Tobias Lambert - Land-Grabbing.de

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Tobias Lambert
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Bergbau-Boom mit Nebenwirkungen
Rohstoffsicherung für Deutschland und die EU - Probleme in Kolumbien und Peru
Tobias Lambert | Berlin, Februar 2012

Herausgeber: Brot für die Welt, FIAN - Food First Informations- und Aktions-Netzwerk, Forschungs- und Dokumentationszentrum
Chile-Lateinamerika e.V., Kampagne „Bergwerk Peru – Reichtum geht, Armut bleibt“, kolko - Menschenrechte für Kolumbien e.V.
© FDCL-Verlag, Berlin, 2012
Gneisenaustraße 2a, D-10961 Berlin, Germany
Fon: +49 30 693 40 29 / Fax: +49 30 692 65 90
eMail: info@fdcl.org / Internet: http://www.fdcl.org
Autor:              Tobias Lambert
Layout:             Mathias Hohmann
Umschlagfotos:      Offener Tagebau Tintaya, Cuzco, Peru (David Baggins, flickr.com, CC by-nc-nd 2.0),
                    LKW mit abgebauter Kohle, Kolumbien (Sebastian Rötters/FIAN)
Druck:              agit-druck, Berlin

Gedruckt auf Recycling-Papier (100% Altpapier)

DISCLAIMER: Dieses Projekt wird anteilig gefördert durch die Europäische Union. Der Inhalt der Publikation liegt in der alleinigen
Verantwortung der Herausgeber und kann in keiner Weise als Sichtweise der Europäischen Union angesehen werden. Die vorliegende
Publikation wurde publiziert im Rahmen des EU finanzierten Projektes Just Trade (www.just-trade.org). Das Projekt plädiert für eine
stärkere Politikkohärenz zwischen der EU-Entwicklungs- und Handelspolitik mit Blick auf die Förderung von gerechter und nachhaltiger
Entwicklung. Projektpartner sind: Ecologistas en Acción (Spanien), FDCL, Glopolis (Tschechische Republik), Protect the Future (Ungarn)
und das Transnational Institute (Niederlande).

ISBN 978-3-923020-57-7
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Bergbau-Boom mit
Nebenwirkungen
Rohstoffsicherung für
Deutschland und die EU -
Probleme in Kolumbien
und Peru
Tobias Lambert
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INHALT
Editorial                                                                                       3

1 Einleitung                                                                                    5

2 Rohstoffkonsum: Europa als überdurchschnittlicher Verbraucher                                 6

3 Politik für Unternehmen: Die Rohstoff-Strategien der EU und Deutschlands                      8
3.1 Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit als oberstes Ziel: Global Europe und Europe 2020          8
3.2 Raw Materials Initiative: Sicherung der Rohstoffe für Europa                                9
3.3 Erfolg für die Industrie: Die deutsche Rohstoffstrategie                                   10
3.4 Auswirkungen auf die Förderländer: Exportsteuern und Investitionen                         11
3.5 Zusammenfassung                                                                            13

4 Bergbau in Lateinamerika: Boom mit Nebenwirkungen                                            15
4.1 Freihandel mit Kolumbien und Peru: Anwendung der RMI in Lateinamerika                      16
4.2 Kolumbien: Menschenrechtsverletzungen mit und ohne Bergbauboom                             16
        4.2.1 Kolumbianische Kohle für Deutschland                                             18
        4.2.2 Kanadisches Unternehmen scheitert mit Gold-Tagebau                               19
4.3 Peru: Mehr Regulierung durch Regierungswechsel?                                            20
        4.3.1 Kupfer aus Peru: Die Bevölkerung vor Ort profitiert nicht                        20
        4.3.2 La Oroya: Niemand haftet für Umweltschäden                                       21

5 Alternativen                                                                                 23
5.1 New Green Deal: Auch ein grüner Kapitalismus braucht Rohstoffe                             24
5.2 Transparenz als erster Schritt: Die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI)   24
5.3 Das Dodd-Frank-Gesetz: Verbindliche Vorschriften als Vorbild für die EU?                   25
5.4 Alter Extraktivismus, Neuer Extraktivismus, Post-Extraktivismus?
    Die Debatte um Alternativen in Lateinamerika                                               26

Literatur                                                                                      29

Endnoten                                                                                       33
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EDITORIAL
Rohstoffpolitik war bis vor wenigen Jahren          (OCMAL), ein Zusammenschluss von über 40
noch ein reines Expertenthema. Das hat sich         NGOs, die sich dem Bergbau in der Region
mittlerweile grundlegend geändert: Die wich-        in seiner jetzigen Form widersetzen, zählt im
tigsten Industrieländer sorgen sich um „ihre        Bergbaubereich 155 größere Konflikte zwischen
Rohstoffversorgung“. Angesichts der relativen       lokaler Bevölkerung und Unternehmen in La-
Verknappung einzelner Bodenschätze, gestie-         teinamerika, die 168 verschiedene Projekte und
gener Rohstoffpreise und dem zunehmenden            205 Ortschaften betreffen. Es geht sowohl um
Konkurrenzkampf mit aufstrebenden Volkswirt-        mineralische und energetische wie um biologi-
schaften wie China oder Indien messen sie dem       sche Rohstoffe.
Zugang zu Rohstoffen eine geostrategische Be-         Auch in Europa nimmt das Interesse zu: Um
deutung zu. Auch die Europäische Union (EU)         über die Auswirkungen des Rohstoffabbaus auf
und Deutschland haben in den letzten Jahren         Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung zu
Strategien verabschiedet, um sich den Zugang        diskutieren, luden Brot für die Welt, das For-
zu knapper werdenden Ressourcen zu niedrigen        schungs- und Dokumentationszentrum Chile
Preisen sichern.                                    Lateinamerika (FDCL), FIAN Deutschland, die
  Doch gerade der Rohstoffsektor weist vie-         Kampagne „Bergwerk Peru – Reichtum geht,
lerorts eine verheerende Menschenrechts- und        Armut bleibt“, kolko – Menschenrechte für Ko-
Umweltbilanz auf, während die Menschen in           lumbien, Misereor und die Heinrich Böll Stif-
den Förderregionen selten vom Rohstoffreich-        tung am 26. Oktober 2011 zu einer Tagung
tum profitieren. Im Gegenteil tragen sie und die    nach Berlin. Unter dem Motto „Rohstoffe aus
Gesellschaft als Ganzes weitgehend die Um-          dem Andenraum für Deutschland. Wer trägt
weltrisiken und sozialen Folgen. Nutzen aus         die Verantwortung für die Folgen des Bergbaus
der Rohstoffförderung ziehen vor allem interna-     in Kolumbien und Peru?” nahmen etwa 80 Teil-
tionale Unternehmen und mit ihnen zusammen          nehmer _ innen aktiv an den Diskussionen teil.
arbeitende lokale Akteure.                            Aufgrund der wachsenden Probleme wird das
  Die Konflikte in den rohstoffexportierenden       Thema Rohstoffe auch zukünftig an Bedeutung
Ländern nehmen zu. Die kritische Zivilgesell-       zunehmen. Dabei gibt es eine Fülle von Teil-
schaft beschäftigt sich mittlerweile intensiv mit   aspekten. Bei der Ausbeutung von Rohstoffen
dem Thema. In Lateinamerika arbeiten zahl-          werden Menschenrechte verletzt und die Um-
reiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs)         welt im großen Maße geschädigt. Auch Sicher-
zum Thema Rohstoffe und den Auswirkungen            heits- und wirtschaftspolitische Aspekte sind
auf Menschen und Umwelt, in einigen Ländern         relevant, denn der Rohstoffabbau wirkt sich auf
gibt es nationale Netzwerke. Manche dieser          die entwicklungspolitischen Möglichkeiten der
NGOs werden seit Jahren von der internationa-       Länder extrem aus.
len Zivilgesellschaft unterstützt. Das Observa-       In der vorliegenden Broschüre geht es um
torio de Conflictos Mineros de América Latina       Probleme, die aus der Ausbeutung und dem

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Handel mit Rohstoffen resultieren, vor allem im   Bergbausektor unlängst zum „Entwicklungs-
Hinblick auf Menschenrechte sowie den sozi-       motor“. Beide Länder setzen auf Entwicklungs-
alen und ökologischen Bereich. Aufgrund der       modelle, in denen Rohstoffexporte eine tragen-
Vielfalt von Ressourcen und Ländern, wurden       de Rolle spielen.
beispielhaft die Rohstoffe Kupfer, Gold und         Das Bestreben des Nordens, für sich den
Kohle (Bergbau) gewählt. Bei den Ländern be-      günstigen Zugang zu Rohstoffen zu sichern,
schränken wir uns auf Kolumbien und Peru,         schlägt sich beispielhaft in der Rohstoffstrate-
da die Problematik hier besonders hervorsticht    gie der Bundesregierung und der „Rohstoffini-
und sich aktuell Freihandelsverträge mit der EU   tiative“ der Europäischen Union nieder. Dage-
im Ratifizierungsprozess befinden.                gen finden die Auswirkungen des Bergbaus auf
  In Kolumbien und Peru sind Menschenrechts-      Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung in
verletzungen und Umweltzerstörung als Folge       den rohstoffexportierenden Ländern wenig bis
des expandierenden Bergbausektors an der Tages-   gar keine Beachtung.
ordnung. Das Fehlen von Mechanismen demo-           Die Beispiele aus Peru und Kolumbien zei-
kratischer Mitbestimmung und fehlende Teilhabe    gen die dringende Notwendigkeit auf, intensiv
bei den Abbauprojekten, die grundlegende Ver-     über Alternativen zum industriellen Bergbau zu
änderungen für den Lebensalltag der Bevölke-      diskutieren. Mit der zunehmenden Aufmerk-
rung und ihrer wirtschaftlichen Grundlage nach    samkeit, die kritische NGOs und soziale Bewe-
sich ziehen könnten, sind weitere Probleme.       gungen dem Thema widmen, ist ein Anfang ge-
Peru ist bereits ein bedeutender Exporteur von    macht.
Bodenschätzen und Kolumbien erklärte den

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KAPITEL 1

EINLEITUNG
Die Europäische Union hängt wirtschaftlich vom       stoffpolitiken im Bergbau-Sektor dar. Dazu wird
Import von Rohstoffen ab. Dabei geht es nicht        zunächst ein Blick auf den weltweiten Kon-
nur um Energieträger wie Erdöl, Gas oder Kohle,      sum und die Verwendung von Rohstoffen ge-
sondern auch um nicht-energetische minerali-         worfen. Anschließend werden die europäische
sche Rohstoffe wie Erze und Metalle. Die Indus-      „Rohstoffinitiative” und die „Rohstoffstrate-
trie sieht deren freie Verfügbarkeit als gefährdet   gie der Bundesregierung” vorgestellt und ihre
an. Auf Druck von Unternehmen hin haben so-          Auswirkungen auf die Förderländer des globa-
wohl die Europäische Union als auch Deutsch-         len Südens analysiert. Am Beispiel Kolumbien
land in den letzten Jahren Rohstoffstrategien        und Peru sollen dann einige der gravierenden
entwickelt, in deren Mittelpunkt die Sicherung       Probleme dargestellt werden, die der industrielle
von Rohstoffen steht. Als Hauptproblem der           Bergbau mit sich bringt. Mit beiden Ländern hat
Rohstoffversorgung machen die Europäische            die EU ein Freihandelsabkommen ausgehandelt,
Kommission und die Bundesregierung Wett-             das der Rohstoffindustrie weiteren Auftrieb ge-
bewerbsverzerrungen wie die Anwendung von            ben wird. Zum Schluss sollen einige Lösungs-
Exportsteuern und Beschränkung von Investiti-        ansätze für eine gerechtere Verteilung der Ein-
onen in den Förderländern aus. Die Interessen        nahmen aus dem Bergbau und die Verringerung
der rohstoffreichen Länder, deren Bevölkerun-        der Schäden sowie die Debatte über Alternati-
gen in den meisten Fällen bisher nicht von den       ven zum derzeitigen Rohstoffmodell vorgestellt
Rohstoffen profitieren konnten, werden dabei         werden, wie sie in Lateinamerika geführt wird.
kaum berücksichtigt. Gerade der Bergbausektor          Das Thema Rohstoffe hat unterschiedliche
weist häufig eine verheerende Menschenrechts-        Dimensionen. Es umfasst menschenrechts-,
und Umweltbilanz auf. Die negativen externen         umwelt-, sicherheits- entwicklungs- und wirt-
Effekte der Rohstoffausbeutung fallen in den         schaftspolitische Aspekte. Hier soll es um Pro-
Förderländern an, die sozialen Kosten werden         bleme gehen, die aus der Ausbeutung von und
im Preis eines Rohstoffes hingegen nicht abge-       dem Handel mit Rohstoffen resultieren, vor al-
bildet.                                              lem im Hinblick auf Menschenrechte sowie den
  Die vorliegende Publikation stellt am Beispiel     sozialen und ökologischen Bereich. Der Schwer-
von Kolumbien und Peru die negativen Auswir-         punkt liegt auf Rohstoffen aus dem Bergbau,
kungen der europäischen und deutschen Roh-           wie Kupfer, Gold und Kohle.

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KAPITEL 2

ROHSTOFFKONSUM: EUROPA ALS
ÜBERDURCHSCHNITTLICHER
VERBRAUCHER
Die Zeiten billiger und scheinbar im Überfluss      Import zahlreicher Rohstoffe ab, die innerhalb
vorhandener Rohstoffe sind vorbei. Obwohl           der EU nicht oder nur in geringem Maße vor-
heute 30 Prozent weniger, erneuerbare und           handen sind (European Commission 2008: 3)1.
endliche, natürliche Ressourcen nötig sind, um      Die Abhängigkeit umfasst sowohl Energie-
einen Euro zu erwirtschaften als 30 Jahre zuvor,    ressourcen wie Öl und Gas als auch Mineralien,
steigt deren Verbrauch nach wie vor an (Friends     Metalle oder Holz. Um ein Mobiltelefon herzu-
of the Earth 2009: 23). Aufgrund des hohen          stellen sind beispielsweise 40 unterschiedliche
Verbrauchs in den industrialisierten Ländern so-    Rohstoffe notwendig, für einen Computer so-
wie des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachs-         gar 60 (Bleischwitz / Pfeil 2009: 23). Nach An-
tums in Schwellenländern wie Brasilien, Indien      gaben des Bundesverbandes der Deutschen In-
oder China, werden Preisniveau und Konsum           dustrie (BDI) werden 80 Prozent der Rohstoffe,
auch zukünftig steigen.                             die Deutschland importiert, als verarbeitete Pro-
  Die Europäische Union (EU) produziert und ex-     dukte wieder exportiert (BDI 2007: 6).
portiert hauptsächlich verarbeitete Güter, wofür      Ein durchschnittlicher EU-Bürger verbraucht
sie stark von importierten Rohstoffen abhängt.      43 Kilogramm Rohstoffe pro Tag. In Asien sind
Etwa 70 Prozent der EU-Importe sind Rohstoffe       es 14 Kilogramm und in Afrika zehn. Wenn-
oder Zwischenprodukte, während ärmere Län-          gleich andere Regionen wie Nordamerika (90 kg
der des globalen Südens überwiegend unverar-        pro Kopf und Tag) und Ozeanien (100 kg) noch-
beitete Rohstoffe exportieren (WTO 2010: 58).       mal deutlich mehr verbrauchen, ist die EU ein
Wirtschaftssektoren wie die Auto- und Che-          überdurchschnittlicher Verbraucher von Roh-
mieindustrie oder das Bauwesen hängen vom           stoffen. Etwa 23 Prozent der weltweit gehan-

   ROHSTOFFE
   Rohstoffe sind die materielle Grundlage der industrialisierten Wirtschaft. Seien es Kabel,
   Baumaterialien, Elektronikprodukte, Maschinen, Kleidung, Lebensmittel oder Verpackungs-
   materialien: Es gibt keine Gebrauchsgüter, die im Verlauf ihrer Herstellung nicht auf Rohstoffe
   angewiesen sind. Diese werden in der Regel in drei Gruppen unterteilt: Energieträger, mine-
   ralische Rohstoffe (Erze und Metalle) sowie Agrargüter. Zu den Energieträgern zählen vor
   allem Erdöl, Erdgas und Kohle. Das Spektrum der mineralischen Rohstoffe ist vielfältig und
   umfasst zum Beispiel Eisen, Nichteisenmetalle wie Aluminium, Blei, Kobalt, Kupfer, Zink und
   seltene Erden sowie Edelmetalle wie Gold, Silber oder Platin. Agrargüter sind nachwachsende
   Rohstoffe, wie Getreide, Kaffee oder Baumwolle. Mit 59 Prozent aller Metalle und Erze, 63
   Prozent der Kohle und 64 Prozent des Erdöls stammt ein Großteil der Rohstoffe aus ärmeren
   Ländern (EvB 2011: 26 ff.).

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KUPFERERZKONZENTRAT IN DER ANLAGE VON EUROPAS GRÖSSTEM KUPFERPRODUZENTEN (FOTO: AURUBIS AG, WWW.AURUBIS.COM)

delten Rohstoffe werden von der EU importiert,             erster Linie ressourcenreiche Regionen in Län-
die somit die Region mit den höchsten Netto-               dern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wenn-
Importen von Rohstoffen darstellt (WTO 2010:               gleich der Wunsch vieler Länder des Südens,
59 und Friends of the Earth 2009: 21f.).                   die westlichen und nördlichen Konsummuster
    Am besten verdienen daran transnationa-                zu kopieren, verständlich ist, ist das klassische
le Konzerne. Von allen Geschäftsbereichen                  Wachstumsmodell nicht in der Lage, diese ne-
sind die Gewinnmargen in der Bergbauindus-                 gativen Effekte zu minimieren. Das im globalen
trie weltweit am höchsten (De Echave 2011:                 Norden bestehende Wirtschaftssystem, das auf
64). Rohstoffe sind jedoch endlich und deren               einem enorm hohen Rohstoffverbrauch basiert,
Ausbeutung zieht bisher in den meisten Fällen              ist die grundlegende Ursache des Problems. Der
verheerende Folgen nach sich. Negative exter-              Lösungsansatz der EU und Deutschlands be-
ne Effekte wie Menschenrechtsverletzungen,                 steht bisher jedoch darin, die Anstrengungen
die Verseuchung von Luft, Wasser und Böden                 zur Sicherung von Rohstoffen für die eigene In-
sowie schlechte Arbeitsbedingungen treffen in              dustrie zu erhöhen.

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KAPITEL 3

POLITIK FÜR UNTERNEHMEN:
DIE ROHSTOFF-STRATEGIEN DER EU
UND DEUTSCHLANDS
Rohstoffpolitik galt lange Zeit als Nischenthe-       Im Jahr 2010 veröffentlichte die Kommission
ma. In den vergangenen Jahren hat die EU ihre       „Trade, Growth and World Affairs” als Teil der
Anstrengungen, eine kohärente Rohstoffstrate-       Europe-2020-Strategie, der „Wachstumsstra-
gie zu entwickeln, jedoch deutlich gesteigert.      tegie für das kommende Jahrzehnt”2. „Trade,
Da die Verfügbarkeit über Rohstoffe als unab-       Growth and World Affairs” hält an den bereits
dingbar für die Wettbewerbsfähigkeit Europas        zuvor formulierten Zielen der Liberalisierung von
angesehen wird und die Industrie auf mehr           Handel, Dienstleistungen, Investitionen und öf-
europäisches Engagement gedrängt hatte, ist         fentlichem Auftragswesen fest. Da der Zugang
das Thema mittlerweile in den Fokus der Poli-       zu Rohstoffen von strategischer Bedeutung für
tik gerückt. Im Jahr 2008 stellte die Europäische   die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sei,
Kommission mit der „Rohstoffinitiative” (Raw        werde sich die EU „weitestgehend auf die der-
Materials Initiative, RMI) erstmals eine gemein-    zeitigen Handelsregeln stützen, die Schaffung
same europäische Rohstoffpolitik vor, die den       eines Überwachungsinstruments für Ausfuhr-
Zugang europäischer Unternehmen zu wichti-          beschränkungen weiterverfolgen” und sich „in
gen Rohstoffen sicherstellen soll. Anfang 2011      den laufenden bilateralen Verhandlungen auf
wurde die Strategie aktualisiert.                   Regeln verständigen sowie die Möglichkeiten
                                                    multi- und plurilateraler Vorschriften weiter
                                                    sondieren” (European Commission 2010b: 8).
3.1 Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit               Ziel sei es, „die völlige Übereinstimmung mit
als oberstes Ziel: Global Europe und                den Entwicklungszielen der Armutsbeseitigung
Europe 2020                                         und der verantwortungsvollen Staatsführung
                                                    zu gewährleisten”(ebd.).
Den Rahmen für die derzeitige Rohstoffpolitik         „Trade, Growth and World Affairs” bekräftigt
bilden die breiter angelegten Strategien „Global    die Prinzipien, welche die EU in Verhandlungen
Europe” von 2006 und deren Nachfolgerin „Eu-        über Freihandel schon längst anwendet. Neu
rope 2020” von 2010. Das Hauptziel von „Global      ist lediglich das Bekenntnis, auch mit einzelnen
Europe - Competing the World” lag in der Erhö-      Ländern verhandeln zu wollen, sofern es nicht
hung der Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh-         möglich ist mit Länderblöcken zu verhandeln
men aus der EU. Im Rahmen von Freihandels-          (Paasch 2011). Tatsächlich findet jedoch auch
verträgen und den WTO-Verhandlungen sollten         dies längst statt: Die EU führte oder führt be-
Märkte für die EU geöffnet und die Bereiche         reits Verhandlungen mit Kolumbien und Peru
Dienstleistungen, Investitionen und öffentliche     (statt mit der Andengemeinschaft), Singapur
Ausschreibungen liberalisiert werden. Die Kom-      und Malaysia (statt mit dem Verband Südost-
mission erwähnt in Global Europe auch die Be-       asiatischer Nationen, ASEAN) und einzelnen
deutung von Rohstoff-Importen für europäische       afrikanischen Ländern.
Unternehmen (European Commission 2006: 7).

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3.2 Raw Materials Initiative: Sicherung                Im Juni 2010 veröffentlichte die Kommission
der Rohstoffe für Europa                             einen Bericht, der 41 Mineralien und Metalle
                                                     analysiert. Als Ergebnis werden bei 14 für die
Im Rahmen von Global Europe veröffentlichte          EU wichtige Rohstoffe Engpässe bei der Ver-
die Kommission die erste gemeinsame europä-          fügbarkeit befürchtet3. Die Sorge gilt dabei aus-
ische Rohstoff-Strategie im November 2008.           schließlich den Auswirkungen der Engpässe für
Die Raw Materials Initiative (RMI) basiert auf       die europäische Wirtschaft, nicht den bei der
drei Säulen: Sicherung des Zugangs zu Roh-           Förderung verursachten Umweltschäden oder
stoffen auf den Weltmärkten ohne Wettbe-             Menschenrechtsverletzungen (European Com-
werbsverzerrungen, Förderung der nachhaltigen        mission 2010a).
Versorgung durch Rohstoffe aus europäischen            Die im Februar 2011 veröffentlichte Mittei-
Quellen und Reduzierung des europäischen             lung der Kommission „Tackling the Challenges
Verbrauchs primärer Rohstoffe (European Com-         in Commodity Markets and on Raw Materi-
mission 2008: 5f.). Laut RMI sei für die Wettbe-     als” aktualisiert die RMI im Rahmen von „Euro-
werbsfähigkeit der EU ein diskriminierungsfrei-      pe 2020”. Die neue Mitteilung stellt das Thema
er Zugang zu Rohstoffen, also zu den gleichen        Rohstoffe in einen breiteren Rahmen, bekräf-
Bedingungen wie wirtschaftliche Konkurrenten,        tigt aber die bereits in der RMI ausformulier-
unabdingbar. Strategisch wichtige Rohstoffe          ten Prinzipien, wenn auch mit einigen kleinen
seien jedoch „zunehmend von Marktverwer-             Veränderungen: Zunächst wird eine Verbindung
fungen betroffen” (ebd.: 2.). Als Hauptproblem       zwischen der hohen Preisvolatilität auf den Roh-
macht die EU also Wettbewerbsverzerrungen            stoffmärkten und der Spekulation betont sowie
aus. Die erste Säule ist nicht nur in der RMI        mehr Transparenz und Regulierung der Märkte
die mit Abstand am weitesten ausgearbeitete.         gefordert (European Commission 2011: 6). Es
Auch in anderen Dokumenten wie „Global Eu-           wird hervorgehoben, die EU wolle ärmeren Län-
rope”, „Trade, Growth and World Affairs” und         dern helfen „umfassende Reformprogramme zu
dem „Raw Materials Policy 2009 Annual Re-            erarbeiten, in denen Ziele wie die Verbesserung
port” werden Wettbewerbsverzerrungen als             der Besteuerungssysteme für den Bergbau und
Problem genannt, während etwa die Reduzie-           die Erhöhung der Transparenz von Geldquellen
rung des eigenen Konsums nur als Randthema           und Verträgen oder der Fähigkeit, Einnahmen
behandelt wird. Die Kommission schlägt in der        zur Unterstützung von Entwicklungszielen zu
RMI eine „Rohstoffdiplomatie” vor, um den Zu-        verwenden, eindeutig benannt werden” (ebd.:
gang zu natürlichen Ressourcen zu sichern. Im        15). Ebenfalls neu ist, dass die Kommission
Rahmen von WTO-Verhandlungen und Frei-               als Ziel ausgibt, Entwicklungspolitik solle sich
handelsverträgen soll dies eine Priorität darstel-   „auch auf die Vernetzung der Abbaubetriebe
len und Wettbewerbsverzerrungen wie Export-          mit der örtlichen Wirtschaft konzentrieren, und
steuern sollen beseitigt werden (ebd.: 7).           zwar durch Verbesserung der Wertschöpfungs-

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kette und eine größtmögliche Diversifizierung”.     sozialer Fortschritt ohne gute Regierungsfüh-
Freihandelsabkommen sollten „zur Erreichung         rung, ohne Achtung der Menschenrechte und
dieses Ziels ausreichend flexibel gestaltet wer-    ohne Beachtung ökologischer und sozialer Stan-
den” (ebd.: 16).                                    dards nicht möglich ist” (BMWi 2010: 8). Kon-
  Dennoch geht es jenseits der leicht abgemil-      krete Vorschläge, wie dies bei der Rohstoffför-
derten Rhetorik auch in der Aktualisierung der      derung jenseits freiwilliger Leitlinien garantiert
RMI letztlich um den vorteilhaftesten Zugang        werden könnte und welchen Anteil Deutschland
zu Rohstoffen für die EU. Wettbewerbsverzer-        daran leisten will, macht sie allerdings nicht.
rungen werden als „wachsende Sorge” bezeich-          Themen wie Transparenz oder Recycling kom-
net (ebd.: 6). Es wird betont, dass die EU „im      men in der Strategie zwar vor, werden jedoch
Rahmen aller relevanten Verhandlungen, ob bi-       weiter hinten vergleichsweise kurz abgehandelt.
lateral oder multilateral [...] Handelsregeln für   Die Frage der Transparenz wird weitgehend in
Ausfuhrbeschränkungen vorgeschlagen” hat            die Zuständigkeit des Bundesministeriums für
(ebd.: 12). Die zweite und dritte Säule bekom-      Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
men in Aktualisierung der RMI etwas mehr            lung (BMZ) gelegt (ebd.: 23). Recycling, Sub-
Aufmerksamkeit. Die auf den Handel bezoge-          stitution von Rohstoffen und Materialeffizienz
nen Aspekte des Zugangs zu Rohstoffen ste-          werden zwar als wichtig erachtet, verbindliche
hen jedoch nach wie vor im Fokus der EU-Roh-        Ziele oder Regulierungsvorschläge für die Indus-
stoffstrategie.                                     trie jedoch nicht formuliert.
                                                      Als konkrete in der Strategie erwähnte Maß-
                                                    nahme wurde im Oktober 2010 die Deutsche
3.3 Erfolg für die Industrie: Die deutsche          Rohstoffagentur als Beratungseinrichtung und
Rohstoffstrategie                                   Schnittstelle zwischen Regierung und Unter-
                                                    nehmen bei der Bundesanstalt für Geowissen-
Zusätzlich zur europäischen RMI hat Deutsch-        schaften und Rohstoffe gegründet (ebd.: 20).
land eine eigene Rohstoff-Strategie entwickelt.     Zudem sieht die Strategie vor, zukünftig auch
Im Oktober 2010 veröffentlichte das Bundes-         auf bilaterale Rohstoffpartnerschaften zu set-
ministerium für Wirtschaft und Technologie          zen (ebd.: 24). Das erste Beispiel einer Um-
(BMWi) die „Rohstoffstrategie der Bundesre-         setzung ist die Mongolei, wo Bundeskanzlerin
gierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoff-     Angela Merkel im Oktober 2011 ein Rohstoff-
versorgung Deutschlands mit nicht-energeti-         abkommen mit der dortigen Regierung schloss4.
schen mineralischen Rohstoffen”. Wenngleich         Im Februar 2012 folgte Kasachstan, ein Land,
diese ressortübergreifend ausgearbeitet wurde,      dem selbst das Auswärtige Amt eine negati-
spielte das BMWi von allen beteiligten Minis-       ve Menschenrechtsbilanz bescheinigt5. Bun-
terien die bedeutendste Rolle in der Entstehung     desregierung und deutsche Industrie erhoffen
des Papiers. Die deutsche Rohstoffstrategie hat     sich in beiden Fällen den besseren Zugang zu
ebenso wie die RMI der EU die Reduzierung von       zahlreichen Rohstoffen, unter anderem den be-
Handelsbarrieren zum Ziel. Die Anwendung von        gehrten seltenen Erden6.
Exportrestriktionen wird als Bedrohung dar-           Insgesamt trägt die deutsche Rohstoffstra-
gestellt, und könne „mittelfristig Wachstum         tegie deutlich die Handschrift des Bundesver-
und Beschäftigung in Deutschland gefährden”         bandes der Deutschen Industrie (BDI). Dieser
(BMWi 2010: 9). Um die Sicherung der Roh-           hatte seit Jahren Lobbyarbeit zugunsten einer
stoffversorgung zu gewährleisten bietet die         deutschen und europäischen Rohstoffstrategie
Bundesregierung Unternehmen staatliche In-          gemacht. An der Ausarbeitung der deutschen
strumente wie Garantien für ungebundene Kre-        Rohstoffstrategie hat der BDI seit dem ersten
dite, Investitionsgarantien und Exportgarantien     Rohstoffkongress der damaligen rot-grünen
an (ebd.: 10).                                      Bundesregierung 2005 in einem „engen Dialog”
  Zwar erklärt die Bundesregierung, „dass nach-     mitgewirkt (Bundesregierung 2007: 5). Im Jahr
haltige Entwicklung sowie wirtschaftlicher und      2007 hatte der BDI in einem Bericht ein höheres

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Engagement der Politik gefordert. Darin hieß es,     gierungen häufig zu einer Erhöhung der Ausga-
die Bundesregierung solle durch Instrumente          ben und der Verschuldung. Die Auswirkungen
der Handels-, Außenwirtschafts-, Außen- und          fallender Preise können für die Wirtschaft an-
Entwicklungspolitik die Versorgung deutscher         schließend drastische Auswirkungen haben.
Unternehmen mit Rohstoffen verbessern (BDI           Ein weiteres Problem ist die sogenannte Hol-
2007: 18 ff.). Kurz darauf stellte die Bundes-       ländische Krankheit10: Eine Steigerung der Ein-
regierung ihre „Elemente einer Rohstoffstrate-       nahmen in Folge des Exports eines Rohstoffes
gie der Bundesregierung” vor, die grundlegende       ruft eine Überbewertung der eigenen Währung
Forderungen des BDI aufgreifen (Bundesregie-         hervor. Andere wirtschaftliche Sektoren, wie
rung 2007). Ebenso verhält es sich mit der 2010      etwa die verarbeitende Industrie, verlieren an
vorgestellten Rohstoffstrategie, die den Interes-    Wettbewerbsfähigkeit. Exporte werden teurer,
sen der Industrie entspricht, die Auswirkungen       Importe billiger, eine Deindustrialisierung ist
auf die Förderländer aber weitgehend ausblen-        die Folge (WTO 2010: 91 ff.). Hinzu kommt in
det. Zahlreiche deutsche Nichtregierungsor-          der Regel weit verbreitete Korruption bei Re-
ganisationen kritisierten die Strategie der Bun-     gierungen und Unternehmen. Da die Staatsein-
desregierung in einer zeitgleich veröffentlichten    nahmen in rohstoffreichen Ländern zu einem
Stellungnahme7.                                      Großteil auf Exportsteuern und -zöllen statt auf
                                                     einem transparenten Steuersystem beruhen,
                                                     sehen Regierungen kaum Anreize, der Bevöl-
   DER BDI                                           kerung gegenüber Rechenschaft über die Ver-
   Der Bundesverband der deutschen In-               wendung der Einnahmen abzulegen. Transna-
   dustrie (BDI) ist eine Lobbyorganisation,         tionale Konzerne wiederum können sich durch
   die die Interessen der Industrie gegen-           verdeckte Zahlungen an korrupte Regierungen
   über Politik und Öffentlichkeit vertritt.         Förderverträge sichern (EvB 2011: 302 ff.). Auf
   Mitglieder sind 38 Branchenverbände der           legale Art und Weise umgehen Unternehmen
   Industrie und industrienaher Dienstleis-          zudem häufig die Zahlung von Steuern, indem
   tungsbranchen, die insgesamt 100.000              sie ihre Gewinne kleinrechnen (EvB 2011: 268
   Unternehmen umfassen8. Als Ziele gibt             ff., Oberland 2011: 6 ff.). Durch ein bestehendes
   der BDI die Stärkung der internationalen          Netz an Tochterfirmen ist es Unternehmen auf
   Wettbewerbsfähigkeit und des Industrie-           dem Papier möglich, aus einem Förderland bei-
   landes Deutschland, ein höheres und               spielsweise Rohstoffe zu einem niedrigen Preis
   nachhaltigeres Wachstum sowie eine                in eine Steueroase zu exportieren und von dort
   Beschränkung staatlichen Einflusses auf           dann den tatsächlichen Verkauf an den End-
   die Wirtschaft an. Laut Selbstdarstellung         kunden zu tätigen. Dadurch sind im Förderland
   sorgt der BDI unter anderem für „die po-          selbst weniger Einnahmen zu versteuern. Die-
   litische Flankierung internationaler Markt-       ses so genannte Transfer Pricing ist aufgrund
   erschließung”9.                                   fehlender Regulierung in der Regel vollkommen
                                                     legal (ebd.). Nach unterschiedlichen Schätzun-
                                                     gen belaufen sich die Steuerverluste der ärme-
                                                     ren Länder, die durch die Steuerminimierung von
3.4 Auswirkungen auf die Förderländer:               Unternehmen verursacht werden, auf deutlich
Exportsteuern und Investitionen                      mehr als die weltweit jährlich gezahlten 129
                                                     Milliarden US-Dollar aus der Entwicklungszu-
Ressourcenreiche Länder hängen häufig vom            sammenarbeit (EvB 2011: 280).
Export weniger Rohstoffe ab, in manchen Fäl-            Im sozialen und ökologischen Bereich verurs-
len sogar vom Export eines einzigen. Die für         acht die Ausbeutung von Rohstoffen häufig gra-
den Rohstoffmarkt charakteristischen Preis-          vierende Schäden und Konflikte. Der viel zitierte
schwankungen erschweren makroökonomische             „Ressourcenfluch” tritt jedoch nicht zwangsläu-
Planung. In Zeiten hoher Preise tendieren Re-        fig ein. Rohstoffreiche Länder könnten durchaus

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von ihrem Reichtum profitieren und die Einnah-       gesamt 1.233 unterschiedliche Exportrestrik-
men dazu verwenden, die Situation der Bevöl-         tionen in 19 untersuchten Ländern (European
kerung in Bereichen wie Ernährung, Gesundheit        Commission 2009: 11). Die meisten der Restrik-
oder Bildung zu verbessern, die eigene Indus-        tionen wurden in größeren Ländern wie Argen-
trialisierung voranzutreiben und die Wirtschaft      tinien, Ukraine, China, Russland und Südafrika
zu diversifizieren. Norwegen (Erdöl) und Bots-       festgestellt, aber auch ärmere Länder, vor allem
wana (Diamanten) bieten Beispiele für eine in        in Afrika, verwenden Exportrestriktionen.
dieser Hinsicht erfolgreichere Rohstoffpolitik. In      Der zweite bedeutende Bereich, in dem die EU
den meisten Fällen profitieren jedoch in erster      Regeln durchsetzen will, die den europäischen
Linie korrupte Eliten.                               Konzernen nützen, sind Investitionen. Schutz-
  Die EU-Politik erschwert es den Förderländern      klauseln für ausländische Investitionen finden
zudem vorn vornherein, vom Export ihrer Roh-         sich in bilateralen Investitionsschutzabkommen
stoffe zu profitieren. Die zwei Bereiche, in de-     (Bilateral Investment Treaties, BITs), aber auch
nen die EU wettbewerbsverzerrende Maßnah-            in Freihandelsverträgen (Free Trade Agreements,
men eliminieren will sind Exportsteuern und          FTAs). Derartige Vereinbarungen sollen auslän-
ausländische Direktinvestitionen. Auf verschie-      dische Direktinvestitionen absichern und stehen
denen Ebenen wie der WTO, bei Freihandels-           über dem jeweiligen nationalen Recht. Die EU
verträgen und Bilateralen Investitionsschutzab-      will vor allem die Bereiche Inländerbehandlung,
kommen wird darüber verhandelt.                      Investorenschutz und freien Kapitalverkehr im-
  Die Anwendung von Exportzöllen kann roh-           plementieren (Curtis 2010: 30). Inländerbe-
stoffreichen Ländern nutzen, sofern die Mehr-        handlung bedeutet, dass einheimische und aus-
einnahmen sinnvoll verwendet werden. In              ländische Investitionen nicht unterschiedlich
Europa selbst war die Verwendung von Ex-             behandelt werden dürfen. Der Investorenschutz
portsteuern ein wichtiges Instrument zuguns-         stattet Investoren mit bestimmten Rechten aus,
ten der industriellen Entwicklung (Third World       die den jeweiligen Regierungen für die Imple-
Network 2009: 3). Größere Länder, die eine be-       mentierung von Politiken, die den Investor be-
deutende Rolle auf dem Weltmarkt haben, kön-         treffen könnten, Schranken setzen. Unterneh-
nen im Gegensatz zu kleinen Ländern durch die        men können sich in vielen Fällen gar auf einen
Verwendung von Exportzöllen den Weltmarkt-           „enteignungsgleichen Eingriff” berufen, wenn
preis für bestimmte Rohstoffe in die Höhe trei-      zu erwarten ist, dass durch neue Arbeits- oder
ben. Auch die Umwelt kann davon profitieren,         Umweltgesetze ihre Gewinne vermindert wer-
sofern die Verwendung von Exportzöllen zu ei-        den. Durch einen freien Kapitalverkehr können
ner Verringerung der Exporte und weniger Roh-        Investoren ihre Gewinne aus dem Land trans-
stoffausbeutung führt (Curtis 2010: 17). Die         ferieren. Dies bedeutet, dass es einer Regierung
WTO verbietet die Anwendung von Export-              unmöglich gemacht beziehungsweise deutlich
beschränkungen nicht, sieht dieses Instrument        erschwert wird, Kapitalverkehrskontrollen ein-
aber kritisch (WTO 2010: 160 ff.). Auch die          zuführen, um das Land zum Beispiel vor spe-
Europäische Kommission erkennt an, dass Ex-          kulativem Kapital zu schützen. In der Regel
portbeschränkungen „unter bestimmten Bedin-          verpflichten sich Staaten mit Unterzeichnung
gungen” gerechtfertigt sein können (European         derartiger Abkommen zur Zahlung von Ent-
Commission 2009: 12). Dies gelte aber nur,           schädigungen im Falle von Enteignungen. Ver-
wenn Exportsteuern mit eindeutigen Regeln            stößt ein Staat nach Ansicht eines Unterneh-
und Zielen und für alle Marktteilnehmer zu glei-     mens gegen ein BIT, kann dieses Unternehmen
chen Bedingungen angewendet würden.                  in einem „Investor-Staat-Verfahren“ vor ein in-
  Dennoch stellt die Beseitigung beziehungs-         ternationales Schiedsgericht ziehen, ohne dass
weise Einschränkung dessen, was als „wett-           zuvor der nationale Rechtsweg erschöpft sein
bewerbsverzerrende” Maßnahmen bezeichnet             muss. Die meisten dieser Verfahren landen ge-
wird, ein prinzipielles Ziel der EU dar. Im Sep-     mäß den konkreten Bestimmungen der jewei-
tember 2009 benannte die Kommission ins-             ligen Abkommen beim Internationalen Zen-

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EU-LATEINAMERIKAGIPFEL IN MADRID 2010 – UNTERZEICHNUNG DES FREIHANDELSABKOMMENS MIT PERU UND KOLUMBIEN (FOTO: ANDINA/SERPRES)

trum für Investitionsstreitigkeiten (ICSID), dem                 Bedeutung gewonnen. Weltweit existieren heu-
Schiedsgericht der Weltbankgruppe.                               te etwa 3.000 BITs. Deutschland hat mit über
  Die Ausgangsbedingungen der Kontrahenten                       140 Staaten derartige Abkommen geschlossen,
sind dabei äußerst ungleich verteilt, da BITs in                 mehr als jedes andere Land11. Mit Inkrafttreten
der Regel zwischen Industrieländern auf der ei-                  des Lissabon-Vertrags der Europäischen Union
nen und ärmeren Staaten auf der anderen Sei-                     am 1. Dezember 2009 ging die Kompetenz zur
te geschlossen werden. Die Industrieländer,                      Aushandlung von BITs von den einzelnen Mit-
allen voran Deutschland, setzen einen bedin-                     gliedstaaten zur EU-Kommission über (Maes
gungslosen Investorenschutz durch. Im Streit-                    2010: 12). Eine Aufnahme von Pflichten für In-
fall können die ärmeren Länder den juristischen                  vestoren ist nicht vorgesehen. Die deutsche
Abteilungen großer Konzerne wenig entgegen                       Regierung und deutsche Wirtschaftsverbände
setzen. Hinzu kommen die Androhung des Ab-                       fordern, dass bei der Vereinheitlichung der bis-
zugs weiterer Investitionen und des Verlustes                    herigen BITs unter dem Dach der EU-Kommissi-
von Arbeitsplätzen sowie die Signalwirkung                       on das investorenfreundliche deutsche Muster-
für andere Unternehmen. Daher reicht in vielen                   BIT als Vorlage dient (Eberhard 2010: 22f. und
Fällen bereits die Drohung aus, damit Regierun-                  Everton, 2010: 14f.).
gen präventiv auf etwaige Enteignungen oder                        Die Laufzeit von BITs und FTAs ist in der Re-
enteignungsgleiche Eingriffe verzichten, selbst                  gel unbegrenzt. Eine Regierung kann diese zwar
wenn diese „zum Wohl der Allgemeinheit“ und                      kündigen, für bereits getätigte Investitionen gilt
gegen „angemessene“ Entschädigung (Markt-                        der Schutz jedoch bis zu mehrere Jahrzehnte
wert) in der Regel möglich wären. Viel wichtiger                 über die Kündigung hinaus. Durch die Unter-
als der Investorenschutz sind hingegen Mecha-                    zeichnung derartiger Verträge riskieren Staaten
nismen, die wirksam die Bevölkerung und die                      somit, ihr demokratisches Recht, über Wirt-
Umwelt vor Schäden schützen, die durch einen                     schafts-, Sozial-, und Umweltpolitik zu entschei-
Investor verursacht werden können.                               den, für lange Zeit stark einzuschränken. Will
  Da die Versuche, ein multilaterales Investiti-                 beispielsweise eine demokratisch gewählte Re-
onsschutzabkommen abzuschließen, geschei-                        gierung mit großem Rückhalt in der Bevölkerung
tert sind, haben bilaterale Investitionsschutz-                  Exportsteuern anwenden oder Investitionen be-
abkommen in den letzten Jahrzehnten an                           schränken, so wird dies durch die von der EU ge-

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wünschten Regeln deutlich erschwert. Letztlich        „wettbewerbsverzerrend” angesehen wird. Die
ist es komplizierter FTAs und BITs zu ändern als      zwei Bereiche, in denen die EU und Deutschland
nationale Verfassungen, die in der Regel durch        wettbewerbsverzerrende Maßnahmen eliminie-
entsprechende Parlamentsmehrheiten und Refe-          ren wollen, sind Exportsteuern und ausländische
renden reformiert werden können.                      Direktinvestitionen. Auf verschiedenen Ebenen
  Natürlich kann die Beschränkung von Exporten        wie der WTO, bei Freihandelsverträgen und Bi-
und Investitionen auch negative Effekte für ein       lateralen Investitionsschutzabkommen wird
Land haben. Um daraus Nutzen zu ziehen erfor-         darüber verhandelt. Damit gehen den Förder-
dert es verantwortungsvoller Politiken und funk-      ländern jedoch wichtige politische Gestaltungs-
tionierender Institutionen. Bei korrupten Regie-      möglichkeiten verloren. Da Exportsteuern und
rungen und Eliten, die zusätzliche Einnahmen in       Restriktionen von Investitionen unter günstigen
die eigene Tasche stecken und sich nicht für Ar-      politischen Bedingungen durchaus einem Land
beits- und Umweltbedingungen der extraktiven          nutzen können, dürfen die EU und Deutschland
Industrien interessieren, werden Bevölkerung und      diese nicht per se unterbinden. Andere von der
Umwelt kaum profitieren. Sowohl die Verteilung        EU vertretene Ziele, wie etwa der Kampf gegen
zwischen transnationalen Unternehmen und Re-          Armut und Menschenrechtsverletzungen, und
gierungen, als auch die interne Verteilung der Ein-   einige der UN-Millenniumsziele wie eine Verbes-
nahmen muss zugunsten der Bevölkerung ausfal-         serung des Zugangs zu Trinkwasser und Bildung
len. Im Gegensatz zu dem hier angesprochenen          werden durch die RMI offen konterkariert. In der
Schiedsgericht und ähnlichen Institutionen fehlen     Mitteilung „Tackling the Challenges in Commodi-
solche juristischen Möglichkeiten für Menschen-       ty Markets and on Raw Materials”, die im Februar
rechtsverletzungen durch Unternehmen, hier gibt       2011 veröffentlicht wurde, gibt sich die Europä-
es einen erheblichen Reformbedarf.12                  ische Kommission rhetorisch zwar etwas milder.
                                                      Unter anderem erwähnt sie, dass Entwicklungs-
                                                      länder mehr Anteil an der Wertschöpfungsket-
3.5 Zusammenfassung                                   te erhalten und Handelsabkommen in dem Zu-
                                                      sammenhang flexibel gestaltet werden sollten.
Die Rohstoffstrategien der EU und Deutschlands        Um die rhetorischen Neuerungen umzusetzen,
sind darauf ausgerichtet, die Versorgung der ein-     müsste die EU ihre bisherige Handelspolitik je-
heimischen Unternehmen mit Rohstoffen zu              doch radikal umstellen. Die in der neuen Mit-
gewährleisten. Negativen externen Effekten für        teilung angesprochene Flexibilität ist nicht er-
rohstoffreiche Länder wird hingegen kaum Be-          sichtlich. Die RMI ist somit durch ein Fehlen von
achtung geschenkt. Ihnen wird nicht einmal das        Kohärenz zu anderen von der EU formulierten
Recht zugestanden, eine eigene Rohstoffpolitik        Politikzielen gekennzeichnet13. Kohärent scheint
umzusetzen, um etwa ihre Einnahmen zu erhö-           sie einzig gegenüber den Interessen der deut-
hen oder die Umwelt zu schützen, da dies als          schen und europäischen Industrie zu sein.

                                                - 14 -
KAPITEL 4

BERGBAU IN LATEINAMERIKA:
BOOM MIT NEBENWIRKUNGEN
Die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Res-       darauf folgenden zwei Jahrzehnten heftig an.
sourcen ist für Lateinamerika nichts Neues. Seit     Die Bevölkerungen profitierten von dem Boom
der Eroberung durch europäische Kolonialmäch-        jedoch kaum. Eine offen neoliberale Bergbaupo-
te dient der Kontinent als Lieferant von Rohstof-    litik verfolgen heute nur noch wenige Länder in
fen. Der Extraktivismus, eine auf höchstmögliche     Lateinamerika, darunter Chile und Kolumbien.
Ausbeutung von Rohstoffen und Agrarland für          Auch Peru gehört dazu, wenngleich sich mit
den Export ausgerichtete Entwicklungsstrategie,      dem Regierungswechsel im Juli 2011 der Versuch
prägt die wirtschaftlichen und sozialen Struk-       einer etwas größeren Regulierung abzeichnet.
turen der meisten Länder des Subkontinents              Gerade der Bergbausektor generiert vergleichs-
bis heute wesentlich. Derzeit befindet sich der      weise geringe staatliche Einnahmen. Doch
Bergbau in einer Boom-Phase. Lag der Anteil La-      durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse
teinamerikas am weltweiten Bergbau 1990 noch         zugunsten sozialer Bewegungen und (Mitte-)
bei zwölf Prozent, so betrug er 2009 bereits 35      Linksregierungen seit der Jahrtausendwende,
Prozent (Padilla 2011a). Seit gut zehn Jahren ist    konnten einige Länder ihre Einnahmen aus den
Lateinamerika die Weltregion, die den größten        Rohstoffverkäufen deutlich erhöhen. Dies trifft
Teil der Investitionen im Bergbaubereich anzieht.    vor allem auf Venezuela und Bolivien (Erdöl und
Unter den zehn Ländern mit den höchsten In-          Gas) zu. Dabei wird jedoch weder das extrakti-
vestitionen befinden sich mit Peru (3.), Mexiko      ve Wirtschaftsmodell, das auf die größtmögli-
(6.), Chile (7.) und Brasilien (9.) insgesamt vier   che Rohstoffausbeutung setzt, in Frage gestellt,
lateinamerikanische Länder (De Echave 2011: 65       noch werden entschlossen Maßnahmen gegen
f.). In Folge der Schuldenkrise der 1980er Jahre     die negativen Auswirkungen dieses Modells
war den meisten lateinamerikanischen Staaten         eingeleitet. Vielmehr hat sich ein „neuer Extrak-
von Weltbank und dem Internationalen Wäh-            tivismus” etabliert, der durch eine Ausweitung
rungsfonds (IWF) als Bedingung für den Erhalt        der staatlichen Sozialabgaben legitimiert wird.
von Krediten eine Deregulierung der Wirtschaft       Dieser bringt jedoch nur kurzfristige Vorteile
und Verschlankung des Staates auferlegt wor-         (Gudynas 2009, vgl. Kapitel 5.4).
den. Dazu gehörte auch die Privatisierung des           Sowohl „alter” als auch „neuer Extraktivismus“
Bergbausektors. Ein neoliberales Investitionskli-    sorgen für zahlreiche soziale und ökologische
ma sowie eine schwache Arbeits- und Umwelt-          Probleme und Konflikte, wie etwa die Vertrei-
gesetzgebung zogen transnationale Bergbaukon-        bung von Menschen, die Zerstörung von Öko-
zerne an. Diese erhielten von den Regierungen        systemen und landwirtschaftlichen Nutzflächen
der Region häufig noch zusätzlich Steuervorteile     sowie die Verschmutzung von Wasservorrä-
und Subventionen, etwa bei Energiekosten und         ten. Das Observatorio de Conflictos Mineros de
Infrastrukturprojekten (Padilla 2011a). Während      América Latina (OCMAL), ein Zusammenschluss
die Preise für die meisten Rohstoffe zur Zeit der    von über 40 Nichtregierungsorganisationen, die
Privatisierungen niedrig waren, zogen sie in den     sich dem Bergbau in der Region in seiner jetzigen

                                               - 15 -
Form widersetzen, zählt im Bergbaubereich 155        dor unter den vorgegebenen Bedingungen nicht
größere Konflikte zwischen lokaler Bevölkerung       weiter verhandeln wollten, beschloss die EU, nur
und Unternehmen in Lateinamerika, die 168 ver-       mit Kolumbien und Peru einen reinen Freihan-
schiedene Projekte und 205 Ortschaften betref-       delsvertrag abzuschließen (Fritz 2010: 5). Das
fen14. Am stärksten betroffen sei Peru mit 26        Abkommen erschwert die Anwendung von Ex-
Konflikten, gefolgt von Chile (25), Argentinien      portsteuern erheblich. Diese können nur vorü-
(24), Brasilien (21) und Kolumbien (16). In La-      bergehend in besonderen Situationen und we-
teinamerika tätig sind vor allem Bergbauunter-       nigen Ausnahmefällen erhoben werden (Art.25
nehmen aus den USA, Kanada, Australien, der          und 106). Die Investment-Bestimmungen gehen
Schweiz und mittlerweile auch China. Als Bezie-      über die Regeln der WTO hinaus und enthalten
her lateinamerikanischer Rohstoffe spielt die EU     die Liberalisierung von Investitionen, Patenten,
jedoch bereits eine wichtige Rolle. Auch wenn        Wettbewerbsrecht und öffentlichem Auftrags-
Afrika augenblicklich mehr vom europäischen          wesen. Inländerbehandlung für Investoren wird
Rohstoffhunger betroffen ist15, rückt Latein-        garantiert, so dass die Regierungen keinerlei Re-
amerika zunehmend ins Zentrum des Interesses.        striktionen auferlegen dürfen (Art. 113 und 114).
Im Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung         Der freie Kapitalfluss soll gemäß dem Abkom-
nimmt das Thema der Energie- und Rohstoffver-        men von allen Ländern zugesichert werden. Re-
sorgung Deutschlands einen wichtigen Stellen-        striktionen oder Schutzmaßnahmen dürfen nur
wert ein (Auswärtiges Amt 2010: 39). In seiner       vorübergehend und als Ausnahme angewendet
Bewertung der jüngsten Aktualisierung der RMI,       werden, aber niemals als Schutzinstrument für
erwähnt der Rat der Europäischen Union Latein-       einzelne Industrien (Art.169 und 170).
amerika ausdrücklich als Lieferant von Rohstof-        Das Freihandelsabkommen enthält eine all-
fen (Council of the European Union 2011: 5).         gemeine Menschenrechtsklausel (Art.1), die
Das Europäische Parlament legt der Kommission        schwächer formuliert ist als jene im Allgemei-
in einer im September 2011 verabschiedeten Re-       nen Präferenzsystem (GSP), mit dem die EU
solution nahe, die Rohstoffversorgung zu diver-      ärmeren Ländern bestimmte Zollerleichterun-
sifizieren und dabei explizit auch Lateinamerika     gen gewährt. Kolumbien und Peru würden bei
mit einzubeziehen (European Parliament 2011).        Ratifizierung des Freihandelsabkommens aus
  Tatsächlich wendet die EU längst Prinzipien        dem GSP herausfallen. Bevor das Abkommen in
aus der RMI in Verhandlungen mit lateiname-          Kraft tritt muss es noch ratifiziert werden. Ne-
rikanischen Ländern an. Im Jahr 2010 unter-          ben dem Europäischen Parlament müssen die
zeichnete die EU mit Kolumbien und Peru ein          nationalen Parlamente Kolumbiens und Perus
Freihandelsabkommen, dass im Bezug auf Ex-           sowie sämtliche Parlamente der EU-Mitglieds-
portsteuern und Restriktionen von Investiti-         staaten zustimmen. Sollte das Abkommen in
onen den europäischen Vorstellungen aus der          Kraft treten, wird es extraktiven Industrien wie
RMI entspricht.                                      dem Bergbau zusätzlichen Auftrieb geben, weil
                                                     es die Rechte von Investoren stärkt.

4.1 Freihandel mit Kolumbien und Peru:
Anwendung der RMI in Lateinamerika                   4.2 Kolumbien: Menschenrechtsverlet-
                                                     zungen mit und ohne Bergbauboom
Auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai 2010
verkündete die EU offiziell den erfolgreichen Ab-    Mehr als 85 Prozent der EU-Importe aus Ko-
schluss der Verhandlungen über einen Freihan-        lumbien sind Rohstoffe wie Öl, Mineralien und
delsvertrag mit Kolumbien und Peru. Ursprüng-        Agrarprodukte. Die Exporte aus der EU nach
lich wollte die EU mit der Andengemeinschaft16       Kolumbien bestehen hingegen zu fast 90 Pro-
ein Assoziierungsabkommen schließen, das ne-         zent aus verarbeiteten Gütern.17
ben Freihandel die Bereiche politischer Dialog und     In Kolumbien werden seit Jahren massiv und
Kooperation umfasst hätte. Da Bolivien und Ecua-     systematisch die Menschenrechte verletzt.

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MARSCH ZUR ERINNERUNG AN DIE OPFER VON STAATSVERBRECHEN IN KOLUMBIEN AM 6. MÄRZ 2012 IN BOGOTA (FOTO: HUCK /KOLKO)

Auch unter der neuen Regierung von Juán Ma-                  schenrechtsverletzungen ist ein grundlegendes
nuel Santos ist die Situation weiter höchst be-              Problem. Darüber hinaus bespitzelte, bedrohte
sorgniserregend.18 Santos pflegt im Bezug auf                und behinderte der Geheimdienst DAS Journa-
Menschenrechte im Vergleich zu seinem Vor-                   listen, Politiker _ innen und Mitglieder zivilge-
gänger zwar eine deutlich positivere Sprache,                sellschaftlicher Organisationen, die sich kritisch
jedoch hat sich die Situation in seiner Amts-                mit der Regierungspolitik, unter anderem mit
zeit beispielsweise für die Situation der Men-               dem Freihandelsvertrag auseinander setzten.
schenrechtsverteidiger _ innen de facto noch                 Auch Mitglieder des Europäischen Parlaments
verschlimmert. In den vergangenen 25 Jahren                  und europäischer NRO waren davon betroffen
wurden mehr als vier Millionen Menschen ver-                 (Fritz 2010: 6 ff.). Die Durchsetzung einer inve-
trieben. Nach der Verabschiedung des Gesetzes                storenfreundlichen, exportorientierten Ökono-
für Landrückgabe unter der aktuellen Regierung               mie, gewaltsame Landnahme durch das Agro-
wurden zahlreiche Gemeindesprecher _ innen                   business, Erschließung von Bodenschätzen und
und Menschenrechtsaktivist _ innen ermor-                    die Bekämpfung von Gewerkschaften wurden in
det, die sich für eine Landrückgabe einsetzen.               den vergangenen 25 Jahren maßgeblich durch
Menschenrechtsverteidiger _ innen          werden            paramilitärische Gruppen gewährleistet. (Ze-
durch Drohungen, Kriminalisierung und Diffa-                 lik 2009: 205 ff.). Vielfältige Beziehungen zwi-
mierungskampagnen massiv daran gehindert,                    schen Militär, Geheimdienst, Politikern und
sich für den Schutz der Menschenrechte einzu-                Paramilitärs konnten nachgewiesen werden.
setzen. Über 500 Gewerkschaftsführer _ innen                 Würde eine Menschenrechtsklausel, wie sie in
wurden seit 2002 getötet. Damit ist Kolum-                   dem FTA mit der EU enthalten ist, ernst genom-
bien das gefährlichste Land für Gewerkschafter               men, müsste sie im Falle Kolumbiens im selben
weltweit. Als Folge sind lediglich fünf Prozent              Moment angewendet werden, in dem das Frei-
der kolumbianischen Arbeiter _ innen gewerk-                 handelsabkommen mit der EU in Kraft tritt.
schaftlich organisiert. In den vergangenen Jahren               Zwar macht der Bergbau in Kolumbien bisher
tötete das Militär vielfach Zivilist _ innen und             vergleichsweise geringe 1,5 Prozent des Brutto-
präsentierte sie als im Gefecht gefallene Gueril-            inlandsproduktes aus. Doch Bergbaukonzerne
leros. Bisher wurden nur ganz wenige Verant-                 haben bereits für mindestens 40 Prozent des
wortliche verurteilt. Die Straflosigkeit für Men-            gesamten kolumbianischen Territoriums Kon-

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zessionen beantragt19. Die kolumbianische Re-         Die Menschenrechtsbilanz im Kohleberg-
gierung unterstützt den industriellen Bergbau       bau fällt äußerst negativ aus. Die Bedrohung
massiv. Dies gilt sowohl für die Präsidentschaft    und Ermordung von Gewerkschafter _ innen
von Álvaro Uribe Vélez (2002 bis 2010)20, als       fand mit großer Wahrscheinlichkeit häufig mit
auch für seinen Nachfolger Santos, der den          dem Wissen oder sogar im Auftrag von Berg-
Bergbausektor zum Motor für die wirtschaft-         bauunternehmen statt. Durch zahlreiche Zeu-
liche Entwicklung erklärt hat.                      genaussagen gut belegt ist zum Beispiel, dass
                                                    Mitarbeiter _ innen des US-Bergbaukonzerns
                                                    Drummond, der im Departamento Cesar Stein-
4.2.1 Kolumbianische Kohle für Deutschland          kohle abbaut, mit Paramilitärs bei der Ermor-
                                                    dung von Gewerkschaftern zusammen gearbei-
Kolumbien ist der viertgrößte Kohleexporteur        tet haben (Zelik 2009: 218 f./ Reis 2009: 18 f.).
der Welt. 2010 wurden insgesamt etwa 75 Mil-        Als negative Effekte im Kohleabbau kommen
lionen Tonnen gefördert. Gut 95 Prozent davon       schlechte Arbeitsbedingungen, die Missach-
gehen in den Export, überwiegend nach Eur-          tung der in der von Kolumbien unterzeichneten
opa und in die USA. Laut Regierungsangaben          ILO-Konvention 169 vorgeschriebenen „freien,
soll die Produktion bis 2019 verdoppelt werden      vorherigen und informierten Zustimmung“ bei
(Fritz 2010: 7). Mit acht Millionen Tonnen ist      der Konsultation indigener Gruppen, die Ver-
Kolumbien hinter Russland der zweitgrößte Lie-      schmutzung von Umwelt und Wasser sowie
ferant des klimaschädlichen Energieträgers nach     die Vernichtung von Ackerland hinzu. Viele der
Deutschland21. Wenngleich die RMI der Euro-         Rohstoffvorkommen liegen auf indigenen Terri-
päischen Union auf Metalle und Mineralien be-       torien.
schränkt ist, gelten die dort formulierten Prin-      Aktuell ist der Fall von El Hatillo, das zum Mu-
zipien bezüglich der Erschließung von Reserven      nizip El Paso im Departamento Cesar gehört,
auf ähnliche Weise für den Bereich Kohle, auch      besonders dramatisch. Die kleine Ortschaft, die
wenn es dafür keine explizit ausformulierte Stra-   625 Einwohnerinnen und Einwohner umfasst,
tegie gibt. Der Abbau findet fast ausschließlich    ist von vier großen Bergbauprojekten umzingelt.
im Tagebau in den Departamentos La Guajira          Früher wurde in der Gegend Landwirtschaft be-
und Cesar statt, von wo die Kohle auf teilwei-      trieben, die während der letzten zehn Jahre al-
se über 100 Waggons umfassenden Zügen zu            lerdings so gut wie zum Erliegen gekommen ist.
Häfen an der Karibikküste transportiert wird.       In unmittelbarer Umgebung von El Hatillo för-
Etwa 90 Prozent der Kohleförderung wird von         dern Drummond, Glencore, der brasilianische
drei Unternehmen betrieben: Im Departamen-          Konzern Vale und das Unternehmen Colombian
to La Guajira fördert das Unternehmen Cerre-        Natural Ressources, das zu Goldman Sachs ge-
jón, das zu gleichen Teilen der britischen Anglo    hört, Kohle. Auf die Lebensbedingungen vor Ort
American, der australischen BHP Biliton und         hat dies verheerende Auswirkungen. In El Hatillo
der schweizerischen Xstrata gehört, jährlich        leiden über die Hälfte der Bevölkerung an chro-
mehr als 31 Millionen Tonnen Steinkohle. Der        nischen Atemwegserkrankungen durch die er-
US-Bergbaukonzern Drummond fördert im De-           höhte Feinstaubbelastung. Auch Reizungen von
partamento Cesar gut 22 Millionen Tonnen pro        Haut und Augen sind weit verbreitet. Der nahe-
Jahr. Das zum schweizerischen Konzern Glen-         gelegene Fluss wurde umgeleitet und ist stark
core gehörende Unternehmen Prodeco fördert          verschmutzt. Arbeitsplätze für die Mitglieder der
ebenfalls in Cesar etwa 12 Millionen Tonnen im      Gemeinde bieten die Bergbauprojekte nicht. Ge-
Jahr. Die im Kohlebergbau tätigen Unternehmen       rade einmal 15 Personen aus El Hatillo sind dort
zahlten aufgrund von Abschreibungen im Jahr         angestellt (Holguín 2011). Aufgrund der untrag-
2010 durchschnittlich nur vier Prozent Steuern      baren Zustände hat das kolumbianische Um-
auf ihre Gewinne.22 In Deutschland importie-        weltministerium die vier in der Umgebung von
ren fast alle kohleverstromenden Unternehmen        El Hatillo operierenden Bergbaukonzerne dazu
Kohle aus Kolumbien.                                verpflichtet, für eine Umsiedlung der Bewohne-

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