Stationäre Mindestmengen in Deutschland und der Schweiz: Zwischen Evidenz und Praxis

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Report von BARMER und Helsana
                     2021

            Caroline Bähler1, Eva Blozik1, Dagmar Hertle2, Annette Jamieson1, Kevin Migliazza1,
         Markus Näpflin1, Uwe Repschläger2, Claudia Schulte2, Danny Wende2, Friederike Wilke2

Stationäre Mindestmengen in
Deutschland und der Schweiz:
Zwischen Evidenz und Praxis
Übung macht den Meister. Gilt das einschlägige Sprichwort auch in der medizinischen Versorgung?
Im gesundheitspolitischen Diskurs werden Mindestmengen seit mehr als 30 Jahren in der stationären
Versorgung kontrovers diskutiert. Befürworter sehen darin einen wesentlichen Gewinn für Behandlungsqua-
lität und Effizienz. Gegner verweisen auf Fehlanreize, die unnötige Eingriffe fördern.

Der vorliegende Report ist die erste gemeinsame Veröffentlichung der Krankenversicherer BARMER aus
Deutschland und Helsana aus der Schweiz. Er vergleicht die komplexen Regelungen zu Mindest­mengen in
der stationären Versorgung in beiden Ländern und schafft Transparenz durch eine detaillierte länderüber-
greifende Gegenüberstellung. Der Report zeigt auf, wie und in welcher Dimension Mindestmengen als
Instrument der Qualitätssicherung eingesetzt werden und leitet aufbauend auf einer Analyse am Vertiefungs-
beispiel Knie-Totalendoprothese ab, welche Effizienz- und Qualitätsverbesserungen datenge­stützt aus
Mindestmengen resultieren. Obschon Mindestmengen als Qualitätskriterium in beiden Ländern einen
immer höheren Stellenwert erhalten, werden sie bislang zurückhaltend eingesetzt und Verstöße haben
kaum Konsequenzen.

BARMER und Helsana zeigen mit der Analyse, dass höhere Fallzahlen sehr wohl mit besserer Qualität und
mehr Effizienz einhergehen und sehen Bedarf für höhere Fallzahlen und griffige Sanktionen. Vonnöten ist
auch mehr Transparenz hinsichtlich der festgelegten wie auch erreichten Mindestmengen und den damit
verbundenen Qualitätsverbesserungen, nicht zuletzt für die Patientinnen und Patienten.

Wir wünschen eine interessante Lektüre und freuen uns über konstruktive Rückmeldungen.

          Mindestmengen · Mindestfallzahlen · Systemvergleich · Spitalplanung · Krankenhausplanung ·
          Versorgungsqualität · Knie-TEP
Report von BARMER und Helsana 2021                                                           Stationäre Mindestmengen

Inhaltsverzeichnis

1   EINLEITUNG                                       3           7      AUSWIRKUNGEN DER MINDESTMENGEN
                                                                         AUF DAS LEISTUNGSANGEBOT                    23
2   ZUSAMMENHANG VON FALLZAHLEN                                   7.1 DEUTSCHLAND                                    23
    UND ERGEBNIS IN DER CHIRURGIE                    3           7.2 SCHWEIZ                                        23
                                                                  7.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                24
3   FESTLEGUNG VON MINDESTMENGEN
    IN DEUTSCHLAND UND DER SCHWEIZ                   4           8      VERTIEFUNGSBEISPIEL KNIE-TOTAL­
3.1 DEUTSCHLAND                                      4                  ENDOPROTHESE                                25
3.2 SCHWEIZ                                          6           8.1 DEUTSCHLAND                                    26
3.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                  8           8.1.1 Studienpopulation                            26
                                                                  8.1.2 Entwicklung der Fallzahlen und der
4   HÖHE UND EBENE VON                                                    Fallkosten zwischen 2017 und 2018          26
    MINDESTMENGEN                                    8           8.1.3 Aufenthaltsdauer, Re-Hospitalisation
4.1 DEUTSCHLAND                                      8                   und Kosten in Abhängigkeit der Fallzahl    27
4.2 SCHWEIZ                                        10            8.2 SCHWEIZ                                        28
4.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                15            8.2.1 Studienpopulation                            28
                                                                  8.2.2 Entwicklung der Fallzahlen und der
5   MINDESTMENGEN FÜR ZERTIFIKATE                                         Fallkosten zwischen 2016 und 2019          28
    UND ZENTREN                                    16            8.2.3 Aufenthaltsdauer, Re-Hospitalisation und
5.1 DEUTSCHLAND                                    16                    Kosten in Abhängigkeit von der Fallzahl    29
5.2 SCHWEIZ                                        17            8.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                31
5.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                18
                                                                  9 ERKENNTNISSE UND FAZIT                           31
6   UMSETZUNG UND EIN­HALTUNG
    DER MINDEST­MENGEN                             18            RÉSUMÉ                                             34
6.1 DEUTSCHLAND                                    18
6.2 SCHWEIZ                                        21            SINTESI                                            36
6.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                23
                                                                  ANHANG: MEDIZINISCHE BEGRIFFE                      39

                                                                  LITERATUR                                          40

Formale Vorbemerkungen
Im vorliegenden Text werden zugunsten einer                       Ein Anhang erklärt die im Bericht vorkommenden
besseren Lesbarkeit bestimmte Begriffe, die in                    medizinischen Begriffe.
Deutschland verwendet werden, auch anstelle der
in der Schweiz gebräuchlichen Bezeichnungen                       1
                                                                      Autorinnen und Autoren von Helsana
verwendet. Dies betrifft auch das Thema des
Berichts, die Mindestmengen, für die in der Schweiz               2
                                                                      Autorinnen und Autoren vom BARMER Institut
der Begriff der Mindestfallzahlen verwendet wird.                 für Gesundheitssystemforschung (bifg)
Die Orthografie des Berichts orientiert sich an den
deutschen Rechtschreibregeln. Bei Zahlen wird die
internationale Zahlenschreibweise (Dezimalzahlen
mit Punkt) verwendet.

                                                              2
Report von BARMER und Helsana 2021                                                       Stationäre Mindestmengen

1 EINLEITUNG                                                  2020a, 2020b). Zunächst waren MM auf die Institu-
                                                              tion Krankenhaus beschränkt. Allerdings haben sich
Dieser Report stellt die erste von einer Reihe von            in den letzten 20 Jahren auch vermehrt Studien mit
geplanten Veröffentlichungen dar, die aus der Zu-             dem Zusammenhang zwischen Menge und Qualität
sammenarbeit zwischen der BARMER aus Deutsch-                 in Bezug auf einzelne operierende Ärztinnen und
land und Helsana Krankenversicherung aus der                  Ärzte beschäftigt (Morche et al., 2016).
Schweiz hervorgehen. Sie dienen dem übergeord-
neten Ziel, Transparenz bezüglich der Versorgung              Die Vorgaben zu MM fallen international sehr unter-
in den Gesundheitssystemen zu schaffen, Unter-                schiedlich aus (Kothari et al., 2016; Sowden et al.,
schiede aufzuzeigen und daraus Impulse zur                    1995; Morche et al., 2018). Doch ist festzustellen,
Optimierung von Qualität und Wirtschaftlichkeit für           dass die deutschsprachigen Länder MM-Vorgaben
die einzelnen Systeme abzuleiten. Hierfür greifen             in ähnlichen Größenordnungen einsetzen. Das mag
wir in einem ersten Schritt im vorliegenden Bericht           an den in Deutschland und der Schweiz vorliegen-
einen wichtigen Aspekt auf: die Mindestmengen                 den föderalen Strukturen liegen, die im Vergleich zu
(MM). Dabei schaffen wir Transparenz bezüglich der            zentralistisch organisierten Ländern Rücksicht auf
unübersichtlichen MM-Landschaft und ermöglichen               kleinere Regionen nehmen. Dies wirkt sich entspre-
eine detaillierte länderübergreifende Gegenüber-              chend auch auf ihre Krankenhausplanung und die
stellung. In dieser Zusammenarbeit werden versor-             Höhe der MM aus.
gungsbezogene Forschungsaktivitäten von zwei
großen Krankenversicherungen aus verschiedenen
Systemen kombiniert und Daten aus dem deut-                   2 ZUSAMMENHANG VON
schen und dem schweizerischen Gesundheitssys-
                                                              FALLZAHLEN UND ERGEBNIS
tem einander gegenübergestellt.
                                                              IN DER CHIRURGIE
Vorgaben für mindestens zu erbringende Fallzahlen
werden in vielen europäischen Ländern als Instru-             Empirisch sind Zusammenhänge zwischen einem
ment der Qualitätssicherung von stationär durchge-            hohen Fallvolumen und bestimmten Zielgrößen
führten Operationen und Behandlungen eingesetzt.              der Ergebnisqualität seit 1979 belegt. Ausführliche
In diesem Bericht verwenden wir hierfür einheitlich           Analysen gibt es dazu vor allem für die operativen
den in Deutschland gebräuchlichen Begriff der                 Fächer, wobei die umfangreichsten Studien die
Mindestmengen (MM). Durch MM werden rechtli-                  Viszeralchirurgie und die onkologische Chirurgie
che Vorgaben definiert, die festlegen, wie oft pro            betreffen. Eine Vielzahl der in den letzten 15 Jahren
Jahr hochspezialisierte und/oder hochfrequentierte            publizierten Studien untersuchte die Korrelation
Behandlungen durchgeführt werden müssen, damit                zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität anhand von
die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen                 Endpunkten wie Krankenhaus- oder 30-Tage-Sterb-
(GKV, Deutschland) übernommen werden bzw. ein                 lichkeit. So stellte die Gruppe von John Birkmeyer
Krankenhaus zugelassen ist, bestimmte Leistungen              diesen Zusammenhang sowohl auf Krankenhaus-
zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversi-              ebene als auch auf Chirurgenebene für eine große
cherung (OKP, Schweiz) zu erbringen. Hintergrund              Bandbreite von komplexen Eingriffen in den Ver-
sind Untersuchungen, die zeigen, dass Qualität und            einigten Staaten fest (Birkmeyer et al., 2002; Urbach,
Sicherheit von Eingriffen mit einer steigenden An-            2015). Dabei analysierten sie die Mortalität (Kran-
zahl an Durchführungen zunehmen. Als Grundstein               kenhaus- oder 30-Tage-Sterblichkeit) von 2.5 Millio-
der Debatte um MM wird dabei eine Studie von Luft             nen Patientinnen und Patienten bei 14 Operationen
et al. angesehen (Luft et al., 1979). Seitdem haben           (sechs kardiovaskuläre Eingriffe, acht Krebsoperatio-
viele Studien den Zusammenhang zwischen Menge                 nen) in den Jahren 1994–1999. Der Volumen-Effekt
und Qualität von medizinischen Leistungen unter-              zeigte sich am deutlichsten bei komplexen Ösopha-
sucht (Nimptsch & Mansky, 2017; IQWIG, 2019,                  gus- und Pankreasresektionen.

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Report von BARMER und Helsana 2021                                                                      Stationäre Mindestmengen

Zudem wiesen 47 systematische Reviews (Amato                        Der G-BA wird von den vier großen Selbstver­
et al., 2017) auf einen eindeutigen Zusammenhang                    waltungsorganisationen im Gesundheitssystem
zwischen der 30-Tage-Sterblichkeit und dem Fall-                    gebildet:
zahlvolumen hin. Solche Studien wurden auch im
deutschen (Hentschker et al., 2016; Pietsch et al.,                 •    Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV),
2013) und im schweizerischen Kontext durchgeführt                   •    Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV),
(Güller et al., 2017). Die größte Korrelation lässt sich            •    Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG),
bei Hochrisikoeingriffen wie beispielsweise bei der                 •    Spitzenverband Bund der Krankenkassen
Behandlung von Speiseröhrenkrebs oder bei invasi-                        (GKV-SV),
ven Eingriffen nach einem Herzinfarkt feststellen.                  • Patientenvertreter,
Demzufolge kann heute bei vielen hochspezialisier-                  • unparteiische Mitglieder.
ten chirurgischen Eingriffen von einem eindeutigen
„High Volume“-Effekt ausgegangen werden (Pieper
et al., 2013). Neben der Mortalität können Zusam-                   Abbildung 1: Der Gemeinsame
menhänge zwischen Fallzahlen und Ergebnisqualität                   Bundesausschuss im Überblick
auch an anderen Parametern wie beispielsweise
Komplikations-, Reinterventions- und Wiederaufnah-                                                GESETZGEBER
meraten gemessen werden. So zeigten mehrere
Studien, dass die Rate einer Wiederaufnahme in­                           Einsetzung         Bundesministerium für Gesundheit
nerhalb von 30 Tagen postoperativ in Low-Volume-                          und Beauf-
                                                                        tragung über
Kliniken signifikant höher liegt als in High-Volume-                      das SGB V       Rechtsaufsicht            Richtlinien (zur Prüfung)
Kliniken (Tsai et al., 2013; Girotti et al., 2014; Nathan
et al., 2015). Ähnliche Volume-Outcome-Zusam-                                    Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)

menhänge wurden auch bei internistischen
Krankheitsbildern gezeigt (Nimptsch et al., 2017).
                                                                                                  3 unparteiische
                                                                                                    Mitglieder
                                                                                                     davon ein
3 FESTLEGUNG VON MINDEST-                                                                          Vorsitzender

MENGEN IN DEUTSCHLAND
UND DER SCHWEIZ                                                            5 Mitglieder der GKV                     5 Mitglieder der
                                                                           GKV-Spitzenverband       PLENUM          Leistungserbringer*
                                                                                                                    DKG, KBV, KZBV

3.1 DEUTSCHLAND

In Deutschland bestimmt der Gemeinsame Bun-
desausschuss (G-BA) bundeseinheitlich über die                                               Patientenvertretung**

MM-Einführung, -Festsetzung und -Einhaltung
(Abbildung 1 und 2). Der G-BA ist das oberste
Beschlussgremium der gemeinsamen Selbst-                                                   Entscheidungsvorbereitung

verwaltung der (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte,
                                                                                             9 Unterausschüsse
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten,
Krankenhäuser und Krankenkassen. Er gestaltet                       * Die Leistungserbringer sind nur zu den Themen stimm-
                                                                    berechtigt, die ihren Versorgungsbereich wesentlich
in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der
                                                                    betreffen. Anderenfalls erfolgt eine anteilige Stimmüber-
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für mehr                     tragung auf die betroffenen Organisationen nach § 14a
als 70 Millionen Versicherte (G-BA, 2020b). Die                     Abs. 3 GO.
                                                                    ** Mitberatungs- und Antragsrecht, jedoch kein Stimm-
Rechtsaufsicht obliegt dem Bundesministerium                        recht.
für Gesundheit (BMG).                                               Quelle: G-BA, 2020b

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Report von BARMER und Helsana 2021                                                               Stationäre Mindestmengen

Für die Prüfung und Umsetzung eines Antrags auf                    zukünftig ein Antragsrecht zur Festlegung einer MM
Festsetzung einer MM ist im G-BA der Unteraus-                     eingeräumt werden. Das BMG kann dann also den
schuss Qualitätssicherung zuständig.                               G-BA mit der Prüfung von Leistungen für MM
                                                                   beauftragt (Bundesministerium für Gesundheit,
Den Antrag selbst können unterschiedliche Organi-                  2020).
sationen stellen:
                                                                   Die Anträge werden beim G-BA eingereicht und
1.   die oder der Vorsitzende des Unterausschus-                   sollen eine Beschreibung der Leistung, für die eine
     ses Qualitätssicherung,                                       MM festgelegt werden soll, eine Begründung für die
                                                                   Notwendigkeit einer MM in diesem Bereich sowie
2.   die DKG, der GKV-SV, die nach der Patientenbe-                einen begründeten Vorschlag zur Höhe der MM
     teiligungsverordnung anerkannten Organisatio-                 enthalten. Der Unterausschuss prüft die Zulässig-
     nen und, sofern ihre Belange berührt sind, die                keit und Eignung der Begründung des Antrags und
     KBV und die KZBV,                                             gibt eine Empfehlung an das Plenum zur Einleitung
                                                                   des Beratungsverfahrens oder zur Ablehnung des
3. die nach § 136b Absatz 1 Satz 3 SGB V zu                        Antrags ab. Der Unterausschuss prüft in diesem
     beteiligenden Organisationen (z. B. die Bundes-               Zusammenhang auch die Notwendigkeit der Ein­
     ärztekammer, die Berufsorganisationen der                     bindung fachlich unabhängiger wissenschaftlicher
     Pflegeberufe, die Bundespsychotherapeuten-                    Institute oder Experten und gibt dazu eine Empfeh-
     kammer oder der Verband der privaten                          lung an das Plenum ab. Die Verfahrensordnung
     Krankenversicherung).                                         des G-BA zur Bestimmung von MM (§ 16) fordert
                                                                   als Entscheidungsgrundlage u. a. eine umfassende
Ferner haben die 16 deutschen Bundesländer                         systematische Literaturrecherche zur Frage des
das Recht, unter anderem beim Thema Qualitäts­                     Zusammenhangs von Leistungsmenge und Qualität
sicherung über ihre Vertretungen ihr Antrags- und                  sowie Evidenz zur Frage der adäquaten Höhe der
Mitberatungsrecht zu nutzen (§ 92 SGB V 7e). Die                   jeweiligen MM (G-BA, 2020a; Klakow-Franck und
beiden Vertretungen der Länder werden auf der                      Wetzel, 2004). Der G-BA entscheidet dabei auch, ob
Gesundheitsministerkonferenz der Länder benannt                    hierfür eine Beauftragung des Instituts nach § 137a
(§ 92 SGB V 7f). Zusätzlich soll mit dem Gesund-                   SGB V (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
heitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG),                   Gesundheitswesen [IQWIG]) erforderlich ist.
das aktuell als Kabinettsentwurf vorliegt, dem BMG

Abbildung 2: An der Festlegung von Mindestmengen beteiligte Akteure
in Deutschland

          BMG                                Gesetzgeber                                       SGB V

      Rechtsaufsicht                               §§ 91 ff. legen
                                                   Aufgaben fest

                                                  Gemeinsamer                                            Richtlinien
                                                 Bundesausschuss                            (für alle Akteure der GKV bindend)

                                                                         IQWIG
                                                           Stiftung mit dauerhaftem Auftrag
                                             Arbeitsschwerpunkt: Methodenbewertung, Patienteninformation

                                                                          IQTIG
                                                            Stiftung mit dauerhaftem Auftrag
                                       Arbeitsschwerpunkt: stationäre und sektorenübergreifende Qualitätssicherung

Quelle: Krug, 2019

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Aktuell beträgt der Zeitraum vom Antrag bis zur                (OKP) wird von 60 Krankenversicherern für rund
Umsetzung neuer MM etwa sechs Jahre. Hierbei                   acht Millionen Versicherte in der Schweiz angebo-
kommt auch eine Karenzvereinbarung zum Tragen.                 ten. Das Eidgenössische Departement des Inneren
Diese gibt vor, dass eine Übergangsfrist von 12,               (EDI) ist für den Leistungskatalog (Krankenpflege-
jedoch maximal 24 Monaten gilt, wenn eine neue                 leistungsverordnung KLV) der OKP zuständig. MM
Festlegung, Erhöhung oder ein Arztbezug für die                werden in der Schweiz nur in Ausnahmefällen in
Bemessung eingeführt wird. Innerhalb dieses                    der KLV vorgeschrieben (siehe mehr dazu in Kapi-
Zeitraums muss die MM nicht in voller Höhe erfüllt             tel 5.2). Sie sind in der Schweiz in erster Linie ein
werden (G-BA, 2020a).                                          Kriterium für die Vergabe von Leistungsaufträgen
                                                               an Krankenhäuser im Rahmen der kantonalen und
Das Verfahren soll jedoch beschleunigt werden:                 interkantonalen Krankenhausplanung (Abbildung 3).
Im Kabinettsentwurf GVWG ist vorgesehen, dass
zukünftig Beschlüsse zu neuen oder angepassten                 Mit dem Inkrafttreten des Krankenversicherungsge-
MM innerhalb von zwei Jahren nach Aufnahme der                 setzes (KVG) 1996 wurde die Krankenhausplanung
Beratungen erfolgen müssen. Das geplante GVWG                  als Pflicht der Kantone gesetzlich verankert (Art. 39
sieht vor, zukünftig in einem beschleunigten Verfah-           Abs. 1 KVG), um die Koordination der Leistungser-
ren und mit Hilfe einer neuen Verfahrensordnung                bringer, Eindämmung der Kosten und optimale
auch einheitlicher und transparenter weitere MM                Ressourcennutzung zu gewährleisten. Die vom EDI
festzulegen und die bestehenden auf ihre Evidenz               erlassene Verordnung über die Krankenversiche-
zu prüfen. Der G-BA soll dann auch vorsehen                    rung (KVV) regelt die Planungskriterien, welche die
können, dass als Voraussetzung für die Leistungs-              Kantone im Rahmen ihrer Krankenhausplanung
erbringung mehrere MM gleichzeitig erfüllt sein                beachten müssen. Die KVV sieht bei der Prüfung
müssen, z. B. für Erst- und Reeingriffe. Damit soll            der Wirtschaftlichkeit und Qualität vor, dass die
eine sinnvolle Bündelung von Erfahrung an einem                Kantone im Krankenhausbereich insbesondere die
Ort gefördert werden. Darüber hinaus soll durch                MM beachten (Art. 58b Abs. 5). Die Festlegung von
gleichzeitige MM für alternative Eingriffe die                 MM ist jedoch ein freiwilliges Planungsinstrument
Qualität der Indikationsstellung verbessert werden:            der Kantone.
Es soll Erfahrung für alle Behandlungsalternativen
vorliegen und es soll nicht der Fall eintreten                 Der Kanton Zürich entwickelte im Rahmen der
können, dass für eine Behandlungsoption die MM                 Revision der Krankenhausfinanzierung im KVG
erreicht wird, für die Behandlungsalternative aber             (Einführung der nationalen Tarifstruktur SwissDRG
nicht, denn dies würde die Behandlungsmöglich-                 und neuer Finanzierungsregeln) ab 1. Januar 2012
keiten für die Patientinnen und Patienten ein-                 eine Systematik für die Krankenhausplanung
schränken. Zusätzlich soll es zukünftig möglich                (Definition von Spitalplanungs-Leistungsgruppen
sein, Mindestanforderungen an die Struktur-                    [SPLG] und von Anforderungen für Leistungsaufträ-
und Prozessqualität an MM zu koppeln, wenn die                 ge). Das SPLG-Konzept kategorisiert medizinische
Patientensicherheit dadurch erhöht wird, aber                  Leistungen in Leistungsgruppen und wird für die
eine eigene Strukturrichtlinie unverhältnismäßig               leistungsorientierte Krankenhausplanung verwen-
wäre (Bundesministerium für Gesundheit, 2020).                 det. Die Planung soll, wie auch in Deutschland, die
                                                               Kriterien Wirtschaftlichkeit und Qualität sicherstel-
3.2 SCHWEIZ                                                    len. Außerdem sind weitere Kriterien zu beachten,
                                                               wie zum Beispiel die Aufnahmebereitschaft, die
In der Schweiz regelt das Krankenversicherungsge-              Erreichbarkeit und die zu erwartenden interkanto-
setz (KVG) die Grundlagen für die Festsetzung von              nalen Patientenströme (Art. 39 Abs. 2ter KVG und
MM und die Voraussetzungen für die Vergütung                   Art. 58b KVV; dazu auch Empfehlungen der GDK
von Behandlungen durch die Krankenversicherun-                 1997, revidiert 2002 und 2009). Die Kantone führen
gen. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung              auf Basis der national einheitlichen Vorgaben des

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KVG ihre Krankenhausplanung eigenständig weiter                                  Kanton auf die Spitalliste gesetzt. Die Systematik
aus. So sind zum Beispiel unter § 5 im kantonalen                                der SPLG wurde von der Gesundheitsdirektoren-
Spitalplanungs- und -finanzierungsgesetz (SPFG)                                  konferenz (GDK) im Mai 2018 für alle Kantone zur
des Kantons Zürich die für die Krankenhausplanung                                Übernahme empfohlen. Mittlerweile basieren alle
zu berücksichtigenden Kriterien, wie u.a. eine                                   kantonalen Krankenhausplanungen auf diesem
angemessene Infrastruktur, genügend Untersu-                                     System. Allerdings haben die Kantone die Freiheit,
chungs- und Behandlungskapazität und ein ange-                                   die Kriterien auszubauen und weiter gehende An-
messenes Qualitätssicherungskonzept, aufgeführt.                                 forderungen festzusetzen, wie zum Beispiel MM
                                                                                 als leistungsspezifische Vorgaben.
„Fallzahlen alleine lösen das Problem nicht; denn
höhere Fallzahlen bedeuten nicht immer auch                                      Von der kantonalen Krankenhausplanung ausge-
höhere Qualität! Es darf nicht sein, dass zum                                    nommen ist der Bereich der hochspezialisierten
Erreichen von Mindestfallzahlen mehr Eingriffe                                   Medizin (HSM). Mit der Reform der Spitalfinanzie-
gemacht werden, wo die Indikation nicht oder noch                                rung (2007) wurden die Kantone dazu verpflichtet,
nicht gegeben ist (ungerechtfertigte Mengenaus-                                  gemeinsam eine gesamtschweizerische Planung
weitung). Es braucht somit immer einen gesamt-                                   der hochspezialisierten Medizin vorzunehmen
heitlichen Blick auf Menge, Indikations- und Ergeb-                              (Art. 39 Abs. 2bis KVG). Zur Umsetzung des Geset-
nisqualität.“                                                                    zesauftrags haben die Kantone die interkantonale
                                                                                 Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin
Dr. Lukas Engelberger, Regierungsrat, Vorsteher                                  (IVHSM) erarbeitet, der alle Kantone beigetreten
des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt und                                      sind (in Kraft seit 2009). Die Konferenz der kanto-
Präsident der Konferenz der kantonalen Gesund-                                   nalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren
heitsdirektorinnen und -direktoren (GDK).                                        (GDK) plant und koordiniert die Arbeiten für die
                                                                                 Gremien der HSM. So soll die Zusammenarbeit
Wollen Krankenhäuser Leistungen in einem be-                                     unter den 26 Kantonen mit dem Bund und den
stimmten Fachgebiet zulasten der OKP erbringen,                                  wichtigen Organisationen im Gesundheitswesen
können sie sich um einen Leistungsauftrag bewer-                                 gefördert und sichergestellt werden. Beschlüsse
ben. Wenn die Erfüllung der dafür notwendigen                                    der GDK gelten als Empfehlungen für ihre Mitglie-
Anforderung nachgewiesen ist, werden sie vom                                     der (GDK, 2020b).

Abbildung 3: Festlegung von Mindestmengen in der Schweiz

                                                   Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)

                                                    Eidgenössisches Departement des Inneren (EDI)

Hochspezialisierte Medizin (HSM)                                  Kantonale Spitalplanung                             Kantonale Spitalplanung

                                                                      Spitalplanung
      Art. 39 Abs. 2bis KVG                                                                                                Indirekte MM
                                                                    Art. 39 Abs. 1 KVG

                                                                                                                          Zertifizierungen
    HSM Beschlussorgan                       GDK                            Kantone
                                                                                                können für die
                              Koordination         Empfehlungen                             Kantonale Spitalplanung      Erfüllung MM als
                                                                                             vorausgesetzt werden       Voraussetzung für
                                                                                                                          den Erhalt der
                                                                           MM                                              Zertifizierung
           MM HSM
                                                                    Leistungsgruppen

Quelle: Eigendarstellung

                                                                             7
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Das HSM-Beschlussorgan ist für die Bezeichnung                  4 HÖHE UND EBENE VON
der betroffenen Bereiche und für die Planung und
                                                                MINDESTMENGEN
Zuteilung der HSM verantwortlich. Die Entscheidun-
gen des Beschlussorgans sind für die ganze Schweiz
verbindlich. Das HSM-Beschlussorgan wird von der                4.1 DEUTSCHLAND
GDK-Plenarversammlung gewählt und von einem
Fachgremium (HSM-Fachorgan) beraten. Außerdem                   MM können grundsätzlich auf ein Krankenhaus,
werden fachbereichsspezifische Empfehlungen an                  die den Eingriff durchführende Person oder ein
das HSM-Fachorgan durch Begleitgruppen, die sich                Operationsteam bezogen werden. Ein Bezug zu
aus Delegierten medizinischer Fachgesellschaften                handelnden Personen macht insofern Sinn, als dass
zusammensetzen, abgegeben. Für die HSM gibt es                  nicht nur ein Krankenhaus aus Erfahrung lernen
somit nur eine von allen Kantonen gemeinsam                     kann, sondern vor allem auch das ausführende
getragene und verbindliche Planung.                             medizinische Personal. Laut § 17 der MM-Regelung
                                                                besteht in Deutschland die Möglichkeit, eine MM an
3.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                             die Person, die den Eingriff durchführt, zu knüpfen:
                                                                „Bezugspunkt einer Mindestmengenfestlegung ist
Deutschland reguliert national einheitlich über den             entweder der Arzt / die Ärztin oder der Standort
Leistungskatalog; Leistungserbringer und Kranken-               eines Krankenhauses oder eine Kombination von
kassen steuern den Prozess unter Beteiligung von                Arzt/Ärztin und Krankenhausstandort“ (G-BA, 2020a).
Patientenorganisationen. Die Stakeholder haben                  Hiervon wurde in Deutschland bisher allerdings
Antragsrechte.                                                  noch nicht Gebrauch gemacht. Dies hängt auch mit
                                                                gesetzlichen Regelungen im Bereich des Daten-
MM sind in der Schweiz im Gegensatz dazu nur in                 schutzes und mit mitbestimmungsrecht­lichen
wenigen Ausnahmefällen an den Leistungskatalog                  Regelungen zusammen. Sofern in diesen Bereichen
gebunden und national durch das EDI reguliert                   keine Anpassungen erfolgen, dürfte eine arztbezo-
(siehe Kapitel 5.2).                                            gene Regelung in Deutschland, anders als beispiels-
                                                                weise in Großbritannien oder den USA, kaum
In der Schweiz sind grundsätzlich die Kantone zu-               umsetzbar sein. Die aktuellen MM-Regelungen sind
ständig für die Zulassung der Krankenhäuser als                 nur an Krankenhäuser (pro Standort) gebunden.
Voraussetzung der Kostenübernahme durch die                     Allerdings wird aktuell auch über arztbezogene MM
OKP. Bei hochspezialisierten Behandlungen                       im Bereich der kathetergestützten Aortenklappen-
(HSM) besteht für die Kantone die gesetzliche Pflicht           implantation (TAVI) beraten (G-BA, 2020d). Tabelle 1
zu einer interkantonalen Zusammenarbeit: Bei                    zeigt die in Deutschland gültigen MM. Des Weiteren
HSM-Eingriffen werden die Anforderungen an die                  sind aktuell MM-Regelungen im Bereich Brust- und
Leistungs­erbringer für die ganze Schweiz festgelegt            Lungenkrebs sowie für Herztransplantationen in
und die Leistungsaufträge national vergeben. MM                 Planung (G-BA, 2018, 2019a). Die Festlegung der
spielen dabei eine wichtige Rolle.                              konkreten Höhe einer MM kann nicht über eine
                                                                Evidenzprüfung erfolgen. Ähnlich wie im Straßenver-
Bei nicht hochspezialisierten Behandlungen sind                 kehr eine Geschwindigkeitsbegrenzung festgelegt
die Kantone gemäß Gesetz frei, MM im Rahmen der                 wird, ohne dass man sagen kann, dass eine Begren-
kantonalen Krankenhausplanung und Vergabe der                   zung auf 51 km/h besser ist als auf 49 km/h, erfolgt
Leistungsaufträge vorzuschreiben. Die ursprünglich              die Festlegung der Höhe einer MM in Deutschland
im Kontext des Kantons Zürich erar­beiteten Kon-                als Setzung. Wie in der Schweiz (s. u.) sind die MM
zepte zu den MM wurden von den meisten Kanto-                   eher niedrig gewählt. Niedrige MM verschärfen aber
nen unverändert oder teilweise adaptiert über-                  das Problem der möglichen Indikationsausweitung,
nommen.                                                         da es vermehrt Kliniken gibt, die die MM knapp

                                                            8
Report von BARMER und Helsana 2021                                                                                                    Stationäre Mindestmengen

      verfehlen und somit einen Anreiz zu sonst nicht
      indizierter Leistungs­erbringung haben.

    Tabelle 1: Mindestmengen in Deutschland (seit 1. Januar 2018)

                          MM (pro Jahr)                                           Leistungsgruppen
                          Diskussion ohne konkrete Festlegung                     Koronarchirurgische Eingriffe
                      10 (ab 2023: 26)                                            Komplexe Eingriffe am Organ­                      Komplexe Eingriffe am
                                                                                  system Ösophagus (Speiseröhre)                    Organsystem Pankreas
                                                                                                                                    (Bauchspeicheldrüse)
                      14 (ab 2024: 25)                                            Versorgung von Früh- und Neugeborenen
                       20                                                         Lebertransplantation (inkl. Teilleber-Lebendspende)
                       25                                                         Nierentransplantation                     Stammzellentransplantation
                                                                                  (inkl. Lebendspende)
                          50                                                      Einsatz von Kniegelenks-Totalendoprothesen (Knie-TEP)

    Quelle: Regelungen des G-BA gemäß § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Kranken-
    häuser: MM-Regelung (G-BA 2020c, G-BA 2020d)

    Auch wenn MM nicht streng wissenschaftlich fest-                                                  Der Anteil an Fällen, für die es eine MM-Vorgabe
     gelegt werden können, können doch wissenschaftli-                                                gibt, stieg von 0.17 % im Jahr 2013 auf 0.89 % im
     che Analysen helfen, die Auswirkungen bestimmter                                                 Jahr 2019 (Abbildung 4).
     Festsetzungen anhand verfügbarer realer Daten zu
     überprüfen (Nimptsch & Mansky, 2017).                                                            In Bezug auf die Kosten machen die Eingriffe mit
                                                                                                      MM-Regelung einen etwas höheren Anteil aus. Hier
     Die allermeisten stationären Behandlungen an                                                     stieg der Anteil von 1.70 % im Jahr 2013 bis auf
     Krankenhäusern unterliegen keinen MM-Vorgaben.                                                   2.64 % im Jahr 2019 (Abbildung 5).

    Abbildung 4: Anzahl stationärer Fälle mit und ohne Mindestmengen (Deutschland)
                                        25

                                        20                   19.1          19.1                19.4               19.3               19.2          19.2
                                              18.8
Anzahl stationärer Fälle in Millionen

                                        15

                                        10

                                         5

                                        0.2                                        0.2                    0.2            0.2                0.2             0.2
                                        0.1            0.0          0.0
                                          0
                                                2013            2014          2015                 2016              2017               2018          2019

                                                                          Leistungen ohne MM                    Leistungen mit MM

    Quelle: vdek-Mindestmengenauswertung 2019, unveröffentlicht

                                                                                               9
Report von BARMER und Helsana 2021                                                                                                            Stationäre Mindestmengen

  Abbildung 5: Kosten von Leistungen mit und ohne Mindestmengen (Deutschland)
                      100
                                                                                                                                                                   94.1
                                                                                                                                             91.5
                                                                                                                        89.0
                                                                                                    85.7
                                                       79.8                 81.9
                        80        76.7

                        60
Kosten in Mrd. Euro

                        40

                        20

                                            1.3                 1.4                   2.4                       2.2              2.3                  2.4                   2.5
                         0
                                     2013                 2014                  2015                     2016              2017                  2018                 2019

                                                                          Leistungen ohne MM                          Leistungen mit MM

  Quelle: vdek-Mindestmengenauswertung 2019, unveröffentlicht

  4.2 SCHWEIZ

„Es gibt zwar klare wissenschaftliche Evidenz zur                                                          Bereits in der ersten Fassung der Spitalplanungs-
  Wirkung von Mindestfallzahlen für bestimmte                                                              systematik des Kantons Zürich vom 1. Januar 2012
  spezialisierte Behandlungen. Die richtige Mindest-                                                       waren für einzelne stationäre Eingriffe MM vor-
   fallzahl kann aber nicht wissenschaftlich hergeleitet                                                   gesehen. Bei der erstmaligen Vergabe von Leis-
   werden und muss auch auf die konkrete Versor-                                                           tungsaufträgen wurden die Fallzahlen der Vorjahre
  gungsrealität angepasst sein. Der Einbezug von                                                           berücksichtigt und Aufträge nur erteilt, wenn
  Fachexperten ist deshalb für die Herleitung der                                                          MM-Vorgaben erfüllt waren (oder die zukünftige
  Mindestfallzahlen und deren Akzeptanz entschei-                                                          Erfüllung plau­sibel dargelegt werden konnte).
  dend. Im Kanton Zürich haben wir dazu für alle                                                           Grundsätzlich wurden MM im internationalen
   medizinischen Fachbereiche Arbeitsgruppen mit                                                           Vergleich eher tief angesetzt (WIdO, 2017). Die
  Ärzten unterschiedlichster Krankenhäuser (Versor-                                                        ersten MM stellten eine minimale Schwelle dar, um
  gungsstufen, Trägerschaft) gebildet. Man muss viel                                                       Gelegenheitsoperationen einzudämmen. Höhere
 Zeit für den Diskurs aufwenden und Schritt für                                                            MM wurden in Bereichen wie der Thoraxchirurgie
  Schritt vorgehen. Im Kanton Zürich haben wir zu                                                          (30), der Viszeralchirurgie (50) und der Herzchirur-
  Beginn den Fokus auf die Vermeidung von Gelegen-                                                         gie (100) vorgeschrieben, da hierzu genügend
   heitsoperationen gelegt. Mit diesen Erfahrungen                                                         empirische Evidenz existierte. Auch diese MM
   haben wir das System weiterentwickelt. Heute                                                            wurden im internationalen Vergleich eher tief
   haben wir in einigen Bereichen bereits Mindestfall-                                                     angesetzt. Die meisten stationären Behandlungen
  zahlen pro Operateur.“                                                                                   unterliegen keinen MM-Vorgaben. Die Bereiche,
                                                                                                           in denen MM von der GDK empfohlen werden1,
  Dr. oec. Hansjörg Lehmann, aktuell CFO und                                                               machen jedoch einen immer größeren Anteil der
  stellvertretender CEO Kantonsspital Winterthur,                                                          Fälle aus (Abbildung 6).
 2008–2011 Leiter Krankenhausplanung sowie
 2012–2017 Leiter Geschäftsfeld Gesundheitsversor-
  gung der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich

  1                   Die Analysen der Schweizer Daten zu MM basieren im ganzen Report auf den Empfehlungen der GDK. Die Daten sind unabhängig davon, ob die einzelnen Kantone
                      tatsächlich MM festgelegt haben.

                                                                                                    10
Report von BARMER und Helsana 2021                                                                                                                                  Stationäre Mindestmengen

  Abbildung 6: Anzahl stationärer Fälle mit und ohne Mindestmengen sowie Fälle
  der hochspezialisierten Medizin (Schweiz)

                                        1.5
Anzahl stationärer Fälle in Millionen

                                                                                              1.18                     1.21                  1.20
                                                                       1.14                                                                                       1.17                 1.16
                                                1.11

                                        1.0

                                        0.5

                                                                                                                                                                         0.09                 0.09
                                                       0.04                   0.04                   0.04                     0.04                  0.04
                                                              0.00                   0.00                   0.00                     0.00                  0.00                 0.01                 0.01
                                         0
                                                     2013                   2014                   2015                     2016                   2017                  2018                 2019

                                                                 Leistungsgruppen ohne MM                              Leistungsgruppen mit MM                           HSM Leistungsgruppen

  Quelle: Medizinische Statistik BFS / Einkaufsgemeinschaft HSK, eigene Berechnungen

   Der Anteil der Fälle in Leistungsgruppen mit MM                                                                            den. Der Anstieg der Fälle und der Kosten von 2017
   stieg von 3.4 % im Jahr 2013 auf 7.2 % im Jahr 2019.                                                                       auf 2018 kann damit erklärt werden, dass 2018
  Ähnliche Trends zeigen die Leistungskosten: Im                                                                              zusätzliche Leistungsgruppen mit einer MM-Vorga-
  Vergleich zu den Fällen machen die Kosten der Leis-                                                                         be belegt wurden (gynäkologische Eingriffe, Ein­
    tungsgruppen mit MM aber einen höheren Anteil                                                                             griffe zu vaskulären Erkrankungen des zentralen
  aus (Abbildung 7). So umfassten diese gut 18 % aller                                                                        Nervensystems und Eingriffe am Bewegungsappa-
   Kosten im Jahr 2019. Dies deutet darauf hin, dass                                                                          rat wie Hüfte oder Knie).
   MM vor allem in teuren Bereichen angewendet wer-

  Abbildung 7: Kosten nach Leistungsgruppen mit und ohne Mindestmengen sowie
  von hochspezialisierten Leistungen (Schweiz)

                                        15

                                                                                            11.1                   11.5                     11.4
                                                                                                                                                                  10.7                 10.9
                                        10    10.3                   10.6
Kosten in Mrd. Euro

                                         5

                                                                                                                                                                         2.0                  1.9
                                                     1.3                    1.2                    1.1                      1.0                     1.0
                                                           0.1                    0.1                    0.3                      0.2                      0.3                  0.5                  0.5
                                         0
                                                 2013                   2014                   2015                       2016                 2017                  2018                     2019

                                                              Leistungsgruppen ohne MM                             Leistungsgruppen mit MM                               HSM Leistungsgruppen

  Quelle: Medizinische Statistik BFS / Einkaufsgemeinschaft HSK, eigene Berechnungen

                                                                                                                       11
Report von BARMER und Helsana 2021                                                           Stationäre Mindestmengen

Bei der Festlegung der MM nutzen die Kantone ihre                  Kantonen mit einer MM-Regelung wiesen 20 Leis-
Autonomie, um die Höhe an kantonale Gegeben-                       tungsgruppen die gleiche MM auf (Tabelle 2). Die
heiten anzupassen oder diese ganz wegzulassen.                     Geburtshilfe ist in einigen Kantonen mit einer
Sechs der 26 Kantone sehen keine MM vor (Zug,                      „Zielgröße“ verknüpft. Da es sich hierbei nicht um
Graubünden, Obwalden, Nidwalden, Tessin, Waadt),                   MM im eigentlichen Sinne handelt, wurde diese Leis-
drei weitere Kantone (Genf, Jura, Appenzell Inner-                 tungsgruppe aus unserer Analyse ausgeschlossen.
rhoden) gaben auf Anfrage keine Auskunft. Bei allen

Tabelle 2: Einheitliche Mindestmengen in der Schweiz (2018)

 MM (pro Jahr)         Leistungsgruppen
          10           •   Periphere Gefäßchirurgie
                       •   Gefäßchirurgie Carotis
                       •   Carotis und extrakranielle Gefäße
                       •   Kongenitale Gefäßchirurgie
                       •   Interventionelle Kardiologie
                       •   Blutstammzelltransplantation
                       •   Neuro­chirurgie
                       •   Epileptologie; Diagnostik
                       •   Epileptologie; Behandlung
                       •   Wirbelsäulen-chirurgie
                       •   Plexus-Chirurgie
                       •   Chirurgie der Niere
                       •   Chemotherapie Lymphome und Leukämien
                       •   Radikale Prostatektomie
                       •   Radikale Zystektomie
                       •   Knochen­tumore
                       •   Dermatologi­sche Onkologie
          20           Intraabdominale Gefäße
          25           Bariatrische Chirurgie*
          30          Thoraxchirurgie
        100            Koronarchirurgie

* Siehe Kapitel 5.2: MM für Zertifikate und Zentren.
Quelle: eigene Darstellung

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Die größten Unterschiede zwischen den Kantonen                                              festgelegt. Weshalb einzelne Kantone abweichende
hinsichtlich der MM bestehen in Leistungskatego-                                            MM festlegen, ist nicht bekannt. Es lassen sich
rien wie Schild- und Nebenschilddrüsenonkologie,                                            keine Assoziationen zur Größe der Kantone,
Hüft- und Knieprothesen und Mammatumoren                                                    Sprachregion oder Urbanität erkennen. Sicherlich
(Tabelle 3). Alle in dieser Tabelle nicht aufgelisteten                                     spielen bei den Unterschieden regionalpolitische
Kantone haben in diesen Bereichen keine MM                                                  Faktoren eine Rolle.

Tabelle 3: Kantonale Unterschiede der Mindestmengen in der Schweiz,
geordnet nach absteigender Einwohnerzahl2 (2018)

    Kantone                             Zürich                Bern              Aargau             St. Gallen           Basel-Stadt            Appenzell
                                                                                                                                            Ausserrhoden
    Einwohnerzahl                     1 504 346           1 031 126             670 988               504 686              193 908                55 178
    Schild- und Neben-                           10                  10                    10                    –                 10                   10
    schilddrüsen-
    onkologie
    Erstprothese Hüfte                           50                  20                    50                  50                   50                  10
    Erstprothese Knie                            50                  20                    50                  50                   50                  10
    Neoplasien                                 100*                  20                    30               100*                 100*                   10
    Mamma
    Gynäkologische                               20                  20                    20                 20                   20                   10
    Tumore

* Änderung der Leistungsgruppe GYN2 „Maligne Neoplasien der Mamma“ in „anerkanntes zertifiziertes Brustzentrum“:
SMOB, Krebsliga und SGS. Siehe auch Kapitel 5.
Quelle: Daten der kantonalen Gesundheitsdirektionen, eigene Darstellung

Im Bereich der hochspezialisierten Medizin gelten                                           fallen ebenfalls in diesen Bereich. Diese Disziplinen
national einheitliche MM (Tabelle 4). Das HSM-Be-                                           sind auf wenige Transplantationszentren konzent-
schlussorgan legt als Grundlage für die Vergabe                                             riert, deren Ergebnisqualität durch die Swiss
von Leistungsaufträgen an Krankenhäuser MM-Fall-                                            Transplant Cohort Study (STCS)3 überwacht wird.
zahlen pro Bereich fest und überprüft diese                                                 Da die Fallzahl der Organtransplantationen von der
periodisch (Art. 3 Abs. 4 IVHSM). Zurzeit werden                                            Verfügbarkeit der Spenderorgane abhängt, wird
Grundlagen für weitere HSM-Bereiche ausgearbei-                                             bei der Vergabe von Leistungsaufträgen in diesem
tet (Tabelle 4; GDK, 2020a). Organtransplantationen                                         Bereich auf eine Festsetzung von MM verzichtet.

2    Im Unterschied zu Tabelle 2 zeigt diese Tabelle 3 Leistungsgruppen, bei denen MM kantonal unterschiedlich hoch festgelegt wurden.
3    Jedes Transplantationszentrum hat speziell geschulte Datenmanager eingestellt, die zusammen mit den behandelnden Ärzten und Transplantationskoordinatoren
     die nötigen Daten erheben und den Follow-up der Patienten sicherstellen. Die Studie wurde vom Schweizer National-Fonds bewilligt und unterstützt.

                                                                                      13
Report von BARMER und Helsana 2021                                                   Stationäre Mindestmengen

Tabelle 4: Mindestmengen der hochspezialisierten Medizin in der Schweiz (2018)

 Leistung                                          MM                            Bemerkung
 Allogene hämatopoetische Stammzelltransplan-          10
 tationen bei Erwachsenen
 Behandlung von Schwerverletzten                   250        Schockraumbetreuung
                                                       40     Schwerverletzte (ISS ≥ 20, AIS-Head ≥ 3)
 Komplexe Behandlung von Hirnschlägen              400        Schlaganfallpatienten
                                                       40     komplexe hochspezialisierte Behandlungen
                                                              von Hirnschlägen
 Komplexe hochspezialisierte Viszeralchirurgie
 Ösophagusresektion                                    12
 Leberresektion                                        12
 Pankreasresektion                                     12
 Tiefe Rektumresektion                                 25
 Komplexe bariatrische Chirurgie                       25
                                                       10     Übergangsregelung für provisorische
                                                              Leistungsaufträge
 HSM-Bereiche in Planung
 Komplexe Neurochirurgie und Neuroradiologie
 Cochlea-Implantation
 Komplexe hochspezialisierte Viszeralchirurgie
 Hochspezialisierte Pädiatrie
 Kinderchirurgie
 Hochspezialisierte pädiatrische Onkologie
 Herzunterstützungssysteme
 Komplexe Behandlungen in der Urologie

Quelle: Daten der GDK, eigene Darstellung

Im Jahr 2019 führte der Kanton Zürich neu MM pro            sowie Wechselprothesen Knie und Hüfte (50).
Operateur/Operateurin für folgende Bereiche ein:            Mittlerweile ist der Kanton Basel-Stadt mit den
radikale Prostatektomie (10), gynäkologische                gleichen MM pro Operateur/Operateurin gefolgt.
Tumore (20), Erstprothesen Knie und Hüfte (15)

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4.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                             besteht darin, dass Deutschland zur Verschlüsse-
                                                                lung von Eingriffen die Operationen- und Proze­
Tabelle 5 zeigt einen Vergleich der MM. Ein direkter            duren-Schlüssel in der jeweils aktuellen Version
Vergleich setzt voraus, dass die zu den Eingriffen              (OPS-Codes) verwendet; die Schweiz hingegen hat
gehörenden Leistungen in beiden Ländern auch                    mit der Schweizerischen Operationsklassifikation
wirklich vergleichbar sind. Um dies zu überprüfen,              (CHOP) einen eigenen Prozedurenkatalog etabliert,
ist ein Abgleich der Einzelleistungen anhand der                der zwar wegen der Einführung von SwissDRG 2012
verwendeten Verschlüsselungscodes und deren                     in weiten Teilen aus dem OPS-Katalog transcodiert,
Beschreibung erforderlich. Eine Schwierigkeit                   aber dann selbstständig weiterentwickelt wurde.

Tabelle 5: Mindestmengen-Gegenüberstellung Deutschland und Schweiz,
nach Körperteil/Organ

 Körperteil/       DE: Leistungsgruppe                 MM       CH: Leistungsgruppe               MM
 Organ
 Knie              Einsatz von Kniegelenks-Total-      50       Erstprothese Knie                 kantonale
                  endoprothesen (Knie-TEP)                                                        Unterschiede:
                                                                                                  0–50
 Ösophagus         Komplexe Eingriffe am               10       Ösophagusresektion               12 (HSM)
                   Organsystem Ösophagus
 Leber             Lebertransplantation (inkl.         20       Lebertransplantation              keine (HSM)
                  Teilleber-Lebendspende)                       Leberresektion                   12 (HSM)
 Niere             Nierentransplantation               25       Nierentransplantation             keine (HSM)
                   (inkl. Lebendspende)                         Chirurgie der Niere              10
 Pankreas          Komplexe Eingriffe am               10       Pankreasresektion                12 (HSM)
 (Bauchspei-       Organsystem Pankreas
 cheldrüse)
 Stammzellen      Stammzellentransplantation           25       allogene Blutstammzelltrans-     10 (HSM)
                                                                plantation bei Erwachsenen
                                                                autologe Blutstammzelltrans-     10
                                                                plantation

Quelle: eigene Darstellung

Am Beispiel der MM für Kniegelenkersatz wird                    Deutschland nicht zwingend der Fall. In ähnlicher
deutlich, dass ein Vergleich der beiden MM nicht                Weise sind auch andere in beiden Ländern vorhan-
ohne Weiteres möglich ist (Tabelle 5). In Deutsch-              dene MM (Stammzelltransplantation, komplexe
land fallen nur Totalendoprothesen unter die MM.                Eingriffe am Organsystem Ösophagus oder an der
In der Schweiz wird explizit die Erstimplantation               Pankreas) nicht deckungsgleich. Die Bereiche der in
vom Wechsel unterschieden. Für den Endopro­                     Deutschland und der Schweiz ungefähr vergleich-
thesenwechsel gibt es in der Schweiz eine eigene                baren MM in Tabelle 5 decken v.a. hochspezialisier-
MM. Während also in der Schweiz nur Erstimplan­                 te Behandlungen ab. Diese Behandlungen sind in
tationen von der MM erfasst werden, ist dies in                 der Schweiz ausnahmsweise interkantonal reguliert

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(vgl. Kapitel 4.2). Die 20 Bereiche der einheitlichen            Der Markt der Zertifizierungen ist sowohl in
MM der kantonalen Planungen hingegen finden                      Deutschland als auch in der Schweiz nicht transpa-
keine Entsprechung im deutschen System, mit                      rent und stellt aktuell keine Alternative zur Festle-
Ausnahme der Knie-TEP.                                           gung von Mindestmengen dar. Eine aktuelle Über-
                                                                 sicht über die im jeweiligen Gesundheitswesen
Während in Deutschland eine nationale Institution                relevanten Zertifikate ist derzeit nicht verfügbar.
die MM-Vorgaben festlegt und verwaltet, liegt diese              Der G-BA hat 2019 das Institut für Qualitätssiche-
Aufgabe in der Schweiz im Rahmen der Kranken-                    rung und Transparenz im Gesundheitswesen
hausplanung in der Autonomie der Kantone, was                    (IQTIG) mit einer „Bestandsaufnahme von Zertifika-
den Überblick erschwert. Unsere Recherchen                       ten und Qualitätssiegeln, die in der ambulanten
ergaben, dass sich die meisten Kantone bei ihrer                 und stationären Versorgung verbreitet sind, sowie
Krankenhausplanung auf die Empfehlungen der                      deren Kategorisierung nach Zielen und Inhalten“
GDK stützen. In Deutschland haben die Bundeslän-                 beauftragt (G-BA, 2019b), um mehr Transparenz zu
der die Möglichkeit, die Wirkung der MM über                     schaffen. Da es derzeit weder in Deutschland noch
Ausnahmeregelungen für einzelne Kliniken auszu-                  in der Schweiz eine Stelle gibt, welche die Vorgaben
setzen. Analysen zeigen, dass solche „Ausnahmere-                in einer Übersicht sammelt, ist ein Ländervergleich
gelungen“ zu häufig vereinbart werden, so dass die               schwierig.
Ausnahmen vielfach keine Ausnahmen mehr sind.
                                                                 Diese Zertifizierungen beruhen größtenteils auf
Die überwiegende Mehrheit der stationären Be-                    freiwilliger Basis. Im Rahmen von Zertifizierungen
handlungen unterliegt in beiden Ländern keinen                   sind oft – aber keineswegs immer – auch MM
Vorgaben hinsichtlich MM. In beiden Ländern                      nachzuweisen. Da hier nur einige Beispiele darge-
werden eher teure Behandlungen mit MM belegt.                    stellt werden können, wurden solche ausgewählt,
Der Anteil Fälle mit Vorgaben liegt in Deutschland               zu denen es in beiden Ländern Zertifizierungen gibt.
stabil unter 1 %, die Kosten betragen rund 2.5 %
(2018). Hingegen zeigt sich in der Schweiz ein                   5.1 DEUTSCHLAND
steigender Anteil der Behandlungen, bei denen
kantonale und interkantonale (HSM) MM gelten:                    Außerhalb der gesetzlichen MM gibt es weitere und
2019 betraf dies bereits über 7 % der Fälle bzw.                 zum Teil höhere MM über Vorgaben für Zentren
18 % der Kosten für stationäre Behandlungen.                     und Zertifizierungen. Im Gegensatz zu den über die
                                                                 MM-Richtlinie festgelegten Fallzahlen, die einzuhal-
                                                                 ten sind, sind Zertifizierungen und Zentrenbildung
5 MINDESTMENGEN FÜR                                              freiwillig. Nur Einrichtungen, die das Zertifikat
                                                                 führen oder als Zentrum an der Versorgung
ZERTIFIKATE UND ZENTREN
                                                                 teilnehmen wollen, müssen die vorgegebenen
                                                                 Fallzahlen erbringen.
Zertifizierungen als Qualitätsinstrument dienen
dem Nachweis, dass Grundvoraussetzungen von                      In Deutschland werden die meisten Zertifikate von
Strukturen, Prozessen und Ergebnissen der Leis-                  der deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zusammen
tungserbringung erfüllt sind. Zertifizierungen sind              mit der Deutschen Krebshilfe vergeben. In einem
keineswegs eine Garantie für Qualität, lassen aber               Dreistufenmodell werden Organkrebszentren, on-
gleichwohl eine Aussage darüber zu, wie gut die                  kologische Zentren und onkologische Spitzenzent-
Voraussetzungen sind, um gute Qualität zu erbrin-                ren ausgewiesen. Voraussetzung für die Zertifizie-
gen. Aus diesem Grund werden Zertifizierungen als                rung sind die jeweils vorgegebenen MM, die unter-
Instrumente herangezogen, um Qualität im Ge-                     schiedlich sind und auf der Website von OnkoZert
sundheitswesen zu gewährleisten.                                 eingesehen werden können (OnkoZert, 2018).

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Ein weiteres Beispiel ist die Adipositaschirurgie.              Schlaganfall- sowie Lungenzentren und – bisher
Eine Anerkennung als Zentrum für Adipositas-                    nicht näher bezeich­nete – „sonstige ausgewiesene
und metabolische Chirurgie ist über die Deutsche                Zentren“ geplant.
Gesellschaft für Allgemein- und Viszeral-Chirurgie
möglich. Hierbei werden Kompetenz-, Referenz-                   5.2 SCHWEIZ
und Exzellenzzentrum unterschieden und mit
MM von 50, 100 und 200 Eingriffen verknüpft.                    MM sind in der Schweiz im Gegensatz zu Deutsch-
Es werden auch MM pro Operateur/Operateurin                     land nur in wenigen Ausnahmefällen an den Leis-
verlangt, deren Höhe von der Facharztqualifikation              tungskatalog gebunden (siehe Ausführungen in
abhängt. Bei Allgemeinchirurginnen und -chirurgen               Kapitel 3.2). Zertifikate können dabei eine wichtige
ohne die Teilgebietsbezeichnung Viszeralchirurgie               Rolle spielen: Leistungen werden beispielsweise nur
oder die Zusatzweiterbildung spezielle Viszeralchir-            dann aus der OKP vergütet, wenn der Leistungser-
urgie ist eine fünfjährige Tätigkeit im Bereich der             bringer über ein bestimmtes Zertifikat verfügt.
Adipositas-Chirurgie und die persönliche Durchfüh-
rung von mindestens 100 Adipositas-chirurgischen                Auch in der Schweiz werden im Bereich Onkologie
Eingriffen Voraussetzung (§ 61) (DGAV, 2016).                   Zertifikate vergeben, und zwar von der Krebsliga
                                                                Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft für
In Deutschland gibt es die Besonderheit eines                   Senologie (SGS). Das Zertifikat für Brustkrebs ver-
Zentrumszuschlags für Zentren im entgeltrechtli-                langt neben weiteren Qualitätskriterien eine MM
chen Sinne gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 und § 5                  von 100. Drei Kantone (Zürich, St. Gallen, Basel-
Abs. 3 KHEntgG. Da bisher der Begriff „Zentrum“                 Stadt) verlangen, dass die Krankenhäuser ein
im deutschen Gesundheitswesen nicht einheitlich                 Zertifikat vorweisen, um auf die Krankenhausliste
definiert ist, kann nicht automatisch davon ausge-              gesetzt zu werden.
gangen werden, dass für alle Einrichtungen, die sich
als „Zentrum“ bezeichnen, dieselben Voraussetzun-               MM spielen in der Schweiz auch bei der bariatri-
gen oder Qualitätsstandards gelten. Im Dezember                 schen Chirurgie eine Rolle: Die Swiss Society for the
2019 hat der G-BA deshalb einen Beschluss zu                    Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders
einheitlichen Vorgaben getroffen, die Krankenhäu-               (SMOB) wurde vom Bundesamt für Gesundheit
ser erfüllen müssen, um einen Zentrumszuschlag                  (BAG) im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für
bei der Vergütung von Leistungen durch die                      die definitive Kostenübernahme der bariatrischen
Krankenkassen zu erhalten. Seit Januar 2020 gelten              Chirurgie durch die OKP beauftragt, Richtlinien zur
die Regelungen des G-BA zur Konkretisierung der                 Behandlung von Adipositas auszuarbeiten. Diese
besonderen Aufgaben von Zentren und Schwer-                     sind seit 2011 im Leistungskatalog der OKP in
punkten gemäß § 136c Absatz 5 SGB V (Zentrums-                  Anhang 1 KLV (Krankenpflege-Leistungsverordnung)
Regelungen, G-BA, 2020a) für die folgenden                      verankert. Zudem erstellt und aktualisiert die SMOB
Bereiche: seltene Erkrankungen, Onkologie, Trauma,              auf nationaler Ebene eine Liste von Zentren der
Rheumatologie, Herzerkrankungen, Schlaganfall-                  bariatrischen Chirurgie, die gemäß den Richtlinien
zentren, Lungenzentren und (befristet bis zum                   der SMOB anerkannt sind. Dabei wird zwischen
31.12.2021) intensivmedizinische digital-gestützte              Primär- und Referenzzentren unterschieden: Basis-
Versorgungsnetzwerke (IDV-Zentren). Für diese                   Eingriffe können an bariatrischen Primärzentren
Zentren wurden im entgeltrechtlichen Sinne unter                durchgeführt werden, während komplexe und
anderem auch Fallzahlen festgelegt, die ein Kran-               Wiederholungseingriffe sowie Eingriffe in Evaluation
kenhaus mindestens erreichen muss. Im Laufe des                 nur in Referenzzentren durchgeführt werden
Jahres 2020 wurden die Regelungen auf weitere                   können (SMOB, 2018). Um die SMOB-Anforderun-
Bereiche ausgeweitet. Entsprechende Regelungen                  gen zu erfüllen, muss ein Primärzentrum pro Jahr
sind für nephrologische, kinderonkologische,                    25 Eingriffe, ein Referenzzentrum 50 Eingriffe in der

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bariatrischen Chirurgie nachweisen. Die Einhaltung                entscheiden prospektiv (bis zum 07. Oktober eines
der Richtlinien der SMOB sind eine Voraussetzung                  Jahres) über die Zuteilung einer MM-Leistung im
für die Kostenübernahme aus der OKP. Allerdings                   Folgejahr (Verwaltungsakt).
besteht für nicht als Zentrum anerkannte Leistungs-
erbringer die Möglichkeit, im Einzelfall eine Kosten-             Vor Inkrafttreten der neuen MM-Regelung wurden
gutsprache bei dem Vertrauensarzt / der Vertrau-                  die Daten zu den erbrachten Leistungsmengen
ensärztin der Krankenversicherung zu beantragen.                  retrospektiv veröffentlicht (keine Prognose für die
Damit die Kostenübernahme durch die OKP für                       Zukunft), so dass in der Regel Leistungen bereits von
bariatrische Eingriffe gewährleistet ist, muss ein                den Krankenkassen vergütet worden waren, auch
Krankenhaus vom SMOB als Primärzentrum                            wenn die MM nicht erfüllt waren. Eine nachträgliche
anerkannt sein; dieses setzt die Erreichung der                   Sanktionierung war kaum möglich und es gab viele
zuvor erwähnten MM voraus. Weitere Vorausset-                     juristische Auseinandersetzungen (Hemschemeier
zungen für die Kostenübernahme aus der OKP sind                   et al., 2019). Analysen haben gezeigt, dass die
die Aufnahme des Krankenhauses auf die kantonale                  Einhaltung der MM mit den alten Regelungen nicht
Spitalliste und die Erteilung eines Leistungsauftrags.            gewährleistet war (Peschke et al., 2014).

5.3 Vergleich Deutschland – Schweiz                               MM, die vorher Teil der Budgetverhandlungen
                                                                  zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkas-
Der Markt der Zertifizierungen ist sowohl in                      sen nach § 136 (4) SGB V waren, werden nun von der
Deutschland als auch in der Schweiz nicht transpa-                übergeordneten Ebene der Landesverbände der
rent. Ein Überblick über die im jeweiligen Gesund-                Krankenkassen betrachtet.
heitswesen relevanten Zertifikate ist nicht verfügbar,
weshalb ein Ländervergleich schwierig ist. Die                    Durch die Einführung der prospektiven Betrachtung
aufgeführten Beispiele zeigen jedoch den Einfluss                 der erbrachten MM-Leistungen in der neuen MM-
und die Rolle nicht-staatlicher Organisationen,                   Regelung kommt es nun zu einer verstärkten Zu-
wie beispielsweise von Fachgesellschaften oder                    sammenarbeit der gesetzlichen Krankenkassen.
gemein­nützigen Organisationen, auf MM als                        Die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkas-
Maßnahmen der Qualitätssicherung im Gesund-                       sen (Verband der Ersatzkassen [vdek], Allgemeine
heitswesen. MM im Rahmen von Zertifizierungen                     Ortskrankenkassen [AOK], Betriebskrankenkassen
spielen darüber hinaus sowohl in Deutschland wie                  [BKK], Innungskrankenkassen [IKK], Knappschaft,
auch in der Schweiz eine Rolle im Hinblick auf die                Landwirtschaftliche Krankenkasse [LKK] stimmen
Leistungsvergütung aus der Krankenversicherung.                   sich untereinander ab und überprüfen und entschei-
                                                                  den darüber, ob die jeweilige Leistung erbracht
                                                                  werden darf und finanziert wird.
6 UMSETZUNG UND
                                                                  Der Kabinettsentwurf des GVWG stellt durch eine
EIN­HALTUNG DER
                                                                  entsprechende Verankerung im SGB V klar, dass die
MINDESTMENGEN                                                     Landesverbände ab 2023 verpflichtet sind, die Rich­
                                                                  tigkeit der Prognose, die die Krankenhäuser hinsicht-
6.1 DEUTSCHLAND                                                   lich ihrer Leistungsmengen abgegeben haben, zu
                                                                  prüfen. Die Landesverbände der KK und die Ersatz-
Zum 1. Januar 2018 sind in Deutschland neue                       kassen müssen gemeinsam und einheitlich entschei-
MM-Regelungen in Kraft getreten, nach denen                       den und die Landesbehörden über die Zulässigkeit
Krankenhäuser Leistungen nur dann erbringen                       der Leistungserbringung oder das Leistungsverbot
dürfen und finanziert bekommen, wenn sie in den                   infolge der MM-Regelung informieren, um einen
festgelegten Bereichen die jeweilige MM erreicht                  Einbezug in die Krankenhausplanung zu ermögli-
haben. Die Landesverbände der Krankenkassen                       chen (Bundesministerium für Gesundheit, 2020).

                                                             18
Report von BARMER und Helsana 2021                                                       Stationäre Mindestmengen

Für Deutschland sieht der § 136 des SGB V derzeit               Eine Ausnahme, die vom GVWG nicht abgeschafft
noch verschiedene Ausnahmeregelungen vor, mit                   wird, stellt die Neueinführung einer MM dar. Hier
denen die MM-Regelung für einzelne Akteure                      müssen die Krankenhäuser in den ersten zwölf Mo-
ausgesetzt werden darf.                                         naten der Leistungserbringung nur die Hälfte der
                                                                durch die MM festgelegten Fallzahl vorweisen
Den jeweiligen Landesregierungen der 16 Bundes-                 (§ 7 Mm-R). Wenn das Krankenhaus die Hälfte
länder ist es vorbehalten, eigene Sondergenehmi-                der zu erbringenden MM innerhalb der ersten
gungen für Krankenhäuser, welche unterhalb der                  zwölf Monate nicht schafft, setzt ab dem 13. Monat
erforderlichen MM liegen, zu erteilen. Der Ausnah-              ein Leistungserbringungsverbot ein. Bei positiver Bi-
metatbestand nach § 136b Abs. 5 SGB V sieht vor,                lanz beginnt mit dem 13. Monat das erste Jahr, in
dass die Bundesländer auch Kliniken zur Leistungs-              dem die volle Höhe gilt. Zum 15. des „25. Monats“
erbringung zulassen können, um eine flächende-                  der Leistungserbringung muss das Krankenhaus
ckende Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.              die erste Prognose übermitteln, danach regulär
                                                                zum 07. August.
Laut Gesetzestext besteht zudem die Möglichkeit,
eine Ausnahmeregelung durch den Nachweis einer                  Wenn einem Krankenhaus die Vergütung einer
hohen Qualität (§ 136b Abs. 3 S. 1 SGB V) zu                    Leistung wegen Nichteinhaltung versagt wird, kann
begründen. Der G-BA soll bei den MM-Festlegung                  ein Krankenhaus nach einer mindestens 24-mona­
nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Ausnahmetatbe-                    tigen Unterbrechung erneut einen Antrag stellen.
stände und Übergangsregelungen vorsehen, um                     Hierbei muss das Krankenhaus eine Begründung
unbillige Härten insbesondere bei nachgewiesener                dafür geben, warum es annimmt, die MM nun
hoher Qualität unterhalb der festgelegten MM zu                 erreichen zu können. Inwieweit diese Vorgaben zu
vermeiden. Da die MM in Deutschland im europäi-                 einer zu­künftigen Einhaltung der MM beitragen, ist
schen Vergleich aber niedrig sind, wird eine Ausnah-            derzeit noch unklar.
me durch „Nachweis hoher Qualität“ zurzeit nicht
bewilligt. Der G-BA begründet dies damit, dass                  Die Anzahl der Krankenhäuser, die bisher in
eine hohe Qualität bei so niedrigen Fallzahlen aus              einzelnen Leistungsbereichen die MM nicht errei-
statistischen Gründen nicht nachzuweisen ist. Daher             chen, ist sehr unterschiedlich und liegt zwischen
gibt es auch keine Vorgabe, wie eine hohe Qualität              12 % und 54 %. Tabelle 6 zeigt die Einhaltung der
überhaupt nachgewiesen werden soll.                             MM im Jahr 2018 pro Leistungsgruppe nach
                                                                Krankenhäusern. Die Anzahl der außerhalb der
Mit dem GVWG, das aktuell als Kabinettsentwurf                  MM-Regelung erbrachten Fälle ist deutlich geringer
vorliegt, sollen diese Ausnahmeregelungen abge-                 und liegt je nach Eingriff zwischen 2 % und 15 %
schafft werden. In der Abwägung zwischen Erwerbs­               (Tabelle 7).
interessen der Krankenhäuser und dem Patienten-
schutz soll Letzterer Vorrang haben; „unbillige
Härten“ für Kliniken begründen dann keine Ausnah-
men mehr. Die Ausnahmeregelung für die Landes-
regierungen der Bundesländer (siehe oben) wird
ebenfalls abgeschafft (Bundesministerium für
Gesundheit, 2020).

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