Therapie-Info Information für Vertragspartnerinnen und -partner - 4/2021 WIEN - Österreichische Gesundheitskasse
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2 04 _2021 Neue Leitlinie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen Alle Unterlagen zu Prävention und Behandlung Koronare Herzkrankheiten, Hypertonie und periphere Verschlusskrankheiten sind die häufigsten Todesursachen in Österreich. Von Fachexpertinnen und -experten wurde eine neue Leitlinie erstellt, die eine Orientierung für die Behandlung dieser Krankheiten gibt. Eine Patienten- broschüre informiert über Präventionsmöglichkeiten und den Umgang mit der Erkrankung. AKTUELLES Unter www.arzneiundvernunft.at/DE/Thema/KHK+ Hypertonie+und+periphere+Verschlusskrankheit.aspx finden Sie alle erstellten Unterlagen: ● die Leitlinie ● den Link zum e-Learning ● den Qualitätssicherungsbericht ● die Patientenbroschüre Die Initiative „Arznei & Vernunft“ ist ein gemeinsames Projekt vom Dachverband der Sozialversicherungsträger, der Österreichischen Ärztekammer, der Österreichi- schen Apothekerkammer und der Pharmig. Unter www.arzneiundvernunft.at sind auch die erstellten Leitlinien der letzten Jahre abrufbar: ● Antiinfektiva – Behandlung von Infektionen ● Osteoporose ● Antikoagulantien ● und weitere
04 _2021 3 Inhalt Editorial Neue Leitlinie zu Sehr geehrte Frau Doktorin, Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2 sehr geehrter Herr Doktor, Editorial 3 die Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 hat in den vergan- Insulintherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 4 genen Jahren große Fortschritte gemacht. Während orale Antidiabetika und GLP-1-Rezeptor-Agonisten durch die Auffällige Spitzen bei der Insulintherapie 7 Personalisierung der Therapie an Bedeutung gewinnen, bleibt der Insulintherapie nach wie vor ein großer Stellen- Antibiotika in der Schwangerschaft 8 wert erhalten. Unsere Titelgeschichte verschafft einen Überblick über Indikationen und Therapieformen und bringt Evaluierung des CRP-Schnelltests9 praktische Tipps zur Initiierung und Titration. Der Artikel bietet überdies die Möglichkeit, Punkte für das Diplom- PPI bei oralen Tumortherapeutika11 Fortbildungs-Programm zu erwerben. Eine Auswertung der Versorgung mit Insulinen weist auf ein nicht unbeträchtliches Problem hin: Ein Teil der Patien- tinnen und Patienten bezieht die Präparate in Mengen, die weit über die übliche Dosierung hinausgehen. Mit der Gabe von Antibiotika in der Schwangerschaft befasst sich ein weiterer Artikel. Dass dabei eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko erfolgen muss, liegt auf der Hand. Dazu kommt natürlich eine ausführliche Aufklärung der Patientinnen. Zur raschen Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen der Atemwege gibt es als abrechenbare Leistung der ÖGK einen CRP-Schnelltest. Wir berichten über eine Evaluierung des Einsatzes dieses diagnostischen Tests. Auf ungewollte Arzneimittelinteraktionen im Zusammen- hang mit der Einnahme von Protonenpumpenhemmern weisen wir in unserem Bericht hin. Die Anhebung des Impressum pH-Wertes im Magen kann die Aufnahme von Tumor- Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: therapeutika beeinträchtigen. Österreichische Gesundheitskasse Haidingergasse 1, 1030 Wien www.gesundheitskasse.at/impressum Wir informieren auch über eine neue Leitlinie für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wie Sie Hersteller: ÖGK Wien, sich die entsprechenden Unterlagen besorgen können. Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien Fotos: Shutterstock. Satz- und Druckfehler vorbehalten. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre, schöne Feiertage und ein glückliches Jahr 2022. Das Redaktionsteam
4 04_2021 Insulintherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 Ein Überblick über Indikationen und Therapieformen Die Personalisierung der Diabetestherapie rückt orale Antidiabetika und GLP-1-Rezeptor-Agonisten in den Vordergrund. Trotz der vielen Therapieoptionen hat die Insulintherapie aber nach wie vor einen großen Stellenwert in der Diabetestherapie. Im Folgenden werden Therapieindikationen und -formen zusammengefasst und praktische Tipps zur Initiierung und Titration gegeben. Neben der Behandlung von akuten hy- ßer bei Zeichen eines Insulinmangels – U300 < Insulin glargin U100/Insulin perglykämischen Entgleisungen ist eine die erste injizierbare Therapie allerdings detemir < NPH-Insulin; Standards of Insulintherapie weiterhin bei Nicht-Er- keine Insulintherapie, sondern eine Medical Care in Diabetes, ADA – 2020, reichen der Zielwerte in der Schwan- GLP-1-Rezeptor-Agonisten-Therapie Diab Care). gerschaft (nüchtern und postprandiale darstellen sollte (ADA-Guidelines 1-h-Werte), im perioperativen Setting 2020). Das bedeutet, dass der Beginn Sollte nach entsprechender Dosisan- ebenso wie bei akuten interkurrenten einer Insulintherapie meist ergänzend passung trotz zufriedenstellendem Erkrankungen, die mit hyperglykämi- zu oraler und GLP-1-Rezeptor-Agonis- Nüchternblutzuckerwert der HbA1c- schen Werten einhergehen, indiziert. ten-Therapie empfohlen wird. Wert nicht im Zielbereich liegen, ist der Das bedeutet, dass bei einem Großteil Beginn einer zusätzlichen prandialen der stationär behandelten Patientinnen Formen der Insulintherapie – Insulintherapie indiziert. Alternativ kann und Patienten sinnvollerweise auf eine was für wen? auch eine Umstellung auf ein Misch- Insulintherapie zurückgegriffen wird, insulin angedacht werden. Für die Gabe einerseits aufgrund der guten Steuer- Eine basal unterstützte Insulinthera- eines prandialen Insulins (Insulin aspart, barkeit, andererseits auch aufgrund der pie eignet sich für einen Großteil der Insulin lispro, Insulin glulisin) zusätzlich meist vorhandenen Kontraindikation betroffenen Menschen mit Diabetes zur Insulintherapie spricht die zeitliche gegenüber oralen Antidiabetika in der mellitus Typ 2 gut als erste Form ei- Flexibilität, das heißt, die Patientin oder Akutsituation (sick day pills: Metformin, ner Insulintherapie. Dabei wird meist der Patient injiziert die Insulindosis zur SGLT2-Inhibitoren). abends eine fixe Dosis an Basalinsulin kohlenhydratreichsten Mahlzeit am verabreicht, um durch Hemmung des Tag, begonnen wird meist mit einer Do- Eine klare Indikation besteht auch bei hepatischen Glukose-Outputs eine sis von 4 IE. Bei Nicht-Erreichen ist eine klinischen Zeichen eines chronischen Verbesserung der Nüchternglukose Steigerung der Injektionshäufigkeit bis Insulinmangels, gekennzeichnet unter zu erreichen. Aufgrund der aktuellen zu dreimal täglich zu den Hauptmahl- anderem durch Hyperglykämie, ver- Refundierungssituation in Österreich zeiten möglich. bunden mit Gewichtsabnahme und bedeutet dies meist den Beginn mit Leistungsabfall. Der weitaus häufigste einem NPH-Insulin (z. B. 10 IE/Tag Eine Mischinsulintherapie kann bei Grund für eine Insulintherapie ist aber oder 0,1 – 0,2 U/kg Körpergewicht/d – sehr regelmäßigem Lebensablauf ein Therapieversagen unter Mehr- ÖDG-Leitlinien 2019). Bei nächtlichen sinnvoll sein, bei zweimal täglich ver- fachtherapie (orale Antidiabetika + Hypoglykämien sollte unverzüglich abreichtem Insulin (meist 2/3 der Ta- GLP-1-Rezeptor-Agonisten). Sofern eine Dosisreduktion um 4 IE oder 10 gesdosis morgens, 1/3 abends) wird unter einer Dreifachtherapie (in Einzel- bis 20 % der Insulindosis erfolgen, zu- sowohl ein kohlenhydrathältiges Früh- fällen auch Vierfachtherapie) keine Ziel- dem sollte die Umstellung auf ein lang- stück als auch eine Kohlenhydratzu- werterreichung möglich ist, sollte eine wirksames Insulinanalogon angedacht fuhr zum Abendessen vorausgesetzt. Insulintherapie – meist in Form einer ba- werden, für die eine verminderte Rate sal-unterstützten Therapie – angedacht an nächtlichen Hypoglykämien ge- Die funktionelle Insulintherapie stellt werden (ÖDG-Leitlinien 2020). Die ak- zeigt werden konnte (Hypoglykämie- weiterhin den Goldstandard dar, sie tuellen Leitlinien sehen vor, dass – au- risiko: Insulin degludec/Insulin glargin besteht einerseits aus einer Basalinsu-
04_2021 5 lintherapie, zudem wird zu kohlenhyd- unverzüglich eine Dosisreduktion um prandialen oder Mischinsulins sollte die rathältigen Mahlzeiten ein prandiales 4 IE erfolgen. Bei Verwendung von Sulfonylharnstofftherapie abgesetzt Insulin verabreicht. Die Dosis rich- langwirksamen Insulinanaloga ist beim werden. Eine kombinierte Pioglitazon- tet sich nach dem Ausmaß der Koh- Therapieansprechen die Halbwertszeit und Insulintherapie wiederum kann zu lenhydratzufuhr, dieses Schema setzt in Betracht zu ziehen, das heißt, für einer deutlichen Gewichtszunahme daher Kenntnis über Broteinheiten/ die sehr lang wirksamen Insulinana- führen, zudem besteht eine Kontrain- Kohlenhydratberechnung voraus. Eine loga (Insulin degludec, Insulin glargin dikation bei klinischen Zeichen einer seltene, aber dennoch mögliche The- U300) ist der Effekt auf den Nüchtern- Herzinsuffizienz. In Einzelfällen kann rapiealternative auch bei DM-2-Pati- blutzucker häufig erst nach drei Tagen jedoch bei sehr ausgeprägter Insulin- entinnen und -Patienten ist die Insu- voll erfassbar. resistenz und hoher Insulintagesdosis linpumpentherapie. eine Pioglitazontherapie unter entspre- Für die Titration von prandialem Insulin chend engmaschiger klinischer Kon- Titration (kurzwirksame Insulinanaloga) soll der trolle sinnvoll sein. DPP-IV-Hemmer postprandiale Wert herangezogen wer- können prinzipiell bei Insulintherapie Die Titration kann sowohl durch die den, der optimalerweise < 180 mg/dl fortgeführt werden, wobei die Wirk- Patientinnen und Patienten als auch liegt. samkeit bei Gabe von prandialem In- durch die behandelnden Ärztin- sulin oder Mischinsulinen aufgrund des nen und Ärzte erfolgen. Die Dosis Sinnvolle Kombi-Therapien Wirkmechanismus (Steigerung der glu- des abendlichen Basalinsulins oder mit Insulin koseabhängigen Insulinsekretion) ein- langwirksamen Insulinanalogons ori- geschränkt sein kann. entiert sich am Nüchternblutzucker Metformin und SGLT2-Inhibitoren kön- (optimal < 80 – 110 mg/dl, akzeptabel nen – sofern keine Kontraindikation oder Insulintherapie in bis < 130 mg/dl). Tägliche Titrationen Unverträglichkeit besteht – bei allen For- besonderen Situationen sind nicht sinnvoll, vor allem bei Selbst- men der Insulintherapie beibehalten titration durch die Patientin oder den werden. Ähnliches gilt auch beson- Längere Nüchternphasen Patienten haben sich wöchentliche Ti- ders für langwirksame GLP-1-Rezep- Bei längeren Nüchternphasen, z. B. bei trationen als sinnvoll erwiesen. Sollte tor-Agonisten (Liraglutid, Semaglutid, geplanten Interventionen, kann eine der Nüchternblutzucker durchgehend Exenatid LAR, Dulaglutid). Vorsicht ist Basalinsulintherapie in gewohnter Dosis (z. B. an den letzten drei Tagen) ober- bei der Gabe von Sulfonylharnstoffen beibehalten werden. Sollte eine Hypo- halb des Zielbereiches liegen, kann geboten, da die Kombination mit Insu- glykämieneigung bestehen, wäre eine eine leichte Dosissteigerung erfolgen lin zu einem erhöhten Hypoglykämie- leichte Dosisreduktion zu erwägen. Die (z. B. 2 IE), bei Hypoglykämie sollte risiko führt. Spätestens bei Gabe eines prandiale Insulingabe soll für die Dauer
6 04_2021 Basalinsulin (meist in Kombination mit Metformin oder weiterer antidiabetischer Substanz) • Beginn: 10 U/Tag oder 0,1 – 0,2 U/kg KG/Tag • Dosisanpassung: 10 – 15 % oder 2 – 4 U unter Bezugnahme auf die Nüchternblutzuckerwerte • Hypoglykämien: Ursache evaluieren, Dosisreduktion um 4 U bzw. um 10 – 20 % Kurzwirksames Mischinsulin 2 x täglich Insulin prandial zur Falls keine Zielwerterreichung oder (konventionelle Hauptmahlzeit Basalinsulindosis über 0,5 U/kg KG/Tag: Insulintherapie) Erweiterung der Insulintherapie (prandiales Insulin oder GLP-1-Analogon) • Beginn: 4 U bzw. 0,1 U/kg KG bzw. 10 % der • Beginn: Tagesdosisaufteilung 2/3 morgens und Basalinsulindosis 1/3 abends • Dosisanpassung: 1 – 2 U bzw. 10–15 % bis • Dosisanpassung: 10–15 % bis Blutzuckerzielwerte Blutzuckerzielwerte erreicht erreicht • Hypoglykämien: Ursache evaluieren, • Hypoglykämien: Ursache evaluieren, Dosisreduktion um 2 – 4 U bzw. um 10 – 20 % Dosisreduktion um 2 – 4 U bzw. um 10 – 20 % Falls keine Zielwerterreichung: Falls keine Zielwerterreichung: Erweiterung Basis-Bolus-Insulinregime/ Erweiterung Basis-Bolus-Insulinregime/ funktionelle Insulintherapie funktionelle Insulintherapie • Beginn: 4 U bzw. 0,1 U/kg KG bzw. 10 % der Basalinsulindosis • Hypoglykämien: Ursache evaluieren, Dosisreduktion um 2–4 U bzw. um 10–20 % Abb. 1: Insulin-Algorithmus (ÖDG-Leitlinien 2019) der Nüchternphase pausiert werden. korrigiert werden. Die Korrektur soll- Bei Mischinsulintherapie kann bei län- te allerdings frühestens drei Stunden gerer Nüchternphase eine Umstellung nach der letzten prandialen Insulinga- auf eine NPH-Insulintherapie erwogen be erfolgen, um das Risiko für Hypo- werden, dabei wird die Dosis des bis- glykämien zu minimieren. herigen NPH-Insulinanteils des Misch- Dieser Artikel bietet Ihnen die Mög- insulins weitergeführt. lichkeit zum Erwerb von Punkten für das Diplom-Fortbildungs-Programm Interkurrente Erkrankungen Autorin: der Österreichischen Ärztekammer. Sie Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Kaser haben auf www.meindfp.at die Mög- Bei fieberhaften Infekten kommt es Medizinische Universität Innsbruck, lichkeit, den Artikel zu lesen und die meist zu einem erhöhten Insulinbedarf Innere Medizin 1 zugehörigen Testfragen online zu be- aufgrund von steigender Insulinresis- antworten. Bei richtiger Beantwortung tenz, entsprechend kann eine Steige- Wissenschaftliche Leitung: wird Ihnen der DFP-Punkt automatisch rung der Insulindosis notwendig sein. Prim. Dr. Reinhold Pongratz, MBA auf Ihr ÖÄK-Online-Fortbildungskonto Österreichische Gesundheitskasse gutgeschrieben. Den Patientinnen und Patienten wird Landesstelle Steiermark zu häufigeren Blutzuckermessungen geraten, gegebenenfalls sollte mittels Lecture Board: kurz wirksamem Insulinanalogon der Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij Blutzuckerwert bei Hyperglykämie Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher
04_2021 7 Hohe Verordnungsmengen bei der Insulintherapie Daten der Realversorgung bei Diabetes mellitus Typ 2 Die Analyse der Realversorgung mit Insulin bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus (DM) Typ 2 hat ein unerwartetes Ergebnis zutage gefördert: Offensichtlich werden Insuline in be- trächtlicher Menge gehortet oder weggeworfen. Datengrundlage dieser Analyse sind Ab- Ergebnisse Analyse Realversorgung rechnungsdaten der ÖGK. Typ-2-Dia- betikerinnen und -Diabetiker wurden ATC-Code und A10AB: A10AC: A10AD: A10AE: über eine Therapie mit einem Antidia- Insulintyp schnell wirkend intermediär lang wirkend lang wirkend wirkend kombiniert mit betikum exklusive Insulin (ATC-Code schnell wirkend A10B) im Zeitraum 2018 bis 2020 defi- Personen 19.972 13.877 20.839 25.169 niert. Von dieser Kohorte hatten 57.617 Patientinnen und Patienten im Jahr Abb. 1: Anzahl versorgter Personen nach Insulintyp. 2020 eine Insulintherapie, welche ana- lysiert wurde. 20.402 Personen haben den Insulintyp Verteilung der Insulinmengen pro Behandlungstag innerhalb des Jahres gewechselt oder kombiniert. Von allen 57.617 Patien- 320 tinnen und Patienten mit einer Insulin- 280 Einheiten Insulin pro Behandlungstag therapie haben 163 bis zu 10 Einheiten (E) pro Behandlungstag erhalten, 5.199 240 über 10 bis zu 20 E, 17.850 über 20 bis zu 40 E, 29.684 über 40 bis zu 100 E 200 und 4.720 über 100 E. Nicht berück- 160 sichtigt werden konnte dabei ein fakul- tativer Verwurf oder das mögliche Hor- 120 ten von Insulinpackungen. 80 40 Fazit 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 Anzahl der Personen (kumuliert) 4.720 Personen (8,2 %) bekamen Insulinmengen verordnet, die weit über den üblichen Dosierungen lie- Abb. 2: Theoretische Tagesdosen verordneter Insulinmengen. gen. Die Verordnungen sollten sich stets am tatsächlichen Bedarf der Patientinnen und Patienten orien- tieren, unverhältnismäßige Bevor- ratungen sollten nicht unterstützt werden.
8 04_2021 Antibiotikatherapie in der Schwangerschaft Aufklärung und sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung Wenn während der Schwangerschaft eine Infektion auftritt und eine antibiotische Therapie verordnet wird, ist die werdende Mutter häufig verunsichert. Generell gilt: Jede antibiotische Therapie in der Schwangerschaft bedarf einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung. Eine unbehandelte bakterielle Infektion ist für das ungeborene Kind jedoch häufig riskanter als ein unzureichend untersuchtes Antibiotikum. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Aufklärung der Schwangeren über die Notwendigkeit sowie die potenziellen Risiken der Antibiotikatherapie unverzichtbar. Bakterielle Infektionen in der Schwan- oder ohne Beta-Lactamase-Inhibito- Je nach Wirkstoff und je nachdem, zu gerschaft können nicht nur die wer- ren) und Cephalosporine. Sie sind so- welchem Zeitpunkt der Schwanger- dende Mutter gefährden, sondern auch wohl in der Schwangerschaft als auch in schaft ein Antibiotikum eingenommen den Verlauf der Schwangerschaft kom- der Stillzeit Mittel der ersten Wahl bei wird, kann es unterschiedliche Folgen plizieren. Es kann im schlimmsten Fall der Behandlung bakterieller Infektio- auf das Ungeborene haben. Im ers- zu vorzeitigen Wehen und/oder vorzei- nen. Als Alternative, beispielsweise bei ten Trimenon der Schwangerschaft ist tigem Blasensprung mit Spontanabort Allergie oder Resistenzen, stehen Ma- wegen der Organogenese besondere oder Frühgeburt kommen. Bestimmte krolide zur Verfügung. Für Fosfomycin Vorsicht geboten: In dieser Zeit können Erreger, wie beispielsweise B-Strep- liegen ebenfalls keine Hinweise auf em- Teratogene zu schweren angeborenen tokokken, können das Kind direkt bryotoxische oder teratogene Effekte Fehlbildungen und bleibenden Organ- schädigen. Aus diesem Grund müssen bei oraler Einnahme vor. schäden führen. Aber auch später kön- bakterielle Infektionen – nach strenger nen Antibiotika Schäden verursachen, Indikationsstellung – auch während der Bei schweren, lebensbedrohlichen etwa an Knochen, Knorpel und/oder Schwangerschaft adäquat behandelt Infektionen – insbesondere mit Prob- Zähnen (z. B. Fluorchinolone oder Tet- werden. Bestimmte asymptomatische lemkeimen – kann eine Therapie mit in razykline). Bei einigen Substanzen, wie Infektionen, z. B. mit Chlamydien, soll- der Schwangerschaft weniger erprob- beispielsweise Aminoglykosiden, kön- ten ebenfalls therapiert werden. ten Wirkstoffen erforderlich werden. nen Hörschäden auftreten. In diesen Fällen überwiegt jedoch der Das Internetportal EMBRYOTOX Die am besten untersuchten Antibioti- therapeutische Nutzen das potenzielle (www.embryotox.de) des Pharmako- ka für Schwangere sind Penicilline (mit Risiko für das ungeborene Kind. vigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Uni- versitätsmedizin Berlin bietet umfas- sende Informationen bezüglich des Risikopotenzials von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit und ist somit ein hilfreiches Tool für den klini- schen Alltag. Quellen: ●● Austria Codex, Fachinformation (Stand 11/2021) ● Embryotox (www.embryotox.de), Pharmako- vigilanz- und Beratungszentrum für Em- bryonaltoxikologie der Charité-Universitäts- medizin Berlin. Letzter Abruf am 03.11.2021 ● Gelbe Liste Pharmindex Online (www.gelbe-liste.de). Letzter Abruf am 03.11.2021
04_2021 9 Evaluierung des CRP-Schnelltests Verbesserung der Versorgungsqualität Infektionen der Atemwege sind vor allem in der kalten Jahreszeit eine häufige Ursache für einen Arztbesuch. Die Mehrzahl dieser Infektionen ist viral bedingt und eine Antibiotikatherapie daher nicht sinnvoll. Zur sofortigen Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Infektion steht der Ärztin bzw. dem Arzt in mehreren definierten Fachgruppen ein CRP-Schnelltest als abrechenbare Kassenleistung zur Verfügung. Während die Sinnhaftigkeit des Einsat- zes eines CRP-Schnelltests in der medi- zinisch wissenschaftlichen Literatur gut dokumentiert ist [1–4], sind nur wenige Daten zum Einsatz des CRP-Schnelltests im österreichischen Gesundheitssystem verfügbar. Aus den Abrechnungsdaten der ÖGK wurde dessen Einsatz bei den Vertragspartnerinnen und -partnern im Burgenland (B), in der Steiermark (Stmk) und in Oberösterreich (OÖ) evaluiert, wo der Test bereits seit Jahren in der Routi- neversorgung verfügbar ist. Evaluierungskonzept Analysiert wurden die Abrechnungsda- ten des ersten Quartals 2020, um einer- seits die Pandemieeffekte zu minimie- ren und andererseits die „Grippesaison“ zu inkludieren. Berücksichtigt wurden ferenzialdiagnose und wesentlich selte- tum bei 85 % der Betroffenen am glei- die Abrechnungsdaten aller Vertrags- ner zur Therapiekontrolle eingesetzt. Bei chen Tag wie der CRP-Schnelltest, bei ärztinnen und -ärzte mit einem kurati- einer Antibiotikatherapie innerhalb von weiteren 6 % am Folgetag und bei den ven Vertrag der ÖGK im Burgenland, in fünf Tagen nach der Testdurchführung restlichen 9 % am Tag zwei bis fünf nach der Steiermark oder in Oberösterreich. wurde angenommen, dass das CRP-Test- Testdurchführung. ergebnis auf eine bakterielle Infektion Ergebnisse hinwies. Bei 15.581 Patientinnen und Pa- Der Einsatz des CRP-Schnelltests führ- tienten erfolgte eine Antibiotikaverord- te daher nur bei jeder vierten Patientin Für insgesamt 62.034 Patientinnen nung nach der Testdurchführung (siehe bzw. jedem vierten Patienten zu einer und Patienten (B 12.702, Stmk 39.177, Abb. 1). Dabei lag das Rezepteinlöseda- Antibiotikaverordnung. OÖ 10.155) wurden 73.743 Schnelltests (B 14.872, Stmk 46.989, OÖ 11.882) ab- Personen mit CRP-Schnelltest Personen mit anschließender Antibiotikatherapie gerechnet. Da bei 86 % der Patientinnen absolut relativ und Patienten nur eine einzige Test- 62.034 15.581 25,1 % durchführung abgerechnet wurde, wird der CRP-Schnelltest vor allem zur Dif- Abb. 1: Ergebnisse der CRP-Evaluation.
10 04_2021 Gesundheitsökonomische Quellen: Evaluation und Diskussion [1] Aabenhus R, Jensen J-US, Jørgensen KJ, Hróbjartsson A und Bjerrum L. Biomarkers as point-of-care tests to guide prescription of Der Aufwand der ÖGK für 73.743 ab- antibiotics in patients with acute respiratory infections in primary care. Cochrane Database gerechnete CRP-Schnelltests und die Syst Rev 2014;(11):CD010130. konsekutiv verordneten Antibiotika be- [2] Verbakel JY, Lee JJ, Goyder C et al. Impact of point-of-care C reactive protein in ambulatory trug 394.054 Euro - 234.693 Euro für care: a systematic review and meta-analysis. die Testdurchführung und 159.361 Euro BMJ Open 2019;9:e025036. [3] O‘Brien K, Glöckner Lund Jordan K et al. für die Antibiotikaverordnungen. Auf C-reactive protein point-of-care testing Grundlage publizierter Daten [5–10] (CRP POCT) to guide antibiotic prescribing wäre zu erwarten, dass ohne Durchfüh- in primary care settings for acute respiratory tract infections (RTIs). Rapid assessment on rung eines CRP-Schnelltests zwischen other health technologies using the HTA Core 46 % und 78 % der Patientinnen und Model for Rapid Relative Effectiveness Assess- ment. EUnetHTA Project ID: OTCA012, 2019. Patienten ein Antibiotikum erhalten. Bei [4] Lemiengre MB, Verbakel JY, Colman R et al. gleicher Präparateauswahl wären da- Point-of-care CRP matters: normal CRP levels reduce immediate antibiotic prescribing for durch für die 62.034 Personen Kosten acutely ill children in primary care: a cluster von bis zu 494.000 Euro entstanden. randomized controlled trial. Scand J Prim Health Care 2018;36:423–36. [5] Andreeva E und Melbye H. Usefulness of Die Kosten des Einsatzes des C-reactive protein testing in acute cough/re- CRP-Schnelltests werden durch den spiratory tract infection: an open cluster-ran- domized clinical trial with C-reactive protein verringerten Antibiotika-Einsatz in etwa testing in the intervention group. BMC Fam kompensiert. Außerdem ist von einer Pract 2014;15:80. [6] Bjerrum L, Gahrn-Hansen B und Munck AP. Verbesserung der Versorgungsqualität C-reactive protein measurement in general auszugehen. Antibiotika werden geziel- practice may lead to lower antibiotic prescri- ter jenen Patientinnen und Patienten bing for sinusitis. Br J Gen Pract 2004;54:659– 62. verordnet, die eine bakterielle Atem- [7] Cals JWL, Butler CC, Hopstaken RM, Hood wegsinfektion haben. Ein nicht mess- K und Dinant G-J. Effect of point of care testing for C reactive protein and training in barer Zusatznutzen besteht durch die communication skills on antibiotic use in lower treffsicherere Antibiotikaverordnung respiratory tract infections: cluster randomised trial. BMJ 2009;338:b1374. in Hinblick auf mögliche Folgekosten [8] Cals JWL, Schot MJC, Jong SAM de, Dinant aufgrund von Resistenzentwicklungen G-J und Hopstaken RM. Point-of-care C-reac- und Neben- und Wechselwirkungen. tive protein testing and antibiotic prescribing for respiratory tract infections: a randomized Ein weiterer Benefit liegt bei der anti- controlled trial. Ann Fam Med 2010;8:124–33. biotischen Behandlung von bakteriellen [9] Diederichsen HZ, Skamling M, Diederichsen A et al. Randomised controlled trial of CRP rapid Infektionen, die ohne CRP-Test keiner test as a guide to treatment of respiratory entsprechenden Therapie zugeführt infections in general practice. Scand J Prim Health Care 2000;18:39–43. würden. [10] Kavanagh KE, O‘Shea E, Halloran R, Cantillon P und Murphy AW. A pilot study of the use of near-patient C-Reactive Protein testing in the treatment of adult respiratory tract infections in one Irish general practice. BMC Fam Pract 2011;12:93.
04_2021 11 PPI bei oralen Tumortherapeutika Vorsicht ist etwa bei Tyrosinkinase-Inhibitoren geboten Arzneimittelinteraktionen können zu Änderungen der Kinetik bei der Aufnahme bzw. bei der insgesamt resorbierten Menge eines Arzneistoffs führen. Der pH-Wert im Magen beeinflusst die eingenommen hatten. 22,7 % erhielten Sunitinib beim Nierenzellkarzinom oder Resorptionsquote mancher Substan- gleichzeitig einen PPI. Die Gruppe mit mit Imatinib bei chronisch myeloischer zen. Bei Anhebung des pH-Werts – z. B. der PPI-Komedikation hatte ein erhöh- Leukämie vor. mit einem Protonenpumpenhemmer tes Risiko zu versterben, sowohl im Be- (PPI) – besteht die Gefahr, dass wirk- obachtungszeitraum von 90 Tagen als Wie sieht die Situation same Zielkonzentrationen zu langsam auch innerhalb eines Jahres. Die Sub- in Österreich aus? aufgebaut bzw. gar nicht erreicht wer- gruppenanalyse zeigte, dass das Risi- den und damit eventuell auch nicht das ko bei Patientinnen und Patienten mit Für einen Vergleich wurden Abrech- Therapieziel. Lungenkarzinom, die PPI und Erlotinib nungsdaten der ÖGK – für die in den Pu- Bei den Tumortherapeutika sind es an erhielten, höher war als unter Erlotinib blikationen angeführten TKI sowie Cape- erster Stelle Vertreter aus der Gruppe alleine. Es lag jedoch kein erhöhtes Ri- citabin – im Zeitraum von Jänner bis Juni der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), die siko für die Komedikation von PPI mit 2021 abgefragt. Wobei hier anzumerken eine pH-Wert-abhängige Resorption aufweisen. Eine vorbestehende Medikation mit PPI ist bei älteren Patientinnen und Patien- ten aufgrund von Komorbiditäten nicht selten und die Möglichkeit PPI auch rezeptfrei zu erwerben, ist nicht außer Acht zu lassen. In einer kürzlich veröffentlichten Pub- likation [1] wurde in vier französischen Zentren die Häufigkeit der Komedikation mit einem PPI bei insgesamt 872 onko- logischen Patientinnen und Patienten erhoben. Diese lag bei 26,3 %. Die höhe- re Frequenz von PPI in einem der onko- logischen Zentren – mit 47,3 % – wurde damit begründet, dass dort vor allem Adenokarzinome des Pankreas behan- delt werden. Schon 2019 wurden epidemiologische Daten zur gleichzeitigen Gabe von TKI und PPI veröffentlicht [2]. Diese retro- spektive Studie inkludierte 12.538 Pati- entinnen und Patienten zwischen 2007 und 2012 (≥ 66 Jahre), die mindestens einmal für sieben Tage eine TKI-Thera- pie (Dasatinib, Erlotinib, Imatinib, Lapa- tinib, Nilotinib, Sorafenib oder Sunitinib)
12 04_2021 ist, dass nicht bei allen angeführten TKI ÖGK-Abrechnungsdaten, Jänner bis Juni 2021 eine Wechselwirkung mit PPI vorliegt. Substanz Versicherte davon davon Anteil Die Frage, wie oft in Österreich eine Be- (Handelsname) Rezept- Komedikation in % gleittherapie mit einem PPI durchge- gebühren- mit einem befreite PPI führt wird, kann nur eingeschränkt be- Capecitabin antwortet werden, da der Preis der PPI oft unter der Rezeptgebühr liegt und (Xeloda und Generika) 1.766 203 133 66 % diese auch zum Teil frei verkäuflich sind. Dasatinib Um trotzdem ungefähr eine Größenord- (Sprycel und Generika) 220 22 13 59 % nung erheben zu können, wurde nur bei Erlotinib jenen Versicherten, die rezeptgebüh- (Tarceva) 35 10 6 60 % renbefreit sind, der PPI-Anteil erhoben Imatinib (siehe Abb. 1). (Glivec und Generika) 1.019 103 61 59 % Lapatinib (Tyverb) 25 5 4 80 % Nilotinib Fazit (Tasigna) 128 12 9 75 % Sorafenib Die regelmäßige Nachfrage bei Pati- (Nexavar) 64 9 5 56 % entinnen und Patienten sowohl über Sunitinib die aktuelle Einnahme der verordne- (Sutent) 102 21 17 81 % ten als auch über selbst gekaufte Me- Abb. 1: Abrechnungsdaten der ÖGK (Datenbasis: maschinelle Heilmittelabrechnung, Zeit- dikamente kann helfen, unerwünschte raum: Jänner bis Juni 2021) für die in den Publikationen angeführten TKI sowie Capecitabin. Arzneimittelinteraktionen zu verhin- dern. Auch ein Blick in die e-Medikati- on kann dabei unterstützen. Kritisch ist die Komedikation mit ei- nem PPI bei Dasatinib und Erlotinib zu bewerten, da deren Bioverfüg- barkeit bei Suppression der Magen- säure deutlich reduziert wird. Die Indikation sollte hinterfragt und ein Ausschleichen der PPI in Erwägung gezogen werden. Quellen: [1] Raoul J-L, Guérin-Charbonnel C, Edeline J, Simmet V, Gilabert M und Frenel J-S. Preva- lence of Proton Pump Inhibitor use among patients with cancer. JAMA Netw Open 2021;4:e2113739. [2] Sharma M, Holmes HM, Mehta HB et al. The concomitant use of tyrosine kinase inhibitors and proton pump inhibitors: Prevalence, pre- dictors, and impact on survival and disconti- nuation of therapy in older adults with cancer. Cancer 2019;125:1155–62.
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