UNGERECHTE VERTEILUNG - WIE UNGLEICHHEIT UNSER LEBEN PRÄGT - Otto Bauer ...

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UNGERECHTE VERTEILUNG - WIE UNGLEICHHEIT UNSER LEBEN PRÄGT - Otto Bauer ...
UNGERECHTE
VERTEILUNG
WIE UNGLEICHHEIT UNSER LEBEN PRÄGT
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VORWORT
Die weltweite Corona-Krise hat viele soziale Ungleichheiten aufgezeigt und    „Soziale Ungleich-
verstärkt. Auch in Österreich wurden soziale Unterschiede, die es schon
                                                                              heit wirkt in fast
lange vor Ausbruch der Krankheit gab, deutlich sichtbar. Arbeitslosigkeit
und Kurzarbeit, Bedingungen für Heimunterricht von Kindern, Pflege- und
                                                                              alle Lebensberei-
Betreuungsverpflichtungen oder Möglichkeiten zur Abschottung vom Vi-          che. Ein gut ausge-
rus: Verschiedene Bevölkerungsgruppen wurden von den Auswirkungen             bauter Sozialstaat
der Gesundheitskrise unterschiedlich stark getroffen.                         und ein gerechtes
                                                                              Steuersystem be-
Österreich wird im internationalen Vergleich oft als Land des sozialen Aus-   kämpfen die Ursa-
gleichs bezeichnet. Der gut ausgebaute Sozialstaat und die Berücksichti-
                                                                              chen und Folgen
gung unterschiedlicher Interessen bei politischen Entscheidungen haben
uns in der Vergangenheit diesen positiven Ruf eingebracht. Doch diese his-
                                                                              gleichermaßen.“
torischen Errungenschaften sind heute umkämpft und viele Daten belegen
auch hierzulande wachsende Ungleichheiten. So sind in kaum einem ande-
ren Land die Vermögensunterschiede so hoch wie in Österreich. Auch die
Spreizung zwischen niedrigen und hohen Einkommen nahm in den letzten
Jahrzehnten merklich zu.

Diese Ungleichheiten haben vielfältige Auswirkungen auf die Lebens-
chancen, von der Freizeitgestaltung über die Wohnsituation und den Ge-
sundheitszustand bis hin zur politischen Teilhabe. Diese Broschüre zeigt
anhand zahlreicher Daten und Fakten, wie soziale Ungleichheit in viele
gesellschaftliche Bereiche wirkt und was dagegen getan werden kann. Um
die negativen Folgen von Ungleichheit für das gesellschaftliche Miteinander   Renate Anderl,
und die Demokratie abzufedern, setzt sich die AK für einen gut ausgebauten    AK Wien Präsidentin
Sozialstaat ein, der allen einen hohen Lebensstandard ermöglicht. Aller-
dings reicht es nicht aus, die Symptome zu behandeln. Es müssen auch die
Wurzeln von sozialer Ungleichheit bekämpft werden.
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Katharina Bohnenberger Franziska Disslbacher   Michael Ertl         Georg Feigl

Julia Hofmann             Georg Hubmann        Markus Marterbauer      Patrick Mokre

 Johannes Rendl        Matthias Schnetzer      Jana Schultheiss     Nora Waldhör

 IMPRESSUM
 1. Auflage, September 2021
 Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien,
 Prinz Eugen Straße 20-22, 1040 Wien, Telefon: ( 01) 501 65 0
 Offenlegung gem. § 25 MedienG: siehe wien.arbeiterkammer.at/impressum
 Redaktion: Katharina Bohnenberger, Franziska Disslbacher, Michael Ertl, Georg Feigl, Julia Hofmann, Georg Hubmann,
 Markus Marterbauer, Patrick Mokre, Johannes Rendl, Matthias Schnetzer, Jana Schultheiss, Nora Waldhör
 Konzeption: Georg Hubmann, Jahoda-Bauer-Institut, www.jbi.or.at
 Grafik: Gerhard Schmadlbauer
 Hersteller: Bösmüller Printmanagement GesmbH & Co. KG
 Bestell-Telefon: 01 50165-0
 Die Broschüre und die Grafiken stehen auf der Homepage der AK Wien unter
 www.arbeiterkammer.at/verteilungsgerechtigkeit zum Download bereit.
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INHALT
  1   Ungleichheit und Arbeitsmarkt ……………………………………………………… 06

 2    Ungleichheit und Geschlecht ..………………………………………………………… 08

 3    Ungleichheit und unbezahlte Arbeit
                                     …………….……………………………………… 10

 4    Ungleichheit und soziale Mobilität ..……………………………………..………… 12

 5    Ungleichheit und Lebenszufriedenheit …………………………………………… 14

 6    Ungleichheit und Gesundheit …………………………………………………………… 16

 7    Ungleichheit und Wohnen …………..……………………………………………………. 18

 8    Ungleichheit und Freizeitgestaltung ……………………………………………… 20

 9    Ungleichheit und Klimakrise …………………………………….…………………… 22

 10   Ungleichheit und Demokratie ..……………………………………………………… 24

 11   Was zu tun ist ………………………………….……….……….……………………………… 26

 12   Lesestoff ………………………………….……….……….……………………………………… 30

 13   Ungleichheit in Zahlen ………………………………….……….……….………………… 32
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UNGLEICHHEIT UND ARBEITSMARKT

                                  DER DRUCK AM
                                  ARBEITSMARKT STEIGT

1                                 Soziale Ungleichheit wird am Arbeitsmarkt deut-
                                  lich sichtbar, zum Beispiel bei unterschiedlicher
                                  Bezahlung für gleiche Arbeit, Geschlechterunter-
                                  schieden in Hoch- und Niedriglohnsektor oder bei
                                                                                       bei der Lockerung der Zumutbarkeitskriterien bei
                                                                                       Erwerbslosen. Arbeitnehmer*innen haben diesen
                                                                                       Zugang zur Politik nur wenn sie gemeinsam aktiv
                                                                                       sind, etwa über die Organisation in Gewerkschaf-
                                  Langzeitbeschäftigungslosigkeit.                     ten. Wenn Gewerkschaften geschwächt werden,
                                  Ungleichheit verändert auch den Arbeitsmarkt         nützt das vor allem zahlungskräftigen Einzelin-
                                  selbst. Wenn mehr Vermögen, Macht und politi-        teressen bei politischen Entscheidungen (z.B. im
                                  scher Einfluss bei den Reichsten und großen Kon-     Arbeitsrecht oder der Marktregulierung).
                                  zernen konzentriert ist, verschlechtert sich die     Marktmacht und politische Macht sind schwer zu
                                  Lage für Arbeitnehmer*innen.                         trennen. Aber je ungleicher eine Gesellschaft ist,
                                                                                       desto weniger können Arbeitnehmer*innen den
                                  Marktmacht und politischer Einfluss                  Arbeitsmarkt mitgestalten. Das hat negative Aus-
                                  Große internationale Konzerne können über die        wirkungen auf Beschäftigte und Erwerbslose.
                                  Arbeitsverhältnisse und die Bezahlung von beson-
                                  ders vielen Menschen bestimmen. Wenn einige          Prekäre Beschäftigung höhlt Arbeitsrechte aus
                                  wenige Reiche immer reicher werden, oder einige      Das sieht man zum Beispiel an der Zunahme der
                                  wenige Unternehmen immer größer, heißt das für       prekären Beschäftigung in den letzten Jahrzehn-
                                  ihre Beschäftigten, dass sie sich mangels Alterna-   ten. Krisen beschleunigen diese Veränderung,
                                  tiven schlechter durchsetzen können.                 weil viele Menschen gleichzeitig arbeitslos wer-
                                  Mit dem Reichtum wächst auch der politische Ein-     den. Nach der Krise von 2008 sind die prekären
                                  fluss: Think Tanks und Parteispenden sind Türöff-    Beschäftigungsverhältnisse in Österreich vor
                                  ner für die Industrie, um ihre Interessen auch am    allem durch Leiharbeit und Outsourcing doppelt
                                  Arbeitsmarkt politisch durchzusetzen. Das zeigt      so schnell angestiegen wie die stabilen Normal-
                                  zum Beispiel die Debatte zum 12-Stunden-Tag oder     arbeitsverhältnisse.

6   |   Ungleichheit und Arbeitsmarkt
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DIE KRISE AM ARBEITSMARKT
VERSCHÄRFT SICH
                                                                                            +19,16 %
                                                                                               1.260.200
  2010
                                                                                      1.057.600
  2020

                                                                                                                             Quelle: AMS & Statistik Austria 2010/2020, eigene Darstellung
                                                    +63,34 %
                          suche
                          Arbeit

                                                            409.639
               +162,07 %                          250.782
                      116.727
             44.540

     LANGZEITBESCHÄFTIGUNGSLOSE                        ARBEITSLOSE                   ATYPISCH BESCHÄFTIGTE

Arbeitsmarktpolitik muss für alle sein                          Zum Weiterlesen:
Wenn der Arbeitsmarkt nach den Vorstellungen                    Biffl, G. (1996): Entwicklung der Langzeitarbeits-
der Reichsten umgestaltet wird, ist das oft be-                 losigkeit in Österreich und Maßnahmen zu ihrer
sonders schlimm für Langzeitbeschäftigungslose,                 Bekämpfung, online unter:
also für jene, die länger als ein Jahr ohne dauer-              http://bit.do/arbeitsmarkt_01
hafte Beschäftigung sind. Auf dem freien Arbeits-               Gilberg, R. / Hess, D. / Schröder, H. (1999): Wieder-
markt werden sie als Letzte wiedereingestellt,                  eingliederung von Langzeitarbeitslosen. Chancen
eine Rückkehr ins Arbeitsleben ist ohne staatliche              und Risiken im Erwerbsverlauf, online unter:
Unterstützung sehr schwierig. Gerade für diese                  http://bit.do/arbeitsmarkt_02
Menschen ist eine Arbeitsmarktpolitik besonders                 Knittler, K. (2018): Atypische Beschäftigung 2017,
wichtig, die sicherstellt, dass die am meisten ge-              In: Statistische Nachrichten 9/2018, Wien: Statistik
fährdeten Gruppen am Arbeitsmarkt nicht unter-                  Austria, online unter:
gehen oder übergangen werden.                                   http://bit.do/arbeitsmarkt_03

         FAKTEN
         • 2010 gab es in Österreich rund 44.500 Langzeitbeschäftigungslose. 2020 waren es rund 117.000.
         • Atypische Beschäftigungsformen werden immer normaler: Zwischen 2008 und 2017 ist die Zahl der Normal-
           arbeitsverhältnisse um nur 4,47 % (+107.500) gestiegen, während die Zahl der atypischen Beschäftigungsformen
           um 19,16 % (202.600) gestiegen ist.
         • 2020 sind nur noch 48 % der Frauen und 85 % der Männer in Normalarbeitsverhältnissen beschäftigt.

                                                                                                                          Ungleichheit und Arbeitsmarkt | 7
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UNGLEICHHEIT UND GESCHLECHT

                                  LÖHNE UND PENSIONEN
                                  VON FRAUEN SIND ZU GERING

                                  Die Benachteiligung von Frauen zieht sich durch      deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle
                                  sämtliche Lebensbereiche und das ganze Arbeits-      für Alleinlebende.
                                  leben. Für Lohnunterschiede zeigt das der Gender
                                  Pay Gap. Im Jahr 2019 war der Stundenlohn von        Ökonomische und soziale Benachteiligung
                                  Frauen um 19,3 % niedriger als jener von Männern.    Das Zusammenspiel mehrerer Faktoren und Be-
                                  Das ist ein Unterschied, den Frauen Tag für Tag zu   nachteiligungen erklärt, warum die Pensionen von
                                  spüren bekommen. Im Alter sind viele Frauen von      Frauen so weit unter denen der Männer liegen. Der

2
                                  Männern ökonomisch abhängig und von erdrü-           wichtigste Grund ist, dass Frauen im Erwerbsle-
                                  ckender Armut betroffen.                             ben in der Regel weniger Einkommen als Männer
                                                                                       beziehen. Frauen erhalten nicht nur pro Stunde
                                  Fast die Hälfte weniger Pension                      weniger Lohn, sie sind auch deutlich häufiger in
                                  Weil die Pensionshöhe vom Einkommen abhängt,         Teilzeit beschäftigt, auch weil es oft keine zu einer
                                  erhalten Frauen auch eine niedrigere Pension als     Vollzeiterwerbstätigkeit passenden Kinderbetreu-
                                  Männer. Ähnlich wie beim Einkommen wird der          ungsmöglichkeiten gibt.
                                  Pensionsunterschied zwischen Frauen und Män-         Blickt man nur auf die bezahlte Erwerbsarbeit, so
                                  nern durch den Gender Pension Gap gemessen.          arbeitet die Hälfte der Frauen Teilzeit - bei jenen
                                  Nur in drei EU-Ländern, nämlich Luxemburg, Mal-      mit Kindern unter 15 Jahren sind es sogar drei
                                  ta und den Niederlanden, ist die Lücke größer als    Viertel. Seit der Reform von 2003 gelten für die
                                  in Österreich. Hierzulande erhalten Frauen, die      Pensionsberechnung längere Durchrechnungs-
                                  2019 in Pension gingen, im Mittel 46,1% weniger      zeiträume. Dass Frauen häufiger teilzeitbeschäf-
                                  Pension als Männer, die im gleichen Jahr den Ru-     tigt sind, schlägt damit voll durch. Dazu kommt,
                                  hestand angetreten haben.                            dass Frauen im Durchschnitt acht Versicherungs-
                                  Die durchschnittliche neu zuerkannte Pension         jahre weniger haben als Männer. Denn Frauen leis-
                                  von Frauen lag 2019 bei 1.226 Euro brutto, jene      ten neben der Erwerbstätigkeit den Großteil der
                                  der Männer bei 2.274 Euro. Personen mit be-          Fürsorge- und Betreuungsarbeit für ältere oder
                                  sonders niedrigen Pensionen werden durch die         kranke Angehörige oder die Kinder. Die teilweise
                                  Mindestpension in Form der Ausgleichszulage          Anrechnung von Kindererziehungszeiten gleicht
                                  unterstützt. Zwei von drei der Betroffenen sind      diesen Unterschied nicht aus. In Summe sind die
                                  weiblich. Allerdings ist die Mindestpension sehr     niedrigeren Pensionen von Frauen ein Abbild der
                                  niedrig und auch mit Ausgleichszulage liegt sie      vielen ökonomischen und sozialen Benachteili-

8   |   Ungleichheit und Geschlecht
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gungen und Diskriminierungen, denen Frauen im
Verlauf ihres Lebens ausgesetzt sind.
                                                      FAKTEN
Zum Weiterlesen:                                      • Vorarlberg hat österreichweit mit 56 % den höchs-
Dessimirova, D. / Bustamante, M.A. (2019):              ten Gender Pension Gap. In Wien ist er mit 33 % am
The gender gap in pensions in the EU, online unter:     niedrigsten.
http://bit.do/gender_01                               • Unter jenen, die 2018 ihre Alterspension angetreten
Mairhuber I./Stadler, B. (2020): Gender Gap in          sind, hatten nur 36,7 % der Frauen 40 oder mehr
Pension und Pension Literacy von Frauen in               Versicherungsjahre, bei den Männern sind es 77,7 %.
Österreich, online unter: http://bit.do/gender_03     • Unter den über 65-Jährigen hatten 2017 18,4 % der
Mayrhuber, C. (2020): Geschlechtsspezifische            Frauen und 1 % der Männer keine eigene Pension.
Pensionslücke in Österreich, online unter:              Frauen sind im Alter oft ökonomisch von ihren Männern
http://bit.do/gender_02                                 abhängig.

 NIEDRIGE LÖHNE FÜHREN
 ZU NIEDRIGEN PENSIONEN

                      -19,3 %                                 -46,1 %
                                                                                                    Quelle: MA 23 (Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien) &
                                                                                                    Arbeiterkammer OÖ 2020, eigene Darstellung

                 LOHNUNTERSCHIED                        PENSIONSUNTERSCHIED
                        2019                                      2019

                                                                                                                  Ungleichheit und Geschlecht | 9
UNGERECHTE VERTEILUNG - WIE UNGLEICHHEIT UNSER LEBEN PRÄGT - Otto Bauer ...
UNBEZAHLTE ARBEIT IST
                                   BESONDERS UNGLEICH VERTEILT

                                                         Männer in Österreich                                       Frauen in Österreich

                                                          2,3                                                                    4,5

                                                                                                                                                 Quelle: European Institute for Gender Equality 2021, eigene Darstellung
                                                         Stunden                                                                 Stunden

                                                         Männer in Europa                                                Frauen in Europa

                                                          2,6                                                                    3,9

3
                                                         Stunden                                                                 Stunden

                                   In Österreich leisten Frauen täglich 2,2 Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer.

                                   UNGLEICHHEIT UND UNBEZAHLTE ARBEIT

                                   WHO
                                   CARES?
                                   Frauen sind nicht nur am Arbeitsmarkt stärker            Gender Care Gap von 98 %. Nur in Griechenland
                                   von Ungleichheit betroffen. Sie übernehmen auch          ist der Abstand noch größer als in Österreich. Der
                                   wesentlich mehr unbezahlte Arbeit, in Form von           EU-Durchschnitt in der ungleichen Verteilung von
                                   Sorge-, Haus- und Pflegearbeit als Männer. Deshalb       unbezahlter Arbeit beträgt 47 %.
                                   spricht man neben dem Gender Pay Gap auch von
                                   einem Gender Care Gap (Fürsorgelücke). Öster-            Frauen leisten die meiste unbezahlte Arbeit
                                   reich liegt bei der unterschiedlichen Verteilung von     Traditionelle Geschlechterrollen spielen bei der
                                   unbezahlter Arbeit in der EU auf dem vorletzten          ungleichen Verteilung von Sorge-, Haus- und Pfle-
                                   Platz. Frauen leisten hierzulande im Durchschnitt        gearbeit eine wesentliche Rolle. Diese gelten im-
                                   4,5 Stunden unbezahlte Arbeit pro Tag, Männer            mer noch als „Frauenarbeit“. Dementsprechend
                                   dagegen nur 2,3 Stunden. Daraus ergibt sich ein          wird sie auch gesamtgesellschaftlich verteilt und

10   |   Ungleichheit und unbezahlte Arbeit
bewertet. Frauen verkürzen etwa häufiger ihre         Haushalte, die das nötige Geld haben, lagern ihre
Arbeitszeit als Männer, um sich um Kinder oder        Betreuungs- oder Pflegearbeit an private Dienst-
Pflegebedürftige zu kümmern. In Österreich            leister*innen aus. Die Mehrheit der Haushalte
arbeitet rund jede zweite Frau mit Betreuungs-        übernimmt die Sorgearbeit jedoch großteils selbst.
pflichten in Teilzeit, jede fünfte geht gar keiner
Erwerbsarbeit mehr nach. Aber nur jeder zwan-         Zum Weiterlesen:
zigste Mann verkürzt seine Arbeitszeit. Meist         European Institute for Gender Equality (2021): Be-
sind Betreuungspflichten auch nicht der Auslöser      jing Platform for Action: Gender inequalities in care
für den Teilzeiterwerb von Männern, gerade ein-       and consequences for the labour market, online un-
mal 5 % gaben sie gegenüber der Statistik Austria     ter: http://bit.do/care_01
als Grund an. Auch die private Alten- und Kran-       Grisold, A. / Mader, K. (2013): Veränderungen und
kenbetreuung wird überwiegend von Frauen              Stillstand von Frauenarbeit im Längsschnittver-
übernommen. Über die Hälfte der Pflegenden            gleich, In: Ökonomie und Gesellschaft Jahrbuch 25,
sind (Ehe-)Partnerinnen, Schwestern oder Töch-        Marburg: Metropolis Verlag, S. 47 - 75
ter der zu betreuenden Person. Frauen reduzie-        Statistik Austria (2019): Vereinbarkeit von Beruf und
ren daher häufig die Arbeitszeit. Jede dritte Frau    Familie, online unter: http://bit.do/care_02
ist in einem Teilzeitarbeitsverhältnis.

Vereinbarkeit von Job und Familie
Für die Reduktion von Arbeitszeit bei Frauen ist
auch das fehlende Kinderbetreuungsangebot ver-
antwortlich, besonders in ländlichen Regionen.             FAKTEN
In Österreich werden nur knapp 27 % der 0-3-Jäh-           • In der Europäischen Union leisten 92 % aller Frauen an mehreren Tagen
rigen in Betreuungseinrichtungen betreut. Der                in der Woche unbezahlte Arbeit, 81 % sogar täglich. 68 % der Männer
Großteil der Eltern betreut seine Kinder zu Hause.           verrichten an einigen Tagen unbezahlte Arbeit und nur 38 % täglich.
Das hat auch damit zu tun, dass gerade einmal in           • Länder mit großem Gender Care Gap haben meist auch einen gro-
13 % der Einrichtungen die Öffnungszeiten mit den            ßen Gender Pay Gap.
Erfordernissen des Berufslebens vereinbar sind.            • Bei den 30-44-Jährigen geben fast Dreiviertel der Frauen an, dass sie
Bei den Kindergärten sind es nicht einmal die Hälf-          aufgrund von Betreuungspflichten ihre Arbeitszeit verkürzen. Die
te, die diesen Anforderungen entsprechen.                    Mehrheit der Männer, die eigentlich Betreuungspflichten hätten, arbei-
Hohe Teilzeitquoten wirken sich auf die niedrigen            tet weiterhin Vollzeit (86 %).
Einkommen aus und diese wiederum auf spätere
Pensionsansprüche. Sie verfestigen so Ungleich-
heiten zwischen den Geschlechtern. Wenige

                                                                                                          Ungleichheit und unbezahlte Arbeit | 11
UNGLEICHHEIT UND SOZIALE MOBILITÄT

                                    NICHT NUR GELD
                                    WIRD VERERBT

                                    Die Lohnhöhe hängt von vielen Faktoren ab. Ein-    über Netzwerke zu Praktika oder Jobs verhel-
                                    fluss haben etwa das Geschlecht, die Branche, in   fen, sie finanziell beim Studium oder einem Aus-
                                    der man arbeitet, oder der formale Bildungsab-     landsaufenthalt unterstützen, andere können
                                    schluss. Absolvent*innen einer Hochschule wer-     nur davon träumen. So häufen und verfestigen
                                    den im Durchschnitt besser bezahlt als jene, die   sich im Lauf des Lebens die Vor- und Nachteile
                                    kein Studium absolvieren konnten. Der Grad des     der sozialen Herkunft. Das zeigt sich etwa in der
                                    Bildungsabschlusses ist aber nicht nur das Er-     Vererbung von Bildung: 68 % der Kinder aus Aka-
                                    gebnis von persönlichen Vorlieben, wie etwa des    demiker*innenhaushalten schließen selbst wie-
                                    Berufswunsches, sondern vor allem eine Frage       derum ein Hochschulstudium ab. Aber nur 7 %

4
                                    der sozialen Herkunft.                             der Menschen, bei denen die höchste abgeschlos-
                                                                                       sene Ausbildung der Eltern die Pflichtschule ist,
                                    Was bestimmt die Bildungschancen?                  erlangen einen Hochschulabschluss und 27 %
                                    Der Bildungsweg der Kinder wird wesentlich vom     dieser Gruppe schließen selbst maximal eine
                                    Bildungsstand und sozialen Status der Eltern so-   Pflichtschule ab.
                                    wie der Verfügbarkeit von Bildungseinrichtun-
                                    gen definiert. Welche Möglichkeiten ein Mensch     Geringe Chancen auf sozialen Aufstieg
                                    im Leben bekommt, hängt in vielfältiger Weise      In Österreich ist der soziale Aufstieg im Ver-
                                    von Vermögen und Einkommen, Bildung und Be-        gleich zu anderen EU-Ländern besonders
                                    ruf sowie dem sozialen Umfeld der Eltern und des   schwierig. Skandinavische Länder, wie Däne-
                                    familiären Umfelds ab.                             mark, Norwegen, Schweden und Finnland, bie-
                                    Hier ein paar Beispiele: Während manche Eltern     ten hingegen mehr Arbeiter*innenkindern die
                                    viel Geld für Nachhilfe, Freizeitaktivitäten und   Möglichkeit einen höheren sozialen Status oder
                                    Sprachkurse ihrer Kinder ausgeben, können sich     einen Hochschulabschluss zu erlangen. Ähn-
                                    viele andere das schlichtweg nicht leisten.        liches gilt für die Chance auf einen Aufstieg in
                                                                                       Führungs- oder Fachkräftepositionen. Diese ist
                                    Für die Entwicklung von Kindern sind qualitäts-    für Kinder aus Arbeiter*innenfamilien in Skan-
                                    volle Kinderbetreuungseinrichtungen besonders      dinavien 3,3-mal höher als in Österreich. Nur
                                    wichtig. Während diese in manchen Gegenden,        Portugal schneidet im OECD-Vergleich noch
                                    vor allem im städtischen Raum, gut ausgebaut       schlechter ab. Die soziale Durchlässigkeit ist in
                                    sind, überwiegt in anderen Regionen ein Mangel     Österreich also sehr gering.
                                    an Plätzen. Einige Eltern können ihren Kindern

12   |   Ungleichheit und soziale Mobilität
FAKTEN
                                                                                                                                    • Bei den Eltern mit Universitätsabschluss ha-
Zum Weiterlesen:                                                                                                                      ben 86 % der Kinder Matura oder einen höhe-
Institut für Höhere Studien (2020): Studierenden-                                                                                     ren Abschluss.
Sozialerhebung 2019. Kernbericht, online unter:                                                                                     • Wenn die Eltern lediglich die Pflichtschule
http://bit.do/bildung_01                                                                                                              abgeschlossen haben, erreichen die Kinder zu
OECD (2018): A Broken Social Elevator? How to                                                                                         27 % auch keinen höheren Abschluss. Bei El-
Promote Social Mobility, online unter:                                                                                                tern mit einem Hochschulabschluss schließen
http://bit.do/bildung_02                                                                                                              nur 2% der Kinder maximal die Pflichtschule ab.
Statistik Austria (2020): Bildung in Zahlen:                                                                                        • Die Bildungsvererbung zwischen den Gene-
2018/2019, online unter: http://bit.do/bildung_03                                                                                     rationen ist in Österreich für Frauen stärker
                                                                                                                                      ausgeprägt als für Männer..

  DER BILDUNGSWEG DER ELTERN BESTIMMT
  DEN BILDUNGSWEG DER KINDER
                                                      Universität
   HÖCHSTE ABGESCHLOSSENE AUSBILDUNG DER ELTERN

                                                      Matura

                                                                                                                                                                                             Quelle: Statistik Austria 2018, eigene Darstellung
                                                  Mittlere
                                                  Schule
                                                  Lehre/
                                                   Pflichtschule
                                                        max.

                                                                            10 %            20 %      30 %        40 %     50 %      60 %        70 %   80 %     90 %     100 %
                                                                    HÖCHSTE ABGESCHLOSSENE AUSBILDUNG DER KINDER
                                                                       max. Pflichtschule          Lehre/mittlere Schule   Matura       Universität

                                                                                                                                                                                  Ungleichheit und soziale Mobilität | 13
EINKOMMEN UND LEBENSZUFRIEDENHEIT
                                    HÄNGEN ZUSAMMEN

                                                                                           ∅ Österreich

                                      oberstes
                                  Einkommens-
                                        fünftel

                                      mittleres

                                                                                                                                           Quelle: Statistik Austria 2020, eigene Darstellung
                                  Einkommens-
                                        fünftel

                                      unterstes
                                  Einkommens-
                                         fünftel

5
                                                   0              7          7,5                 8              8,5               10
                                                                                                                          sehr zufrieden
                                            gar nicht zufrieden
                                                                      WIE ZUFRIEDEN SIND SIE MIT IHREM LEBEN?

                                  UNGLEICHHEIT UND LEBENSZUFRIEDENHEIT

                                  GLEICHHEIT
                                  IST GLÜCK

                                  Schon der deutsche Titel des Weltbestsellers          Glück ist ungleich verteilt
                                  „Gleichheit ist Glück“ der beiden britischen Wis-     Blickt man auf Fragen der Lebenszufriedenheit
                                  senschaftler*innen Kate Pickett und Richard           und des Glücks, so zeigt sich, dass die Menschen
                                  Wilkinson weist darauf hin, dass es einen Zu-         in Österreich im EU-Vergleich mit 8 von 10 mög-
                                  sammenhang zwischen sozialer Ungleichheit             lichen Punkten zu den zufriedensten gehören.
                                  und Lebenszufriedenheit gibt. Sozial gleichere        Dieser hohe Durchschnittswert wird meist mit
                                  Gesellschaften bieten für Alle ein besseres und       den guten Lebensbedingungen, wie den im Euro-
                                  schöneres Leben. Es gilt: Je niedriger die sozia-     pavergleich hohen Einkommen oder dem gut aus-
                                  le Ungleichheit, desto glücklicher sind auch die      gebauten Gesundheits- und Sozialsystem in Ver-
                                  Menschen.                                             bindung gebracht.

14   |   Ungleichheit und Lebenszufriedenheit
Sieht man allerdings etwas genauer hin, zeigen          Zum Weiterlesen:
sich innerhalb der Bevölkerung beträchtliche            Arbeiterkammer Wien (2020): AK-Wohlstandsbe-
Unterschiede bei der Lebenszufriedenheit. Be-           richt 2020. Analyse des gesellschaftlichen Fort-
sonders deutlich sticht der Einfluss der Einkom-        schritts in Österreich 2016-2021, online unter:
menshöhe hervor: Bei der untersten Einkom-              http://bit.do/lebenszufriedenheit_03
mensgruppe lag die mittlere Lebenszufriedenheit         Statistik Austria (2020): Wie geht´s Österreich? In-
2018 laut Statistik Austria bei 7,4, bei der obersten   dikatoren und Analysen sowie COVID‑19‑Ausblick,
Einkommensgruppe allerdings bei bereits 8,5 von         online unter:
10 möglichen Punkten. Der Erwerbsstatus spielt          http://bit.do/lebenszufriedenheit_01
ebenso eine zentrale Rolle: Personen mit einem          Pickett, K. / Wilkinson, R. (2009): Gleichheit ist
aufrechten Beschäftigungsverhältnis wiesen mit          Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle bes-
8,2 einen deutlich höheren Zufriedenheitswert           ser sind, online unter:
auf als Arbeitslose mit nur 6,6 Punkten. Diese          http://bit.do/lebenszufriedenheit_02
Unterschiede ergeben sich vor allem aus den unsi-
chereren Lebensbedingungen und den damit ver-
bundenen geringeren Möglichkeiten zur sozialen
Teilhabe von Arbeitslosen und Menschen mit ge-
ringerem Einkommen.

Viel Geld allein macht aber natürlich nicht auto-
matisch glücklich. Lebenszufriedenheit und
                                                             FAKTEN
Glück hängen auch von vielen persönlichen Fak-               • Die allgemeine Lebenszufriedenheit hängt
toren, wie beispielsweise von Freundschaften                   stark mit dem Wohlstandsniveau eines Landes
und Familie oder persönlichen Einstellungen und                zusammen: Im EU-Vergleich sind Menschen in
Lebenszielen ab. Dennoch: Menschen mit Geld                    Bulgarien oder Griechenland am unglücklichsten,
haben einfach eine große Sorge weniger als Men-                in Österreich oder Dänemark am glücklichsten.
schen ohne Geld.                                             • Die Lebenszufriedenheit in Österreich stieg im
                                                               letzten Jahrzehnt stets an, allerdings hat die
Ein glückliches Leben für Alle!                                Corona-Krise die allgemeine Lebenszufrieden-
Damit jedoch möglichst alle die Chance auf ein ge-             heit stark gedämpft.
lungenes und glückliches Leben haben, ist ein gut            • Arbeitslose, Frauen und junge Menschen haben
ausgebauter Sozialstaat mit kostenloser Gesund-                in Österreich im Zuge der Corona-Krise beson-
heitsversorgung, einem durchlässigen Bildungs-                 ders unter einem Einbruch ihrer Lebenszufrieden-
system und funktionierender öffentlicher Infra-                heit gelitten.
struktur unabdingbar.

                                                                                                      Ungleichheit und Lebenszufriedenheit | 15
UNGLEICHHEIT UND GESUNDHEIT

                                  ARMUT MACHT
                                  KRANK

6                                 Im Zuge der Corona-Krise ist das Thema Gesund-
                                  heit wieder besonders ins Zentrum der Aufmerk-
                                  samkeit gerückt. Österreich hat eines der am
                                  besten ausgebauten Gesundheitssysteme und
                                                                                    gedanken hängen häufig mit der Höhe des Ein-
                                                                                    kommens zusammen. Von Depressionen sind
                                                                                    rund 3,5 % der Männer und Frauen in der höchs-
                                                                                    ten, aber bereits 10 % der Männer und 15 % der
                                  die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist     Frauen in der niedrigsten Einkommensklasse
                                  durch die gesetzliche Krankenversicherung er-     betroffen.
                                  fasst. Dennoch zeigen sich auch hierzulande be-   Besonders dramatisch sind die Unterschiede bei
                                  trächtliche Unterschiede beim Zugang zu me-       der Lebenserwartung. Auswertungen von Statis-
                                  dizinischen Leistungen, beim Risiko krank zu      tik Austria zeigen, dass Menschen, die dauerhaft
                                  werden oder gar frühzeitig zu sterben.            in Armut leben müssen, deutlich früher sterben
                                                                                    als die Durchschnittsbevölkerung. So haben
                                  Wer weniger verdient, wird eher krank             Männer in manifester Armut im Durchschnitt
                                  Der Österreichische Gesundheitsbericht aus        rund 11 und Frauen rund 4 Lebensjahre weniger
                                  2019 zeigt bei zahlreichen Erkrankungen einen     als nicht-armutsgefährdete Menschen. Das liegt
                                  starken Zusammenhang mit der Einkommens-          daran, dass manifest Arme häufig mit widrigen
                                  höhe. Das betrifft etwa chronische Krankhei-      Lebensbedingungen zu kämpfen haben (u.a. auf
                                  ten wie Rückenprobleme oder Bluthochdruck.        Grund von Obdachlosigkeit, schlechterer Quali-
                                  Besonders offensichtlich werden die Klassen-      tät ihrer Wohnung, weniger Zugang zu bestimm-
                                  unterschiede aber auch bei der Zahngesund-        ten Gesundheitsleistungen).
                                  heit: So schätzen vier Fünftel der Personen mit
                                  sehr hohem, aber nur drei Fünftel der Personen    Gesundheitliche Risiken am Arbeitsplatz
                                  mit sehr niedrigem Haushaltseinkommen ihren       Das Risiko bestimmte Erkrankungen zu bekom-
                                  Zahnstatus als (sehr) gut ein. Auch psychische    men oder körperliche Schäden zu erleiden hängt
                                  Erkrankungen, wie Depressionen oder Suizid-       auch stark mit dem Arbeitsplatz zusammen. So

16   |   Ungleichheit und Gesundheit
ARMUT REDUZIERT DIE
LEBENSERWARTUNG

           -1,5                                   -4                     -4                                      -11
           JAHRE                                  JAHRE                  JAHRE                                   JAHRE

                                                                                                                                   Quelle: Statistik Austria 2019, eigene Darstellung
                   ARMUTSGEFÄHRDET                                                 MANIFEST ARM
            Armutsgefährdet sind Personen mit einem Haushalts-       Manifest arm sind Personen, die ihre Grundbedürfnisse aus
              einkommen unter 60 % des Medianeinkommens.                  finanziellen Gründen nicht mehr decken können.

ist man in einigen Branchen oder Berufen eher                    Gesundheitsbefragung 2019, online unter:
einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt als in                  http://bit.do/gesundheit_02
anderen: Das Bauhilfs-, Transport- und Fracht-                   Steiber, N. / Liedl, B. / Molitor, P. (2020): Infektions-
gewerbe oder das Hotel- und Gaststättenwesen                     risiko am Arbeitsplatz: Das Risiko für eine Corona-
sind Beispiele für Berufsfelder, in denen es be-                 Infektion ist ungleich verteilt, online unter: http://
sonders hohe Gesundheitsrisiken gibt. Ebenso                     bit.do/gesundheit_03
kommt es hier zu deutlich mehr Arbeitsunfällen
und auch die Sterberate ist höher als in anderen
Branchen. Die Corona-Krise hat diese Zusam-
menhänge noch einmal deutlicher hervorgeho-
ben: Ökonomisch benachteiligte Gruppen wa-
                                                                      FAKTEN
ren einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt,                         • Viele Erkrankungen sind sozial ungleich verteilt:
sich mit dem Virus zu infizieren oder gar an                            18 % in der höchsten Einkommensklasse beklagen
COVID-19 zu sterben.                                                    ein Rückenleiden, in der Gruppe mit sehr geringem
                                                                        Haushaltseinkommen sind es rund 32 %.
                                                                      • Personen in einkommensschwachen Haushal-
Zum Weiterleisen:                                                       ten beurteilen ihren allgemeinen Gesundheits-
Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesund-                         zustand um einiges schlechter als Personen in
heit und Konsumentenschutz (2019): Gender-                              höheren Einkommensklassen.
Gesundheitsbericht. Schwerpunkt Psychische                            • Das Risiko einer psychischen Erkrankung hängt
Gesundheit am Beispiel Depression und Suizid,                           vom sozialen Status ab. Eine finanziell unter-
online unter: http://bit.do/gesundheit_01                               stützte Psychotherapie bekommt aber nur jede*r
Statistik Austria (2020): Soziodemographische und                       sechste Betroffene, das erhöht die soziale Kluft.
sozioökonomische Determinanten von Gesundheit.
Auswertungen der Daten der Österreichischen

                                                                                                                                 Ungleichheit und Gesundheit | 17
UNGLEICHHEIT UND WOHNEN

                                   WIE WOHNEN UNSER
                                   LEBEN PRÄGT

                                   Etwa die Hälfte der österreichischen Bevölkerung        konzentrieren sich Haushalte mit niedrigem verfüg-
                                   besitzt Wohnraum, die andere Hälfte zahlt einen         barem Einkommen auch in Regionen mit günstigen
                                   wachsenden Anteil ihres Einkommens für dessen           Mieten. Gebiete mit hoher Armutskonzentration
                                   Nutzung. Die Folgen der ungleichen Immobilienver-       sind oft durch schlechtere, aber zugleich dichte Be-
                                   mögensverteilung sind Wohnkostenüberbelastung,          bauung und schlechtere Infrastruktur gekenn-
                                   Überbelag, Energiearmut und hohe Lärm- und Um-          zeichnet. In Folge kommt es dort zu einer Häufung

7
                                   weltbelastung bei ärmeren Haushalten. Dieser ste-       sozialer Probleme in den Wohnanlagen, im öffent-
                                   hen Wohnraum-Überfluss und wachsende Vermö-             lichen Raum und an den Schulen, gefolgt von einem
                                   genseinkommen aus Anlagevermögen bei reicheren          Wegzug besser situierter Bewohner*innen. Hält die
                                   Haushalten gegenüber.                                   öffentliche Hand nicht entsprechend dagegen, ver-
                                                                                           stärkt sich diese Tendenz noch weiter und reduziert
                                   Wohnungleichheit verschärft die Folgen                  die Lebensmöglichkeiten der Bewohner*innen weit
                                   der Corona-Krise                                        über die unmittelbare Wohnqualität hinaus.
                                   Die Wohnsituation hat einen großen Einfluss auf
                                   die Lebensmöglichkeiten, insbesondere während           Gemeinnütziger Wohnbau als wichtiger Ausgleich
                                   der Corona-Krise wurden diese Unterschiede spür-        Im internationalen Vergleich ist die Wohnsituation
                                   barer. Für Menschen, die in überbelegten Wohnun-        in Österreich dennoch gut. Das liegt am insgesamt
                                   gen ohne Freiflächen an einer befahrenen Straße         höheren Wohlstandsniveau und den vergleichswei-
                                   wohnen, waren die Lockdowns belastender als für         se geringen Einkommensunterschieden, aber auch
                                   jene, die sie im großzügigen Einfamilienhaus mit        am nach wie vor hohen Anteil des gemeinnützigen
                                   eigenem Arbeitszimmer und Garten verbrachten.           Wohnbaus (knapp ein Viertel in Österreich gegen-
                                   Erste Studien deuten bereits darauf hin, dass die       über 7 % im OECD-Schnitt), insbesondere in den
                                   unterschiedlichen Möglichkeiten, die der eigene         Städten. Dieser sorgt für eine bessere soziale Durch-
                                   Wohnraum etwa für Home-Schooling bietet, auch           mischung innerhalb als auch zwischen den Wohn-
                                   künftige Lebenschancen beeinflussen.                    vierteln. Mit moderaten Wohnkosten bei relativ ho-
                                                                                           hen Standards übt er auch Druck auf das allgemeine
                                   Räumliche Armuts- und Vermögenskonzentration            Niveau der Mieten und damit die Gewinne privater
                                   Je größer die soziale Ungleichheit ist, desto stärker   Immobilienvermieter*innen aus.

18   |   Ungleichheit und Wohnen
Verteilungspolitisch gilt es folglich den gemein-
nützigen Bereich auszubauen, der nicht nur die                                                       FAKTEN
Lebensqualität und Kaufkraft der unmittelbaren
Mieter*innen erhöht, sondern den Wohnungs- und                                                       • Dem reichsten Fünftel gehören 88 % des nicht als
Immobilienmarkt insgesamt reguliert.                                                                   Hauptwohnsitz genutzten Immobilienvermögens.
                                                                                                     • Nennenswertes Einkommen aus Immobilienbesitz
Zum Weiterlesen:                                                                                       findet sich fast nur bei Reichen: Allein 83 % der
Fessler, P. / Schürz, M. (2010): Informationen zum                                                     nicht über Firmen lukrierten Mieterträge gehen an
„kleinen Häuselbauer“, online unter:                                                                   das oberste Einkommensdrittel.
http://bit.do/wohnen_01                                                                              • Menschen mit geringem Einkommen leben oft in
Springler, E. (2019): Die Rückkehr der Wohnungsfra-                                                    Vierteln mit schlechterer Infrastruktur. 4 von 10
ge, online unter: http://bit.do/wohnen_02                                                              können sich sogar diese Wohnungen oft nicht leisten,
Tockner, L. (2017): Wie kann städtisches Wohnen                                                        5 % nicht einmal ausreichend heizen.
wieder leistbar werden?, online unter:
http://bit.do/wohnen_03

         ARMUTSGEFÄHRDUNG SCHAFFT
         GRÖSSERE WOHNPROBLEME                                                                                         nicht armutsgefährdet
                                                                                                                       armutsgefährdet

                                       40,8 %

                                                                33 %
Anteil der Betroffenen in %

                                                       12,3 %                                                                                  13,3 %
                                                                                                                   8,2 %            8,9 %
                                                                                          4,9 %            4,6 %
                               1,9 %                                             1,3 %
                                                                                                                                                        Quelle: Eurostat 2021, eigene Darstellung

                               €

                               Wohnkosten-                Überbelag              nicht angemessen             zu dunkel                 zu feucht
                              überbelastung                                            warm

                                                Armutsgefährdet sind Personen mit einem Haushaltseinkommen unter 60% des Medianeinkommens.

                                                                                                                                                                                      Ungleichheit und Wohnen | 19
KINDER UND JUGENDLICHE, DIE SICH FREIZEITAKTIVITÄTEN
                                NICHT LEISTEN KÖNNEN

                                                                          131.000

                                                                                                                                                    Quelle: Statistik Austria / EU-SILC 2020, eigene Darstellung
                                                      70.000
                                                                                                                            57.000

                                                                                                       25.000

8
                                                    Erwerb von       Besuchen von kosten-         Feiern von Festen zu   Freund*innen zum
                                                  Sport-/Freizeit-   pflichtigen Freizeitver-     besonderen Anlässen    Spielen und Essen
                                                      geräten             anstaltungen                                        einladen

                                  UNGLEICHHEIT UND FREIZEITGESTALTUNG

                                  FREIZEIT MUSS MAN SICH
                                  LEISTEN KÖNNEN

                                  „Wo seid ihr in den Sommerferien auf Urlaub ge-               zur Freizeitgestaltung wider.
                                  wesen?“ ist eine häufig gestellte Frage am Beginn             Fremdbestimmte Freizeit beeinträchtigt
                                  eines neuen Schuljahrs. Der vermeintlich sanfte               soziale Teilhabe
                                  Einstieg in den Schulalltag löst bei manchen Kin-             Freizeit ist das, was vom Tag übrigbleibt, wenn
                                  dern jedoch ein Schamgefühl aus, weil sie nicht               man bezahlte und unbezahlte Arbeitszeiten so-
                                  von Urlaubsreisen erzählen können. Dies ist kein              wie damit verbundene Wegzeiten abzieht. Neben
                                  Einzelschicksal: Jedes sechste Kind unter 16 Jah-             persönlichen Bedürfnissen sind es vor allem
                                  ren lebt in Haushalten wo ein Urlaub aus finan-               soziale Interaktionen, die unsere Freizeitakti-
                                  ziellen Gründen nicht möglich ist. Soziale Un-                vitäten bestimmen. Selbstbestimmte Freizeit-
                                  gleichheiten spiegeln sich in den Möglichkeiten               phasen sind aber nicht selbstverständlich. In der

20   |   Ungleichheit und Freizeitgestaltung
Gebäudereinigung führen etwa geteilte Dienste       halbe Million Menschen in Österreich.
in den Morgen- und Abendstunden zu fremdbe-         Kinder von einkommensarmen Familien trifft es
stimmten Freizeitphasen. Für die Beschäftigten      besonders hart. Sie können deutlich weniger von
bedeutet das eine drastische Einschränkung ge-      ihren Eltern gefördert werden. Jedes zehnte Kind
meinsam planbarer Freizeitgestaltung mit Fami-      unter 16 Jahren ist von kostenpflichtigen Freizeit-
lie und Freund*innen.                               aktivitäten ausgeschlossen, jedes zwanzigste be-
                                                    kommt dafür notwendige Sportgeräte nicht. Un-
Freizeit ist ungleich verteilt                      gleichheit setzt sich also bei den Kindern fort und
Oftmals entspricht das Freizeitausmaß nicht den     schränkt ihre Möglichkeiten ein.
Bedürfnissen der Beschäftigten. Arbeitslose und
unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte stehen überlas-   Zum Weiterlesen:
teten Vollzeitbeschäftigten gegenüber. Während      Sardadvar, K. (2019): Ausgelagert und unsichtbar:
jede*r sechste Teilzeitbeschäftigte gerne mehr      Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche, on-
oder sogar Vollzeit arbeiten möchte, sehnt sich     line unter: http://bit.do/freizeit_01
jede*r vierte Vollzeitbeschäftige nach mehr Frei-   Statistik Austria (2021): Lebensbedingungen für
zeit und der Reduktion der Wochenarbeitszeit        Personen in Risikohaushalten 2020, online unter:
um ein paar Stunden. Freizeit ist also sehr un-     http://bit.do/freizeit_02
gleich verteilt. Menschen mit hohem Einkommen       Statistik Austria (2020): Arbeitsmarktstatistiken
haben deutlich mehr Spielraum, zugunsten von        2019 Ergebnisse der Mikrozensus-Arbeitskräfteer-
mehr Freizeit auf einen Teil ihres Einkommens       hebung und der Offenen-Stellen-Erhebung, online
zu verzichten.                                      unter: http://bit.do/freizeit_03

Einkommen bestimmt Freizeitgestaltung
Gesellschaftliche Teilhabe ist eng verknüpft mit
den individuellen finanziellen Möglichkeiten: Sei
                                                      FAKTEN
es der Kino- oder Theaterbesuch, das Treffen mit      • Freizeit ist ungleich verteilt: 18 % der Teilzeitbe-
Freund*innen im Café oder ein Getränk im Gast-          schäftigten möchten mehr arbeiten und 16 % der
haus als Abschluss einer gemeinsamen sport-             Vollzeitbeschäftigen sehnen sich nach mehr Frei-
lichen Aktivität. Armutsgefährdete Personen             zeit.
haben ein höheres Risiko sozial ausgegrenzt zu        • Jeder achte Mensch in Österreich kann sich kei-
werden. Neben vielen anderen Indikatoren listet         nen Urlaub leisten.
Statistik Austria als Indiz für Ausgrenzungsge-       • 25.000 Kinder unter 16 Jahren können sich Freizeit-
fährdung auf, wenn Menschen nicht zumindest             aktivitäten wie Geburtstagsfeste nicht leisten.
einmal pro Monat Bekannte oder Verwandte zum
Essen einladen können. Das betrifft mehr als eine

                                                                                                    Ungleichheit und Freizeitgestaltung   | 21
UNGLEICHHEIT UND KLIMAKRISE

                                  WER SÄGT AM AST,
                                  AUF DEM WIR SITZEN?

                                  Umweltungleichheit hat viele Gesichter, aber es      brauchen überdurchschnittlich mehr Flächen,
                                  sitzen dabei nicht alle im gleichen Boot: Ärme-      Energie und Ressourcen – ihre Wohnungen und
                                  re Menschen sind stärker von lokalen Luft- und       Autos sind größer. Die öffentliche Hand fördert
                                  Lärmbelastungen betroffen. Global betrachtet         diese Lebensstile teilweise durch umweltschäd-
                                  sind Menschen in ärmeren Regionen klimabe-           liche Subventionen wie zum Beispiel der Steuer-
                                  dingten Naturkatastrophen wie Dürren oder            befreiung von Kerosin. Demgegenüber entstehen
                                  Überschwemmungen stärker ausgesetzt. Auch in         die Emissionen der Ärmeren häufig aus einem
                                  Österreich verstärken die Folgen der Klimakrise      Mangel an Geld: Denn umweltfreundliche Lösun-

9
                                  die soziale Ungleichheit.                            gen sind oft teurer und damit schlechter leistbar.
                                                                                       Gleichzeitig zwingt der Mangel an öffentlicher,
                                  Wer lebt auf unsere Kosten?                          klimafreundlicher Infrastruktur viele Menschen
                                  Die ungleiche Verantwortung für die Klimakrise       auf umweltschädliche Lösungen wie etwa Autos
                                  nimmt weiter zu. Der Anstieg der Treibhausgas-       zurückzugreifen.
                                  emissionen in den letzten 25 Jahren lässt sich nur
                                  zu 6 % auf die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung     Klimaschutz fördert Gleichheit
                                  zurückführen. Die reichere Hälfte der Weltbevöl-     Gerechter Klimaschutz schafft gute Infrastruk-
                                  kerung ist für die verbleibenden 94 % des Zuwach-    turen für ein klimaneutrales Leben. Außerdem
                                  ses verantwortlich. Der Grund ist die steigende      dämmt er überflüssige Luxusemissionen aus
                                  Ungleichheit und der immer klimaschädlichere         Überreichtum ein. Dafür muss der bestehende
                                  Konsum der globalen Eliten.                          materielle Wohlstand gerechter verteilt werden.
                                                                                       Faire Klimaschutzmaßnahmen verbessern die
                                  Fliegen, Rasen, Residieren                           Lebensqualität – gerade für die Ärmsten: Mit
                                  Diese Ungleichheit im CO2-Verbrauch gibt es auch     mehr sozial-ökologischem Wohnbau und ther-
                                  in Österreich: Zwar verursachen auch die ärms-       mischer Sanierung des Bestandes können die
                                  ten 10 % der Haushalte mehr Emissionen als das       Emissionen für Raumwärme gesenkt und Ener-
                                  verträgliche Klimabudget von 1 bis 2 Tonnen pro      giearmut bekämpft werden. Klimaschutz schützt
                                  Jahr und Person. Aber ein Blick auf die Klima-       gerade die Verletzlichsten unserer Gesellschaft,
                                  bilanz der reichsten Österreicher*innen zeigt,       wie Kranke, Ältere, Kinder und Einkommensar-
                                  dass Überreichtum und nicht Armut die zentrale       me, denn sie sind von Klimaerhitzung besonders
                                  Ursache der Umweltzerstörung ist. Reiche ver-        bedroht.

22   |   Ungleichheit und Klimakrise
Zum Weiterlesen:                                        FAKTEN
          Greenpeace (2020): Klimaungerechtigkeit in Öster-
          reich, online unter:                                    • Weltweit gehen ganze 37 % des Zuwachses an
          http://bit.do/klimakrise_01                               Treibhausgasemissionen auf die reichsten 5 %
          Oxfam International (2020): Confronting Carbon            der Weltbevölkerung zurück.
          Inequality: Putting climate justice at the heart of     • Die reichsten 10 % der österreichischen Haushal-
          the COVID-19 recovery, online unter:                      te emittieren viermal so viel Treibhausgase wie
          http://bit.do/klimakrise_02                               die ärmsten 10 %.
          Wiedmann, T. / Lenzen, M. / Keyßer, L. T. / Stein-      • In Österreich gibt es vor allem in den Bereichen
          berger, J. K. (2020): Scientists’ warning on affluen-     Verkehr, Wohnen und Freizeitaktivitäten große
          ce, online unter: http://bit.do/klimakrise_03             soziale Ungleichheit bei den Emissionen.

     REICHE VERURSACHEN
     VIERMAL SO VIEL CO2

                                 40

                                 35

                                 30
Tonnen CO2 / Jahr und Haushalt

                                 25                                        40,8
                                 20                                      Tonnen CO2
                                                                                                                       Quelle: Greenpeace 2020, eigene Darstellung

                                 15

                                 10       9,7
                                       Tonnen CO2
                                  5

                                      Unterste 10 %               Oberste 10 %

                                                                                                                   Ungleichheit und Klimakrise | 23
UNGLEICHHEIT UND DEMOKRATIE

                                 WER DAS GELD HAT,
                                 MACHT DIE REGELN
10                               Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat
                                 vielfältige Auswirkungen auf die Demokratie. Die
                                                                                         Reichsten folgt und die Demokratie so untergraben
                                                                                         wird.
                                 Beteiligung an Wahlen und anderen politischen Ak-
                                 tivitäten unterscheidet sich nach sozialen Kriterien.   Reichtum bildet Meinung
                                 Das gilt auch für Österreich: Im ökonomisch benach-     Es wird aber nicht nur Geld in die Hand genommen,
                                 teiligsten Drittel gaben 41 % der Wahlberechtigten      um die eigenen Interessen auf parlamentarischer
                                 bei der Nationalratswahl 2019 keine Stimme ab. Im       Ebene durchzusetzen, sondern auch um das Mei-
                                 obersten Drittel gehen nur 17 % nicht zur Wahl. Un-     nungsbild in der Bevölkerung zu beeinflussen. Dazu
                                 gleichheit wächst auch, weil viele Menschen mit ge-     werden Denkfabriken gegründet und finanziert, die
                                 ringem Einkommen nicht an demokratischen Ent-           die politische, mediale und wissenschaftliche Agen-
                                 scheidungsprozessen teilnehmen, während andere          da prägen. Vermögende Industrielle und Unterneh-
                                 große Geldbeträge locker machen, um sich mehr           mensverbände haben in den letzten Jahren viel Geld
                                 Einfluss zu verschaffen. Außerdem gibt es noch viele    in neoliberale Institute investiert und diesen zu gro-
                                 Menschen, die aufgrund ihrer Staatsbürger*innen-        ßen medialen Reichweiten verholfen. Zudem haben
                                 schaft gar nicht wählen dürfen.                         einige Reiche eigene Medien gegründet oder sich in
                                                                                         Massenmedien eingekauft, um Einfluss auf die öf-
                                 Politik für die Reichen                                 fentliche Meinung auszuüben.
                                 Politische Entscheidungen werden oftmals durch
                                 Lobbying beeinflusst, um etwa Handelsabkommen           Gleiches Recht für alle?
                                 oder Steuererleichterungen für Reiche durchzu-          Reiche Menschen beeinflussen Gesetze nicht nur, sie
                                 setzen. Oder es wird an Parteien gespendet, um sich     können sich diesen auch einfacher entziehen. Das
                                 die politische Gunst für die eigenen Belange zu si-     Verschieben von Vermögen in internationale Steuer-
                                 chern. Mehrere internationale Studien zeigen, dass      sümpfe oder das Ausnutzen von Schlupflöchern im
                                 die Politik häufiger den politischen Präferenzen der    Justizsystem sind Beispiele dafür. Die Verknüpfung

24   |   Ungleichheit und Demokratie
JE GERINGER DAS EINKOMMEN, UMSO HÖHER
DER ANTEIL DER NICHTWÄHLER*INNEN

                                                                                                                          Quelle: SORA Österreichischer Demokratie Monitor 2019, eigene Darstellung
            59 %                                          78 %                                      83 %
          Wahlbeteiligung                               Wahlbeteiligung                           Wahlbeteiligung

            ökonomisch                                   ökonomisch                                 ökonomisch
         schwächstes Drittel                            mittleres Drittel                         stärkstes Drittel

von Reichtum und Macht ist in vielen Bereichen von              Zum Weiterlesen:
Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar – und manch-               Dimmel, N. / Hofmann, J. / Schenk, M. / Schürz, M.
mal auch unsichtbar. Viele Menschen beschleicht des-            (2017): Handbuch Reichtum. Neue Erkenntnisse aus
halb das Gefühl, dass manche mehr gehört werden                 der Ungleichheitsforschung, Wien: Studienverlag
und es sich richten können, während ihre Interessen             Pühringer, S. / Stelzer-Orthofer, C. (2016): Neolibera-
zu wenig berücksichtigt werden. Das erklärt auch,               le Think-Tanks als (neue) Akteure in österreichischen
warum sich benachteiligte Gesellschaftsschichten                gesellschaftspolitischen Diskursen, SWS Rundschau
vermehrt von politischen Entscheidungsprozessen                 56/1: S. 75-96
abwenden. Dazu kommt noch die wachsende Zahl an                 Zandonella, M. (2020): Ökonomische Ungleichheit zer-
Menschen, die von politischer Mitbestimmung gänz-               stört die Demokratie. Wenn Armutsbetroffene nicht
lich ausgeschlossen ist, weil sie keine österreichische         zu Wahlen gehen und ihre Anliegen kein Gehör finden,
Staatsbürger*innenschaft besitzt. Das verstärkt die             online unter: http://bit.do/demokratie_01
Schieflage in der Demokratie weiter.

FAKTEN
• In Österreich waren bei den letzten Nationalratswahlen fast 1,1 Millionen Menschen oder 15 % der Bevölkerung im wahlfähi-
  gen Alter mangels österreichischer Staatsbürger*innenschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen. In Wien betrifft dies sogar
  jede dritte Person.
• Laut Transparency International gibt es in Brüssel 50-mal mehr Lobbyist*innen als EU-Abgeordnete. 70 % davon vertreten
  Interessen der Industrie, nur 10 % die Interessen von Arbeitnehmer*innen.
• Große Medien sind in Österreich im Besitz von vermögenden Familien oder Banken. Sie prägen die öffentliche Debatte.
  Auswertungen zeigen, dass die großen Tageszeitungen beispielsweise eine Vermögenssteuer überwiegend ablehnend kom-
  mentieren.

                                                                                                                        Ungleichheit und Demokratie | 25
WAS ZU TUN IST

                          EINE GERECHTERE WELT
                          IST MÖGLICH

11                        Hohe Ungleichheit zerrüttet den Zusammen-
                          halt der Gesellschaft und das Wohlbefinden
                          der Einzelnen. In ungleichen Gesellschaf-
                          ten sind die sozialen Unterschiede bei Woh-
                          nen und Gesundheit, Freizeitaktivitäten
                          und Bildung, Jobs und sozialer Absicherung,
                          politischem Einfluss und beim ökologischen
                                                                             nalen und kognitiven Fähigkeiten junger Men-
                                                                             schen aus allen Schichten. Dies steigert auch
                                                                             ihre Chancen auf gute Jobs und Wohlstand.

                                                                             Soziale Dienste ermöglichen auch eine gerech-
                                                                             tere Verteilung unbezahlter Sorge- und damit
                                                                             auch bezahlter Erwerbsarbeit, vor allem für
                          Fußabdruck groß; das führt zu niedriger Le-        Frauen können sie gute Jobs und Einkommen
                          benszufriedenheit, hoher Unsicherheit und          sowie eigenständige soziale Absicherung brin-
                          verbreiteter Angst. Emanzipatorische Politik       gen. Was für das Bildungssystem exemplarisch
                          will die Lebensbedingungen der Vielen ver-         gilt, stimmt ebenso für Qualifizierung und
                          bessern, indem sie die negativen gesellschaft-     Weiterbildung, für eine flächendeckende Ver-
                          lichen Folgen von Ungleichheit korrigiert. Sie     sorgung mit mobilen Pflegediensten und Pfle-
                          muss diese aber bereits vor ihrem Entstehen        geheimen sowie ein Gesundheitssystem ohne
                          an den Wurzeln bekämpfen. Das erfordert ziel-      Klassen.
                          gerichtete Maßnahmen bei den Ärmeren, den
                          breiten, von Erwerbsarbeit und -einkommen          Besonders Städte und Gemeinden schaffen In-
                          geprägten Klassen, sowie den Reichen.              frastruktur für alle: Öffentliche Räume wie
                                                                             Parks, Sportplätze oder Kultureinrichtun-
                          Öffentliche Infrastruktur bringt                   gen ermöglichen Freizeitaktivitäten und ge-
                          mehr Gerechtigkeit                                 sellschaftliche Auseinandersetzung. Sozialer
                          Soziale Dienste mit hoher Qualität für alle hel-   Wohnbau fördert das Miteinander und die
                          fen den Menschen in Lebensphasen besonderer        Durchmischung. Öffentliche Verkehrsmittel
                          Schutzbedürftigkeit. Sie verringern direkt die     verbessern die Mobilität aller, unabhängig von
                          ökonomische Ungleichheit und ermöglichen           ihrem Einkommen oder Vermögen. Öffentliche
                          Erwerbsarbeit und Einkommen. Öffentliche           Infrastruktur fördert Erholung, ermöglicht So-
                          Kindergärten, Ganztagsschulen und offene           lidarität, verbessert Erwerbschancen und hilft
                          Hochschulen verbessern die sozialen, emotio-       gegen den Klimawandel.

26   |   Was zu tun ist
MEHR GLEICHHEIT MIT ÖFFENTLICHEM EIGENTUM
 UND ÖFFENTLICHER INFRASTRUKTUR

ÖFFENTLICHE RÄUME UND INFRASTRUKTUR BEREITSTELLEN, DAMIT ALLE AM GESELLSCHAFT-
LICHEN LEBEN TEILHABEN KÖNNEN UND WIR UNSEREN PLANETEN SCHÜTZEN.

 •   Ausbau des öffentlichen Verkehrs, von Bahn und Bus bis zu Rad- und Fußwegen.
 •   Reduktion von Verkehrs-, Lärm- und Luftbelastungen – da davon gerade Einkommensschwächere am
     stärksten betroffen sind.
 •   Konsumfreie Räume in der Öffentlichkeit sowie leistbare Zugänge zu Kunst und Kultur, um gesell-
     schaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen.
 •   Ausbau von ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Produktionsweisen, damit unser Planet
     auch für zukünftige Generationen lebenswert bleibt.

Politik für die Vielen                                  werbspolitik verhindert Monopole mit hohen
Gewerkschaften und Betriebsrät*innen kämp-              Preisen.
fen für bessere Rahmenbedingungen von Ar-               Die Erwerbstätigen haben eine soziale Arbeits-
beitsverhältnissen, mehr Gleichberechtigung             losen-, Kranken- und Pensionsversicherung
und Mitbestimmung in Erwerbsleben und Pro-              geschaffen, die Schutz bietet und den Lebens-
duktion, sowie hohe (Mindest-)Löhne und Ur-             standard sichert. Sie muss weiter verbessert
laubsansprüche. Aktive Beschäftigungs- und              werden, auch in Bezug auf die Finanzierung.
Industriepolitik schützen vor Arbeitslosigkeit          Steuern verringern Ungleichheit und finanzie-
und haben die Zukunft von Produktion und                ren soziale Dienste, öffentliche Infrastruktur
Arbeitsplätzen im Auge. Gelungene Wettbe-               und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir

                                                                                                         Was zu tun ist   | 27
MEHR GLEICHHEIT MIT FAIRER ARBEITSWELT
                              UND MEHR DEMOKRATIE

11
                          DAS RECHT AUF ARBEIT MIT FAIREN ARBEITSBEDINGUNGEN UND BREITER MITBESTIMMUNG
                          ERMÖGLICHEN, DAMIT ALLE EIN MENSCHENWÜRDIGES LEBEN FÜHREN KÖNNEN.

                          •     Durch das Recht auf Arbeit mit fairen Arbeitsbedingungen und breiter Mitbestimmung allen ein men-
                                schenwürdiges Leben ermöglichen.
                          •     Gute kollektivvertraglich abgesicherte Arbeitsverhältnisse mit Mindestlohn und laufender Mög-
                                lichkeit zu Weiterbildung.
                          •     Effektivere Einkommensberichte und Strafen bei Unterentlohnung, um die Lohnschere zwischen
                                den Geschlechtern zu schließen.
                          •     Ausbau der Gesundheitsprävention in den Betrieben, um psychische und physische Belastungen in
                                der Arbeitswelt zu reduzieren.
                          •     Leichterer Zugang zur österreichischen Staatsbürger*innenschaft, da derzeit viele Menschen
                                von demokratischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind.
                          •     Vollständige Transparenz und wirksame Obergrenzen bei Parteispenden, damit die Interessen
                                aller Menschen gleichmäßig berücksichtigt werden.

                              wollen sie progressiver machen. Die starken               meinden, gute Wohn- und Arbeitsbedingungen
                              Belastungen kleinerer Einkommen mit den                   für alle, hohe Qualität von Bildung, Gesundheit
                              erforderlichen Verbrauchs- und Ökosteuern                 und Pflege, attraktive Freizeitmöglichkeiten
                              müssen durch Transfers kompensiert, Kapital-              und gute Infrastruktur, eine lebendige Demo-
                              erträge besser erfasst und hohe Vermögen und              kratie, in der die Interessen aller Bevölkerungs-
                              Erbschaften progressiv besteuert werden.                  gruppen zum Ausdruck kommen, unabhängig
                              Mehr wirtschaftliche Gleichheit ist politisch             von ihrer Herkunft und ihren wirtschaftlichen
                              machbar. Sie schafft eine inklusive, solidari-            Ausgangsbedingungen.
                              sche Gesellschaft, lebenswerte Städte und Ge-

28   |   Was zu tun ist
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