Thema - Zehn Jahre Leben mit Fukushima: Die fortgesetzte Atomkatastrophe - März 2021 internationale ärzte für die verhütung des atom-krieges ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ippnw März 2021 internationale ärzte für thema die verhütung des atom- krieges – ärzte in sozia- ler verantwortung Foto: © Shaun Burnie / Greenpeace 2019 Zehn Jahre Leben mit Fukushima: Die fortgesetzte Atomkatastrophe
10 JAHRE FUKUSHIMA Zehn Jahre Leben mit Fukushima Schilddrüsenkrebsrate steigt, während die japanische Regierung versucht, die Folgen des Super-GAU herunterzuspielen Z ehn Jahre ist es nun her, dass ist zwar nicht die gefährlichste, wohl aber Screeningeffekt ausgeschlossen werden, wir alle gebannt auf die Bildschir- die am einfachsten nachzuweisende Form denn all diese Kinder waren ja im Vorfeld me starrten, während sich vor der strahlenbedingten Krebserkrankung. schon voruntersucht und für krebsfrei be- unseren Augen die größte Atom- Zum einen sind die Latenzzeiten bis zur funden worden. Sie müssen die Krebs- katastrophe seit Tschernobyl entwickelte. Entstehung eines Krebsgeschwürs relativ erkrankung also zwischen den Screening- Ein Erdbeben hatte das japanische Atom- kurz, nur wenige Jahre. Zum anderen ist Untersuchungen entwickelt haben. kraftwerk Fukushima Dai-ichi am 11. März Schilddrüsenkrebs bei Kindern eine ext- 2011 schwer beschädigt. Der nachfolgen- rem seltene Krankheit, so dass auch ein Die Erklärung der FMU, die hohen Krebs- de Tsunami begrub jede Hoffnung für eine geringfügiger Anstieg statistisch signifikant zahlen seien dem Screening-Effekt zuzu- Abwendung eines Super-GAUs. In den nachzuweisen ist. Entsprechend groß war schreiben, ist nicht die einzige Maßnahme, nächsten Tagen kam es in drei der sechs 2011 der Druck auf die japanischen Be- die allgemein als Mittel zur Reduzierung Atomreaktoren zu Kernschmelzen. Große hörden, Schilddrüsenkrebszahlen in Fu- der offiziellen Zahl diagnostizierter Krebs- Mengen an radioaktiven Partikeln wurden kushima zu untersuchen. fälle gewertet wird. So werden Jugendliche, in die Atmosphäre geschleudert. Mehr als die 25 Jahre alt werden, aus der offiziellen 200.000 Menschen mussten evakuiert werden, ganze Landstriche wurden zu strahlenden Sperrzonen. S eit knapp zehn Jahren untersucht die FMU in regelmäßigen Abständen die Schilddrüsen von Menschen, die zum Hauptstudie ausgeschlossen und in eine neu erschaffene Untersuchungskohor- te der Über-25-Jährigen übertragen. Die Zeitpunkt des Super-GAUs in der Präfek- Teilnahmequote in dieser Studie beträgt Vielerorts waren die Menschen in Japan tur Fukushima lebten und unter 18 Jahre gerade einmal 8 %. Hier wurden bislang 4 damals radioaktivem Niederschlag ausge- alt waren. Anfangs handelte es sich bei Krebsfälle diagnostiziert. Die Dunkelziffer setzt. Manche leben bis heute in den ver- dieser Gruppe um rund 368.000 Indivi- dürfte deutlich höher liegen. strahlten Regionen, in denen sie tagtäglich duen, mittlerweile sind es nur noch knapp mit erhöhten Strahlenmengen konfrontiert sind: radioaktive Hotspots am Straßen- rand, im Reisfeld oder im Sandkasten, 218.000. Seit 2011 wurden drei Untersu- chungsreihen durchgeführt, die vierte läuft seit 2018. H inzu kommen elf Schilddrüsenkrebs- fälle, die bei Kindern diagnostiziert wurden, die ebenfalls Teil der Studie waren. kontaminierte Pilze oder Algen, verstrahl- Allerdings fielen diese nicht im Rahmen tes Grundwasser und Rekontaminationen In der Erstuntersuchung in Fukushima der regulären Screening-Untersuchungen durch Waldbrände oder Überschwem- fand man 101 bestätigte Krebsfälle, die auf, sondern im Universitätsklinikum von mungen. Doch die atomfreundliche Re- so aggressiv waren, dass sie operiert Fukushima bei Nachuntersuchungen. Die- gierung Japans versucht die Folgen der werden mussten. Diese unerwartet hohe se 11 Fälle wurden nicht zu den offiziellen Katastrophe für Mensch und Umwelt her- Zahl wurde von der FMU damals mit Ergebnissen hinzugerechnet, obwohl sie unterzuspielen. Das zeigt auch eine Studie einem Screening-Effekt erklärt: Bei groß identische Tumorentitäten zeigten. Die 11 der Fukushima Medical University (FMU) angelegten Reihenuntersuchungen wür- Fälle wurden im Juni 2017 bekannt. Wie zur Entstehung von Schilddrüsenkrebs bei den mehr Krankheitsfälle identifiziert, als viele weitere Fälle seitdem hinzugekom- Kindern und Jugendlichen in Fukushima. in derselben Bevölkerung und im selben men sind, ist unbekannt. Zudem stehen Eine der meistgefürchteten Spätfolgen von Zeitraum durch symptomatisch werdende Daten anderer Krankenhäusern in Japan radioaktiver Exposition ist die Entstehung Erkrankungen zu erwarten sei. In den dar- nicht zur Verfügung. Die Patienten aus ver- von Krebserkrankungen durch Mutation affolgenden Screenings fand man weitere strahlten Gebieten außerhalb der Präfektur der DNA. Schilddrüsenkrebs bei Kindern 97 Krebsfälle. Bei diesen Fällen kann ein Fukushima werden nirgendwo erhoben. 2
SCHILDDRÜSENKREBS BEI KINDERN IN FUKUSHIMA 2011-2021: DIE BLAUE LINIE DER BESTÄTIGTEN FÄLLE STEIGT GEGENÜBER DER ROTEN LINIE DER ERWARTETEN IMMER WEITER AN. Das spricht dafür, dass die Dunkelziffer der den weniger verstrahlten Gebieten. Am Bis heute leben die Menschen in Japan mit Schilddrüsenkrebsfälle bei Patient*innen, geringsten war die Inzidenz im Westen der der Katastrophe. Es gibt weiterhin keine die zum Zeitpunkt der Super-GAUs Kinder Präfektur, wo der radioaktive Niederschlag Normalität, auch wenn die atomfreundliche in den verstrahlten Gebieten waren, deut- am wenigsten ausgeprägt war. Regierung dies mit bunten olympischen lich höher liegen dürfte. Allein die Zahl an „Wiederaufbau“-Spielen zu verdecken ver- offiziell bekannten Schilddrüsenkrebsfällen in Fukushima liegt aktuell bei 213 (198 of- fizielle Fälle aus den Reihenuntersuchun- I n den Jahren 2016-20 ist die Zahl der Teilnehmenden an den Screening-Unter- suchungen kontinuierlich gesunken: von sucht. Die Lehren aus Fukushima zu lernen heißt auch, genau hinzusehen und nicht zu verdrängen: Die Menschen in Japan haben gen, vier aus der Ü25-Kohorte und elf aus anfangs 79 % im 1. Screening auf 71 % im ein unveräußerliches Recht auf Gesund- der Universitätsklinik Fukushima). 2. Screening, 65 % im 3. Screening und heit und auf ein Leben in einer gesunden aktuell im laufenden 4. Screening auf 60 Umwelt. Die Untersuchungen kindlicher Interessant wird es bei einem Vergleich die- %. Hinter diesem Trend scheint ebenfalls Schilddrüsen kommen dabei nicht nur den ser Zahlen mit der japanweiten Neuerkran- System zu stecken: die für die Studie fe- Patient*innen selber zugute, deren Krebs- kungsrate. Die offizielle Neuerkrankungsra- derführende FMU schickt seit Jahren Mit- erkrankungen frühzeitig detektiert und te an Schilddrüsenkrebs bei Kindern unter arbeiter*innen an die Schulen der Präfek- behandelt werden können, sondern der 25 Jahren in Japan beträgt pro Jahr rund tur, um dort Kinder über deren „Recht auf gesamten Bevölkerung, die durch die frei- 0,59 auf 100.000. Das bedeutet, dass in Nichtteilnahme“ und das „Recht auf Nicht- gesetzte Strahlung beeinträchtigt wird. Die der letzten Kohorte von rund 218.000 Kin- wissen“ aufzuklären. Auf den Studienfor- korrekte Fortführung und wissenschaft- dern ca. 1,3 neue Schilddrüsenkrebsfälle mularen gibt es die Möglichkeit, aus dem liche Begleitung der Schilddrüsenunter- pro Jahr zu erwarten wären. Heute, zehn Screening entfernt zu werden. Es wird so- suchungen liegen somit im öffentlichen Jahre nach dem Super-GAU wären dem- mit ganz bewusst in Kauf genommen und Interesse und dürfen nicht durch politi- nach knapp 13 Schilddrüsenkrebsfälle zu gefördert, dass Kinder aus der Studie aus- sche oder wirtschaftliche Beweggründe erwarten – Die tatsächliche Zahl liegt aber treten. Ein weiterer Grund des Teilnehmer- konterkariert werden. Es ist wichtig, diese mit 213 sechzehnmal so hoch! Betrachtet schwunds ist die Ausgliederung der Über- Entwicklungen von außen weiter kritisch man ausschließlich die 112 Fälle, die nach 25-Jährigen aus der Hauptstudie. zu begleiten. der Erstuntersuchung diagnostiziert wur- den und somit nicht im Verdacht stehen, durch einen wie auch immer gearteten Screeningeffekt verursacht zu sein, beträgt N eben den Schilddrüsenkrebsfällen wird auch mit einem Anstieg weiterer Krebsarten und anderer Erkrankungen ge- Detaillierte Version mit Quellen unter: ippnw.de/bit/schilddruesenkrebs der Faktor gegenüber der zu erwartenden rechnet, die durch ionisierende Strahlung Zahl an Schilddrüsenkrebsfällen seit Ende ausgelöst oder negativ beeinflusst werden. der Erstuntersuchung sogar 20. Hinzu Die Schilddrüsenuntersuchungen der FMU kommt, dass die geografische Verteilung stellen die einzigen wissenschaftlichen der Schilddrüsenkrebsraten mit der ver- Reihenuntersuchungen dar, die überhaupt muteten radioaktiven Belastung korreliert. relevante Aufschlüsse über die gesundheit- Dr. Alex Rosen In den 13 am schwersten kontaminierten lichen Folgen der Atomkatastrophe von Fu- ist Mitglied des Ortschaften im Osten Fukushimas wurde kushima liefern können. Derzeit laufen die- AK Atom- energie und eine deutlich höhere Inzidenz von Schild- se jedoch Gefahr, von Befürworter*innen Co-Vorsitzender drüsenkrebs bei Kindern registriert als in der Atomenergie unterminiert zu werden. der IPPNW. 3
10 JAHRE FUKUSHIMA Fukushima: Auswirkungen auf perinatale Morbidität und Mortalität Radioaktive Strahlung: Zu beobachten sind ähnliche genetische Effekte wie in der Region Tschernobyl E in wenig bekanntes, aber durchaus relevantes Thema Indikatoren der perinatalen Mortalität und Morbidität sind Tot- bei Atomkatastrophen wie der von Fukushima sind die geburtlichkeit und neonatale Sterblichkeit (zusammengefasst Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit wäh- als perinatale Sterblichkeit), angeborene Fehlbildungen, Chro- rend der Perinatalzeit. Die Zeit von der 22. Schwanger- mosomenaberrationen, mangelndes Geburtsgewicht, sowie das schaftswoche bis zum siebten Tag nach Geburt ist die wohl vulne- Geschlechtsverhältnis bei der Geburt. Nach Tschernobyl wur- rabelste Phase eines menschlichen Lebens. Das ungeborene Kind de ein erhöhtes Auftreten dieser Merkmale ab dem Beginn der ist der Radioaktivität, die über die Nabelschnur in seinen Körper 1990er Jahre dokumentiert. Von 2007 an geriet das sekundäre gelangt, viel ungeschützter ausgeliefert als ältere Kinder oder gar Geschlechtsverhältnis als empfindlicher Strahlenindikator zuneh- Erwachsene. Daher ist es wichtig, die Folgen für das ungebore- mend in den Fokus. Aufgrund der Befunde nach Tschernobyl wa- ne Leben bzw. Neugeborene nach Freisetzungen großer Men- ren entsprechende Effekte nach der Fukushima-Katastrophe (vom gen Radioaktivität zu erforschen. Dr. rer. nat. Dipl.-Math. Hagen März 2011 zu erwarten. Tatsächlich stieg die Perinatal-Sterblich- Scherb untersucht seit 1986 die gesundheitlichen Auswirkungen keit in hochbelasteten Präfekturen ab Januar 2012 gegenüber von Tschernobyl und seit 2011 die von Fukushima, wobei sein einem stabilen säkularen Abwärtstrend sprunghaft und langfristig Fokus vor allem auf genetischen und perinatalen Effekten liegt. um ca. 15 % an. Konsistent mit der strahlenbedingten Zunahme perinataler Schäden in Japan sowie übereinstimmend mit der Zu- nahme von Fehlbildungen in Bayern wurden in Japan Indizien für erhöhte Herzfehlbildungen berichtet. Im Jahr 2020 haben wir eine Zunahme der Geburten mit geringem Geburtsgewicht be- schrieben. Z um zehnten Jahrestag von Fukushima liegen monatliche peri- natale Daten für die 47 Präfekturen Japans von 1995 bis 2019 vor. Abbildung 1 zeigt den Trend der Perinatal-Sterblichkeit in der Präfektur Fukushima. Führt man die Analyse der Abbildung 1 für alle 47 Präfekturen einzeln durch, so erhält man 47 Sprunghö- hen der Trends der Perinatal-Sterblichkeit, welche man gegen die mittlere Dosisrate der einzelnen Präfekturen auftragen kann. Das Ergebnis ist in Abbildung 2 dargestellt. Es zeigt sich, dass eine zusätzliche Dosisrate von 1µSv/h die Perinatal-Sterblichkeit um 32 % erhöht. Eine Erhöhung der Dosisrate um 1µSv/h entspricht rechnerisch einer Erhöhung der jährlichen Dosis um 8.8 mSv. Damit steht fest, dass in Japan nach Fukushima ähnliche Effek- te beobachtet werden können wie in Europa nach Tschernobyl. Dies sollte Anlass sein, die Entwicklung der strahleninduzierba- ren genetischen Effekte beim Menschen genau zu beobachten. Weitere Infos und Quellen unter: fukushima-disaster.de Dr. Hagen Scherb ist Biomathematiker am Helmholtz Zen- trum München. 4
10 JAHRE FUKUSHIMA UNTERSTÜTZER- KAMPAGNE FÜR DIE KLAGE DES ATOMARBEITERS „ARAKABU“. Atomarbeiter in Japan Ein Interview mit Felix Jawinski von der Universität Leipzig „Die Ungleichbehandlung von Angestellten der Energiefirmen und den Arbeitern Dosis überschritten, lässt erahnen, dass in der Subunternehmen ist auch in Japan die Grundfeste der Kernkraftindustrie.“ Zukunft eine hohe Zahl von Verfahren zu erwarten sein könnte. Allerdings können Herr Jawinski, Sie recherchieren seit 2013 verpflichten, absolutes Stillschweigen über nur einige Krankheiten als berufsbedingt zu Arbeitsverhältnissen in der japanischen ihr Arbeitsverhältnis zu bewahren. eingestuft werden, und jede ist mit einer Atomindustrie. Wodurch kennzeichnet eigenen Mindestexposition verknüpft. Bei sich diese? Die Atomindustrie gliedert sich Sie haben selbst Dekontaminationsarbei- einem Magentumor muss man etwa nach- streng hierarchisch in fünf bis sechs, man- ter und Arbeiter aus 1F interviewt, was weisen können, dass man einer akku- che Quellen sprechen sogar von bis zu haben Sie erfahren? Atomarbeiter sind mulierten Strahlendosis von mindestens zehn, Ebenen. Die obersten Ebenen diese stets starkem Stress ausgesetzt. Für die 100 Millisievert ausgesetzt war. Ein Fall, Pyramide bilden die Betreiberfirmen, dar- von ihnen verlangte Erledigung einer Auf- der zuletzt in der japanischen Öffentlich- unter deren Tochterfirmen und die großen gabe gibt es oft eine festgesetzte Tages- keit präsent war, ist der des an AML er- Baufirmen, mit dann unzähligen Zuliefer- höchstdosis, die keinesfalls überschritten krankten Aufräumarbeiters „Arakabu“. und Subunternehmensbetrieben in den werden darf, was die Arbeiter oftmals Seit 2011 hatte er für TEPCO und KEPCO nachgeordneten Ebenen. Seit den 1970er dazu zwingt, sich zu beeilen oder aber in unterschiedlichen AKW gearbeitet, dar- Jahren war die Zahl der Arbeiter in den bestimmte Tricks anzuwenden, damit das unter auch Fukushima Daiichi. Sein Ver- Subunternehmen stets größer als die der Dosimeter nicht vor Abschluss der Arbeit fahren läuft seit März 2017 – die 17. Ge- Betreiberangestellten. Und schon vor 40 Alarm schlägt. Schon 1979 erklärte der richtssitzung ist für den März anberaumt ehemalige Atomarbeiter Ryūsuke Umeda: – ein Abschluss bis jetzt nicht in Sicht. „Als wir anfingen, bei der Firma in Fu- „Man kann nicht wirklich weiterarbeiten, kushima zu arbeiten, hat uns der Chef im wenn das Dosimeter dauernd piept“. Wie Was für Gewerkschaftsbewegungen sind Prinzip zwei Dinge gesagt: Erstens, dass er damals enthüllte, waren in japanischen hier aktiv? Schon 1981 gründete Seiji Saitō Essen aus der Mikrowelle uns stärker ra- AKWs Mitarbeiter abgestellt, um die Ta- die Gewerkschaftsorganisation „Genpatsu dioaktiv verstrahlen würde als das Arbei- geswerte der Dosimeter zu manipulieren. Bunkai“, um Arbeitern der Subunterneh- ten in Fukushima. Wir bräuchten uns also Ähnliches ereignet sich heute: Die Arbeiter men zu helfen. Aufgrund der Steine, die überhaupt keine Sorgen machen. Zwei- „vergessen“ die Dosimeter in den Umklei- ihm Arbeitgeber, Polizei und Yakuza in den tens, dass wir auf der Arbeit keine Fotos den oder nehmen sie ab, bevor sie stark Weg legten, musste er ein Jahr später auf- machen, mit niemandem über unsere verstrahlte Orte betreten. Bei den Auf- geben. Mit seinem Wissen konnte er nach Arbeit reden dürften und dass wir alle räumarbeiten im März 2011 hatten außer- dem Super-GAU viel zur Beratung von eine Verschwiegenheitserklärung unter- dem ca. 180 Arbeiter keine Dosimeter. Für Betroffenen beitragen. Nach 2011 grün- zeichnen müssten, mit der Klausel dass, sie wurde zumeist der Wert des Vorarbei- deten sich mehrere Netzwerke zur Unter- wer über die Arbeit rede, eine Strafe von ters übernommen, der in der Regel an we- stützung Betroffener. Zusammenfassend bis zu 50.0000.000 Yen (500.000 Euro) niger belasteten Orten arbeitete. kann man sagen, dass erst nach dem erhalten könnte.“ Super-GAU eine breitere Debatte über das Wie können Betroffene eine Entschädi- Thema strahlenexponiert Beschäftigter 50-jähriger Dekontaminationsarbeiter gung einklagen? Die Hürden für solche stattgefunden hat – verbunden mit gering- aus den Philippinen (Jawinski 2016) Klagen sind hoch – man braucht einen fügigen Verbesserungen für die Arbeiter. langen Atem und ein Netzwerk von Unter- stützern. Bis 2017 wurden in Japan insge- Jahren gab es ein reges Interesse gewerk- samt nur 18 Fälle arbeitsbedingter Krank- Felix Jawinski schaftlich engagierter Kreise, die harten heit aufgrund von strahlenexponierter (Universität Arbeitsbedingungen öffentlich zu machen. Beschäftigung durch Gerichte anerkannt. Leipzig) ist Japanologe Denn insbesondere für die Leiharbeiter Allein die Tatsache, dass im Falle von und Politik- ist die rechtliche Lage schwierig: Neben Leukämie schon fünf Millisievert an nach- wissenschaft- den vor allem in den unteren Ebenen oft gewiesener Strahlenexposition für eine ler. Er forscht seit 2013 zu niedrigen Tageslöhnen müssen sich die Anerkennung ausreichen können und al- Atomarbeitern Arbeiter der Subunternehmen fast immer lein 2011 mehr als 10.000 Arbeiter diese in Japan. 5
10 JAHRE FUKUSHIMA Psychosoziale Langzeitfolgen der Atomkatastrophe von Fukushima Wir brauchen einen ehrlichen, transparenten Umgang mit den Folgen des Super-GAU W arum lässt die japanische Re- Die Regierung setzte Gesetze über Strah- der japanischen Regierung beschränkte gierung bei der radioaktiven lenbelastungen außer Kraft und ließ mehre- sich auf wenige begrenzte medizinische Katastrophe von Fukushima re Millionen Menschen im Stich, die weiter Fragenstellungen bei der Bevölkerung im fast ausschließlich psychische in kontaminierten Gebieten wohnen muss- Evakuierungsgebiet. Geradezu skandalös Folgen erforschen und nicht die somati- ten. Sie erklärte 20 Millisievert pro Jahr ist die Tatsache, dass der Gesundheits- schen? Wenn es nicht um Atomunfälle zum Standard, um die Wiedereröffnung zustand der Aufräumarbeiter von Fukus- geht, sondern um die gesundheitlichen Fol- vieler gesperrter Gebiete zu genehmigen. hima, der am stärksten von radioaktiver gen etwa von Verkehrsunfällen, so besteht Damit setzte sie die Menschen, auch die Strahlung betroffene Gruppe, nicht in in der medizinischen wissenschaftlichen besonders strahlenempfindlichen Kinder, die amtlich in Auftrag gegebenen Unter- Community kein Zweifel daran, dass diese einer unzulässigen Strahlenbelastung aus. suchungen eingeschlossen wurde. So- sowohl schwere physische als auch schwe- Die Reaktionen der japanischen Behörden gar die Empfehlung aus einem Workshop re psychische Schäden verursachen kön- im ersten Monat nach der Atomkatastro- (2012) mit Mitgliedern der Internationalen nen und dass die betroffenen Menschen phe deuten auf eine Schockstarre hin. In- Agentur für Krebsforschung und der japa- oft jahrelang an bleibenden psychischen transparenz und Fehlinformationen seitens nischen Regierung der u.a. den Aufbau Schäden leiden. Die Studien des Fukushi- der Regierung verunsicherten die Men- eines bevölkerungsbasierten Krebsregis- ma Health Management Survey (FHMS) schen zutiefst. So sagte etwa der oberste ters beinhaltete, wurde ignoriert. machen jedoch deutlich: Hier werden die Strahlenschutzexperte der japanischen körperlichen Folgen systematisch ausge- Regierung, Prof. Shunichi Yamashita, beim Alle Maßnahmen der japanischen Regie- spart. So, als hätte die Atomkatastrophe „Bürgertreffen“ am 20. März 2011: „Strah- rung, die das Ziel hatten, das Ausmaß der „nur“ psychosoziale Folgen. lenschäden kommen nicht zu Menschen, Katastrophe gegenüber der Bevölkerung die glücklich sind und lächeln.“ Jahres- herunterzuspielen, fanden im Einverständ- B ei der Dreifachkernschmelze von Fu- kushima Dai-ichi traten nach Infor- mationen der japanischen Regierung an dosen von 100 mSV, so Yamashita, seien unbedenklich. nis großer internationaler Organisationen statt: von UNSCEAR, dem wissenschaftli- chen Komitee der UN zu den Auswirkun- die Internationale Atombehörde 1,5 x 1016 Becquerel Cäsium-137 aus. Damit räumte die Regierung indirekt ein, dass in Fukus- A m 15. März 2011 kam es wegen eines Wechsels der Windrichtung zu einer Verstrahlung der Gemeinde Iitate außerhalb gen atomarer Strahlung, und von der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde. hima im Vergleich mit der Atombomben- der Evakuierungszone. Es wurden 45 Mik- Die psychosozialen Studien explosion von Hiroshima das 168-fache rosievert/h gemessen. Iitate wurde erst auf dieser gefährlichen Substanz freigesetzt Druck der Bevölkerung am 12. April eva- Auffällig an allen Studien ist, dass sie wurde. Der nukleare Ausnahmezustand kuiert. Die Anwohner*innen hatten eigen- sich in der Auswertung von Fragebogen- vom 11. März 2011 in der unbewohnba- ständige Messungen vorgenommen. Weil tests erschöpfen. Da die Studien nicht in ren Sperrzone dauert bis heute an. Über sich viele Menschen von den Behörden im klinische Untersuchungen und Behand- 200.000 Menschen wurden innerhalb Stich gelassen fühlten, begannen sie, sich lungen eingebettet sind, fehlen Angaben weniger Tage aus einer Zone von 20 km mit den gesundheitlichen Folgen von ra- zum Schweregrad der jeweiligen psychi- rund um die havarierten Reaktoren von Fu- dioaktiver Strahlung auseinanderzusetzen. schen Störung wie auch Fallbeispiele. Ab kushima zwangsevakuiert. Dies bedeutete Um der anhaltenden Strahlenexposition zu 2012 führte die FHMS mit ca. 210.000 für Viele Entwurzelung, Unsicherheit, das entkommen, mussten Familien sich tren- Menschen aus der Evakuierungszone ver- Auseinanderreißen funktionierender sozia- nen, Mütter flohen mit den Kindern in weit schiedene populationsbezogene Fragebo- ler Beziehungen und Existenzverlust. Vor entfernte Gebiete Japans, Väter blieben gentests zu psychischer Gesundheit durch. allem ältere Menschen überstanden die Le- wegen ihres Arbeitsplatzes im verstrahlten M. Maeda et al. widmen sich den sozialen bensbedingungen in den kleinen Notunter- Gebiet. Bis heute hält dieser Vertrauens- und psychischen Folgen der Atomkatastro- künften oft nicht. Andere nahmen sich das verlust in die japanische Regierung an. phe: Diese hatte die Bevölkerung der Pro- Leben. Mittelbar hängen über 2.000 To- Welche medizinischen Fragestellungen vinz völlig überrascht. Die Menschen waren desfälle mit dem Super-GAU zusammen. wurden untersucht? Der FHMS im Auftrag in einen Zustand von panischer Lähmung 6
10 JAHRE FUKUSHIMA versetzt, mit der Ungewissheit über die Folgen der radioaktiven Ausbreitung. Am stärksten waren Mütter mit kleinen Kin- dern betroffen. Die Folgen waren ein An- stieg von Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Alkoholmissbrauch, Selbstmordhandlungen sowie von öffent- licher Stigmatisierung und Selbststigmati- sierung. Bei der Angst der Evakuierten vor einer Kernschmelze und der damit zusam- menhängenden Ausbreitung der radioakti- ven Strahlung handelt es sich jedoch um eine Realangst, eine adäquate Reaktion auf diese reale Gefahrensituation. Die fehlende Transparenz seitens der Behörden hat die betroffenen Menschen zusätzlich beein- Yasoto Kunii et al: psychischer Stress bei Evakierten (A) – trächtigt. verglichen mit der radioaktiven Belastung der Umwelt in Mikrosievert (B) Wie haben die Menschen auf diesen der Höhe der radioaktiven Belastung in mit psychosozialen Problemen und Erkran- Stressfaktor reagiert? Eine frühe Studie dem jeweiligen Bezirk der Präfektur und kungen in ganz Japan. Besorgniserregend von Miura et al. (2012) beschreibt, dass dem Ausmaß an psychosozialem Stress, sei weiterhin die relativ hohe Rate der psy- in den ersten 96 Tagen nach der Atomka- dem die Bevölkerung ausgesetzt war. Auf chosozialen Belastungen bei Schulkindern. tastrophe 1.321 Menschen die psychiatri- den beiden Karten (s.o.) sieht man, dass sche Ambulanz in Fukushima aufsuchten. in den Zonen mit der höchsten Strahlen- Fazit: Allen Studien fehlt die Einbettung Bei 13,9 % von ihnen wurde eine post- belastung (zwei bis acht Mikrosievert/h) in eine ganzheitliche Perspektive: Körper- traumatische Belastungsstörung oder auch die Menschen mit der größten psychischen liche und psychische Befunde gehören eine Anpassungsstörung diagnostiziert, bei Belastung wohnen. Einzelne Faktoren, zusammen, Diagnostik und Behandlung 17,2 % eine depressive Episode, davon die in diesen Stressparameter eingehen, müssen Teil ein- und desselben Versor- wiederum 30 % als Folge der Atomkata- können vielfältig sein: Trennung in der gungsprozesses sein. Fallvignetten, die die strophe. Familie, Veränderung der Wohnsituation, schwierige Situation der evakuierten Bevöl- Die Suizidrate in Japan ist eine der höch- Arbeitslosigkeit, verringertes Einkommen kerung und der betroffenen Aufräumarbei- sten weltweit. Verantwortlich dafür werden und Unsicherheit bezüglich der Zukunft. ter illustriert hätten, wären sowohl für das neben psychischen Erkrankungen soziale medizinische und psychologische Personal und wirtschaftliche Umbruchsituationen Mobbing bei Kindern und Jugendlichen: als auch für die internationale Fachöffent- gemacht. Auch in den Evakuierungsgebie- Sawano et al. (2018) befassten sich mit lichkeit wichtig. Klinische Studien mit ganz- ten von Fukushima wurde die Suizidmor- 199 Fällen von Stigmatisierung, die bei eva- heitlichen Studiendesign, die die Tatsache talitätsrate untersucht: Laut Matsuyabashi kuierten Kindern bekannt geworden seien, der anhaltenden radioaktiven Exposition et al. (2013) kam es im ersten Jahr zu 13 Fälle hätten einen direkten Bezug zur offenlegen, hätten auch Aufschluss darü- einem Anstieg, besonders bei Männern, Evakuierung gehabt. Ein Beispiel: Ein Jun- ber geben können, welche psychosozialen dann 2012-13 zu einem Abfall und dann ge, der nach Yokohama umgesiedelt war, Bewältigungsmechanismen in einer Gesell- zu einem erneuten Anstieg auf gleichblei- wurde von seinen Mitschülern im Zeitraum schaft angemessen sind, die durch kollek- bend hohem Niveau. Hierfür dürfte eine von 2011-14 geschlagen und getreten und tive Werte geprägt ist. Vielzahl von Faktoren verantwortlich sein: von den Mobbern gezwungen, ihnen insge- Mehr dazu: ippnw.de/bit/psychfolgen Trennung von der Familie, plötzlicher Ver- samt ca. 13.200 US-Dollar zu zahlen. lust des Arbeitsplatzes und damit verbun- dener Statusverlust, Verlust sozialer Be- Der aktuelle Bericht der FHMS (2021) ziehungen. Allerdings erscheint die bloße bestätigt die wesentlichen Ergebnisse der altersstandardisierte und geschlechtsspe- referierten Studien: Der starke Anstieg von zifische Suizidrate als Maß für die psycho- Depressionen, posttraumatischen Belas- soziale Belastung wenig aussagekräftig. tungsstörungen, Alkoholmissbrauch und Dr. Angelika Yasoto Kunii et al. (2016) fanden in Suizidhandlungen unter den erwachsenen Claußen ist Co-Präsidentin ihrer Studie über psychische Belastungen Evakuierten (über 16 Jahre) sei aber nach der europäischen bei Evakuierten eine Korrelation zwischen wie vor höher als die Raten von Menschen IPPNW. 7
10 JAHRE FUKUSHIMA Ökologie in Fukushima: Was haben wir gelernt? Die biologischen Auswirkungen des Super-GAU von Fukushima wurden bis jetzt kaum erforscht E s scheint global einen wichtigen dioaktivität freisetzte und dass aufgrund Hole Oceanographic Institute, umfangrei- Bewusstseinswandel zu geben, der Wetterverhältnisse im März 2011 der che Publikationen zur Verteilung und zu was die vielfältigen Beeinträch- größte Teil des Fukushima-Fallouts nicht Bewegungen von Radionukliden auf der tigungen des Planeten durch an Land, sondern im Pazifik landete. Grundlage von Messungen im Meer ver- den Menschen betrifft. Endlich erkennen öffentlicht. Diese gehören zu den meistzi- die Menschen überall an, dass das Leben tierten und einflussreichsten Arbeiten zum auf diesem Planeten im letzten Jahrhun- Zehn Jahre seit Fukushima Thema. Enttäuschend ist jedoch, dass die dert tiefgreifend und unumkehrbar von – Was haben wir gelernt? Bewertung der Auswirkungen dieser Ra- menschengemachten Einflüssen geprägt dionuklide auf biologische Systeme nur wurde. Der Klimawandel, der Anstieg des Um diese Frage zu beantworten, folgte ich minimal weiterverfolgt wurde. Selbst dort, Meeresspiegels und eine Unmenge von einem einfachen Ansatz und verschaffte wo wir wissen, dass die Konzentrationen Vergiftungen sind für die Ökosysteme der mir anhand des Web of Science (WoS) hoch sind, wurde kaum genetische, phy- Erde Herausforderungen mit katastropha- einen Überblick über die wissenschaftli- siologische oder ökologische Forschung len Auswirkungen auf biologische Systeme chen Literatur. Mein erster Eindruck war, betrieben. und Prozesse. Diese Auswirkungen könn- dass in den letzten zehn Jahren Unmen- ten die Widerstandsfähigkeit des Planeten übersteigen. Auf der Erde gibt es keinen Ort, der von diesen Störungen nicht betrof- gen an neuem Wissen zu diesem Thema erzeugt worden sind – 7.840 wissen- schaftliche Arbeiten. Eine genauere Be- W enn wir schauen, wie oft jede dieser Arbeiten zitiert wurde, ist das Papier der Forschungsgruppe um Joji Otaki fen ist. All unsere Angriffe auf den Planeten trachtung ergab aber, dass sich der Groß- zu den biologischen Auswirkungen des haben zu einem sechsten globalen Mas- teil dieser Arbeiten mit verschiedenen Atomunfalls auf den Schmetterling Pseu- sensterben geführt. Aspekten der Verteilung und Häufigkeit dozizeeria maha („pale gras blue butter- von Radionukliden im Zusammenhang mit fly“ – Hiyama et al 2012), das in dieser Während angesichts des Klimawandels dem Super-GAU beschäftigte und nicht Rangliste erst auf Platz 46 kommt, das der „geringe CO2-Fußabdruck“ der Atom- mit den Folgen der radioaktiven Strahlung. erste, das sich wirklich auf nicht-mensch- energie attraktiv erscheinen mag, wird Tatsächlich basiert eine beträchtliche An- liche biologische Auswirkungen der radio- nicht allgemein anerkannt, dass AKWs zahl dieser Veröffentlichungen eher auf logischen Komponenten der Katastrophe als normaler Teil des täglichen Betriebs mathematischen Modellen als auf em- bezieht. Otakis Team war sehr aktiv und große Mengen radioaktiver Abwässer pirischen Daten – weshalb ihre Schluss- hat bis heute etwa 60 Publikationen zu freisetzen, deren gesundheitliche Aus- folgerungen weitgehend spekulativ sind. diesem Schmetterlingssystem veröffent- wirkungen weitgehend unbekannt sind. Außerdem gibt es bei vielen der Veröffent- licht. Damit hat sie die komplexen multige- Unmöglich ist es jedoch, die radioak- lichungen etliche Überschneidungen und nerationalen Wechselwirkungen zwischen tiven Freisetzungen von mehr als 200 Wiederholungen. Das soll nicht heißen, der radioaktiv verstrahlten Umwelt und Atomunfällen im Zusammenhang mit der dass solche Untersuchungen nicht nütz- diesem Beispiel-Insekt konsequent und Atomenergie zu ignorieren, insbesondere lich sind! Sie sind es sehr wohl und sollten überzeugend erforscht. Zu den wichtigs- die beiden Super-GAUs von Tschernobyl der erste Schritt in jeder detaillierten Ana- ten Ergebnissen gehören starke Hinweise (1986) und Fukushima (2011). Bei beiden lyse der Beziehung zwischen Radionukli- auf Mutationen, die durch Radioaktivität Unfällen wurden enorme Mengen an Ra- den und betroffenen Teilen der Biosphäre ausgelöst wurden und sich auf die Ge- dioaktivität freigesetzt, obwohl inzwischen sein – seien es Pflanzen, Tiere oder Men- sundheit der Tiere und die Populations- anerkannt ist, dass die Katastrophe von schen. Zum Beispiel hat Dr. Ken Buesse- stärken auswirken. Tschernobyl etwa das Zehnfache an Ra- ler, ein Meeresgeochemiker vom Woods 8
10 JAHRE FUKUSHIMA HIYAMA ET AL (2012): BIOLOGICAL IMPACTS OF THE FUKUS- HIMA NUCLEAR ACCIDENT ON THE PALE GRASS BLUE BUTTERFLY / CC BY-NC-SA 3.0 Atomindustrie (z. B. in Japan von TEPCO) Foto: gemeinfei oder von Agenturen, die mit Aufsichts- und PSEUDOZIZEERIA MAHA / Sicherheitsfragen zu tun haben (z. B. der PALE GRASS BLUE BUTTERFLY IAEA und ihren Zweigstellen). Die unglück- liche Realität der modernen Welt ist, dass sehr wenig passiert, wo es keine finanziel- len Investitionen gibt – und die Grundla- E s gibt eine Handvoll Arbeiten, die klassische radioökologische Metho- gebnisse waren, dass Vogelreichtum und -vielfalt in stärker radioaktiv belasteten Ge- genforschung ist da keine Ausnahme. den anwenden, um mögliche biologische Folgen zu untersuchen – aber mit weni- gen Ausnahmen handelt es sich dabei um bieten signifikant niedriger waren und dass dies wahrscheinlich mit der Strahlendosis zusammenhing, der die Tiere ausgesetzt Z ehn Jahre nach der Katastrophe von Fu- kushima haben wir etwas mehr über die biologischen Auswirkungen von Strahlung hypothetische Erkundungen dessen, was waren. Mit demselben Ansatz analysierte in natürlichen Systemen gelernt. Doch die möglich ist angesichts unseres begrenzten das Team die Verteilung und Populations- meisten der wichtigen Veränderungen, die Verständnisses der Radionuklidbewegung stärke von Säugetieren in Tschernobyl aufgetreten sind, haben wir verpasst, weil durch das Ökosystem. Auch der Wert die- – mit fast gleichem Ergebnis (Beaugelin- niemand da war, um Messungen vorzuneh- ser Untersuchungen ist begrenzt, da wir Seiller et al. 2020). men. In Tschernobyl ist die Situation etwas die tatsächliche Schädigung von Organis- besser, vor allem, weil der Super-GAU dort men, die in den betroffenen Regionen von Außerdem gibt es ein paar Dutzend Stu- ein viel größeres Ereignis war – außerdem Fukushima leben, viel eingehender unter- dien über japanische Makaken, Blattläuse, ist die Umgebung dort logistisch besser zu- suchen müssten. Wildschweine, Kühe sowie andere Arten. gänglich. Es ist noch viel zu lernen über die Zumeist war jedoch der Umfang dieser ökologischen und gesundheitlichen Aus- Eine Ausnahme ist die Studie von Jacque- Studien zu klein, oder sie waren nicht wirkungen ionisierender Strahlung. Doch line Garnier-Laplace und Kollegen (2015), wiederholbar und haben keinen wesentli- Fortschritt erfordert Investitionen. die moderne radioökologische Methoden chen signifikanten Beitrag zum Verständnis Dokumentation des Vortrages von Timothy einsetzt, um wahrscheinliche Dosen für des Ökosystems von Fukushima bzw. der Mousseau: www.fukushima-disaster.de Tausende Vögel abzuschätzen, die Anders Strahleneffekte im Allgemeinen geleistet. Møller und Kollegen in Fukushima 2011- Schuld an diesem Mangel ist anscheinend, 14 untersuchten. Bei dieser Reanalyse dass der Fokus der Forschung auf radio- Prof. Timothy stellte sich heraus, dass eine Berechnung ökologischer Forschung (zur Bewegung Mousseau ist der Dosen grundsätzlich zu ähnlichen Er- von Radionukliden) liegt – zulasten der Biologe an der University of gebnissen führte wie die Untersuchungen, ökologischen Grundlagenforschung South Carolina. die auf einfachen Messungen der Um- Er hat die gebungsstrahlung beruhten, außerdem Das kommt nicht unerwartet – denn die Strahlenfolgen in Tschernobyl gaben sie der Studie die dringend nötige überwiegende Mehrheit der Gelder für die und Fukushima zusätzliche Stringenz. Die wichtigsten Er- Strahlenökologie kommt entweder von der untersucht. 9
Weiterführende Informationen: • www.fukushima-disaster.de • Alle Video-Vorträge der IPPNW-Fachtagung „10 Jahre leben mit Fukushima“: ippnw.de/bit/10-jahre-fukushima • IPPNW-Report: „30 Jahre Leben mit Tschernobyl, 5 Jahre Leben mit Fukushima“: shop.ippnw.de/produkt/ippnw-report- gesundheitliche-folgen-der-atomkatastrophen • Die Olympischen Spiele 2021 in Fukushima: www.radioactive-olympics.org • Mehr zum Thema Atomenergie: www.ippnw.de/atomenergie Sie wollen mehr? Die Artikel und Fotos dieses Heftes stammen aus unserem Magazin „IPPNW-Forum“, Ausgabe Nr. 165, März 2021. Im Mittelpunkt der Berichterstattung des IPPNW-Forums stehen „unsere“ Themen: Atomenergie, Erneuer- bare Energien, Atomwaffen, Friedenspolitik und soziale Verantwortung in der Medizin. In jedem Heft behandeln wir ein Schwerpunktthema und beleuchten es von verschiedenen Seiten. Darüber hinaus gibt es Berichte über aktuelle Entwicklungen in unseren Themenbereichen, einen Gastkommentar, Nachrichten, Kurzinterviews, Veranstaltungs- hinweise und Buchbesprechungen. Das IPPNW-Forum erscheint vier Mal im Jahr. Sie können es abonnieren oder einzelne Ausgaben in unserem Online-Shop bestellen. ippnw ippnw ipp nw forum das mag ippnw das magazin der ippnw azin zin der nr163 sept der ippnw ippfnowrum nr164 dez2020 3,50€ das maga 0€ internationa 2020 3,50€ forum rz2021 3,5 te internationale ärzte le für die ärzte nr165 mä für die verhütung des verhütun ärz atomkrie g ges – ärzt des ati on ale atomkrieges – ärzte in sozialer verantwo in e int ern g des sozialer verantwortung verhütun rtung für die te in ges – ärz ung atomkrie verantwort sozialer - Erosion der Rüstun - Vergesst gskontroll Libyen nich e - Gesund t! heitliche Folgen von Drei Jahre Abschiebun g Atomwaff - Atomwaffenverbot tritt in KraftD ie enverbotsv Zivilgese er tr llschaft fo rder t Abr ag: - Brandbeschleuniger Kampfdrohne - Tribunal zu Menschenrechtsverletzungen üstung Mitwirkung bei Abschiebungen: Ärzt*innen zwischen Gesetzen und Ethik d e / b i t /f or u m p p n w. » w w w.i eace 2019 me affensyste tonome W ne und au s Kreuz - Eurodroh s Rote e / Greenp he art! e Deutsc krise gesp - 100 Jahr die Corona n uns in - Wir habe aun Burni Foto: © Sh ima: eb e n m it Fukush e re L oph Zehn Jah tzte Atomkatastr e s e Die for tg
Sie können auch lesen