SCHOKOLADEN-ELDORADO - PURES - Squarespace
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REPORTAGE PURES SCHOKOLADEN- ELDORADO AM ZÜRICHSEE T EX T: MARTINA P EY ER Kleinmanufakturbetrieb in Wollishofen, Schoggirevolution durch Wädens- wiler Lebensmitteltechnologe oder Edel-Kakaobauer aus Richterswil: Der Trend «bean-to-bar» hat auch uns erfasst. Wo Milchschoggi bislang für viele als das höchste der Gefühle galt, wird die Verarbeitung edler Kakaobohnen und deren vielseitigen Aromen zur hochwertigen Schokoladentafel zelebriert. Zusatzstoffe sind dabei ein Tabu. SEESICHT 2!/19 40 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE Geschmackserlebnis mit allen D Sinnen: Die einzelnen Garçoa- Schoggistückchen sind in ver- er Duft von Schokola- zwei; entsprechend anders riecht es schiedenen Grössen, Dicken und unterschiedlichen Oberflächen- de steigt unweigerlich und kommt dem gewohnten Kakao- strukturen designed. in die Nase. Es ist jedoch geruch schon näher: Hier werden die PH OTO: STUD I O H ÜBNER BR AU N 2019 kein gewöhnlicher, son- Bohnen aufgebrochen und geschält. dern einer, der sich beina- So kommen die Kakao-Nibs zum Vor- he atemberaubend intensiv verbreitet schein, die in Steinmühlen – soge- und Noten enthält, die schwer zuzu- nannten Melangeurs – einen Tag lang ordnen sind. Liegen da vielleicht nebst gemahlen werden. Dann kommt je Kakao auch leichte Aromen von über- nach Kakaosorte etwas mehr oder we- reifen Früchten, Hefe und Essig in niger Bio-Rohrzucker hinzu, und das der Luft? Fränzi Akert klärt die Jour- Ganze wird zu einer Masse. Diese wird nalistin auf. Sie und ihr Geschäfts- während weiteren zwei Tagen ge- partner Andi Brechbühl gehören hin- wälzt, bis die Konsistenz für die Wei- sichtlich «bean-to-bar»-Schokolade terverarbeitung stimmt. «Wir sind (siehe Seite 48) und deren konsequen- ständig am Pröbeln. Wie bei Wein- ter Bearbeitung zu den Pionieren in trauben sind auch Kakaobohnen der- der Schweiz. Zusammen haben sie selben Sorte nie gleich. Je nach Ern- die Kleinmanufaktur «Garçoa» auf te rösten wir mit unterschiedlicher die Beine gestellt: 2013 starteten sie Temperatur länger oder kürzer und mit der Tüftelei in den eigenen Kü- lassen die Masse je nach Aroma und chen, bauten dann ihre Manufaktur Schmelz kürzer oder länger durch die in Schwerzenbach auf und produzie- Walzen der Steinmühlen laufen», er- ren seit einem Jahr in einer ehemali- klärt Fränzi Akert. Danach giesst das gen Kaffeerösterei in Wollishofen ihre Garçoa-Team die Schokoladenmas- eigene Schoggi. «Rösterei» ist denn se in Blöcke, die im dritten Raum in auch das passende Stichwort. Im ers- einem Temperierer eingeschmolzen ten Raum der Garçoa-Manufaktur be- werden. Dank diesem Verarbeitungs- PH OTO : A DO B E S TOC K findet sich nämlich der Röstofen, in prozess kann die in der Masse natür- dem Fränzi Akert am Tag zuvor Ka- lich enthaltene Kakaobutter so kris- kaobohnen geröstet hat. Der Duft die- tallisieren, dass das fertige Produkt ses Prozesses belebt noch immer den eine glänzende Oberfläche und den Raum. Nebenan erfolgt Arbeitsschritt «Knack» beim Bruch erhält. Erst jetzt SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 41
REPORTAGE Die «bean-to-bar»-Pioniere vom Zürichsee: Andi Brechbühl und Fränzi Akert. Seit ver- gangenem Jahr als tatkräftige Mitarbeite- rin mit dabei ist Eva Schüler (mitte). Die minimalistische Zutatenliste ihrer Schoggi ist denn auch der Namensgeber für die Pro- dukte: «Sugar» und «Cocoa» = «Garçoa». PHOTO : ST UD I O HÜ BNE R B R AUN 20 19 füllt das Garçoa-Team die Schokola- de von Hand in die Tafel-Formen, die aufgrund des aussergewöhnlichen De- signs ein weiterer Hingucker sind: Die Dreiecksformen der einzelnen Schog- gistückchen ermöglichen ein Ge- schmackserlebnis mit allen Sinnen. KONSEQUENT IN ALLEN ARBEITSSCHRITTEN Besuchern der Garçoa-Manufaktur wird bewusst: Die Macher nehmen «bean-to-bar» wörtlich: Jeden Schritt der Schokoladeproduktion führen sie eigenhändig durch. Auf zusätzli- che Kakaobutter, Milchpulver oder Zusatzstoffe wie Vanille oder Leci- thin wird gänzlich verzichtet. Ent- sprechend minimalistisch fällt die Zu- tatenliste aus, deren letzten Silben in der Verschmelzung Namensgeber der Garçoa-Schokolade sind: «Sugar» und «Cocoa». Die studierte Agrono- min Fränzi Akert hat auch als Käse- Der Melangeur wird ent- rin gearbeitet und sich unter anderem leert und die feine, intensiv mit der Fermentation von geschmacklich ausgereifte Milch auseinandergesetzt. Als Liebha- Schoggi-Masse in Blöcke gegossen. Diese kommen in berin von dunkler Schokolade ging sie den Temperierer, wo sie in Feldstudien in Peru der Frage nach, schmelzen und kristallie- wie die Art und Dauer der Fermenta- ren. So entstehen der Glanz tion sowie der anschliessenden Trock- und der «Knack» beim Endprodukt. nung der Kakaofrüchte die Kakao- PHOTO S : S TUDI O H ÜBNE R Aromen beeinflussen. Heute ermittelt BRAUN 2 0 1 9 sie für «ihre Bohnen» den geeigneten SEESICHT 2!/19 42 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE «ES G E HT UN S U M DIE AR O MA- DI V ER SI TÄT JE DE S E IN ZE L N E N KA KAO S, DI E WI R IN D IE FE RT I GE S CHO KOL A DE B R ING E N M ÖC H TE N. DA S FU NKT ION IE RT N U R , I N D EM WI R DIE G E S A M T E V ER A R B E I TUNG IN KL E IN E N CH A R G E N VO N D E R B OH NE BIS ZUR TA F E L SE L B ST Ü BE R NE H ME N U N D DA B E I DE N E IN ZE L N E N KA KAO PUR LA S S E N. » FR Ä N Z I A K E RT, « BE AN-TO -B AR » - PIO NI E R I N AUS WO L L IS H OF E N PH OTO : S TU DI O H Ü B N E R BR AU N 2 0 1 9 SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 43
REPORTAGE Curimanà, Peru: In der Amazonasregion stellt der Kakaoanbau für viele Bauern- familien eine Alternative zum Coca-Anbau dar. In der Region Curimanà hat sich dank staatlicher und internationaler Initiativen eine Kooperative gebildet, deren Kakao Garçoa verarbeitet. PH OTO S: G ARÇOA SEESICHT 2!/19 44 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE Die Schoggi-Macher vor Ort: Fränzi Akert begleitet den Trocknungsprozess der Kakao- bohnen in Peru. Andi Brechbühl kontrolliert die Qualität der getrockneten Bohnen in Fermentierungsgrad, überlässt diesen Agronomen haben dies Fränzi Akert Ghana. P HOTOS: G ARÇ OA Verarbeitungsschritt sowie den zwei- und Andi Brechbühl auch. So finden ten – das Trocknen der Bohnen – je- sie den gewünschten Kakao nicht nur doch den Bauern vor Ort. Denn erst, in Peru, sondern auch in Regionen, wenn die Bohnen lediglich noch einen die für Laien wenig naheliegend sind: Feuchtigkeitsgrad von sieben Prozent aus Idukki in Indien und aus Ghana aufweisen, sind sie haltbar und per in Westafrika. Damit die Kunden er- Schiff nach den Niederlanden, dann fahren, welche Schokolade sie gera- nach Zürich transportierbar. «Am de im Mund zergehen lassen, sind die meisten Sinn machen würde es ja, Garçoa-Tafeln nach den Herkunftsre- wenn wir unser gesamtes Wissen den gionen der Bohnen oder der Farm be- Kakaobauern übertragen könnten, nannt. Zudem lassen sich detaillierte um die Schokolade bereits in den Ka- Informationen über die Region, Bau- kaoherkunftsländern zu produzieren. ern, Exporteure und den Kakao sowie In Zukunft wird dies vielleicht mög- über die Fermentation und Trocknung lich sein», sinniert Fränzi Akert. online nachlesen. Die «Idukki Nibs» zum Beispiel ist eine herbe, 78-pro- T R A N S PA R E N T E R zentige Schokolade mit einer fruch- A N B A U, T R A N S PA R E N T E tigen Note. Sie ist mit Nibs bestreut HANDELSKETTE und erhält dadurch zusätzlichen Biss. Für Fränzi Akert wie für Andi Brech- Kleinbauern ernten den Kakao in den bühl, ebenfalls Agronom und in- grünen Hügeln von Idukki, das im nerhalb Garçoa für Unternehmens- südindischen Bundesstaat Kerala liegt. entwicklung, Logistik und Vertrieb Die Bohnen werden während vier bis zuständig, ist es zentral, die Kakaopro- fünf Tagen in Holzboxen fermentiert duzenten und deren gesamte Wert- und anschliessend an der Sonne ge- schöpfungskette zu kennen. Nur so trocknet. Die Garçoa-Schokolade hat haben sie Gewissheit, wer zu welcher eine Haltbarkeit von mindestens sechs Entlöhnung involviert ist und dass die Monaten. Doch eines ist sicher: So lan- Rohstoffe nach biologischen Grund- ge liegt sie bei keinem Feinschmecker sätzen angebaut werden oder Bio- und in der Schublade. Fairtrade-zertifiziert sind. Gute Kon- takte sind also unabdingbar. Und dank ihrer vorangegangenen Tätigkeit als SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 45
REPORTAGE S CHO KO LA DE N-REVO LUT I O N AU S WÄ D EN SW I L «MEHR AROMEN, WENIGER ZUCKER» Einen anderen, revolutionären Ansatz in der «bean-to-bar»-Produktion gewagt hat der Lebensmitteltechnologe Prof. Dr. Tilo Hühn, der am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation (ILGI) an der Hochschule in Wädenswil forscht und für sein neues Verfahren Dieter Meier, der als Sänger des Elektropop-Duos «Yello» Bekanntheit erlangte, gewinnen konnte. Das neue Auf bereitungsverfahren ändert alles, was seit 130 Jahren in der industriellen Schokoladenherstellung als normal gilt. S EE SI CHT: Sie arbeiten als Getränke- und Aroma- forscher. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gerade die Welt der Schokolade auf den Kopf zu stellen? TILO HÜ HN: Zufällig. Als ich mit meinem Forscher- kollegen Roland Laux in Venezuela eine Schokoladen- fabrik besuchte, roch es sensationell. Denn die Boh- nen wurden bei über 200 Grad verarbeitet. Die Aromen befanden sich aber in der Luft und nicht im Pro- dukt. Zwar entstehen bei Temperaturen von 130 bis 160 Grad die typischen Röstaromen. Zugleich zer- stört aber die Hitze die natürlichen Aromen, die in der Kakaofrucht enthalten sind. Das darf doch nicht sein, sagten wir uns. Ihre Lösung hiess von Anfang an Kaltextraktions- verfahren – weshalb sollte gerade dieses funktio- nieren? Noch auf dem Heimflug notierten wir ein Verfahren, das ich von der Olivenöl-Herstellung her kannte. Dort führt das Kaltpressen zum besten Aroma. Zurück im Labor probierte ich das Niedergeschriebene aus . Bitte erläutern Sie kurz das Verfahren. Im Gegensatz zur klassischen Kakaoaufbereitung ent- Oro-de-Cacao-Team: Die Schoggi-Tüftler rund um fällt bei unserer Methode der Röstprozess bei hohen Professor Tilo Hühn (4.v.l.) und Dieter Meier (6.v.l.). Temperaturen; stattdessen wird dieser zu einem ande- P HOTO : ZHAW ren Zeitpunkt, nachdem die Kakaobutter unter 50 Grad gewonnen wurde, in den Produktionsprozess integ- riert. Zudem kommt Wasser ins Spiel. Eine Metho- extraktion samt Schleudergang in ihre Bestandteile de, welche einst die Maya-Kultur erfolgreich für ihre Kakaopulver und -butter, Aroma-Moleküle und Poly- Trinkschokolade «Xocoatl» (von xoco = bitter und atl = phenolextrakt, das gesundheitsfördernde Substanzen Wasser) angewendet hat. wie Antioxidantien enthält, zerlegen. Unerwünsch- Und wie verläuft die Maya-Methode, modern te Komponenten wie Bitterstoffe und Essigsäure las- interpretiert? sen sich schonend entfernen. Die Bestandteile können Wir holen die Aromen aus den Kakaobohnen noch vor jetzt wieder beliebig zu einer perfekten Schoggi-Kom- dem Rösten heraus, indem wir sie zunächst fein mit position zusammengefügt werden – ohne Beigabe von Wasser mahlen und sie in einer mehrstufigen Kalt- künstlichen Aromastoffen. Dank diesem Vorgehen SEESICHT 2!/19 46 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE können wir ein süsses Resultat mit einem viel geringe- gezeigt, dass Schokolade nicht nur glücklich macht, ren Zuckeranteil als üblich erzielen und den Grad der sondern sich in Form der dunklen Schokolade güns- Bitterkeit fast beliebig senken – auch bei Tafeln mit 80 tig auf die menschliche Verdauung auswirkt. Voraus- Prozent Kakaoanteil. gesetzt: Der Zuckergehalt sowie der Anteil ungesunder Auf welche Weise konnten Sie Dieter Meier für Ihr Fette sind möglichst gering. Unser Ziel ist es daher, eine Verfahren gewinnen? Schokolade-Essenz zu kreieren, die ausschliesslich die Irgendwann erfuhr ich von den kulinarischen Inter- Teile der Bohne enthält, die tatsächlich gesundheitsför- essen Dieter Meiers. Der Künstler hatte sich ja auch dernd wirken. als Rindfleisch-, Wein- und Kaffeeproduzent sowie Woher nehmen Sie die Motivation, dranzubleiben? als Restaurantbesitzer einen Namen gemacht. Bei ei- Ich wurde in eine Winzer- und Bauernfamilie hinein- nem Besuch in unserem Labor war er sofort Feuer und geboren. Bei der Lebensmittelherstellung ist mir da- Flamme. Als innovativer Genussmensch wollte er bei her die Interaktion mit der Natur sehr wichtig. Mit der der Schokoladen-Revolution dabei sein. Im Jahr 2014 Schokoladenproduktion bin ich in eine neue, faszinie- hat er die Rechte des neuen Verfahrens erworben und rende Welt eingetaucht, in der ich nun die Vielseitig- weltweit patentieren lassen. keit der Kakaobohne honorieren kann. Als Kind moch- Wie muss ich mir die Zusammenarbeit zwischen te ich nur die Milchschokolade; die dunkle empfand ich Ihnen beiden vorstellen? als bitter und sauer. Nun ist es uns durch das Projekt Dieter Meier wollte sich als Investor nicht nur damit möglich, die Schoggi-Palette zu bereichern. zufriedengeben, das Projekt zu finanzieren, sondern das Produkt auch zu verstehen und weiterzuentwi- ckeln. Dank seiner Neugierde, den zielführenden Fra- gen und seiner Expertise hat er das Verfahren markt- fähig gemacht und zur industriellen Anwendung gebracht. So entstand eine Pilotanlage in Wallisellen, um die kaltextrahierte Schokolade produzieren zu kön- nen. Seit Dezember 2017 kann Dieter Meier in seinem «Salon de Cacao» in der Zürcher Altstadt an der Lim- mat die Schokolade unter dem Label «Oro de Cacao» verkaufen. Schmeckt Ihnen Ihre Schokolade? Und wie! Sie ist komplex und aromatisch – an den Re- sultaten habe ich eine Riesenfreude. Die Schokolade namens «Guatemala» ist meine liebste. Ihre Aromatik besteht aus einem komplexen Blumenstrauss fruchti- ger, blumiger Komponenten. In Dieter Meiers Laden findet man auch Milch- und weisse Schoggi. Wie stellen Sie diese her? Dank dem Kaltextraktionsprozess bleiben die viel- seitigen Aromen der Kakaobutter erhalten. Dies er- P H OTO : Z H AW laubt es, auch Milch- und weisse Schokolade ohne den Zusatz von kakaofremden Aromastoffen wie Vanil- lin herzustellen. Unsere Milchschoggi enthält 60 Pro- zent Kakao, die restlichen 40 Prozent setzen sich aus Milchpulver und wenig Zucker zusammen. Die Werte verhalten sich demnach umgekehrt als bei einigen an- deren Milchschokoladen auf dem Markt. Z U R P ERS O N Sie arbeiten noch immer am Verfahren, wollen es Tilo Hühn ist in Rüdesheim am Rhein aufgewach- stetig weiterverbessern. Was ist Ihr Ziel? sen. Dort verbringt der Winzer, Önologe und Bio- Ich möchte ein genussfähiges, komplexes Produkt er- loge noch immer gerne seine Freizeit, um in den zeugen, das möglichst wenig Zucker enthält. So bin ich Reben zu arbeiten. Seit 22 Jahren lebt er mit seiner auf der Suche nach Zuckerersatzstoffen, die keine un- Familie in Schönenberg und arbeitet als Lebens- erwünschten Aromen in die Schoggi bringen. An zu- mitteltechnologe und Aromaforscher an der Zür- ckerfreien Rezepturen interessiert ist auch die Me- cher Hochschule für Angewandte Wissenschaften dizin: Eine kürzlich erschienene Studie hat nämlich in Wädenswil. SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 47
REPORTAGE P HOTO S : CACAO B ET ULI A EDEL-BOHNEN-BAUER AUS RICHTERSWIL Für aussergewöhnlich gute Schokolade braucht es aussergewöhnlich guten Kakao. Das sagte sich auch Christian Vélez aus Richterswil. Dank der eigenen Plantage kann er den Trend «bean-to-Bar» gar mit «tree-to-bar» toppen. Der kolumbianisch-schweizerische «U N S E R E HACIENDA KONNTE von Pablo Escobar kontrolliert wor- Doppelbürger ist in Medellìn aufge- E R FO LGREI CH D IE VI SI ON den war und später als Hochburg der wachsen, zog mit 18 Jahren in die Hei- Rebellengruppe FARC galt. «Ich hat- mat der Mutter in der Schweiz, wo V E RWIR K L IC HEN, EINEN te damals keine Ahnung von Kakao. er an der ETH Zürich Physik studier- OR G A N I S CHEN, KOLUMBI ANI - Doch das 80 Hektaren grosse Land mit te und ein internationales KMU grün- S C H EN CRI OL LO -K A K AO MIT Kakaobäumen und 40 Hektaren be- dete. Nach der Finanzkrise suchte der lassenem Urwald gefiel uns. Auf un- S ELT E NEM U ND KOMP L EXEM 47-Jährige nach einer sinnvollen In- serer Plantage fanden wir 22 Kakao- vestitionsmöglichkeit, die zudem sei- C H A R AKTER Z U KU LTI VI ER EN.» bäume der Sorte Porcelana, die in der ne Heimatländer verbinden sollte. Region ‹Betulia› genannt wird und zu Kakao war also naheliegend und so C H R ISTI AN V ÉL EZ, KOLUM- den teuersten der Welt gehört», er- gründete er vor acht Jahren zusam- BIA NIS CHER K A K AOBAUER AU S zählt Christian Vélez. Die Betulia- men mit seinem Cousin die «Hacien- RI CHTER SW IL bäume sind Criollos. Das heisst, de- da Betulia» in einem traditionellen ren Bohnen sind weiss anstatt lila. Kakao-Anbaugebiet im Nordwesten Heute bestehen weniger als ein Pro- von Kolumbien. In einem nun fried- zent der weltweiten Kakao-Produk- lichen Gebiet, nachdem es jahrelang tion aus Criollo-Sorten. Den Grossteil SEESICHT 2!/19 48 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE Criollo Betulia weist ungewöhnlich helle Blüten auf. Heute besteht weniger als ein Prozent der weltweiten Kakao-Produktion aus Criollo- Sorten. Denn der empfindliche Criollo ist in Anbau und Verarbeitung schwierig. Den Gross- teil stellen die robusten Varianten Forastero und Trinitario. P HOTOS: CACAO BET U L I A Reife Betulia-Bohnen mit weissem Fruchtfleisch: Zerschneidet man die ein- zelnen Bohnen, so sind sie im Vergleich zu anderen Kakaoarten auch im Innern weiss. Der Geschmack der Betu- lia wird oft als exquisit und delikat, mit einer komplexen Mischung von verschiedenen Nuancen, beschrieben. PHOTO: CACAO BETU LI A Der Betulia-Kakao reift aus den befruchteten Blüten in sechs Monaten zu 20 Zentimeter langen, grünen Kakaofrüchten heran, die sich dann gelb, rot oder violett verfärben. PH OTO : CACAO BETU LI A stellen die robusten Varianten Forast- Profilen, wurden drei sortenreine ero und Trinitario. Schwierig in An- Varianten des Betulia-Baumes – kurz bau und Verarbeitung wird der emp- als B6, B8 und B9 bezeichnet – ausge- findliche Criollo überwiegend von wählt, die aussergewöhnlich weisse wenigen, spezialisierten Farmen kul- Blüten produzieren und einen Kakao tiviert. Nur kleine Mengen des edlen mit komplexem Geschmack erwar- Spitzen-Kakaos erreichen jährlich die ten liessen. Christian Vélez züchtet Märkte und so sind hochwertige Criol- nun diese Bäume, und zwar durch auf- lo-Schokoladen und -Couverture ent- wändige Pfropfung. Auf diese Art kön- sprechend selten und teuer. nen die herausragende Eigenschaften und Aromen der auserwählten Bäume KLONEN DURCH PFROPFEN geklont werden. B6 ergibt einen Christian Vélez gefiel der Gedanke, fruchtig, balancierten Geschmack, B8 sich bei seinen Aufenthalten in Kolum- erinnert an getrocknete Kräuter und bien etwas Edlem und Besonderem zu B9 schmeckt süss-würzig und exo- widmen. Nach detaillierten Untersu- tisch-fruchtig. «Uns ist es gelungen, chungen, einschliesslich genetischen einen organischen, kolumbianischen SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 49
REPORTAGE Der Schnitttest nach der Bohnenlieferung gibt nicht nur Aufschluss über die Qualität der Bohnen, sondern die zum Vorschein kommenden Farben auch über die Art der Fermentierung und den Säuregehalt. Dies wie- derum sind Indikatoren für die Dauer und Tempera- tur beim Rösten. P HOTO: TAUCH E R L I «Tree to bar»: Christian Veléz verarbeitet seine Bohnen auch ab und zu selbst. Dies mit Hilfe von «bean-to-bar»-Spezialist Kay Keusen, der vor vier Jahren die Firma «Taucherli» kurz vor dem Konkurs übernommen hat. P H OTO: CACAO B ETU L IA /TAU C H E R LI Nebst den Cacao-Betulia-Tafeln stellt Kay Keusen von «Taucherli» insbesondere eigene «bean-to-bar»-Schoggi her. Ein Ziel ist es denn auch, weitere Produkte des «Taucherli»-Angebots inklusive der bekannten Trink- schokolade «bean-to-bar» produzieren zu können. P HOTO: TAUCH E R L I Criollo-Kakao mit seltenem und komplexem Charakter «BEAN-TO-BAR» zu kultivieren», freut sich Christian Vélez. Nach sorgfälti- Während über 130 Jahren gab es an der Schweizer Schokola- ger Fermentierung und Trocknung finden die jährlich vier denproduktion nichts zu rütteln – wohl auch, weil wir unsere Tonnen Betulia-Bohnen Abnehmer in der ganzen Welt. Milchschoggi lieben. Doch was in Amerika oder Belgien inno- Auch die eigene «Tree-to-Bar»-Schokolade namens «Cacao vative Genussmenschen angeregt hat, wird nun auch uns be- Betulia» lässt er in Zürich herstellen. Dies bei «Taucherli» wusst: Bisher haben zusätzliche Kakaobutter, deren Herkunft in Oerlikon, dessen Inhaber Kay Keusen durch seine Freu- meist unbestimmt ist, und andere Zusatzstoffe den Herstel- de an noch so einzigartigen Schokoladenproduktions-Ma- lungsprozess von Schokolade erleichtert. Damit liessen sich nämlich der Schmelz und ein gefälliger Geschmack erzielen. schinen nicht nur bei uns, sondern bis nach China von sich Der Geschmack der Kakaobohne wurde aber undefinierbar reden gemacht hat. Das Prozedere von der Bohne bis zur und verfälscht. Tafel verfolgt man bei «Taucherli» am besten mit eigenen Augen. Die «bean-to-bar»-Manufakturen steuern dagegen, indem sie die gesamte Verarbeitung der Bohnen der einzelnen Kakao- sorten bis zur Tafel selbst übernehmen. Damit lässt sich ge- währleisten, dass ausschliesslich die Aromen der auserwählten Bohnen in der Schokolade drin stecken. Und: Je nach Ernte und Verarbeitungsprozess schmeckt die Schokolade derselben Bohnen anders. Die «bean-to-bar»-Produzenten legen zudem Wert auf qualitativ hochwertige Bohnen, die aus nachhaltigen, fair bewirtschafteten Plantagen stammen. SEESICHT 2!/19 50 www.seesichtmagazin.ch
EDEL-SCHOKOLADE «BEAN-TO-BAR»-SCHOKOLADE AUS DER GEGEND Der Trend hin zu «bean-to-bar» hat in der Stadt Zürich einige Kleinmanufakturen entstehen lassen. Ihre Produkte sind an verschiedenen Verkaufsstellen in der Stadt sowie rund um den See oder online erhältlich: GARÇOA CACAO BETULIA Fränzi Akert und Andi Brechbühl begannen vor sechs Parallel zu seinen eigenen Produkten verarbeitet Kay Jahren zu tüfteln und leisteten rund um die «bean-to-bar»- Keusen auch die Betulia-Bohnen der Plantage von Bewegung Pionierarbeit in der Schweiz (siehe Artikel auf Christian Vélez in Kolumbien (siehe Artikel auf Seite 48) – Seite 41). In ihrer kleinen Manufaktur, die heute in Wollis- die 80-Gramm-Cacao-Betulia-Tafeln kosten 12 Franken hofen liegt und auch besichtigt werden kann, produzieren und sind im Onlineshop erhältlich. sie zurzeit sechs verschiedene Schokoladen. Sie sind nach www.cacaobetulia.com der Region, aus denen die auserlesenen Bohnen stammen, benannt. Die Garçoa-Schoggitafeln lassen sich auch be- quem per Abo nach Hause liefern. Eine Tafel à 85 Gramm LA FLOR kostet ab 10.50 Franken. Initiantin dieser Kleinmanufaktur ist die Slow-Food- www.garcoa.ch Gastronomin Laura Schälchli, bekannt für ihre Pop-up- www.schoggisafari.ch Projekte und die kulinarische Plattform «Sobre Mesa». Nebst ihr gehören zum Gründerteam die Grafikerin Zelia Zadra, Heini Schwarzenbach vom gleichnamigen Zürcher ORO DE CACAO Kolonialwarengeschäft sowie Gastronom Ivo Müller, Mit- Im kleinen «Salon de Cacao» an der Wühre 15 direkt an der inhaber des Restaurants Rosso und der Bar Basso in Zü- Limmat ist das Resultat des revolutionären Schoggiher- rich. Als Fachmann für die Produktion hat das Quartett den stellungsprozesses von Lebensmitteltechnologe Tilo Hühn jungen Lebensmitteltechnologen Finn Ramseier verpflich- und Dieter Meier (siehe Interview auf Seite 46) zu finden. tet, der bei Cioccolateria Casa Nobile sowie bei Felchlin, Meiers so genannte Schokoladen-Bibliothek umfasst vor der auf Grand-Cru-Schokolade spezialisierten Manufaktur allem dunkle, aber auch eine weisse Schokolade sowie eine in Schwyz, gearbeitet hat. Milchschokolade, gefertigt aus den besten Kakaobohnen aus den Ländern Bolivien, Kuba, Peru und Guatemala. Die Ihre Schoggitafeln und Bruchschoggi sind in verschiede- 50-Gramm-Tafeln kosten 9.60 Franken. Erhältlich sind zu- nen Läden in der Stadt Zürich sowie an einigen Orten dem Schokoladenkuchen und Pralinés, die drei Confiseu- am See oder online zu finden und auch via Abo erhältlich. rinnen direkt im «Salon» anfertigen, oder Getränke, bei- Interessierte erfahren in Workshops mehr über die spielsweise ein Energiegetränk, welches das natürliche La-Flor-Philosophie und -Machart oder können dem Koffein des Kakaos enthält. «Chocolate Club» mit einer Mitgliedschaft beitreten. chocolatdietermeier.ch www.laflor.ch www.orodecacao.com TAUCHERLI Kay Keusen hat vor vier Jahren die Firma «Taucherli» kurz vor dem Konkurs übernommen. Sie wurde durch ihre Trinkschoggi in Form eines Pralinés am Holzstengel be- kannt und verkauft heute mehr und mehr Kakaogenuss à la «bean-to-bar». Die «Taucherli-bean-to-bar»-Tafeln à 80 Gramm sind ab 9.90 Franken erhältlich. www.taucherli.com SEESICHT 2!/19 www.seesichtmagazin.ch 51
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