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SO VIEL HUNGER – SO VIEL NAHRUNG Warum es uns nicht gelingt, das Recht auf Nahrung für alle Menschen durchzusetzen Nach Angaben der UN leidet fast ein Zehntel der Weltbevölke- rung unter chronischem Hunger. Drei Milliarden Menschen sind zu arm, um sich gesund ernähren zu können. Durch COVID-19 droht die Zahl derjenigen, die von schweren Gesundheitsschäden bis hin zum Hungertod bedroht sind, von 150 auf 280 Millionen zu steigen. Dabei liegt die Menge der pro Kopf verfügbaren Lebensmittel auf einem historischen Höchststand. 2 Schwerpunkt
Chris Robert/Unsplash D ie Zahl der Hungernden steigt seit fünf Jahren Trotz Bevölkerungswachstums steht pro Kopf 30 % mehr kontinuierlich an. Rund 690 Millionen Men- Nahrung zur Verfügung als noch vor 60 Jahren. Dieser schen sind chronisch unterernährt. 144 Millio- Trend hält auch unter Corona-Bedingungen an: Nach nen Kinder unter fünf Jahren – weltweit mehr als jüngsten Schätzungen der FAO werden die Getreideernten ein Fünftel aller Kinder – sind in ihrem Wachstum beein- 2020 rund 2,6 % über denen des Vorjahres liegen. Bereits trächtigt. Pro Jahr sterben rund fünf Millionen Kinder vor 2019 wurden für Weizen und Mais Rekordernten eingefah- ihrem fünften Geburtstag, häufig infolge von Unterernäh- ren. Alle geernteten Pflanzen zusammen liefern etwa das rung. Und insgesamt zwei Milliarden Menschen sind von 2,5-fache der zur Ernährung benötigten Kalorienmenge. „mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit“ betroffen, UN-ExpertInnen schätzen, dass es derzeit genügend Nah- hungern also temporär. rung für zehn bis zwölf Milliarden Menschen gibt. 1 Zwar haben Länder wie China und Vietnam seit der Nicht nur die globalen Produktionsvolumina liegen Jahrtausendwende große Fortschritte gemacht. Jedoch steigt auf Höchststand, auch die Getreidespeicher sind so voll in Afrika und Lateinamerika die Zahl der Betroffenen wei- wie nie zuvor. Die Weltgetreidevorräte sind seit 2014 um ter an. In Afrika südlich der Sahara hat fast ein Viertel der ein Drittel auf 927 Millionen Tonnen angestiegen (so die dortigen Bevölkerung nicht ausreichend zu essen, weshalb Corona-bedingt konservative Schätzung für 2020). Dass Afrika als Hungerkontinent wahrgenommen wird. Doch globale Lagerbestände und die Zahl dauerhaft hungernder auch in Indien hungern 195 Millionen Menschen – und Menschen parallel ansteigen, zeigt, wie stark Agrarproduk- damit fast so viele wie südlich der Sahara (230 Millionen). tion und Hunger heute entkoppelt sind. Auch dies entlarvt den immer wiederkehrenden Ruf nach mehr Produktion Hungern im Überfluss seitens der Agrarindustrie und vieler Staaten als weitgehend Laut Welternährungsorganisation (FAO) wurde noch nie interessendominiertes Argument. so viel Nahrung produziert wie heute. Seit 1960 hat sich die Wir haben und produzieren also immer mehr – aber Getreideernte mehr als verdreifacht, die Fleischproduktion was und für wen? Ein Blick auf die Entwicklung der global mehr als vervierfacht und die Fischmenge gar versechsfacht. bedeutendsten Anbauprodukte zeigt, dass unser Agrar- und Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021 3
Ernährungssystem überhaupt nicht darauf ausgerichtet ist, hungernde Menschen zu ernähren. Anbau für die Satten Die sechs Pflanzen mit den größten Flächenzuwächsen sind Mais, Palmöl, Soja, Zuckerrohr, Raps und Cassava. Ihre weltweite Anbaufläche ist seit dem Jahr 2000 um 51,1 % oder 145 Millionen Hektar gewachsen. Ihnen ist gemein, dass sie große Bedeutung als Futtermittel, Energiepflanzen, für die Bioplastik-Produktion und andere industrielle Nutzungen haben. An der Entwicklung des Maisanbaus seit der Jahrtau- sendwende lässt sich dies besonders gut illustrieren: Dessen doxerweise jene Bevölkerungsgruppen, die selbst Nahrung globale Anbaufläche ist von 137 Millionen Hektar auf 197 produzieren und die Versorgung mit Nahrung sicherstellen. Millionen Hektar regelrecht explodiert. Mit einem Zuwachs Die wichtigsten Ursachen hierfür sind Marginalisierung von 60 Millionen Hektar – also der fünffachen Ackerfläche und Diskriminierung: Die Landbevölkerung hat meist nur Deutschlands! – ist Mais weltweit am stärksten expandiert. wenige Möglichkeiten, Einfluss auf politische Entscheidun- Jedoch werden gerade einmal 15 % der globalen Maisernte gen zu nehmen, wird wirtschaftlich benachteiligt und oft in für die direkte Ernährung verwendet. Demgegenüber ist die widrige Gebiete abgedrängt – mit schlechten Böden, Tro- Anbaufläche von Weizen, der zum Großteil direkt als Nah- ckenheit, Hanglagen, schlechtem Zugang zu Märkten oder rungsmittel verwendet wird, seit 2000 um gerade einmal 3,6 fehlender Infrastruktur. Millionen Hektar angestiegen. Jene für Kartoffeln ist sogar Auch die Arbeitsbedingungen von Plantagenarbeiter um eine knappe Million Hektar gesunken. Nimmt man Reis Innen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten weiter mit hinzu, ist die Anbaufläche dieser drei wichtigen Grund- verschlechtert. Die Löhne sind oft nicht existenzsichernd, nahrungsmittel um gerade einmal 4 % gewachsen. gewerkschaftliche Organisation wird kriminalisiert. Die Nur noch 43 % der Weltgetreideernte landen heute laut Ursachen hierfür liegen nicht zuletzt in der Marktkonzen- FAO direkt auf dem Teller. Ein wachsender Anteil hinge- tration beim Handel und bei der Verarbeitung von Nah- gen wird als Futtermittel (36 %), für industrielle Nutzung rungsmitteln. Der daraus resultierende Preisdruck führt (11 %) und zur Energiegewinnung (10 %) verwendet. Wäh- zum Preisverfall der von Kleinbauern und -bäuerinnen rend die Bedeutung von Anbauprodukten für Tierfutter, verkauften Nahrungsmittel. La Via Campesina, ein Bünd- Biosprit oder Bioplastik stark gewachsen ist, stagnieren nis von Kleinbauern und -bäuerinnen, LandarbeiterInnen, also die Flächen für Grundnahrungsmittel. So hat sich die FischerInnen, Landlosen und Indigenen aus über 80 Län- Agrarproduktion schleichend und weitgehend unbemerkt dern, bringt diese Benachteiligungen auf den Punkt: „Heute von ihrer primären Aufgabe, der Ernährungssicherung können wir kein Einkommen mehr erwirtschaften, das uns entfernt, und viele Kalorien gehen durch industrielle und ermöglicht, in Würde zu leben. Eine Mischung aus natio- energetische Nutzung, Fleischproduktion und Verarbei- nalen Politiken und internationalen Rahmenbedingungen tungsverluste verloren. ist verantwortlich dafür, dass wir ausgelöscht werden.“ 2 Auch das gebetsmühlenartige Rezitieren, wir müssten Das größte Problem ländlicher Bevölkerungsgruppen mehr produzieren, hilft nicht wirklich weiter: Der Blick bleibt der mangelnde Zugang zu Ressourcen, insbesondere auf die Produktion muss zwingend mit einem Blick darauf Land, Wasser und Saatgut. Auch an günstigen Krediten, gekoppelt werden, wer auf welchen Flächen was für wen lokaler Lagerhaltung oder öffentlicher, konzernunabhän- anbaut. giger Schulung fehlt es oft. Die Ursachen sind vielfältig: die Verschuldung vieler Staaten des Südens, ungünstige Landbevölkerung überproportional betroffen politische Rahmenbedingungen wie das Verbot von Zoll- Für eine Bewertung der Welternährungslage sind globale schranken für den Agrarsektor, eine einseitige Förderpolitik Produktionszahlen allein aber bei Weitem nicht ausrei- etwa bei der Ausweisung großer Landflächen für agrarin- chend. Es stellen sich zwei einfache, aber grundlegende dustrielle Farmen, die Vergabe von Forschungsgeldern nur Fragen: Wer hungert überhaupt? Und warum? für kommerzielles Saatgut und Steuererleichterungen für Trotz anhaltender Urbanisierung leben heute so viele Großinvestoren. Menschen von der Landwirtschaft wie nie zuvor. Zählt man Familienangehörige mit, sind es laut FAO rund 2,6 Milli- Unsere verzerrte Wahrnehmung der Ursachen arden Menschen. Die meisten davon sind kleinbäuerliche In der hiesigen Berichterstattung werden jedoch zumeist NahrungsmittelproduzentInnen. Etwa 300 bis 400 Millio- der Klimawandel und bewaffnete Konflikte als zentrale nen arbeiten als LohnarbeiterInnen, viele davon in extrem Hungerursachen genannt. Richtig ist, dass beide Faktoren prekären Arbeitsverhältnissen auf Plantagen. Sie halten das die Situation verschärfen. So haben die Kriege in Syrien, industrielle Ernährungssystem am Laufen. Südsudan und Jemen zu Millionen Hungernden geführt. Zugleich leidet insbesondere die Landbevölkerung unter Trotz eindeutiger Verbote im Völkerrecht wird Aushun- Hunger: Kleinbauern und -bäuerinnen machen rund die gern weiterhin als Methode der Kriegsführung eingesetzt. Hälfte der Betroffenen aus, LandarbeiterInnen 22 %, No- Und auch die Erderwärmung führt schon heute zum An- madInnen und Indigene rund 8 %. Es hungern also para- stieg des Hungers. Durch extreme Wetterereignisse, die 4 Schwerpunkt
Die Welternährung ist mittlerweile gefährlich einseitig. 75 % der Nahrungsmittel stammen von nur zwölf Pflanzen und fünf Tierarten. sich seit 1990 mehr als verdoppelt haben, nehmen regi- Zwischen Weltmarkt und Bauernmärkten onale Störungen in der Agrarproduktion zu. Die Länder Im Globalen Süden wird die Landwirtschaft von kleinbäu- südlich der Sahara haben Anbauflächen verloren. Durch erlichen Strukturen dominiert. In vielen Ländern sind über Naturkatastrophen werden doppelt so viele Menschen ver- 70 % aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft aktiv. Sie trieben wie durch Krieg. Laut einem aktuellen UN-Bericht bilden das Rückgrat der lokalen und nationalen Ernäh- droht die Erderwärmung „für hunderte Millionen Men- rungssicherung. Trotz dieser wichtigen Funktion werden schen mangelhafte Ernährung, erzwungene Migration, sie von ihren Regierungen kaum unterstützt. Deren Fo- Krankheit und Tod“ mit sich zu bringen. Damit stünden kus – wie auch jener der Entwicklungszusammenarbeit „sämtliche Fortschritte auf dem Spiel, die für die globale des Globalen Nordens – liegt auf der Exportproduktion Entwicklung, Gesundheit und Armutsbekämpfung in den (Cash Crops) und agrarischen Wertschöpfungsketten. Diese letzten 50 Jahren erzielt wurden“. 3 Dennoch stehen zum Ausrichtung baut jedoch in erster Linie auf den Interessen gegenwärtigen Zeitpunkt noch andere Hungerursachen global agierender Agrar- und Ernährungsunternehmen auf. im Vordergrund. Die Weltbank propagiert seit den 1980er-Jahren den Ansatz der „handelsbasierten Ernährungssicherung“. Die Die Ernährung ist oft einseitig und ungesund Produktion soll sich demnach auf den Weltmarkt ausrich- Auch wenn die bunten Lebensmittelregale in den Geschäf- ten, die nationale Ernährungssicherung hingegen verstärkt ten anderes suggerieren, ist die Welternährung mittlerwei- über den Import von Nahrungsmitteln gewährleistet wer- le gefährlich einseitig. 75 % der Nahrungsmittel stammen den. Hierfür sind Handelsliberalisierungen wie niedrige von nur zwölf Pflanzen und fünf Tierarten ab. Gerade drei Zölle von zentraler Bedeutung. Durch diese einseitige Po- Nahrungsmittel – Reis, Weizen und Mais – stellen 60 % der litik wurden die fünfzig ärmsten Länder seit den 1980er- pflanzlichen Kalorienversorgung sicher. Jahren von Selbstversorgern und Netto-Exporteuren von Hierzu tragen Akteure wie die Allianz für eine Grüne Nahrungsmitteln zu Netto-Importeuren. Heute müssen Revolution in Afrika (AGRA) stark bei. Mit einer Milliarde diese Länder jährlich 46 Milliarden US-Dollar für den US-Dollar privater und staatlicher Gelder versucht AGRA Import von Grundnahrungsmitteln aufwenden. 4 Diese seit 15 Jahren, eine industrielle Landwirtschaft mit Fokus Abhängigkeit erklärt auch, wie der rasante Anstieg der auf wenige kommerzielle Pflanzen – bei AGRA vor allem Weltmarktpreise für Nahrungsmittel in Folge der Finanz- Mais – zu befördern. Hierdurch ändert sich die Landnut- krise 2007/2008 zu Hungerrevolten in rund 40 Ländern zung gravierend: Laut einer aktuellen Untersuchung ex- führte. pandierte in den 13 Ländern, in denen AGRA aktiv ist, die Ein weiteres Problem der Fokussierung auf den „freien“ Anbaufläche von Mais um 45 %. Die Anbaufläche nahrhaf- Weltmarkt ist die extrem ungleiche Förderung der Land- ter, lokal angepasster Pflanzen wie Hirse sank hingegen. wirtschaft: Die OECD-Staaten unterstützen ihre Landwirt- Eine ähnliche Entwicklung ist in Südamerika durch den schaft jährlich mit 346 Milliarden US-Dollar, während die explodierenden Soja-Anbau zu beobachten, der den Anbau Hilfen für kleinbäuerliche Landwirtschaft im Globalen von Obst, Gemüse und anderen Grundnahrungsmitteln Süden oft minimal sind. 5 Dies auch, weil dort vorhandene zurückdrängt. Förderungen im Rahmen der Strukturanpassungsmaßnah- Viele agrarindustrielle Exportländer wie die USA oder men von Weltbank und Internationalem Währungsfonds Argentinien leisten starken Widerstand dagegen, in inter- (IWF) seit den 1980er-Jahren immer mehr zusammenge- nationalen Vereinbarungen frische Nahrungsmittel und strichen wurden. lokale Ernährungssysteme zu verankern oder Gesund- Zugleich werden die für die Versorgung zentralen lo- heitsrisiken von hochverarbeiteten Nahrungsmitteln zu kalen Bauernmärkte von der Politik ignoriert. Der Gene- thematisieren. Als Teil einer Gegenbewegung wurde das ralsekretär des Westafrikanischen Kleinbauernnetzwerkes Konzept der Ernährungssouveränität populär: Es betont ROPPA erklärt dazu: „Die ‚unsichtbaren‘ Märkte, in denen das Recht von Regierungen, die eigene Landwirtschaft vor die meisten KleinproduzentInnen aktiv sind, fallen unter Nahrungsmittelimporten, Dumpingpreisen und dem Ein- den Radar. Dies sind die Märkte, durch die die meisten fluss des Agro-Business zu schützen. Zentrales Anliegen Nahrungsmittel fließen, aber sie werden ignoriert. Wir ver- von Ernährungssouveränität sind mehr Rechte für Klein- langen, dass die Politik diese Strukturen fördert, anstatt produzentInnen, etwa Zugang zu Land und mehr Rechte Entscheidungen auf Basis internationaler Märkte zu treffen, der KonsumentInnen auf freie Wahl ihrer Nahrungsmittel. die völlig anders funktionieren.“ 6 Forum Umwelt & Entwicklung – Rundbrief 2/ 2021 5
Menschenrechte im Zentrum der Lösung nicht nur inhaltlich falsch. Die tonangebenden Akteure Das Recht auf Nahrung gehört zu den verbrieften Men- schaffen es damit auch, ihre eigene Markt- und Machtex- schenrechten und ist damit Teil des internationalen Rechts. pansion in eine Lösung für den Hunger in der Welt umzu- Es betont den Zugang zu produktiven Ressourcen und da- etikettieren. mit das Recht, sich selbst in Würde ernähren zu können. Marginalisierte Gruppen genießen bei der Umsetzung Pri- Roman Herre orität. Über die Einhaltung wacht der UN-Sozialausschuss. Dieser äußerte sich schon vor über zwanzig Jahren deut- Der Autor ist Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation lich zu den Debatten um globale Produktionsmengen: „Im FIAN Deutschland und Sprecher des Leitungskreises des Grunde liegt die Wurzel von Hunger und Mangelernährung Forums Umwelt & Entwicklung. nicht in einem Mangel an Nahrungsmitteln, sondern im mangelnden Zugang großer Teile der Weltbevölkerung zu den verfügbaren Nahrungsmitteln.“ 7 1 Economic and Social Council of the United Nations (2006): Eine Welt ohne Hunger wird es daher nur geben, wenn Report of the Special Rapporteur on the right to food, S.4. die Verwirklichung der Rechte von benachteiligten Men- 2 Final Declaration of the international Conference on Peasants schen an erster Stelle steht. Dafür dürfen Hungernde und Rights: „In the 60th anniversary of the Universal Declaration of Fehlernährte nicht als passive Bedürftige gesehen werden. Human Rights, we peasants demand our own convention“; 24. Sie müssen vielmehr die Rolle von aktiv handelnden Sub- June 2008, Jakarta. jekten einnehmen können. Ein Positivbeispiel auf globaler Ebene ist der Welternährungsrat CFS, in dem organisierte 3 Climate Change and Poverty (2019). PlantagenarbeiterInnen, Kleinbäuerinnen und -bauern, https://undocs.org/A/HRC/41/39 Indigene und andere von Hunger betroffene Gruppen bei 4 Statistische Datenbank der UNCTAD. Strategien zur Hungerbekämpfung direkt mitreden können. 5 OECD (2017); Agricultural Policy and Evaluation 2017. Anstatt diesen Ansatz zu stärken, wird jedoch gerade im 6 CSM, Hands off the Land (2015) Connecting Smallholdrers to Fahrwasser des UN Ernährungsgipfels versucht, an ihm Markets; S.7 Eigene Übersetzung. die Axt anzulegen (siehe den folgenden Artikel in dieser Ausgabe). Die Erfahrungen von Menschenrechtsorganisa- 7 CESCR (1999): Allgemeiner Rechtskommentar 12 zum Recht auf tionen zeigen deutlich, dass völkerrechtliche Mindeststan- Nahrung. dards wie Kernarbeitsnormen, Menschen-, Frauen- und Landrechte nur dann effektiv durchgesetzt werden, wenn die betroffenen Gruppen es schaffen, sich zu organisieren und Handlungsdruck auf staatliche Akteure und auf Un- ternehmen auszuüben. Das Konzept der Ernährungssicherheit – entstanden in den 1970er-Jahren im Kontext der Hungerbekämpfung durch die FAO – bietet hingegen keine ausreichenden Ant- worten auf die strukturellen Probleme. Die Verengung auf technische und vermeintlich politisch neutrale Lösungen mit einseitigem Fokus auf globale Produktionsmengen ist Was sind Ernährungssysteme? Ein Ernährungssystem – engl. „Food System“ – Ernährungssysteme werden ständig von beinhaltet alle Elemente und Aktivitäten, verschiedenen Kräften und Entscheidungen vieler die im Zusammenhang mit der Produktion, unterschiedlicher Akteure wie Regierungen, Verarbeitung, Verteilung und Zubereitung sowie Saatgut- und Pestizidindustrie, Handelsketten, dem Verzehr von Nahrungsmitteln stehen sowie Bäuerinnen und Bauern, KonsumentInnen bis deren – direkten und indirekten – sozialen, hin zu aktiven Basisinitiativen beeinflusst und wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen. verändert. Nachhaltige Ernährungssysteme Ernährungssysteme bieten im Gegensatz zum müssen an öffentlichen Interessen wie dem derzeit vorherrschenden Fokus auf agrarische Menschenrecht auf ausreichend gesunde Nahrung Lieferketten einen ganzheitlichen Blick, der sowohl (z. B. über Gemeinschaftsverpflegung in Schulen die verschiedenen Wechselwirkungen innerhalb und Kantinen), dem Klimaschutz oder dem Erhalt des jeweiligen Ernährungssystems als auch dessen von genetischer Vielfalt ausgerichtet sowie unterschiedliche Auswirkungen, z. B. auf Klima inklusiv, gerecht und widerstandsfähig sein. und biologische Vielfalt sowie die Gesundheit von Menschen, sei es als KonsumentInnen oder LandarbeiterInnen – einbezieht. 6 Schwerpunkt
RUNDBRIEF Forum Umwelt und Entwicklung 2/2021 REICHT’S FÜR ALLE ? WELTERNÄHRUNG AN DEN GRENZEN DES WACHSTUMS WATER FUTURES MANCHMAL IST DIE TRANSFORMATION ERNÄHRUNGSSYSTEME WENIGER MEHR ALS ANLAGEOBJEKT Eine gefährliche Form DER ERNÄHRUNGSSYSTEME der Kommerzialisierung Abschied von Weltmärkten Richtungs- & Machtfragen Folgen der Finanzialisierung durch global-solidarische von Ernährung & von Wasser der Welternährungspolitik Regionalisierung Landwirtschaft › Seite 32 › Seite 17 ISSN 186 4-0 982 › Seite 14 › Seite 7
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