistet man
tionen. Nicht zuletzt verspricht dieser        einer möglichst hundertprozentigen
Aufwand finanzielle Erträge für die            Aufklärung sämtlicher erkennbaren
beteiligten Mediziner und Biologen.            oder erahnbaren Abweichungen von
  Da viele Handelnde in der Pränatal-          einer noch „unbestimmten Norm“ Vor-
Diagnostik bei einer Reihe von Dia-            schub. Vor diesem Hintergrund stellt
gnosen ohne Therapieoption schnell             sich die Frage, wer letztlich entschei-
Handlungsbedarf zur frühzeitigen Eli-          det, was die „menschliche Norm“ ist.
minierung sehen können, stehen Eltern          Und ob es erstrebenswert ist, normkon-
vor schwer wiegenden Fragestellun-             form zu sein.
gen:                                             Unseres Erachtens ist es notwendig,
                                               dass Eltern eine möglichst mündige
                                               Entscheidung im Dschungel der viel-
                                               fältigen Methoden vorgeburtlicher
                                               Diagnostik treffen können!

                                                                                            15
MitGedacht 1/2019

     4. Methoden

       Wissen bedeutet Freiheit zur Entschei-                besonderen Bedürfnisse von Kindern
     dung und Verantwortung. Wissend und                     mit Auffälligkeiten vorzubereiten. Sie
     frei können wir uns in jede erdenkliche                 können Betroffene aber auch vor die
     Richtung entscheiden. Angesichts der                    Entscheidung zwischen Leben und Tod
     Verantwortung für einen Menschen                        des eigenen Kindes stellen.
     kann die Belastung darin liegen, unter                    Das Grundgesetz der Bundesrepublik
     verschiedenen Entscheidungsmöglich-                     Deutschland garantiert nach Artikel
     keiten eine Auswahl treffen zu müssen.                  2(1)8 in Verbindung mit Artikel 1(1)9
     Die Angebote zur Durchführung prä-                      jedem Menschen seine allgemeinen
     natal-diagnostischer Untersuchungen                     Persönlichkeitsrechte.
     sind zahlreich und erscheinen in der                      Dazu zählt das Recht auf Wissen,
     emotionalen Ausnahmesituation einer                     genauso wie das Recht auf Nichtwis-
     Schwangerschaft durch die subjek-                       sen im Rahmen persönlicher Lebens-
     tive Darstellung einzelner Handelnder                   gestaltung.
     unmittelbar zwingend zu sein.                            Wir dürfen selbst entscheiden, was
       Pränatal-diagnostische      Methoden                  wir wissen wollen!
     können hilfreich sein, sich auf die

     4.1. Nach Eintritt einer Schwangerschaft: Pränatal-Diagnostik

     4.1.1. Nicht-invasive Pränataldiagnostik

     a) Blutuntersuchungen                                   werden. Per Schnelltest können inner-
                                                             halb einer Woche Aussagen über mög-
      ab 9. SSW: Bluttest                                   liche Krankheiten gemacht werden.
                                                             Die Hersteller dieser Tests räumen ein,
       Im Blut der Schwangeren können ab                     dass ihr Test kein diagnostischer, son-
     der 9. SSW Bruchstücke der embryona-                    dern ein Screening-Test ist. Die Tests
     len DNA nachgewiesen und analysiert                     der 2. Generation sollen jedoch eine

     8
      Grundgesetz Artikel 2 (1): Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er
     nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz
     verstößt.
     9
      Grundgesetz Artikel 1 (1): Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
     Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

16
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

99%ige Sicherheit bieten. Sie können            Angabe der Schwangerschaftswoche
embryonale von mütterlichen Zellen              das individuelle Risiko für Chromoso-
unterscheiden. Sogar eine Unterschei-           menstörungen. Mittels eines speziellen
dung der Zellen von Zwillingen ist              Risiko-Kalkulationsverfahrens errech-
möglich. Trotzdem wird nach der Dia-            net man aus diesen Faktoren ein Risi-
gnose von Auffälligkeiten ein invasiver         kopotential. Der Triple-Test ergibt also
Test durchgeführt, um das Ergebnis zu           keinen eindeutigen Befund, sondern
verifizieren.                                   zeigt lediglich das Risiko an, dass ein
                                                Kind eine Chromosomen-Anomalie
                                                haben könnte.
 14.-16. SSW: Blutuntersuchungen               Wenn das für die jeweilige Schwan-
  auf Alpha-Fetoprotein (AFP)                   gerschaft ermittelte individuelle Risiko

  Blutuntersuchungen der Schwan-
geren auf Alpha-Fetoprotein (AFP)
als Hinweis auf mögliche Chromo-
somenstörungen bzw. Neuralrohr-
defekte („offenes Rückenmark“) in
der 14.-16. Schwangerschaftswoche
(SSW) dienen ebenfalls der Iden-
tifikation Ungeborener mit einem
erhöhten Potential genetischer
Abweichung vom normalen Muster.
Als Konsequenz bei auffälligen
Befunden wird üblicherweise eine
Amniozentese (Fruchtwasserpunktion)             deutlich das altersgemäße übersteigt,
zur weiteren Abklärung empfohlen.               wird zur Klärung des Chromosomenbe-
                                                fundes in der Regel eine Amniozentese
                                                oder Chorionzotten-Biopsie empfoh-
 16. SSW: Triple-Test bzw.                     len, die jedoch ein eigenes Risiko für
  Quadruple-Test                                die Schwangerschaft mit sich bringen.

  Bei diesem Test werden drei (= triple)
bzw. vier (= quadruple) chemische               b) Ultraschall-Untersuchungen
Stoffe (α-Fetoprotein, freies Estriol,
freies β-hCG, und evtl. Inhibin A) im            Die frühe Fehlbildungsdiagnostik
Blut der Schwangeren bestimmt. Aus              setzt ein hochauflösendes Ultraschall-
deren Konzentrationen ermittelt man             gerät sowie Erfahrung und Qualifi-
unter Berücksichtigung des Alters               kation des betreffenden Untersuchers
der Schwangeren sowie der genauen               voraus.

                                                                                             17
MitGedacht 1/2019

      12.-14. SSW: Früh-Missbildungs-          Inzwischen wird diese Ultraschallun-
       Ultraschall                            tersuchung wegen der zunehmenden
                                              Genauigkeit der Bluttests von einigen
       Diese     Ultraschall-Frühdiagnostik   Fachleuten als Zeitverschwendung
     wird kombiniert mit der Blutunter-       angesehen, die auf dem Weg zu einem
     suchung (freies β-hCG, PAPP-A)           Schwangerschaftsabbruch nach Dia-
     der schwangeren Frau unter Berück-       gnosestellung von Auffälligkeiten in
     sichtigung ihres Alters zum Erst-        Frage zu stellen sei.
     trimester-Screening. Es dient der
     Risikoabschätzung in der Frühschwan-
     gerschaft. Hier geht es im Wesent-        18.-22. SSW: Spezial-Ultraschall
     lichen um Chromosomenstörungen
     (Trisomien 13, 18, 21) beim ungebore-      Diese Untersuchung dient der geziel-
     nen Kind. Dabei werden verschiedene      ten Erfassung bzw. dem Ausschluss
     Werte des Fötus im Ultraschall gemes-    fetaler Fehlbildungen, z. B. Herzfeh-
     sen, insbesondere die Nackentranspa-     ler, Nierenabnormitäten, Fehlentwick-
     renz (nuchal translucency).              lungen im Bereich des Gesichts, des
                                                                Gehirns,     Rücken-
                                                                marks und Skeletts
                                                                sowie im Bereich der
                                                                Extremitäten und der
                                                                Bauchorgane.      Sie
                                                                wird auch eingesetzt,
                                                                um Störungen nach
                                                                speziellen Belastun-
                                                                gen der Frühschwan-
                                                                gerschaft (z. B. nach
                                                                Infektionskrankhei-
                                                                ten, Medikamenten-
                                                                und Drogennutzung
      Bei jedem Ungeborenen liegt nur zu                        oder Röntgenunter-
     diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft     suchungen) auszuschließen. Die wei-
     eine gewisse Flüssigkeitsansammlung      tere ursächliche Klärung auffälliger
     im Nackenbereich vor. Deshalb ist die    Befunde erfolgt durch Chromosomen-
     Messung zu einem anderen Zeitpunkt       analyse (Amniozentese) bzw. Bestim-
     nicht aussagekräftig. Eine Vermeh-       mung spezifischer Antikörper am
     rung der Flüssigkeitsansammlung ist      Nabelschnurblut.
     vor allem bei Embryonen mit Chro-
     mosomenstörungen und/oder anderen
     Krankheiten zu finden.

18
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

4.1.2. Invasive Pränataldiagnostik

 13.-18. SSW: Amniozentese

  Dabei wird durch die Bauchdecke
der Schwangeren unter Ultraschall-
sicht Fruchtwasser aus der Fruchthöhle
entnommen, um kulturfähige fetale
Zellen zu gewinnen sowie biochemi-
sche Marker für Nierenschäden oder
Neuralrohrdefekte („offenes Rüc-
kenmark“) zu bestimmen. Nach 2-3
Wochen Kultur erfolgt die mikroskopi-
sche Chromosomenanalyse bzw. mole-
kulargenetische Diagnostik. Das Risiko
einer Fehlgeburt durch diesen Eingriff
liegt bei 0,5-1 %. Bei einem auffälligen
Befund ist lediglich bei wenigen Dia-
gnosen eine pränatale Therapie mög-
lich. Ansonsten bleibt den Eltern zu
entscheiden, ob sie sich auf das Leben
mit einem kranken Kind oder auf einen           stellungen zur Einzelfallentscheidung
Schwangerschaftsabbruch vorbereiten.            angeboten.

 18.-22. SSW: Chorionzottenbiopsie              18.-22. SSW: Chordozentese

  Bei der Chorionzottenbiopsie werden             Dabei wird unter Ultraschallsicht
Mutterkuchenzellen durch die Scheide            Nabelschnurblut zur Chromosomen-
oder die Bauchdecke entnommen, um               analyse, zu diagnostischen Zwecken
teilungs- und kulturfähiges fetales Zot-        oder auch zur Therapie im Rahmen
tengewebe zu gewinnen. Nach der Zell-           von Stoffwechselerkrankungen, Blut-
kultur lassen sich die Chromosomen              gruppenunverträglichkeit oder fetalen
mikroskopisch oder molekulargene-               Infektionen entnommen. Risiko: 2%
tisch analysieren. Risiko der Untersu-          Fehlgeburten. Die Chordozentese ist
chung: 2-5 % Fehlgeburten. Deshalb              eine wenig riskante Untersuchung, die
wird sie inzwischen nicht mehr gene-            teilweise mit wirksamen Therapieo-
rell als der Amniozentese gleichwertig          ptionen für das Kind verknüpft ist (z.
betrachtet, sondern in speziellen Frage-        B. Blutaustausch).

                                                                                             19
MitGedacht 1/2019

     4.2 Vor Eintritt einer Schwangerschaft:
         Reproduktionsmedizin und Präimplantations-Diagnostik (PID)

      Mit dem Begriff der Reproduktions-         Darüber hinaus gibt es die Mög-
     medizin sind alle medizinischen Ver-      lichkeit, einen Embryo mit Hilfe
     fahren gemeint, die zur Erfüllung des     von     Samenspende,    Eizellspende
     Kinderwunsches eines unfruchtbaren        oder beidem zu erzeugen oder eine
     Paares geeignet sind.                     Embryonenspende in Anspruch zu
      Bevor es zur Entstehung eines            nehmen. In diesen Fällen ist eine PID
     Embryos kommt, sind i. d. R. verschie-    in Deutschland verboten. Ebenfalls
     dene diagnostische und therapeutische     verboten ist die Leihmutterschaft zur
     Maßnahmen erforderlich, häufig ver-       Austragung eines Embryos in einer
     bunden mit einer Hormonbehandlung         fremden Gebärmutter.
     der Frau, um eine ausreichende Anzahl
     geeigneter Eizellen zu gewinnen.
      So gewonnene Eizellen werden bei         4.2.1. Eizellkonservierung
     allen      reproduktionsmedizinischen
     Methoden extrakorporal (außerhalb           Bei der Eizellkonservierung wird
     des Mutterleibes) befruchtet. Das wird    betroffenen Frauen Eierstockgewebe
     mittels In-vitro-Fertilisation (IVF)      samt Eizellen entnommen, anschlie-
     erreicht. Die daraus entstehenden         ßend kryokonserviert und später zur
     Embryonen entwickeln sich bis zum         Gewinnung sprungreifer Follikel
     3. oder evtl. 5. Tag (Blastocysten-Sta-   weiterverwendet. Eine irgendwann
     dium) in einem Brutschrank. Bevor sie     gewünschte Schwangerschaft würde
     in die Gebärmutter eingesetzt werden,     durch In-Vitro-Fertilisation herbeige-
     werden sie auf eventuelle Auffällig-      führt werden.
     keiten hin untersucht. Nur unauffällige     Die Eizellkonservierung wurde bisher
     Embryonen sollen der Mutter in die        angewendet, um an Krebs erkrankten
     Gebärmutter eingesetzt werden, damit      Frauen nach erfolgter Chemotherapie
     möglichst eine gesunde Schwanger-         eine Schwangerschaft ermöglichen zu
     schaft entsteht.                          können. Für Indikationen außerhalb
      Die PID ist in Deutschland lediglich     der Tumortherapie birgt diese Technik
     für Paare zugelassen, die aufgrund        zurzeit noch zu viele Unsicherheits-
     einer streng definierten erblichen Stö-   Faktoren. Gleichzeitig entwickeln
     rung überwiegend schwerstbehinderte       sich theoretische Szenarien, die Opti-
     Kinder austragen würden. Die Eltern       misten davon träumen lassen, einen
     sind in diesen Fällen auch die geneti-    Kinderwunsch sogar nach Jahrzehnten
     schen Eltern.                             noch zu verwirklichen. Bisher gibt es
                                               jedoch keine Erfahrungen damit, in

20
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

welchem Zustand Eizellen sind, die              Samenzellen in die Eizelle eindringt,
nach 10 oder gar 20 Jahren aufgetaut            bleibt der Natur überlassen.
werden; ebenso, welche Risiken für                Die intrazystoplasmatische Sper-
das dann gewünschte Kind damit ver-             mieninjektion (ICSI) ist eine spezielle
bunden sind. Außerdem verändern sich            Form der In-vitro-Fertilisation, bei der
bei der potentiellen Mutter mit zuneh-          die Spermien mittels Biopsie aus dem
mendem Alter die Voraussetzungen für            Hoden entnommen werden. Anschlie-
eine Schwangerschaft bezüglich der              ßend bringt man ein Spermium direkt
Gebärmutter und des Hormonhaushal-              in die Eizelle ein, wobei nach morpho-
tes enorm. Beide spielen jedoch für die         logischer Begutachtung auf die Qua-
Einnistung des Embryos in die Gebär-            lität der Eizelle und des Spermiums
mutter sowie seine Austragung eine              geachtet wird. Nach einigen Stunden,
wichtige Rolle.                                 wenn die Zellkerne der Eizelle und der
  Inzwischen entwickelt sich die                Samenzelle verschmolzen sind, ent-
Technik weiter und weckt Begehr-                steht das neue Leben.
lichkeiten ganz anderer Indikations-              Das Stadium bis zur Kernverschmel-
zusammenhänge. So gab es im Jahr                zung ist das Vorkern-Stadium. Nach
2015 einen Vorstoß großer, internatio-          der Kernverschmelzung ist schließlich
nal agierender Firmen, ihren jungen,            ein Embryo entstanden. Diese Unter-
qualifizierten Mitarbeiterinnen die             scheidung ist rechtlich relevant, weil
Eizellkonservierung zu finanzieren,             in Deutschland nur in Ausnahmefäl-
damit sie die Familienplanung zugun-            len Embryonen, in der Regel nur Vor-
sten des Arbeitgebers in eine Lebens-           kernstadien, kryokonserviert werden
phase verschieben könnten, in der es            dürfen.
natürlicherweise schwieriger wird
schwanger zu werden.                            Rechtliche Einordnung:
                                                  In Deutschland sind beide Verfahren
                                                erlaubt. Nach dem Embryonenschutz-
4.2.2. In-vitro-Fertilisation (IVF) und         gesetz dürfen Embryonen nur derjeni-
		 intrazystoplasmatische                       gen Frau eingepflanzt werden, von der
		 Spermieninjektion (ICSI)                     die Eizelle stammt. Maximal dürfen 3
                                                Embryonen transferiert werden.
 Die durch eine Hormonbehandlung                  Inzwischen wird häufig eine erwei-
herangereiften Eizellen werden der              terte Interpretation der Dreierregel
Frau operativ entnommen.                        angewendet (Deutscher Mittelweg),
 Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF)           weil handelnde Therapeuten argumen-
wird eine dieser Eizellen in einem              tieren, dass nicht alle zu Embryonen
Reagenzglas mit den Samenzellen des             entwickelten Vorkernstadien weiter
Mannes zusammengeführt. Welche der              entwicklungsfähig seien und somit
                                                für eine Einpflanzung nicht geeignet

                                                                                             21
MitGedacht 1/2019

     seien. Um drei geeignete Embryonen       embryonale Reparaturmechanismen
     einpflanzen zu können, müsse man         existieren, die anfängliche Abweichun-
     deshalb mehr als drei entwickeln. Auf    gen ausgleichen können.
     diese Weise entstehen im Einzelfall
     „überzählige Embryonen“.                   Bis dato wussten wir über den Anfang
                                              des Lebens folgendes:
                                               An Tag 1 verschmelzen Ei- und Sper-
     4.2.3. Embryoscop                        mienzelle, ohne dass deren Zellkerne
                                              verschmelzen         (Vorkern-Stadium).
       Um die Lebensbedingungen der           An Tag 2 verschmelzen beide Kerne.
     Embryonen weiter zu optimieren und       Damit ist neues Leben entstanden.
     Störfaktoren auszuschließen, werden      Sofort beginnt die Teilung in zunächst
     in die Brut-Inkubatoren Spezial-Kame-    2, dann 4 Zellen. An Tag 3 in 8 Zellen
     ras eingebaut, die alle 20 Minuten den   und immer so weiter. Bis zum 8-Zell-
     Stand der Entwicklung der sich tei-      Stadium geht man davon aus, dass
     lenden Embryonen aufnehmen. Der          aus jeder dieser Zellen ein kompletter
     Embryo muss zur mikroskopischen          Embryo entstehen könnte, wenn diese
     Begutachtung nicht mehr aus seiner       getrennt würden.
     Umgebung genommen werden, und              Durch die Beobachtungen mit Hilfe
     die Fotos gewährleisten eine kontinu-    eines Embryoskops wurde deutlich,
     ierliche Überwachung.                    dass sich Embryonen im Frühstadium
                                              gar nicht gesetzmäßig nach dem bisher
                                              gedachten Schema entwickeln. Sie
                                              nehmen teilweise ganz überraschende
                                              Stadien von 3, 5 oder gar 7 Zellen
                                              an. Teilweise reduzieren sie sich zwi-
                                              schenzeitlich von 3 auf 1 oder von 5
                                              auf 3, bevor sie sich erneut vermehren.
                                              Das deutet auf ein frühes Korrekturpo-
                                              tential ungeahnten Ausmaßes hin.
      In einer Art Zeitraffer-System können     Im Laufe der kontinuierlichen Beob-
     alle Stadien ausgewertet werden. Nur     achtung stellte sich heraus, dass in
     die sich augenscheinlich optimal ent-    einer bestimmten Phase bis zu 80% der
     wickelnden Embryonen werden ent-         In-vitro erzeugten Embryonen Störun-
     nommen und transferiert. Die anderen     gen zeigen. Weitere Beobachtungen
     werden verworfen, weil sie voraus-       zeigten, dass zu einem späteren Zeit-
     sichtlich nicht optimal lebensfähig      punkt nunmehr 80% dieser zunächst
     erscheinen und eventuell zu einer        auffälligen Embryonen später ein ganz
     Fehlgeburt führen könnten. Neueste       unauffälliges Zwischenstadium errei-
     Beobachtungen zeigen jedoch, dass        chen.

22
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

4.2.4. Präimplantations-Diagnostik             der haben Ethik-Kommissionen, die
		(PID)                                        über jeden konkreten Einzelfall ent-
                                               scheiden.
• PID = Präimplantationsdiagnostik
  (allgemein)
 Dem in-vitro erzeugten Embryo wird            4.2.5. Genom Editing –
im 8-Zell-Stadium eine Zelle entnom-           		Eingriff in die DNA
men, um sie auf Auffälligkeiten zu
untersuchen. Nachweisliche Schä-                 Genom Editing könnte zur Zukunft
den am nun aus 7 Zellen bestehenden            der Reproduktionsmedizin gehören.
Embryo entstehen offensichtlich nicht.         In Großbritannien wurde die Manipu-
                                               lation an menschlichem Erbgut 2016
• PGD = genetische Präimplan-                  bereits zu Forschungszwecken erlaubt.
   tationsdiagnostik                           Die DNA keines Menschen ist perfekt.
  Bei dieser speziellen Form der PID           Jede DNA enthält Fehler, Abweichun-
wollen die von einer genetisch beding-         gen, also Mutationen. Von zahlreichen
ten Krankheit betroffene Eltern wissen,        Mutationen spüren wir gar nichts.
ob ihr Kind dieselbe Erbanlage trägt.          Einige verursachen jedoch teilweise
                                               schwere Krankheiten.
                                                 Bisher wurde Genom Editing nur zu
                                               therapeutischen Zwecken angewen-
                                               det. Dabei werden DNA-Sequenzen,
                                               die fehlerhaft erscheinen oder uner-
                                               wünscht sind aus der DNA herausge-
                                               schnitten und unter Umständen durch
                                               andere Sequenzen ersetzt; d. h. verän-
• PGS = genetisches Präimplan-                 derte, reparierte DNA wird dem Körper
   tationsscreening                            wieder zugeführt. Dort soll sie kopiert
  Diese Methode wird als präventive            werden und die fehlerhafte DNA erset-
Untersuchung für gesunde Eltern mit            zen. Das passiert jedoch nicht immer
vergeblichen IVF-Versuchen angebo-             vollständig.
ten, die Auffälligkeiten ausgeschlossen          Durch eine somatische Genthera-
sehen wollen. Die Untersuchung wird            pie wird Patienten geholfen, aber es
in der 10.-20. Schwangerschaftswoche           werden keine erblichen Veränderungen
durchgeführt.                                  vorgenommen. Das wird bereits seit
                                               1985 mit unterschiedlichen, meist sehr
Rechtliche Einordnung:                         aufwändigen und kostenintensiven
 Die PID mit ihren Varianten ist in            Methoden durchgeführt.
Deutschland nur unter eng definierten            CRISPR ist die neueste Methode, die
Bedingungen erlaubt. Alle Bundeslän-           wegen ihrer relativen Einfachheit und

                                                                                            23
MitGedacht 1/2019

     geringer Kosten von der Wissenschaft      die Lebensbedingungen im Reagenz-
     ungewohnt schnell und unkritisch auf-     glas ständig verbessert werden, erreicht
     gegriffen wurde und inzwischen einen      ein hoher Prozentsatz der Embryonen
     breiten Einsatz findet. Doch es gibt      das Blastocysten-Stadium im Reagenz-
     Risiken; bleibende Schäden können         glas gar nicht erst.
     entstehen, deren Tragweite noch nicht
     absehbar ist.                              Die moderne Reproduktionsmedizin
     2012 wurde zum ersten Mal Genom           bietet ein sogenanntes Optimum des
     Editing zur Veränderung des Erbgutes      derzeit Machbaren an. Es soll verloc-
     eingesetzt. Manipuliertes Erbgut ist an   kend wirken und scheinbar jede Hürde
     andere Generationen vererblich.           überwinden, um alle Wünsche erfüllen
                                               zu können:

     4.2.6. Embryonen-Transfer –               1.   In einer ICSI wird das Spermium
     		Transfer des Embryos in die                  direkt in die Eizelle injiziert.
     		Gebärmutter
                                               2.   Der Embryo wird im Brutkasten
       Bisher wurden 2-3 Tage alte Embryos          unter ständiger Kamerakontrolle
     (8-Zell-Stadium) in die Gebärmutter            bis zum 3. Tag, möglichst aber
     transplantiert. Insbesondere bei Frauen        bis zum 5. Tag (Blastocysten-Sta-
     ab 35 Jahren wird die Chance, dass sich        dium) entwickelt.
     ein Embryo in die Gebärmutter einni-
     stet (Nidation), zunehmend kleiner,       3.   Der Embryo wird außerdem mit
     egal ob es sich um einen natürlich oder        den Methoden der Präimplantati-
     in-vitro entwickelten Embryo handelt.          ons-Diagnostik (PGD, PGS) einer
     Einige Forscher sehen Vorteile darin,          genetischen Untersuchung unter-
     einen höher entwickelten, d. h. einen          zogen. [siehe Glossar]
     5 Tage alten Embryo, der sich im
     sogenannten       Blastocysten-Stadium    4.   Der 5 Tage alte Embryo wird
     befindet, in die Gebärmutter einzu-            schließlich in die Gebärmutter der
     pflanzen. Das bedeutet einen höheren           Mutter eingebracht. Die vorherige
     Embryonenverbrauch. Denn obwohl                Kameraüberwachung soll die best-
                                                    mögliche Qualität des ausgesuch-
                                                    ten Embryos gewährleisten, damit
                                                    sehr gute Entwicklungschancen
                                                    bestehen und nur ein Embryo
                                                    übertragen werden muss (zur Ver-
                                                    meidung von Mehrlingsschwan-
                                                    gerschaften und Fehlgeburten).

24
Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

4.3 Reproduktionsmedizin für Mehr-Eltern-Kinder

 Der Kinderwunsch potentieller Eltern                  alle genetischen Eltern nach erfolgrei-
ist in einigen Fällen nur mit Hilfe eines              cher Behandlung und Schwangerschaft
dritten oder vierten Elternteils zu erfül-             diese Embryonen zur weiteren Fami-
len. Ein Grund dafür kann die Angst                    lienplanung nutzen wollen, entstehen
vor einer genetisch bedingten Krank-                   „überzählige Embryonen“. Laut einer
heit des Kindes sein. Oder das Paar, das               belgischen Reproduktionsklinik10 ent-
Eltern werden will, ist eingeschränkt                  scheiden sich 20% der genetischen
fortpflanzungsfähig. Um dennoch den                    Eltern für eine Embryonenspende, 20%
Kinderwunsch zu erfüllen, kann man                     werden verworfen und 60% der For-
mit Hilfe von Samenspende, Eizell-                     schung zur Verfügung gestellt.
spende oder beidem einen Embryo
erzeugen; ebenso eine Embryonen-                       Rechtliche Einordnung:
spende in Anspruch nehmen oder im                        Die Embryonenspende wird in
Ausland eine Leihmutterschaft anstre-                  Deutschland praktiziert. Eine breite
ben.                                                   Diskussion und gesetzliche Regelung
                                                       dazu wird in einer Stellungnahme des
                                                       Deutschen Ethikrates gefordert.
A. In Deutschland erlaubte Methoden                      Beteiligte sind die genetischen Eltern
                                                       (= Spendereltern), von denen Ei- und
4.3.1. Embryonenspende                                 Samenzelle stammen. Biologische
                                                       Eltern sind die genetischen Eltern;
  Häufig werden sogenannte „über-                      ebenso die Geburtsmutter (= Empfän-
zählige Embryonen“ von ihren gene-                     germutter). Sie ist laut Familienrecht
tischen Eltern zur Embryonenspende                     die biologische Mutter. Sofern sie
freigegeben. Auf Basis des „Deut-                      verheiratet ist, gilt deren Ehemann als
schen Mittelweges“ entwickelt man                      Vater. Ist sie es nicht, muss der Lebens-
gleichzeitig mehr als drei Embryonen                   gefährte die Vaterschaft anerkennen
für einen Zyklus zur Transplanta-                      lassen.
tion und entscheidet sich für die
drei Embryonen, die das größte Ent-
wicklungspotential     zeigen.    Die                  4.3.2. Samenspende
schlechter entwickelten Embryonen
sterben manchmal von selbst ab, oder                    Bei der homologen Samenspende
sie werden für einen potentiell näch-                  handelt es sich um die Samenspende
sten Zyklus kryokonserviert. Da nicht                  des Partners der Mutter, bei der hete-

10
   Lisa Nienhaus, 16.11.2010; http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/familie/praeimplantationsdiagno-
stik-die-babymacher-aus-belgien-1575425.html

                                                                                                         25
MitGedacht 1/2019

     rologen Samenspende um die Samen-         4.3.5. Mitochondrien-Transfer
     spende eines Dritten. Sie kann sowohl
     anonym als auch offen sein. Das Kind        In Großbritannien wurde 2015 wurde
     hat ein Recht auf Kenntnis der Her-       erstmals der Mitochondrien-Transfer
     kunft. Inwieweit das gegen andere         zugelassen.
     Interessen durchsetzbar ist, ist juri-      Jede menschliche Zelle besitzt unzäh-
     stisch strittig.                          lige Mitochondrien. Sie sind Zellorga-
                                               nellen, die für die Energieversorgung
                                               benötigt werden. Bei Störungen der
     B. Aktuell in Deutschland nicht           Mitochondrien sind besonders häufig
       erlaubte Methoden                       Organe betroffen, die für den Stoff-
                                               wechsel verantwortlich sind: Muskeln,
     4.3.3. Eizellspende                       Herz, Augen, Gehirn.
                                                 Fehlgebildete Mitochondrien können
      Die Eizellspende einer Frau an ein       in allen Organen Störungen hervor-
     unfruchtbares Paar wird rechtlich wie     rufen. Durch Mutationen der Mito-
     die heterologe Samenspende einge-         chondrien entstehen unterschiedliche
     ordnet. Sie erfolgt anonym oder offen.    Krankheitsbilder      (Mitochondriopa-
     Die Dokumentation muss so lücken-         thien).
     los geführt werden, dass dem Recht          Betrifft die Mutation jedes einzelne
     des Kindes auf Kenntnis der Herkunft      Mitochondrium          (Homoplasmie),
     Rechnung getragen werden kann.            erwartet man einen schwereren Krank-
                                               heitsverlauf. Sind nicht alle Mitochon-
     4.3.4. Leihmutterschaft                   drien betroffen (Heteroplasmie), ist der
                                               Krankheitsverlauf milder.
      Ein in-vitro erzeugter Embryo der          Mitochondrien besitzen eigene Erbin-
     genetischen Eltern wird einer zweiten     formationen (DNA mit 37 Genen). Die
     Frau zur Erzeugung einer Schwan-          Gene werden sowohl vom Zellkern als
     gerschaft transferiert. Diese trägt       auch von den Mitochondrien selbst
                           die     Schwan-     gesteuert und können Mutationen auf-
                           gerschaft    aus    weisen.
                           und wird die          Zur Beseitigung der Mutationen
                           Geburtsmutter.      (Störungen), die ausschließlich von
                           Nach deutschem      mitochondrialer DNA hervorgeru-
                           Recht wäre sie      fen werden, wurden zwei Techniken
     zusammen mit den genetischen Eltern       entwickelt, die bei der Entstehung
     die biologischen Eltern. Das Kind hätte   neuen Lebens im Rahmen künstlicher
     somit zwei Mütter und einen Vater.        Befruchtung      (In-Vitro-Fertilisation)
                                               angewandt werden können. Dies
                                               geschieht in beiden Fällen durch Mito-

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Nur das Beste für mein Kind! Eine Denkhilfe zu vorgeburtlicher Diagnostik

chondrien-Transfer. Die kranke Mito-            Mitochondrien-Transfer ist jedoch ein
chondrien-Information wird durch                Eingriff in die menschliche Keimbahn,
gesunde Mitochondrien-Information               der dazu führt, dass das Erbgut einer
aus der Eizelle einer dritten beteilig-         dritten Person an weitere Generationen
ten Person ersetzt, so dass fehlerhafte         vererbt wird.
Information nicht mehr an das neu ent-
stehende Mitochondrium weitergege-
ben werden kann.

5. Wenn der Kinderwunsch Hilfe braucht

5.1. Hauptsache, mein genetisches Kind?

  Es gibt familiäre Konstellationen, bei         In solchen Konstellationen müssen
denen das Risiko ein Kind mit Auffäl-           grundlegende Fragen beantwortet
ligkeiten zu bekommen erhöht, gleich-           werden:
zeitig der Wunsch nach einem eigenen
Kind unvermindert groß ist. Dann                • Wollen wir unter diesen Umständen
suchen Eltern potentielle Partner, z. B.          überhaupt ein Kind?
Co-Eltern, um das Risiko für eine kind-         • Wollen wir ausschließlich ein gesun-
liche Behinderung zu minimieren. Dies             des Kind?
geschieht häufig nach Leiderfahrungen           • Wollen wir unbedingt ein Kind,
wie erlittene Fehlgeburten, Kinder mit            dessen genetische Eltern wir sind?
Auffälligkeiten in der unmittelbaren            • Kommt die Adoption eines Kindes in
Verwandtschaft, oder weil man Träger              Frage?
einer genetischen Anomalie ist.

5.2. Wieviel künstliche Hilfe gehen wir mit?

 Wenn genetisch belastete Eltern                 Welche        medizinischen    Mög-
unbedingt ein gesundes, genetisch von           lichkeiten gibt es nach Eintritt einer
ihnen selbst abstammendes Kind wün-             Schwangerschaft, mit Hilfe der Präna-
schen, stellen sich weitere Fragen:             tal-Diagnostik unserem Kind zu helfen?
                                                 Was versprechen wir uns berechtig-
 Kommen die medizinischen Mög-                 terweise oder auch unberechtigterweise
lichkeiten der Pränatal-Diagnostik für          von den Methoden der Präimplantati-
uns überhaupt in Frage?                         ons- und Pränatal-Diagnostik?

                                                                                             27
MitGedacht 1/2019

      Welche Argumente drängen uns zu         stungssituationen. Viele von ihnen
     dieser Diagnostik?                        lehnen dennoch nicht leichtfertig „feh-
       • Leiderfahrungen?                      lerhaftes“ Leben ab. Sie müssen sich ja
       • Ein unstillbarer Wunsch nach 		       auch damit auseinander setzen, dass sie
     		 Gewissheit? Gewissheit worüber?        selbst als Gen-Überträger „fehlerhaft“
       • Nach welchen Kriterien bzw. wie       sein könnten und dass ihr Kind auffäl-
     		 werden wir uns bei uneindeutigem       lig oder sogar lebensunfähig werden
     		 Ergebnis entscheiden?                  könnte.
       • Wie können wir uns auf die beson-       Solche Eltern stehen zwischen ihren
     		 deren Bedürfnisse eines Kindes         bisher als gut erachteten Maßstäben
     		 mit Auffälligkeiten vorbereiten?       und der scheinbaren Unmöglichkeit,
     		 (Pflege, Operationen)                  diese nun auch leben zu können. Der
                                               Zwang, über Leben und Tod ihres
      Welche der diversen medizini-           Kindes entscheiden zu müssen, führt
     schen Möglichkeiten wollen wir in         sie in das Dilemma, den eigenen an
     Anspruch nehmen?                          Christus bzw. der christlichen Ethik
      Jede Methode/Untersuchung wirft         orientierten Maßstäben unter Umstän-
     neue Fragen auf. Sind wir darauf vor-     den nicht mehr gerecht werden zu
     bereitet, dass wir unter Umständen über   können.
     Leben oder Tod entscheiden müssen?          Menschen in Ausnahmesituationen
     Wie lassen sich christliche Maßstäbe      sollen nicht allein stehen müssen. Die
     und die Herausforderungen des Lebens      Stiftung ProVita will gemeinsam mit
     in Einklang bringen?                      vielen anderen Christen und Gemein-
                                               den bei ihnen bleiben; sie unterstüt-
      Eltern und ihre Angehörigen, die sich    zen, ihre getroffenen Entscheidungen
     diesem Dilemma ausgesetzt sehen,          tragen zu können.
     durchlaufen enorme seelische Bela-

     5.3. Gesellschaftliche Entwicklungen

       Wir leben in einer Leistungsgesell-     schen Miteinander.
     schaft. Im privaten wie im geschäft-       Viele gehen davon aus, Anspruch auf
     lichen Leben zählt Erfolg. Dass man       ein gutes, glückliches, langes Leben
     seine Lebensziele erreicht, wird als      mit maximaler Gestaltungsfreiheit und
     selbstverständlich angesehen; genauso     Gesundheit zu haben; ebenso ihre Ziele
     ständiger Fortschritt in Technik und      verwirklichen zu können. Sobald etwas
     Wissenschaft. Diese Leistungs- und        erkenntnistheoretisch möglich ist, soll
     Erfolgsfokussierung beeinflusst unsere    es in kurzer Frist machbar werden, dem
     Maßstäbe im gesellschaftlich-ethi-        eigenen Nutzen dienen, mit möglichst

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