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Bergbau-Boom mit Nebenwirkungen Rohstoffsicherung für Deutschland und die EU - Probleme in Kolumbien und Peru Tobias Lambert | Berlin, Februar 2012 Herausgeber: Brot für die Welt, FIAN - Food First Informations- und Aktions-Netzwerk, Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V., Kampagne „Bergwerk Peru – Reichtum geht, Armut bleibt“, kolko - Menschenrechte für Kolumbien e.V. © FDCL-Verlag, Berlin, 2012 Gneisenaustraße 2a, D-10961 Berlin, Germany Fon: +49 30 693 40 29 / Fax: +49 30 692 65 90 eMail: info@fdcl.org / Internet: http://www.fdcl.org Autor: Tobias Lambert Layout: Mathias Hohmann Umschlagfotos: Offener Tagebau Tintaya, Cuzco, Peru (David Baggins, flickr.com, CC by-nc-nd 2.0), LKW mit abgebauter Kohle, Kolumbien (Sebastian Rötters/FIAN) Druck: agit-druck, Berlin Gedruckt auf Recycling-Papier (100% Altpapier) DISCLAIMER: Dieses Projekt wird anteilig gefördert durch die Europäische Union. Der Inhalt der Publikation liegt in der alleinigen Verantwortung der Herausgeber und kann in keiner Weise als Sichtweise der Europäischen Union angesehen werden. Die vorliegende Publikation wurde publiziert im Rahmen des EU finanzierten Projektes Just Trade (www.just-trade.org). Das Projekt plädiert für eine stärkere Politikkohärenz zwischen der EU-Entwicklungs- und Handelspolitik mit Blick auf die Förderung von gerechter und nachhaltiger Entwicklung. Projektpartner sind: Ecologistas en Acción (Spanien), FDCL, Glopolis (Tschechische Republik), Protect the Future (Ungarn) und das Transnational Institute (Niederlande). ISBN 978-3-923020-57-7
Bergbau-Boom mit Nebenwirkungen Rohstoffsicherung für Deutschland und die EU - Probleme in Kolumbien und Peru Tobias Lambert
INHALT Editorial 3 1 Einleitung 5 2 Rohstoffkonsum: Europa als überdurchschnittlicher Verbraucher 6 3 Politik für Unternehmen: Die Rohstoff-Strategien der EU und Deutschlands 8 3.1 Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit als oberstes Ziel: Global Europe und Europe 2020 8 3.2 Raw Materials Initiative: Sicherung der Rohstoffe für Europa 9 3.3 Erfolg für die Industrie: Die deutsche Rohstoffstrategie 10 3.4 Auswirkungen auf die Förderländer: Exportsteuern und Investitionen 11 3.5 Zusammenfassung 13 4 Bergbau in Lateinamerika: Boom mit Nebenwirkungen 15 4.1 Freihandel mit Kolumbien und Peru: Anwendung der RMI in Lateinamerika 16 4.2 Kolumbien: Menschenrechtsverletzungen mit und ohne Bergbauboom 16 4.2.1 Kolumbianische Kohle für Deutschland 18 4.2.2 Kanadisches Unternehmen scheitert mit Gold-Tagebau 19 4.3 Peru: Mehr Regulierung durch Regierungswechsel? 20 4.3.1 Kupfer aus Peru: Die Bevölkerung vor Ort profitiert nicht 20 4.3.2 La Oroya: Niemand haftet für Umweltschäden 21 5 Alternativen 23 5.1 New Green Deal: Auch ein grüner Kapitalismus braucht Rohstoffe 24 5.2 Transparenz als erster Schritt: Die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) 24 5.3 Das Dodd-Frank-Gesetz: Verbindliche Vorschriften als Vorbild für die EU? 25 5.4 Alter Extraktivismus, Neuer Extraktivismus, Post-Extraktivismus? Die Debatte um Alternativen in Lateinamerika 26 Literatur 29 Endnoten 33
EDITORIAL Rohstoffpolitik war bis vor wenigen Jahren (OCMAL), ein Zusammenschluss von über 40 noch ein reines Expertenthema. Das hat sich NGOs, die sich dem Bergbau in der Region mittlerweile grundlegend geändert: Die wich- in seiner jetzigen Form widersetzen, zählt im tigsten Industrieländer sorgen sich um „ihre Bergbaubereich 155 größere Konflikte zwischen Rohstoffversorgung“. Angesichts der relativen lokaler Bevölkerung und Unternehmen in La- Verknappung einzelner Bodenschätze, gestie- teinamerika, die 168 verschiedene Projekte und gener Rohstoffpreise und dem zunehmenden 205 Ortschaften betreffen. Es geht sowohl um Konkurrenzkampf mit aufstrebenden Volkswirt- mineralische und energetische wie um biologi- schaften wie China oder Indien messen sie dem sche Rohstoffe. Zugang zu Rohstoffen eine geostrategische Be- Auch in Europa nimmt das Interesse zu: Um deutung zu. Auch die Europäische Union (EU) über die Auswirkungen des Rohstoffabbaus auf und Deutschland haben in den letzten Jahren Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung zu Strategien verabschiedet, um sich den Zugang diskutieren, luden Brot für die Welt, das For- zu knapper werdenden Ressourcen zu niedrigen schungs- und Dokumentationszentrum Chile Preisen sichern. Lateinamerika (FDCL), FIAN Deutschland, die Doch gerade der Rohstoffsektor weist vie- Kampagne „Bergwerk Peru – Reichtum geht, lerorts eine verheerende Menschenrechts- und Armut bleibt“, kolko – Menschenrechte für Ko- Umweltbilanz auf, während die Menschen in lumbien, Misereor und die Heinrich Böll Stif- den Förderregionen selten vom Rohstoffreich- tung am 26. Oktober 2011 zu einer Tagung tum profitieren. Im Gegenteil tragen sie und die nach Berlin. Unter dem Motto „Rohstoffe aus Gesellschaft als Ganzes weitgehend die Um- dem Andenraum für Deutschland. Wer trägt weltrisiken und sozialen Folgen. Nutzen aus die Verantwortung für die Folgen des Bergbaus der Rohstoffförderung ziehen vor allem interna- in Kolumbien und Peru?” nahmen etwa 80 Teil- tionale Unternehmen und mit ihnen zusammen nehmer _ innen aktiv an den Diskussionen teil. arbeitende lokale Akteure. Aufgrund der wachsenden Probleme wird das Die Konflikte in den rohstoffexportierenden Thema Rohstoffe auch zukünftig an Bedeutung Ländern nehmen zu. Die kritische Zivilgesell- zunehmen. Dabei gibt es eine Fülle von Teil- schaft beschäftigt sich mittlerweile intensiv mit aspekten. Bei der Ausbeutung von Rohstoffen dem Thema. In Lateinamerika arbeiten zahl- werden Menschenrechte verletzt und die Um- reiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) welt im großen Maße geschädigt. Auch Sicher- zum Thema Rohstoffe und den Auswirkungen heits- und wirtschaftspolitische Aspekte sind auf Menschen und Umwelt, in einigen Ländern relevant, denn der Rohstoffabbau wirkt sich auf gibt es nationale Netzwerke. Manche dieser die entwicklungspolitischen Möglichkeiten der NGOs werden seit Jahren von der internationa- Länder extrem aus. len Zivilgesellschaft unterstützt. Das Observa- In der vorliegenden Broschüre geht es um torio de Conflictos Mineros de América Latina Probleme, die aus der Ausbeutung und dem -3-
Handel mit Rohstoffen resultieren, vor allem im Bergbausektor unlängst zum „Entwicklungs- Hinblick auf Menschenrechte sowie den sozi- motor“. Beide Länder setzen auf Entwicklungs- alen und ökologischen Bereich. Aufgrund der modelle, in denen Rohstoffexporte eine tragen- Vielfalt von Ressourcen und Ländern, wurden de Rolle spielen. beispielhaft die Rohstoffe Kupfer, Gold und Das Bestreben des Nordens, für sich den Kohle (Bergbau) gewählt. Bei den Ländern be- günstigen Zugang zu Rohstoffen zu sichern, schränken wir uns auf Kolumbien und Peru, schlägt sich beispielhaft in der Rohstoffstrate- da die Problematik hier besonders hervorsticht gie der Bundesregierung und der „Rohstoffini- und sich aktuell Freihandelsverträge mit der EU tiative“ der Europäischen Union nieder. Dage- im Ratifizierungsprozess befinden. gen finden die Auswirkungen des Bergbaus auf In Kolumbien und Peru sind Menschenrechts- Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung in verletzungen und Umweltzerstörung als Folge den rohstoffexportierenden Ländern wenig bis des expandierenden Bergbausektors an der Tages- gar keine Beachtung. ordnung. Das Fehlen von Mechanismen demo- Die Beispiele aus Peru und Kolumbien zei- kratischer Mitbestimmung und fehlende Teilhabe gen die dringende Notwendigkeit auf, intensiv bei den Abbauprojekten, die grundlegende Ver- über Alternativen zum industriellen Bergbau zu änderungen für den Lebensalltag der Bevölke- diskutieren. Mit der zunehmenden Aufmerk- rung und ihrer wirtschaftlichen Grundlage nach samkeit, die kritische NGOs und soziale Bewe- sich ziehen könnten, sind weitere Probleme. gungen dem Thema widmen, ist ein Anfang ge- Peru ist bereits ein bedeutender Exporteur von macht. Bodenschätzen und Kolumbien erklärte den -4-
KAPITEL 1 EINLEITUNG Die Europäische Union hängt wirtschaftlich vom stoffpolitiken im Bergbau-Sektor dar. Dazu wird Import von Rohstoffen ab. Dabei geht es nicht zunächst ein Blick auf den weltweiten Kon- nur um Energieträger wie Erdöl, Gas oder Kohle, sum und die Verwendung von Rohstoffen ge- sondern auch um nicht-energetische minerali- worfen. Anschließend werden die europäische sche Rohstoffe wie Erze und Metalle. Die Indus- „Rohstoffinitiative” und die „Rohstoffstrate- trie sieht deren freie Verfügbarkeit als gefährdet gie der Bundesregierung” vorgestellt und ihre an. Auf Druck von Unternehmen hin haben so- Auswirkungen auf die Förderländer des globa- wohl die Europäische Union als auch Deutsch- len Südens analysiert. Am Beispiel Kolumbien land in den letzten Jahren Rohstoffstrategien und Peru sollen dann einige der gravierenden entwickelt, in deren Mittelpunkt die Sicherung Probleme dargestellt werden, die der industrielle von Rohstoffen steht. Als Hauptproblem der Bergbau mit sich bringt. Mit beiden Ländern hat Rohstoffversorgung machen die Europäische die EU ein Freihandelsabkommen ausgehandelt, Kommission und die Bundesregierung Wett- das der Rohstoffindustrie weiteren Auftrieb ge- bewerbsverzerrungen wie die Anwendung von ben wird. Zum Schluss sollen einige Lösungs- Exportsteuern und Beschränkung von Investiti- ansätze für eine gerechtere Verteilung der Ein- onen in den Förderländern aus. Die Interessen nahmen aus dem Bergbau und die Verringerung der rohstoffreichen Länder, deren Bevölkerun- der Schäden sowie die Debatte über Alternati- gen in den meisten Fällen bisher nicht von den ven zum derzeitigen Rohstoffmodell vorgestellt Rohstoffen profitieren konnten, werden dabei werden, wie sie in Lateinamerika geführt wird. kaum berücksichtigt. Gerade der Bergbausektor Das Thema Rohstoffe hat unterschiedliche weist häufig eine verheerende Menschenrechts- Dimensionen. Es umfasst menschenrechts-, und Umweltbilanz auf. Die negativen externen umwelt-, sicherheits- entwicklungs- und wirt- Effekte der Rohstoffausbeutung fallen in den schaftspolitische Aspekte. Hier soll es um Pro- Förderländern an, die sozialen Kosten werden bleme gehen, die aus der Ausbeutung von und im Preis eines Rohstoffes hingegen nicht abge- dem Handel mit Rohstoffen resultieren, vor al- bildet. lem im Hinblick auf Menschenrechte sowie den Die vorliegende Publikation stellt am Beispiel sozialen und ökologischen Bereich. Der Schwer- von Kolumbien und Peru die negativen Auswir- punkt liegt auf Rohstoffen aus dem Bergbau, kungen der europäischen und deutschen Roh- wie Kupfer, Gold und Kohle. -5-
KAPITEL 2 ROHSTOFFKONSUM: EUROPA ALS ÜBERDURCHSCHNITTLICHER VERBRAUCHER Die Zeiten billiger und scheinbar im Überfluss Import zahlreicher Rohstoffe ab, die innerhalb vorhandener Rohstoffe sind vorbei. Obwohl der EU nicht oder nur in geringem Maße vor- heute 30 Prozent weniger, erneuerbare und handen sind (European Commission 2008: 3)1. endliche, natürliche Ressourcen nötig sind, um Die Abhängigkeit umfasst sowohl Energie- einen Euro zu erwirtschaften als 30 Jahre zuvor, ressourcen wie Öl und Gas als auch Mineralien, steigt deren Verbrauch nach wie vor an (Friends Metalle oder Holz. Um ein Mobiltelefon herzu- of the Earth 2009: 23). Aufgrund des hohen stellen sind beispielsweise 40 unterschiedliche Verbrauchs in den industrialisierten Ländern so- Rohstoffe notwendig, für einen Computer so- wie des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachs- gar 60 (Bleischwitz / Pfeil 2009: 23). Nach An- tums in Schwellenländern wie Brasilien, Indien gaben des Bundesverbandes der Deutschen In- oder China, werden Preisniveau und Konsum dustrie (BDI) werden 80 Prozent der Rohstoffe, auch zukünftig steigen. die Deutschland importiert, als verarbeitete Pro- Die Europäische Union (EU) produziert und ex- dukte wieder exportiert (BDI 2007: 6). portiert hauptsächlich verarbeitete Güter, wofür Ein durchschnittlicher EU-Bürger verbraucht sie stark von importierten Rohstoffen abhängt. 43 Kilogramm Rohstoffe pro Tag. In Asien sind Etwa 70 Prozent der EU-Importe sind Rohstoffe es 14 Kilogramm und in Afrika zehn. Wenn- oder Zwischenprodukte, während ärmere Län- gleich andere Regionen wie Nordamerika (90 kg der des globalen Südens überwiegend unverar- pro Kopf und Tag) und Ozeanien (100 kg) noch- beitete Rohstoffe exportieren (WTO 2010: 58). mal deutlich mehr verbrauchen, ist die EU ein Wirtschaftssektoren wie die Auto- und Che- überdurchschnittlicher Verbraucher von Roh- mieindustrie oder das Bauwesen hängen vom stoffen. Etwa 23 Prozent der weltweit gehan- ROHSTOFFE Rohstoffe sind die materielle Grundlage der industrialisierten Wirtschaft. Seien es Kabel, Baumaterialien, Elektronikprodukte, Maschinen, Kleidung, Lebensmittel oder Verpackungs- materialien: Es gibt keine Gebrauchsgüter, die im Verlauf ihrer Herstellung nicht auf Rohstoffe angewiesen sind. Diese werden in der Regel in drei Gruppen unterteilt: Energieträger, mine- ralische Rohstoffe (Erze und Metalle) sowie Agrargüter. Zu den Energieträgern zählen vor allem Erdöl, Erdgas und Kohle. Das Spektrum der mineralischen Rohstoffe ist vielfältig und umfasst zum Beispiel Eisen, Nichteisenmetalle wie Aluminium, Blei, Kobalt, Kupfer, Zink und seltene Erden sowie Edelmetalle wie Gold, Silber oder Platin. Agrargüter sind nachwachsende Rohstoffe, wie Getreide, Kaffee oder Baumwolle. Mit 59 Prozent aller Metalle und Erze, 63 Prozent der Kohle und 64 Prozent des Erdöls stammt ein Großteil der Rohstoffe aus ärmeren Ländern (EvB 2011: 26 ff.). -6-
KUPFERERZKONZENTRAT IN DER ANLAGE VON EUROPAS GRÖSSTEM KUPFERPRODUZENTEN (FOTO: AURUBIS AG, WWW.AURUBIS.COM) delten Rohstoffe werden von der EU importiert, erster Linie ressourcenreiche Regionen in Län- die somit die Region mit den höchsten Netto- dern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wenn- Importen von Rohstoffen darstellt (WTO 2010: gleich der Wunsch vieler Länder des Südens, 59 und Friends of the Earth 2009: 21f.). die westlichen und nördlichen Konsummuster Am besten verdienen daran transnationa- zu kopieren, verständlich ist, ist das klassische le Konzerne. Von allen Geschäftsbereichen Wachstumsmodell nicht in der Lage, diese ne- sind die Gewinnmargen in der Bergbauindus- gativen Effekte zu minimieren. Das im globalen trie weltweit am höchsten (De Echave 2011: Norden bestehende Wirtschaftssystem, das auf 64). Rohstoffe sind jedoch endlich und deren einem enorm hohen Rohstoffverbrauch basiert, Ausbeutung zieht bisher in den meisten Fällen ist die grundlegende Ursache des Problems. Der verheerende Folgen nach sich. Negative exter- Lösungsansatz der EU und Deutschlands be- ne Effekte wie Menschenrechtsverletzungen, steht bisher jedoch darin, die Anstrengungen die Verseuchung von Luft, Wasser und Böden zur Sicherung von Rohstoffen für die eigene In- sowie schlechte Arbeitsbedingungen treffen in dustrie zu erhöhen. -7-
KAPITEL 3 POLITIK FÜR UNTERNEHMEN: DIE ROHSTOFF-STRATEGIEN DER EU UND DEUTSCHLANDS Rohstoffpolitik galt lange Zeit als Nischenthe- Im Jahr 2010 veröffentlichte die Kommission ma. In den vergangenen Jahren hat die EU ihre „Trade, Growth and World Affairs” als Teil der Anstrengungen, eine kohärente Rohstoffstrate- Europe-2020-Strategie, der „Wachstumsstra- gie zu entwickeln, jedoch deutlich gesteigert. tegie für das kommende Jahrzehnt”2. „Trade, Da die Verfügbarkeit über Rohstoffe als unab- Growth and World Affairs” hält an den bereits dingbar für die Wettbewerbsfähigkeit Europas zuvor formulierten Zielen der Liberalisierung von angesehen wird und die Industrie auf mehr Handel, Dienstleistungen, Investitionen und öf- europäisches Engagement gedrängt hatte, ist fentlichem Auftragswesen fest. Da der Zugang das Thema mittlerweile in den Fokus der Poli- zu Rohstoffen von strategischer Bedeutung für tik gerückt. Im Jahr 2008 stellte die Europäische die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sei, Kommission mit der „Rohstoffinitiative” (Raw werde sich die EU „weitestgehend auf die der- Materials Initiative, RMI) erstmals eine gemein- zeitigen Handelsregeln stützen, die Schaffung same europäische Rohstoffpolitik vor, die den eines Überwachungsinstruments für Ausfuhr- Zugang europäischer Unternehmen zu wichti- beschränkungen weiterverfolgen” und sich „in gen Rohstoffen sicherstellen soll. Anfang 2011 den laufenden bilateralen Verhandlungen auf wurde die Strategie aktualisiert. Regeln verständigen sowie die Möglichkeiten multi- und plurilateraler Vorschriften weiter sondieren” (European Commission 2010b: 8). 3.1 Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Ziel sei es, „die völlige Übereinstimmung mit als oberstes Ziel: Global Europe und den Entwicklungszielen der Armutsbeseitigung Europe 2020 und der verantwortungsvollen Staatsführung zu gewährleisten”(ebd.). Den Rahmen für die derzeitige Rohstoffpolitik „Trade, Growth and World Affairs” bekräftigt bilden die breiter angelegten Strategien „Global die Prinzipien, welche die EU in Verhandlungen Europe” von 2006 und deren Nachfolgerin „Eu- über Freihandel schon längst anwendet. Neu rope 2020” von 2010. Das Hauptziel von „Global ist lediglich das Bekenntnis, auch mit einzelnen Europe - Competing the World” lag in der Erhö- Ländern verhandeln zu wollen, sofern es nicht hung der Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh- möglich ist mit Länderblöcken zu verhandeln men aus der EU. Im Rahmen von Freihandels- (Paasch 2011). Tatsächlich findet jedoch auch verträgen und den WTO-Verhandlungen sollten dies längst statt: Die EU führte oder führt be- Märkte für die EU geöffnet und die Bereiche reits Verhandlungen mit Kolumbien und Peru Dienstleistungen, Investitionen und öffentliche (statt mit der Andengemeinschaft), Singapur Ausschreibungen liberalisiert werden. Die Kom- und Malaysia (statt mit dem Verband Südost- mission erwähnt in Global Europe auch die Be- asiatischer Nationen, ASEAN) und einzelnen deutung von Rohstoff-Importen für europäische afrikanischen Ländern. Unternehmen (European Commission 2006: 7). -8-
3.2 Raw Materials Initiative: Sicherung Im Juni 2010 veröffentlichte die Kommission der Rohstoffe für Europa einen Bericht, der 41 Mineralien und Metalle analysiert. Als Ergebnis werden bei 14 für die Im Rahmen von Global Europe veröffentlichte EU wichtige Rohstoffe Engpässe bei der Ver- die Kommission die erste gemeinsame europä- fügbarkeit befürchtet3. Die Sorge gilt dabei aus- ische Rohstoff-Strategie im November 2008. schließlich den Auswirkungen der Engpässe für Die Raw Materials Initiative (RMI) basiert auf die europäische Wirtschaft, nicht den bei der drei Säulen: Sicherung des Zugangs zu Roh- Förderung verursachten Umweltschäden oder stoffen auf den Weltmärkten ohne Wettbe- Menschenrechtsverletzungen (European Com- werbsverzerrungen, Förderung der nachhaltigen mission 2010a). Versorgung durch Rohstoffe aus europäischen Die im Februar 2011 veröffentlichte Mittei- Quellen und Reduzierung des europäischen lung der Kommission „Tackling the Challenges Verbrauchs primärer Rohstoffe (European Com- in Commodity Markets and on Raw Materi- mission 2008: 5f.). Laut RMI sei für die Wettbe- als” aktualisiert die RMI im Rahmen von „Euro- werbsfähigkeit der EU ein diskriminierungsfrei- pe 2020”. Die neue Mitteilung stellt das Thema er Zugang zu Rohstoffen, also zu den gleichen Rohstoffe in einen breiteren Rahmen, bekräf- Bedingungen wie wirtschaftliche Konkurrenten, tigt aber die bereits in der RMI ausformulier- unabdingbar. Strategisch wichtige Rohstoffe ten Prinzipien, wenn auch mit einigen kleinen seien jedoch „zunehmend von Marktverwer- Veränderungen: Zunächst wird eine Verbindung fungen betroffen” (ebd.: 2.). Als Hauptproblem zwischen der hohen Preisvolatilität auf den Roh- macht die EU also Wettbewerbsverzerrungen stoffmärkten und der Spekulation betont sowie aus. Die erste Säule ist nicht nur in der RMI mehr Transparenz und Regulierung der Märkte die mit Abstand am weitesten ausgearbeitete. gefordert (European Commission 2011: 6). Es Auch in anderen Dokumenten wie „Global Eu- wird hervorgehoben, die EU wolle ärmeren Län- rope”, „Trade, Growth and World Affairs” und dern helfen „umfassende Reformprogramme zu dem „Raw Materials Policy 2009 Annual Re- erarbeiten, in denen Ziele wie die Verbesserung port” werden Wettbewerbsverzerrungen als der Besteuerungssysteme für den Bergbau und Problem genannt, während etwa die Reduzie- die Erhöhung der Transparenz von Geldquellen rung des eigenen Konsums nur als Randthema und Verträgen oder der Fähigkeit, Einnahmen behandelt wird. Die Kommission schlägt in der zur Unterstützung von Entwicklungszielen zu RMI eine „Rohstoffdiplomatie” vor, um den Zu- verwenden, eindeutig benannt werden” (ebd.: gang zu natürlichen Ressourcen zu sichern. Im 15). Ebenfalls neu ist, dass die Kommission Rahmen von WTO-Verhandlungen und Frei- als Ziel ausgibt, Entwicklungspolitik solle sich handelsverträgen soll dies eine Priorität darstel- „auch auf die Vernetzung der Abbaubetriebe len und Wettbewerbsverzerrungen wie Export- mit der örtlichen Wirtschaft konzentrieren, und steuern sollen beseitigt werden (ebd.: 7). zwar durch Verbesserung der Wertschöpfungs- -9-
kette und eine größtmögliche Diversifizierung”. sozialer Fortschritt ohne gute Regierungsfüh- Freihandelsabkommen sollten „zur Erreichung rung, ohne Achtung der Menschenrechte und dieses Ziels ausreichend flexibel gestaltet wer- ohne Beachtung ökologischer und sozialer Stan- den” (ebd.: 16). dards nicht möglich ist” (BMWi 2010: 8). Kon- Dennoch geht es jenseits der leicht abgemil- krete Vorschläge, wie dies bei der Rohstoffför- derten Rhetorik auch in der Aktualisierung der derung jenseits freiwilliger Leitlinien garantiert RMI letztlich um den vorteilhaftesten Zugang werden könnte und welchen Anteil Deutschland zu Rohstoffen für die EU. Wettbewerbsverzer- daran leisten will, macht sie allerdings nicht. rungen werden als „wachsende Sorge” bezeich- Themen wie Transparenz oder Recycling kom- net (ebd.: 6). Es wird betont, dass die EU „im men in der Strategie zwar vor, werden jedoch Rahmen aller relevanten Verhandlungen, ob bi- weiter hinten vergleichsweise kurz abgehandelt. lateral oder multilateral [...] Handelsregeln für Die Frage der Transparenz wird weitgehend in Ausfuhrbeschränkungen vorgeschlagen” hat die Zuständigkeit des Bundesministeriums für (ebd.: 12). Die zweite und dritte Säule bekom- Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- men in Aktualisierung der RMI etwas mehr lung (BMZ) gelegt (ebd.: 23). Recycling, Sub- Aufmerksamkeit. Die auf den Handel bezoge- stitution von Rohstoffen und Materialeffizienz nen Aspekte des Zugangs zu Rohstoffen ste- werden zwar als wichtig erachtet, verbindliche hen jedoch nach wie vor im Fokus der EU-Roh- Ziele oder Regulierungsvorschläge für die Indus- stoffstrategie. trie jedoch nicht formuliert. Als konkrete in der Strategie erwähnte Maß- nahme wurde im Oktober 2010 die Deutsche 3.3 Erfolg für die Industrie: Die deutsche Rohstoffagentur als Beratungseinrichtung und Rohstoffstrategie Schnittstelle zwischen Regierung und Unter- nehmen bei der Bundesanstalt für Geowissen- Zusätzlich zur europäischen RMI hat Deutsch- schaften und Rohstoffe gegründet (ebd.: 20). land eine eigene Rohstoff-Strategie entwickelt. Zudem sieht die Strategie vor, zukünftig auch Im Oktober 2010 veröffentlichte das Bundes- auf bilaterale Rohstoffpartnerschaften zu set- ministerium für Wirtschaft und Technologie zen (ebd.: 24). Das erste Beispiel einer Um- (BMWi) die „Rohstoffstrategie der Bundesre- setzung ist die Mongolei, wo Bundeskanzlerin gierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoff- Angela Merkel im Oktober 2011 ein Rohstoff- versorgung Deutschlands mit nicht-energeti- abkommen mit der dortigen Regierung schloss4. schen mineralischen Rohstoffen”. Wenngleich Im Februar 2012 folgte Kasachstan, ein Land, diese ressortübergreifend ausgearbeitet wurde, dem selbst das Auswärtige Amt eine negati- spielte das BMWi von allen beteiligten Minis- ve Menschenrechtsbilanz bescheinigt5. Bun- terien die bedeutendste Rolle in der Entstehung desregierung und deutsche Industrie erhoffen des Papiers. Die deutsche Rohstoffstrategie hat sich in beiden Fällen den besseren Zugang zu ebenso wie die RMI der EU die Reduzierung von zahlreichen Rohstoffen, unter anderem den be- Handelsbarrieren zum Ziel. Die Anwendung von gehrten seltenen Erden6. Exportrestriktionen wird als Bedrohung dar- Insgesamt trägt die deutsche Rohstoffstra- gestellt, und könne „mittelfristig Wachstum tegie deutlich die Handschrift des Bundesver- und Beschäftigung in Deutschland gefährden” bandes der Deutschen Industrie (BDI). Dieser (BMWi 2010: 9). Um die Sicherung der Roh- hatte seit Jahren Lobbyarbeit zugunsten einer stoffversorgung zu gewährleisten bietet die deutschen und europäischen Rohstoffstrategie Bundesregierung Unternehmen staatliche In- gemacht. An der Ausarbeitung der deutschen strumente wie Garantien für ungebundene Kre- Rohstoffstrategie hat der BDI seit dem ersten dite, Investitionsgarantien und Exportgarantien Rohstoffkongress der damaligen rot-grünen an (ebd.: 10). Bundesregierung 2005 in einem „engen Dialog” Zwar erklärt die Bundesregierung, „dass nach- mitgewirkt (Bundesregierung 2007: 5). Im Jahr haltige Entwicklung sowie wirtschaftlicher und 2007 hatte der BDI in einem Bericht ein höheres - 10 -
Engagement der Politik gefordert. Darin hieß es, gierungen häufig zu einer Erhöhung der Ausga- die Bundesregierung solle durch Instrumente ben und der Verschuldung. Die Auswirkungen der Handels-, Außenwirtschafts-, Außen- und fallender Preise können für die Wirtschaft an- Entwicklungspolitik die Versorgung deutscher schließend drastische Auswirkungen haben. Unternehmen mit Rohstoffen verbessern (BDI Ein weiteres Problem ist die sogenannte Hol- 2007: 18 ff.). Kurz darauf stellte die Bundes- ländische Krankheit10: Eine Steigerung der Ein- regierung ihre „Elemente einer Rohstoffstrate- nahmen in Folge des Exports eines Rohstoffes gie der Bundesregierung” vor, die grundlegende ruft eine Überbewertung der eigenen Währung Forderungen des BDI aufgreifen (Bundesregie- hervor. Andere wirtschaftliche Sektoren, wie rung 2007). Ebenso verhält es sich mit der 2010 etwa die verarbeitende Industrie, verlieren an vorgestellten Rohstoffstrategie, die den Interes- Wettbewerbsfähigkeit. Exporte werden teurer, sen der Industrie entspricht, die Auswirkungen Importe billiger, eine Deindustrialisierung ist auf die Förderländer aber weitgehend ausblen- die Folge (WTO 2010: 91 ff.). Hinzu kommt in det. Zahlreiche deutsche Nichtregierungsor- der Regel weit verbreitete Korruption bei Re- ganisationen kritisierten die Strategie der Bun- gierungen und Unternehmen. Da die Staatsein- desregierung in einer zeitgleich veröffentlichten nahmen in rohstoffreichen Ländern zu einem Stellungnahme7. Großteil auf Exportsteuern und -zöllen statt auf einem transparenten Steuersystem beruhen, sehen Regierungen kaum Anreize, der Bevöl- DER BDI kerung gegenüber Rechenschaft über die Ver- Der Bundesverband der deutschen In- wendung der Einnahmen abzulegen. Transna- dustrie (BDI) ist eine Lobbyorganisation, tionale Konzerne wiederum können sich durch die die Interessen der Industrie gegen- verdeckte Zahlungen an korrupte Regierungen über Politik und Öffentlichkeit vertritt. Förderverträge sichern (EvB 2011: 302 ff.). Auf Mitglieder sind 38 Branchenverbände der legale Art und Weise umgehen Unternehmen Industrie und industrienaher Dienstleis- zudem häufig die Zahlung von Steuern, indem tungsbranchen, die insgesamt 100.000 sie ihre Gewinne kleinrechnen (EvB 2011: 268 Unternehmen umfassen8. Als Ziele gibt ff., Oberland 2011: 6 ff.). Durch ein bestehendes der BDI die Stärkung der internationalen Netz an Tochterfirmen ist es Unternehmen auf Wettbewerbsfähigkeit und des Industrie- dem Papier möglich, aus einem Förderland bei- landes Deutschland, ein höheres und spielsweise Rohstoffe zu einem niedrigen Preis nachhaltigeres Wachstum sowie eine in eine Steueroase zu exportieren und von dort Beschränkung staatlichen Einflusses auf dann den tatsächlichen Verkauf an den End- die Wirtschaft an. Laut Selbstdarstellung kunden zu tätigen. Dadurch sind im Förderland sorgt der BDI unter anderem für „die po- selbst weniger Einnahmen zu versteuern. Die- litische Flankierung internationaler Markt- ses so genannte Transfer Pricing ist aufgrund erschließung”9. fehlender Regulierung in der Regel vollkommen legal (ebd.). Nach unterschiedlichen Schätzun- gen belaufen sich die Steuerverluste der ärme- ren Länder, die durch die Steuerminimierung von 3.4 Auswirkungen auf die Förderländer: Unternehmen verursacht werden, auf deutlich Exportsteuern und Investitionen mehr als die weltweit jährlich gezahlten 129 Milliarden US-Dollar aus der Entwicklungszu- Ressourcenreiche Länder hängen häufig vom sammenarbeit (EvB 2011: 280). Export weniger Rohstoffe ab, in manchen Fäl- Im sozialen und ökologischen Bereich verurs- len sogar vom Export eines einzigen. Die für acht die Ausbeutung von Rohstoffen häufig gra- den Rohstoffmarkt charakteristischen Preis- vierende Schäden und Konflikte. Der viel zitierte schwankungen erschweren makroökonomische „Ressourcenfluch” tritt jedoch nicht zwangsläu- Planung. In Zeiten hoher Preise tendieren Re- fig ein. Rohstoffreiche Länder könnten durchaus - 11 -
von ihrem Reichtum profitieren und die Einnah- gesamt 1.233 unterschiedliche Exportrestrik- men dazu verwenden, die Situation der Bevöl- tionen in 19 untersuchten Ländern (European kerung in Bereichen wie Ernährung, Gesundheit Commission 2009: 11). Die meisten der Restrik- oder Bildung zu verbessern, die eigene Indus- tionen wurden in größeren Ländern wie Argen- trialisierung voranzutreiben und die Wirtschaft tinien, Ukraine, China, Russland und Südafrika zu diversifizieren. Norwegen (Erdöl) und Bots- festgestellt, aber auch ärmere Länder, vor allem wana (Diamanten) bieten Beispiele für eine in in Afrika, verwenden Exportrestriktionen. dieser Hinsicht erfolgreichere Rohstoffpolitik. In Der zweite bedeutende Bereich, in dem die EU den meisten Fällen profitieren jedoch in erster Regeln durchsetzen will, die den europäischen Linie korrupte Eliten. Konzernen nützen, sind Investitionen. Schutz- Die EU-Politik erschwert es den Förderländern klauseln für ausländische Investitionen finden zudem vorn vornherein, vom Export ihrer Roh- sich in bilateralen Investitionsschutzabkommen stoffe zu profitieren. Die zwei Bereiche, in de- (Bilateral Investment Treaties, BITs), aber auch nen die EU wettbewerbsverzerrende Maßnah- in Freihandelsverträgen (Free Trade Agreements, men eliminieren will sind Exportsteuern und FTAs). Derartige Vereinbarungen sollen auslän- ausländische Direktinvestitionen. Auf verschie- dische Direktinvestitionen absichern und stehen denen Ebenen wie der WTO, bei Freihandels- über dem jeweiligen nationalen Recht. Die EU verträgen und Bilateralen Investitionsschutzab- will vor allem die Bereiche Inländerbehandlung, kommen wird darüber verhandelt. Investorenschutz und freien Kapitalverkehr im- Die Anwendung von Exportzöllen kann roh- plementieren (Curtis 2010: 30). Inländerbe- stoffreichen Ländern nutzen, sofern die Mehr- handlung bedeutet, dass einheimische und aus- einnahmen sinnvoll verwendet werden. In ländische Investitionen nicht unterschiedlich Europa selbst war die Verwendung von Ex- behandelt werden dürfen. Der Investorenschutz portsteuern ein wichtiges Instrument zuguns- stattet Investoren mit bestimmten Rechten aus, ten der industriellen Entwicklung (Third World die den jeweiligen Regierungen für die Imple- Network 2009: 3). Größere Länder, die eine be- mentierung von Politiken, die den Investor be- deutende Rolle auf dem Weltmarkt haben, kön- treffen könnten, Schranken setzen. Unterneh- nen im Gegensatz zu kleinen Ländern durch die men können sich in vielen Fällen gar auf einen Verwendung von Exportzöllen den Weltmarkt- „enteignungsgleichen Eingriff” berufen, wenn preis für bestimmte Rohstoffe in die Höhe trei- zu erwarten ist, dass durch neue Arbeits- oder ben. Auch die Umwelt kann davon profitieren, Umweltgesetze ihre Gewinne vermindert wer- sofern die Verwendung von Exportzöllen zu ei- den. Durch einen freien Kapitalverkehr können ner Verringerung der Exporte und weniger Roh- Investoren ihre Gewinne aus dem Land trans- stoffausbeutung führt (Curtis 2010: 17). Die ferieren. Dies bedeutet, dass es einer Regierung WTO verbietet die Anwendung von Export- unmöglich gemacht beziehungsweise deutlich beschränkungen nicht, sieht dieses Instrument erschwert wird, Kapitalverkehrskontrollen ein- aber kritisch (WTO 2010: 160 ff.). Auch die zuführen, um das Land zum Beispiel vor spe- Europäische Kommission erkennt an, dass Ex- kulativem Kapital zu schützen. In der Regel portbeschränkungen „unter bestimmten Bedin- verpflichten sich Staaten mit Unterzeichnung gungen” gerechtfertigt sein können (European derartiger Abkommen zur Zahlung von Ent- Commission 2009: 12). Dies gelte aber nur, schädigungen im Falle von Enteignungen. Ver- wenn Exportsteuern mit eindeutigen Regeln stößt ein Staat nach Ansicht eines Unterneh- und Zielen und für alle Marktteilnehmer zu glei- mens gegen ein BIT, kann dieses Unternehmen chen Bedingungen angewendet würden. in einem „Investor-Staat-Verfahren“ vor ein in- Dennoch stellt die Beseitigung beziehungs- ternationales Schiedsgericht ziehen, ohne dass weise Einschränkung dessen, was als „wett- zuvor der nationale Rechtsweg erschöpft sein bewerbsverzerrende” Maßnahmen bezeichnet muss. Die meisten dieser Verfahren landen ge- wird, ein prinzipielles Ziel der EU dar. Im Sep- mäß den konkreten Bestimmungen der jewei- tember 2009 benannte die Kommission ins- ligen Abkommen beim Internationalen Zen- - 12 -
EU-LATEINAMERIKAGIPFEL IN MADRID 2010 – UNTERZEICHNUNG DES FREIHANDELSABKOMMENS MIT PERU UND KOLUMBIEN (FOTO: ANDINA/SERPRES) trum für Investitionsstreitigkeiten (ICSID), dem Bedeutung gewonnen. Weltweit existieren heu- Schiedsgericht der Weltbankgruppe. te etwa 3.000 BITs. Deutschland hat mit über Die Ausgangsbedingungen der Kontrahenten 140 Staaten derartige Abkommen geschlossen, sind dabei äußerst ungleich verteilt, da BITs in mehr als jedes andere Land11. Mit Inkrafttreten der Regel zwischen Industrieländern auf der ei- des Lissabon-Vertrags der Europäischen Union nen und ärmeren Staaten auf der anderen Sei- am 1. Dezember 2009 ging die Kompetenz zur te geschlossen werden. Die Industrieländer, Aushandlung von BITs von den einzelnen Mit- allen voran Deutschland, setzen einen bedin- gliedstaaten zur EU-Kommission über (Maes gungslosen Investorenschutz durch. Im Streit- 2010: 12). Eine Aufnahme von Pflichten für In- fall können die ärmeren Länder den juristischen vestoren ist nicht vorgesehen. Die deutsche Abteilungen großer Konzerne wenig entgegen Regierung und deutsche Wirtschaftsverbände setzen. Hinzu kommen die Androhung des Ab- fordern, dass bei der Vereinheitlichung der bis- zugs weiterer Investitionen und des Verlustes herigen BITs unter dem Dach der EU-Kommissi- von Arbeitsplätzen sowie die Signalwirkung on das investorenfreundliche deutsche Muster- für andere Unternehmen. Daher reicht in vielen BIT als Vorlage dient (Eberhard 2010: 22f. und Fällen bereits die Drohung aus, damit Regierun- Everton, 2010: 14f.). gen präventiv auf etwaige Enteignungen oder Die Laufzeit von BITs und FTAs ist in der Re- enteignungsgleiche Eingriffe verzichten, selbst gel unbegrenzt. Eine Regierung kann diese zwar wenn diese „zum Wohl der Allgemeinheit“ und kündigen, für bereits getätigte Investitionen gilt gegen „angemessene“ Entschädigung (Markt- der Schutz jedoch bis zu mehrere Jahrzehnte wert) in der Regel möglich wären. Viel wichtiger über die Kündigung hinaus. Durch die Unter- als der Investorenschutz sind hingegen Mecha- zeichnung derartiger Verträge riskieren Staaten nismen, die wirksam die Bevölkerung und die somit, ihr demokratisches Recht, über Wirt- Umwelt vor Schäden schützen, die durch einen schafts-, Sozial-, und Umweltpolitik zu entschei- Investor verursacht werden können. den, für lange Zeit stark einzuschränken. Will Da die Versuche, ein multilaterales Investiti- beispielsweise eine demokratisch gewählte Re- onsschutzabkommen abzuschließen, geschei- gierung mit großem Rückhalt in der Bevölkerung tert sind, haben bilaterale Investitionsschutz- Exportsteuern anwenden oder Investitionen be- abkommen in den letzten Jahrzehnten an schränken, so wird dies durch die von der EU ge- - 13 -
wünschten Regeln deutlich erschwert. Letztlich „wettbewerbsverzerrend” angesehen wird. Die ist es komplizierter FTAs und BITs zu ändern als zwei Bereiche, in denen die EU und Deutschland nationale Verfassungen, die in der Regel durch wettbewerbsverzerrende Maßnahmen eliminie- entsprechende Parlamentsmehrheiten und Refe- ren wollen, sind Exportsteuern und ausländische renden reformiert werden können. Direktinvestitionen. Auf verschiedenen Ebenen Natürlich kann die Beschränkung von Exporten wie der WTO, bei Freihandelsverträgen und Bi- und Investitionen auch negative Effekte für ein lateralen Investitionsschutzabkommen wird Land haben. Um daraus Nutzen zu ziehen erfor- darüber verhandelt. Damit gehen den Förder- dert es verantwortungsvoller Politiken und funk- ländern jedoch wichtige politische Gestaltungs- tionierender Institutionen. Bei korrupten Regie- möglichkeiten verloren. Da Exportsteuern und rungen und Eliten, die zusätzliche Einnahmen in Restriktionen von Investitionen unter günstigen die eigene Tasche stecken und sich nicht für Ar- politischen Bedingungen durchaus einem Land beits- und Umweltbedingungen der extraktiven nutzen können, dürfen die EU und Deutschland Industrien interessieren, werden Bevölkerung und diese nicht per se unterbinden. Andere von der Umwelt kaum profitieren. Sowohl die Verteilung EU vertretene Ziele, wie etwa der Kampf gegen zwischen transnationalen Unternehmen und Re- Armut und Menschenrechtsverletzungen, und gierungen, als auch die interne Verteilung der Ein- einige der UN-Millenniumsziele wie eine Verbes- nahmen muss zugunsten der Bevölkerung ausfal- serung des Zugangs zu Trinkwasser und Bildung len. Im Gegensatz zu dem hier angesprochenen werden durch die RMI offen konterkariert. In der Schiedsgericht und ähnlichen Institutionen fehlen Mitteilung „Tackling the Challenges in Commodi- solche juristischen Möglichkeiten für Menschen- ty Markets and on Raw Materials”, die im Februar rechtsverletzungen durch Unternehmen, hier gibt 2011 veröffentlicht wurde, gibt sich die Europä- es einen erheblichen Reformbedarf.12 ische Kommission rhetorisch zwar etwas milder. Unter anderem erwähnt sie, dass Entwicklungs- länder mehr Anteil an der Wertschöpfungsket- 3.5 Zusammenfassung te erhalten und Handelsabkommen in dem Zu- sammenhang flexibel gestaltet werden sollten. Die Rohstoffstrategien der EU und Deutschlands Um die rhetorischen Neuerungen umzusetzen, sind darauf ausgerichtet, die Versorgung der ein- müsste die EU ihre bisherige Handelspolitik je- heimischen Unternehmen mit Rohstoffen zu doch radikal umstellen. Die in der neuen Mit- gewährleisten. Negativen externen Effekten für teilung angesprochene Flexibilität ist nicht er- rohstoffreiche Länder wird hingegen kaum Be- sichtlich. Die RMI ist somit durch ein Fehlen von achtung geschenkt. Ihnen wird nicht einmal das Kohärenz zu anderen von der EU formulierten Recht zugestanden, eine eigene Rohstoffpolitik Politikzielen gekennzeichnet13. Kohärent scheint umzusetzen, um etwa ihre Einnahmen zu erhö- sie einzig gegenüber den Interessen der deut- hen oder die Umwelt zu schützen, da dies als schen und europäischen Industrie zu sein. - 14 -
KAPITEL 4 BERGBAU IN LATEINAMERIKA: BOOM MIT NEBENWIRKUNGEN Die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Res- darauf folgenden zwei Jahrzehnten heftig an. sourcen ist für Lateinamerika nichts Neues. Seit Die Bevölkerungen profitierten von dem Boom der Eroberung durch europäische Kolonialmäch- jedoch kaum. Eine offen neoliberale Bergbaupo- te dient der Kontinent als Lieferant von Rohstof- litik verfolgen heute nur noch wenige Länder in fen. Der Extraktivismus, eine auf höchstmögliche Lateinamerika, darunter Chile und Kolumbien. Ausbeutung von Rohstoffen und Agrarland für Auch Peru gehört dazu, wenngleich sich mit den Export ausgerichtete Entwicklungsstrategie, dem Regierungswechsel im Juli 2011 der Versuch prägt die wirtschaftlichen und sozialen Struk- einer etwas größeren Regulierung abzeichnet. turen der meisten Länder des Subkontinents Gerade der Bergbausektor generiert vergleichs- bis heute wesentlich. Derzeit befindet sich der weise geringe staatliche Einnahmen. Doch Bergbau in einer Boom-Phase. Lag der Anteil La- durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse teinamerikas am weltweiten Bergbau 1990 noch zugunsten sozialer Bewegungen und (Mitte-) bei zwölf Prozent, so betrug er 2009 bereits 35 Linksregierungen seit der Jahrtausendwende, Prozent (Padilla 2011a). Seit gut zehn Jahren ist konnten einige Länder ihre Einnahmen aus den Lateinamerika die Weltregion, die den größten Rohstoffverkäufen deutlich erhöhen. Dies trifft Teil der Investitionen im Bergbaubereich anzieht. vor allem auf Venezuela und Bolivien (Erdöl und Unter den zehn Ländern mit den höchsten In- Gas) zu. Dabei wird jedoch weder das extrakti- vestitionen befinden sich mit Peru (3.), Mexiko ve Wirtschaftsmodell, das auf die größtmögli- (6.), Chile (7.) und Brasilien (9.) insgesamt vier che Rohstoffausbeutung setzt, in Frage gestellt, lateinamerikanische Länder (De Echave 2011: 65 noch werden entschlossen Maßnahmen gegen f.). In Folge der Schuldenkrise der 1980er Jahre die negativen Auswirkungen dieses Modells war den meisten lateinamerikanischen Staaten eingeleitet. Vielmehr hat sich ein „neuer Extrak- von Weltbank und dem Internationalen Wäh- tivismus” etabliert, der durch eine Ausweitung rungsfonds (IWF) als Bedingung für den Erhalt der staatlichen Sozialabgaben legitimiert wird. von Krediten eine Deregulierung der Wirtschaft Dieser bringt jedoch nur kurzfristige Vorteile und Verschlankung des Staates auferlegt wor- (Gudynas 2009, vgl. Kapitel 5.4). den. Dazu gehörte auch die Privatisierung des Sowohl „alter” als auch „neuer Extraktivismus“ Bergbausektors. Ein neoliberales Investitionskli- sorgen für zahlreiche soziale und ökologische ma sowie eine schwache Arbeits- und Umwelt- Probleme und Konflikte, wie etwa die Vertrei- gesetzgebung zogen transnationale Bergbaukon- bung von Menschen, die Zerstörung von Öko- zerne an. Diese erhielten von den Regierungen systemen und landwirtschaftlichen Nutzflächen der Region häufig noch zusätzlich Steuervorteile sowie die Verschmutzung von Wasservorrä- und Subventionen, etwa bei Energiekosten und ten. Das Observatorio de Conflictos Mineros de Infrastrukturprojekten (Padilla 2011a). Während América Latina (OCMAL), ein Zusammenschluss die Preise für die meisten Rohstoffe zur Zeit der von über 40 Nichtregierungsorganisationen, die Privatisierungen niedrig waren, zogen sie in den sich dem Bergbau in der Region in seiner jetzigen - 15 -
Form widersetzen, zählt im Bergbaubereich 155 dor unter den vorgegebenen Bedingungen nicht größere Konflikte zwischen lokaler Bevölkerung weiter verhandeln wollten, beschloss die EU, nur und Unternehmen in Lateinamerika, die 168 ver- mit Kolumbien und Peru einen reinen Freihan- schiedene Projekte und 205 Ortschaften betref- delsvertrag abzuschließen (Fritz 2010: 5). Das fen14. Am stärksten betroffen sei Peru mit 26 Abkommen erschwert die Anwendung von Ex- Konflikten, gefolgt von Chile (25), Argentinien portsteuern erheblich. Diese können nur vorü- (24), Brasilien (21) und Kolumbien (16). In La- bergehend in besonderen Situationen und we- teinamerika tätig sind vor allem Bergbauunter- nigen Ausnahmefällen erhoben werden (Art.25 nehmen aus den USA, Kanada, Australien, der und 106). Die Investment-Bestimmungen gehen Schweiz und mittlerweile auch China. Als Bezie- über die Regeln der WTO hinaus und enthalten her lateinamerikanischer Rohstoffe spielt die EU die Liberalisierung von Investitionen, Patenten, jedoch bereits eine wichtige Rolle. Auch wenn Wettbewerbsrecht und öffentlichem Auftrags- Afrika augenblicklich mehr vom europäischen wesen. Inländerbehandlung für Investoren wird Rohstoffhunger betroffen ist15, rückt Latein- garantiert, so dass die Regierungen keinerlei Re- amerika zunehmend ins Zentrum des Interesses. striktionen auferlegen dürfen (Art. 113 und 114). Im Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung Der freie Kapitalfluss soll gemäß dem Abkom- nimmt das Thema der Energie- und Rohstoffver- men von allen Ländern zugesichert werden. Re- sorgung Deutschlands einen wichtigen Stellen- striktionen oder Schutzmaßnahmen dürfen nur wert ein (Auswärtiges Amt 2010: 39). In seiner vorübergehend und als Ausnahme angewendet Bewertung der jüngsten Aktualisierung der RMI, werden, aber niemals als Schutzinstrument für erwähnt der Rat der Europäischen Union Latein- einzelne Industrien (Art.169 und 170). amerika ausdrücklich als Lieferant von Rohstof- Das Freihandelsabkommen enthält eine all- fen (Council of the European Union 2011: 5). gemeine Menschenrechtsklausel (Art.1), die Das Europäische Parlament legt der Kommission schwächer formuliert ist als jene im Allgemei- in einer im September 2011 verabschiedeten Re- nen Präferenzsystem (GSP), mit dem die EU solution nahe, die Rohstoffversorgung zu diver- ärmeren Ländern bestimmte Zollerleichterun- sifizieren und dabei explizit auch Lateinamerika gen gewährt. Kolumbien und Peru würden bei mit einzubeziehen (European Parliament 2011). Ratifizierung des Freihandelsabkommens aus Tatsächlich wendet die EU längst Prinzipien dem GSP herausfallen. Bevor das Abkommen in aus der RMI in Verhandlungen mit lateiname- Kraft tritt muss es noch ratifiziert werden. Ne- rikanischen Ländern an. Im Jahr 2010 unter- ben dem Europäischen Parlament müssen die zeichnete die EU mit Kolumbien und Peru ein nationalen Parlamente Kolumbiens und Perus Freihandelsabkommen, dass im Bezug auf Ex- sowie sämtliche Parlamente der EU-Mitglieds- portsteuern und Restriktionen von Investiti- staaten zustimmen. Sollte das Abkommen in onen den europäischen Vorstellungen aus der Kraft treten, wird es extraktiven Industrien wie RMI entspricht. dem Bergbau zusätzlichen Auftrieb geben, weil es die Rechte von Investoren stärkt. 4.1 Freihandel mit Kolumbien und Peru: Anwendung der RMI in Lateinamerika 4.2 Kolumbien: Menschenrechtsverlet- zungen mit und ohne Bergbauboom Auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai 2010 verkündete die EU offiziell den erfolgreichen Ab- Mehr als 85 Prozent der EU-Importe aus Ko- schluss der Verhandlungen über einen Freihan- lumbien sind Rohstoffe wie Öl, Mineralien und delsvertrag mit Kolumbien und Peru. Ursprüng- Agrarprodukte. Die Exporte aus der EU nach lich wollte die EU mit der Andengemeinschaft16 Kolumbien bestehen hingegen zu fast 90 Pro- ein Assoziierungsabkommen schließen, das ne- zent aus verarbeiteten Gütern.17 ben Freihandel die Bereiche politischer Dialog und In Kolumbien werden seit Jahren massiv und Kooperation umfasst hätte. Da Bolivien und Ecua- systematisch die Menschenrechte verletzt. - 16 -
MARSCH ZUR ERINNERUNG AN DIE OPFER VON STAATSVERBRECHEN IN KOLUMBIEN AM 6. MÄRZ 2012 IN BOGOTA (FOTO: HUCK /KOLKO) Auch unter der neuen Regierung von Juán Ma- schenrechtsverletzungen ist ein grundlegendes nuel Santos ist die Situation weiter höchst be- Problem. Darüber hinaus bespitzelte, bedrohte sorgniserregend.18 Santos pflegt im Bezug auf und behinderte der Geheimdienst DAS Journa- Menschenrechte im Vergleich zu seinem Vor- listen, Politiker _ innen und Mitglieder zivilge- gänger zwar eine deutlich positivere Sprache, sellschaftlicher Organisationen, die sich kritisch jedoch hat sich die Situation in seiner Amts- mit der Regierungspolitik, unter anderem mit zeit beispielsweise für die Situation der Men- dem Freihandelsvertrag auseinander setzten. schenrechtsverteidiger _ innen de facto noch Auch Mitglieder des Europäischen Parlaments verschlimmert. In den vergangenen 25 Jahren und europäischer NRO waren davon betroffen wurden mehr als vier Millionen Menschen ver- (Fritz 2010: 6 ff.). Die Durchsetzung einer inve- trieben. Nach der Verabschiedung des Gesetzes storenfreundlichen, exportorientierten Ökono- für Landrückgabe unter der aktuellen Regierung mie, gewaltsame Landnahme durch das Agro- wurden zahlreiche Gemeindesprecher _ innen business, Erschließung von Bodenschätzen und und Menschenrechtsaktivist _ innen ermor- die Bekämpfung von Gewerkschaften wurden in det, die sich für eine Landrückgabe einsetzen. den vergangenen 25 Jahren maßgeblich durch Menschenrechtsverteidiger _ innen werden paramilitärische Gruppen gewährleistet. (Ze- durch Drohungen, Kriminalisierung und Diffa- lik 2009: 205 ff.). Vielfältige Beziehungen zwi- mierungskampagnen massiv daran gehindert, schen Militär, Geheimdienst, Politikern und sich für den Schutz der Menschenrechte einzu- Paramilitärs konnten nachgewiesen werden. setzen. Über 500 Gewerkschaftsführer _ innen Würde eine Menschenrechtsklausel, wie sie in wurden seit 2002 getötet. Damit ist Kolum- dem FTA mit der EU enthalten ist, ernst genom- bien das gefährlichste Land für Gewerkschafter men, müsste sie im Falle Kolumbiens im selben weltweit. Als Folge sind lediglich fünf Prozent Moment angewendet werden, in dem das Frei- der kolumbianischen Arbeiter _ innen gewerk- handelsabkommen mit der EU in Kraft tritt. schaftlich organisiert. In den vergangenen Jahren Zwar macht der Bergbau in Kolumbien bisher tötete das Militär vielfach Zivilist _ innen und vergleichsweise geringe 1,5 Prozent des Brutto- präsentierte sie als im Gefecht gefallene Gueril- inlandsproduktes aus. Doch Bergbaukonzerne leros. Bisher wurden nur ganz wenige Verant- haben bereits für mindestens 40 Prozent des wortliche verurteilt. Die Straflosigkeit für Men- gesamten kolumbianischen Territoriums Kon- - 17 -
zessionen beantragt19. Die kolumbianische Re- Die Menschenrechtsbilanz im Kohleberg- gierung unterstützt den industriellen Bergbau bau fällt äußerst negativ aus. Die Bedrohung massiv. Dies gilt sowohl für die Präsidentschaft und Ermordung von Gewerkschafter _ innen von Álvaro Uribe Vélez (2002 bis 2010)20, als fand mit großer Wahrscheinlichkeit häufig mit auch für seinen Nachfolger Santos, der den dem Wissen oder sogar im Auftrag von Berg- Bergbausektor zum Motor für die wirtschaft- bauunternehmen statt. Durch zahlreiche Zeu- liche Entwicklung erklärt hat. genaussagen gut belegt ist zum Beispiel, dass Mitarbeiter _ innen des US-Bergbaukonzerns Drummond, der im Departamento Cesar Stein- 4.2.1 Kolumbianische Kohle für Deutschland kohle abbaut, mit Paramilitärs bei der Ermor- dung von Gewerkschaftern zusammen gearbei- Kolumbien ist der viertgrößte Kohleexporteur tet haben (Zelik 2009: 218 f./ Reis 2009: 18 f.). der Welt. 2010 wurden insgesamt etwa 75 Mil- Als negative Effekte im Kohleabbau kommen lionen Tonnen gefördert. Gut 95 Prozent davon schlechte Arbeitsbedingungen, die Missach- gehen in den Export, überwiegend nach Eur- tung der in der von Kolumbien unterzeichneten opa und in die USA. Laut Regierungsangaben ILO-Konvention 169 vorgeschriebenen „freien, soll die Produktion bis 2019 verdoppelt werden vorherigen und informierten Zustimmung“ bei (Fritz 2010: 7). Mit acht Millionen Tonnen ist der Konsultation indigener Gruppen, die Ver- Kolumbien hinter Russland der zweitgrößte Lie- schmutzung von Umwelt und Wasser sowie ferant des klimaschädlichen Energieträgers nach die Vernichtung von Ackerland hinzu. Viele der Deutschland21. Wenngleich die RMI der Euro- Rohstoffvorkommen liegen auf indigenen Terri- päischen Union auf Metalle und Mineralien be- torien. schränkt ist, gelten die dort formulierten Prin- Aktuell ist der Fall von El Hatillo, das zum Mu- zipien bezüglich der Erschließung von Reserven nizip El Paso im Departamento Cesar gehört, auf ähnliche Weise für den Bereich Kohle, auch besonders dramatisch. Die kleine Ortschaft, die wenn es dafür keine explizit ausformulierte Stra- 625 Einwohnerinnen und Einwohner umfasst, tegie gibt. Der Abbau findet fast ausschließlich ist von vier großen Bergbauprojekten umzingelt. im Tagebau in den Departamentos La Guajira Früher wurde in der Gegend Landwirtschaft be- und Cesar statt, von wo die Kohle auf teilwei- trieben, die während der letzten zehn Jahre al- se über 100 Waggons umfassenden Zügen zu lerdings so gut wie zum Erliegen gekommen ist. Häfen an der Karibikküste transportiert wird. In unmittelbarer Umgebung von El Hatillo för- Etwa 90 Prozent der Kohleförderung wird von dern Drummond, Glencore, der brasilianische drei Unternehmen betrieben: Im Departamen- Konzern Vale und das Unternehmen Colombian to La Guajira fördert das Unternehmen Cerre- Natural Ressources, das zu Goldman Sachs ge- jón, das zu gleichen Teilen der britischen Anglo hört, Kohle. Auf die Lebensbedingungen vor Ort American, der australischen BHP Biliton und hat dies verheerende Auswirkungen. In El Hatillo der schweizerischen Xstrata gehört, jährlich leiden über die Hälfte der Bevölkerung an chro- mehr als 31 Millionen Tonnen Steinkohle. Der nischen Atemwegserkrankungen durch die er- US-Bergbaukonzern Drummond fördert im De- höhte Feinstaubbelastung. Auch Reizungen von partamento Cesar gut 22 Millionen Tonnen pro Haut und Augen sind weit verbreitet. Der nahe- Jahr. Das zum schweizerischen Konzern Glen- gelegene Fluss wurde umgeleitet und ist stark core gehörende Unternehmen Prodeco fördert verschmutzt. Arbeitsplätze für die Mitglieder der ebenfalls in Cesar etwa 12 Millionen Tonnen im Gemeinde bieten die Bergbauprojekte nicht. Ge- Jahr. Die im Kohlebergbau tätigen Unternehmen rade einmal 15 Personen aus El Hatillo sind dort zahlten aufgrund von Abschreibungen im Jahr angestellt (Holguín 2011). Aufgrund der untrag- 2010 durchschnittlich nur vier Prozent Steuern baren Zustände hat das kolumbianische Um- auf ihre Gewinne.22 In Deutschland importie- weltministerium die vier in der Umgebung von ren fast alle kohleverstromenden Unternehmen El Hatillo operierenden Bergbaukonzerne dazu Kohle aus Kolumbien. verpflichtet, für eine Umsiedlung der Bewohne- - 18 -
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