Systeme und Instrumente der Firmennachhaltigkeitsbewertung: Eine kritische Bestandsaufnahme mit Fokus auf KMU - CCRS
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Systeme und Instrumente der Firmennachhaltigkeitsbewertung: Eine kritische Bestandsaufnahme mit Fokus auf KMU CCRS Working Paper Series Working Paper No. 01/2020 Dr. Isabelle Schluep Zürich, Mai 2020 1
Abstract Das vorliegende Arbeitspapier umfasst eine kritische Auslegeordnung existierender Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente zur Erfassung und Bewertung der Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) sowie die Unternehmensführung (Governance) (sogenannte ESG-Kriterien) bei Firmen. Dabei soll insbesondere untersucht werden, inwieweit diese Instrumente eine Mess- und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistung innerhalb der jeweiligen Industrie ermöglichen, und ob sie auch für KMU geeignet sein könnten. Zu diesem Zweck wird ein Kriterienkatalog erstellt, der es erlaubt, diese Systeme aufgrund ihrer Praktikabilität wie auch ihrer Mess- und Vergleichbarkeit zu bewerten. Dabei fokussiert sich die kritische Bestandsaufnahme primär auf Nachhaltigkeitsbewertungssysteme in Deutschland, Österreich und in der Schweiz (DACH-Region). Bewertungssysteme ausserhalb der Fokusregion, die entweder international eine starke Verbreitung gefunden haben oder innovative neuere Ansätze repräsentieren, welche zu mehr Praktikabilität und Genauigkeit der ESG-Bewertung führen könnten, werden ebenfalls berücksichtigt. In der kritischen Bestandsaufnahme werden schrittweise diejenigen Bewertungsinstrumente identifiziert und genauer untersucht, welche auch auf KMU Bedürfnisse ausgerichtet sind und entsprechend genutzt werden. Diese werden dann anhand eines aus der Literatur abgeleiteten Kriterienkatalogs auf ihre Vor- und Nachteile geprüft. Weiter geht der Bericht auf Kreditratings ein und zeigt auf, inwiefern diese Nachhaltigkeitsaspekte einschliessen. Die Analyse zeigt, dass es zwar eine breite Palette von Instrumenten für KMU gibt, diese jedoch meistens proprietär sind und somit die Mess- und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistung erschweren. Der proprietäre Charakter begünstigt auch nicht unbedingt Kriterien wie Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Messbarkeit, Repräsentativität, Reliabilität, sowie Ausgewogenheit der Gewichtung der Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Ausserdem vermindert der Zeit- und Kostenaufwand sowie die fehlende Mess- und Vergleichbarkeit den Anreiz für KMU, solche Bewertungssysteme zu nutzen. Die vorliegende Bestandsaufnahme kommt daher zur Erkenntnis, dass die Unübersichtlichkeit der mehrheitlich privat bereit gestellten Bewertungssysteme auf ein gewisses Marktversagen hindeutet. Dieses könnte behoben werden, indem eine praktikable, flexible, offen zugängliche und transparente Bewertungsplattform geschaffen würde. Diese würde ergänzend zu den bestehenden Instrumenten eine konkrete Mess- und Vergleichbarkeit innerhalb der jeweiligen Industrie und Region (unter Berücksichtigung der regionalen/nationalen Regulierung und Ziele im Bereich Nachhaltigkeit) ermöglichen. Diese sollte in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, den bereits existierenden Anbietern von ESG-Bewertungen und dem öffentlichen Sektor erarbeitet werden und als eine Art externe Validierung von privaten und unternehmensinternen Bewertungsinstrumenten dienen. Keywords: KMU, ESG, Nachhaltigkeitsbewertung, Rating, Instrumente 2
ZUSAMMENFASSUNG Für die Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele braucht es mehr Investitionen in nachhaltiges Wachstum. Während die EU auf neue gesetzliche Grundlagen setzt, um das Finanzsystem so umzugestalten, dass mehr private und öffentliche Mittel in nachhaltige Investitionen fliessen, setzt die Schweiz auf freiwillige Massnahmen. Dabei sollen nicht nur Grosskonzerne der Nachhaltigkeit vermehrt Rechnung tragen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Obwohl diese den grössten Bedarf an Unternehmenskrediten (80 Prozent) haben, spielen Nachhaltigkeitskriterien, also die nicht-finanzielle Leistung der KMU, beim Kreditvergabeprozess noch kaum eine Rolle. Mit ein Grund dafür könnte der Mangel an Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumenten sein, die aussagekräftig, geeignet und praktikabel sind für KMU. Die Covid-19 Krise könnte der Forderung nach einer solchen Nachhaltigkeitsbewertung beim Kreditvergabeprozess Vorschub leisten, wobei die sozialen Indikatoren zusätzliches Gewicht erhalten könnten1. Das vorliegende Working Paper untersucht unter anderem, wie KMU in ihrem Nachhaltigkeitsmanagement, der Messung und dem Vergleich der Nachhaltigkeitsleistung mit bestehenden und künftigen Nachhaltigkeitsinstrumenten unterstützt werden können, damit sie auch in Zukunft finanziell erfolgreich bleiben/werden. Denn mittel- und langfristig ist es sinnvoll nicht nur finanzielle, sondern auch nicht-finanzielle Indikatoren im Umwelt-, Sozial- und Gouvernanzbereich (englisch: Environmental Social Governance, kurz ESG) in einer umfassenden Bewertung der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens mit zu berücksichtigen. Zudem wächst der Druck, nicht nur die Ressourceneffizienz eines KMU im Inland, sondern den gesamten Fussabdruck entlang der Wertschöpfungskette in Anlage- und Kreditentscheide wie auch beim öffentlichen Beschaffungswesen zu berücksichtigen. Ausserdem erwarten immer mehr wichtige KMU-Kunden sowie KMU-Mitarbeitende, dass ESG-Kriterien gemessen und bewertet werden. Allerdings haben KMU beschränkte zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Mit anderen Worten, eine Nachhaltigkeitsbewertung muss für sie praktikabel und zugleich aussagekräftig sein, um unternehmensrelevant zu werden. Denn, wenn das genutzte Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument nur beschränkt Anerkennung findet unter den für das KMU relevanten Anspruchsgruppen, dann lohnt sich der Aufwand kaum. 1 In der Schweiz rechnet die Expertengruppe des Bundes damit, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz im Jahr 2020 um 6.7 Prozent zurückgehen wird. Das wäre der grösste Einbruch des BIP seit der Erdölkrise in den 1970er Jahren. Der Schweizer Gewerbeverein (Association suisse des arts et métiers) fordert deshalb weitere Unterstützung KMU. Unter anderem sollen Aufträge des Bundes, der Kantone und der Gemeinden bis und mit im Jahr 2022 nur an nachhaltig arbeitende Schweizer KMU vergeben werden. Dafür gibt es eine gesetzliche Basis. Das 2019 verabschiedete revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen orientiert sich nicht mehr nur an der Wirtschaftlichkeit, sondern neu an sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. Allerdings gibt es keine Angaben dazu, wie Schweizer KMU im konkreten Fall des öffentlichen Beschaffungswesens Nachhaltigkeitsziele auf praktikable Weise in ihre Unternehmensentscheide einbauen können und die daraus entstehenden Nachhaltigkeitsleistungen anschliessend gegenüber Dritten (z.B. in öffentlichen Submissionsverfahren) ausweisen können. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) zu Instrumenten für eine nachhaltige Beschaffung geht nicht auf die Bedürfnisse der KMU ein (BSD, 2018). Die Vergabe der Corona-Kredite durch Geschäftsbanken an KMU (mit Bürgschaft des Bundes für Kreditvolumen von weniger als CHF 500’000) wurden jedoch nicht an Konditionalitäten zur Nachhaltigkeit geknüpft. Dies kann damit zusammenhängen, dass es nach wie vor schwierig ist, die erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen eines KMU in der jeweiligen Branche zu messen, und zu vergleichen. Die nicht-finanziellen Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung werden von vielen Schweizer Finanzinstitutionen bei KMU deshalb noch nicht systematisch beurteilt. 3
Deshalb stellt sich die Frage, welche Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente für KMU geeignet sind. Der Zweck des vorliegenden Working Papers ist es deshalb zu untersuchen, welche Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente im Allgemeinen bereits bestehen, und welche auch für KMU geeignet sein könnten, um deren Nachhaltigkeitsleistung nicht nur zu messen, sondern vergleichbar zu machen. Dabei soll die Nachhaltigkeit möglichst umfassend in den Dimensionen Umwelt, Ökonomie/Finanzielles, Soziales/Gesellschaft und Unternehmensführung erfasst werden. Es wird keine strenge Trennung zwischen Nachhaltigkeitsbewertungssystemen, die eine Gruppe von Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumente umfasst, und einzelnen Instrumenten gemacht. Es geht darum zu eruieren, welche Nachhaltigkeitssysteme und Instrumente auch für KMU geeignet wären, und die sich auszeichnen durch Eigenschaften wie gute Aussagekraft, Unternehmensrelevanz Praktikabilität, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Vergleichbarkeit, Messbarkeit, Qualität, Glaubwürdigkeit und Standardisierung. Wir werden sehen, dass es eine Fülle verschiedener Bewertungssysteme und Instrumente gibt. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit, der mit der Veröffentlichung des Brundtland-Berichts2 1987 (WCED, 1987) weltweite Verbreitung erlangte, einen geringen Konkretisierungsgrad aufweist und so viel Spielraum lässt für Interpretationen (Grunwald und Kopfmüller, 2012: 24). Deshalb wundert es nicht, dass viele verschiedene Definitionen zum Konzept der Nachhaltigkeit formuliert wurden. Dieser inflationäre Gebrauch des Begriffs der Nachhaltigkeit führt zu Misstrauen und wird assoziiert mit einer Hülle ohne Inhalt (Grunwald, 2004: 327). Trotz seiner überdehnten Verwendung hat die Nachhaltigkeit eine wichtige Botschaft: «Der Begriff ist heute unbedingt notwendig. Er ist sogar unentbehrlich, weil er Brücken baut zwischen wirtschaftlichem Handeln und ethischer Verantwortung, zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Ursache und Wirkung» (Hamberger 2010: 32). Für die Analyse der Zweckmässigkeit von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten wird ein Kriterienkatalog erstellt, der es erlaubt, die ausgewählten Instrumente zu vergleichen. Kriterien werden für einen fachlichen Teil, für die Datenaufbereitung und die Anwendung des Instruments (Tools) formuliert. Im fachlichen Teil wir die Transparenz unter die Lupe genommen (z.B. ob die Methode publiziert wurde), inwieweit der Lebenszyklusgedanke auch in die Lieferketten einfliesst oder wie das Rating erfolgt (z.B. in jedem Bereich von ESG, für die Nachhaltigkeit insgesamt). Bei der Datenaufbereitung wird gefragt nach dem Zeitbedarf der KMU für Arbeiten im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsbewertung, wie die Dateneingabe erfolgt (z.B in Excel, online), wie die thematische Abdeckung des Tools ist (ESG-Bereiche), und wie es um die Datentiefe (z.B. Datenumfang) steht. Näher untersucht wird ein Instrument aus der Landwirtschaft (SMART Sustainability Monitoring and Assessment RouTine)3, eines, das insbesondere auch auf 2 Die World Commission on Environment and Development (WCED), die nach ihrer Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland auch als Brundtland-Kommission bezeichnet wird, wurde im Jahr 1984 einberufen und veröffentlichte im Jahr 1987 ihren Abschlussbericht «Our Common Future». Dieser enthält Verhaltensempfehlungen für das Zusammenwirken von wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz. Nachhaltige Entwicklung wurde definiert als: «Sustainable development is development that meets the needs oft he present without compromising the ability of future generations to meet their own needs» (WCED 1987: 43). 3 SMART: https://www.fibl.org/de/projektdatenbank/projektitem/project/738.html; https://www.fibl.org/fileadmin/documents/de/themen/nachhaltigkeitsanalyse/smart/20170819_SMART- Infobroschuere_DE_MedQuality.pdf (abgerufen am 5. Mai 2020). 4
Lieferketten angewendet wird (EcoVadis)4, und eines, das die Wirkung der Unternehmen ins Zentrum rückt (B Impact Assessment)5. Die ausgewählten Instrumente sind relevant, weil sie in den ausgewählten Bereichen eine grosse Verbreitung erlangt haben, und weil sich in der gewählten Methodik deutlich unterscheiden. Der Vergleich der ausgewählten Bewertungsinstrumente, die für KMU geeignet scheinen, zeigt, dass sich die drei Methoden (B Impact Assessment, EcoVadis, SMART) in ihrer Ausrichtung teilweise deutlich unterscheiden. SMART, ein Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument, das primär von Landwirtschaftsbetrieben genutzt wird, setzt den Schwerpunkt auf den Vergleich zwischen Betrieben oder Produktionssystemen. B Impact Assessment, das sich auf den Beitrag von Unternehmen auf die UNO Nachhaltigkeitsziele konzentriert, misst die Wirkung von Nachhaltigkeitsmassnahmen eines Unternehmens auf seine relevanten Anspruchsgruppen (Stakeholders). Dabei wird die Nachhaltigkeitsperformance entsprechend dem Sektor oder der Grösse des Unternehmens kontextualisiert. EcoVadis ist eine Nachhaltigkeits-Bewertungsplattform für globale Beschaffungsketten. Anhand von EcoVadis Scorecards können Unternehmen die weltweite Leistung in Sachen Umwelt, Soziales und Ethik verstehen, verfolgen und verbessern. EcoVadis hat allerdings einen klaren Risikofokus und sagt wenig aus über die effektive Nachhaltigkeitswirkung des Kerngeschäfts des Unternehmens. Nachhaltigkeitsbewertungstools im deutschsprachigen Raum, die von KMU genutzt werden können, decken in der Mehrheit der Fälle nur Teilbereiche ab wie Umwelt, Klima, CSR (Corporate Social Responsibiliby), Energie, Gebäude, Beschaffung, Finanzen oder Ressourceneffizienz. Die Gemeinwohlbilanz6 und der ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften7 ermöglichen KMU eine umfassende Nachhaltigkeitsanalyse, die über ein reines Reporting hinausgeht. Allerdings lassen sich die Resultate unter den Firmen nicht vergleichen. Das Projekt «Mittelstand Ressource - Nachhaltigkeitsbenchmarking für mittelständische Unternehmen» des Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW)8 ist daran, eine Kennzahlenbasis (Benchmarking) für KMU aufzubauen. Dieses Vorhaben geht in die Richtung eines KMU-Nachhaltigkeitsratings. Allerdings sind dazu keine näheren Details bekannt. Die kritische Bestandsaufnahme fokussiert primär auf bestehende Nachhaltigkeitsbewertungssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH- Region). Der Kriterienkatalog wird ausserdem auch angewendet auf Bewertungssysteme, die international eine starke Verbreitung gefunden haben, sowie solche, die gegenwärtig in Erarbeitung sind. Für grosse, insbesondere börsenkotierte Firmen, wurden schon vor 4 EcoVadis: https://theme.zdassets.com/theme_assets/143203/d135d5e09447424a01d01f8c84411972f146dc1d.pdf (abgerufen am 13. April 2020). 5 B Impact Assessment: https://bimpactassessment.net/how-it-works/frequently-asked-questions/the- bimpact-; https://bcorporation.eu/about-b-lab/country-partner/germany (abgerufen am 5. Mai 2020). 6 Die Gemeinwohl-Bilanz ist ein Bewertungsverfahren für Privatpersonen, Gemeinden, Firmen und Institutionen, mit dem geprüft wird, inwieweit sie dem Gemeinwohl dienen. https://www.ecogood.org/de/unsere-arbeit/gemeinwohl-bilanz/unternehmen/ (abgerufen am 5. Mai 2020). 7 Das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) an der Privaten Universität Witten/Herdecke entwickelte den ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften. Es handelt sich um einen zertifizierbaren Managementstandard (2020: 58 zertifizierte Unternehmen). https://www.znu-standard.com/ (eingesehen am 5. Mai 2020). 8 BVMW: https://www.bvmw.de/mittelstandressource/ (abgerufen am 13. April 2020). 5
Jahrzehnten ESG-Bewertungskriterien und Ratings9 (z.B. Dow Jones Nachhaltigkeitsindices, Sustainalytics) entwickelt. Rund um grosse Firmen hat sich ein ganzes ESG-Ökosystem10 entwickelt. Damit gemeint sind die Hauptakteure, die sich rund um Firmen mit ESG befassen. In dem sich rasch verändernden ESG-Ökosystem kann eine solche Auslegeordnung Klarheit und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage für Investoren, Unternehmen und andere Akteure schaffen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das ESG-Ökosystem setzt sich wie folgt zusammensetzt: aus (spezialisierten) (ESG)-Datenlieferanten (z.B. CDP, ISS-oekom, RobecoSAM, MSCI, Refinitiv, Bloomberg), Normen setzenden Organisationen (z.B. GRI, SASB, ISO), Rahmen setzenden Gremien (z.B. UN Global Compact), Investoren-Koalitionen und Initiativen (z.B UN Principles for Responsible Investment), breiteren Koalitionen und Initiativen (z.B. B Lab, WBCSD), Wirtschaftsprüfern (z.B. PwC, EY, KPMG) und Stimmrechts- und Dienstleistungsverpflichtungen (z.B. ISS). ESG-Ratingagenturen haben über die letzten 20 Jahre eine grosse Entwicklung durchgemacht. Nach der Expansion in den 2000er Jahren, ist es in den letzten zehn Jahren zu einer Marktkonsolidierung11 gekommen. Die ESG-Industrie ist grösser und professioneller geworden und ist mit Unternehmen der Finanzindustrie verbunden. Obwohl ESG-Kriterien systematisch in die Nachhaltigkeitsanalyse von Unternehmen eingebaut werden, bleibt die Wirkungsweise unklar. Zu unterschiedlich und zu intransparent (meist proprietäre Instrumente) sind die angewendeten Methoden. ESG-Ratingagenturen legen den Fokus auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung und überlassen dabei die Bewertung der finanziellen Nachhaltigkeit den Finanzinstitutionen. Öffentlich zugängliche Informationen zu den ESG- Ratings sind kaum vorhanden und erscheinen auch nicht in einer Statistik (Escrig-Olmedo, 2019). Das verhindert zum einen eine unabhängige wissenschaftliche Validierung der Ratings. Zum anderen können die Daten nicht mit der Forschung geteilt werden, um die Weiterentwicklung und Verbesserung der jeweiligen Ratings zu ermöglichen. Serafeim et al. (2020) hat einen ersten Ansatz zur Ableitung monetarisierter Schätzungen der Umweltauswirkungen von Unternehmen entwickelt, die sich miteinander vergleichen lassen. Boiral et al. (2020) analysieren die Impressionsmanagement-Strategien, mit denen Praktiker in der Nachhaltigkeitsrating-Branche Vertrauen in die Verlässlichkeit von Ratings aufbauen und die mangelnde Konvergenz dieser Ratings erklären. Wegen der fehlenden Standardisierung bleibt auch die Aussagekraft der einzelnen Instrumente beschränkt. Die Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in die Bewertung der Unternehmensperformance entlang der Lieferkette (z.B. EcoVadis) sowie das Lebenszyklusdenken (LCA) ist bei vielen Rating-Agenturen meist nicht vorhanden (Escrig- Olmedo, 2019) was auf eine zunehmende Kluft zwischen Real- und Finanzwirtschaft in der Nachhaltigkeitsbewertung hindeutet. 9 Bei einem Rating geht es um die bonitätsmässige Einstufung von Firmen, Ländern, Banken oder Ähnlichem anhand eines Klassifikationssystems. Bei der Nachhaltigkeitsbewertung sollte im Endeffekt auch eine bonitätsmässige Einstufung der Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung erreicht werden. 10 Siehe ESG Ecosystem Map. https://widgets.weforum.org/esgecosystemmap/#/ (abgerufen am 15. April 2020). 11 Bei den globalen Anbietern von finanziellen und nicht-finanziellen Informationen ist vieles in Bewegung geraten. Thomson Reuters verkaufte 2018 eine Mehrheitsbeteiligung an seiner Financial & Risk (F&R)-Einheit an die Private-Equity-Firma Blackstone Group LP. Diese Geschäftseinheit heisst jetzt Refinitiv. Vigeo EIRIS, ein Anbieter nicht-finanzieller Nachhaltigkeitsratings und –Dienstleistungen im Bereich Umwelt und Soziales formierte sich 2015 aus der französischen Vigeo und der britischen EIRIS. Seit 2019 ist Moodys Hauptaktionärin von Vigeo EIRIS. 6
Im Allgemeinen gibt es keine öffentlich zugänglichen Daten/Informationen, die über die Wirkung einzelner KMU auf Umwelt, Soziales, Ökonomie und Unternehmensführung (ausser auf Sektorebene) Aussagen erlauben. Es gibt auch keine Angaben darüber, ob und wie Schweizer KMU die Ziele des Pariser Übereinkommens zum Klimaschutz, Nachhaltigkeitskriterien im öffentlichen Beschaffungswesen oder die UN-Agenda 2030 zur Implementierung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf praktikable Weise in ihre Unternehmensentscheide einbauen könnten. Existierende Bewertungsinstrumente für KMU decken oftmals nur einzelne Bereiche ab, und deren Ergebnisse lassen sich nicht vergleichen, da sie oft nicht auf Grund messbarer Kriterien erhoben werden. Grössere Organisationen und Firmen haben eigene Lösungsansätze entworfen, um die Nachhaltigkeitsleistung auf ihre Weise zu messen. Die Value Balancing Alliance12 beispielsweise ist eine Allianz, die 2019 von international tätigen Unternehmen gegründet wurde. Sie wird unterstützt durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die OECD, Universitäten (z.B. Harvard Business School) sowie durch Vertreter aus Regierung, Zivilgesellschaft und normsetzenden Organisationen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, einen globalen Standard zu schaffen für die Messung und die Offenlegung von positiven und negativen Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten, und eine Anleitung zu geben, wie diese Auswirkungen in die Unternehmenssteuerung integriert werden können Dadurch gibt es zwar eine Fülle an verfügbaren Instrumenten, aber auch eine klare Lücke, nämlich ein Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument, das auf mess- und vergleichbaren Kriterien aufbaut und alle Nachhaltigkeitsdimensionen integriert, die Aussagen über die Nachhaltigkeit eines Unternehmens und dessen langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit zulässt. Dazu kommt, dass die Methodik der Instrumente, insbesondere bei Ratings, nicht oder nur bruchstückhaft publiziert ist. In diesem Sinn gibt es ein Marktversagen, da die Entwicklung solcher Tools unkoordiniert abläuft, jeder etwas macht, und am Schluss trotzdem keine Lösung vorhanden ist, die in integraler Weise für alle Schweizer KMU verwendet werden könnte. Das hat auch damit zu tun, dass die Finanzwirtschaft - bis auf wenige Ausnahmen - die KMU noch nicht in ihre nachhaltigen Finanzangebote/-strategien einbezogen hat, obwohl beispielsweise in der Schweiz der KMU Sektor den grössten Bedarf an Unternehmenskrediten hat. Die Schweiz verfolgt bis jetzt den Ansatz, dass die Marktakteure selbst einen Modus finden sollten, um dieses Problem zu lösen. Der Bundesrat wird im 2020 in einem Bericht darlegen, wie es in Sachen Sustainable Finance weitergehen soll.13 In Deutschland wird der Bundesregierung und dem Staat dagegen eine treibende Rolle zuerkannt. Der Sustainable Finance-Beirat (2020) der deutschen Bundesregierung empfiehlt, auch die KMU, die wesentliche Akteure des Wirtschaftsstandorts sind, in die Pflicht zu nehmen, wenn es darum geht, die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Eine Empfehlung ist deshalb, die integrierte Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung schrittweise auch auf KMU auszuweiten. Finanzmarktakteure sollen zudem Unternehmen Finanzierungen anbieten, die einen messbaren Beitrag zur nachhaltigen Transformation leisten. Dazu benötigt werden mess- und vergleichbare Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumente. 12 Value Balancing Alliance: https://www.value-balancing.com/about-us/ (abgerufen am 5. Mai 2020). 13 Bundesrat bekräftigt die Chancen eines nachhaltigen Finanzsektors für die Schweiz. https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-77424.html; Nachhaltigkeit im Finanzsektor. https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/finanzmarktpolitik/nachhalt_finanzsektor.html (abgerufen am 15. April 2020). (abgerufen am 10. Mai 2020). 7
Im Kontext der Schweiz und der KMU-Landschaft gilt es zu überlegen, wie die Bedürfnisse der Finanz- und der Realwirtschaft in geeigneter Weise miteinander in Einklang gebracht werden können, um die Klima- und Nachhaltigkeitsziele gemeinsam zu erreichen, und zwar in einer Art und Weise, die beiden Seiten Vorteile bringt (win-win) und nicht zusätzliche Bürokratie. Im internationalen Kontext sind bei ESG-Ratings/Kriterien verschiedene Standardisierungsbemühungen unterwegs, sei es bei ISO, beim WEF, bei der Value Balancing Alliance, in Deutschland, in der EU oder in den USA. Konkrete Resultate für standardisierte ESG-Faktoren (ausser im Umweltbereich, siehe Serapheim et al. 2020) oder standardisierte ESG-Ratings bei KMU lassen sich noch nicht erkennen. Die Akteure in der Schweizer Real- und Finanzwirtschaft haben es in der Hand, einen eigenen Standard für KMU zu setzen, der als Modell für KMU im Ausland gelten könnte. Die Autorin dankt Philipp Aerni, Thomas Scheiwiller, Sibyl Anwander, Thomas Streiff, Claus Daub und Isa Cakir für Kommentare, Anregungen und Inputs zu diesem Working Paper. 8
Inhaltsverzeichnis ABSTRACT ..........................................................................................................................................2 ZUSAMMENFASSUNG .......................................................................................................................3 1. Hintergrund.............................................................................................................................. 12 2. Ziel der Bestandsaufnahme ................................................................................................... 13 3. Vorgehen und Methoden ........................................................................................................ 14 3.1 Anforderungen an Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente ............................. 14 3.2 Typisierung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten ............................. 19 3.3 Auswahlkriterien für die Detailanalyse von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten ........................................................................................................................... 22 3.4 Kriterienkatalog für die Detailanalyse der Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente für KMU ............................................................................................................... 23 4. Resultate .................................................................................................................................. 27 4.1 Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente im Überblick ...................................... 27 4.2 Nachhaltigkeitsbewertungssysteme grosser Anbieter ............................................................ 36 4.3 Tools im deutschsprachigen Raum und aus weiteren europäischen Ländern ........................ 43 4.3.1 Schweizer Tools ....................................................................................................................... 43 4.3.2 Tools aus Deutschland ............................................................................................................. 45 4.3.3 Europäische und weitere Tools ............................................................................................... 46 4.4 Analyse der ausgewählten Nachhaltigkeitsbewertungssysteme für KMU............................... 47 5. Finanzierungsmodelle für Ratings .......................................................................................... 53 6. Kreditratings und Nachhaltigkeitsaspekte ............................................................................. 55 6.1 Kreditratings von Schweizer Banken und Nachhaltigkeit ........................................................ 55 6.2 Deutsche Bankenratings und Nachhaltigkeitsaspekte ............................................................ 56 7. Standardisierungsbemühungen und Aktionspläne ................................................................ 60 7.1 ISO/TC 322 ............................................................................................................................... 60 7.2 Weltwirtschaftsforum WEF ..................................................................................................... 60 7.3 Zwischenbericht des Sustainable Finance Beirat der deutschen Bundesregierung ................ 61 7.4 EU Aktionsplan zu Sustainable Finance und Akteure in der Schweiz ...................................... 63 8. Diskussion………………………………………………………………………………………………………………………..64 8.1 Nachhaltigkeitsbewertungstools für grosse Unternehmen .................................................... 64 8.2 Nachhaltigkeitsbewertungstools für KMU ............................................................................... 65 8.3 Kreditratings für KMU .............................................................................................................. 66 9. Fazit und Empfehlungen .......................................................................................................... 66 LITERATUR ...................................................................................................................................... 68 APPENDIX 1A – 1D ......................................................................................................................... 74 9
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Übersicht der Kriterien zur Typisierung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten…………………………………………………………………………………………………….. 22 Tabelle 2: Übersicht über Kriterien für den vertieften Vergleich von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten für KMU……………………………. 26 Tabelle 3: Charakterisierung der Nachhaltigkeitsbewertungstools gemäss ihrem Zweck (Auswahl)…………………………………………………………………………………………………………………. 28 Tabelle 4: Nachhaltigkeitsbewertungsanbieter: Verschiedene Herangehensweisen (Auswahl)…………………………………………………………………………………………………………………. 39 Tabelle 5: Schweizer Nachhaltigkeitsbewertungsanbieter (Auswahl)………………………………………… 44 Tabelle 6: Vergleich ausgewählter Nachhaltigkeitsbewertungstools für KMU…………………………… 49 Tabelle 7: Kreditratings von Banken und anderen Instituten (Auswahl)…………………………………….. 55 Verzeichnis der Grafiken Grafik 1: 2018: Verwendung von ESG-Ratings zur Unterstützung der Entscheidungsfindung, Prozent (%) der Antwortenden je Organisation…………………………………………………………… 42 Grafik 2: Ratings: Bevorzugte Änderungen und Lösungen in den nächsten fünf Jahren, Prozent (%) der Befragten, die die Änderung/Lösung gewählt haben, 2018…………………………….. 43 10
Abkürzungsverzeichnis BAFU Bundesamt für Umwelt BöB Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen BVMW Bundesverband Mittelständische Wirtschaft CDP Carbon Disclosure Project CSR Corporate Social Responsibility DACH Deutschland, Österreich, Schweiz DJSI Dow Jones Sustainaility Index EbAV Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EFD Eidgenössisches Finanzdepartment ESG Environmental, Social, Governance GRI Global Reporting Initiative ISO Internationale Organisation für Normung KMU Kleine und mittleren Unternehmen LCA Life Cycle Analysis MSCI Morgan Stanley Capital International NGO Non-Governmental Organization OECD Organisation for Economic Co-operation and Development SAFA Suststainability Assessment in Food and Agriculture Systems SASB Sustainability Accounting Standards Board SECO Staatssekretariat für Wirtschaft SIF Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen SMART Sustainability Monitoring and Assessment RouTine UN SDGs United Nations Sustainable Development Goals UVEK Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation WBCSD World Business Council for Sustainable Development WEF World Economic Forum 11
1. Hintergrund Mit der Unterzeichnung des Pariser Übereinkommens zum Klimaschutz und der UN-Agenda 2030 zu Implementierung der UNO Nachhaltigkeitsziele haben sich im Jahr 2016 Regierungen weltweit zur Förderung einer nachhaltigeren Wirtschaft verpflichtet. Die EU Kommission hat diesbezüglich 2018 einen Aktionsplan zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums verabschiedet. Dieser soll mithelfen, das Finanzsystem in Europa so umzugestalten, dass private wie auch öffentliche Mittel vermehrt in nachhaltige Investitionen fliessen. Die vorgeschlagenen Massnahmen zielen darauf ab, die Mess- und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen zu verbessern. Zugleich soll der Druck auf die Hauptakteure im Finanzsektor erhöht werden, damit diese die «nicht-finanziellen» Kriterien in Anlageentscheidungen vermehrt berücksichtigen. Bei börsenkotierten Grossfirmen wird eine Nachhaltigkeitsberichterstattung, die auf mess- und vergleichbaren Kennzahlen basiert, bereits zunehmend von Investoren und anderen Interessenvertretern, die sich für die Nachhaltigkeit der Unternehmen interessieren, erwartet. Die Schweiz setzt bei der Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele primär auf freiwillige Massnahmen; wobei Schweizer Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen durch zahlreiche öffentliche und private Initiativen unterstützt werden. Dabei sind es nicht nur die grossen Schweizer Konzerne, die der Nachhaltigkeit vermehrt Rechnung tragen, sondern auch die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Letztere haben viele kleine und innovative Schritte unternommen, um im Produktdesign, bei den Energiequellen, bei den Beschaffungskriterien oder bei der Ressourceneffizienz nachhaltiger zu werden. Es ist jedoch nach wie vor schwierig, die erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen eines KMU in der jeweiligen Branche zu messen, und zu vergleichen. Dies erklärt wohl auch, dass viele Schweizer Finanzinstitutionen, die nicht-finanziellen Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – sogenannte ESG-Kriterien (ESG ist die englische Abkürzung für Environment, Social, Governance) - bei KMU noch nicht systematisch beurteilen. Dennoch wächst der Druck, nicht nur die Ressourceneffizienz eines KMU im Inland, sondern den gesamten Fussabdruck entlang der Wertschöpfungskette in Anlage- und Kreditentscheide wie auch beim öffentlichen Beschaffungswesen zu berücksichtigen. Zugleich sollte auch vermehrt berücksichtigt werden, welchen Beitrag das jeweilige Kerngeschäft des Unternehmens zur Nachhaltigkeit leistet, denn ein Unternehmensaktivitäten generieren nicht bloss negative, Externalitäten für Umwelt und Gesellschaft, sondern können mit ihren Innovationen und Problemlösungsansätzen auch positive Externalitäten erzeugen (Schluep, 2019). Auch in der Schweizer Politik hat sich einiges getan. Beispielsweise wurde das neue Energiegesetz, zusammen mit den entsprechenden Verordnungen auf Anfang 2018 in Kraft gesetzt. Dieses hat zum Zweck den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und die erneuerbaren Energien zu fördern, Im Februar 2018 wurde unter der Federführung des Bundesamts für Umwelt die «Go for Impact» Initiative lanciert. Dabei handelt es sich um eine Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und der öffentlichen Hand für eine nachhaltige Schweizer Wirtschaft. Die neue Initiative will die Schweizer Wirtschaft bei der Reduktion ihres negativen und der Steigerung ihrer positiven Umweltwirkung im In- und Ausland unterstützen. Am 21. Juni 2019 verabschiedete das Parlament das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das sich nicht mehr nur an der Wirtschaftlichkeit, sondern neu an sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit orientiert. Ende August 2019 entschied der Bundesrat zudem, das Ziel für die Reduktion der Treibhausgasemissionen zu verschärfen, und zwar auf null bis ins Jahr 2050. 2012 führte die Schweiz CO2-Emissionsvorschriften für erstmals in der Schweiz zugelassene Personenwagen 12
ein. Der seither für Personenwagen geltende Grenzwert von 130 g CO2/km wird ab dem Jahr 2020 auf 95 Gramm pro Kilometer reduziert. In den vergangenen Jahren hat sich auch im Schweizer Finanzanlagemarkt einiges bewegt. Vor allem die Pariser Klimaziele haben dazu geführt, dass Klimaverträglichkeit für Vermögensinhaber (sogenannte Asset Owner) stark an Bedeutung gewonnen hat. Die Integration von ESG-Kriterien gehört inzwischen zu den treuhänderischen Sorgfaltspflichten.14 Nachhaltigkeit wird auch bei Pensionskassen immer stärker zu einem entscheidenden Faktor. Im Gegensatz zur EU, wo immer neue Regeln und Pflichten zur Integration von ESG-Kriterien entstehen (z.B. EBAV II15 , EU Taxonomy for Sustainable Activities16), setzt die Schweiz auf freiwillige Massnahmen zur Umsetzung des 2 Grad Zieles von Paris. Um die Klimaschutz- und UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, wurden in der Real- und in der Finanzwirtschaft bereits zahlreiche private und öffentliche Initiativen lanciert, um speziell Schweizer KMU zu unterstützen, da diese über weniger Ressourcen verfügen als grosse Unternehmen, um entsprechende Massnahmen einzuleiten. Der Technologiefonds17 ist beispielsweise ein klimapolitisches Instrument der Schweizerischen Eidgenossenschaft, welches Darlehensbürgschaften an Schweizer KMU gewährt, welche innovative Technologien zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, zur effizienteren Nutzung von elektrischer Energie, zur Förderung erneuerbarer Energien oder zur Schonung natürlicher Ressourcen entwickeln und vermarkten. Am 15. Oktober 2019 unterzeichnete öbu18, die «Lisbon Declaration» des Weltwirtschaftsrates für nachhaltige Entwicklung (WBCSD). Alle unterzeichnenden Organisationen verpflichten sich, ihre Mitgliedsunternehmen dabei zu unterstützen, Massnahmen gegen den Verlust der Biodiversität und die damit einhergehenden Herausforderungen zu ergreifen. Viele Initiativen/Instrumente finden sich auch im Bausektor, der rund 50 Prozent des gesamten Materialaufwandes und fast ebenso viele CO2-Emissionen generiert sowie 65 Prozent der Abfallmenge verursacht. Mit einer optimierten Kreislaufwirtschaft bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele kann der Sektor einen relevanten Beitrag leisten. Diese kann beispielsweise durch Bildungsmassnahmen gefördert werden. So können sich ab Januar 2020 Mitarbeitende von Planungs- und Handwerksbetrieben mit einem neuen Diplomlehrgang interdisziplinäre Fachkompetenzen aneignen und so die Glaubwürdigkeit eines Bauunternehmens als Anbieter von nachhaltigen Lösungen steigern. 2. Ziel der Bestandsaufnahme Der Fokus in diesem Bericht liegt auf der Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen, und insbesondere von Schweizer KMU. Dabei soll die Nachhaltigkeit möglichst umfassend in den 14 Rechtsgutachten Klimarisiken in der Vermögensverwaltung bei Pensionskassen, von PD Dr. S. Abegglen. https://uploads.strikinglycdn.com/files/34f940b0-96c0-4f50-829b- c453ea27ade2/181012%20Rechtsgutachten%20an%20Klima- Allianz%20Schweiz%20betr.%20Klimarisiken%20in%20de....pdf (abgerufen am 4. Mai 2020). 15 Es handelt sich um die Richtlinie 2016/2341 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (sog. EbAV-II-RL) vom 23. Dezember 2016. 16 EU taxonomy for sustainable activities. https://ec.europa.eu/info/publications/sustainable-finance-teg- taxonomy_en (abgerufen am 4. Mai 2020). 17 Technologiefonds: https://www.technologiefonds.ch/ (abgerufen am 4. Mai 2020). 18 Der Verband für nachhaltiges Wirtschaften - öbu - setzt sich zusammen mit seinen Mitgliedsunternehmen für eine prosperierende Wirtschaft unter Einhaltung ökologischer und sozialer Grundsätze ein. 13
Dimensionen Umwelt, Ökonomie/Finanzielles, Soziales/Gesellschaft und Unternehmensführung erfasst werden. Der vorliegende Bericht bietet einen Überblick über bestehende Nachhaltigkeitsbewertungs- systeme und Instrumente im Allgemeinen und insbesondere für Schweizer KMU. Die Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente aus der Real- wie aus der Finanzwirtschaft werden nach verschiedenen Kriterien beurteilt und kategorisiert.19 Der Bericht liefert Antworten darauf, inwieweit bereits für KMU geeignete Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente auf dem Markt sind, die mess- und vergleichbare Daten liefern und die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit gut abdecken, und welches ihre Vor- und Nachteile für potenzielle Nutzer sind. 3. Vorgehen und Methoden Zuerst werden anhand einer Literatur-Recherche allgemeine Anforderungen an Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente diskutiert, die als Richtschnur herangezogen werden können. Diese sogenannten normativen Kriterien fliessen anschliessend in die Typisierung und die Analyse bestehender Nachhaltigkeitsbewertungssysteme aus der Real- und der Finanzwirtschaft ein. Um das erwähnte Ziel, nämlich die Charakterisierung von für KMU allenfalls geeigneten Rating-Tools zu erreichen, wenden wir ein mehrstufiges Verfahren an. In einem ersten Schritt wird ein Raster mit zweckorientierten Kriterien aufgestellt, das dabei hilft, die Fülle bestehender Rating-Tools einzuordnen. Die Kriterien betreffen insbesondere den Zweck des jeweiligen Tools, die Adressaten, die Unternehmensgrösse, den thematischen Fokus und/oder die Ambition, die ein Tool verfolgt. Im zweiten Schritt werden Selektionskriterien definiert, um zu identifizieren, welche Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente aus den unterschiedlichsten Bereichen für KMU geeignet sein könnten. Im dritten Schritt wird ein Set von Kriterien aufgestellt, das sich an den normativen Anforderungen von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten orientiert. Anhand dieser Kriterien sollen die Vor- und Nachteile der Rating-Tools aufgezeigt werden, die auch für KMU in Frage kommen könnten. Um die thematische Abdeckung der Nachhaltigkeitsbereiche (Umwelt, Soziales, Ökonomie und Unternehmensführung) dieser Rating-Tools auszuleuchten, wird noch ein zusätzlicher Merkmalskatalog aufgestellt. 3.1. Anforderungen an Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente Bonitäts- oder Kreditratings von Unternehmen fussen auf mess- und vergleichbaren Finanzkennzahlen. Demgegenüber weisen Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente einen viel grösseren Ermessensspielraum auf (Keller 2015: 20). Dies hängt damit zusammen, dass ein allgemein gültiges gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und demzufolge auch von ESG-Kriterien fehlt. Die Studie von Döpfner und Schneider (2012: 79) zu Nachhaltigkeitsratings zeigt dies exemplarisch auf anhand von vier grossen 19 Grundsätzlich ist der Begriff des Nachhaltigkeitsbewertungssystems weiter gefasst als derjenige des Nachhaltigkeitsbewertungsinstruments. Ein Anbieter eines Nachhaltigkeitsbewertungssystems hat meist eine Palette (verschiedene Versionen) von Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumenten zur Verfügung. Es kann aber auch eintreffen, dass wenn das Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument in einer einzigen Form vorliegt, dieses mit dem Nachhaltigkeitsbewertungssystem gleichgesetzt werden kann. Wir machen in dieser Studie keine explizite Trennung zwischen Nachhaltigkeitssystemen und Instrumenten. 14
Nachhaltigkeitsratingagenturen im deutschen Raum, deren Nachhaltigkeitsverständnis von stark ökonomischen bis ethisch-ökologischen Ansätzen reicht. Das hat dazu geführt, dass sich eine Vielzahl verschiedener Messsysteme mit einem jeweils eigenen Kriteriensets für die Evaluation der Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) sowie die Unternehmensführung (Governance) entwickelt haben (Keller 2015: 20). Döpfner und Schneider (2012: 21) machen eine Auslegeordnung von ökonomisch sowie normativ orientierten Bewertungskonzepten.20 Wir orientieren uns am normativen Anspruch der Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente (Keller 2015), weil dieser als Richtschnur (Massstab) für die Typologisierung und die Analyse verschiedener Rating-Tools herangezogen werden kann. Bei der Bewertung der Erfüllung des normativen Anspruchs verwenden wir die von Keller (2015) erarbeiteten substanziellen Anforderungen an Ratings, Ratingkriterien oder Ratingagenturen. Sie stützte sich dabei auf die aktuelle ESG- und Finance Literatur sowie Grundlagen der empirischen Sozialforschung ab (Keller 2015: 4, 20-36). Dazu gehören folgende Kriterien: a) Nachvollziehbarkeit und Transparenz b) Verzerrungen c) Standardisierung d) Glaubwürdigkeit der Informationen e) Mess- und Vergleichbarkeit f) Qualität der Messinstrumente a) Nachvollziehbarkeit und Transparenz:21 Mangelnde Transparenz war eine der grössten Kritikpunkte, die im Zuge der Finanzkrise gegenüber Kreditrating-Agenturen geäussert wurde, und schlussendlich in deren Regulierung resultierte. Die Nachvollziehbarkeit eines Ratings, nicht aber die vollständige Überprüfbarkeit, ist nicht nur eine aus finanztheoretischer Sicht genannte Anforderung (Sönnichsen 2007: 333). Auch in der ESG- Literatur wird die fehlende Transparenz, insbesondere auch hinsichtlich der Ratingergebnisse, oft bemängelt (Chatterji et al. 2009: 127; Scalet & Kelly 2010: 72). Transparenz bezüglich der Ratingmethodik wird gar als einer der wichtigsten Treiber der Glaubwürdigkeit von ESG- Ratings genannt (Sadowski et al. 2010b: 12). Obwohl die Glaubwürdigkeit von ESG- Ratingagenturen in der Zwischenzeit gestiegen ist, und einige bereits einen hohen Grad an Transparenz aufweisen, bezieht sich ein Grossteil der Kritik am ESG-Ratingmarkt nach wie vor auf diesen Umstand (Wong et al. 2019). Punkto Nachvollziehbarkeit & Transparenz sollen deshalb folgende Punkte untersucht werden: Sind Ratingmethodik, Indikatoren und Schwellenwerte öffentlich einsehbar? Können die einzelnen Analyseschritte nachvollzogen werden? Sind die Rating-Ergebnisse öffentlich verfügbar? 20 Döpfner und Schneider (2012) verweisen auf Schäfer et al. (2004), der ökonomisch orientierte Ansätze wie folgt beschreibt: „Ökonomisch orientierte Konzepte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf solche ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien konzentrieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte oder indirekte wirtschaftliche Auswirkungen auf das bewertete Unternehmen haben. Hier geht es um den ´CSR- business case.“ (Schäfer et al., 2004: 117). 21 Zitiert aus Keller, S. 30. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet) 15
b) Verzerrungen:22 Das Konzept der Triple Bottom Line, welches eine Balance ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte anstrebt, sollte als Grundgedanke der Nachhaltigkeit auch in entsprechende Ratings oder Indizes einfliessen. Derzeit besteht aber bei vielen Ratings jedoch ein Fokus auf einem ausgewählten ESG-Bereich. Solche Ratings decken dann häufig nur die spezifischen Interessen einzelner statt diverser Anspruchsgruppen ab (Windolph 2013: 44). Zusätzlich erlaubt der Fokus auf einen Schwerpunktbereich einem Unternehmen jenes Rating auszuwählen, wo es absehbar eine gute Performance aufweist (Scalet & Kelly 2010: 72). Unterschiedliche Gewichtungen sind laut Chatterji & Levine (2006: 45) nicht per se schlecht, erfordern aber, dass Ratingagenturen den damit verfolgten Zweck auch explizit nach aussen kommunizieren. Eine weitere Quelle für die Entstehung von Verzerrungen liegt in der Wahl des Rating- Universums (Sadowski et al. 2010a: 6; Windolph 2013: 42). Bestehende Indizes bilden dabei häufig die Grundlage für die Auswahl des Rating-Universums, oder es werden nur die grössten Unternehmen innerhalb einer Branche respektive eines Landes bewertet. Mittlere, kleine oder Unternehmen in Entwicklungsländern erhalten sehr selten die Chance, ihre ‘Nachhaltigkeit’ unter Beweis zu stellen, oder verfügen teilweise nicht über die Kapazität zur Beantwortung der Fragebögen und schliessen sich damit selbst aus (Sadowski et al. 2010b: 12; Windolph 2013: 44-45). Punkto ‘Verzerrungen’ sollen deshalb folgende Punkte untersucht werden: Ist ein Schwerpunkt auf der ökonomischen, ökologischen oder sozialen Dimension vorhanden? Wie werden die verschiedenen Bereiche gewichtet? Welches ist das Zielpublikum des Rating-Erstellers (z.B. Investoren, Unternehmen, Mitarbeitende, Behörden etc.)? Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl des Rating-Universums (z.B. Grösse der Unternehmen, Branchen, Regionen)? c) Standardisierung:23 Die Standardisierung stellt bereits in der Berichterstattung der Unternehmen aufgrund der verschiedenen Vorstellungen der unternehmerischen Verantwortung und des ESG-Konzepts eine Herausforderung dar (Bassen & Kovàcs 2008: 184-185). Im Rahmen von Ratings ist sie insofern ein Kriterium, als dass nur bei einheitlichen Ansätzen der Ratingagenturen die Resultate miteinander verglichen werden können (Chatterji & Levine 2006: 41). In die gleiche Richtung stösst die Kritik bezüglich des fehlenden gemeinsamen Verständnisses der essenziellen Indikatoren und der Messtechniken von Ratingagenturen (van den Brink & van der Woerd 2004: 196; Scalet & Kelly 2010; Sadowski et al. 2011a: 25-26). Standardisierung ist folglich nicht nur ein Kriterium bei Ratingagenturen, sondern schafft durch die Vereinheitlichung der Berichterstattung auch auf Unternehmensseite, die Grundlage für mehr Qualität und Vergleichbarkeit eines Ratings (Bassen & Kovàcs 2008: 190; Windolph 2013: 38, 42-43). Laut Dembinski et al. (2003: 211) spielen bei der Entwicklung und der Verbreitung von Standards Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine besondere Rolle, weil diese nicht nur bei Unternehmen selbst, sondern auch bei öffentlichen Institutionen sowie Investoren eine hohe Legitimität geniessen. Gleichzeitig weisen die Autoren aber auch auf eine Gefahr der Standardisierung, insbesondere in der standardisierten Berichterstattung, hin: Die zunehmende Konzentration der Unternehmen, welche die standardisierten Indikatoren definieren und über die grossen Datenmengen dazu verfügen, könnte zur Vernachlässigung von substanziellen ESG-Aspekten führen, deren Relevanz erst im Laufe der Zeit erkannt 22 Zitiert aus Keller, S. 30-31. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet) 23 Zitiert aus Keller, S. 29-30. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet) 16
würde (Dembinski et al. 2003: 211).24 Im Rahmen der Standardisierungsdiskussion sollte deshalb folgender Punkt im Auge behalten werden: Wurde bei der Entwicklung der Ratingmethodik und/oder bei der Auswahl der Bewertungs-Kriterien auf externe Grundlagen oder Standards zurückgegriffen? d) Glaubwürdigkeit der Informationen:25 Die Glaubwürdigkeit wird einerseits aufgrund allgemeiner Schwachstellen im Bereich der ESG-Berichterstattung von Unternehmen, und andererseits wegen der oftmals hohen Sensibilität der für ESG-Ratings notwendigen Daten in Frage gestellt. Die alleinige Beurteilung anhand öffentlicher Informationen in Medien- oder Unternehmensberichten, Webseiten, etc. ist daher oft nicht ausreichend (Sadowski et al. 2010b: 4). Die Verwendung von Fragebögen ist ebenfalls mit mehreren Trade-offs verbunden: umfragebasierte Fragebögen können zwar detailliertere und teils sensiblere Informationen liefern, gleichzeitig besteht aber die Gefahr von qualitativ schlechteren oder verfälschten Daten, wenn die Unternehmen nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen oder nicht bereit sind, diese aufzuwenden (Windolph 2013: 43-44). Letzteres wird dahingehend kritisiert, als durch die Bewertung anhand ausführlicher Fragebogen nicht die Unternehmen mit der besten Leistung belohnt werden, sondern tendenziell eher jene, welche über die erforderlichen Kapazitäten, Ressourcen und Prozesse verfügen um ein professionelles Reporting, das zu einem guten Rating führt, zu erstellen haben (Sadowski et al. 2010b: 12). Auf diese Gefahr der Verzerrung verweisen Schnell et al. (2013) auch im Sinne von systematischen Ausfällen. Dies geschieht beispielsweise durch eine höhere Antwortquote von besser gebildeten gegenüber weniger gebildeten Personen bei postalischen Befragungen. Die Qualität und der Detaillierungsgrad werden wiederum als potenzielle Vorteile einer schriftlichen Befragung genannt (Schnell et al. 2013: 351). Als optimal wird folglich die Kombination spezifischer Fragebögen und zusätzliche öffentliche Informationen im Sinne einer externer Prüfung angesehen, um die Glaubwürdigkeit und Qualität der für das Rating benutzten Informationen zu erhöhen (van den Brink & van der Woerd 2004: 196; Sadowski, 2011a: 7; Windolph 2013: 44). Zudem sollte die Qualität der von den Unternehmen gelieferten Daten überprüft werden (Sadowski, et al. 2011a: 19). Punkto Glaubwürdigkeit der Informationen soll deshalb untersucht werden: Welche Informationsquellen nutzt die Ratingagentur, sind diese intern und/oder extern? Verwendet die Ratingagentur Primärdaten und/oder Sekundärdaten? Erfolgt eine Überprüfung der Daten oder werden externe Zertifizierungen verlangt? e) Mess- und Vergleichbarkeit:26 Die zunehmende Anzahl Ratings mit deren jeweils eigenen Methoden, Gewichtungen und Darstellungsformen stellen in mancher Hinsicht eine Herausforderung für die Vergleichbarkeit dar: Sie erhöhen die Komplexität für Unternehmen sowie Investoren und erschweren damit gleichzeitig die Vergleichbarkeit der Resultate (Sadowski et al. 2010b: 5; Scalet & Kelly 2010: 72). 24 Deschryver & Mariz (2020) identifizieren die aktuellen Barrieren, die die mangelnde Skalierbarkeit des Marktes für grüne Anleihen (sogenannte Green Bonds) erklären: ein Defizit an harmonisierten globalen Standards, die Risiken des Greenwashing, die Wahrnehmung höherer Kosten für Emittenten, das mangelnde Angebot an Green Bonds für Investoren und die allgemeine Entwicklung des Marktes. 25 Zitiert aus Keller, S. 31-32. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet) 26 Zitiert aus Keller, S. 32-33. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet) 17
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