TRISTIA 26. OKTOBER 2018 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL
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Freitag, 26. Oktober 2018 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal Elbphilharmonie für Abenteurer | 1. Konzert MUSICAETERNA CHORUS & ORCHESTRA OF PERM OPERA VITALY POLONSKY CHORLEITUNG MICHAEL MEYLAC SPRECHER DIRIGENT TEODOR CURRENTZIS Philippe Hersant (*1948) Tristia (2016) Choroper für gemischten Chor und Instrumentalensemble auf 33 Texte von Ossip Mandelstam, Warlam Schalamow und aus russischen und französischen Gefangenenlagern ca. 80 Min. / keine Pause Es ist nicht gestattet, während des Konzerts zu filmen oder zu fotografieren. Ein Nach- oder Wiedereinlass in den Saal ist nur nach Freigabe durch das Einlasspersonal möglich.
WILLKOMMEN Der griechische Dirigent Teodor Currentzis und seine in Perm beheimateten music Aeterna- Ensembles haben in der Musikwelt einen abso- luten Hype ausgelöst – mit ihren radikalen, immer maximal intensiven Interpretationen. Da war es nur konsequent, dass Currentzis vor einigen Jahren auf ein Chorwerk des Kompo- nisten Philippe Hersant stieß, das Gedichte französischer Häftlinge vertont. Auf seine Anregung baute Hersant das Stück zur abend- füllenden Choroper »Tristia« aus, indem er Texte russischer Dichter einwob, die im Gulag- System litten. So entstand eine lose Abfolge von Szenen und Gedichten, in denen Trauer und Wut über die Umstände aufscheinen, aber auch die (illusorische?) Hoffnung auf eine freie, bessere Zukunft.
DIE MUSIK ODE AN DIE FREIHEIT Philippe Hersant: Tristia Die Zisterzienser-Abtei von Clairvaux, gelegen 250 km südöstlich von Paris, hat in ihrer 900-jährigen Geschichte freiwillige und unfreiwillige Weltabgeschiedenheit gesehen. Gegründet als Ort der mystischen Kontemplation, wurde sie nach der Aufhebung des Klosters 1806 als Staatsgefängnis weitergeführt und verwandelte sich in einen der grausamsten Massenkerker Europas. Bis heute dient sie als Haftanstalt; immerhin wurden die Zellen in den 1960er Jahren in einen Neben- flügel verlegt. Zwischen diesen beiden Polen, die das Gebäude repräsentiert, zwischen Meditation und Trostlosigkeit, bewegt sich Philippe Hersants Chor- Der Komponist Philippe Hersant werk Tristia. Der Kern des Stücks steht direkt mit dem Gefängnis in Verbindung. Denn 2004 startete in Clairvaux das Festival Ombres et Lumières (»Schatten und Licht«), das zeichnet wurden. Obwohl Hersant besonders der französischen Musikszene ver- die wechselvolle Historie der Abtei thematisierte – auch durch Gedichte heuti- bunden ist, vertonte er auch Texte klassischer deutscher Dichter sowie außer ger Häftlinge, die im Rahmen von Workshops europäischer Sprachen. Hersant ist Cineast und leidenschaftlicher Leser; seine entstanden. Der Komponist Philippe Hersant Arbeiten für den Film und zwei Opern zeugen von seiner Affinität zum bildhaften Die Abtei von Clairvaux vertonte anschließend ein Dutzend von ihnen, Ausdruck. Seine weitgehend tonale Musik bietet eine direkte emotionale Anspra- die sogar auf CD eingespielt wurden. Was dann che. Dazu kommt ein ausgeprägter Sinn für spirituelle Wirkungen, musikalisch folgte, war ein kleines Wunder. Hersant berich- verstärkt durch die Verwendung alter Kirchentonarten. tet: »Teodor Currentzis hat sie gehört und mich Diese Kombination von Textsensibilität, Klangschönheit und Spiritualität war gebeten, sie auf ein Werk von 75 Minuten aus- es vermutlich, die Teodor Currentzis an Hersants Chorsätzen angezogen hat. zudehnen. So wurde Tristia geboren.« Der griechische Dirigent, Musikdirektor des Opernhauses im russischen Perm, verknüpfte seinen Kompositionsauftrag jedoch mit einer inhaltlichen Weiterent- wicklung. Zum Teil auf seine Anregung geht die Idee zurück, das Originalwerk Spiritualität und politisches Statement auf Basis der französischen Häftlingstexte um russische Gedichte zu erweitern, Der 1948 geborene Philippe Hersant studierte die von Dichtern stammen, die Opfer des sowjetischen Gulag-Systems wurden. in Paris, wurde gefördert von Henri Dutilleux Dazu zählen etwa Warlam Schalamow und Ossip Mandelstam, der 1938 im und hatte Stipendien in Madrid und in seiner Arbeitslager starb. Geburtsstadt Rom. Seinen Job als Produzent Der Komponist verstand diese Auswahl dezidiert als politisches Statement, beim Radiosender France Musique flankierte wie er in einem Interview verriet, »auch wenn ich das nicht gezielt beabsichtigt er bald mit eigenen Kompositionen, die seit habe. Schließlich kann man nicht außer Acht lassen, was in Russland derzeit den 90er Jahren mit etlichen Preisen ausge- geschieht.« Currentzis formulierte es so: »Wir müssen auf die Freiheit in unse-
DIE MUSIK rem Leben achtgeben. Sie ist das Kostbarste, was wir haben.« In Perm steht Atem. Einer von ihnen sehnt sich auf Korsisch nach seiner Heimat, ein anderer das einzige Gulag-Museum Russlands, das die Geschichte der mörderischen gibt sich das Pseudonym »Takezo«, nach einem Samurai des 17. Jahrhunderts, sowjetischen Arbeitslager aufarbeitet, seit einigen Jahren aber wieder massi- und übt sich in der Kunst der Haikus, japanischer Kurzgedichte. Aus dem Chor- ven staatlichen Kontrollen ausgesetzt ist. kollektiv treten immer wieder kleinere Formationen hervor, die durch das varia- ble Instrumentalensemble begleitet werden. »Ich wollte den intimen Charakter des Projekts bewahren«, sagt Hersant. Jeder Autor erhält so eine individuelle Moderne Gefangenenchöre Stimme; keiner der 33 Sätze gleicht in der Besetzung dem anderen. Als eine der Inspirationsquellen für Tristia nannte Hersant die Oper Aus einem Der Titel Tristia (»Klagelieder«) spielt auf Mandelstams gleichnamige Gedicht- Totenhaus, die Leoš Janáčeks auf Basis von Dostojewski schrieb – eine lose sammlung von 1922 an. Mandelstams Poeme von Abschied, Schuld, Exil und Abfolge von Szenen und Schicksalen in einem russischen Strafgefangenen- Liebe beziehen sich wiederum auf die Briefsammlung Tristia, die der römische lager, versehen mit dem Motto: »In jeder Kreatur ein Funke Gottes.« Ein Gedanke, Dichter Ovid während seiner Verbannung am Schwarzen Meer schrieb. Als zweite den wohl auch Tristia für sich reklamieren kann. Es setzt die Workshop-Arbeiten wichtige Anregung diente Hersant Dantes Göttliche Komödie aus dem frühen der französischen Gefangenen aus Clairvaux (die nur beim Vornamen genannt 14. Jahrhundert mit der berühmten Darstellung der Höllenkreise – ein Buch, werden) gleichberechtigt neben einige der schönsten russischen Gedichte. Mit das auch Mandelstam und Schalamow heilig hielten. »Man könnte sagen, dass entschiedener Ernsthaftigkeit verleiht Hersant jedem seiner Autoren Raum und es auch in Tristia verschiedene ›Kreise‹ oder Zyklen gibt«, erklärt Hersant, »ein wenig wie in Dantes Hölle.« Schlafsaal für ca. 60 Personen im Museum »Gulag 36« in Perm Die Höllenkreise von Tristia Der erste Kreis stellt mit den kurzen Miniaturen 1 bis 10 die Grundthemen des Werks vor: »Tristesse, Eingesperrtsein, geheime Hoffnungen«, so Hersant. Vor- angestellt ist ein Prosatext von Warlam Schalamow, der 17 Jahre in den Lagern des Gulag saß: Der Pfad beschreibt die wichtige Funktion von Poesie in tiefs- ter Einsamkeit – und ihr Verschwinden beim Auftauchen eines Störfaktors. Das Akkordeon beginnt einstimmig, wie umhertappend, zwingt sich dann zu einem Walzer. Aus seiner monotonen Linie destilliert Hersant ein Motiv, das im gesam- ten Stück präsent ist. Die Leere und Todesangst des folgenden Gedichts In der Einsamkeit reflektiert ein Solo-Alt. Nun folgen Texte der Clairvaux-Häftlinge. Das Grau als vorherrschende Farbe im Alltag der Gefangenen schimmert in Entre noir et blanc durch, nur ganz spar- sam von der Mundharmonika begleitet, wie das Akkordeon ein »Instrument der armen Leute«. Das ist kein Spott, sondern ein klanglich wirkungsmächtiges Eingehen auf den Kontext – ebenso wie ein Wiegenlied oder tonloses Flüstern. Der zweite Kreis von Tristia ist der kargen japanischen Haiku-Poesie des Häftlings Takezo gewidmet und teils mithilfe pentatonischer Melodien in fern- östliches Kolorit getaucht. Das Fagott ist hier ständiger Begleiter; in Fantômes (Geister) schamanenhaft rufend, wie der Geist, der im Text unter den Lidern des Schlafenden aufsteigt.
DIE MUSIK Verhaftet, fotografiert und deportiert von der Geheimpolizei: Warlam Schalamow (links, 1929) und Ossip Mandelstam (1934) Der dritte Kreis beginnt in größter Niedergeschlagenheit mit dem Gedicht schwarze Meditation begeben. Das folgende Gedicht der Gefan- Schwarze Kerze von Ossip Mandelstam. Bei seiner Deportation ins Straflager 1934 genen Nina wird mit Grabesstimme zu dumpfen Schlägen und wurde der jüdische Lyriker von seiner Frau Nadeshda begleitet. Hier singen zwei choralartigen Bläsern rezitiert. solistische Altstimmen im Wechsel, als wenn eine der anderen Leid trägt, und Die letzten drei Gedichte von Tristia deuten laut Hersant eine ein unablässig wiederholtes kleines Motiv flackert schwach wie ein Kerzenlicht. Erlösung an. Eine musikalische Hommage an die Dante-Zeit ist Das folgende Le temps qui passe lässt die quälend langsam verrinnende Zeit Der Stieglitz: Mandelstams Verse erscheinen als Ballata des 14. im monotonen Alltag eines Häftlings spürbar werden. Wie das Ticken einer Uhr Jahrhunderts. Auch sein Ich habe mich im Himmel verirrt spielt wiederholt das Cello ein kurzes Motiv; zudem halten die Sänger Metronome, auf Dante an. Hersant setzt die Verse des großen Poeten, der die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten schlagen. Auch die nächsten Sätze das Lager nicht überlebte, als eine ganz in sich versunkene begleitet das Solocello, mal als tanzender Schmetterling oder flatternder Vogel, Klangmeditation – ein russisches »Ich bin der Welt abhanden mal als Schmerzensstimme. In Portrait d’un misérable fährt Hersant zum ersten gekommen«. Den Ausklang bildet ein buddhistischer Traum des Mal prächtige Klänge auf: Zu »himmlischen Glockenklängen« feiert der Gefan- Clairvaux-Häftlings Takezo: eine alte japanische Melodie von gene seine Auferstehung mit einem inbrünstigen Kirchengesang. größter Ruhe, die am Ende im Nichts verschwindet. Im vierten Kreis erweitert sich die instrumentale Palette um Blech und »Stellen Sie Fragen, die Ihnen vorher nie in den Sinn gekom- Schlagwerk. Hersant nähert sich hier dem Milieu russischer »Bauernmusik« men sind«, fordert Philippe Hersant sein Publikum auf, und an, wie er auch den Rhythmus der russischen Gedichte als Inspirationsquelle zitiert Anne-Marie Sallé, die Festivalleiterin von Clairvaux, die benennt. Die Musik zu Schon wieder im Gefängnis kommt als derbes Marschlied mit ihren Gedicht-Workshops den Grundstein von Tristia legte: mit Trommelklängen daher, in der Folge werden Militärmusik und ihre groteske »Seine Schuld zu zahlen, ja. Aber der Sinn einer Strafe ist doch, Persiflage im Stile von Dmitri Schostakowitsch genutzt. Schließlich stimmt ein dass sie zur Aussicht auf Erlösung führt – auf ein anderes mög- Männerchor a cappella ein grimmiges Trinklied auf einen Fluss im ostsibirischen liches Leben, sobald die Schulden bezahlt sind.« Gebirge an; in den dortigen Arbeitslagern schuf Warlam Schalamow unter unvor- stellbaren Bedingungen sein schriftstellerisches Werk. KERSTIN SCHÜSSLER-BACH Den fünften Kreis benennt Hersant als den »dramatischsten«, inklusive text licher Anspielungen auf Dante. In Ich werde alt (Nr. 26) spielt die armenische Duduk-Oboe einsame Melodie, während vier tiefe Männerstimmen sich in nacht-
GESANGSTEXTE Russische Texte sind nur in der deutschen Übersetzung abgedruckt; französische auch im Original. 1. DER PFAD 2. IN DER EINZELZELLE Text: Warlam Schalamow Text: Leonid Martinow In der Taiga hatte ich einen wunderbaren Pfad. Ich hatte ihn selbst angelegt im Schon lange sitz ich in der Einzelzelle, Sommer, als ich Brennholz für den Winter sammelte. Um die Hütte herum gab Und das Gewölbe droht mich zu erdrücken, es viel Reisig; Lärchen, grau und wie aus Pappmaché, steckten im Sumpf wie Ich sieche dahin, ich spucke Blut, Pfähle. Angstträume lassen mich nicht ruhen. Offenbar ist es mein Los, Ich benutzte meinen Pfad fast drei Jahre lang. Darauf ließen sich gut Gedichte Hier zugrunde zu gehen. schreiben. Wenn ich, zurückgekehrt von einer Reise, wieder darauf ausschritt, Stimmt es – sagt es mir doch –, stellte sich auf diesem Pfad ganz gewiss eine Strophe ein. Ich hatte mich an Dass ich die Freiheit nie wiedersehe? den Pfad gewöhnt, ich hielt mich dort auf wie in einem Arbeitszimmer im Wald. Während zweier Herbste ging ich vor dem Schnee auf diesen Pfad – um eine tiefe Spur zu hinterlassen, die vor meinen Augen für den ganzen Winter erstarrt. 3. ENTRE NOIR ET BLANC 3. ZWISCHEN SCHWARZ UND WEISS Und im Frühjahr, wenn der Schnee getaut war, sah ich meine Abdrücke vom Text: Yassine vorigen Jahr, trat in die alten Spuren, und die Gedichte schrieben sich wieder leicht. Je ne suis pas tout noir, Ich bin nicht ganz schwarz, Je ne suis pas tout blanc, ich bin nicht ganz weiß, Im Winter stand mein Kabinett natürlich leer: Der Frost lässt einen nicht denken, Mais entre noir et blanc. sondern zwischen Schwarz und Weiß. schreiben kann man nur im Warmen. Im Sommer konnte ich alles herzählen, Mon univers est gris. Meine Welt ist grau. und alles war viel bunter als im Winter auf diesem Zauberpfad – das Krumm- Ciel gris, murs gris, pensées grises Grauer Himmel, graue Wände, graue Gedanken, holz, die Lärchen und die Heckenrosen brachten stets ein Gedicht, und wenn Bonjour tristesse ! bonjour tristesse! mir nicht fremde Gedichte von entsprechender Stimmung einfielen, dann murmelte ich ein eigenes, das ich, zurück in der Hütte, aufschrieb. Im dritten Sommer lief über meinen Pfad ein Mensch. Ich war gerade nicht zu 4. SOURCE DE VIE 4. QUELLE DES LEBENS Hause, ich weiß nicht, ob es ein umherwandernder Geologe war oder ein Berg- Text: Djamel briefträger oder ein Jäger – der Mensch hinterließ die Spuren seiner schweren Stiefel. Von da an konnte ich auf diesem Pfad keine Gedichte mehr schreiben. Généreuse et féconde Als freigiebige und fruchtbare Die fremde Spur war im Frühjahr hinterlassen worden, und den ganzen Sommer Source de vie sans cesse renouvelée unaufhörlich erneuerte Quelle des Lebens schrieb ich auf diesem Pfad keine einzige Zeile. Zum Winter wurde ich an einen La terre met au monde bringt die Erde anderen Ort versetzt, und es tat mir auch nicht leid – der Pfad war hoffnungslos L’éternelle beauté die ewige Schönheit hervor. verdorben. Manches Mal habe ich versucht, über diesen Pfad ein Gedicht zu schreiben, doch es ist mir trotz allem niemals gelungen.
G E S A N G ST E X T E 5. COULEURS 5. FARBEN 8. MESSAGE PERSONNEL 8. PERSÖNLICHE BOTSCHAFT Text: Adrien Text: Dumè Ma boîte de peinture, Mein Malkasten Sous haute surveillance Unter strenger Aufsicht Quand je l’ouvre elle me parle … spricht zu mir, wenn ich ihn öffne … J’appelle une voix aimée rufe ich eine geliebte Stimme an, Elle dit en bleu que le ciel est beau, Er sagt auf Blau, dass der Himmel schön ist, Souvenir du passé. Erinnerung an die Vergangenheit. Chuchote en rouge que la vie du dehors bouge, wispert auf Rot, dass das Leben draußen tobt, Elle me répond et me murmure Sie antwortet und flüstert mir Me chante en rose singt auf Rosa, dass die Zukunft Des mots tendres et volés. zärtliche, gestohlene Worte zu. que l’avenir me donnera autre chose … mir anderes schenken wird … Quand je l’ouvre, Wenn ich ihn öffne, C’est un frisson d’été, de couleur, de bonheur ist’s ein Gefühl von Sommer, Farbe, Glück, 9. VOIE SANS ISSUE (II) 9. WEG OHNE AUSWEG (II) Qui m’évade de mon malheur. das mich aus meinem Unglück befreit. Text: Denis Voie sans issue, Weg ohne Ausweg, Chemin de ronde, Rundweg, 6. VOIE SANS ISSUE (I) 6. WEG OHNE AUSWEG (I) Tourne, tourne, tourne kreise, kreise, kreise Text: Denis En des milliers de pas mit Tausenden von Schritten, Voie sans issue, Weg ohne Ausweg, Qui ne mènent nulle part die nirgendwohin führen. Chemin de ronde, Rundweg, Tourne, tourne, tourne kreise, kreise, kreise En des milliers de pas mit Tausenden von Schritten, 10. ENTRE TERRE ET CIEL 10. ZWISCHEN ERDE UND HIMMEL Qui ne mènent nulle part die nirgendwohin führen. Text: Vincent Graviers éparpillés, Verstreute Kiesel, Tranchant des barbelés, Schärfe der Stacheldrahtzäune, 7. BALLON PRISONNIER 7. VÖLKERBALL Acier des pylones, Stahl der Pfeiler, Text: Neimo Œil du cyclone, Auge des Zyklons, Dors, dors mon beau ballon Schlafe, schlafe, mein schöner Ball, Filins entrelacés dans les nuages verschlungene Taue in den Wolken Car ce soir les murs sont là denn heute Abend sind die Wände da, Sont les limites de mon regard. sind alles, was ich sehen kann. Pour te protéger. um dich zu schützen. Au loin, très loin , Fern, ganz fern, au delà des hauts murs noircis par le temps, jenseits der hohen, schwarzen Mauern, Bientôt viendra l’été Bald kommt der Sommer, un arbre, le ciel, la vie … ein Baum, der Himmel, das Leben … Qui nous verra encore tous là dann werden wir alle wieder da sein Pour la balle au prisonnier. zum Völkerballspiel. Printemps, été, automne, hiver Frühling, Sommer, Herbst, Winter, 11. QUELQUES MOTS 11. EIN PAAR WORTE Tout est monotone alles ist dasselbe Text: Takezo Et pourtant différent. und doch verschieden. Quelques mots Ein paar Worte Dors mon beau ballon Schlafe, mein schöner Ball, Couchés sur du papier zu Papier gebracht Car il est tard, denn es ist spät, Juste pour oublier einfach um zu vergessen. Les murs sont là pour veiller sur ton sommeil. die Wände wachen über deinen Schlaf.
G E S A N G ST E X T E 12. FANTÔMES 12. GEISTER 16. LE TEMPS QUI PASSE 16. DIE VERSTREICHENDE ZEIT Text: Takezo Text: Sébastien Mes paupières se sont fermées. Meine Lider sind geschlossen, A la lueur de l’été Im Licht des Sommers, Du passé, les fantômes reviennent aus der Vergangenheit kommen die Geister, Privé de liberté der Freiheit beraubt, me hanter, mich zu quälen, Je ne peux que rêver kann ich nur träumen, Jusqu’à l’effroi me glacer. mich vor Entsetzen erstarren zu lassen. Enchaîné pour l’éternité auf ewig gefesselt A la métamorphose des saisons. an den Wandel der Jahreszeiten. L’automne me met en sommeil Der Herbst bringt mich zum Schlafen, L’hiver, le froid m’engourdit im Winter erstarre ich vor Kälte, 13. REGRETS 13. REUE Et j’attends le printemps ich warte auf den Frühling, Text: Takezo Pour revivre un instant. um einen Moment wiederaufzuleben. Destin brisé, Ruiniertes Leben, Le temps passe et se ressemble, Die Zeit verstreicht und bleibt sich gleich, Chairs brûlées, verbrannte Stühle, J’ai rêvé de liberté ich habe von Freiheit geträumt, Que de regrets. so viel Reue. D’une porte qui s’ouvre von einer Tür, die sich öffnet, De moi qui suis un autre von mir als jemand anderem, D’un retour à la vie … von einer Rückkehr ins Leben … 14. MURS 14. MAUERN Text: François 17. MÉTAMORPHOSE 17. METAMORPHOSE Sans fin, sans début Ohne Ende, ohne Anfang, Text: Manu Vertige du temps der Taumel der Zeit. Sans fin s’inscrit en nous le vertige du temps Endlos erfasst uns der Taumel der Zeit, A l’ombre de mes ailes pliées, Versteckt im Halbdunkel Sans limite, sans début, sans fin ohne Grenzen, ohne Anfang, ohne Ende. Dans ce cocon endormi dieses schlafenden Kokons, Une chenille s’éveille, erwacht eine Raupe, Un papillon montre ses ailes ein Schmetterling zeigt seine Flügel, Chamarrées de couleurs si belles die mit schönsten Farben geschmückt sind, 15. SCHWARZE KERZE C’est l’extase … es ist ein Rausch … Text: Ossip Mandelstam Hors de ce monde sans vie fort aus dieser leblosen Welt Deine Schultern so schmal, rotgepeitscht an der Wand, Il s’élève vers l’infini … erhebt er sich ins Unendliche … Rotgepeitscht an der Wand, und vom Frostwind verbrannt. Deine kindliche Hand, die das Plätteisen hebt, 18. DU RIEN À L’HOMME 18. VOM NICHTS ZUM MENSCHEN Die das Plätteisen hebt, und die Stricke verwebt. Text: Antonios Deine Füße so zart, müssen nackt übers Glas, Du rien à l’homme Vom Nichts zum Menschen, Müssen nackt übers Glas, und den Sand blutig-nass. De la vie à la poussière vom Leben zum Staub, Entre être et devenir zwischen Sein und Werden, Als ein Kerzenlicht schwarz, muss ich brennen für dich, Métamorphose éphémère vergänglicher Wandel, Muss ich brennen für dich, und nicht beten darf ich. Tu régénères la vie du erneuerst das Leben Entre souffrance et apaisement. zwischen Schmerzen und Linderung.
G E S A N G ST E X T E 19. PORTRAIT D’UN MISÉRABLE 19. PORTRÄT EINES ELENDEN 20. JE RÊVE 20. ICH TRÄUME Text: Ali Text: Djamel Arrachés à l’herbe des cimetières oubliés, Dem Gras vergessener Friedhöfe entrissen, Je rêve … Ich träume … Érodés par un soleil trompeur et desséché, gebleicht von einer erbarmungslosen Sonne, Je suis un géant sur terre Ich bin ein Riese auf der Erde, Mes os étaient recouverts de roses tristes waren meine Knochen von traurigen Rosen Mais personne ne me voit aber niemand sieht mich, Dont l’haleine sinistre, bedeckt, deren unheilvoller Geruch, Je suis libre, ich bin frei, Fidèle compagne de mes nuits sans espoir, treuer Begleiter meiner hoffnungslosen Nächte, De partout et de nulle part, von überall und nirgendwo Me guidait vers des chemins noirs et tortueux. mich auf dunkle, verschlungene Wege führte. J’apporte la vie où elle n’est plus bringe ich Leben, wo es nicht mehr ist, Comme d’un vêtement souillé Wie schmutziger Kleidung, Mais je sème aussi le chaos autour de moi. aber ich verbreite auch Chaos um mich. et trop longtemps porté, zu lange getragen, Me faufilant dans l’infiniment petit, Ich schlängele mich in das unendlich Kleine, Mon corps animal et vieilli entledigte sich mein tierhafter, gealterter Körper A mon passage, les arbres font la révérence wenn ich vorübergehe, neigen sich die Bäume Se défaisait d’une peau rugueuse et durcie. seiner runzeligen, verhärteten Haut. Comme devant un roi, wie vor einem König, Dans les océans des vagues géantes im Meer wollen mich riesige Wellen Une clarté rédemptrice m’envahit Ein helles Licht der Erlösung umgab mich. Veulent m’engloutir, verschlingen, Les carillons célestes célébrèrent Das Glockengeläut des Himmels feierte Je suis l’architecte du désert ich bin der Baumeister der Wüste, ma résurrection. meine Auferstehung. Magicien façonnant les dunes de sable. der Zauberer, der die Sanddünen formt. J’étais souffrance. Ich war Leiden, Du murmure au rugissement de la tempête Vom sanften Säuseln bis zum Heulen des Sturms Je devins compassion. ich wurde Mitgefühl. Je chante ma symphonie singe ich meine Sinfonie, Après avoir trempé ma plume Nachdem ich meine Feder Je suis le vent ich bin der Wind, dans l’eau du Styx, in das Wasser des Styx getaucht hatte, Je suis le souffle de la vie. ich bin der Atem des Lebens. Érato et Aphrodite me prirent sous leurs ailes. nahmen sich Erato und Aphrodite meiner an. Je malaxais les mots Ich knetete die Worte, pour les mettre en musique, um sie zu Musik zu machen, 21. ACELLUCCIU 21. KLEINER VOGEL Ivre de vivre dans la volupté de l’instant, berauscht vom Leben, der Lust des Augenblicks. Text: Dumè Ma révolte fut ma plus solide entrave, Meine Revolte war meine stärkste Fessel, Et c’est l’Amour qui m’en libéra. und die Liebe wird mich von ihr befreien. Petit oiseau qui a des ailes Kleiner Vogel, du hast doch Flügel, Pourrais-tu t’envoler pour moi könntest du für mich fortfliegen Et porter un message à ceux que j’aime ? und denen, die ich liebe, eine Botschaft bringen? Petit oiseau mon ange Kleiner Vogel, mein Engel, 19a. PARS SUR LES FLOTS 19a. ZIEH HIN AUF DEN WOGEN Qui vient picorer sur ma fenêtre du kommst, an mein Fenster zu picken Text: Hadi Übersetzung: Karin Zeleny Et m’apporter ce que moi seul und mir zu bringen, Pars sur les flots Zieh hin auf den Wogen, Peux comprendre. was ich allein verstehen kann. Ne te retourne pas Dreh Dich nicht um, Parfois je t’encage avec moi Manchmal sperre ich dich mit mir ein, Avance sur le chemin Reise weiter auf dem Weg Avant de te laisser t’envoler. bevor ich dich fortfliegen lasse. De la métamorphose Der Metamorphose, Petit oiseau grâce à toi Kleiner Vogel, durch dich, Ecoute le murmure silencieux Lausche dem stillen Rauschen Qui ne me craint pas, der mich nicht fürchtet, De ton futur Deiner Zukunft, Je suis un homme qui rêve d’être toi bin ich ein Mensch, der träumt, du zu sein, Avance sur la vague Reise weiter auf der Welle, Pour déployer mes ailes um meine Flügel auszubreiten Qui te portera vers la mer Die Dich zum Meer trägt Et renaître loin de mon désespoir. und fern von meiner Verzweiflung neu zu leben. Vers un non-retour Zu einer Nicht-Wiederkehr, Sur le chemin de l’amour Auf dem Weg der Liebe Et de nouvelles aventures. Und neuer Abenteuer.
G E S A N G ST E X T E 22. SCHON WIEDER IM GEFÄNGNIS 24. EIN TOAST AUF DAS FLÜSSCHEN AJAN-URJACH Text: Anonym Text: Warlam Schalamow Schon wieder bin ich im Gefängnis, Er sagt: »Fickfackerei! Ich hebe das Glas auf den Pfad im Wald, Auf die Sonne, die mürrisch vom Himmel blickt, Die Sonne scheint nicht mehr für mich. Ich hab dich schon wieder erwischt! Auf die, die unterwegs fallen, Auf das, was sich ringsum tut. Auf der Pritsche, Pritsche, Pritsche sitze ich! Erwischt, erwischt, kapiert? – erwischt!« Auf die, die den Pfad nicht durchstehen können, Auf die beschneiten, weißen Epitaphe, Doch sie werden zum Durchstehen gezwungen. Das Werk des verständigen Schneesturms. Und die Schönlinge draußen in der Freiheit Und schon wieder weicht der Wächter Zechen die Nacht hindurch bis in die Früh Mit dem Gewehr, Gewehr, Gewehr! Auf ihre bläulichen harten Lippen, Auf die Ration von feuchtem, klebrigen Brot, Mit Dirnen, Dirnen, Dirnen! Die ganze Nacht nicht von mir. Auf die Gleichheit ihrer Gesichter, Verschlungen in aller Hast, Auf die abgerissenen, bereiften Pelze, Auf den bleichen, den allzu hohen Himmel, Doch bessere Zeiten brachen an, Was war ich damals für ein Depp – Auf die Hände ohne Handschuh. Auf das Flüsschen Ajan-Urjach! Und wir schrien: »Hurra! Trug ein geklautes Jackett Wir sind frei, frei, frei!« Und Schuhe, verdammt, und Schuhe. Auf das Maß für Wasser – die Konservendose, Den Skorbut, der in den Zähnen steckt. Die Waggons sind zum Bersten voll, Auf der Pritsche sitz ich und fang Flöhe, Auf die Zähne der sie frühmorgens weckenden und ich hüpfe wie eine Schlampe mit Melone Kartoffeln schälen will ich nicht. feisten, gesättigten Hunde. auf den Schwellen, Schwellen, Schwellen! Alpträume, Alpträume, kapiert? – Alpträume! Einst geh ich in den Laden – Ein Bürger kommt auf mich zu, 25. MEIN GELIEBTER GEFANGENER Ein Spitzel, ein Spitzel, ein Spitzel! Text: Svetlana Chilova Mein geliebter Gefangener, ich mochte Sie Da steht er und wartet auf den Moment, Genauso, wie Sie waren, dass sich unsere Blicke kreuzen, 23. DER GEFANGENE UND DER WÄCHTER (EINE FABEL) Als ich Sie, so ausgezehrt, Um mir zuzunicken Text: M. Tanyguin Zum ersten Mal sah. Und Abschied zu nehmen bis morgen. Ein junger Häftling kam einst in den Knast – Da sprach der Häftling dreist zum Wächter: Mein Herz stockte, Und ich stampfe den sandigen Boden, Nicht zur Erholung, für Räubereien vielmehr »Eure Mauern sind aber hoch! Und wie Als ich bemerkte, Auf der Schulter eine Schaufel. (Nicht meine Sache zu wissen, wofür Verbre- großgewachsen erst eure Wachleute sind! Dass Sie immer hungrig In Latschen Größe fünfundvierzig cher büßen müssen). Kommt es öfters vor, dass Gauner entlaufen? Und gar nicht modisch waren. Und in geflicktem Kleid. Drum sind wohl auch die Gitter so stark?« Einst hatte er Ausgang, doch nicht im Garten, Er war ein fröhlicher Mann, Doch er mochte mich so wie ich war, sondern im Hof der kleinen Haftanstalt. Und Er lobte den kleinen Soldaten, er biederte sich Der im Gefängnis den Spaßvogel gab, Ein wenig seltsam, als der Bube sah, dass er alleine war, an; er beteuerte, ans Fliehen wage er gar Wenn er schelmisch kundtat: Fast immer hungrig beschloss er kurzerhand zu türmen. nicht zu denken. Doch in den Karzer kam er »Ach, ich bin unsterblich verliebt!« Und gar nicht modisch. trotzdem. Er war ein fröhlicher Mann, Der Zaun nicht hoch, der Wächter recht klein, Der immer sagte: »Das ist nicht schlimm …« Kein Hindernis weit und breit, und der Ärmste Zwar hat diese Fabel kein glückliches Ende, Aber seine Augen waren beschloss, die Mauer zu erklimmen. Noch Doch ihre Botschaft ist unmissverständlich: trauriger als die Traurigkeit. hatte er den Fuß nicht angesetzt, als der Was du verdient hast, wirst du auch kriegen, Wächter, der nicht pennte, den Braten roch. Und über die Mauer darfst du nicht springen. Nur ein Sprung über die Mauer, und der Gefangene wäre frei gewesen. Doch das Bajonett blitzte, der Gewehrabzug klackte.
G E S A N G ST E X T E 26. ICH WERDE ALT 29. IM HERZEN DER ÄRA Text: Kirill Podrabiniek Text: Ossip Mandelstam Im Herzen der Ära: Ich – der Weg ist trübe, Ich werde alt Ich werde alt, Die Zeit entfernt das Ziel, mein Feld, Und erwarte nichts mehr. Und das Letzte Gericht steht noch bevor! Den Stab von Eschenholz, von müdem, Ich sehe die Pritschen Es sind meine Pritschen, Und Bettlerblüte Kupfergeld. Des Nachts im Fieberwahn. Die warten auf mich irgendwo. Ich bin wieder jung Und strotze vor Kraft – 30. GEFANGENENTRANSPORT Gefängniszelle, Zone, Vollzug, Text: Mikhaïl Frolovski Längst sind verflossen die Jahre. Von Pfiff bis Pfiff, Sie schlurfen und trotten umher, Von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends, Sie halten inne, sie reden und reden, Huschen von Gitter zu Gitter Gleich Homers trauernden Schatten harren sie 27. ZUM JAHRESTAG MEINER VERHAFTUNG Schatten, die früher Menschen waren, Des leiblichen Odysseus, Text: Nina Jetzt ist es nur noch eine eingepferchte Herde. Der das Tor zur Hölle aufreißt, Ein furchtbares Jahr, grausam und elend! Wie viele solcher Tage wird es noch geben, An dem die verzweifelte Hoffnung pocht, Füße, Füße, Die düsteren Tage verheißen nur endloses Leid: schwerer, liebloser Tage ohne einen Gruß! Um den Schatten ihre Körper mit warmem Blut, Lauter Füße trampeln auf dem Boden, Die Gedanken wie im Schraubstock gespannt, Die Einsamkeit inmitten fremder Menschen? Mit Knochen und Haut zurückzugeben. In den Augen spiegelt sich die Ferne. Die Lebenskräfte schwinden, Die Tränen? Die Not? Die Trauer ohne Lichtblick? Worte sind wie Asche, doch rühre sie nicht an, Sie schlurfen und trotten umher, Qualvoll ziehen sich die schlaflosen Nächte. Und über allem das böse Genie: das Gefängnis Denn unter der Asche lodert rot die Trauer. Sie halten inne … Und Worte sind wie Asche, Mit Schießscharten, Gittern und Riegeln. Und ihre Augen ähneln sich, Wie die von Brüdern. 28. DAS INSTRUMENT Text: Warlam Schalamow 31. DER STIEGLITZ Wie primitiv ist doch Und alles, was Dante brauchte Text: Ossip Mandelstam Unser simples Instrument: Zum Errichten des Tors Stieglitz, eins mit mir, den Kopf nach hinten Papier für zehn Kopeken, In den Höllentrichter, Schaust du auf die Welt, ganz neu: Ein eiliger Bleistift. der sich ins Eis stemmt. Ob er dir ins Auge schlägt, der Winter, Das ist alles, was Menschen brauchen, Gleich wie mir, so stachlig wie die Spreu? Um ein Schloss zu bauen, Was für Luft da herrscht auf seinem Scheitel: Ein echtes Luftschloss, Schwarzer, roter, weißer Ort! Über dem Lebensgeschick. Wachsam schaut er aus nach beiden Seiten – Schaut nur kurz. Flog fort.
G E S A N G ST E X T E 32. HAB MICH VERIRRT AM HIMMEL Text: Ossip Mandelstam Hab verirrt mich am Himmel – was nun? Wem er nah ist, der soll mir’s erklären … So viel leichter war klangreiches Tun Euch neun Dante’schen Sphären. Bin dem Leben nie mehr zu entwöhnen, Vom Erschlagen, Liebkosen nun träumt – Dass in Ohren und Augenraum-Höhlen Florentinisches Sehnen aufschäumt. Ich will nichts auf den Schläfen, will keinen Stechend-zärtlichen Lorbeerbehang – Besser spaltet mein Herz, dieses meine, Auf zu Scherben von tiefblauem Klang. Wenn ich, ausgedient, bald schon hier sterbe: Allen Lebenden lebenslang Freund Soll sich Widerhall himmlischer Erde Hoch und weit in dem Körper zerstreun. 33. QUIÉTUDE DE L’ÂME 33. RUHE DER SEELE Text: Takezo Weder Hass noch Schmerz, Ni peine ni haine Zen für die Ruhe, Le zen au zen weder Gitterstäbe noch Ketten. Ni barreaux ni chaînes Nachweise / Quellen Warlam Schalamow: Werkausgabe. Herausgegeben von Franziska Thun-Hohenstein / aus dem Russischen von Gabriele Leupold. © MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH Ossip Mandelstam: Die Woronescher Hefte (Letzte Gedichte 1935–1937). Aus dem Russischen übertragen und herausgegeben von Ralph Dutli. © 1996 Ammann Verlag, Zürich Alle übrigen Übersetzungen aus dem Russischen von Irene Ueberwolf Übersetzungen aus dem Französischen von Reinhard Lüthje
DIE KÜNSTLER Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis gehört zu den aufregendsten und erfolgreichsten Künstlern der Gegen- wart. Als Leiter der Nowosibirsk Oper gründete er 2004 im tiefsten Sibirien das Ensemble musicAeterna. Als er 2011 an die DIRIGENT TEODOR CURRENTZIS Oper in Perm berufen wurde, nahm er sein Ensemble mit. Seit- dem hat er dort ein kulturelles Gegengewicht zu den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg geschaffen. Beson- ders das von ihm gegründete Diaghilev Festival ist berühmt für seine Innovationskraft und lockt immer mehr internationale Künstler nach Perm, darunter auch Star-Regisseur Robert Teodor Currentzis ist in dieser Wilson, der dort mit musicAeterna La Traviata inszenierte. Das Saison Residenzkünstler der Elbphilharmonie (deren Dach 2006 von Teodor Currentzis ins Leben gerufene Territory Modern er bereits inspiziert hat). Nach Art Festival in Moskau zählt mittlerweile zu den progressivsten dem heutigen Abend kehrt er Festivals Russlands. mit weiteren vier Programmen Mit seinen Ensembles bereist Teodor Currentzis die Welt. nach Hamburg zurück: In der Elbphilharmonie treten sie in dieser Saison mit gleich 19.12.2018 drei Programmen auf: Am vergangenen Sonntag mit Verdis SWR Symphonieorchester La traviata, nun mit Hersants Tristia, im April zwei Mal mit Verdis Schnittke, Tschaikowsky: 5. Sinfonie Requiem. Mit diesen Werken geht es unter anderem auch nach 01. & 02.04.2019 Wien, Berlin, Madrid, Mailand, Paris und Brüssel. Besondere musicAeterna Erfolge feierten sie erst kürzlich mit zwei Beethoven-Sinfonien Verdi: Requiem bei den BBC Proms und mit der Neuproduktion von Mozarts 04.06.2019 La clemenza di Tito bei den Salzburger Festspielen. Mahler Chamber Orchestra / Seit dieser Saison ist Teodor Currentzis zudem Chefdirigent Brahms: Requiem des neuen SWR Sinfonieorchesters, mit dem er in dieser Saison 21.06.2019 ebenfalls für zwei Konzerte nach Hamburg kommt. Als Gast- SWR Symphonieorchester dirigent leitet er regelmäßig Orchester wie das Mahler Chamber Schostakowitsch: 7. Sinfonie Orchestra, die Wiener Symphoniker und die Camerata Salzburg. »Leningrader« Beim Festival d’Aix-en-Provence begeisterte er mit Chor und Orchester der Opéra National de Lyon in Tschaikowskys Jolanthe sowie Strawinskys Persephone. Verdis Lady Macbeth führte er am Opernhaus Zürich in der Regie von Barrie Kosky auf. Eine Vielzahl seiner CDs sind preisgekrönt; so erhielt die DVD-Einspielung von Purcells Indian Queen in der Regie von Peter Sellars den Echo Klassik 2017 ebenso wie schon 2016 Stra- winskys Le sacre du printemps. Im selben Jahr ernannte die Zeitschrift Opernwelt Teodor Currentzis zum besten Dirigenten des Jahres.
D I E K Ü N ST L E R Die russische Provinzstadt Perm – etwa 1200 km nordöstlich von Moskau gelegen – wandelte sich dank Teodor Currentzis und seiner musicAeterna-Ensembles in den letzten Jahren zu einem der innovativsten Musikzentren Russlands. 2004 gründete er den Chor und das Orchester in Novosibirsk, seit 2011 sind sie Residenzchor und -orchester der Oper Perm. Der Chor wird von Currentzis als Künstlerischem Leiter und Vitaly Polonsky als Erstem Chorleiter geführt. Regelmäßig arbeitet er mit Gastdirigenten zusammen, vor allem mit Spe- zialisten der Alten Musik wie Paul Hillier, Andrea Marcon und Vincent Dumestre. Das Repertoire des Chores umfasst neben russischer Chor- musik des 18. und 19. Jahrhunderts eine Vielzahl an Stilen und Musikepochen vom Barock bis hin zu Uraufführungen zeitge- nössischer Werke. Currentzis gab für den Chor mehrere Kompo- sitionen in Auftrag, etwa Dmitri Kourliandskis Nosferatu (2014), Alexei Syumaks Cantos (2016) oder Philippe Hersants Tristia. Häufig auf Reisen, ist der Chor gern gesehener Gast bei den großen Festspielen wie dem Festival d‘Aix-en-Provence oder der Ruhrtriennale. Zusammen mit dem Orchester feierte der Chor in Mozarts La clemenza di Tito bei den Salzburger Festspielen MUSICAETERNA CHORUS OF PERM OPERA große Erfolge; 2019 wird der Chor mit dem Freiburger Barock orchester für Idomeneo nach Salzburg zurückkehren. Die Diskografie des Chores umfasst Aufnahmen von Mozarts Le nozze di Figaro und Così fan tutte, Strawinskys Les noces und die mit dem Echo Klassik gekrönte DVD von Purcells The Indian Queen in der Regie von Peter Sellars und unter der Leitung von Teodor Currentzis. Der musicAeterna-Chor ist Residenzchor an der Staatsoper Perm. Das Ensemble wird gefördert vom Kulturministerium der Region Perm.
D I E K Ü N ST L E R Wie den Chor gründete Teodor Currentzis im Jahr 2004 auch das Orchester musicAeterna in Nowosibirsk. Seit 2011 ist es fester Bestandteil des Opernhauses Perm. Das Orchester führt dort regelmäßig Opern, Ballette und sinfonische Konzerte auf und reist sowohl innerhalb Russlands wie international: Moskau und Sankt Petersburg sind ebenso das Ziel wie Wien, Paris, London, Brüssel oder Berlin. Das Repertoire des Orchesters umfasst ein großes Spektrum an Stilen und Musikepochen, vom Barock bis hin zu Uraufführungen zeitgenössischer Werke. Regelmäßig ist das Orchester musicAeterna bei den großen internationalen Festspielen wie der Ruhrtriennale, dem Festi- val d’Aix-en-Provence, dem Klarafestival in Brüssel oder dem Festival der Goldenen Maske in Moskau zu Gast. Mit Mozarts Oper La clemenza di Tito debütierte musicAeterna 2017 unter Teodor Currentzis bei den Salzburger Festspielen und führte dort in Folge eine Reihe weiterer Werke auf, darunter Mozarts Requiem, Gustav Mahlers Erste Sinfonie, Alban Bergs Violinkon- zert sowie den vollständigen Zyklus aller Beethoven-Sinfonien. Für 2020 ist bereits Richard Wagners Tristan und Isolde unter der Regie von Romeo Castellucci geplant. Die Fülle an CD-Einspielungen belegt die Vielseitigkeit des Ensembles: zum Beispiel mehrere Mozart-Opern, darun- ter auch Le nozze di Figaro, die mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik und dem Echo Klassik 2014 ausgezeichnet wurde. Auch Igor Stravinskys Le sacre du printemps erhielt einen Echo Klassik; die Aufnahme von Tschaikowskys Sechster Sinfo- nie Pathétique gewann einen Diapason d’Or. MUSICAETERNA ORCHESTRA OF PERM OPERA Das musicAeterna-Orchester ist Residenzorchester an der Staatsoper Perm. Das Ensemble wird gefördert vom Kultur ministerium der Region Perm.
BESETZUNG SOPRAN TENOR VIOLINE Irina Bagina Anton Bagrov Ivan Svatkovskii Ganna Baryshnikova Nikolai Fedorov Katsiaryna Dandukova Aleksandr Gainutdinov VIOLONCELLO Anastasiia Fomichenko Sergey Godin Alexey Zhilin Iuliia Gryzlina Ivan Gorin Elena Iurchenko Vitalii Kalachev KONTRABASS Aleksandra Kozhedub Sergey Kostarev Carlos Navarro Anastasiia Kursanina Albert Kucherbaev Arina Mirsaetova Konstantin Pogrebovskii FLÖTE Despoina Panagiotou Serafim Sinitcyn Laura Pou Elena Podkasik Aleksandr Somov Viktoriia Rudakova Aleksei Tseloukhov FAGOTT Valeriia Safonova Artem Volkov Talgat Sarsembaev MICHAEL MEYLAC SPRECHER Iuliia Saifulmuliukova Michael Meylac ist Dichter, Übersetzer, Philologe, Kunsthistori- Albina Shakirova BASS TROMPETE ker und Feuilletonist mit dem Schwerpunkt russische Literatur. Eleni Lydia Stamellou Denis Bagrov Zhassulan Abdykalykov Geboren 1945 in Taschkent, der Hauptstadt der früheren sow- Victoria Vaksman Ilyas Duisen Pavel Kurdakov jetischen Republik Usbekistan, studierte der Sohn eines Lite- Aleksandr Egorov raturkritikers in St. Petersburg. 1983 wurde er antisowjetischer ALT Aleksei Fitisenko POSAUNE Umtriebe bezichtigt und wegen des Besitzes verbotener Bücher Anastasiia Erofeeva Evgenii Ikatov Gerard Costes vom KGB verhaftet. Bis 1987 war er politischer Gefangener in Nadezda Goncharuk Dmitrii Kamaletdinov Vladimir Kishchenko einem Gulag, bevor er im Rahmen der Perestroika freigelassen Anastasiia Guliaeva Almaz Khaibrakhmanov wurde. Anfang der 1990er Jahre übersiedelte er nach Frank- Alfiya Khamidullina Pavel Kharalgin TUBA reich, wo er seither lebt. Er ist emeritierter Professor der Uni- Andrey Nemzer Anton Mosolov Roman Kochergin versität Straßburg. Er publizierte unter anderem zwei Bände Mariia Oparina Petr Safroshkin mit Interviews mit russischen Künstler, unter anderem Tänzer Ivan Petrov Viktor Shapovalov AKKORDEON der »Ballets russes«. Asiya Rakhmatullina Timofei Suchkov Sergej Tchirkov Elena Shestakova Aleksei Svetov Anastasiia Shumanova DUDUK / CHORSÄNGER Olga Strelnikova CHORLEITUNG Vasilii Korostelev Anna Sycheva Vitaly Polonsky Elena Tokareva SCHLAGWERK Maria Zaikina Nicolai Dulskii Elvira Gracheva Roman Romashkin Andrey Volosovskiy
VORSCHAU MUSIK, FILM, WEIN: GREATEST HITS Wer neue, ungewohnte Beziehungen zwischen Komponisten WIR DANKEN UNSEREN PARTNERN – wie im heutigen Konzert – oder Künsten schätzt, sollte sich das Festival »Greatest Hits« schon einmal im Kalender vormer- PRINCIPAL SPONSORS PRODUCT SPONSORS FÖRDERSTIFTUNGEN ken. Denn auch hier gibt es so erstaunliche wie plausible Quer- BMW Coca-Cola Kühne-Stiftung verbindungen zu erleben. Zum Auftakt wird auf Kampnagel der Montblanc Hawesko Körber-Stiftung Stummfilm »Die Stadt ohne Juden« aus dem Jahr 1924 gezeigt, SAP Lavazza Hans-Otto und der erst kürzlich auf einem Pariser Flohmarkt wiederentdeckt Julius Bär Meßmer Engelke Schümann Stiftung wurde. Dazu hat die Komponistin Olga Neuwirth eine neue Film- Ricola Haspa Musik Stiftung Ruinart Hubertus Wald Stiftung musik geschrieben. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie spielt Störtebeker Ernst von Siemens Musikstiftung das Ensemble Resonanz ihr neues Werk »Alleo«, das sich auf Cyril & Jutta A. Palmer Stiftung Bachs gleichfalls erklingendes »Brandenburgisches Konzert« Olga Neuwirth Mara & Holger Cassens Stiftung Nr. 4 bezieht. Und zum Abschluss auf Kampnagel erkundet ein CLASSIC SPONSORS Programm Kreatives Europa siebenstündiges (!) »Symposion« den rauschhaften Zusammen- Aurubis der Europäischen Union Bankhaus Berenberg Adam Mickiewicz Institut hang zwischen Musik und Wein. Commerzbank AG Stiftung Elbphilharmonie DZ HYP GALENpharma Freundeskreis Elbphilharmonie 28.11.–1.12.2018 | www.greatest-hits-hamburg.de Hamburger Feuerkasse + Laeiszhalle e.V. Hamburger Sparkasse Hamburger Volksbank HanseMerkur Versicherungsgruppe HSH Nordbank Jyske Bank A/S KRAVAG-Versicherungen IMPRESSUM M.M.Warburg & CO Herausgeber: HamburgMusik gGmbH Geschäftsführung: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant Redaktion: Clemens Matuschek, Simon Chlosta, François Kremer, Laura Etspüler ELBPHILHARMONIE CIRCLE Lektorat: Reinhard Helling Gestaltung: breeder typo – alatur, musialczyk, reitemeyer Druck: Flyer-Druck.de Anzeigen: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, antje.sievert@kultur-anzeigen.com BILDNACHWEIS Kloster Clairvaux (unbezeichnet); Philippe Hersant (Saif Ouzounoff); Museum »Gulag 36« in Perm (Hellmann /Bowerstone); Warlam Schalamow (Polizeifoto, 1929); Ossip Mandelstam (Polizei foto, 1934); Teodor Currentzis (Peter Hundert); musicAeterna orchestra (Olya Runeva); musicAeterna chorus (Nikita Chuntomo); Michael Meylac (unbezeichnet); Olga Neuwirth (Harald Hoffmann)
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