Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...

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Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
Unterstützung für die Sorgenkinder
                                   Das Sonderförderprogramm „Instand-
                                   setzung leerstehender Kulturdenkmale in
                                   dörflichen und kleinstädtischen Ortskernen“
                                   Während in Metropolregionen Immobilienpreise und Mietkosten in die Höhe
                                   schießen, haben ländliche Regionen vielfach mit Leerstand und Ortskern-
                                   verödung zu kämpfen. Auch die großzügige Ausweisung von Neubaugebieten
                                   am Siedlungsrand, mit der ländliche Kommunen insbesondere junge Familien
                                   zur Ansiedlung bewegen möchten, trägt zum Niedergang der dörflichen und
                                   kleinstädtischen Ortszentren bei. Mit einem attraktiven Förderprogramm ver-
                                   suchte das Land diesem auch für Baudenkmale hochproblematischen Negativ-
                                   trend entgegenzuwirken.
                                   Bianka Hinsberger / Daniel Keller / Eva-Maria Krauße-Jünemann /
                                   Karsten Preßler / Ulrike Schubart

                                   Der bereits seit Jahrzehnten zu beobachtende,        setzungskosten an Bauwerk bzw. Baukonstruktion
                                   durch Landflucht und demographischen Wandel          (KG 300) bis zu 50 Prozent und einer Obergrenze
                                   verursachte Bevölkerungsrückgang in ländlichen       von 250 000 Euro pro Objekt gefördert werden.
                                   Regionen macht selbst vor dem wirtschaftlich pro-    Die Gründe für jahrelangen Leerstand sind komplex
                                   sperierenden Baden-Württemberg nicht halt. Die       und reichen von ungeklärten Eigentumsverhält-
                                   vielfältigen Folgen dieser Entwicklung sind bis in   nissen über fehlende Finanzmittel oder Nutzungs-
                                   die Denkmallandschaft hinein spürbar: In Dörfern     perspektiven bis hin zu mangelnder Attraktivität
                                   und Kleinstädten stehen immer mehr denkmalge-        aufgrund problematischer Infrastruktur und Lage
                                   schützte Gebäude leer und drohen nach mehrjäh-       oder wegen eines immensen Instandsetzungsstaus.
                                   rig fehlendem Bauunterhalt für immer verloren zu     Maßnahmen an diesen „Sorgenkindern“ zu einem
                                   gehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ent-        erfolgreichen Abschluss zu bringen verlangt von
                                   scheidung über Abbruchanträge zumeist eine Kos-      der Denkmalpflege hohen personellen Einsatz und
                                   ten-Nutzen-Analyse zugrunde gelegt wird, die         von den Eigentümern ein gehöriges Maß an Mut,
                                   ländliche Kulturdenkmale wegen der verglichen        Phantasie, Begeisterung und Flexibilität. Manch ein
                                   mit städtischen Baudenkmalen i. d. R. deutlich ge-   ins Auge gefasstes Projekt bleibt so auf der Strecke.
                                   ringeren Mieteinnahmen stark benachteiligt.          Darüber hinaus hemmen vielfach langwierige Ver-
                                   Um gegen diese fatale Entwicklung anzugehen,         kaufsverhandlungen die fachliche Abstimmung der
                                   konzipierte das damalige Ministerium für Finanzen    potenziellen Bauherren mit der Denkmalpflege,
Übrige Kosten                      und Wirtschaft als Oberste Denkmalschutzbe-          was zu verzögertem Maßnahmenbeginn führt.
    74 %
                                   hörde in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für        Angesichts all dieser Widrigkeiten ist die Bilanz des
                                   Denkmalpflege für den Zeitraum 2014 bis 2017         Sonderprogramms beachtlich: Während der vier-
                                   ein spezielles Förderprogramm, das großzügige fi-    jährigen Programmlaufzeit wurden für insgesamt
                                   nanzielle Anreize für die Instandsetzung von leer-   18 Objekte Förderanträge gestellt. Bei einer Ge-
                                   stehenden Baudenkmalen bot. Mit dem soge-            samtinvestitionssumme von knapp 11 Millionen
                Anteil Förderung
                      26 %
                                   nannten „Sonderprogramm Instandsetzung leer-         Euro stellte das Land Baden-Württemberg im Rah-
                                   stehender Kulturdenkmale in dörflichen und           men des Sonderprogramms mehr als 2,7 Millionen
                                   kleinstädtischen Ortskernen“ sollte das Engage-      Euro Fördermittel zur Verfügungen, was einem An-
   1 Mit Fördermitteln des
                                   ment jener Bauherren unterstützt werden, die sich    teil von etwa 26 Prozent der veranschlagten Ge-
   Sonderprogramms in
                                   der anspruchsvollen Aufgabe stellten, ein ent-       samtausgaben entsprach (Abb. 1).
   Höhe von 2 778 832 Euro
   konnten Investitionen
                                   sprechendes, mindestens fünf Jahre leerstehendes     Knapp drei Jahre nach Auslaufen des Sonderpro-
   vielfach höheren Um-            Objekt in besonders denkmalverträglicher Weise       gramms konnten von den 18 angemeldeten Sanie-
   fangs generiert werden.         zu sanieren und einer nachhaltigen Nutzung zu-       rungsprojekten acht erfolgreich abgeschlossen
                                   zuführen. Bei mit dem Anforderungsprofil über-       werden, bei sechs weiteren Objekten dauert die
                                   einstimmenden Projekten konnten die Instand-         Umsetzung der Maßnahme an.

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Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
Ortsbildprägender Fachwerkbau

Einer der ersten eingehenden Förderanträge betraf
das ortsbildprägende Wohngebäude Kirchstraße 5
in Langenbrettach-Brettach (Landkreis Heilbronn).
Um 1570 als Teil einer herrschaftlichen Hofanlage
erbaut, diente das in seiner historischen Substanz
und seinem charakteristischen Erscheinungsbild
gut überlieferte Gebäude (Abb. 2) bis 1815 als Gast-
haus zur Sonne, anschließend weitere 190 Jahre
reinen Wohnzwecken. Nach langjährigem Leer-
stand und Abbruch der rückwärtigen Scheune bot
das zweigeschossige verputzte Fachwerkgebäude
einen trostlosen Anblick, die Bausubstanz war
durch eindringende Feuchtigkeit in weiten Teilen
geschädigt, Schimmel und Hausschwamm hatten
sich gebildet. Mit einer denkmalerfahrenen Archi-
tektin an der Seite und in regelmäßiger Abstim-
mung mit der Denkmalpflege machte sich ein jun-
ges engagiertes Paar daran, das Sorgenkind zu
neuem Leben zu erwecken. Auf Grundlage einer
detaillierten Bestands- und Schadensaufnahme
wurde ein Planungskonzept entwickelt, das die
denkmalpflegerischen Erhaltungsziele mit den
Nutzungs- und Modernisierungsabsichten der Bau-
herren in Einklang brachte. Das ins 16. Jahrhundert
datierende stark geschädigte Holztragwerk wurde
repariert und partiell ertüchtigt (Abb. 3). Dank der
Erfahrung und Umsicht der Zimmerleute gelang
es, Substanzeingriffe zu minimieren und originale
Ausfachungen in situ zu erhalten. Auch der über-
lieferte Ausstattungsbestand wie Holzböden, Trep-
pen, Zimmertüren, Lamberien sowie die Putze auf
den Innen- und Außenwänden (einschließlich der
Zierputzquaderung des Sockelgeschosses) konn-
ten großteils erhalten und handwerklich repariert
werden (s. Abb. S. 94 oben). Gleichermaßen über-
raschend wie erfreulich waren die Befunde bau-
zeitlicher Gefachputze mit Bemalung, die bei der
Außeninstandsetzung zutage kamen und erfolg-
reich gesichert wurden.
Neben dem unermüdlichen Einsatz der Bauherr-
schaft und dem großen Sachverstand aller am Bau
Beteiligten trug nicht zuletzt auch die finanzielle
Förderung dazu bei, dieses ortshistorisch und bau-
geschichtlich bedeutsame Kulturdenkmal zu er-           Dach auf. Bauhistorische Untersuchungen erbrach-               2–3 Ostansicht des Ge-
halten, das nunmehr eine Bereicherung für den his-      ten den Nachweis, dass es bereits um 1394 errich-              bäudes Kirchstraße 5 in
torischen Brettacher Ortskern darstellt.                tet wurde und somit das älteste bisher bekannte                Langenbrettach nach
                                                        Wohnhaus Nürtingens ist. Sein Ostgiebel lehnt sich             Abschluss der Sanierung
                                                                                                                       im Jahr 2020 sowie
Das älteste Haus Nürtingens                             an die Stadtmauer an, deren Wehrgang vom Ge-
                                                                                                                       Reparatur der östlichen
                                                        bäude aus betretbar ist (Abb. 4; 5). Zusammen mit
                                                                                                                       Fachwerkaußenwand im
Noch erheblich älter als die einstige Brettacher Hof-   dem benachbarten Blockturm, der wie die Stadt-                 Jahr 2015.
anlage aus der Frühen Neuzeit ist ein ebenfalls im      mauer rund 50 Jahre älter sein dürfte, bildet es die
Rahmen des Leerstand-Programms gefördertes              Südostecke der mittelalterlichen Stadt. Dieses
Kulturdenkmal in Nürtingen (Landkreis Esslingen).       auch „romantischer Winkel“ genannte Quartier
Äußerlich eher schlicht und unscheinbar, fällt das      überstand als einziges den Stadtbrand von 1750.
Haus Strohstraße 15 vor allem durch seine Lage di-      Das Haus selbst besitzt zwar größtenteils erneu-
rekt an der Stadtmauer und sein steiles, hohes          erte Außenwände an den Traufseiten, hat aber

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021   95
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4 Nordfassade des Hau-
ses in der Strohstraße 15
in Nürtingen im Jahr
2016.

                             seine mittelalterliche Struktur mit zeittypischen,   des Blockturms rückte 2001 auch das in städti-
                             überblatteten Streben in Eichenholz und seine        schem Eigentum befindliche Haus in der Stroh-
                             Dachkonstruktion weitgehend bewahrt. Das Erd-        gasse in den Fokus. Angesichts der Bedeutung des
                             geschoss wurde ursprünglich als Ökonomie, das        Objekts, seiner Sensibilität und der beengten
                             Obergeschoss zu Wohnzwecken und die Dach-            Raumverhältnisse traten der Schwäbische Heimat-
                             räume als Speicher genutzt. Es handelt sich um ei-   bund und das damalige Landesdenkmalamt für
                             nen jahrhundertelang verbreiteten Haustypus, der     eine Instandsetzung mit musealer Nutzung ein.
                             alle Funktionen unter einem Dach vereint. Be-        Die Stadtverwaltung sah auch die Möglichkeit
                             sonders beeindruckend sind die vielen Zeitschich-    einer Privatisierung mit Wohnnutzung und ließ das
                             ten im Gebäude, die über 600 Jahre Geschichte        Kulturdenkmal zunächst nur notsichern. So dau-
                             widerspiegeln. Hierzu gehören mittelalterliche       erte es noch 15 Jahre, bis man nach entsprechen-
                             Baubefunde wie die Reste der Bohlenstube im          der Förderzusage über rund 100 000 Euro ein
                             Obergeschoss (Abb. 6), die Fensteröffnung zur        lange vorbereitetes nutzungsneutrales Instand-
5 Fassadendetail nach
Instandsetzung mit Bruch-    Stadtmauer und das Lehmflechtwerk in den Ge-         setzungskonzept verwirklichte, das im Wesent-
kante der Stadtmauer und     fachen, aber auch restauratorisch ermittelte Putz-   lichen aus traditionellen Zimmerer-, Maurer- und
spätmittelalterlichem Eck-   und Farbbefunde, wie eine gelbe Fassung für die      Verputzarbeiten ohne Einbau von Sanitär- und Hei-
ständer mit Blattsassen im   Balken mit schwarzen und roten Begleitstrichen       zungsanlagen bestand. Die Begleitung durch
Jahr 2017.                   aus dem 16. Jahrhundert. Mit der Instandsetzung      einen Fachrestaurator und behutsames Vorgehen
                                                                                  gewährleisteten die Erhaltung sämtlicher Befunde.
                                                                                  Seitdem ist das älteste Haus Nürtingens mit dem
                                                                                  einzigen vollständig erhaltenen Stadtmauerab-
                                                                                  schnitt im Rahmen von Führungen öffentlich zu-
                                                                                  gänglich. Nirgends sonst in Nürtingen wird Stadt-
                                                                                  baugeschichte so anschaulich.

                                                                                  Schweizerhaus-Stil im Nordschwarzwald

                                                                                  Nach langer Leerstandsperiode ernsthaft vom end-
                                                                                  gültigen Verlust bedroht war auch ein ortsbild-
                                                                                  prägend an einer innerörtlichen Durchgangsstraße
                                                                                  gelegenes Baudenkmal in Bad Herrenalb (Land-
                                                                                  kreis Calw). Das zweigeschossige Wohngebäude
                                                                                  wurde zusammen mit einer Gruppe weiterer Wohn-
                                                                                  häuser entlang der Gernsbacher Straße Ende des
                                                                                  19. Jahrhunderts unter Stadtbaumeister Schnait-
                                                                                  mann im „Schweizerstil“ errichtet (Abb. 8). Diese

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Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
Stilrichtung mit relativ flachen, weitauskragenden    unbeheizt blieb, bildete sich darüber hinaus zwi-   6 Vorzustand der ehem.
Dächern, üppigen Verzierungen durch Brettschnit-      schen den Tapeten und der Putzoberfläche in nahe-   Bohlenstube im Oberge-
zereien und bogenförmigen Schmuckgiebeln, mit         zu allen Räumen großflächig Schimmel.               schoss des Hauses in der
Schindelschirm oder Brettschalung sowie mit fili-     Oberstes Ziel der Sanierung war neben der zwin-     Strohstraße 15 mit Stuck-
                                                                                                          decke des 19. Jahrhun-
granen Metallbalkonen war insbesondere für klein-     gend erforderlichen statischen Ertüchtigung des
                                                                                                          derts und Auflagerbalken
städtische Erholungsorte wie Herrenalb in dieser      Tragwerks der Erhalt bauzeitlicher Bausubstanz.
                                                                                                          der ehem. Bohlen-Balken-
Zeit typisch.                                         Das Konzept zur energetischen Ertüchtigung sah      decke. In den Ausneh-
Das Wohnhaus wurde im 20. Jahrhundert sehr in-        vor, die Heizungsanlage zu erneuern, eine Innen-    mungen („Kammsassen“)
tensiv genutzt und insbesondere in den 1960er         dämmung aufzubringen und die bauzeitlichen          lagen ursprünglich die
Jahren im Inneren komplett überformt; seit den        Fenster – soweit dies aufgrund des Erhaltungszu-    Balken. Aufnahme 2016.
1980er Jahren wurde nicht mehr in die Instand-        standes möglich war – mit Dichtungen und
haltung investiert, zuletzt stand das Gebäude         Sonderisolierverglasung aufzurüsten.                7 Zustand nach der Sa-
15 Jahre leer. Dementsprechend befand es sich zu      Nach dem Entfernen sämtlicher Verkleidungen         nierung des Hauses in der
Beginn der Sanierungsmaßnahme sowohl kon-             und moderner Einbauten zeigte sich, dass die kom-   Gernsbacher Straße 41.
                                                                                                          Die bauzeitlichen Böden
struktiv als auch optisch in einem desolaten Zu-      plette bauzeitliche Ausstattung wie Dielenböden,
                                                                                                          und Fenster blieben er-
stand. Das Wasser, das über undichte Kehlen und       Stuckdecken, Treppen, Lamberien, Türzargen und
                                                                                                          halten. Hier ein Blick in
über die Anschlussbereiche der Dachgauben ein-        Türblätter noch vorhanden war. Im Zuge der Sa-      das Hauptzimmer im
gedrungen war, hatte einerseits die statische Holz-   nierungsmaßnahme wurden diese Elemente auf-         Dachgeschoss, 2016.
konstruktion massiv geschädigt und sich anderer-      gearbeitet und lassen das gerettete Kulturdenkmal
seits auch zum idealen Nährboden für einen            nun auch im Innern wieder in seinem Alterswert
Schwamm entwickelt. Da das Gebäude lange Zeit         erstrahlen (Abb. 7).

                                                                                                          8 Straßenfassade mit
                                                                                                          den filigranen Metall-
                                                                                                          balkonen nach der Sanie-
                                                                                                          rung in der Gernsbacher
                                                                                                          Straße 41, Bad Herrenalb.
                                                                                                          Aufnahme 2019.

                                                                                                          97
Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
deutung. Nach Nutzungsaufgabe 1999 war das
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                                                                                  geben, bevor die Rettung kam: Eine bereits in Kup-
                                                                                  ferzell ansässige Architektin suchte ein geeignetes
                                                                                  Domizil zum Wohnen und Arbeiten. Da die neue
                                                                                  Eigentümerin bereits umfangreiche Erfahrungen
                                                                                  bei der Sanierung und Restaurierung von Kultur-
                                                                                  denkmalen gesammelt hatte, war sie bestens vor-
                                                                                  bereitet. Ohne die Fördermittel des Sonderpro-
                                                                                  gramms aber wäre die Instandsetzung dennoch
                                                                                  nicht zu schultern gewesen. Nach einer Notsiche-
                                                                                  rung ließ die Bauherrin in genauer Kenntnis der
                                                                                  denkmalpflegerischen Werte den historischen Be-
                                                                                  stand – Natursteinmauern, Fachwerk und Dach-
                                                                                  stuhl, Dachdeckung sowie Böden, Treppe und Tü-
                                                                                  ren – reparieren. Nachdem im ehemaligen Gast-
                                                                                  raum Schablonenmalereien mit Weinreben zum
                                                                                  Vorschein gekommen waren, verzichtete die Ar-
9 Ansicht von Süden mit     Von Molkerei zu Architekturbüro                       chitektin auf die ursprünglich geplante Innendäm-
Haupteingang und ehem.                                                            mung. Die baulichen Veränderungen beschränk-
Ladengeschäft: Kirch-       Auch dem 1881 unter Einbeziehung älterer Bau-         ten sich auf den Rückbau nachträglich eingefüg-
gasse 18 in Kupferzell.     teile als Wohnstallhaus errichteten Gebäude Kirch-    ter Wände, energetische Maßnahmen an Dach
Hinter dem Kaufladen
                            gasse 18 in Kupferzell (Hohenlohekreis) ist heute     und Kellerdecke sowie den Einbau von Sanitäran-
befindet sich die zum
                            nicht mehr anzusehen, in welch miserablem Zu-         lagen, Heizung und Elektroinstallationen. So ent-
Architekturbüro umge-
nutzte ehemalige Wein-      stand es sich noch vor wenigen Jahren befand. Das     standen ein Architekturbüro mit Werkstatt und La-
stube.                      hangseitig zweigeschossige, in Mischbauweise er-      gerraum sowie eine Wohnung im Dachgeschoss,
                            stellte Gebäude mit Satteldach und Zwerchhaus         die auch heutigen Anforderungen gerecht werden.
                            zeigt mit großzügigem Dachüberstand, profilier-       Eine Bauherrin mit Vorliebe für Baudenkmale, ein
                            ten Pfetten- und Sparrenköpfen sowie ausge-           geschichtsträchtiges Haus und attraktive Förder-
                            mauertem Sichtfachwerk bauzeittypische Archi-         möglichkeiten kamen hier auf glücklichste Weise
                            tekturelemente (Abb. 9). Inmitten des Dorfzen-        zusammen! Für ihre Leistungen erhielten die Bau-
                            trums bei der Kirche gelegen, diente der Bau          herrin und die beteiligten Handwerksbetriebe
                            später unter anderem als Molkerei, Krämerladen        2019 den „Bundespreis für Handwerk in der Denk-
                            und Wirtshaus und ist einschließlich der Ausstat-     malpflege“. Der Denkmalschutzpreis Baden-Würt-
                            tung mit hölzerner Staketentreppe, Rahmen-Fül-        temberg folgte 2020 und bildet einen Schwer-
                            lungstüren, Winterfenstern und Ladeneinbauten         punkt in diesem Heft.
                            mit Tresen nahezu unverändert erhalten geblieben
                            (Abb. 10; 11). Neben der skizzierten traditionellen   Synergiepotenzial
                            Mischfunktion besitzt das Haus auch aufgrund der
                            1882 hier vollzogenen Gründung der Molkerei-          Ungeachtet der zweifellos höchst erfreulichen Er-
                            genossenschaft Kupferzell-Gerabronn-Schwä-            folgsgeschichten wäre eine größere Anzahl an För-
                            bisch Hall besondere heimatgeschichtliche Be-         derprojekten wünschenswert gewesen. Die Hin-

10 Ehemaliger Krämer-
laden, links der Eingang
zur ehemaligen Wein-
stube.

                       98
Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
11 Ehemalige Wirtsstube
                                                                                                                        nach Norden mit Zick-
                                                                                                                        zack- und Weinreben-
                                                                                                                        Fries und originalen
                                                                                                                        Kastenfenstern.

dernisse dafür waren zum einen die doch sehr            rung bei. Dies scheint vor dem Hintergrund zu-
hoch gesetzte Zahl an Leerstandsjahren – eine           nehmender Mobilität, damit verbundener Ent-
Mindestzahl von zum Beispiel drei Jahren hätte we-      wurzelung sowie der Migration von Menschen kul-
sentlich mehr Objekten den Zugang zum Pro-              turell unterschiedlicher Prägung eine der größten
gramm ermöglicht. Zum anderen führte die Ein-           Herausforderungen der Zukunft an die Gesellschaft
grenzung auf Ortskerne zu Definitionsschwierig-         und auch an die Denkmalpflege zu sein. Und zu
keiten und ließ herausragende Objekte in                guter Letzt vermögen mit Sicherheit auch das Inter-
Einzellage oder am Ortsrand außen vor.                  esse der öffentlichen Hand und die sich in finanziel-
Dies ist bedauerlich, denn die vorgestellten Bei-       ler Unterstützung niederschlagende Anerkennung
spiele dokumentieren eindrücklich, dass die posi-       des Engagements der Bauherrschaften eine ge-
tiven Auswirkungen der Förderung weit über den          wisse Strahlkraft zu entwickeln und damit das
Erhalt der gefährdeten Kulturdenkmale hinausge-         Bewusstsein für Bedeutung und Bewahrung un-
hen: So werden durch die Anschubfinanzierung            serer Kulturlandschaft zu fördern.                              Glossar
des Landes weitere Investitionsmittel generiert und     Fortwährende Anfragen zu dem 2017 ausgelaufe-
damit einhergehend positive Effekte für die je-         nen Förderprogramm zeigen den Bedarf an Unter-                  Bohlenstube
weilige lokale Wirtschaft erzielt. Darüber hinaus       stützung für Maßnahmen an leerstehenden Kultur-                 Raum, dessen Wände und
schaffen neue Konzepte im Umgang mit dem                denkmalen. Eine finanziell gut ausgestattete Neu-               Decke aus Bohlen gefertigt
                                                                                                                        sind; einst häufig der ein-
Denkmal Raum für Innovationen und zeigen, dass          auflage des Förderprogramms erscheint aktuell
                                                                                                                        zige repräsentative beheiz-
Innovation und Denkmalpflege sich keinesfalls aus-      dringender denn je. Unter Berücksichtigung der                  bare Raum eines Fachwerk-
schließen. Auch in ökologischer Hinsicht ist das För-   vorgenannten modifizierten Rahmenbedingungen                    gebäudes.
derprogramm als Erfolg zu bezeichnen, denn jede         könnte hier ein wegweisendes Programm geschaf-
Instandsetzungsmaßnahme bezeugt zugleich den            fen werden, das nicht nur für den Erhalt von Kul-               KG 300
Wert alter Handwerkstechniken und historischer          turdenkmalen wichtig ist, sondern insbesondere                  Gebräuchliche Kurzform
Werkstoffe und verdeutlicht deren Nachhaltigkeit.       auch andere gesellschaftlich hoch aktuelle The-                 für „Kostengruppe 300“,
Vor dem Hintergrund grassierenden Flächenfraßes,        men wie Klimaschutz, Ressourcenschonung und                     in der gemäß der Kosten-
steigender Umweltbelastung und fortschreitenden         die Verödung von innerörtlichen Lebensräumen in                 ermittlung nach DIN 276
                                                                                                                        Aufwendungen erfasst
Klimawandels ist es sinnvoll und dringend gebo-         den Blick nehmen würde.
                                                                                                                        werden, die für Bauleistun-
ten, sich auf vorhandene Potenziale zu besinnen,                                                                        gen und notwendige Lie-
anstatt weitere Flächen am Ortsrand zu erschlie-        Bianka Hinsberger                                               ferungen zur Herstellung
ßen und zu versiegeln.                                  Dr. Eva-Maria Krauße-Jünemann                                   des Bauwerks anfallen.
Auch die soziokulturellen Effekte des „Leerstands-      Dr. Karsten Preßler
programms“, die sich schwerlich in Zahlen messen        Ulrike Schubart                                                 Lamberie
und ausdrücken lassen, sind nicht zu vernachläs-        Landesamt für Denkmalpflege                                     Verkleidung aus Holz,
sigen: Das Ortsbild von Kleinstädten und Dörfern        im Regierungspräsidium Stuttgart                                Stuck oder Marmor im
                                                                                                                        unteren Bereich von In-
wird an prominenter Stelle belebt und aufgewer-         Dienstsitz Esslingen
                                                                                                                        nenwänden.
tet. Ehemals ungeliebte, unbeachtete Kulturdenk-
male geraten wieder in das Bewusstsein der Bevöl-       Daniel Keller                                                   Türzarge
kerung und tragen als überliefertes bauliches Erbe      Landesamt für Denkmalpflege                                     Rahmenartige Türeinfas-
zur Identitätsstiftung, Stärkung und Festigung der      im Regierungspräsidium Stuttgart                                sung, allgemeinsprachlich
sozialen Bindungen und Strukturen der Bevölke-          Dienstsitz Karlsruhe                                            Türrahmen genannt.

                                                                        Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021   99
Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ... Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ... Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ... Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
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