Tiere als Vektoren und Reservoire von Erregern importierter lebensbedrohender Infektions-krankheiten
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Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz Originalien und Übersichtsarbeiten 2002 · 45:139–151 © Springer-Verlag 2002 M. Faulde1 · R. Fock2 · G. Hoffmann3 · M. Pietsch4 1 Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz · 2 Robert Koch-Institut,Berlin 3 Umweltbundesamt,Berlin · 4Abt.Hygiene und Umweltmedizin,Universität Mainz Tiere als Vektoren und Reservoire von Erregern importierter lebensbedrohender Infektions- krankheiten Zusammenfassung Schlüsselwörter Bei den als lebensbedrohend und hochkontagiös definierten Erregern han- Erreger lebensbedrohender und zugleich Virusbedingte hämorrhagische Fieber · delt es sich um Erreger von viralen hä- hochkontagiöser viraler und bakterieller In- Zoonosen · Vektorassoziierte morrhagischen Fiebern (VHF),Ausnah- fektionskrankheiten können nicht nur durch Infektionserkrankungen · me: virusbedingte Affenpocken sowie den Menschen selbst, sondern – je nach Er- Vektorenbekämpfung · Öffentlicher bakterielle Lungenpest. Folgende Krank- regerspezies – unter anderem durch infizier- Gesundheitsdienst heiten werden durch diese Erreger ver- te Reservoirwirte und tierische Vektoren ursacht [4, 5]: nach Deutschland eingeschleppt werden. Insbesondere Nagetiere als Reservoire und ◗ Affenpocken, vektorielle Gliedertiere sind besonders durch ◗ Argentinisches Hämorrhagisches Fieber, den See- und den Luftverkehr global zu ver- schleppen.Während das Management und die Kontrolle durch den Menschen impor- D erzeit ist global eine Ausbreitungs- tendenz von alten und neuen Infektions- ◗ Bolivianisches Hämorrhagisches Fieber, tierter lebensbedrohender Infektionskrank- erregern aufgrund multifaktorieller Ur- ◗ Brasilianisches Hämorrhagisches heiten in Deutschland ein funktionsfähiges sachen zu verzeichnen [1, 2]. Der natio- Fieber, Handlungsniveau erreicht hat und derzeit nale Sicherheitsrat der Vereinigten Staa- ◗ Ebola-Fieber, Prüfungen für die Listung geeigneter Mittel ten von Amerika befasst sich aufgrund ◗ Krim-Kongo-Hämorrhagisches und Verfahren zur Flugzeugentwesung statt- einer Direktive des Präsidenten seit 1996 Fieber, finden, werden Inspektionen und Bekämp- verstärkt mit dieser Thematik. Er schätzt ◗ Lassa-Fieber, fungen von Gesundheitsschädlingen, die das gesundheitliche Gefährdungsrisi- ◗ Lungenpest, z.B.über kontainerisierte Güterlieferungen ko zumindest für die nächsten 20 Jah- ◗ Marburg-Krankheit, auf dem Seeweg eingeschleppt werden, ge- re als steigend ein [3]. Auch in Deutsch- ◗ Omsker Hämorrhagisches Fieber, genwärtig nicht durchgeführt.Wegen der land wurden die Einschleppungsge- ◗ Rifttal-Fieber und Seltenheit des Auftretens solcher Krankhei- fährdung sowie das Management und ◗ Venezuelanisches Hämorrhagisches ten sind konkrete Handlungsanweisungen die Kontrolle von lebensbedrohenden Fieber. für Schädlingsbekämpfer, Desinfektoren und hochkontagiösen Infektionskrankheiten medizinisch-entomologisches Fachpersonal umfassend diskutiert [4, 5].Als Folge da- Knobloch [5] bezieht in diese Kategorie notwendig, um wirksam einer Weiterverbrei- von befinden sich gegenwärtig überre- auch folgende Krankheiten mit ein: tung des Erregers, vor allem seiner Etablie- gionale Behandlungs- und Kompetenz- rung, entgegenwirken zu können.Zu ent- zentren in der Planung bzw. im Aufbau. wickeln sind konkrete Überwachungs- und Ihr Ziel ist es, die professionelle und spe- Dr. Michael Faulde Schutzvorkehrungen sowie präzise Verfah- zifische Versorgung von Patienten, die Regierungsdirektor, Zentrales Institut rensbeschreibungen. mit den entsprechenden Erregern infi- des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz, ziert sind, in logistischer, diagnostischer Ltr Laborgruppe Medizinische Zoologie, und klinischer Hinsicht zu gewährlei- Postfach 7340, 56065 Koblenz sten [6]. E-Mail:fauldem@bwb.org Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 139
Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz Originalien und Übersichtsarbeiten 2002 · 45:139–151 © Springer-Verlag 2002 ◗ Dengue Hämorrhagisches Fieber, den, die je nach Vektoreneigenschaft und M. Faulde · R. Fock · G. Hoffmann ◗ Hantavirus Pulmonales Syndrom, -kompetenz die assoziierten Erreger auf M. Pietsch ◗ Hämorrhagisches Fieber mit Mensch und/oder Tier weiter übertra- renalem Syndrom, gen können [9]. Vectors and Animal Reservoirs of ◗ Lungenmilzbrand. Der Gesetzgeber hat bereits 1961 mit Pathogens of Imported Life-Threatening dem Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG) Human Infectious Diseases Wegen ihrer Übertragbarkeit von Mensch (§§ 13 und 41; später 10c), dem dieses zu Mensch erfordern mehrere der ge- Gesetz seit dem 1.1.2001 ablösenden In- Abstract nannten Krankheiten – neben einer In- fektionsschutzgesetz (IfSG) (§§ 17 und tensivtherapie und/oder Intensivpflege 18), mit dem Gesetz zu den Internatio- Pathogens of life-threatening and simulta- – eine besondere Isolierung bzw.Abson- nalen Gesundheitsvorschriften (IGV) neously highly contagious viral and bacterial derung der Erkrankten,Krankheits- bzw. vom 25.7.1969 sowie den aufgrund die- human infectious diseases might be brought Ansteckungsverdächtigen sowie eine in- ser Gesetze erlassenen Verordnungen into Germany from foreign countries not on- tensive Suche, Feststellung und Überwa- der Länder bzw. Durchführungsbestim- ly by infected humans, but also by infected chung der Kontaktpersonen [4]. Die Ge- mungen hinreichende Grundlagen zur arthropod and rodent vectors and/or animal fahr, dass eine derartig infizierte Person Beherrschung jeglicher Vektorsituation hosts and reservoir animals.Especially peri- in Deutschland zur Krankenhausauf- geschaffen. Ergänzt werden diese Rechts- domestic and commensal rodent and arthro- nahme kommt, wird derzeit als gering vorschriften durch entsprechende Rechts- pod vector species have been proven to angesehen [5]. Dennoch belegen die vier setzungen auf dem Feld der Veterinär- spread globally, mainly by unintended trans- im Jahre 2000 aus Deutschland, den Nie- medizin, die den Schutz vor Zoonosen port via ship or aircraft after infestation of derlanden und Großbritannien gemel- bzw. Lebensmittel-assoziierten Infektio- the transport device.While management deten Fälle von Lassa-Fieber die reale nen betreffen. Auch der hohe Sicher- and control of life-threatening disease Gefährdung durch den Import von VHF heitsstandard in der Tierkörperbeseiti- agents brought in by humans recently [7]. Um eine für Deutschland flächen- gung trägt wesentlich zur Abwehr von reached a functional working level, and eval- deckende professionelle Handlungs- Zoonosen bei. uation of effective aircraft disinsection grundlage bei Import von VHF-Patien- Um die Gefährdung durch lebens- methods are currently under investigation ten bereit zu stellen, schlug die Arbeits- bedrohende hochkontagiöse Infektions- aiming at licensing suitable products for vec- gruppe Seuchenschutz den Aufbau über- erkrankungen des Menschen in seiner tor control, no coordinated countermeasures regionaler Behandlungs- und Kompe- epidemiologisch-infektiologischen Ge- were implemented so far to monitor and tenzzentren vor [4, 8]. Diese sollen die samtheit qualitativ und quantitativ ana- control vector species brought in by interna- spezifische mikrobiologische Diagno- lysieren zu können und gleichzeitig die tional travel and commerce e.g.by shipping stik mit dem Sicherheitsstandard S-4 Grundlage für eine effiziente und effek- via containerized crop products.Due to the (Virologie) bzw. S-3 (Bakteriologie) vor- tive Infektkettenunterbrechung von Na- rare occurrence in Germany of these diseases halten. Eine enge Zusammenarbeit ent- turherden und/oder Vektoren mit Ent- associated with a high case fatality rate stan- sprechend ausgestatteter ziviler und mi- wesungsmitteln und -verfahren nach dardized reaction schemes are necessary to litärischer Fachstellen wird dabei als un- § 18 Infektionsschutzgesetz zu gewähr- prevent the further spreading of the most abdingbar angesehen [4, 8]. leisten, ist die exakte Kenntnis aller mög- highly contagious agents.Therefore, disease Während das Management sowie lichen Infektionswege ausgehend z. B. monitoring and preventive medical strate- die Kontrolle importierter lebensbe- von einem Naturreservoir oder einem gies have to be developed and implement- drohender hochkontagiöser Infektions- tierischen Überträger zum Menschen ed, thus integrating the professional exper- krankheiten mit den komplett einge- hin erforderlich [9]. tises of medical entomologists, pest control richteten bzw. sich derzeit im Aufbau be- Ziel dieser Arbeit ist es darzulegen, operators, and disinfectors. findlichen Behandlungs- und Kompe- ob und wie das genannte Erregerspek- tenzzentren in Hamburg, Berlin, Leipzig, trum mit Vektoren und Tierreservoiren Keywords Frankfurt am Main und München im assoziiert ist, welche Einschleppungswe- Hinblick auf die Versorgung VHF-er- ge der Erreger nach Deutschland – au- Viral haemorrhagic fevers · Zoonoses · krankter Patienten ein funktionsfähiges ßer über den infizierten Menschen – zu- Vector-borne diseases · Vector control · Handlungsniveau erreicht hat, ist die sätzlich möglich und zu berücksichtigen Public health Problematik der simultanen Einschlep- sind und welche Anforderungen an die pung VHF-infizierter Vektoren und Re- Schädlingsüberwachung und -bekämp- servoirtiere bisher nicht angesprochen fung im Rahmen der Infektionsketten- worden. Da in erster Linie der VHF-Er- unterbrechung gestellt werden müssen. krankte im Blickfeld des Handelns steht, war die Frage des Erregerursprungs bis- Assoziation pathogener lang sekundär. Gleichwohl können z. B. Erreger mit tierischen Vektoren durch Tourismus, Tiertransporte oder sowie Tierreservoiren Güterverkehr auch mit lebensbedro- henden hochkontagiösen Erregern in- Bei näherer Betrachtung der mit den fizierte Reservoirtiere und Vektoren vorgenannten Infektionskrankheiten as- nach Deutschland eingeschleppt wer- soziierten Erreger wird deutlich, dass es 140 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002
sich hierbei ausnahmslos um Zooan- Pneumonie aus. Sie haben aber aufgrund in der südamerikanischen Pampas throponosen handelt. Krankheiten al- ihrer hohen Letalitätsrate von ≥45% be- großflächig Mais angebaut wurde und so, die entweder direkt vom natürlichen sondere Bedeutung. sich das natürliche Erregerreservoir, die Tierreservoir oder über einen zusätzlich Im natürlichen Nagetierwirt rufen Maus Calomys musculinus, über Befall dazwischen geschalteten Vektor über- diese Viren eine chronische Virämie und/ gelagerter Maisvorräte explosiv vergrö- tragen werden. Für die genaue Kenntnis oder Virurie hervor. Primär wird die In- ßern konnte. Über die neuen kommen- der gesamten Infektionskette ist es sehr fektion über direkten Kontakt mit infi- salen Verhaltenseigenschaften dieser wichtig zu wissen, wie sich die einzelnen zierten Nagetieren, deren Speichel, Urin Maus kam der Mensch vermehrt mit Bestandteile zueinander verhalten, d. h. oder Kot bzw. über infektiösen Exkret- dem Erreger in Kontakt [12]. wie der Erreger mit natürlichen und an- staub übertragen. Hierbei spielt vor al- Hämophage Arthropoden (blutsau- deren suszeptiblen Reservoiren und ggf. lem die Eigenschaft der Mikromiktion, gende Gliedertiere) spielen nach bishe- mit aktiven oder passiven Vektoren ver- d. h. die kontinuierliche Abgabe feinst rigen Erkenntnissen bei der primären gesellschaftet ist, welches die einzelnen verteilten Urins in Abhängigkeit vom Übertragung von „Roboviren“ keine oder Komponenten des Gesamtübertragungs- Grad des Synanthropismus (zusammen nur eine sehr untergeordnete Rolle, ob- mechanismus sind, wie sich der Erreger mit dem Menschen lebend) und Kom- wohl gelegentlich der Virusnachweis in in den entsprechenden Wirten verhält, mensalismus (Kommensale: „Tischge- hämophagen Milben gelang (z. B. Junin- auf welchem Wege der Erreger schließ- nosse“, d.h. Lebewesen in Gemeinschaft virus, Hantaanvirus) [13]. Sekundär sind lich auf den Menschen gelangt und wel- mit einemWirt, von dem es Nahrung be- die genannten Arenaviren insbesondere che nicht an den Vektor oder den Wirt ansprucht, deren Entzug den Wirt nicht auch nosokomial von Mensch zu Mensch gebundenen Faktoren in welchem Aus- direkt schädigt) der Reservoirmäuse ei- übertragbar, was zur Klassifikation in maß die Ausbreitung der Vektoren und ne entscheidende Rolle bei der passiven die entsprechende Sicherheitsstufe bei- der Erreger in vormals nicht endemi- Keimübertragung auf den Menschen getragen hat [14]. Infektionen im Rah- sche Gebiete bzw. Nischen begünstigen. [9]. Je enger das Nagerreservoir mit dem men von Labortätigkeiten sind ebenso Ein Beispiel für letztgenanntes Prinzip direkten Umfeld des Menschen assozi- bekannt. Bei Hantaviren ist eine Über- ist die Nordwärtswanderung der Schild- iert ist, desto eher treten die gefürchte- tragung von Mensch zu Mensch noch zecke Ixodes ricinus (Holzbock) [10]. ten urbanen Transmissionszyklen auf. nicht gesichert und tritt wenn, dann nur Eine Übersicht über die mit den ge- Dies erhöht das epidemische Ausbrei- sehr selten auf (Genospezies Andes) [15]. fährlichen Erregern assoziierten Tierre- tungsrisiko signifikant. Es ist daher ent- Humanpathogene Hantaviren der Geno- servoire und hämophagen (blutsaugen- scheidend, die Bionomie (genaue Kennt- spezies Puumala und Dobrava sind in de) Vektoren, ihr Vorkommen und ihre nis der Lebensweise von Organismen in Deutschland endemisch, und auftreten- Pathogenität, einschließlich der mögli- ihrer Abhängigkeit von der Umwelt) der de Erkrankungsfälle werden nach Im- chen Einschleppungsgefährdung und natürlichen Erregerreservoire und die plementierung des Infektionsschutzge- des Ausbreitungsrisikos von Reservoir Wirtsspezifitäten des Erregers auch in setzes seit Januar 2001 dem Robert Koch- und/oder Vektor in Deutschland ist der seinen Feinheiten exakt zu kennen, um Institut gemeldet. Die mit Ratten asso- Tabelle 1 zu entnehmen. Präventionsmaßnahmen sowie Infekti- ziierte, global verbreitete Genospezies onskettenunterbrechungsmaßnahmen Seoul wurde in Deutschland bislang noch Übertragung viraler Erreger unter Anwendung von sicher tilgend nicht nachgewiesen [11]. Erste Hinweise aus Tierreservoiren wirksamen Schädlingsbekämpfungsmit- sprechen weiterhin dafür, dass Hantavi- teln in kürzester Zeit und mit maximaler ren auch durch hämophage Laufmilben- Interessanterweise sind von den oben Wirksamkeit durchführen zu können. larven der in Ostasien endemischen Gat- genannten zwölf Erregern gefährlicher Aus den primären Nagetierreservoiren tung Leptotrombidium [16] sowie durch viraler hämorrhagischer Fieber (VHF) kann der Erreger unter bestimmten Be- die Tropische Rattenmilbe Ornithonyssus insgesamt sieben Erreger mit Ratten dingungen zudem auf Populationen an- bacoti [17] übertragen werden können. und Mäusen als Primärwirte bzw. Pri- derer, kommensaler bzw. synanthroper märreservoire assoziiert, die den Erre- Schadnager übergehen, z.B. das Juninvi- Übertragung viraler Erreger ger selbst passiv übertragen können. Zu rus auf die Hausmaus, Mus musculus. über infizierte Vektoren diesen Erregern zählen die Erreger der Dies kann zu einer Verlagerung des Trans- bislang bekannten humanpathogenen missionsmodus aus dem sylvatisch/ru- Drei weitere VHF-Erreger (Krim-Kon- amerikanischen VHF (Arenaviren), das ralen (Wald/Land) in den urbanen Be- go-Hämorrhagisches Fiebervirus, Rift- afrikanische Lassavirus (Arenavirus) reich und damit zu einer epidemischen talfieber-Virus und Omsker Hämorrha- sowie die hämorrhagisches Fieber her- Ausbreitung führen [11].Veränderungen gisches Fiebervirus), die verschiedenen vorrufenden Altwelthantaviren (Geno- in der Umwelt sowie neue landwirt- Virusgattungen angehören, treten auf- spezies Hantaan, Dobrava, Seoul) (Bun- schaftliche Methoden können einen gro- grund ihrer Wirtseigenschaften auch yaviridae). Die das Hantavirus Pulmo- ßen Einfluss auf die Inzidenz dieser „Ro- oder überwiegend in Klein- und Schad- nale Syndrom hervorrufenden Neuwelt- boviren“ (Rodent-borne Viruses) haben. nagern auf. Sie werden in der Regel je- hantaviren der Genospezies Sin Nom- So werden jährlich zwischen mehreren doch nicht durch diese selbst, sondern bre, New York, Black Creek Canal, Bayou hundert bis zu 3500 Fälle von Argentini- durch blutsaugende Gliedertiere auf den und Andes zeichnen sich nicht durch schem Hämorrhagischen Fieber diag- Menschen übertragen. In diesem Fall Krankheitsverläufe mit Hämorrhagien, nostiziert. Das diese Erkrankung verur- kann durch Kleinnager lediglich die Re- sondern durch eine schwere atypische sachende Juninvirus war unbekannt, bis servoir-, nicht aber die Vektorfunktion Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 141
Originalien und Übersichtsarbeiten Tabelle 1 Reservoirtiere und tierische Vektoren von lebensbedrohenden hochkontagiösen Infektionserregern Erreger Erkrankung Vorkommen Letalitätsrate Vermutete bzw. belegte Inzidenz/Jahr Affenpocken-Virus Humane Affenpocken West- und Zentralafrika, 10–15%
Reservoirtiere/passive Hämophage Vektoren Verschleppungsgefahr Ausbreitungsrisiko Vektoren des infizierten des Reservoirtiers/Vektors Reservoirtiers/Vektors in Deutschland Eichhörnchen der Gattungen Keine bekannt Ja Keines Funisciurus und Heliosciurus Verschiedene Mäusespezies, Keine bekannt Ja Unbekannt insbesondere Akodon azarae; Calomys musculinus; Bolomys obscurus Mäuse,insbesondere Keine bekannt Ja Unbekannt Calomys callosus Mäuse der Gattung Calomys Keine bekannt Ja Unbekannt Mensch,Affen Hauptvektoren: Aedes aegypti; Ae.albopictus Ja Ja Nebenvektoren: Ae.vigilax; Ae.africanus; Aedes albopictus wandert derzeit als kälte- Ae.luteocephalus; Ae.furcifer-taylori-Komplex; resistenter Stamm aktiv von Italien und Frankreich Ae.niveus; Ae.scutellaris; Ae.hensilli; aus nach Mitteleuropa ein; hat als nördl.Grenze Culex annulirostris; C.bitaeniorhynchus den Gardasee und die Bretagne erreicht Primäres Reservoir unbekannt Keine bekannt Unbekannt Unbekannt Sekundär Makaken (Maccaca fasciularis) a) Peromyscus maniculatus Keine bekannt Ja Unbekannt und theoretisch möglich (Weißfußmaus) b) Oligoryzomys longicaudatus; Calomys laucha u.v.a. a) Apodemus agrarius Hämophage Laufmilbenlarven der Ja Ja (Brandmaus) Gattung Leptotrombidium, Alle genannten Bislang bekannte hämophage Vektoren b) A.flavicollis (Gelbhalsmaus) wie L.subpalpale; L.scutellare Reservoire; zumindest nicht endemisch c) Rattus rattus (Hausratte); (beide Ostasien),Tropische Rattenmilbe Dobrava-Virus endemisch R.norwegicus (Wanderratte) Ornithonyssus bacoti Nagetiere,Insektivoren,Schafe, Hauptsächlich Schildzecken wie Ja Ja Rinder,Ziegen,Schildzecken z.B.Hyalomma marginatum-Komplex; Einige potenzielle Vektorspezies sind bereits aber auch H.truncatum; H.asiaticum; endemisch wie Ixodes ricinus,Rhipicephalus H.anatolicum; Rhipicephalus sanguineus; sanguineus,Dermacentor marginatus u.a. R.turanicus; R.pumilo; Dermacentor marginatus;Ixodes ricinus; Lederzecken Argas persicus; Ornithodoros lahorensis; Stechgnitzen der Gattung Culicoides Primär Praomys natalensis Keine bekannt Ja unbekannt (Erdratte) Sekundär weitere Nagetierarten Verschiedenste Säugetiere Passive Übertragung in erster Linie durch Ja Ja alle regurgitierenden Stechfliegen wie Teilweise endemisch Wadenstecher (Stomoxys spp.); Bremsen (Tabanidae);Tsetse-Fliegen (Glossinae), aber auch durch weitere hämophage Vektoren möglich Wildnager und Ca.120 Floharten,besonders die Rattenfloh- Ja Ja andere Kleinsäuger spezies Xenopsylla cheopis; X.astia; Urbane Reservoire X.brasiliensis; Pulex irritans (Menschenfloh); und Vektoren z.T.endemisch Ctenocephalides felis (Katzenfloh); C.canis (Hundefloh) Primäres Reservoir unbekannt Keine bekannt Nur durch Tiertransport Nein Sekundär Meerkatzen (Cercopithecus aethiops) Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 143
Originalien und Übersichtsarbeiten Fortsetzung Tabelle 1 Reservoirtiere und tierische Vektoren von lebensbedrohenden hochkontagiösen Infektionserregern Erreger Erkrankung Vorkommen Letalitätsrate Vermutete bzw. belegte Inzidenz/Jahr Omsker Hämorrhagisches Omsker Hämorrhagisches Fieber Westsibirien 0,5–3% Unklar Fieber-Virus Vermutlich
Reservoirtiere/passive Hämophage Vektoren Verschleppungsgefahr Ausbreitungsrisiko Vektoren des infizierten des Reservoirtiers/Vektors Reservoirtiers/Vektors in Deutschland Kleinsäuger,insbesondere Schildzecken,insbesondere Ja Ja Kleinnager,Ostschermaus Dermacentor marginatus,D.reticulatus Vektorkompetente Dermacentor-Zecken (Arvicola terrestris) und und D.apronophorus endemisch Bisamratte (Ondrata zibethicus), Schildzecken Verschiedenste Säugetiere >23 Stechmückenarten verschiedener Ja Ja Gattungen wie Culex spp.(besonders Vektoren teilweise endemisch Culex pipiens-Komplex); Aedes spp.; (Culex pipiens-Komplex) bzw.saisonal Anopheles spp.; Stechgnitzen der Gattung endemisierbar Culicoides,u.a. Mäuse,insbesondere Keine bekannt Ja Unbekannt Sigmodon alstoni; Zygodontomys brevicauda eingeschleppt worden [27]. Die dortigen misch. Die Schildzecke Dermacetor reti- in die USA geführt haben, sind beim vektorkompetenten Stechmückenspezi- culatus wurde anscheinend im 20. Jahr- Marburg-Virus Meerkatzen (Cercopith- es haben daraufhin die Infektionskette hundert nach Deutschland eingeschleppt ecus aethiops) und beim Ebola-Virus über die infizierten Tierreservoire auf und breitet sich seit den 70er-Jahren in Makaken (Macacca fascicularis) [13, 32, den Menschen schließen können. Süddeutschland rasch aus, wobei sich 33]. Das Ebola-Restonvirus, das eine für bereits fokal ein stabiler, neu endemisier- Makaken tödliche hämorrhagische Er- Omsker Hämorrhagisches Fiebervirus ter Infektionszyklus der Hundebabesiose krankung hervorruft, führte beim Men- in den Räumen Kehl/Offenburg/Lahr/ schen nach allen bisher untersuchten Das zu den Flaviviren gehörende Omsker Emmendingen/Freiburg i.Br. etabliert Fällen zu einer asymptomatisch verlau- Hämorrhagische Fiebervirus (OHFV) hat [30, 31]. Einer künftigen Etablierung fenden Infektion mit Virämie und Anti- kommt hauptsächlich in den Steppenge- des OHFV in Deutschland steht nach Er- körperbildung. Es konnte bisher nur mit bieten Westsibiriens vor und ist sehr eng regereinschleppung hinsichtlich Reser- einer Affenexportfirma auf den Philip- mit dem Erreger der Kyasanur Wald- voir- und Vektorvorkommen nichts im pinen in Zusammenhang gebracht wer- krankheit, dem Kyasanur Forest Disease Wege. den, wobei ungeklärt ist, ob das Ebola- Virus, verwandt. Als Reservoire für das Restonvirus auf den Philippinen ende- OHFV sind hauptsächlich Ostschermäu- Ungeklärte Übertragungsmodi misch ist, oder vorher aus Afrika einge- se, Bisamratten, aber auch Mäuse, Rat- von Filoviren schleppt wurde [32]. Filoviren werden ten und Spitzmäuse sowie Schildzecken nosokomial, von Mensch zu Mensch, bekannt. Letztere tragen durch transova- Marburg- und Ebola-Viren neonatal oder durch Kontakt mit infi- rielle Übertragung des Erregers zur Er- zierten Affen übertragen. Da bei einer haltung des natürlichen Zyklus bei.Vor- Die hochpathogenen, zu den Filoviren Reihe von Fällen der Übertragungsmo- nehmlich wird das Virus vektoriell durch gehörenden Marburg- und Ebola-Viren dus ungeklärt ist, wird zudem eine aero- die Schafzecken Dermacentor margina- scheinen seit ihrer Erstisolation 1967 re- gene Transmission durch Tröpfchenin- tus und D. reticulatus übertragen. Nach spektive 1976 häufiger als zunächst er- fektion diskutiert, die bislang lediglich neueren Erkenntnissen ist das OHFV wartet aufzutreten [32]. Das Marburg- beim Ebola-Restonvirus unter Affen be- aber auch durch direkte Transmission sowie das Ebola Hämorrhagische Fieber legt ist [32]. von der Bisamratte auf den Menschen zeichnen sich durch eine hohe Letalitäts- (Bisamrattenjäger) sowie über kontami- rate zwischen 22 bis 88% aus [32]. Das Affenpockenviren niertes Wasser und durch Laborinfek- Naturreservoir beider originär in Zen- tionen übertragbar [13, 28, 29]. Neben tralafrika endemischen Virusspezies ist Nach Eradikation des Pockenvirus kon- der im Pflanzenschutz in unseren Gebie- trotz aller bisherigen Anstrengungen im- zentriert sich die Aufmerksamkeit auf ten häufig schädlichen Ostschermaus mer noch unbekannt.Man nimmt jedoch das mit dem Variolavirus (Poxvirus) ver- (Arvicola terrestris) sind nach Ansied- an, dass es sich bei beiden Infektions- wandte Affenpockenvirus (Orthopoxvi- lung der Bisamratte (Ondatra zibeticus) krankheiten um Zoonosen handelt. Se- rus). Klinischer Verlauf sowie Letalität im Jahre 1905 bei Prag und nahezu lan- kundäre Reservoire,die letztendlich auch einer Affenpockeninfektion sind nahe- desweiter Ausbreitung in Deutschland zu einer Einschleppung des Marburg- zu mit denen des Humanpockenvirus sowohl beide Hauptreservoire als auch bzw. des Ebola-Virus nach Deutschland identisch [13]. Zwischen 1970 und 1986 die beiden Hauptzeckenvektoren ende- und Jugoslawien bzw. nach Italien und sind über 400 Fälle humaner Affenpocken Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 145
Originalien und Übersichtsarbeiten aus Zentralafrika, hauptsächlich Zaire, Wirt annimmt, desto eher kann sie am gungsform differenzieren. Die industri- dokumentiert worden. Die Erkrankung urbanen Transmissionsmodus der Pest elle Form manifestiert sich beim Men- tritt einzeln oder in kleinen Gruppen teilhaben. Dies trifft insbesondere auf schen zumeist in der kutanen, gelegent- von wenigen Personen auf. Neuere Da- den südlichen Rattenfloh, Xenopsylla lich jedoch auch in der pulmonalen Ma- ten scheinen dafür zu sprechen, dass cheopis, aber auch auf den Menschen- nifestation durch Kontakt mit zu verar- sich das Affenpockenvirus auf den Men- floh, Pulex irritans, zu. Auch heute noch beitenden infektiösen Tierbestandteilen schen adaptieren könnte, da die Sekun- ist der Pesterreger in 38 Ländern Ame- wie Haare und Felle sowie durch Kon- därinfektionsrate von Mensch zu Mensch rikas, Afrikas und Asiens zumeist in sy- takt mit verseuchtem Erdboden aber auch in jüngster Zeit zugenommen hat [34]. lvatisch-enzootischen Transmissionszy- Schlachttieren bzw. von diesen gewon- War man bisher der Meinung, dass eine klen endemisch und tritt mit einer jähr- nenen Produkte. Letztere kommt bei der Übertragung von Mensch zu Mensch lichen Inzidenz von 200 bis 6000 Fällen industriellen Übertragungsform erheb- nur zu einem geringen Prozentsatz nach auf [36]. Bei auftretenden Lungen- und/ lich häufiger vor, als bei der nicht-indu- Kontakt zu Primärfällen auftritt, zeigte oder Bubonenpestepidemien, wie z. B. striellen, die hauptsächlich über Kontakt der jüngste größere Ausbruch 1996/97 in 1994 in Indien oder 1995 auf Madagas- mit lebenden infizierten Tieren akqui- der Demokratischen Republik Kongo kar, muss die Gefährdung der Verschlep- riert wird.Aufgrund des Transportes in- ein anderes epidemiologisches Trans- pung infizierter Schadnager und/oder halierter Sporen durch Makrophagen in missionsmuster [34, 35]. Von Februar Flöhe über Handel und Verkehr durch das lymphatische System führt Lungen- 1996 bis Februar 1997 wurden insgesamt Überwachungs- und Quarantänisierungs- milzbrand nach Septikämie rasch zum 88 Fälle von Affenpocken aus zwölf Dör- maßnahmen auf ein vertretbares Mini- Tode [40]. Die Bacillus-anthracis-Sporen fern nachgewiesen, wobei die Mehrzahl mum gesenkt werden. Epidemiologisch mit sehr hoher Tenazität (Widerstands- der Erkrankungsfälle sekundär akqui- interessant ist eine Adaptierung von Yer- fähigkeit) lassen sich effizient auch durch riert wurde [35]. Primärreservoir des Af- sinia-pestis-Stämmen aus den USA an passive Vektoren und Vehikel wie konta- fenpockenvirus sind hauptsächlich in Hauskatzen, die nicht mehr grundsätz- minierte Erde und Wasser übertragen Ölpalmenplantagen um die Dörfer le- lich an Pest erkranken, sondern in 62,5% [9,40],wobei eine Weiterverbreitung von bende Eichhörnchen der Gattungen Fu- der Infektionsfälle einen asymptomati- B. anthracis-Sporen und/oder -Bakteri- nisciurus und Heliosciurus [13, 34]. schen bzw. abortiven Verlauf aufweisen. en durch Fliegen vor allem blutsaugende 75% der die Pestinfektion überlebenden Fliegen und Schmeißfliegen (Callipho- Übertragung bakterieller Erreger Hauskatzen waren infektiös. Über infek- ridae) unter bestimmten Voraussetzun- tiöse Katzen mit asymptomatischem gen möglich und experimentell belegt Yersinia pestis Krankheitsverlauf kann das Pestbakte- ist [41]. Eine Übertragung von Mensch rium anschließend durch Biss, Kratzen, zu Mensch ist extrem selten [13, 40]. Seitens der beiden oben genannten In- etc. direkt auf den Menschen übertragen fektionserkrankungen bakteriellen Ur- werden, der naturgemäß einen sehr en- Einschleppungsmöglichkeiten sprungs (Lungenpest, Milzbrand) ist die gen Kontakt zu Haustieren hält [37]. Da pathogener Erreger Reservoireigenschaft von Klein- und bei diesem Transmissionsmodus über Schadnagern für Yersinia pestis von be- Hauskatzen die spezifische Therapie oft- Mit Stand 2000 waren 1709 humanpa- sonderer Bedeutung. Das Pestbakterium mals zu spät einsetzt, beträgt die Letali- thogene Erreger bekannt, von denen kommt zwar überwiegend im sylvati- tätsrate beim Menschen in den USA 16% 832 (49%) Zoonosen verursachen. Von schen Übertragungsmodus (Übertra- [37, 38] im Gegensatz zu 8,7% im Verlau- den 1709 Erregern wiederum sind 156 gungsmodus im Wald) bei wald- und fe der Bubonenpestepidemie auf Mada- als aktuell wiederauflebend („emerg- steppenbewohnenden, nicht kommen- gaskar 1995 [39]. Dies stellt ein aktuelles ing“) klassifiziert worden. Von die- salen Nagetieren vor, kann aber durch Beispiel dafür dar, dass Evolutions- und sen wiederauflebenden 156 Infektions- Infektion von Populationen synan- Selektionsmechanismen von Infektions- krankheiten sind 114 (73%) Zoonosen throper und kommensaler Schadnager, erregern kontinuierlich weiter laufen [42]. Bezüglich der lebensbedrohenden z. B. Hausratten, direkt in das menschli- und ständig beobachtet und dokumen- hochkontagiösen Erreger von Zooan- che Umfeld gelangen und urbane Pest- tiert werden müssen. Die gefürchtete throponosen wird in der Fachliteratur epidemien hervorrufen. Die möglichen hochkontagiöse Lungenpest tritt natür- im Sinne der „emerging diseases“ ein Transmissionswege der Pest sind extrem lich erst im Verlaufe einer primär akqui- häufigeres Auftreten von Affenpocken, heterogen und komplex, da nicht nur rierten, flohübertragenen Bubonenpest- Argentinischem Hämorrhagischen Fie- Primär- und Sekundärwirt sowie Vek- epidemie durch Kompartimentwechsel ber, Dengue Hämorrhagischem Fieber, tor, sondern auch der Organkomparti- vom Lymphsystem über die bakteriämi- Ebolafieber, Hantavirosen, Lassafieber, mentwechsel im infizierten Wirt von be- sche Streuung in die Lunge des infizier- Marburgfieber, Rifttalfieber und Pest sonderer Bedeutung ist. Neben dem spe- ten Menschen sekundär auf. postuliert. In diesem Zusammenhang zifischen Verhalten der Reservoirnager können drei verschiedene Gruppen von spielt die Bionomie der die Pesterreger Bacillus anthracis Infektionskrankheiten differenziert wer- aktiv übertragenden Flohspezies eine den [43]: weitere besondere Rolle. Je enger die Anthrax ist eine weit verbreitete Zoono- Flohspezies mit dem Lebensraum des se von Nutz- und Wildtieren. Epidemio- ◗ Krankheiten, die erst in den Menschen vergesellschaftet ist, und je logisch lassen sich in eine industrielle letzten vier Jahrzehnten auftauchten eher sie den Menschen als atypischen und eine nicht-industrielle Übertra- („emerging diseases“), 146 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002
◗ Krankheiten, die unter Kontrolle reger, Vektor, Vektor + Erreger, Reser- reservoire vor allem aus der Gruppe der schienen und jetzt wieder vermehrt voirmedien (Tiere, Lebens- oder Futter- kommensalen und/oder synanthropen auftreten („resurging diseases“) und mittel etc), Reservoirmedien + Erreger Ratten und Mäuse. Diese Einschleppung ◗ Krankheiten, die sich in Gebiete oder Erreger + Vektor + Reservoirmedi- kann durchaus gemeinsam mit dem in- ausbreiten, in denen sie bislang en selbstständig aus. Im Gegensatz dazu fizierten Menschen oder Nutztier erfol- nicht endemisch waren („introduced findet bei der passiven Ausbreitung ei- gen. Besonders geeignet für die Ein- diseases“). ne Verschleppung der genannten Be- schleppung von Vektoren und Reservoi- standteile der Infektionskette durch ver- ren von Tieren aus der Klasse der Ar- Die Gründe für die gegenwärtige, global schiedenste Transportmedien statt. Eine thropoden und der Ordnung der Nage- zu verzeichnende Ausbreitungstendenz Übersicht über die wichtigsten Fakto- tiere sind der Luft- sowie der Seever- von Infektionskrankheiten sind multi- ren, die zur aktiven bzw. passiven Aus- kehr. Die „Markererkrankung“ für eine faktoriell und insbesondere abhängig breitung führen gibt Abb. 1. tatsächlich stattgefundene Einfuhr infi- von den folgenden Faktoren [1, 3, 9]: Während die aktiven Ausbreitungs- zierter hämophager Vektoren ist die mechanismen nur durch Monitoring- Flughafen- und Seehafenmalaria [44]. ◗ Veränderungen in den Sozial- maßnahmen überwachbar und nur in Zuerst im Jahre 1977 beschrieben, sind strukturen, Sonderfällen steuerbar sind, kann bei al- bis Ende 1997 insgesamt 63 sichere Fälle ◗ globales Bevölkerungswachstum, len passiven Ausbreitungsmechanismen, der verschiedenen Formen der Flugha- ◗ steigendes Migrationsverhalten, die anthropogenen Ursprungs sind, di- fenmalaria allein aus Europa publiziert ◗ Veränderungen in den Gesundheits- rekt durch verschiedene ein- und ver- worden [44]. Wohl aufgrund der globa- systemen, schleppungsverhindernde sowie -mini- len Häufigkeit der Malaria mit einer ◗ exzessiver Gebrauch von Antibiotika, mierende Maßnahmen eingegriffen wer- jährlichen Inzidenz von 300 bis 500 Mil- ◗ sinkende Durchimpfungsraten den. Beim Management im Fall der Ein- lionen Fällen und den einfachen, über- und Einstellen von Impfstoff- schleppung gefährlicher Erreger durch all verfügbaren diagnostischen Nach- produktionen, infizierte menschliche Reservoire sind weismöglichkeiten fällt ein Import die- ◗ steigende Anzahl immunsupprimier- die notwendigen Risikoanalysen bereits ser Krankheit mit großer Wahrschein- ter Patienten, durchgeführt worden und der Aufbau lichkeit auf. ◗ Globalisierung von Nahrungs- von Kompetenz- und Behandlungsstruk- mittelproduktion, -verarbeitung und turen ist weit fortgeschritten. Ähnliches Einschleppungen über den -verteilung, gilt für Nutztierreservoire bzw. mit ge- Flugverkehr ◗ Veränderungen im menschlichen fährlichen Erregern infizierte Nutztiere. Verhalten wie verstärkte Reisetätig- Hier werden tierseuchenrechtliche Be- Mit welcher Wahrscheinlichkeit z. B. Fäl- keiten etc., stimmungen wie Quarantänierung und le einer durch exotische Erreger hervor- ◗ Umweltveränderungen, die zu Habi- andere tierseuchenpräventive Maßnah- gerufenen viralen Flughafenenzephali- tat- und Klimaänderungen mit häu- men mittels vorhandener Strukturen tis oder ein autochthon in Deutschland figen Dürre- und Flutkatastrophen (z. B.Veterinär- und Lebensmittelunter- akquiriertes Flughafen-Rifttalfieber oder zur Schaffung von neuen suchungsämter sowie Tiergesundheits- diagnostiziert würde, ist derzeit unklar. Entwicklungsnischen für Vektoren dienste) umgesetzt. Untersuchungen belegen, dass vektor- und Reservoirtiere führen, Anders ist die Situation bei der Ein- kompetente Stechmückenspezies unter ◗ fortschreitender Zerfall staatlicher schleppung infizierter Vektoren oder Tier- anderem für Dengue Hämorrhagisches Gesundheitssysteme bzw. Eingriffe durch fachlich nicht entsprechend qualifizierte Administratoren in Maßnahmenplanungen und -abläufe, ◗ Mutations-, Selektions- und Adaptie- rungsprozesse innerhalb der Mikro- organismen,Vektoren und Reservoire, ◗ zunehmende Urbanisierungstenden- zen von Vektoren und Reservoiren sowie ◗ Wegfall von spezifischen Ausbildun- gen und Referenzstellen z. B. zur gesundheitlich orientierten Schäd- lingsbekämpfung sowie zur Ektopa- rasitologie und Vektorwissenschaft. Hinsichtlich der Ausbreitungsprinzipen vektorassoziierter Infektionserkrankun- gen lassen sich die aktive und die passi- ve Ausbreitung unterscheiden. Bei der aktiven Ausbreitung verbreiten sich Er- Abb.1 Übersicht über die wichtigsten Ausbreitungsmechanismen und -faktoren Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 147
Originalien und Übersichtsarbeiten Fieber, Rifttalfieber, Gelbfieber und Ma- von Aedes atropalpus und der nordame- sind die ca. 2 Mio. Tonnen Getreide, die laria auch aus Endemie- und Epidemie- rikanischen kälteresistenten Variante pro Jahr eingeführt wurden, vermehrt gebieten auf dem Luftweg weltweit ver- von Aedes albopictus in Südeuropa (auf als Schüttgut per Container umgeschla- schleppt werden [45, 46]. Das Verschlep- dem Seeweg über Altreifen mehrfach gen worden. Überwiegend aus Westafri- pungspotenzial von anderen vektor- aus den USA eingeschleppt) und von Ae- ka werden pro Jahr ca. 250.000 t Rohka- kompetenten Gliedertierordnungen wie des albopictus in Nordaustralien (auf kao eingeführt, die bis zum Eintreffen Schild- und Lederzecken, Flöhe, Raub- dem Seeweg aus Papua Neuguinea ein- im Hamburger Hafen zwölf bis 16 Tage wanzen, Myiasiserreger etc. sind bislang geschleppt). auf See waren. Eine vollständige Kon- nur wenig untersucht worden. Der Im- Auch Nagetiere wie Ratten und Mäu- trolle durch die Behörden ist völlig un- port von infizierten Nagetieren über se werden hauptsächlich auf dem Seeweg möglich. Ein Import von hygienerele- Flugzeuge ist nach bisherigen Erkennt- vor allem mit Nahrungsgütern verschleppt. vanten Nagetieren kann zudem auch mit nissen und Erfahrungen jedoch eher sel- Als Reservoir und Vektor der amerikani- anderen Waren wie z.B.Textilien erfolgen ten. Während der Pestepidemie in Indi- schen hämorrhagischen Fieber, des Las- [PD Dr. Schliesske, Universität Hamburg, en 1994 wurde allerdings einer von dort safiebers und der verschiedenen Hanta- Institut für Angewandte Botanik, Abt. kommenden Maschine wegen einer Rat- virosen stellen insbesondere die stark Amtliche Pflanzenbeschau, Hamburg, te an Bord der Weiterflug untersagt. kommensalen und/oder synanthropen persönliche Mitteilung]. Eine Einschlep- Auch der Aspekt der Material- und Flug- Spezies, die aktiv das Umfeld oder die pung z.B.über Textilien und andere Han- sicherheit bei Schadnagerbefall impli- Nahrungsmittelvorräte des Menschen su- delsgüter halten die Nagetierexperten ziert, dass zumindest ein kontinuierli- chen, eine besondere Gefahr für die Ein- der Biologischen Bundesanstalt für Land- ches Monitoring auf vorliegenden Schad- schleppung lebensbedrohender hoch- und Forstwirtschaft insbesondere für nagerbefall im Flugzeug notwendig ist kontagiöser Infektionserreger dar.Da die- Mäuse möglich, da diese bezüglich ihres [47]. Zur Verhütung der Einschleppung se Tiere – und nicht nur die Hausmaus Wasserbedarfes anspruchsloser sind als von Gliedertiervektoren über den Luftweg sowie die Haus- und Wanderratte – be- Ratten. Eine systematische qualitative nach Deutschland werden seitens des vorzugt Nahrungs- und Futtermittel be- und quantitative Untersuchung zum Ein- Umweltbundesamtes seit etwa zwei Jah- fallen, werden sie mit den globalen Han- schleppungsrisiko von hygienerelevan- ren Mittel und Verfahren zur Flugzeug- delslieferungen häufiger verschleppt (vgl. ten Schädlingen über den Seeweg nach desinfektion mit dem Ziel der schnellst- Tabelle 1). Deutschland steht bislang noch aus.Über möglichen Populationstilgung in Labor In einigen Seehäfen befinden sich das Infektionsschutzrecht, den Hafen- und Praxis geprüft [47], so dass in ab- so genannte Einlassstellen, über die die ärztlichen Dienst und die entsprechen- sehbarer Zeit auch hier eine Handlungs- aus Übersee stammenden Handelsgüter den Rechtssetzungen im Veterinärwesen grundlage für die Verhinderung der Ein- nach Deutschland eingeführt werden. allein ist daher eine wirksame Abwehr schleppung mit gefährlichen Erregern Gemäß gültiger Planzenbeschau-Ver- eingeschleppter, potenziell vektorkom- infizierter Vektoren gegeben ist. Bisher ordnung ist für den Bereich Pflanzen- petenter Nage- und Gliedertiere nicht wird die Schädlingsbekämpfung in Flug- schutz dezidiert vorgeschrieben, welche möglich. zeugen nur ungenügend durchgeführt. Waren in den Einlassstellen auf welche Im Rahmen zunehmender globaler Schädlinge untersucht werden müssen. Umweltveränderungen mit rapiden Ur- Einschleppungen Entsprechende Regelungen für den Hy- banisierungstendenzen sind auch Gleich- über den Schiffsverkehr gienebereich liegen derzeit nicht vor. In gewichtsveränderungen im epidemiolo- den Einlassstellen Emden und Wilhelms- gisch-infektiologischen Gefüge zwischen Der Schiffsverkehr war seit jeher ein ef- haven werden z. B. jährlich jeweils über Reservoir, Vektor und Erreger zu analy- fektiver Verschleppungsweg für verschie- 100.000 t Getreide und Futtermittel aus sieren und zu beachten [9]. So war das denste Vektoren und mit ihnen assozi- Übersee eingeführt, die nicht beschau- Argentinische Hämorrhagische Fieber ierten Erregern. Die gefürchteten Gelb- pflichtig nach Pflanzenschutzrecht sind, in der Vergangenheit unbekannt, bis Far- fieberepidemien, die vom 16. bis zum An- und daher auch nicht quarantänisiert mer in der südamerikanischen Pampas fang des 20. Jahrhunderts auf Schiffen oder auf Schädlingsbefall, z. B. auf hygie- im großen Maßstab Mais anbauten. Die- und in klimatisch günstigen Seehäfen nerelevante Nagetiere, untersucht wer- se Biotopveränderung führte zu einer auch in Europa in großem Umfang aus- den. Sollte bei anderen, beschaupflichti- rapiden Populationszunahme von Calo- brachen, sind dafür ein gutes Beispiel gen Handelsgütern aus Übersee neben mys musculinus, der Reservoirmaus für [48]. Heute wird eine neue Ausbreitungs- den eigentlich zu beprüfenden Holz- das ursächliche Agens dieser Infektions- welle von vektorkompetenten Stech- und Pflanzenschädlingen ein Schadna- erkrankung, dem Juninvirus, mit heute mücken beobachtet, die ihren Ursprung gerbefall festgestellt werden, so liegt z. Z. 100 bis 3500 Fällen pro Jahr [33]. Gründe in Altreifenlieferungen hat. Im Verlaufe keine Rechtsgrundlage für deren Be- für diese permanente Massenvermeh- der letzen Dekade beispielsweise kam es kämpfung vor [PD Dr. Lauenstein, Land- rung der Tiere war einerseits der Rück- zu einer Ansiedlung und Ausbreitung sta- wirtschaftskammer Weser-Ems, Olden- gang der natürlichen Feinde, hauptsäch- biler Populationen von Aedes albopic- burg, persönliche Mitteilung].Vergleich- lich Raubvögel, andererseits die Anlage tus, einem potenten urbanen Vektor für bares gilt für die Situation im Hambur- kilometerlanger Maislager, die durch die mehr als 20 humanpathogene Viren und ger Hafen. Ein hoher Teil des dortigen kommensal gewordene Mausspezies im von Ochlerotatus (Aedes) japonicus ja- Umschlags entfällt auf Container, von großen Umfang befallen wird [12]. Durch ponicus in den USA (wahrscheinlich auf denen pro Jahr durchschnittlich 4 Mio. Maislieferungen aus diesen Regionen dem Seeweg aus Asien eingeschleppt), eingeführt werden. In den letzten Jahren können interkontinental mit hoher Wahr- 148 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002
scheinlichkeit mit dem Juninvirus infi- Die jeweils gültige Fassung der geprüf- bekämpfung vor der eigentlichen Nage- zierte Calomys-musculinus-Mäuse auch ten und anerkannten Mittel und Verfah- tierbekämpfung, vermieden wird. nach Deutschland verschleppt werden. ren zur Bekämpfung von tierischen Der Einsatz von Mitteln und Verfah- Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Schädlingen nach § 18 IfSG wird im Bun- ren nach § 18 IfSG stellt also hohe medi- solche Einschleppungen tatsächlich vor- desgesundheitsblatt bekannt gemacht. zinisch-zoologische, infektiologische, kommen, denn anders lassen sich in Die bisher letzte Novellierung dieser Lis- technische und rechtliche Anforderun- Deutschland Funde der tropischen Rat- te, die sowohl die Entwesungsmittelliste gen an die einschlägige Ausbildung und tenmilbe, Ornithonyssus bacoti, und an- als auch die Nagetierbekämpfungsmit- vor allem die Fortbildung der Amtsärz- derer exotischer Ektoparasiten nicht er- telliste enthält, wurde im Jahr 2000 ver- te, Gesundheitsaufseher und der gewerb- klären. Die Anwesenheit dieser Ektopa- öffentlicht [50]. Weiterhin können für lichen und behördlichen Schädlingsbe- rasiten fällt in aller Regel aber erst dann den Menschen relevante Lücken auf kämpfer. Dies trifft insbesondere dann auf, wenn es zu einem merklichen Befall dem Gebiet der Lebensmittelinfektio- zu, wenn eingeschleppte, in Deutschland beim Menschen gekommen ist, wie z. B. nen, Toxikationen und Intoxikationen nicht endemische Reservoire und/oder durch eine ausgeprägte, Lindan-resis- sowie Zooanthroponosen durch das Tä- Vektoren nach dem Tilgungsprinzip zu tente Dermatitis bei sechs Studenten in tigwerden der dafür zuständigen Veteri- bekämpfen sind. Dann ist einerseits oft- Lübeck, die durch Ornithonyssus bacoti närbehörde geschlossen werden. In aller mals wenig über Bionomie und Trans- hervorgerufen wurde [49]. Systematisch Regel setzt sie ebenfalls Mittel und Ver- missionsweg des Vektor-Erreger-Kom- wird dem Problem der Einschleppung fahren der o.g. Liste ein. Diese Liste ist plexes bekannt, was zu Problemen bei hygienerelevanter Schädlinge, die Reser- für die Behörden in vielen Bundeslän- der exakten Definition der Infektions- voire und/oder Überträger von human- dern aufgrund verwaltungsrechtlicher kette und deren Unterbrechung führen pathogenen, auch gefährlichen Infekti- Vorschriften verbindlich. kann, andererseits sind gegen exotische, onserkrankungen darstellen können, in Wegen der angestrebten effektiven in Deutschland nicht vorkommende Ge- Deutschland gegenwärtig nicht nachge- Infektionskettenunterbrechung im Seu- sundheitsschädlinge in der Regel keine gangen. Überdies herrscht im Bereich chenfall erfolgen die Wirksamkeits- und Mittel und Verfahren nach § 18 IfSG ge- des Gesundheits- und Veterinärwesens Anwendungsprüfungen für Mittel und prüft und gelistet, weshalb hierbei meist ein eklatanter Mangel an einschlägig Verfahren nach § 18 IfSG nach dem Til- Indikationslücken vorliegen. Bei Indika- epidemiologisch-entwesungstechnisch gungsprinzip und nicht, wie beispiels- tionslücken sollten die Gesundheitsschäd- aus- bzw. fortgebildetem akademischen weise im Pflanzenschutz, nach dem linge mit Mitteln und Verfahren be- und technischen Personal. Schadschwellenprinzip [9]. Die Prüfung kämpft werden, die in Abstimmung zwi- nach § 18 IfSG setzt daher den schwie- schen den zuständigen Landesbehörden Infektionskettenunter- rigsten Fall der Schädlingsbekämpfung und den Mittelprüfinstitutionen (Um- brechung im Gesundheitsbereich voraus, nämlich weltbundesamt und Bundesinstitut für den Seuchenfall beim Menschen.Für der- gesundheitlichen Verbraucherschutz und Das Gesetz zur Verhütung und Bekämp- artige Infektionsfälle ist das Bekämp- Veterinärmedizin bzw. Bundesinstitut fung von Infektionskrankheiten beim fungsziel die unverzügliche Eliminie- für Arzneimittel und Medizinprodukte) Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) rung der beteiligten tierischen Vektoren einvernehmlich für wirksam sowie in ist durch Artikel 1 des Gesetzes zur Neu- am gleichen Ort zur gleichen Zeit unter Bezug auf die Auswirkungen auf die Ge- ordnung seuchenrechtlicher Vorschrif- Massenbefallsbedingungen.Die dabei auf- sundheit und die Umwelt für vertretbar ten (Seuchenneuordnungsgesetz) vom tretenden Auswirkungen auf die mensch- gehalten werden. 20. Juli 2000 bekannt gemacht worden liche Gesundheit und die der Haustiere Besonders kritisch zu bewerten ist und am 1.1.2001 in Kraft getreten. Gleich- sowie auf die Umwelt müssen im Rah- bei der Einschleppung von gefährlichen zeitig wurde das ehemalige Bundes-Seu- men des Vertretbaren sein. Der einzelne Infektionserregern über gebietsfremde chengesetz außer Kraft gesetzt. Inner- Betroffene oder der ihn betreuende Arzt Gesundheitsschädlinge die Zeit, die von halb des IfSG sind für die Bekämpfung bzw. der seinen Tierbestand betreuende der Befallskontrolle über die Anordnung vektorassoziierter Infektionskrankhei- Tierarzt wäre mit der Durchführung ei- der Bekämpfungsmaßnahmen nach § 18 ten des Menschen, so genannte Zooan- ner solchen behördlichen, hochprofes- IfSG, die Herstellung einvernehmlicher throponosen, die §§ 16, 17 und 18 von be- sionell auszuführenden Anordnung zur Definitionen über wirksame Mittel und sonderem Interesse.Wenn Gesundheits- Entwesung oder zur Nagerbekämpfung Verfahren bei zu befürchtenden Indika- schädlinge festgestellt werden und die mit dem Ziel der Verhinderung der Keim- tionslücken, die Benennung im Seuchen- Gefahr begründet ist, dass durch sie verbreitung oder -übertragung qualita- schutz kompetenter Schädlingsbekämp- Krankheitserreger verbreitet werden, so tiv und oft auch wirtschaftlich i.d.R. völ- fer bis zur Durchführung der eigentli- hat die zuständige Behörde, in aller Re- lig überfordert. Durch das gewählte Ver- chen Bekämpfungsmaßnahme zur In- gel der Amtsarzt, die zu ihrer Bekämp- fahren der Infektionsbekämpfung muss fektionskettenunterbrechung vergeht. fung nach dem Tilgungsprinzip erfor- sichergestellt sein, dass Entwesung, Na- Um diese Zeit kurz zu halten, wird drin- derlichen Maßnahmen anzuordnen. Die getierbekämpfung und Desinfektion sich gend wenigstens eine Referenzstelle für für behördlich angeordnete Entseuchun- nicht gegenseitig blockieren und das die die Risikobewertung und zumindest gen, Entwesungen sowie die Bekämp- Erregerverschleppung aus dem Befalls- stichprobenartige Überwachung von Re- fung von Krankheitserreger übertragen- herd unbedingt durch Vorsichts-, z. B. servoirtieren bzw. Vektoren aus aktiven den Wirbeltieren notwendigen Vorga- Desinfektionsmaßnahmen oder z. B. im Endemie- oder Epidemiegebieten benö- ben sind dem § 18 IfSG zu entnehmen. Falle der urbanen Nagerpest durch Floh- tigt, die an ein Informationsnetz für Ge- Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002 | 149
Originalien und Übersichtsarbeiten sundheitsbehörden und kompetentes Erfahrungen mit der Überschwem- ordneter antiepidemischer Maßnahmen, Bekämpferpersonal angeschlossen sein mungskatastrophe in der Oderregion im das Vorhalten ausreichend infektiolo- muss. Zudem ist das Vorhalten einer Juli und August 1997 zeigen, dass z. B. für gisch aus- und fortgebildeter Schädlings- möglichst standardisierten Handlungs- die großflächige Bekämpfung von z. B. bekämpfer und Desinfektoren sowie das richtlinie für Infektionsbekämpfungs- Stechmücken und deren Larven nach Vorhalten ausreichender Mittelmengen maßnahmen von Nagetierreservoiren § 18 IfSG nicht genügend Mittel für den im Falle von Großereignissen oder Katas- und Überträgern importierter gefährli- Katastrophenfall zur Verfügung stehen. trophen stellen derzeit ein weiteres Pro- cher Infektionserreger u.a.für den schnel- Vorräte von Notfallpräparaten in ausrei- blem dar. len und effizienten Einsatz von Mitteln chend breiter Palette, wie sie von zahl- Mangels entsprechend medizinisch ento- und Verfahren nach oder analog zu § 18 reichen Staaten in einem zentralen, ei- mologisch-parasitologisch und vor allem IfSG unabdingbar. Ziel muss in jedem ner staatlichen Kontrolle unterliegen- tierisch-vektoriell arbeitender Referenz- Fall die Befallstilgung sein, letztendlich dem Lager des Katastrophen- bzw. Zivil- stellen und universitärer Einrichtungen auch, um eine anschließende Etablie- schutzes vorgehalten werden, sind in sind die theoretischen und praktischen Er- rung und Ausbreitung gebietsfremder Deutschland nicht angelegt worden. Die- kenntnisse und Erfahrungen bei der Über- Reservoirtiere und/oder tierischer Vek- ser Problematik der kurzfristigen Be- wachung und Bekämpfung von vektoras- toren wirkungsvoll verhindern zu kön- reitstellung ausreichender Mengen til- soziierten Infektionserkrankungen in nen. Dabei ist darauf zu achten, dass gend wirksamer Vektorenbekämpfungs- Deutschland relativ gering. Gleichzeitig ist Menschen, Nichtzieltiere, Räume, Gerä- mittel für den Seuchenfall kann lediglich das bis 1968 in Forschung und Lehre ver- te und anderes Material sowie Freiland- durch die nach Biozidrecht konzipierte, tretene Fachgebiet der „Medizinischen En- zielflächen nur im Rahmen vertretbarer auf 120 Tage befristete Sonderzulassung tomologie/Zoologie“, das auch die wissen- Auswirkungen durch das Mittel,die Rück- der Biozide durch die zuständige Bun- schaftliche Bearbeitung der „praktischen stände und/oder deren Zersetzungspro- desoberbehörde entgegengewirkt wer- Vektorenbekämpfung“ und der „persönli- dukte belastet werden. den. chen Schutzmaßnahmen gegen Vektoren- Dem Schädlingsbekämpfer/Desin- stiche bzw. -bisse“ umfasst, derzeit durch fektor fällt trotz eines bestehenden guten deutsche Universitäten nicht mehr abge- hygienischen Umfeldes in Deutschland Fazit für die Praxis deckt. Aufgrund der allgegenwärtigen glo- eine wichtige Aufgabe im Seuchenschutz balen Ausbreitungstendenz von alten wie zu, die hohe Anforderungen an Wissen, Ein Einschleppen lebensbedrohender und neuen Infektionserregern ist dies ein un- Schutzvorkehrungen für die Mittelaus- zugleich hochkontagiöser Infektions- haltbarer Zustand. bringer und die Zielraum- und Zielflä- krankheiten ist nicht nur durch den Men- Im Rahmen der Überwachung,Verhinde- chennutzer sowie an die Bekämpfungs- schen selbst, sondern vor allem auch rung, Minimierung und Bekämpfung vek- strategie stellt. Aufgrund ihrer beruflich durch tierische Primärwirte und Vektoren torenübertragener Seuchengeschehen bedingten Exposition gegenüber Nage- möglich. Es ist daher zwingend erforder- durch gefährliche hochkontagiöse Erreger tieren und Vektoren sowie bioziden Mit- lich, die kompletten Infektionsketten so- müssen daher künftig eine kontinuierlich teln gehören sie einer Risikogruppe an, wie das infektiologisch-ökologische Ver- verfügbare Handlungsstruktur und die vor allem, da einige der genannten Infek- halten der Einzelkomponenten, d. h. des dazugehörige Logistik bereitgestellt wer- tionserreger wie z. B. die Hantaviren be- Erregers, der Primär- und ggf. Sekundärre- den. In diese muss die komplette Fach- reits endemisch sind [51]. Am Beispiel servoire und des Vektors genau zu kennen kompetenz, insbesondere von epidemio- der Arenaviren, die hämorrhagische Fie- bzw. wissenschaftlich zu untersuchen. Nur logisch-infektiologisch tätigen Human- ber hervorrufen, wird deutlich, dass kon- diese Kenntnis wird es erlauben, ein konti- medizinern, medizinischen Entomologen, sequente Infektionskettenunterbrechung nuierliches qualitatives wie quantitatives Veterinärmedizinern, Gesundheitsaufse- nur durch Nagetierbekämpfung mit si- Monitoring des Infektionsdruckes sowie hern, Schädlingsbekämpfern und Desin- multan durchgeführten Desinfektions- im Seuchenfall eine entsprechend profes- fektoren, integriert werden. Eine solche maßnahmen bei gleichzeitiger Isolie- sionelle Infektionskettenunterbrechung Struktur verlangt zunächst eine äußerst rung und Therapie von Erkrankten und gemäß Infektionsschutzgesetz durchfüh- enge und kompatible Zusammenarbeit Ansteckungsverdächtigen erfolgen kann. ren zu können. der verschiedenen Bundesoberbehörden In diesem Zusammenhang ist es drin- Während das Management sowie die wie z. B. des RKI, des UBA, des BgVV, aber gend erforderlich, dass die Schadnager- Kontrolle durch den Menschen importier- auch der Bundeswehr sowie der Berufs- bekämpfung in enger Zusammenarbeit ter hochkontagiöser Infektionserkran- verbände der Schädlingsbekämpfer und zwischen professionellen, durch die In- kungen ein funktionsfähiges Handlungs- Desinfektoren. Für die praktische Umset- dustrie- und Handelskammer (IHK) ge- niveau erreicht hat, sind kontinuierliche zung wiederum müssen Bekämpfungs- prüften Schädlingsbekämpfern und ei- Überwachungsmaßnahmen zur Verhin- richtlinien, eine Liste mit ausreichend nem Desinfektor durchgeführt wird.Bes- derung der Einschleppung von infizier- wirksamen Mitteln und Verfahren nach ser wäre noch die Doppelausbildung der ten Naturreservoiren oder Vektoren über § 18 IfSG sowie ausreichende Mengen von im Teilgebiet „Gesundheitsschutz“ arbei- den Luft-, Land- und Seeweg nicht, noch notwendigen Mitteln und Gerät vorgehal- tenden Schädlingsbekämpfer zum „Schäd- nicht, oder nur marginal verfügbar. Die ten werden. lingsbekämpfer/Desinfektor“. zeitkritische, sachgerechte und professio- nelle Anwendung von Nagetierbekämp- fungs- und Entwesungsmitteln und -ver- fahren nach § 18 IfSG im Rahmen ange- 150 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2•2002
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