Systeme und Instrumente der Firmennachhaltigkeitsbewertung: Eine kritische Bestandsaufnahme mit Fokus auf KMU - CCRS

Die Seite wird erstellt Uwe Pfeiffer
 
WEITER LESEN
Systeme und Instrumente der
Firmennachhaltigkeitsbewertung:
Eine kritische Bestandsaufnahme mit Fokus auf KMU

CCRS Working Paper Series
Working Paper No. 01/2020

Dr. Isabelle Schluep

Zürich, Mai 2020

                                                    1
Abstract

Das vorliegende Arbeitspapier umfasst eine kritische Auslegeordnung existierender
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente zur Erfassung und Bewertung der
Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) sowie die Unternehmensführung
(Governance) (sogenannte ESG-Kriterien) bei Firmen. Dabei soll insbesondere untersucht
werden, inwieweit diese Instrumente eine Mess- und Vergleichbarkeit der
Nachhaltigkeitsleistung innerhalb der jeweiligen Industrie ermöglichen, und ob sie auch für
KMU geeignet sein könnten.
Zu diesem Zweck wird ein Kriterienkatalog erstellt, der es erlaubt, diese Systeme aufgrund
ihrer Praktikabilität wie auch ihrer Mess- und Vergleichbarkeit zu bewerten. Dabei fokussiert
sich die kritische Bestandsaufnahme primär auf Nachhaltigkeitsbewertungssysteme in
Deutschland, Österreich und in der Schweiz (DACH-Region). Bewertungssysteme ausserhalb
der Fokusregion, die entweder international eine starke Verbreitung gefunden haben oder
innovative neuere Ansätze repräsentieren, welche zu mehr Praktikabilität und Genauigkeit der
ESG-Bewertung führen könnten, werden ebenfalls berücksichtigt.
In der kritischen Bestandsaufnahme werden schrittweise diejenigen Bewertungsinstrumente
identifiziert und genauer untersucht, welche auch auf KMU Bedürfnisse ausgerichtet sind und
entsprechend genutzt werden. Diese werden dann anhand eines aus der Literatur abgeleiteten
Kriterienkatalogs auf ihre Vor- und Nachteile geprüft.
Weiter geht der Bericht auf Kreditratings          ein   und   zeigt   auf,   inwiefern   diese
Nachhaltigkeitsaspekte einschliessen.
Die Analyse zeigt, dass es zwar eine breite Palette von Instrumenten für KMU gibt, diese
jedoch meistens proprietär sind und somit die Mess- und Vergleichbarkeit der
Nachhaltigkeitsleistung erschweren. Der proprietäre Charakter begünstigt auch nicht
unbedingt Kriterien wie Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Messbarkeit, Repräsentativität,
Reliabilität, sowie Ausgewogenheit der Gewichtung der Bereiche Umwelt, Soziales und
Unternehmensführung.
Ausserdem vermindert der Zeit- und Kostenaufwand sowie die fehlende Mess- und
Vergleichbarkeit den Anreiz für KMU, solche Bewertungssysteme zu nutzen.
Die vorliegende Bestandsaufnahme kommt daher zur Erkenntnis, dass die Unübersichtlichkeit
der mehrheitlich privat bereit gestellten Bewertungssysteme auf ein gewisses Marktversagen
hindeutet. Dieses könnte behoben werden, indem eine praktikable, flexible, offen zugängliche
und transparente Bewertungsplattform geschaffen würde. Diese würde ergänzend zu den
bestehenden Instrumenten eine konkrete Mess- und Vergleichbarkeit innerhalb der jeweiligen
Industrie und Region (unter Berücksichtigung der regionalen/nationalen Regulierung und Ziele
im Bereich Nachhaltigkeit) ermöglichen. Diese sollte in Zusammenarbeit mit
Forschungsinstituten, den bereits existierenden Anbietern von ESG-Bewertungen und dem
öffentlichen Sektor erarbeitet werden und als eine Art externe Validierung von privaten und
unternehmensinternen Bewertungsinstrumenten dienen.

Keywords: KMU, ESG, Nachhaltigkeitsbewertung, Rating, Instrumente

                                                                                             2
ZUSAMMENFASSUNG
Für die Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele braucht es mehr Investitionen in
nachhaltiges Wachstum. Während die EU auf neue gesetzliche Grundlagen setzt, um das
Finanzsystem so umzugestalten, dass mehr private und öffentliche Mittel in nachhaltige
Investitionen fliessen, setzt die Schweiz auf freiwillige Massnahmen. Dabei sollen nicht nur
Grosskonzerne der Nachhaltigkeit vermehrt Rechnung tragen, sondern auch kleine und
mittlere Unternehmen (KMU). Obwohl diese den grössten Bedarf an Unternehmenskrediten
(80 Prozent) haben, spielen Nachhaltigkeitskriterien, also die nicht-finanzielle Leistung der
KMU, beim Kreditvergabeprozess noch kaum eine Rolle. Mit ein Grund dafür könnte der
Mangel an Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumenten sein, die aussagekräftig, geeignet und
praktikabel sind für KMU. Die Covid-19 Krise könnte der Forderung nach einer solchen
Nachhaltigkeitsbewertung beim Kreditvergabeprozess Vorschub leisten, wobei die sozialen
Indikatoren zusätzliches Gewicht erhalten könnten1.
Das vorliegende Working Paper untersucht unter anderem, wie KMU in ihrem
Nachhaltigkeitsmanagement, der Messung und dem Vergleich der Nachhaltigkeitsleistung mit
bestehenden und künftigen Nachhaltigkeitsinstrumenten unterstützt werden können, damit sie
auch in Zukunft finanziell erfolgreich bleiben/werden. Denn mittel- und langfristig ist es sinnvoll
nicht nur finanzielle, sondern auch nicht-finanzielle Indikatoren im Umwelt-, Sozial- und
Gouvernanzbereich (englisch: Environmental Social Governance, kurz ESG) in einer
umfassenden Bewertung der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens mit zu berücksichtigen.
Zudem wächst der Druck, nicht nur die Ressourceneffizienz eines KMU im Inland, sondern
den gesamten Fussabdruck entlang der Wertschöpfungskette in Anlage- und Kreditentscheide
wie auch beim öffentlichen Beschaffungswesen zu berücksichtigen. Ausserdem erwarten
immer mehr wichtige KMU-Kunden sowie KMU-Mitarbeitende, dass ESG-Kriterien gemessen
und bewertet werden.
Allerdings haben KMU beschränkte zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Mit
anderen Worten, eine Nachhaltigkeitsbewertung muss für sie praktikabel und zugleich
aussagekräftig sein, um unternehmensrelevant zu werden. Denn, wenn das genutzte
Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument nur beschränkt Anerkennung findet unter den für das
KMU relevanten Anspruchsgruppen, dann lohnt sich der Aufwand kaum.

1
  In der Schweiz rechnet die Expertengruppe des Bundes damit, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz
im Jahr 2020 um 6.7 Prozent zurückgehen wird. Das wäre der grösste Einbruch des BIP seit der Erdölkrise in
den 1970er Jahren. Der Schweizer Gewerbeverein (Association suisse des arts et métiers) fordert deshalb
weitere Unterstützung KMU. Unter anderem sollen Aufträge des Bundes, der Kantone und der Gemeinden bis
und mit im Jahr 2022 nur an nachhaltig arbeitende Schweizer KMU vergeben werden. Dafür gibt es eine
gesetzliche Basis. Das 2019 verabschiedete revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen
orientiert sich nicht mehr nur an der Wirtschaftlichkeit, sondern neu an sozialer, ökologischer und
wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. Allerdings gibt es keine Angaben dazu, wie Schweizer KMU im konkreten Fall
des öffentlichen Beschaffungswesens Nachhaltigkeitsziele auf praktikable Weise in ihre
Unternehmensentscheide einbauen können und die daraus entstehenden Nachhaltigkeitsleistungen
anschliessend gegenüber Dritten (z.B. in öffentlichen Submissionsverfahren) ausweisen können. Eine Studie im
Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) zu
Instrumenten für eine nachhaltige Beschaffung geht nicht auf die Bedürfnisse der KMU ein (BSD, 2018). Die
Vergabe der Corona-Kredite durch Geschäftsbanken an KMU (mit Bürgschaft des Bundes für Kreditvolumen
von weniger als CHF 500’000) wurden jedoch nicht an Konditionalitäten zur Nachhaltigkeit geknüpft. Dies kann
damit zusammenhängen, dass es nach wie vor schwierig ist, die erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen eines
KMU in der jeweiligen Branche zu messen, und zu vergleichen. Die nicht-finanziellen Bereiche Umwelt, Soziales
und Unternehmensführung werden von vielen Schweizer Finanzinstitutionen bei KMU deshalb noch nicht
systematisch beurteilt.

                                                                                                            3
Deshalb stellt sich die Frage, welche Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente für
KMU geeignet sind. Der Zweck des vorliegenden Working Papers ist es deshalb zu
untersuchen, welche Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente im Allgemeinen
bereits bestehen, und welche auch für KMU geeignet sein könnten, um deren
Nachhaltigkeitsleistung nicht nur zu messen, sondern vergleichbar zu machen. Dabei soll die
Nachhaltigkeit möglichst umfassend in den Dimensionen Umwelt, Ökonomie/Finanzielles,
Soziales/Gesellschaft und Unternehmensführung erfasst werden. Es wird keine strenge
Trennung zwischen Nachhaltigkeitsbewertungssystemen, die eine Gruppe von
Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumente umfasst, und einzelnen Instrumenten gemacht. Es
geht darum zu eruieren, welche Nachhaltigkeitssysteme und Instrumente auch für KMU
geeignet wären, und die sich auszeichnen durch Eigenschaften wie gute Aussagekraft,
Unternehmensrelevanz Praktikabilität, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Vergleichbarkeit,
Messbarkeit, Qualität, Glaubwürdigkeit und Standardisierung.
Wir werden sehen, dass es eine Fülle verschiedener Bewertungssysteme und Instrumente
gibt. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit, der mit der
Veröffentlichung des Brundtland-Berichts2 1987 (WCED, 1987) weltweite Verbreitung
erlangte, einen geringen Konkretisierungsgrad aufweist und so viel Spielraum lässt für
Interpretationen (Grunwald und Kopfmüller, 2012: 24). Deshalb wundert es nicht, dass viele
verschiedene Definitionen zum Konzept der Nachhaltigkeit formuliert wurden. Dieser
inflationäre Gebrauch des Begriffs der Nachhaltigkeit führt zu Misstrauen und wird assoziiert
mit einer Hülle ohne Inhalt (Grunwald, 2004: 327). Trotz seiner überdehnten Verwendung hat
die Nachhaltigkeit eine wichtige Botschaft: «Der Begriff ist heute unbedingt notwendig. Er ist
sogar unentbehrlich, weil er Brücken baut zwischen wirtschaftlichem Handeln und ethischer
Verantwortung, zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Ursache und Wirkung»
(Hamberger 2010: 32).
Für die Analyse der Zweckmässigkeit von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und
Instrumenten wird ein Kriterienkatalog erstellt, der es erlaubt, die ausgewählten Instrumente
zu vergleichen. Kriterien werden für einen fachlichen Teil, für die Datenaufbereitung und die
Anwendung des Instruments (Tools) formuliert. Im fachlichen Teil wir die Transparenz unter
die Lupe genommen (z.B. ob die Methode publiziert wurde), inwieweit der
Lebenszyklusgedanke auch in die Lieferketten einfliesst oder wie das Rating erfolgt (z.B. in
jedem Bereich von ESG, für die Nachhaltigkeit insgesamt). Bei der Datenaufbereitung wird
gefragt nach dem Zeitbedarf der KMU für Arbeiten im Zusammenhang mit der
Nachhaltigkeitsbewertung, wie die Dateneingabe erfolgt (z.B in Excel, online), wie die
thematische Abdeckung des Tools ist (ESG-Bereiche), und wie es um die Datentiefe (z.B.
Datenumfang) steht. Näher untersucht wird ein Instrument aus der Landwirtschaft (SMART
Sustainability Monitoring and Assessment RouTine)3, eines, das insbesondere auch auf

2
 Die World Commission on Environment and Development (WCED), die nach ihrer Vorsitzenden Gro Harlem
Brundtland auch als Brundtland-Kommission bezeichnet wird, wurde im Jahr 1984 einberufen und
veröffentlichte im Jahr 1987 ihren Abschlussbericht «Our Common Future». Dieser enthält
Verhaltensempfehlungen für das Zusammenwirken von wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz.
Nachhaltige Entwicklung wurde definiert als: «Sustainable development is development that meets the needs
oft he present without compromising the ability of future generations to meet their own needs» (WCED 1987:
43).
3
  SMART: https://www.fibl.org/de/projektdatenbank/projektitem/project/738.html;
https://www.fibl.org/fileadmin/documents/de/themen/nachhaltigkeitsanalyse/smart/20170819_SMART-
Infobroschuere_DE_MedQuality.pdf (abgerufen am 5. Mai 2020).

                                                                                                             4
Lieferketten angewendet wird (EcoVadis)4, und eines, das die Wirkung der Unternehmen ins
Zentrum rückt (B Impact Assessment)5. Die ausgewählten Instrumente sind relevant, weil sie
in den ausgewählten Bereichen eine grosse Verbreitung erlangt haben, und weil sich in der
gewählten Methodik deutlich unterscheiden.
Der Vergleich der ausgewählten Bewertungsinstrumente, die für KMU geeignet scheinen,
zeigt, dass sich die drei Methoden (B Impact Assessment, EcoVadis, SMART) in ihrer
Ausrichtung         teilweise       deutlich       unterscheiden.       SMART,        ein
Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument, das primär von Landwirtschaftsbetrieben genutzt wird,
setzt den Schwerpunkt auf den Vergleich zwischen Betrieben oder Produktionssystemen. B
Impact Assessment, das sich auf den Beitrag von Unternehmen auf die UNO
Nachhaltigkeitsziele konzentriert, misst die Wirkung von Nachhaltigkeitsmassnahmen eines
Unternehmens auf seine relevanten Anspruchsgruppen (Stakeholders). Dabei wird die
Nachhaltigkeitsperformance entsprechend dem Sektor oder der Grösse des Unternehmens
kontextualisiert. EcoVadis ist eine Nachhaltigkeits-Bewertungsplattform für globale
Beschaffungsketten. Anhand von EcoVadis Scorecards können Unternehmen die weltweite
Leistung in Sachen Umwelt, Soziales und Ethik verstehen, verfolgen und verbessern.
EcoVadis hat allerdings einen klaren Risikofokus und sagt wenig aus über die effektive
Nachhaltigkeitswirkung des Kerngeschäfts des Unternehmens.
Nachhaltigkeitsbewertungstools im deutschsprachigen Raum, die von KMU genutzt werden
können, decken in der Mehrheit der Fälle nur Teilbereiche ab wie Umwelt, Klima, CSR
(Corporate Social Responsibiliby), Energie, Gebäude, Beschaffung, Finanzen oder
Ressourceneffizienz. Die Gemeinwohlbilanz6 und der ZNU-Standard Nachhaltiger
Wirtschaften7 ermöglichen KMU eine umfassende Nachhaltigkeitsanalyse, die über ein reines
Reporting hinausgeht. Allerdings lassen sich die Resultate unter den Firmen nicht vergleichen.
Das Projekt «Mittelstand Ressource - Nachhaltigkeitsbenchmarking für mittelständische
Unternehmen» des Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW)8 ist daran, eine
Kennzahlenbasis (Benchmarking) für KMU aufzubauen. Dieses Vorhaben geht in die Richtung
eines KMU-Nachhaltigkeitsratings. Allerdings sind dazu keine näheren Details bekannt.
Die      kritische    Bestandsaufnahme       fokussiert  primär     auf     bestehende
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH-
Region). Der Kriterienkatalog wird ausserdem auch angewendet auf Bewertungssysteme, die
international eine starke Verbreitung gefunden haben, sowie solche, die gegenwärtig in
Erarbeitung sind. Für grosse, insbesondere börsenkotierte Firmen, wurden schon vor

4
  EcoVadis:
https://theme.zdassets.com/theme_assets/143203/d135d5e09447424a01d01f8c84411972f146dc1d.pdf
(abgerufen am 13. April 2020).
5
 B Impact Assessment: https://bimpactassessment.net/how-it-works/frequently-asked-questions/the-
bimpact-; https://bcorporation.eu/about-b-lab/country-partner/germany (abgerufen am 5. Mai 2020).
6
  Die Gemeinwohl-Bilanz ist ein Bewertungsverfahren für Privatpersonen, Gemeinden, Firmen und
Institutionen, mit dem geprüft wird, inwieweit sie dem Gemeinwohl dienen.
https://www.ecogood.org/de/unsere-arbeit/gemeinwohl-bilanz/unternehmen/ (abgerufen am 5. Mai 2020).
7
  Das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) an der Privaten Universität Witten/Herdecke
entwickelte den ZNU-Standard Nachhaltiger Wirtschaften. Es handelt sich um einen zertifizierbaren
Managementstandard (2020: 58 zertifizierte Unternehmen). https://www.znu-standard.com/ (eingesehen am
5. Mai 2020).
8
  BVMW: https://www.bvmw.de/mittelstandressource/ (abgerufen am 13. April 2020).

                                                                                                        5
Jahrzehnten ESG-Bewertungskriterien und Ratings9 (z.B. Dow Jones Nachhaltigkeitsindices,
Sustainalytics) entwickelt. Rund um grosse Firmen hat sich ein ganzes ESG-Ökosystem10
entwickelt. Damit gemeint sind die Hauptakteure, die sich rund um Firmen mit ESG befassen.
In dem sich rasch verändernden ESG-Ökosystem kann eine solche Auslegeordnung Klarheit
und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage für Investoren, Unternehmen und andere
Akteure schaffen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Das ESG-Ökosystem setzt sich wie folgt
zusammensetzt: aus (spezialisierten) (ESG)-Datenlieferanten (z.B. CDP, ISS-oekom,
RobecoSAM, MSCI, Refinitiv, Bloomberg), Normen setzenden Organisationen (z.B. GRI,
SASB, ISO), Rahmen setzenden Gremien (z.B. UN Global Compact), Investoren-Koalitionen
und Initiativen (z.B UN Principles for Responsible Investment), breiteren Koalitionen und
Initiativen (z.B. B Lab, WBCSD), Wirtschaftsprüfern (z.B. PwC, EY, KPMG) und Stimmrechts-
und Dienstleistungsverpflichtungen (z.B. ISS).
ESG-Ratingagenturen haben über die letzten 20 Jahre eine grosse Entwicklung
durchgemacht. Nach der Expansion in den 2000er Jahren, ist es in den letzten zehn Jahren
zu einer Marktkonsolidierung11 gekommen. Die ESG-Industrie ist grösser und professioneller
geworden und ist mit Unternehmen der Finanzindustrie verbunden. Obwohl ESG-Kriterien
systematisch in die Nachhaltigkeitsanalyse von Unternehmen eingebaut werden, bleibt die
Wirkungsweise unklar. Zu unterschiedlich und zu intransparent (meist proprietäre Instrumente)
sind die angewendeten Methoden. ESG-Ratingagenturen legen den Fokus auf Umwelt,
Soziales und Unternehmensführung und überlassen dabei die Bewertung der finanziellen
Nachhaltigkeit den Finanzinstitutionen. Öffentlich zugängliche Informationen zu den ESG-
Ratings sind kaum vorhanden und erscheinen auch nicht in einer Statistik (Escrig-Olmedo,
2019). Das verhindert zum einen eine unabhängige wissenschaftliche Validierung der Ratings.
Zum anderen können die Daten nicht mit der Forschung geteilt werden, um die
Weiterentwicklung und Verbesserung der jeweiligen Ratings zu ermöglichen. Serafeim et al.
(2020) hat einen ersten Ansatz zur Ableitung monetarisierter Schätzungen der
Umweltauswirkungen von Unternehmen entwickelt, die sich miteinander vergleichen lassen.
Boiral et al. (2020) analysieren die Impressionsmanagement-Strategien, mit denen Praktiker
in der Nachhaltigkeitsrating-Branche Vertrauen in die Verlässlichkeit von Ratings aufbauen
und die mangelnde Konvergenz dieser Ratings erklären.
Wegen der fehlenden Standardisierung bleibt auch die Aussagekraft der einzelnen
Instrumente beschränkt. Die Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in die Bewertung der
Unternehmensperformance entlang der Lieferkette (z.B. EcoVadis) sowie das
Lebenszyklusdenken (LCA) ist bei vielen Rating-Agenturen meist nicht vorhanden (Escrig-
Olmedo, 2019) was auf eine zunehmende Kluft zwischen Real- und Finanzwirtschaft in der
Nachhaltigkeitsbewertung hindeutet.

9
 Bei einem Rating geht es um die bonitätsmässige Einstufung von Firmen, Ländern, Banken oder Ähnlichem
anhand eines Klassifikationssystems. Bei der Nachhaltigkeitsbewertung sollte im Endeffekt auch eine
bonitätsmässige Einstufung der Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung erreicht werden.
10
  Siehe ESG Ecosystem Map. https://widgets.weforum.org/esgecosystemmap/#/ (abgerufen am 15. April
2020).
11
   Bei den globalen Anbietern von finanziellen und nicht-finanziellen Informationen ist vieles in Bewegung
geraten. Thomson Reuters verkaufte 2018 eine Mehrheitsbeteiligung an seiner Financial & Risk (F&R)-Einheit an
die Private-Equity-Firma Blackstone Group LP. Diese Geschäftseinheit heisst jetzt Refinitiv. Vigeo EIRIS, ein
Anbieter nicht-finanzieller Nachhaltigkeitsratings und –Dienstleistungen im Bereich Umwelt und Soziales
formierte sich 2015 aus der französischen Vigeo und der britischen EIRIS. Seit 2019 ist Moodys Hauptaktionärin
von Vigeo EIRIS.

                                                                                                            6
Im Allgemeinen gibt es keine öffentlich zugänglichen Daten/Informationen, die über die
Wirkung einzelner KMU auf Umwelt, Soziales, Ökonomie und Unternehmensführung (ausser
auf Sektorebene) Aussagen erlauben. Es gibt auch keine Angaben darüber, ob und wie
Schweizer KMU die Ziele des Pariser Übereinkommens zum Klimaschutz,
Nachhaltigkeitskriterien im öffentlichen Beschaffungswesen oder die UN-Agenda 2030 zur
Implementierung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf praktikable Weise in ihre
Unternehmensentscheide einbauen könnten.
Existierende Bewertungsinstrumente für KMU decken oftmals nur einzelne Bereiche ab, und
deren Ergebnisse lassen sich nicht vergleichen, da sie oft nicht auf Grund messbarer Kriterien
erhoben werden. Grössere Organisationen und Firmen haben eigene Lösungsansätze
entworfen, um die Nachhaltigkeitsleistung auf ihre Weise zu messen. Die Value Balancing
Alliance12 beispielsweise ist eine Allianz, die 2019 von international tätigen Unternehmen
gegründet wurde. Sie wird unterstützt durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die OECD,
Universitäten (z.B. Harvard Business School) sowie durch Vertreter aus Regierung,
Zivilgesellschaft und normsetzenden Organisationen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, einen
globalen Standard zu schaffen für die Messung und die Offenlegung von positiven und
negativen Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten, und eine Anleitung zu geben, wie
diese Auswirkungen in die Unternehmenssteuerung integriert werden können
Dadurch gibt es zwar eine Fülle an verfügbaren Instrumenten, aber auch eine klare Lücke,
nämlich ein Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument, das auf mess- und vergleichbaren Kriterien
aufbaut und alle Nachhaltigkeitsdimensionen integriert, die Aussagen über die Nachhaltigkeit
eines Unternehmens und dessen langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit zulässt. Dazu
kommt, dass die Methodik der Instrumente, insbesondere bei Ratings, nicht oder nur
bruchstückhaft publiziert ist. In diesem Sinn gibt es ein Marktversagen, da die Entwicklung
solcher Tools unkoordiniert abläuft, jeder etwas macht, und am Schluss trotzdem keine Lösung
vorhanden ist, die in integraler Weise für alle Schweizer KMU verwendet werden könnte. Das
hat auch damit zu tun, dass die Finanzwirtschaft - bis auf wenige Ausnahmen - die KMU noch
nicht in ihre nachhaltigen Finanzangebote/-strategien einbezogen hat, obwohl beispielsweise
in der Schweiz der KMU Sektor den grössten Bedarf an Unternehmenskrediten hat.
Die Schweiz verfolgt bis jetzt den Ansatz, dass die Marktakteure selbst einen Modus finden
sollten, um dieses Problem zu lösen. Der Bundesrat wird im 2020 in einem Bericht darlegen,
wie es in Sachen Sustainable Finance weitergehen soll.13 In Deutschland wird der
Bundesregierung und dem Staat dagegen eine treibende Rolle zuerkannt. Der Sustainable
Finance-Beirat (2020) der deutschen Bundesregierung empfiehlt, auch die KMU, die
wesentliche Akteure des Wirtschaftsstandorts sind, in die Pflicht zu nehmen, wenn es darum
geht, die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Eine
Empfehlung ist deshalb, die integrierte Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung
schrittweise auch auf KMU auszuweiten. Finanzmarktakteure sollen zudem Unternehmen
Finanzierungen anbieten, die einen messbaren Beitrag zur nachhaltigen Transformation
leisten.       Dazu       benötigt       werden        mess-          und     vergleichbare
Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumente.

12
     Value Balancing Alliance: https://www.value-balancing.com/about-us/ (abgerufen am 5. Mai 2020).
13
  Bundesrat bekräftigt die Chancen eines nachhaltigen Finanzsektors für die Schweiz.
https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-77424.html; Nachhaltigkeit im
Finanzsektor. https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/finanzmarktpolitik/nachhalt_finanzsektor.html
(abgerufen am 15. April 2020). (abgerufen am 10. Mai 2020).

                                                                                                       7
Im Kontext der Schweiz und der KMU-Landschaft gilt es zu überlegen, wie die Bedürfnisse der
Finanz- und der Realwirtschaft in geeigneter Weise miteinander in Einklang gebracht werden
können, um die Klima- und Nachhaltigkeitsziele gemeinsam zu erreichen, und zwar in einer
Art und Weise, die beiden Seiten Vorteile bringt (win-win) und nicht zusätzliche Bürokratie.
Im     internationalen    Kontext    sind    bei   ESG-Ratings/Kriterien     verschiedene
Standardisierungsbemühungen unterwegs, sei es bei ISO, beim WEF, bei der Value Balancing
Alliance, in Deutschland, in der EU oder in den USA. Konkrete Resultate für standardisierte
ESG-Faktoren (ausser im Umweltbereich, siehe Serapheim et al. 2020) oder standardisierte
ESG-Ratings bei KMU lassen sich noch nicht erkennen. Die Akteure in der Schweizer Real-
und Finanzwirtschaft haben es in der Hand, einen eigenen Standard für KMU zu setzen, der
als Modell für KMU im Ausland gelten könnte.

Die Autorin dankt Philipp Aerni, Thomas Scheiwiller, Sibyl Anwander, Thomas Streiff, Claus
Daub und Isa Cakir für Kommentare, Anregungen und Inputs zu diesem Working Paper.

                                                                                          8
Inhaltsverzeichnis
   ABSTRACT ..........................................................................................................................................2
   ZUSAMMENFASSUNG .......................................................................................................................3
   1. Hintergrund.............................................................................................................................. 12
   2. Ziel der Bestandsaufnahme ................................................................................................... 13
   3. Vorgehen und Methoden ........................................................................................................ 14
 3.1 Anforderungen an Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente ............................. 14
 3.2 Typisierung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten ............................. 19
 3.3 Auswahlkriterien für die Detailanalyse von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und
     Instrumenten ........................................................................................................................... 22
 3.4 Kriterienkatalog für die Detailanalyse der Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und
     Instrumente für KMU ............................................................................................................... 23
   4. Resultate .................................................................................................................................. 27
 4.1 Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente im Überblick ...................................... 27
 4.2 Nachhaltigkeitsbewertungssysteme grosser Anbieter ............................................................ 36
 4.3 Tools im deutschsprachigen Raum und aus weiteren europäischen Ländern ........................ 43
 4.3.1 Schweizer Tools ....................................................................................................................... 43
 4.3.2 Tools aus Deutschland ............................................................................................................. 45
 4.3.3 Europäische und weitere Tools ............................................................................................... 46
 4.4 Analyse der ausgewählten Nachhaltigkeitsbewertungssysteme für KMU............................... 47
   5. Finanzierungsmodelle für Ratings .......................................................................................... 53
   6. Kreditratings und Nachhaltigkeitsaspekte ............................................................................. 55
 6.1 Kreditratings von Schweizer Banken und Nachhaltigkeit ........................................................ 55
 6.2 Deutsche Bankenratings und Nachhaltigkeitsaspekte ............................................................ 56
   7. Standardisierungsbemühungen und Aktionspläne ................................................................ 60
 7.1 ISO/TC 322 ............................................................................................................................... 60
 7.2 Weltwirtschaftsforum WEF ..................................................................................................... 60
 7.3 Zwischenbericht des Sustainable Finance Beirat der deutschen Bundesregierung ................ 61
 7.4 EU Aktionsplan zu Sustainable Finance und Akteure in der Schweiz ...................................... 63
   8. Diskussion………………………………………………………………………………………………………………………..64
   8.1 Nachhaltigkeitsbewertungstools für grosse Unternehmen .................................................... 64
   8.2 Nachhaltigkeitsbewertungstools für KMU ............................................................................... 65
   8.3 Kreditratings für KMU .............................................................................................................. 66
   9. Fazit und Empfehlungen .......................................................................................................... 66
   LITERATUR ...................................................................................................................................... 68
   APPENDIX 1A – 1D ......................................................................................................................... 74

                                                                                                                                                     9
Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht der Kriterien zur Typisierung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen
           und Instrumenten……………………………………………………………………………………………………..                          22
Tabelle 2: Übersicht über Kriterien für den vertieften Vergleich von
           Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten für KMU…………………………….            26
Tabelle 3: Charakterisierung der Nachhaltigkeitsbewertungstools gemäss ihrem Zweck
           (Auswahl)………………………………………………………………………………………………………………….                             28
Tabelle 4: Nachhaltigkeitsbewertungsanbieter: Verschiedene Herangehensweisen
           (Auswahl)………………………………………………………………………………………………………………….                             39
Tabelle 5: Schweizer Nachhaltigkeitsbewertungsanbieter (Auswahl)…………………………………………             44

Tabelle 6: Vergleich ausgewählter Nachhaltigkeitsbewertungstools für KMU……………………………          49

Tabelle 7: Kreditratings von Banken und anderen Instituten (Auswahl)…………………………………….. 55

Verzeichnis der Grafiken

Grafik 1: 2018: Verwendung von ESG-Ratings zur Unterstützung der Entscheidungsfindung,
         Prozent (%) der Antwortenden je Organisation……………………………………………………………                 42
Grafik 2: Ratings: Bevorzugte Änderungen und Lösungen in den nächsten fünf Jahren, Prozent
         (%) der Befragten, die die Änderung/Lösung gewählt haben, 2018……………………………..         43

                                                                                              10
Abkürzungsverzeichnis
BAFU       Bundesamt für Umwelt
BöB        Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen
BVMW       Bundesverband Mittelständische Wirtschaft

CDP        Carbon Disclosure Project
CSR        Corporate Social Responsibility
DACH       Deutschland, Österreich, Schweiz
DJSI       Dow Jones Sustainaility Index
EbAV       Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung
EDA        Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten
EFD        Eidgenössisches Finanzdepartment
ESG        Environmental, Social, Governance
GRI        Global Reporting Initiative
ISO        Internationale Organisation für Normung
KMU        Kleine und mittleren Unternehmen
LCA        Life Cycle Analysis
MSCI       Morgan Stanley Capital International
NGO        Non-Governmental Organization
OECD       Organisation for Economic Co-operation and Development
SAFA       Suststainability Assessment in Food and Agriculture Systems
SASB       Sustainability Accounting Standards Board
SECO       Staatssekretariat für Wirtschaft
SIF        Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen
SMART      Sustainability Monitoring and Assessment RouTine
UN SDGs    United Nations Sustainable Development Goals
UVEK       Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und
           Kommunikation
WBCSD      World Business Council for Sustainable Development
WEF        World Economic Forum

                                                                          11
1. Hintergrund
Mit der Unterzeichnung des Pariser Übereinkommens zum Klimaschutz und der UN-Agenda
2030 zu Implementierung der UNO Nachhaltigkeitsziele haben sich im Jahr 2016 Regierungen
weltweit zur Förderung einer nachhaltigeren Wirtschaft verpflichtet. Die EU Kommission hat
diesbezüglich 2018 einen Aktionsplan zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums
verabschiedet. Dieser soll mithelfen, das Finanzsystem in Europa so umzugestalten, dass
private wie auch öffentliche Mittel vermehrt in nachhaltige Investitionen fliessen. Die
vorgeschlagenen Massnahmen zielen darauf ab, die Mess- und Vergleichbarkeit der
Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen zu verbessern. Zugleich soll der Druck auf die
Hauptakteure im Finanzsektor erhöht werden, damit diese die «nicht-finanziellen» Kriterien in
Anlageentscheidungen vermehrt berücksichtigen. Bei börsenkotierten Grossfirmen wird eine
Nachhaltigkeitsberichterstattung, die auf mess- und vergleichbaren Kennzahlen basiert,
bereits zunehmend von Investoren und anderen Interessenvertretern, die sich für die
Nachhaltigkeit der Unternehmen interessieren, erwartet.
Die Schweiz setzt bei der Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele primär auf
freiwillige Massnahmen; wobei Schweizer Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen
durch zahlreiche öffentliche und private Initiativen unterstützt werden. Dabei sind es nicht nur
die grossen Schweizer Konzerne, die der Nachhaltigkeit vermehrt Rechnung tragen, sondern
auch die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Letztere haben viele kleine und innovative
Schritte unternommen, um im Produktdesign, bei den Energiequellen, bei den
Beschaffungskriterien oder bei der Ressourceneffizienz nachhaltiger zu werden. Es ist jedoch
nach wie vor schwierig, die erbrachten Nachhaltigkeitsleistungen eines KMU in der jeweiligen
Branche zu messen, und zu vergleichen. Dies erklärt wohl auch, dass viele Schweizer
Finanzinstitutionen,    die    nicht-finanziellen     Bereiche     Umwelt,     Soziales     und
Unternehmensführung – sogenannte ESG-Kriterien (ESG ist die englische Abkürzung für
Environment, Social, Governance) - bei KMU noch nicht systematisch beurteilen. Dennoch
wächst der Druck, nicht nur die Ressourceneffizienz eines KMU im Inland, sondern den
gesamten Fussabdruck entlang der Wertschöpfungskette in Anlage- und Kreditentscheide wie
auch beim öffentlichen Beschaffungswesen zu berücksichtigen. Zugleich sollte auch vermehrt
berücksichtigt werden, welchen Beitrag das jeweilige Kerngeschäft des Unternehmens zur
Nachhaltigkeit leistet, denn ein Unternehmensaktivitäten generieren nicht bloss negative,
Externalitäten für Umwelt und Gesellschaft, sondern können mit ihren Innovationen und
Problemlösungsansätzen auch positive Externalitäten erzeugen (Schluep, 2019).
Auch in der Schweizer Politik hat sich einiges getan. Beispielsweise wurde das neue
Energiegesetz, zusammen mit den entsprechenden Verordnungen auf Anfang 2018 in Kraft
gesetzt. Dieses hat zum Zweck den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu
erhöhen und die erneuerbaren Energien zu fördern,
Im Februar 2018 wurde unter der Federführung des Bundesamts für Umwelt die «Go for
Impact» Initiative lanciert. Dabei handelt es sich um eine Kooperation von Wirtschaft,
Wissenschaft, Gesellschaft und der öffentlichen Hand für eine nachhaltige Schweizer
Wirtschaft. Die neue Initiative will die Schweizer Wirtschaft bei der Reduktion ihres negativen
und der Steigerung ihrer positiven Umweltwirkung im In- und Ausland unterstützen.
Am 21. Juni 2019 verabschiedete das Parlament das revidierte Bundesgesetz über das
öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das sich nicht mehr nur an der Wirtschaftlichkeit,
sondern neu an sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit orientiert. Ende
August 2019 entschied der Bundesrat zudem, das Ziel für die Reduktion der
Treibhausgasemissionen zu verschärfen, und zwar auf null bis ins Jahr 2050. 2012 führte die
Schweiz CO2-Emissionsvorschriften für erstmals in der Schweiz zugelassene Personenwagen

                                                                                             12
ein. Der seither für Personenwagen geltende Grenzwert von 130 g CO2/km wird ab dem Jahr
2020 auf 95 Gramm pro Kilometer reduziert.
In den vergangenen Jahren hat sich auch im Schweizer Finanzanlagemarkt einiges bewegt.
Vor allem die Pariser Klimaziele haben dazu geführt, dass Klimaverträglichkeit für
Vermögensinhaber (sogenannte Asset Owner) stark an Bedeutung gewonnen hat. Die
Integration von ESG-Kriterien gehört inzwischen zu den treuhänderischen Sorgfaltspflichten.14
Nachhaltigkeit wird auch bei Pensionskassen immer stärker zu einem entscheidenden Faktor.
Im Gegensatz zur EU, wo immer neue Regeln und Pflichten zur Integration von ESG-Kriterien
entstehen (z.B. EBAV II15 , EU Taxonomy for Sustainable Activities16), setzt die Schweiz auf
freiwillige Massnahmen zur Umsetzung des 2 Grad Zieles von Paris.
Um die Klimaschutz- und UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, wurden in der Real- und in der
Finanzwirtschaft bereits zahlreiche private und öffentliche Initiativen lanciert, um speziell
Schweizer KMU zu unterstützen, da diese über weniger Ressourcen verfügen als grosse
Unternehmen, um entsprechende Massnahmen einzuleiten. Der Technologiefonds17 ist
beispielsweise ein klimapolitisches Instrument der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
welches Darlehensbürgschaften an Schweizer KMU gewährt, welche innovative Technologien
zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, zur effizienteren Nutzung von elektrischer
Energie, zur Förderung erneuerbarer Energien oder zur Schonung natürlicher Ressourcen
entwickeln und vermarkten. Am 15. Oktober 2019 unterzeichnete öbu18, die «Lisbon
Declaration» des Weltwirtschaftsrates für nachhaltige Entwicklung (WBCSD). Alle
unterzeichnenden Organisationen verpflichten sich, ihre Mitgliedsunternehmen dabei zu
unterstützen, Massnahmen gegen den Verlust der Biodiversität und die damit einhergehenden
Herausforderungen zu ergreifen.
Viele Initiativen/Instrumente finden sich auch im Bausektor, der rund 50 Prozent des gesamten
Materialaufwandes und fast ebenso viele CO2-Emissionen generiert sowie 65 Prozent der
Abfallmenge verursacht. Mit einer optimierten Kreislaufwirtschaft bei der Umsetzung der
Nachhaltigkeitsziele kann der Sektor einen relevanten Beitrag leisten. Diese kann
beispielsweise durch Bildungsmassnahmen gefördert werden. So können sich ab Januar 2020
Mitarbeitende von Planungs- und Handwerksbetrieben mit einem neuen Diplomlehrgang
interdisziplinäre Fachkompetenzen aneignen und so die Glaubwürdigkeit eines
Bauunternehmens als Anbieter von nachhaltigen Lösungen steigern.

2. Ziel der Bestandsaufnahme
Der Fokus in diesem Bericht liegt auf der Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen, und
insbesondere von Schweizer KMU. Dabei soll die Nachhaltigkeit möglichst umfassend in den

14
  Rechtsgutachten Klimarisiken in der Vermögensverwaltung bei Pensionskassen, von PD Dr. S. Abegglen.
https://uploads.strikinglycdn.com/files/34f940b0-96c0-4f50-829b-
c453ea27ade2/181012%20Rechtsgutachten%20an%20Klima-
Allianz%20Schweiz%20betr.%20Klimarisiken%20in%20de....pdf (abgerufen am 4. Mai 2020).
15
  Es handelt sich um die Richtlinie 2016/2341 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen
der betrieblichen Altersversorgung (sog. EbAV-II-RL) vom 23. Dezember 2016.
16
  EU taxonomy for sustainable activities. https://ec.europa.eu/info/publications/sustainable-finance-teg-
taxonomy_en (abgerufen am 4. Mai 2020).
17
     Technologiefonds: https://www.technologiefonds.ch/ (abgerufen am 4. Mai 2020).
18
  Der Verband für nachhaltiges Wirtschaften - öbu - setzt sich zusammen mit seinen Mitgliedsunternehmen für
eine prosperierende Wirtschaft unter Einhaltung ökologischer und sozialer Grundsätze ein.

                                                                                                            13
Dimensionen     Umwelt,       Ökonomie/Finanzielles,                    Soziales/Gesellschaft          und
Unternehmensführung erfasst werden.
Der vorliegende Bericht bietet einen Überblick über bestehende Nachhaltigkeitsbewertungs-
systeme und Instrumente im Allgemeinen und insbesondere für Schweizer KMU. Die
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente aus der Real- wie aus der
Finanzwirtschaft werden nach verschiedenen Kriterien beurteilt und kategorisiert.19
Der Bericht liefert Antworten darauf, inwieweit bereits für KMU geeignete
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente auf dem Markt sind, die mess- und
vergleichbare Daten liefern und die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit gut
abdecken, und welches ihre Vor- und Nachteile für potenzielle Nutzer sind.

3. Vorgehen und Methoden
Zuerst werden anhand einer Literatur-Recherche allgemeine Anforderungen an
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente diskutiert, die als Richtschnur
herangezogen werden können. Diese sogenannten normativen Kriterien fliessen
anschliessend     in      die    Typisierung      und    die       Analyse     bestehender
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme aus der Real- und der Finanzwirtschaft ein. Um das
erwähnte Ziel, nämlich die Charakterisierung von für KMU allenfalls geeigneten Rating-Tools
zu erreichen, wenden wir ein mehrstufiges Verfahren an.
In einem ersten Schritt wird ein Raster mit zweckorientierten Kriterien aufgestellt, das dabei
hilft, die Fülle bestehender Rating-Tools einzuordnen. Die Kriterien betreffen insbesondere
den Zweck des jeweiligen Tools, die Adressaten, die Unternehmensgrösse, den thematischen
Fokus und/oder die Ambition, die ein Tool verfolgt.
Im zweiten Schritt werden Selektionskriterien definiert, um zu identifizieren, welche
Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente aus den unterschiedlichsten Bereichen
für KMU geeignet sein könnten.
Im dritten Schritt wird ein Set von Kriterien aufgestellt, das sich an den normativen
Anforderungen von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen und Instrumenten orientiert. Anhand
dieser Kriterien sollen die Vor- und Nachteile der Rating-Tools aufgezeigt werden, die auch für
KMU in Frage kommen könnten. Um die thematische Abdeckung der Nachhaltigkeitsbereiche
(Umwelt, Soziales, Ökonomie und Unternehmensführung) dieser Rating-Tools auszuleuchten,
wird noch ein zusätzlicher Merkmalskatalog aufgestellt.

     3.1. Anforderungen an Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und Instrumente
Bonitäts- oder Kreditratings von Unternehmen fussen auf mess- und vergleichbaren
Finanzkennzahlen. Demgegenüber weisen Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und
Instrumente einen viel grösseren Ermessensspielraum auf (Keller 2015: 20). Dies hängt damit
zusammen, dass ein allgemein gültiges gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und
demzufolge auch von ESG-Kriterien fehlt. Die Studie von Döpfner und Schneider (2012: 79)
zu Nachhaltigkeitsratings zeigt dies exemplarisch auf anhand von vier grossen

19
  Grundsätzlich ist der Begriff des Nachhaltigkeitsbewertungssystems weiter gefasst als derjenige des
Nachhaltigkeitsbewertungsinstruments. Ein Anbieter eines Nachhaltigkeitsbewertungssystems hat meist eine
Palette (verschiedene Versionen) von Nachhaltigkeitsbewertungsinstrumenten zur Verfügung. Es kann aber
auch eintreffen, dass wenn das Nachhaltigkeitsbewertungsinstrument in einer einzigen Form vorliegt, dieses
mit dem Nachhaltigkeitsbewertungssystem gleichgesetzt werden kann. Wir machen in dieser Studie keine
explizite Trennung zwischen Nachhaltigkeitssystemen und Instrumenten.

                                                                                                         14
Nachhaltigkeitsratingagenturen im deutschen Raum, deren Nachhaltigkeitsverständnis von
stark ökonomischen bis ethisch-ökologischen Ansätzen reicht. Das hat dazu geführt, dass sich
eine Vielzahl verschiedener Messsysteme mit einem jeweils eigenen Kriteriensets für die
Evaluation der Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) sowie die
Unternehmensführung (Governance) entwickelt haben (Keller 2015: 20). Döpfner und
Schneider (2012: 21) machen eine Auslegeordnung von ökonomisch sowie normativ
orientierten Bewertungskonzepten.20
Wir orientieren uns am normativen Anspruch der Nachhaltigkeitsbewertungssysteme und
Instrumente (Keller 2015), weil dieser als Richtschnur (Massstab) für die Typologisierung und
die Analyse verschiedener Rating-Tools herangezogen werden kann. Bei der Bewertung der
Erfüllung des normativen Anspruchs verwenden wir die von Keller (2015) erarbeiteten
substanziellen Anforderungen an Ratings, Ratingkriterien oder Ratingagenturen. Sie stützte
sich dabei auf die aktuelle ESG- und Finance Literatur sowie Grundlagen der empirischen
Sozialforschung ab (Keller 2015: 4, 20-36). Dazu gehören folgende Kriterien:
a)         Nachvollziehbarkeit und Transparenz
b)         Verzerrungen
c)         Standardisierung
d)         Glaubwürdigkeit der Informationen
e)         Mess- und Vergleichbarkeit
f)         Qualität der Messinstrumente

a)      Nachvollziehbarkeit und Transparenz:21 Mangelnde Transparenz war eine der
grössten Kritikpunkte, die im Zuge der Finanzkrise gegenüber Kreditrating-Agenturen
geäussert wurde, und schlussendlich in deren Regulierung resultierte. Die Nachvollziehbarkeit
eines Ratings, nicht aber die vollständige Überprüfbarkeit, ist nicht nur eine aus
finanztheoretischer Sicht genannte Anforderung (Sönnichsen 2007: 333). Auch in der ESG-
Literatur wird die fehlende Transparenz, insbesondere auch hinsichtlich der Ratingergebnisse,
oft bemängelt (Chatterji et al. 2009: 127; Scalet & Kelly 2010: 72). Transparenz bezüglich der
Ratingmethodik wird gar als einer der wichtigsten Treiber der Glaubwürdigkeit von ESG-
Ratings genannt (Sadowski et al. 2010b: 12). Obwohl die Glaubwürdigkeit von ESG-
Ratingagenturen in der Zwischenzeit gestiegen ist, und einige bereits einen hohen Grad an
Transparenz aufweisen, bezieht sich ein Grossteil der Kritik am ESG-Ratingmarkt nach wie
vor auf diesen Umstand (Wong et al. 2019). Punkto Nachvollziehbarkeit & Transparenz sollen
deshalb folgende Punkte untersucht werden:

          Sind Ratingmethodik, Indikatoren und Schwellenwerte öffentlich einsehbar?
          Können die einzelnen Analyseschritte nachvollzogen werden?
          Sind die Rating-Ergebnisse öffentlich verfügbar?

20
  Döpfner und Schneider (2012) verweisen auf Schäfer et al. (2004), der ökonomisch orientierte Ansätze wie
folgt beschreibt: „Ökonomisch orientierte Konzepte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf solche
ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien konzentrieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte oder
indirekte wirtschaftliche Auswirkungen auf das bewertete Unternehmen haben. Hier geht es um den ´CSR-
business case.“ (Schäfer et al., 2004: 117).
21
     Zitiert aus Keller, S. 30. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet)

                                                                                                              15
b)      Verzerrungen:22 Das Konzept der Triple Bottom Line, welches eine Balance
ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte anstrebt, sollte als Grundgedanke der
Nachhaltigkeit auch in entsprechende Ratings oder Indizes einfliessen. Derzeit besteht aber
bei vielen Ratings jedoch ein Fokus auf einem ausgewählten ESG-Bereich. Solche Ratings
decken dann häufig nur die spezifischen Interessen einzelner statt diverser Anspruchsgruppen
ab (Windolph 2013: 44). Zusätzlich erlaubt der Fokus auf einen Schwerpunktbereich einem
Unternehmen jenes Rating auszuwählen, wo es absehbar eine gute Performance aufweist
(Scalet & Kelly 2010: 72). Unterschiedliche Gewichtungen sind laut Chatterji & Levine (2006:
45) nicht per se schlecht, erfordern aber, dass Ratingagenturen den damit verfolgten Zweck
auch explizit nach aussen kommunizieren.
Eine weitere Quelle für die Entstehung von Verzerrungen liegt in der Wahl des Rating-
Universums (Sadowski et al. 2010a: 6; Windolph 2013: 42). Bestehende Indizes bilden dabei
häufig die Grundlage für die Auswahl des Rating-Universums, oder es werden nur die grössten
Unternehmen innerhalb einer Branche respektive eines Landes bewertet. Mittlere, kleine oder
Unternehmen in Entwicklungsländern erhalten sehr selten die Chance, ihre ‘Nachhaltigkeit’
unter Beweis zu stellen, oder verfügen teilweise nicht über die Kapazität zur Beantwortung der
Fragebögen und schliessen sich damit selbst aus (Sadowski et al. 2010b: 12; Windolph 2013:
44-45). Punkto ‘Verzerrungen’ sollen deshalb folgende Punkte untersucht werden:

          Ist ein Schwerpunkt auf der ökonomischen, ökologischen oder sozialen Dimension
           vorhanden? Wie werden die verschiedenen Bereiche gewichtet?
          Welches ist das Zielpublikum des Rating-Erstellers (z.B. Investoren, Unternehmen,
           Mitarbeitende, Behörden etc.)?
          Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl des Rating-Universums (z.B. Grösse der
           Unternehmen, Branchen, Regionen)?

c)      Standardisierung:23 Die Standardisierung stellt bereits in der Berichterstattung der
Unternehmen aufgrund der verschiedenen Vorstellungen der unternehmerischen
Verantwortung und des ESG-Konzepts eine Herausforderung dar (Bassen & Kovàcs 2008:
184-185). Im Rahmen von Ratings ist sie insofern ein Kriterium, als dass nur bei einheitlichen
Ansätzen der Ratingagenturen die Resultate miteinander verglichen werden können (Chatterji
& Levine 2006: 41). In die gleiche Richtung stösst die Kritik bezüglich des fehlenden
gemeinsamen Verständnisses der essenziellen Indikatoren und der Messtechniken von
Ratingagenturen (van den Brink & van der Woerd 2004: 196; Scalet & Kelly 2010; Sadowski
et al. 2011a: 25-26). Standardisierung ist folglich nicht nur ein Kriterium bei Ratingagenturen,
sondern schafft durch die Vereinheitlichung der Berichterstattung auch auf
Unternehmensseite, die Grundlage für mehr Qualität und Vergleichbarkeit eines Ratings
(Bassen & Kovàcs 2008: 190; Windolph 2013: 38, 42-43).
Laut Dembinski et al. (2003: 211) spielen bei der Entwicklung und der Verbreitung von
Standards Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine besondere Rolle, weil diese nicht nur
bei Unternehmen selbst, sondern auch bei öffentlichen Institutionen sowie Investoren eine
hohe Legitimität geniessen. Gleichzeitig weisen die Autoren aber auch auf eine Gefahr der
Standardisierung, insbesondere in der standardisierten Berichterstattung, hin: Die
zunehmende Konzentration der Unternehmen, welche die standardisierten Indikatoren
definieren und über die grossen Datenmengen dazu verfügen, könnte zur Vernachlässigung
von substanziellen ESG-Aspekten führen, deren Relevanz erst im Laufe der Zeit erkannt

22
     Zitiert aus Keller, S. 30-31. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet)
23
     Zitiert aus Keller, S. 29-30. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet)

                                                                                                               16
würde (Dembinski et al. 2003: 211).24 Im Rahmen der Standardisierungsdiskussion sollte
deshalb folgender Punkt im Auge behalten werden:

          Wurde bei der Entwicklung der Ratingmethodik und/oder bei der Auswahl der
           Bewertungs-Kriterien auf externe Grundlagen oder Standards zurückgegriffen?

d)      Glaubwürdigkeit der Informationen:25 Die Glaubwürdigkeit wird einerseits aufgrund
allgemeiner Schwachstellen im Bereich der ESG-Berichterstattung von Unternehmen, und
andererseits wegen der oftmals hohen Sensibilität der für ESG-Ratings notwendigen Daten in
Frage gestellt. Die alleinige Beurteilung anhand öffentlicher Informationen in Medien- oder
Unternehmensberichten, Webseiten, etc. ist daher oft nicht ausreichend (Sadowski et al.
2010b: 4). Die Verwendung von Fragebögen ist ebenfalls mit mehreren Trade-offs verbunden:
umfragebasierte Fragebögen können zwar detailliertere und teils sensiblere Informationen
liefern, gleichzeitig besteht aber die Gefahr von qualitativ schlechteren oder verfälschten
Daten, wenn die Unternehmen nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen oder nicht
bereit sind, diese aufzuwenden (Windolph 2013: 43-44). Letzteres wird dahingehend kritisiert,
als durch die Bewertung anhand ausführlicher Fragebogen nicht die Unternehmen mit der
besten Leistung belohnt werden, sondern tendenziell eher jene, welche über die erforderlichen
Kapazitäten, Ressourcen und Prozesse verfügen um ein professionelles Reporting, das zu
einem guten Rating führt, zu erstellen haben (Sadowski et al. 2010b: 12).
Auf diese Gefahr der Verzerrung verweisen Schnell et al. (2013) auch im Sinne von
systematischen Ausfällen. Dies geschieht beispielsweise durch eine höhere Antwortquote von
besser gebildeten gegenüber weniger gebildeten Personen bei postalischen Befragungen. Die
Qualität und der Detaillierungsgrad werden wiederum als potenzielle Vorteile einer
schriftlichen Befragung genannt (Schnell et al. 2013: 351). Als optimal wird folglich die
Kombination spezifischer Fragebögen und zusätzliche öffentliche Informationen im Sinne einer
externer Prüfung angesehen, um die Glaubwürdigkeit und Qualität der für das Rating
benutzten Informationen zu erhöhen (van den Brink & van der Woerd 2004: 196; Sadowski,
2011a: 7; Windolph 2013: 44). Zudem sollte die Qualität der von den Unternehmen gelieferten
Daten überprüft werden (Sadowski, et al. 2011a: 19). Punkto Glaubwürdigkeit der
Informationen soll deshalb untersucht werden:

          Welche Informationsquellen nutzt die Ratingagentur, sind diese intern und/oder
           extern?
          Verwendet die Ratingagentur Primärdaten und/oder Sekundärdaten?
          Erfolgt eine Überprüfung der Daten oder werden externe Zertifizierungen verlangt?

e)    Mess- und Vergleichbarkeit:26 Die zunehmende Anzahl Ratings mit deren jeweils
eigenen Methoden, Gewichtungen und Darstellungsformen stellen in mancher Hinsicht eine
Herausforderung für die Vergleichbarkeit dar: Sie erhöhen die Komplexität für Unternehmen
sowie Investoren und erschweren damit gleichzeitig die Vergleichbarkeit der Resultate
(Sadowski et al. 2010b: 5; Scalet & Kelly 2010: 72).

24
  Deschryver & Mariz (2020) identifizieren die aktuellen Barrieren, die die mangelnde Skalierbarkeit des
Marktes für grüne Anleihen (sogenannte Green Bonds) erklären: ein Defizit an harmonisierten globalen
Standards, die Risiken des Greenwashing, die Wahrnehmung höherer Kosten für Emittenten, das mangelnde
Angebot an Green Bonds für Investoren und die allgemeine Entwicklung des Marktes.
25
     Zitiert aus Keller, S. 31-32. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet)
26
     Zitiert aus Keller, S. 32-33. (Auf Hervorhebung durch Schrägstellung des Originaltexts wird verzichtet)

                                                                                                               17
Sie können auch lesen