Theoriegeleitetes Arbeiten - AGewiS.de
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Theoriegeleitetes Arbeiten © Herbert Müller, Schwerte Grundlage der professionellen Pflege ist nach heutigem Pflegeverständnis eine Pflegetheorie, damit Pflege in einer Pflegeeinrichtung nach einheitlichen Wertvorstellungen und Kriterien von den Pflegenden durchgeführt werden kann. Theorie soll helfen, die Ziele zu erreichen! Theoriegeleitetes Arbeiten soll eine fördernde Pflege gewährleisten und die Pflegequalität verbessern, kreative Impulse für die Praxis geben und damit das Fundament für die praktische Arbeit bilden. In den Maßstäben und Grundsätzen für die Qualität, die Qualitätssicherung und ‐darstellung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege heißt es: »Die vollstationäre Pflegeeinrichtung verfügt über ein Pflegekonzept, das auf pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen sowie praktischen Erfahrungen basiert und im Pflegeprozess umgesetzt wird«. Diese Vorgabe ist für die Pflegeeinrichtungen verpflichtend! Der zentrale Punkt von Pflege und jeder Pflegetheorie ist der Mensch! Die Schwierigkeiten bei der Einführung und Umsetzung des Pflegeprozesses beruhen häufig darauf, dass die Pflegenden ein unterschiedliches oder nicht entsprechend fundiertes theoretisches Pflegeverständnis haben. Info Ein Pflegemodell beschreibt und erklärt die professionelle Pflege in Bezug zum Menschen, seiner Umgebung, Gesundheit und Krankheit. Da die meisten Pflegemodelle rein theoretischer Art sind, werden sie häufig mit dem Begriff »Pflegetheorie« gleichgesetzt. Die Pflegetheorie schafft einen allgemeinen Bezugsrahmen für die Pflegepraxis und ermöglicht so theoriegeleitetes Arbeiten. Ziel von Pflegetheorien ist es u. a., Wissen und Verständnis von Pflege im Allgemeinen zu vergrößern und die Notwendigkeit und Wirksamkeit zu begründen. Sie fragen z. B.: Was ist zu tun? (bedürfnisorientiert); wie tun Pflegende das, was sie tun? (interaktionsorientiert) und warum tun sie es? (ergebnisorientiert). Für eine Einrichtung und die Mitarbeiter ist es notwendig, sich mit verschiedenen Pflegetheorien auseinanderzusetzen und sie miteinander zu vergleichen. Haben sich die Mitarbeitenden und Verantwortlichen für eine Pflegetheorie/ein Pflegemodell entschieden, bildet dieses den Rahmen und die Struktur für die individuelle Planung der Pflege und definiert die Aufgaben und Tätigkeiten der Mitarbeitenden. Die Orientierung der praktischen Arbeit an einer Pflegetheorie ist nicht mehr in das Belieben der Mitarbeitenden und des Trägers gestellt, sondern Verpflichtung für alle. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 1
Info Grundzüge einer zeitgemäßen Pflegeorganisation: • Theoriegeleitet, • Leitbildorientiert, • Konzeptgeleitet. Die anerkannte Pflegetheorie/Pflegemodell ist die Basis für das Handeln der professionell Pflegenden. Leitbild, Konzept, Standards, Durchführung der Betreuungs‐ und Pflegemaßnahmen und letztlich die gesamte Pflegeorganisation orientieren sich daran. Der erste Schritt zu einem individuellen Leitbild für die Einrichtung ist die Suche nach einem geeigneten Pflegemodell. Auf dessen Basis müssen die Ziele der zu erbringenden pflegerischen Dienstleistungen formuliert werden. Die Wahl eines Pflegemodells stellt ein wichtiges Kriterium der Einrichtung im pflegerischen Bereich dar. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Theorien der Pflegewissenschaften ist nicht leicht, zumal sich zwar die Modelle in vielen Bereichen sehr ähneln, sich aber in Ansätzen und Aussagen unterscheiden. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 2
Pflegetheorien und ‐modelle Definition Pflegetheorien und ‐modelle • Pflegetheorien beinhalten ein allgemeines und abstraktes Pflegeverständnis. • Pflegemodelle werden aus Pflegetheorien abgeleitet und haben Einfluss auf die Pflegepraxis. Pflegemodelle machen grundsätzliche Aussagen über Menschen/Menschenbild, Gesundheit/Krankheit, Pflege, Umwelt/Umgebung und definieren damit auch die Aufgaben der Pflegenden. Erste Formulierungen eines Pflegemodells gehen bis auf Florence Nightingale (1820– 1910) zurück. Sie gilt als Begründerin einer modernen, humanistisch orientierten und vor allem professionellen Krankenpflege. Ihre Forderungen waren für die damalige Zeit revolutionär und führten zu den Grundlagen des eigenständigen Pflegeberufs. Die aktuellen Pflegemodelle in der Altenpflege werden oft als bedürfnisorientierte Pflegemodelle bezeichnet. Die Orientierung der praktischen Arbeit an einem Pflegemodell zeichnet professionelle Pflege aus und unterscheidet sie gleichzeitig von Laienpflege. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 3
Wichtig Gemeinsamkeiten von Pflegemodellen • »Klientenzentriert, individuell: Der einzelne pflegebedürftige Mensch steht im Mittelpunkt des pflegerischen Handwerks. • Ganzheitlich: Pflege beachtet Körper, Psyche, Biographie und soziales Umfeld des Pflegebedürftigen. • Geplant: Der Umfang und die Prioritäten der Pflege setzen eine sich ständig anpassende und auf den Pflegebedürftigen angepasste Planung voraus. • Professionell: Professionelle Pflege setzt Qualifikationen voraus, die durch Ausbildungen und Fortbildungen erworben werden und durch entsprechende Examen nachgewiesen werden.« Soll das Pflegemodell nicht nur als Alibi dienen, stellt sich die Frage nach der Umsetzbarkeit der theoretischen Inhalte. Hierzu werden zunächst theoretische Kenntnisse über die einzelnen wissenschaftlich anerkannten Pflegemodelle benötigt. Nachfolgend stelle Ich Ihnen folgende Pflegemodelle kurz vor: • Selbstpflegedefizit‐Theorie nach Orem • Modell der Aktivitäten des täglichen Lebens nach Juchli • System der fördernden Prozesspflege nach Krohwinkel • Personenzentrierte Pflege nach Tom Kitwood Das Modell „Selbstpflegedefizit‐Theorie“ nach Orem Dorothea Orem (1914–2007) war eine US‐amerikanische Krankenschwester und Pflegetheoretikerin. Im Mittelpunkt ihres 1971 veröffentlichten Konzepts steht das sogenannte »Selbstpflegekonzept« des Menschen. Orem geht davon aus, dass der erwachsene Mensch autonom handelt und in der Lage ist, erlerntes und zielorientiertes Verhalten selbstständig, aus freier, innerer Entscheidung einzusetzen. Pflege dient nach Orem der Wiederherstellung eines verlorenen Zustandes von Ganzheit. Dieses Selbstpflegeverhalten (Theorie der Selbstfürsorge) trägt dazu bei, dass der Mensch leben, gesund bleiben, sich wohlfühlen und zu seiner positiven Entwicklung beitragen kann. Dieses Verhalten bezeichnet Orem als Selbstpflegekompetenz. Orem führte in ihrem Modell auch den Begriff des Pflegeprozesses ein (professionelles Fallmanagement) ein und nahm erstmals auch den Aspekt der Angehörigenpflege in den Blick. Dementsprechend gehört zu den Aufgaben der professionellen Pflegeperson auch, QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 4
Angehörige und Bezugspersonen zu betreuen und anzuleiten, damit sie sich am Pflegeprozess beteiligen können. Selbstpflegekompetenz nach Orem Pflege nach Orem vollzieht sich in drei abgestuften Schritten: 1. Selbstpflegekompetenz/Selbstpflegefähigkeit: Fähigkeit, komplexe und zielorientierte Handlungen erkennen und durchführen, d. h. den Erfordernissen gerecht werden (self‐care). 2. Abhängigkeitspflege (Dependenzpflege): Angehörige und/oder persönliche Bezugspersonen übernehmen Handlungen; professionelle Pflegeperson betreut diese und anleitet an (cover‐care). 3. Kompensatorische Pflege: Professionelle Pflege übernimmt im Sinne des Pflegebedürftigen teilweise oder vollständig Handlungen um Defizite zu kompensieren (professional‐care). Das „Modell der Aktivitäten des täglichen Lebens“ nach Juchli (1983) Schwester Liliane Juchli (*1933) ist Krankenschwester und Ordensschwester (Barmherzige Schwestern vom Heiligen Kreuz). Sie entwickelte 1983 das Pflegemodell der Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) und setzt sich seither für eine Systematisierung, Strukturierung, Vertiefung und Aktualisierung des Krankenpflegewissens sowie eine ganzheitliche Sicht auf die pflegebedürftige Person ein. Juchli versteht unter Pflege die Sorge für den Pflegebedürftigen, aber auch die Selbstsorge der Pflegenden. Sie betont, »dass die ATL’s ein gutes Raster sind, um Pflegebedürftigkeit zu erfassen.« Juchli greift ähnlich wie Krohwinkel Gedanken von Henderson und Roper auf und entwickelte die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL). Diese zwölf Aktivitäten, die fast identisch mit den zwölf Lebensaktivitäten von Roper sind, sieht Juchli nie isoliert. Vielmehr müssen sie in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, um die Pflegebedürftigkeit zu erfassen. Fünf Funktionen der Pflege Nach Juchli besitzt Pflege folgende fünf Funktionen: 1. Aktivitäten des täglichen Lebens unterstützen oder stellvertretend übernehmen, 2. Begleitung in Krisensituationen, 3. Mitwirkung bei präventiven, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, 4. Mitwirkung an Verhütung von Krankheiten und Unfällen und Erhaltung/ Förderung der Gesundheit, 5. Mitwirkung bei der Verbesserung der Qualität und der Wirksamkeit der Pflege. Das Pflegemodell der ATL von Juchli ist im deutschsprachigen Raum – insbesondere im Krankenhausbereich – weit verbreitet. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 5
Das System der „Fördernden Prozeßpflege“ nach Krohwinkel Das System der Fördernden Prozesspflege nach Monika Krohwinkel ist das am meisten verbreitete Pflegemodell in den deutschen Altenhilfeeinrichtungen. Krohwinkel (*1941) hat schon in den 1960er Jahren, direkt im Anschluss an ihre Ausbildung zur Krankenschwester, als Wohnbereichsleitung Schüler den Patienten zugeordnet (als Bezugspersonen). Als ausgebildete Krankenschwester und Hebamme arbeitete Krohwinkel im In‐ und Ausland, u. a. als Lehrerin für Pflegepraxis in pflegerischen Aus‐ und Weiterbildungsinstituten. In Manchester (GB) studierte sie Pflegewissenschaften und Erziehungswissenschaften und promovierte. Ihre theoriebildenden Forschungsarbeiten führte sie in englischen Krankenhäusern in den Bereichen Geriatrie und Rehabilitation mit Apoplexiekranken durch. Nach ihrer Rückkehr aus England arbeitete Krohwinkel zunächst als Vize‐Direktorin der Agnes‐Karll Krankenpflegehochschule des DBfK, übernahm 1988 den Aufbau des Agnes‐Karll Institus für Pflegeforschung und das Forschungsprojekt »Der ganzheitliche Pflegeprozess am Beispiel von Apoplexiekranken«. 1993 wurde sie zur Gründungsprofessorin für Pflegewissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule in Mannheim berufen. Sie veröffentlichte erstmals 1984 ihr konzeptuelles Modell der »Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens (AEDL)«. Das Modell wurde in einer vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten »Studie zur ganzheitlich‐rehabilitierenden Prozesspflege am Beispiel von Apoplexiekranken« erprobt, weiterentwickelt und 1991 abgeschlossenen. 1993 veröffentlichte Krohwinkel ihr »Rahmenmodell der 13 Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (AEDL), 1999 stellte sie ihr weiterentwickeltes Modell vor. Die »Beziehung« als zusätzlicher Faktor wurde eingefügt. Aus den AEDL wurden die ABEDL®. Krohwinkel bewies im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen (1997– 2000), dass eine Umsetzung der »Fördernden Prozesspflege« allein mit den »Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des täglichen Lebens (AEDL)« nicht ausreicht, um den »beziehungsorientierten« Ansatz der »Fördernden Prozesspflege« umzusetzen. Die wechselseitigen »Beziehungen« zwischen den zu pflegenden Menschen, den Pflegepersonen und den Bezugspersonen haben eine so wesentliche Bedeutung, dass sie den gleichen Stellenwert wie die »Aktivitäten« und die »Existenziellen Erfahrungen« haben. Das Modell von Krohwinkel ist primär ein personenbezogenes, beziehungs‐, fähigkeits‐ und förderorientiertes System und weniger an den Defiziten der Menschen orientiert. Die Fähigkeiten und Beziehungen des Menschen spielen eine große Rolle. In diesem Sinn kann fördernde Prozesspflege auch als familieneinbeziehende Pflege bezeichnet werden, denn die Angehörigen gehören auch zum pflegerischen Interesse der professionellen Pflegepersonen. Das System von Krohwinkel unterscheidet sich von anderen Modellen, weil die Angehörigen nicht der »Umgebung« zugeordnet werden. Die persönlichen Bezugspersonen werden nicht nur als Ressource begriffen. Sie sind mit im Fokus der Pflegenden, diese müssen auch nach ihren Bedürfnissen fragen. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 6
Wichtig Vorzüge des Systems der fördernden Prozesspflege Es ist praxisorientiert, da es sich an den Beziehungen, Lebens‐ und Erfahrungsbereichen der Menschen orientiert. • Es ist im deutschsprachigen Altenpflegebereich am bekanntesten und hat teilweise Eingang in die »gemeinsamen Maßstäbe und Grundsätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität« im SGB XI gefunden. • Es kann übergreifend in der Pflege und Hauswirtschaft eingesetzt werden und deckt damit die wesentlichen Leistungsbereiche in Einrichtungen ab. Das System der fördernden Prozesspflege eignet sich auch sehr gut für Pflegebedürftige mit demenziellen Veränderungen und lässt sich z. B. auch mit anderen Konzepten (z. B. Bobath‐Konzept) kombinieren. Der Mensch soll seine Bedürfnisse entwickeln und mit seinen Fähigkeiten umgehen können. Wenn er dies nicht mehr kann, übernimmt die professionelle Pflegeperson die Verantwortung. Sie tut stellvertretend das, was der Pflegebedürftige selbst tun würde, wenn er das Wissen, den Willen und die Kraft dazu hätte. Es kommt im Rahmen der fördernden Prozesspflege besonders darauf an, zu beobachten und hinzuhören, damit alle Beteiligten Beziehungen sichern und gestalten, Lebensaktivitäten realisieren und sich auch an den existenziellen Erfahrungen des Menschen orientieren können. Die fördernde Prozesspflege wird von Krohwinkel mit folgender Kernaussage beschrieben: »Lebens‐ und Entwicklungsprozesse, Krankheits‐ und Gesundheitsprozesse, unter Umständen das Leben selbst, hängen ab von Fähigkeiten und Ressourcen des Menschen, die es ihm ermöglichen: Lebensaktivitäten zu realisieren, soziale Beziehungen und Bereiche zu sichern und zu gestalten, mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen und sich dabei entwickeln können.« Krohwinkel benennt als Hauptquellen und Einflussfaktoren für die Schlüsselkonzepte Mensch, Umgebung, Gesundheit, Krankheit und Pflege in ihrem Modell Rogers, Orem, Roper und Maslow. Menschen (Personen) sieht sie als ein einheitliches Ganzes und macht keinen Unterschied, ob es sich um den pflegebedürftigen Menschen, seine persönliche Bezugsperson oder die professionelle PFM handelt. Menschen sind für sie in gleichem Maße entwicklungsfähig und wachsen in ihrer Entwicklung durch eigenverantwortliche Entscheidungen und Handlungen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass auch die QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 7
PFM ihre eigene ganzheitliche Pflege (Körper, Seele, Geist) nicht vernachlässigen. Wer sich selbst nicht gut pflegt, kann auch andere Menschen nicht gut pflegen. Definition Modelle Krohwinkel definiert in ihrem System der fördernden Prozesspflege folgende Modelle: • Rahmenmodell, • Pflegeprozessmodell, • ABEDL®‐Strukturierungsmodell, • Managementmodell, • Qualitätsentwicklungsmodell, • Modell des reflektierenden Erfahrungslernens (integriert in das Qualitätsentwicklungsmodell). Darüber hinaus entwickelte sie Konzeptionen, Konzepte, Kategorien und Prinzipien. Was heißt »personenorientiert« im System der fördernden Prozesspflege? Es kommt wesentlich darauf an, die Beziehung zwischen dem pflegebedürftigen Menschen, seiner persönlichen Bezugsperson und den professionell Pflegenden zu gestalten und zu sichern. Mögliche weitere, persönliche Bezugspersonen des pflegebedürftigen Menschen sollen mit einbezogen werden. Nicht die ABEDL® stehen im Vordergrund, sondern die Personen. Fördernde Prozesspflege kann rehabilitativ und präventiv sein. Was für den Menschen wichtig, von Bedeutung und möglich ist, das ändert sich in der Regel auch. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, was QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 8
bedeutet das für das Management und die Pflegenden? Wenn für die Pflegenden etwas wichtig ist, finden sie auch die Zeit dafür, es zu tun! Was bedeutet fördernde Prozesspflege für die Mitarbeiter? Die fördernde Prozesspflege kann im Rahmen der Pflege, Betreuung und Behandlung chronisch kranker, behinderter und alter Menschen Orientierung geben. Im zentralen Interesse der Pflege/Pflegenden stehen der pflegebedürftige Mensch und seine persönliche Bezugsperson. Die professionell Pflegenden müssen sich immer wieder darüber klar werden, dass in diesem Pflegemodell, neben dem Pflegebedürftigen selbst, auch ihre persönlichen Bezugspersonen eine wichtige Rolle einnehmen. Angehörige werden besonders ernst genommen und wertgeschätzt. Da die Fähigkeiten und Ressourcen im Mittelpunkt der pflegerischen Betreuung stehen, weniger die Defizite, müssen die Mitarbeitenden Folgendes fragen: Welche konkreten Hilfen benötigt der Pflegebedürftige, um (vgl. hierzu »Strukturierte Informationssammlung« (SIS®) im Strukturmodell) seine Probleme bewältigen und seine Bedürfnisse und Wünsche befriedigen zu können, soziale Beziehungen, Kontakte und persönliche Bereiche sichern und gestalten zu können, mit seinen existenziellen Erfahrungen umgehen und sich weiterentwickeln zu können, seine Unabhängigkeit und sein Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern. Krohwinkel spricht nicht mehr von Problemlösung! Häufig ist in der Langzeitpflege eine Problemlösung nicht erreichbar, eine Problembearbeitung jedoch durchaus. Was muss die Pflegefachperson tun, um Pflege als Problembearbeitungsprozess in der täglichen Praxis umzusetzen? Pflegeprobleme identifizieren, Ursachen‐ und Einflussfaktoren erkennen und einbeziehen, Methoden, Verfahren und Ressourcen kennen, Ziele setzen können. Krohwinkel sieht den Pflegeprozess auch als zwischenmenschlichen Beziehungsprozess. Deshalb benötigen die professionellen Pflegepersonen auch Beziehungs‐ und Kommunikationskompetenz. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 9
Nach Krohwinkel ist Pflege ein Prozess, in dem sich einzelne unterschiedliche Parameter gegenseitig beeinflussen (z. B. der Pflegebedürftige, die Pflegenden, die Umgebung, existenzielle Erfahrungen, Aktivitäten des täglichen Lebens, Beziehungen, Organisation usw.) und ständig verändern (dynamischer Prozess). Für die Pflegepraxis bedeutet das: Veränderungen kann man nicht vorherbestimmen, aber ggf. erreichbare Ziele definieren. Was für den Menschen Sinn macht (hat) und für ihn wichtig ist, Zusammenhänge und Wechselwirkungen, ist von den Pflegenden zu beachten (Sinn‐ und Kontextbezogenheit). Die Pflegefachfrau/‐mann (PFM) orientiert sich an Prioritäten und fragt: Was hat Vorrang für den Pflegebedürftigen und/oder seine persönlichen Bezugspersonen? Was ist für den betroffenen Menschen prioritär von Bedeutung, was ist ihm wichtig? Was ist prioritär verursachend für Probleme in anderen Bereichen? Damit auch »Krohwinkel« drin ist, wenn »Krohwinkel« draufsteht, müssen Einrichtungen prüfen, ob Aufbau‐/Ablauforganisation und Arbeitsorganisation sowie das Pflegemodell zusammenpassen. Die Managementebene muss die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Umsetzung schaffen. Wer im Hochglanzprospekt, auf der Homepage oder im pflegerischen Leitbild die fördernde Prozesspflege als Pflegemodell verspricht, muss auch deren Umsetzung ermöglichen! Pflegebedürftige und Pflegepersonen müssen gefördert werden. Kann die Pflegeeinrichtung eine sichere Pflege nicht ermöglichen, ist fördernde Prozesspflege sinnlos. Das Modell ist ein »Sollmodell«. In der Praxis werden Sie die fördernde Prozesspflege nicht bei jedem Pflegebedürftigen und seinen persönlichen Bezugspersonen immer optimal umsetzen können. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 10
Es kommt auf die Tendenz an: »Nicht immer, aber immer öfter!« Was Sie aber auf keinen Fall machen sollten: Die fördernde Prozesspflege als Alibi benutzen, ohne eine echte Umsetzungsabsicht. Es ist die freie Entscheidung der Einrichtung, das Modell Krohwinkel auszuwählen und umzusetzen. Auf die Modelle im System der fördernden Prozesspflege soll im weiteren Verlauf eingegangen werden. Rahmenmodell (Interessen, Ziele und Handlungsschwerpunkte von Pflege) Das Rahmenmodell ist das übergeordnete Modell in Krohwinkels System. Es beschreibt das »primäre pflegerische Interesse« der fördernden Prozesspflege und konkretisiert dies mit entsprechenden primären pflegerischen Zielsetzungen und primären pflegerischen Handlungsschwerpunkten. Info Die zentralen Thesen fördernder Prozesspflege »Lebensprozesse und Lebensbedingungen chronisch kranker, behinderter und alter Menschen erfordern Handlungssysteme, in denen diese Personen und ihre persönlichen Bezugspersonen im zentralen pflegerischen Interesse von Pflege, Betreuung und Behandlung stehen. Hierbei gewinnen die Förderung von Fähigkeiten und Ressourcen an Bedeutung. Fähigkeiten und Ressourcen, welche die betroffenen Personen benötigen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Probleme zu bewältigen beim Realisieren ihrer Aktivitäten des Lebens, dem Sichern und Gestalten ihrer sozialen Beziehungen (und Bereiche) und im Umgang mit existenziellen Erfahrungen des Lebens. Fördernde Prozesspflege bietet für solche Handlungssysteme theoretische und methodische Grundlagen und gibt Hilfen für die Umsetzung in Praxis, Management und Qualitätsentwicklung. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 11
Die Interessen, Ziele und Handlungsschwerpunkte der an der Pflege und Betreuung beteiligten Personen im Zusammenhang mit den ABEDL® beschreibt Krohwinkel folgendermaßen: Definition Primäres pflegerisches Interesse Das primäre pflegerische Interesse ist gerichtet auf die pflegebedürftige Person und ihre persönliche Bezugsperson mit ihren Fähigkeiten, Problemen und Bedürfnissen in den Aktivitäten, Beziehungen und existenziellen Erfahrungen des täglichen Lebens (ABEDL®). Ein Pflegebedarf wird primär durch Probleme in folgenden ABEDL®‐Kategorien verursacht: Kommunizieren, sich bewegen können, vitale Funktionen aufrechterhalten können, soziale Kontakte und Beziehungen aufrechterhalten können und mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen können. Fördernde Prozesspflege ist keine patientenorientierte Pflege, sondern eine personenbezogene und angehörigenorientierte Pflege, d. h. Angehörige werden als Hilfe einbezogen (z. B. beim Essen reichen usw.). Manchmal werden Angehörige auch vereinnahmt, wie eine Situation aus der ambulanten Pflege beispielhaft zeigt: Der Pflegebedürftige, der im Haushalt der Kinder/Schwiegerkinder lebt, wird möglicherweise von Angehörigen und der professionellen Pflegeperson des ambulanten Pflegedienstes in unterschiedlichen Wirklichkeiten wahrgenommen. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 12
Der Lebensraum der Angehörigen wird aus Sicht der professionellen Pflegeperson zum Arbeitsraum. Das bedeutet aus Sicht der Angehörigen aber unter Umständen eine große Einschränkung. Wie oft kommt es vor, dass Pflegende hierüber mit den Angehörigen nie gesprochen haben, nicht gefragt und auch keine Absprachen getroffen haben, weil der »Arbeitsraum« ja wichtig und selbstverständlich ist! Besser wäre es, gemeinsam mit den Angehörigen die Gestaltung der Situation zu überlegen. »Die persönlichen Bezugspersonen im Rahmen der Pflege mit einbeziehen«, davon haben schon viele Pflegepersonen gehört, aber: Wie kann das praktisch umgesetzt werden? Was bedeutet »pflegerisches Interesse« bezogen auf die persönliche Bezugsperson? Tipp Nehmen Sie die persönlichen Bezugspersonen so, wie sie sind bzw. geworden sind, in ihrer Lebenssituation als Person wahr und bringen Sie ihnen Wertschätzung entgegen. Fragen Sie: Was bedeutet für die persönlichen Bezugspersonen die konkrete Situation, in der sie jetzt sind? Überlegen Sie: Welchen Stellenwert haben die persönlichen Bezugspersonen für die Pflegebedürftigen? Klären Sie: Wo sind Lebenssituationen, in denen auch die persönlichen Bezugspersonen »betreut« werden müssen? Beispiel Die Schwiegertochter beschwert sich bei der PFM darüber, dass die Schwiegermutter schon wieder unmöglich angezogen und die Bekleidung schmutzig ist. Die PFM rechtfertigt sich mit der Aussage, dass es so dem Wunsch der Schwiegermutter entspricht und für sie deren Eigenständigkeit höchste Priorität hat. Sie sei schließlich für andere Dinge da und habe keine Zeit! Die Schwiegertochter fühlt sich als Person nicht gewürdigt! Wie könnte die Situation besser gelöst werden? Besser wäre z. B., wenn die PFM so reagieren würde: »Sie machen sich Sorgen, dass Ihre Mutter nicht gut angezogen ist!« Machen Sie die Betroffenen zu Beteiligten und wertschätzen Sie diese zunächst in ihrer Lebens‐ und Pflegesituation. Klären Sie, was die persönliche Bezugsperson benötigt, um mit der Situation gut umgehen zu können. »Gibt es noch etwas, was Sie von uns brauchen?« Was braucht die Pflegebedürftige, was benötigt die persönliche Bezugsperson? Die PFM sollte nicht (be‐) werten oder sich rechtfertigen. Wie soll die Schwiegertochter sonst glauben, dass die PFM mit der Schwiegermutter anders umgeht? QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 13
PFM können nicht gleichzeitig private (persönliche) und professionelle Bezugsperson (PFM) sein. Es gibt unterschiedliche Ansprüche und Qualitäten an pflegerische und private Bezugspersonen. Problematisch für den Pflegebedürftigen kann auch der Wechsel der pflegerischen Bezugsperson sein. Der Wechsel bedeutet für den Pflegebedürftigen in den meisten Fällen Verlust und Trennung. Der Pflegebedürftige muss auf diese für ihn existenzielle Erfahrung vorbereitet werden. Es darf nicht sein, dass aus rein betriebsorganisatorischen Gründen Bezugspersonen ausgetauscht werden. Die Bezugsperson sollte auf jeden Fall die Möglichkeit haben, sich vom Pflegebedürftigen angemessen zu verabschieden! Fragen Sie sich: Was bedeutet der Wechsel der pflegerischen Bezugsperson für den Pflegebedürftigen (und seine persönlichen Bezugspersonen)? Definition Primäre pflegerische Zielsetzung Krohwinkels primäre pflegerische Zielsetzung ist es, das Erhalten, Erlangen oder Wiederherstellen der Fähigkeiten, Unabhängigkeit, Wohlbefinden und Lebensqualität in den ABEDL® zu realisieren und zu gestalten. Die Fähigkeiten der Bewohnerin und/oder ihrer persönlichen Bezugspersonen werden gezielt und systematisch erfasst, unterstützt und gefördert. Primäre pflegerische Hilfeleistungen Die primären pflegerischen Hilfeleistungen umfassen fünf übergreifende Methoden, die bedürfnis‐ und zielorientiert Anwendung finden: 1. Für den pflegebedürftigen Menschen handeln. 2. Den pflegebedürftigen Menschen führen und leiten. 3. Für eine Umgebung sorgen, die einer positiven Entwicklung förderlich ist. 4. Den pflegebedürftigen Menschen unterstützen. 5. Den pflegebedürftigen Menschen und/oder seine persönliche Bezugsperson anleiten, beraten, unterrichten und fördern. Im Rahmen aller pflegerischen Handlungen ist es für die PFM wichtig, mit den Personen (pflegebedürftige Person und persönliche Bezugsperson) fördernd zu kommunizieren (übergeordnete Handlungsweise) und sie zu unterstützen, Beistand und Hilfestellung zu geben usw.: Legen Sie konkret in der Praxis fest, in welcher Form unterstützt wird, sie anzuleiten: Bedenken Sie, Sie können nur darin anleiten, worin Sie selbst sicher und kompetent sind. Professionell Pflegende haben die Pflicht und das Recht, diese Kompetenz zu entwickeln. Dafür sind entsprechende Möglichkeiten zu schaffen. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 14
Anleitungssituationen für professionell Pflegende Problemsituationen, Anlegetechniken, Transfer aus dem Bett, Mikrobewegungen durchführen, Wahrnehmen können, was die pflegebedürftige Person meint oder benötigt (z. B. bei Demenz), Vor Gefahren schützen (auf Gefahrenquellen aufmerksam machen, beaufsichtigen) usw. Professionell Pflegende sollen informieren und beraten, müssen aber darauf achten, keine Ratschläge zu erteilen. Information ist ein Teil von Beratung. Beratung erfolgt grundsätzlich nicht direktiv und immer freiwillig. Dazu gehören u. a. die Situation zu erörtern und Angebote zu machen. Wichtig ist: Der Beratene entscheidet! Pflegespezifische Beratung bezieht sich immer auf Lebens‐ und Pflegesituationen. Bewohner und Angehörige sollen zumindest in den ersten acht bis zwölf Wochen nach Heimeinzug wie von einem »Lotsen in der fremden Welt Pflegeheim« begleitet werden. Im Sinne des betroffenen Menschen zu handeln bedeutet, so zu handeln, wie es für ihn von Bedeutung ist. Fazit Pflege im Sinne von Krohwinkel Das Kernthema der Pflege im Sinne von Krohwinkel lässt sich so auf den Punkt bringen: Priorität in der Pflege hat das, was für den zu pflegenden Menschen Bedeutung hat! Pflegeprozessmodell Im Rahmen einer gestalteten und gesicherten Beziehung wird die direkte Pflege auf der Grundlage des Pflegeprozessmodells erbracht – um die Lebensaktivitäten zu realisieren und mit existenziellen Erfahrungen umgehen und sich dabei entwickeln zu können. Der Pflegeprozess muss sich in jeder einzelnen Pflegehandlung wiederfinden. Der Pflegeprozess ist nach Krohwinkel in allen Phasen »personen‐, beziehungs‐ und förderungsorientiert zu gestalten«. Dabei kommt der direkten Pflege ein übergeordneter Stellenwert zu. Tipp Hilfreich für die Praktiker ist die Frage: Was müssen wir als Ursachen und Einflussfaktoren in die Pflege einbeziehen? Organisation und Management müssen die Mitarbeitenden in der Umsetzung des Pflegeprozesses fördern. Wechselwirkungen ergeben sich zwischen den einzelnen ABEDL®, aber auch zwischen Pflege, Organisation und Management. Durch die Pflege‐ und Arbeitsorganisation wird die direkte Pflege realisierbar, durch die Dokumentation sicht‐ und nachweisbar. In den Pflegeprozess werden auch die persönlichen Bezugspersonen der QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 15
pflegebedürftigen Person integriert. Der Pflegeprozess wird systematisch durchgeführt und immer wieder reflektiert. Die Lebensgeschichte und lebensgeschichtliche Erfahrungen, die Aufnahmesituation und Pflege‐ und Lebenssituation fließen in den Pflegeprozess ein. Aus arbeitsorganisatorischer Sicht lässt sich Pflege als fördernder Beziehungs‐ und Entwicklungsprozess aber nur gestalten, wenn eine entsprechende Pflegeorganisation und ‐koordination sowie die Pflegedokumentation den Rahmen für die direkte Pflege bilden. Die WHO und Krohwinkel beschreiben den Pflegeprozess in vier Phasen, ähnlich wie im Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Das Pflegeprozessmodell ist ein zyklischer Problembearbeitungs‐ und Beziehungsprozess; ein Kreislauf, der solange abläuft, wie die pflegebedürftige Person der Betreuung und Pflege bedarf. Für Krohwinkel ist die Pflegeprozessdokumentation ein wesentlicher Bestandteil des Pflegeprozessmodells und die Dokumentation ein Mittel zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Sie dient als Bewertungsbasis, kann zur Entwicklung neuer Erkenntnisse sowie zu und zur Überprüfung der Pflegeleistung genutzt werden und erhöht die Wirksamkeit und Beständigkeit der Pflege. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 16
In den Pflegeprozess fließen die Lebensgeschichte und lebensgeschichtlichen Erfahrungen, die Pflege‐ und Lebenssituation sowie die Aufnahme‐ und Einzugssituation ein. ABEDL®‐Strukturmodell Das ABEDL®‐Strukturmodell (Aktivitäten, Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des täglichen Lebens) mit seinen 13 Punkten dient dazu, den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit wahrzunehmen. Das ABEDL‐Strukturmodell® ist in drei Kategorien unterteilt. Die Nummerierung der ABEDL® ist nicht an physiologischen Aspekten orientiert, sondern am Ablauf der Pflege. Im Rahmen des Pflegeprozesses muss sich die Pflegefachperson mit den drei Kategorien auseinandersetzen, aber nicht linear (zuerst Kategorie 1, dann Kategorie 2 usw.), sondern die existenziellen Erfahrungen (Kategorie 3) fließen in die Kategorien 1 und 2 ein. Ein eigenständiges Bearbeiten der Kategorie 3 ist eigentlich gar nicht möglich. Die Kategorien müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden. ABEDL® und ihre Wechselwirkungen Lebensaktivitäten realisieren können – in einer sicheren und fördernden Umgebung Kategorie 1 1. Kommunizieren können 2. Sich bewegen können 3. Vitale Funktionen aufrechterhalten können 4. Sich pflegen können 5. Sich kleiden können 6. Ausscheiden können 7. Essen und Trinken können 8. Ruhen, schlafen, sich entspannen können 9. Sich beschäftigen, lernen, sich entwickeln können 10. Die eigene Sexualität leben können 11. Für sichere und fördernde Umgebung sorgen können Kategorie 2 12. Beziehungen sichern und gestalten können o Im Kontakt sein und bleiben können o Fördernde Beziehungen erhalten, erlangen, wiedererlangen können o Mit belastenden Beziehungen umgehen können QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 17
Kategorie 3 13. Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen und sich dabei entwickeln können o Fördernde Erfahrungen machen können o Mit belastenden und gefährdenden Erfahrungen umgehen können o Erfahrungen, welche die Existenz fördern, belasten oder gefährden, unterscheiden und sich dabei entwickeln können o Lebensgeschichtliche Erfahrungen einbeziehen können. Als ABEDL® (Bedürfnisse und Fähigkeiten) wurden 13 Bereiche von Krohwinkel aufgenommen, die zueinander in Beziehung stehen. Die ersten elf Bereiche ihres Modells übernimmt Krohwinkel fast identisch von Roper (Lebensaktivitäten). ABEDL® »Beziehungen sichern und gestalten können« (Kategorie 2, ABEDL® 12) und »Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen und sich dabei entwickeln können« (Kategorie 3, ABEDL® 13) zeigen die Unterschiede zwischen Krohwinkels Thesen und denen anderer Pflegetheoretiker auf. Die Subkategorien 1 bis 3 kommen in der Kategorie 1 gehäuft als prioritär verursachende Pflegeprobleme vor und haben deshalb eine besondere Bedeutung. Kommunizieren können (Subkategorie 1) Dieser Subkategorie ordnet Krohwinkel z. B. folgende Aspekte zu: o Sich und seiner Umgebung bewusst sein o Sich orientieren (eigene Person, andere Personen, Situation, Umgebung, Zeit) o Sich konzentrieren, sich erinnern o Sich und seine Umgebung wahrnehmen und verstehen können o Körperschema, Körperbild o Riechen und schmecken, tasten und fühlen, hören und verstehen, sehen und erkennen o Lesen und verstehen, sich mitteilen können, verbal (mündlich, schriftlich), nonverbal (mimisch, gestisch) o Sich durch Berührung selbst wahrnehmen Häufig bestehen Wechselwirkungen zu den Bereichen »vitale Funktionen«, »sich bewegen« und »soziale Beziehungen und Bereiche«. Sich bewegen können (Subkategorie 2) Dieser Subkategorie ordnet Krohwinkel z. B. folgende Aspekte zu: o Den Körper, die Extremitäten, den Kopf, den Mund usw. bewegen können o Im Gleichgewicht sein können o Bewegungen ohne Schmerzen ausführen können (ggf. Wechselwirkung mit Subkategorie 3 und 13) o Sich im Bett, aus dem Bett heraus und in das Bett hinein bewegen können QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 18
o Sitzen, stehen und gehen können o Sich im Haus und außerhalb des Hauses bzw. eigenen Wohnraums bewegen können Vitale Funktionen aufrechterhalten können (Subkategorie 3) Der Bereich der vitalen Funktionen ist sehr umfangreich und es bestehen häufig Wechselwirkungen zu den ABEDL® »kommunizieren können« und »sich bewegen können«. Die folgenden Stichwörter können helfen, Aspekte diesem Bereich zuzuordnen: o Atmung, Herztätigkeit, Kreislauf o Wärmehaushalt, Flüssigkeitshaushalt o Stoffwechsel, Hormonhaushalt, Immunfunktion o Zellstrukturen, nervale Funktionen Beispielhaft möchte ich auf einige weitere Subkategorien eingehen und den konkreten Bezug zur pflegerischen Praxis aufzeigen: Sich pflegen können (Subkategorie 4) Diese Subkategorie geht deutlich über den Aspekt der »Sauberkeit« hinaus. Menschen brauchen in der Regel nicht nur die Reinigung, sondern auch fördernde Erfahrungen bei der Körperpflege. Es geht also nicht nur um das Reinigungsbad, sondern auch das »Wohlfühlbad«. Pflegen hat etwas mit »Wohlfühlen« zu tun (riechen, entspannen, Körperwahrnehmung, tasten, Förderung sensorischer Fähigkeiten, Musik usw.)! Zur sicheren Umgebung gehören auch ein Sichtschutz (z. B. Vorhang), damit nicht jeder, der das Bad betritt, gleich in die Badewanne schaut, sowie das Schild an der Tür »Bitte nicht stören – hier wird gebadet«. Sich kleiden können (Subkategorie 5) Hier geht es um mehr als das »An‐ und Ausziehen«! Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen: o Wie ziehe ich mich an und aus? o Selbst entscheiden und die Bekleidung auswählen können. o Kleider machen Leute – sie sagen etwas über den Menschen aus. o Sich in seinen Kleidern wohlfühlen! o Wie ist der diesbezügliche Arbeitsablauf im Wohnbereich? In der Regel sollte morgens vor dem Anziehen die Bekleidung ausgewählt werden, die der Bewohner anziehen möchte. Ruhen, schlafen, sich entspannen können (Subkategorie 8) Dieser Subkategorie muss in manchen Pflegeeinrichtungen deutlich mehr Bedeutung beigemessen werden, denn häufig sind die individuellen Bedürfnisse und Gewohnheiten der Bewohner relativ schnell nach dem Heimeinzug nicht mehr erkennbar. In den Pflegeeinrichtungen gehört auch ein aktiv erlebter Abend dazu. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 19
Es entspricht nicht immer den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und der vorherigen Lebenssituation, relativ früh zu Bett zu gehen. Hinterfragen Sie einmal kritisch, warum bei eher abnehmendem Schlafbedürfnis die Bewohnerinnen diesen Wunsch haben! Überlegen Sie: o Was macht es für die Bewohner interessant, frühere Gewohnheiten beizubehalten? o Wie ist der Personaleinsatz in den Abendstunden (gibt es einen späten Spätdienst)? o Welche konkreten Angebote gibt es in den Abendstunden? Angehörige, die tagsüber berufstätig sind, können abends unter Umständen Besuche und Kontakte besser ermöglichen. Angebote wie ein Nachtcafé haben sich in Einrichtungen nicht immer bewährt. Es ist ggf. besser, anstelle zentraler Angebote diese direkt in die Wohnbereiche zu verlagern. Die eigene Sexualität leben können (Subkategorie 10) Das Thema Sexualität leben können ist teilweise immer noch ein Tabuthema. Stellen Sie sich folgende Fragen: o Können die Bewohner in der Pflegeeinrichtung ihre eigene Sexualität leben? o Was bedeutet das für die Pflegeeinrichtung? o Welche konkreten Möglichkeiten haben die Bewohner? Im Zusammenhang mit dieser Subkategorie sind z. B. auch folgende Aspekte zu beachten: o Kann die Pflege durch eine gleichgeschlechtliche Pflegeperson sichergestellt werden? o Schmuck tragen und sich kleiden hat auch immer etwas mit Sexualität zu tun. o Häufig dürfen eigene Möbel in die Pflegeeinrichtung mitgebracht werden, das eigene Bett aber leider nicht, obwohl es etwas ganz Intimes ist! Große Verunsicherung besteht für die Pflegenden bei der Frage: »Was darf alles sein«? Wichtig ist: Es handelt sich um den intimsten Bereich der Bewohner. Solange sich die Bewohner nicht selbst oder andere gefährden, gibt es keinen Grund einzugreifen. Entscheidend ist, dass es den Bewohnern gut geht. Einträge in die Pflegedokumentation müssen auch in diesem Zusammenhang immer wertschätzend sein und es darf nur so viel eingetragen werden, wie nötig ist, um es zu verstehen, unterstützen und fördern zu können. In der Kategorie 2 erfasst Krohwinkel die sozialen Kontakte, Beziehungen und Bereiche. Kann der Pflegebedürftige am sozialen Leben in privaten und/oder öffentlichen Bereichen teilnehmen, seinen privaten Wohnbereich erhalten, Verantwortung und Aufgaben für seinen eigenen Haushalt wahrnehmen, mit der finanziellen Situation umgehen, Beziehungen sichern und gestalten, fördernde Beziehungen erhalten, erlangen und/oder wiedererlangen, mit belastenden Beziehungen umgehen, usw. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 20
Beispiel Ein Beispiel aus den Bereichen »Soziale Kontakte und Beziehungen sichern und gestalten können« und »mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen und sich dabei entwickeln können«: Nach dem Einzug in die stationäre Pflegeeinrichtung besteht für die Bewohner eine Gefährdung in ihren sozialen Beziehungen. Aus diesem Grund werden vorhandene Beziehungen gefördert und der Bewohner darin unterstützt, neue soziale Beziehungen aufzubauen. Eine weitere Maßnahme kann die pflegerische Anleitung und Beratung der relevanten persönlichen Bezugspersonen sein. Die Einbindung Angehöriger und Freunde ist für die Bewohner die Nahtstelle zur Vergangenheit. Sie erleichtert die Gegenwart und das Dasein in der Pflegeeinrichtung. In der Kategorie 3 »Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen« erfasst Krohwinkel Erfahrungen aus der Vergangenheit und Gegenwart, die eine Bedeutung für die von den Bewohnern empfundene Sicherheit haben können. Darüber hinaus sind in der pflegerischen Arbeit der individuelle Lebensstil und die Prägung durch die Biografie zu berücksichtigen. Jeder Mensch hat Erfahrungen gesammelt, die positive wie negative Auswirkungen hatten und das zukünftige Erleben in ähnlichen Situationen mitbestimmen. Erfahrungen beeinflussen Zufriedenheit, psychisches Wohlbefinden und körperliche Verfassung. Sie werden als bewohnerbezogene, individuelle Faktoren erfasst und in die Pflege einbezogen. Erfahrungen können in allen ABEDL® vorliegen. Die existenziellen Erfahrungen fließen in alle anderen Kategorien und ABEDL® ein. Krohwinkel unterscheidet hier o fördernde Erfahrungen: z. B. Wiedergewinnung von Unabhängigkeit, Geborgenheit, Sicherheit/sicher sein, Zuversicht/Freude, Hoffnung, Liebe, Vertrauen, Wohlbefinden, Zugehörigkeit und Sinn finden, o belastende und gefährdende Erfahrungen: z. B. Verlust von Unabhängigkeit – ausgeliefert sein, Hilflosigkeit, Scham, Unsicherheit, Ungewissheit, Sorge/Angst, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Kraftlosigkeit, Misstrauen, Schmerzen, Ekel, Trennung, Sterben, Isolation und Langeweile, o Erfahrungen, welche die Existenz fördern, belasten oder gefährden: z. B. Kulturelle Erfahrungen/Einflüsse, persönliche Weltanschauung, Glauben, Religionsausübung, lebensgeschichtliche Erfahrungen usw., o lebensgeschichtliche Erfahrungen: diese beeinflussen z. B. den Menschen im Hier und Jetzt, o Sinn finden: z. B. »möchte weiterleben/nicht weiterleben« Ganzheitliche Pflege bedeutet, die einzelnen Leistungen vernetzt zu sehen. Es ist wichtig, Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu erkennen. Probleme und Ursachen müssen klar diagnostiziert werden, um den Bewohner adäquat versorgen zu können. QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 21
Managementmodell Das von Krohwinkel entwickelte Managementmodell geht konkret auf die Aufgaben‐ und Verantwortungsbereiche der Pflege ein. Wichtige Voraussetzungen sind: materielle, personelle, zeitliche und strukturelle Ressourcen. Pflegerische Hauptaufgaben und Verantwortung für die eigenständige und unabhängige Durchführung beziehen sich auf die direkte Pflege: mit Personen fördernd kommunizieren, sie unterstützen, anleiten, beaufsichtigen, informieren/beraten, begleiten und in ihrem Sinne handeln (siehe primäre pflegerische Hilfeleistungen im Rahmenmodell), die Pflegedokumentation und ‐organisation: hier hat Pflege die Entscheidungs‐, Durchführungs‐ und Evaluationsverantwortung. Um den Pflegeprozess optimal steuern zu können ist es notwendig, Aufgaben, Verantwortung und (Entscheidungs) Kompetenzen an die pflegerische Bezugsperson als Prozessverantwortliche zu delegieren, Führen und Leiten: die pflegerische Bezugsperson steuert den Pflegeprozess und führt und leitet in diesem Zusammenhang die am Pflegeprozess Beteiligten. Führen und Leiten wird im Rahmen der Aufbauorganisation/hierarchischen Ebenen z. B. auch von der (Wohn)Bereichs‐ und Pflegedienstleitung wahrgenommen, Die Aufgaben im Zusammenhang der Mitarbeit bei medizinischer Diagnostik und Therapie führen die Pflegenden immer nach Weisung des Arztes durch. Hier hat der Arzt die Entscheidungsverantwortung (Erfassen/Diagnose stellen und Planen/ Therapie festlegen) sowie die Delegations‐ und Evaluationsverantwortung. Die Pflegenden wirken hier nur mit und unterstützen den Arzt, übernehmen aber eine Durchführungsverantwortung (»Jeder ist für das verantwortlich, was er tut«). Eine weitere von Krohwinkel definierte Aufgabe in ihrem Managementmodell bezieht sich auf Kooperations‐ und Koordinationsleistungen: Alle am Betreuungs‐ und Pflegeprozess Beteiligten müssen gut miteinander kommunizieren. Dazu bedarf es guter Kommunikationsstrukturen und guter Teamarbeit. Die Pflegenden unterstützen sich dabei aktiv, z. B. im Rahmen interner Kooperation/Kommunikation und externer Kooperation/Kommunikation (Ärzten, Therapeuten, Case‐Management). QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 22
Der Begriff »Kooperation« schließt das Erfordernis gegenseitiger Unterstützung aller Berufsgruppen auf ein Ziel hin ein, hier: Gesundheit, Unabhängigkeit und Wohlbefinden von behandlungs‐ bzw. pflegeabhängigen Menschen. Um den Menschen gerecht zu werden, wird ein flexibles Organisationsmodell benötigt. Die Ablauforganisation im Bereich der Pflege muss sich um einen bewohnerorientierten Tagesablauf bemühen. Im Bereich der professionellen Pflege ist es deshalb wichtig, für eine angemessene Personalausstattung und ‐einsatzplanung zu sorgen. Hierzu gehören neben der pflegerischen Qualifikation der Mitarbeitenden auch die Managementqualifikationen der leitenden Mitarbeiter in der Pflege, die durch eine entsprechende Personalauswahl und ‐ entwicklung sowie durch laufende Fortbildung und Supervision erreicht werden können. Zu den wichtigen eigenverantwortlichen Aufgaben der Pflegefachleute gehören die Pflege‐/ Maßnahmenplanung und die Pflegedokumentation. Es ist ein zentrales Problem bei den pflegerischen Leistungen, dass die Zusammenhänge von Problemen, Bedürfnissen und Fähigkeiten häufig nicht beachtet und die Auswirkungen von Maßnahmen nicht gesehen werden. Probleme ergeben sich auch aus dem Wechsel der Pflegepersonen, da die Pflegeabläufe häufig unterschiedlich sind. Kontinuität im Personaleinsatz ist deshalb besonders wichtig. Pflegende müssen sich immer mehr an den QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 23
Fähigkeiten und Ressourcen und weniger an Defiziten der Pflegebedürftigen orientieren, was zu einer eher fähigkeitsfördernden Pflege führt. An zwei Aufgabenbereichen sollen die Aufgaben im Rahmen des Pflegemanagements noch einmal verdeutlicht werden: 1. Krohwinkel weist auf die Notwendigkeit hin, den Arbeitsablauf in der Einrichtung personenorientiert zu strukturieren und auf möglichst weitgehende Normalität zu achten. Das bedeutet, dass der gewohnte Tagesablauf der Pflegebedürftigen und der Arbeitsablauf in der Einrichtung weitgehend in Einklang zu bringen sind (z. B. Aufsteh‐ und Zubettgehzeiten, bedeutsame Gewohnheiten in den ABEDL® usw.) 2. Die Kontinuität als Grundlage für Qualität in der Beziehung und der Verantwortung für diedefinierten und übernommenen Aufgaben in der Pflege muss sichergestellt werden. In der Praxis kann das z. B. mit der Delegation der Steuerung des Pflegeprozesses an einzelne PFM und Berücksichtigung größtmöglicher Kontinuität im Rahmen der Personaleinsatzplanung erreicht werden. Krohwinkel definiert die Verantwortung der Pflegenden so, dass diese den Pflegebedürftigen und ihren persönlichen Bezugspersonen primär verantwortlich sind und danach ihren jeweiligen Vorgesetzten. Dies mag arbeitsrechtlich zunächst verwirrend sein. In der praktischen Umsetzung bleiben die Pflegenden natürlich der Wohnbereichsleitung verantwortlich, diese wiederum der Pflegedienstleitung. Die Pflegedienstleitung ist wiederum primär allen Pflegebedürftigen und ihren persönlichen Bezugspersonen verantwortlich und danach erst der Betriebsleitung/ Geschäftsführung. Im Klartext bedeutet das: Die verantwortliche PFM (PDL) hat die übergeordnete Gesamtverantwortung für Qualität, Quantität und Kontinuität in der Pflege auf der Basis der sich aus dem Pflegemodell, Leitbild und Pflegekonzept ergebenden Ziele. Im Rahmen der Bezugspersonenpflege spricht Krohwinkel von pflegerischen Bezugspersonen und nicht von »Kräften«. Deshalb sollten unbedingt wertschätzende Begriffe wie Pflegefachperson, Pflegefachfrau/‐mann, Pflegeassistenten (nicht examinierte Mitarbeitende) usw. benutzt werden. Bezugspersonenpflege leitet Krohwinkel nicht aus dem Primary Nursing ab. »Bezug/ Beziehung«, »Person« und »Pflege« ergeben sich logisch und konsequent aus ihren Modellen, Konzepten und Prinzipien. Damit im Rahmen des Managementmodells die sich daraus ergebende Bezugspersonenpflege in der Praxis umgesetzt werden kann, sind vorab viele Fragen zu klären, u. a.: Was soll sich an der Organisation und am Management ändern? Wie sollen Verantwortung und Verantwortungsebenen geregelt werden? Wie wird die Kommunikation zwischen allen Beteiligten sichergestellt? Wie bisher wird die übergeordnete pflegerische Gesamtverantwortung bei der »verantwortlichen PFM (PDL)« liegen, die insbesondere für das Pflegemanagement zuständig ist. Einen Teil dieser Verantwortung, bezogen auf die Wohnbereiche, wird die PDL QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 24
an die Wohnbereichsleitung (WBL) delegieren, ohne sich damit ihrer Gesamtverantwortung entziehen zu können. Zentrale Ziele und damit auch Managementaufgaben sind: fördernde Rahmenbedingungen für Bewohner, persönliche und pflegerische Bezugspersonen, sowie Mitarbeitende sicherstellen, Normalität und Kontinuität sicherstellen. PDL und WBL sind für die Beratung (Supervision) der PFM und fördernde Rahmenbedingungen, z. B. durch entsprechenden Personaleinsatz, verantwortlich. Die Gesamtverantwortung für den Pflegeprozess, die Supervision und Beratung der weiteren am Pflegeprozess beteiligten Mitarbeitenden tragen die PFM. Die Pflegeassistenten haben eine delegierte Mitverantwortung in Teilen des Pflegeprozesses. Damit die Bezugspersonenpflege im Sinne von Krohwinkel funktioniert, müssen Aufgaben und Verantwortung konkret geregelt werden. Einige Pflegeeinrichtungen haben die Vertretung oft so geregelt, dass die PFM von der Pflegeassistentin vertreten wird. Das geht aber nicht, da beide unterschiedliche Aufgaben und Verantwortungen haben. Sinnvoll ist es deshalb festzulegen, von welcher PFM die PFM und von welcher Pflegeassistentin die Pflegeassistentin bei Abwesenheit vertreten wird. Legen Sie die Bezugspersonen nicht pflegegradorientiert fest. Es ist besser, zimmerorientiert zuzuordnen, wobei alle Zimmer möglichst nahe beisammen liegen sollen! Durch Bewohnerfluktuation ändert sich die Belastungssituation der Pflegemitarbeiter häufiger und verteilt sich damit entsprechend, z. B. wenn Pflegebedürftigkeit zu‐ oder abnimmt oder wenn pflegebedürftige Personen versterben. Aus diesem Grund soll es nicht zur Änderung der pflegerischen Bezugspersonen kommen und es sollten deshalb auch keine Bewohner in andere Zimmer umziehen müssen, da das unter Umständen eine belastende existenzielle Erfahrung für Bewohner sein (werden) kann. Bewohner, Angehörige und andere an der Pflege und Betreuung Beteiligte müssen über die Zuordnung informiert sein. Für alle Beteiligten muss transparent sein, welche QUELLE: HERBERT MÜLLER „ARBEITSORGANISATION IN DER ALTENPFLEGE, SCHLÜTERSCHE 03_2020 25
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