STANDORTWETTBEWERB: DER IMPERIALISMUS UNSERER ZEIT - leonhard
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STANDORTWETTBEWERB: DER IMPERIALISMUS UNSERER ZEIT von Leonhard Dobusch, Juniorprofessor für Organisationstheorie am Management- Department der Freien Universität Berlin und Nikolaus Kowall, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf Genau 100 Jahre nach dem Beginn 2014) dabei helfen, Ideologien und Dyna- des „Großen Krieges“ ist nicht nur ein miken zu identifizieren, die ein respektvol- Gedenkjahr, es ist auch ein Jahr der les und menschwürdiges Zusammenleben Analogien. Und tatsächlich gibt es der Völker gefährden. Bei der herrschen- eine Reihe von Parallelen zwischen den Konjunktur an Analogieschlüssen gibt 1914 und 2014. Wie Stefan Zweig in es erstaunlicherweise ein Themenfeld, das „Die Welt von Gestern“ so eindrück- kaum Erwähnung findet, trotz dessen ent- lich beschrieben hat, blickten Europas scheidender Bedeutung für die Ereignisse Intellektuelle 1914 auf eine lange, ver- 1914. Denn völlig unabhängig von der der- gleichsweise friedliche Phase zurück zeit wieder einmal diskutierten Frage, ob und waren von der Welle kriegeri- die europäischen Staaten als „Schlafwand- schen Nationalismus zumindest über- ler“ (Christopher Clark; vgl. Clark 2012) in rascht, so sie nicht von ihr erfasst und den Krieg „geschlittert“ (Lloyd George) mitgerissen wurden. War zuvor von waren oder vor allem der deutsche Griff europäischer Einigung die Rede ge- nach der Weltmacht als ursächlich zu se- wesen, lag der Kontinent wenige Jah- hen ist (Fritz Fischer; vgl. Fischer 1961), re später in Trümmern und die natio- maßgeblich für die Katastrophe war jeden- nalistische Saat ging auf. falls eine dominante imperialistische Ideo- logie. Unsere These ist, dass wir es 2014 2014 erwartet auch trotz Krim-Krise mit einem vergleichbaren, allerdings weni- niemand eine militärische Eskalation. ger militärisch und dafür stärker wirt- Dennoch mag ein Blick zurück im Sinne schaftlich ausgeprägten Imperialismus zu einer Reflexionsanalogie (vgl. Münkler tun haben. 72 Standortwettbewerb: Der Imperialismus unserer Zeit Argumente 1/2014
Imperialismus als Wettbewerbs- Imperialismus sogar in erster Linie mit ideologie dem ‚Primat der Innenpolitik‘ erklärt [hat]“ Kern imperialistischer Ideologie vor Ein Blick auf die herrschende (Wirt- 1914 war die Überzeugung, dass für Wohl- schafts-)Ideologie des Jahres 2014 offen- stand und Erfolg einer Großmacht Expan- bart erstaunliche Parallelen. Der zentrale sion in Form von Kolonien und die damit Orientierungspunkt deutscher Politik ist verbundene Erschließung ausländischer jener der „Wettbewerbsfähigkeit“, wie sich Bezugs- und Absatzmärkte erforderlich schön anhand von Angela Merkels Rede sind. Die imperialistische Ideologie war beim Weltwirtschaftsforum in Davos aber nie nur eine wirtschaftliche. Für die 201318 illustrieren lässt. Merkel forderte Eliten der wilhelminischen Ära waren dort „eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich Kolonien und Weltmachtstreben immer daran bemisst, ob sie uns Zugang zu globa- auch eine Frage „des Prestiges, der Ehre, len Märkten ermöglicht.“ Der Blick richtet der weltpolitischen Gleichberechtigung“ sich wie damals vor allem nach außen, (Winkler 2008). Eine Einstellung, die in zweimal warnt Merkel in ihrer Rede davor, der Forderung des späteren deutschen dass Wettbewerbsfähigkeit nicht „irgend- Reichskanzler Bernhard von Bülow nach wo im Mittelmaß“ oder „beim Durch- einem „Platz an der Sonne“ für Deutsch- schnitt aller europäischen Länder“ liegen land besonders deutlich wurde. In seiner dürfe. Indikator für Wettbewerbsfähigkeit Reichstagsrede im Jahr 1897 erklärte es seien „Überschüsse in den Leistungsbilan- von Bülow zu „eine[r] unserer vornehm- zen“, die „wir auf gar keinen Fall aufs Spiel sten Aufgaben, gerade in Ostasien die In- setzen“ dürften. Nur so könne man „ein teressen unserer Schiffahrt, unseres Han- wichtiger Spieler am Weltmarkt“ mit Un- dels und unserer Industrie zu fördern und ternehmen sein, „die als schlagkräftige Ak- zu pflegen.“ Als roter Faden durch die gan- teure auch weltweit agieren könn[t]e[n].“ ze Rede17 zieht sich die Überzeugung, dass Wieder geht es um den Platz an der Sonne, Deutschland im Wettbewerb mit den an- wenn er auch nicht mit militärischen Mit- deren „Großmächten“ steht. So sollte „der teln, sondern durch die in der Rede an er- deutsche Unternehmer, die deutschen Wa- ster Stelle erwähnten Lohnzusatzkosten ren, die deutsche Flagge […] geradeso ge- und Lohnstückkosten erkämpft werden achtet werden wie diejenigen anderer soll. Mächte.“ Der Blick über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus erlaubte außer- Sozialdemokratie und Imperialismus dem, von wachsenden sozialen Spannun- gen im Inneren abzusehen, wenn nicht so- Interessant ist in beiden Fällen das Ver- gar abzulenken. So stellte der britische halten der Sozialdemokratie. Auch vor Imperialist Cecil Rhodes 1895 fest, dass, wer den Bürgerkrieg vermeiden wolle, zum 17 Vgl. https://de.wikisource.org/w/index.php?tit- Imperialisten werden müsse. Der britische le=Deutschlands_Platz_an_der_Sonne&ol- did=2058341 Historiker Hobsbawm ergänzt dazu, dass 18 Vgl. http://www.bundesregierung.de/ContentAr- man „für manche Länder – insbesondere chiv/DE/Archiv17/Reden/2013/01/2013-01-24- Deutschland – […] das Aufkommen des merkel-davos.html 73
1914 stand die SPD den imperialistischen zialdemokratie in Deutschland geführt hat, Abenteuern skeptisch gegenüber und be- wird in Gerhard Schröders Plädoyer für klagte die hohen Kosten der Kolonien. Der eine Agenda 2020 deutlich: „Deutschland internationalistische Anspruch der Partei kann seinen Vorsprung gegenüber aufstre- spielte eine größere Rolle als heute, die benden Wirtschaftsmächten wie Brasilien Ausrichtung der Sozialdemokratie war und China nur verteidigen, wenn wir hart klassenkämpferischer. Noch am 25. Juli an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbei- 1914 warnte der SPD-Parteivorstand im ten.“19 Vorwärts, dass „die herrschenden Klassen, die euch in Frieden knechten, verachten, Die Gründe für sozialdemokratische ausnutzen, euch als Kanonenfutter miß- Zustimmung zu imperialistischen Politik- brauchen [wollen]“, und ließ „die interna- konzepten waren damals wie heute ähn- tionale Völkerverbrüderung“ hochleben. lich. Angesichts von äußerer Bedrohung – Etwas mehr als eine Woche später begrün- dem zaristischen Russland, dem vermeint- dete der Parteivorsitzende Hugo Haase je- lich wettbewerbsfähigeren China – gilt es doch die Zustimmung der SPD-Fraktion das bisher Erreichte zu schützen und dafür zu den Kriegskrediten im Reichstag damit, Kompromisse zu machen. Bleibt die Frage, „das eigene Vaterland in der Stunde der ob diese Kalkulation aufgehen kann. Was Gefahr nicht im Stich zu lassen.“ Der den militärischen Imperialismus betrifft, Wunsch, nicht als vaterlandslose Gesellen ist sie eindeutig beantwortet und der impe- dazustehen, dominierte, die prinzipielle rialistische Krieg geächtet. Der ökonomi- Ablehnung des Imperialismus wurde im sche Imperialismus ist hingegen lebendiger konkreten Fall den vermeintlich nationalen denn je. Interessen untergeordnet. Eine Spaltung der Sozialdemokratie in MSPD und Imperialismus als ökonomisches USPD war die Folge. Null-Summen-Spiel Knapp 100 Jahre später lässt sich ein Eric Hobsbawm ist der Auffassung, ähnliches Muster im Umgang der SPD mit dass der überzeugendste allgemeine Be- der herrschenden Wettbewerbsideologie weggrund für die koloniale Expansion die beobachten. Zwar werden Unternehmen Suche nach neuen Märkten war. Dabei war dafür kritisiert, Staaten gegeneinander aus- schon vor 1914 umstritten, ob sich Impe- zuspielen („Heuschrecken“), und die nega- rialismus in Form von Kolonien überhaupt tiven Auswirkungen des Standortwettbe- rechnet. Hobsbawm ist beispielsweise der werbs in Form von Lohn- und Meinung, es gebe „keine stichhaltigen An- Steuersenkungswettläufen durchaus als haltspunkte, dass koloniale Eroberung als solche erkannt. Im konkreten Krisenfall solche einen besonderen Einfluss auf die aber verfolgte die deutsche Sozialdemokra- Beschäftigungsquote oder die Realein- tie wieder eine nationalistische Steuersen- kommen der meisten Arbeiter in den Mut- kungs- und Lohnzurückhaltungspolitik. Das neoimperialistische Denkmuster, das 19 Vgl. http://www.welt.de/wirtschaft/arti- der deutschen Agenda 2010 zu Grunde lag cle114310644/Muessen-hart-an-der-Wettbe- und zu einer neuerlichen Spaltung der So- werbsfaehigkeit-arbeiten.html 74 Standortwettbewerb: Der Imperialismus unserer Zeit Argumente 1/2014
terländern gehabt hätten (…) Weit bedeut- Entwicklungstheorien, die die Rolle des samer war die gängige Praxis, den Wählern Außenhandels in den Vordergrund stellen. Ruhm statt Reformen, die weit kostspieli- Der Aufholprozess des deutschen Reichs ger gewesen wären, anzubieten.“ (Hobs- und der USA gegenüber der Kolonial- bawm 2008, S. 94) Karl Kautsky, Chef- macht England zur vorletzten Jahrhun- ideologie der SPD um 1900 belegte mit dertwende ist ein Indiz dafür, dass globale statistischen Aufschlüsselungen über die Präsenz wohl eher die Folge als die Ursache Ausweitung der Eisenbahnkilometer, dass wirtschaftlicher Dynamik ist. Diese Unter- die Ausdehnung des Weltmarkts und der scheidung ist von großer Bedeutung: Ist Produktion nicht in den Kolonien, sondern die wirtschaftliche Entwicklung endogen, im Zentrum stattgefunden hat. Die Kosten also von inneren Ursachen getrieben, dann für die Überseekriege würden hingegen die kann der Kuchen für alle wachsen. Ist Ent- Erträge bei weitem übertreffen (vgl. Kaut- wicklung hingegen im Rahmen eines han- sky 1909, S. 76 f.). Ähnlich argumentierte delsbasierten Nullsummenspiels zu verste- Eduard Bernstein die britischen Kolonien hen, dann kann A nur gewinnen, was B betreffend: „Nun kann man es gewiß als verliert. Die Entwicklung des einen ist hier sehr zweifelhaft bezeichnen, ob das engli- immer die Regression des anderen. sche Volk in seiner Masse von der Herr- schaft Englands über Indien wirtschaftli- Die imperialistische Logik chen Vorteil hat. Nach meiner Ansicht ist des Standortwettbewerbs das Gegenteil der Fall.“ (Bernstein 1907) Die Rechtfertigung für das Primat der Die wirtschaftliche Rechtfertigung des Wettbewerbsfähigkeit in der deutschen Imperialismus beruhte auf der heute noch Wirtschaftspolitik folgt der expansiven unter vielen Ökonomen gängigen Fehlan- Logik des Imperialismus. Wenn Deutsch- nahme, die Triebfeder ökonomischer Ent- lands Löhne stärker steigen und deshalb wicklung beruhe auf der globalen Expansi- die Wettbewerbsfähigkeit sinkt, bekommt on des Handels. Der deutsche Imperialis- es ein kleineres Stück des Kuchens und es mus war getrieben von der Vorstellung, im gibt weniger zu verteilen. Die Weltwirt- Wettbewerb um die Aufteilung einer schaft wird als Nullsummenspiel gesehen, knappen Erde im Hintertreffen zu liegen in dem Europa nur überleben kann, wenn und dadurch langfristig ökonomisch zu die europäischen ArbeitnehmerInnen im unterliegen.20 In der Spätphase des Impe- globalisierten Wirtschaftskrieg gegen Chi- rialismus erschien 1912 J.A. Schumpeters na und Brasilien auf Lohnerhöhungen ver- „Theorie der wirtschaftlichen Entwick- zichten. Obwohl das jährliche globale lung“, die die kapitalistische Dynamik in BIP-Wachstum augenscheinlich zeigt, erster Linie in Innovationen und Produkti- dass der chen für alle wachsen kann und es vitätsfortschritten erkennt. Diese endoge- vor allem darum gehen muss, dieses ne Entwicklungstheorie erklärt ökonomi- Wachstum ökologisch nachhaltig zu ge- schen Fortschritt primär mit kapitalis- tischen Dynamiken der „schöpferischen 20 http://www.bpb.de/geschichte/deutsche- Zerstörung“ und unterscheidet sich von geschichte/kaiserreich/139653/aussenpolitik-und- merkantilistischen oder imperialistischen imperialismus 75
stalten, ist die Diskussion in Deutschland Ohne deutschen Sinneswandel zer- und Europa geprägt von Verlust- und Un- bricht die Eurozone tergangsängsten. Zur wichtigsten rhetori- schen Figur des zeitgenössischen Neoim- Die Wirtschaftskrise 2008, die vor al- perialismus wurde der Standardortwettbe- lem in Europa auch eine drastische Krise werb – ein Kampf um Direktinvestitionen des Neoimperialismus darstellte, wurde und Marktanteile am Welthandelsvolu- kaum als solche interpretiert. Um die ab- men. Rainer Land und Ulrich Busch beto- strakte Materie zu popularisieren, fehlte in nen, dass beim Standortwettbewerb Moti- der linken Mitte das politische Verständ- ve der Umverteilung im Vordergrund nis. Stattdessen setzten sich Interpretatio- stehen: „Hier versuchen die Marktteilneh- nen durch, die konkrete Feindbilder anbie- mer durch Wettbewerbsvorteile (Lohnni- ten konnten. Bildlich und plastisch ist das veau, Steuerniveau, Regelungsdichte, Um- Bild des faulen Griechen mit Sonnenbrille welt- und Sozialstandards usw.) anderen in der Hängematte, der auf unsere Kosten Marktanteile wegzunehmen, also Effekte ein gemütliches Leben führt. Klischees er- durch Umverteilung statt durch Produkti- gossen sich über die südeuropäischen Län- vitätssteigerungen zu erreichen.“ (Busch/ der. Niemand interessierte sich dafür, dass Land 2010, S. 19) Spaniens Exporte vor der Krise stärker wuchsen als die deutschen, niemand be- Der Verweis darauf, dass das Ganze achtete, dass der Anteil der Löhne am ita- mehr ist als die Summe seiner Teile, dass lienischen Volkseinkommen vor der Krise Kooperation Europa und die Weltwirt- rückläufig war. „Die Party im Süden ist zu schaft voranbringen würde, ohne Deutsch- Ende“, so der Vorurteile schürende Befund land zu schaden, kommt führenden SPD- des Mainstream-Ökonomen Hans-Wer- PolitikerInnen nicht über die Lippen. Von ner Sinn an die Adresse der Krisenstaaten. einer Öffentlichkeit, die angeblich nicht weiter zu blicken bereit ist als um die näch- Noch krasser als Südeuropa wurde aber ste Ecke, würde ein solcher Vorstoß als ein anderes Land in Deutschland Opfer ei- wirtschaftsschädlich und unpatriotisch ner sagenhaften Propagandakampagne. aufgefasst werden. Sigmar Gabriels Besuch Seit Jahren ist die deutsche Berichterstat- bei Frankreichs Wahlsieger Francois Hol- tung über Frankreich geprägt von nationa- lande wurde etwa von Cicero-Redakteur ler Überheblichkeit und Geringschätzung. Wolfram Weimer in der ARD so kom- 2011 warnte Der Spiegel: „Nun gerät auch mentiert: „Wieso fällt der in dem Moment, die europäische Wirtschaftsgroßmacht wo die Kanzlerin einigermaßen tapfer für Frankreich ins Wanken. Jahrzehntelang deutsche Interessen kämpft, ihr in den hat das Land geprasst und seinen Konsum Rücken bei dem ärgsten Widersacher?“ auf Pump finanziert.“21 Und weiter: „Nei- Wenn die SPD internationale Kooperation disch blicken die Franzosen neuerdings auf auch nur andenkt, wird sie mit dem Stigma das >modèle allemande
bellen und Grafiken, in denen Deutsch- handelt wie Deutschland, wäre Deutsch- land immer vorn liegt.“ 2014 titelt Die Zeit lands Vorsprung niemals zur Geltung ge- schließlich wenig originell mit „Der kranke kommen. In Anbetracht dieser Tatsache ist Mann Europas“, fordert „Frankreich es besonders perfide, der Grand Nation die braucht Reformen“ und bedauert, dass Verantwortung für Probleme mit der „eine Reformagenda à la Schröder“ immer Wettbewerbsfähigkeit umzuhängen. Über- noch als nicht auf Frankreich übertragbar haupt ermöglichte erst die Euroeinführung angesehen wird. Auf die deutsche Sozial- den Erfolg der deutschen Strategie – zu demokratie ist aber in wirtschaftlich-natio- Zeiten der DM-Mark hätten Aufwertun- nalen Fragen Verlass und der diesbezügli- gen die deutsche Kaufkraft im Ausland ge- che Burgfriede bislang nicht in Gefahr: Im stärkt und preisliche Vorsprünge wieder Kern unterscheidet sich die Position der zunichte gemacht. Damit es genau zu kei- SPD nur wenig von der der Kanzlerin. ner dramatischen Auseinanderentwicklung Euro-Bonds, wie Hollande sie sich vor- der Preisniveaus kommt, ist eine synchrone stellt, haben in der SPD-Spitze wenig Für- Entwicklung von Lohnstückkosten und sprecher. Zudem hält die SPD Reformen Preisen das eigentliche Geheimnis einer in Frankreich genau wie die Kanzlerin für Währungsunion. Im Gegensatz zu den we- unumgänglich. „Die Franzosen sind in ei- niger wichtigen Staatsschulden gibt es aber nem Zustand, wie wir es 2001 waren“, sagt für eine gemeinsame Inflationsentwick- Steinmeier.22 Wenn Deutschland noch vor lung keine europäische Steuerung. zehn Jahren als kranker Mann Europas galt, wie hat sich Frankreich innerhalb kur- Wie überall, wo es keine Regeln gibt, zer Zeit in diese unterlegene Position ma- herrscht das Faustrecht. Die europäische növriert? Wirtschafts- und Finanzpolitik wird von jenen vorgegeben, die ökonomisch am we- Vor der Euroeinführung war es die nigsten Rücksicht nehmen. In der Bundes- deutsche Bundesbank, die durch ihre republik wurde der Standortwettbewerb so Geldpolitik den makroökonomischen lange beschworen, bis sie ihn selbst lostrat. Herzschlag in Europa vorgab. Die Wäh- Deutschland hat mit seiner aggressiven rungsunion war weniger ökonomisch mo- Handelsstrategie in Europa eine Hegemo- tiviert, als eher ein politischer Wunsch der nialstellung erreicht wie seit 1945 nicht französischen Regierung, diese Währungs- mehr. Während deutsche Regierungen un- vorherrschaft Deutschlands über Frank- ter Helmut Schmidt oder Helmut Kohl reich zu beenden. Aus heutiger Sicht ein ihre wirtschaftliche Vorherrschaft im Gei- Schuss ins Knie, denn das Konstrukt „ge- ste des Nachkriegskonsens noch politisch meinsame Währung – nationale Wirt- abgemildert haben, fehlt der deutschen schaftspolitik“ hatte fatale Folgen. Es war Öffentlichkeit mittlerweile jegliche Sensi- Deutschland, das Ende der 90er-Jahre ei- bilität für herrisches Gehabe. Diese Roh- nen Lohnwettbewerb startete, wodurch die heit ist ein direktes Resultat von zwei Jahr- heimische Nachfrage nach Exporten der zehnten unter dem permanenten Eindruck Partnerländer sank und die deutschen Aus- fuhren günstiger wurden. Hätten Frank- 22 Der Spiegel, 18/2013 http://www.spiegel.de/ reich und die anderen damals gleich ge- spiegel/print/d-93419360.html 77
der martialischen Rhetorik des Standort- in Europa geben, aber die Währungsunion wettbewerbs. Aus ihm speist sich der neu wird zerbersten und die europäische Inte- erwachenden Wirtschaftsnationalismus in gration wird um eine Generation zurück- Deutschland. Das zeitgenössische Gesicht geworfen werden. Es gibt natürlich einen des Nationalismus heißt Standortwettbe- anderen Weg – auf diesen haben aber die werb. Durch das Fehlen einer europäischen südeuropäischen Länder keinen Einfluss. Autorität, in der europäische Interessen Es könnte sein, dass sich in Deutschland vermeintlichen nationalen Interessen über- die Erkenntnis durchsetzt, dass man mit geordnet sind, hat die Kombination aus den anderen europäischen Ländern in ei- Standortwettbewerb und Währungsge- nem Boot sitzt und der kurzfristige Vorteil fängnis den großmannssüchtigen Deut- Deutschlands ein langfristiger Nachteil schen wieder seine Schatten über den Kon- Europas ist, während ein kurzfristiger Vor- tinent werfen lassen. Es läge vor allem an teil Europas auch zu einem langfristigen einer wieder zur Besinnung kommenden Vorteil Deutschlands werden könnte. Die deutschen Sozialdemokratie, die zuneh- jüngste Anerkennung der dramatischen menden Herrschaftsdiskurse in ihrem Hei- deutschen Leistungsbilanzüberschüsse als matland empört zurückzuweisen. Dazu eventuelles Problem durch das Bundes- müsste sie aber jene ökonomischen Auffas- wirtschaftsministerium ist in dieser Hin- sungen hinter sich lassen, die Deutschland sicht ein erster kleiner Lichtblick23. Der als natürlichen Gewinner eines fairen Konsens der Eliten, das deutsche Heil im Wettbewerbs erscheinen lassen. Der internationalen Wettbewerb zu suchen, Schritt von einer einzelwirtschaftlichen scheint jedoch 2014 nicht viel schwächer hin zu einer gesamtwirtschaftlichen Be- zu sein als 1914. l trachtungsweise wird zur entscheidenden Herausforderung für einen Wandel von Deutschland als Führungsmacht hin zu Deutschland als Partner. Wie 1914 bewegen wir uns auf eine po- litische Eruption in Europa zu und wie 1914 ist das deutsche Streben nach Domi- nanz eine wesentliche Ursache der Polari- sierung. Noch erkennen die Regierungs- chefs von Frankreich, Italien und Spanien nicht, dass sie sich für ihr wirtschaftliches Überleben entweder des Euros oder der marktradikalen deutschen Vorherrschaft auf europäischer Ebene entledigen müssen (was wiederum auf einen Austritt Deutschland aus dem Währungsverband hinauslaufen würde). Wenn diese Erkennt- 23 http://www.handelsblatt.com/politik/deutschl- nis jedoch reift, werden die politischen Fol- and/aussenhandel-bundesregierung-sieht-export- gen fatal sein. Wohl wird es keinen Krieg plus-als-problem/9570660.html 78 15 Jahre Bologna: ftw oder megafail? Argumente 1/2014
Quellen: Bernstein (1907): http://marxists.org/deutsch/refe- renz/bernstein/1907/11/kolonial.htm Clark, C. (2012): The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914. London: Allen Lane. Fischer, F. (1961): Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf: Droste Hobsbawm, E. (2008): Das imperiale Zeitalter. Frankfurt am Main: Campus Kautsky, K. (1909): Der Weg zur Macht: Politische Betrachtungen über das Hineinwachsen in die Revo- lution, http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kaut- sky/1909/macht/index.htm Münkler, H. (2014): Geschichte wiederholt sich nicht. The European, http://.de.theeuropean.eu/her- fried-muenkler/7926-historische-analogie-als-politi- sche-orientierung Winkler, H. A. (2008): ZDF-Serie Die Deutschen, Teil 19: Wilhelm und die Welt 79
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