Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm "Instand - setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen ...
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Unterstützung für die Sorgenkinder Das Sonderförderprogramm „Instand- setzung leerstehender Kulturdenkmale in dörflichen und kleinstädtischen Ortskernen“ Während in Metropolregionen Immobilienpreise und Mietkosten in die Höhe schießen, haben ländliche Regionen vielfach mit Leerstand und Ortskern- verödung zu kämpfen. Auch die großzügige Ausweisung von Neubaugebieten am Siedlungsrand, mit der ländliche Kommunen insbesondere junge Familien zur Ansiedlung bewegen möchten, trägt zum Niedergang der dörflichen und kleinstädtischen Ortszentren bei. Mit einem attraktiven Förderprogramm ver- suchte das Land diesem auch für Baudenkmale hochproblematischen Negativ- trend entgegenzuwirken. Bianka Hinsberger / Daniel Keller / Eva-Maria Krauße-Jünemann / Karsten Preßler / Ulrike Schubart Der bereits seit Jahrzehnten zu beobachtende, setzungskosten an Bauwerk bzw. Baukonstruktion durch Landflucht und demographischen Wandel (KG 300) bis zu 50 Prozent und einer Obergrenze verursachte Bevölkerungsrückgang in ländlichen von 250 000 Euro pro Objekt gefördert werden. Regionen macht selbst vor dem wirtschaftlich pro- Die Gründe für jahrelangen Leerstand sind komplex sperierenden Baden-Württemberg nicht halt. Die und reichen von ungeklärten Eigentumsverhält- vielfältigen Folgen dieser Entwicklung sind bis in nissen über fehlende Finanzmittel oder Nutzungs- die Denkmallandschaft hinein spürbar: In Dörfern perspektiven bis hin zu mangelnder Attraktivität und Kleinstädten stehen immer mehr denkmalge- aufgrund problematischer Infrastruktur und Lage schützte Gebäude leer und drohen nach mehrjäh- oder wegen eines immensen Instandsetzungsstaus. rig fehlendem Bauunterhalt für immer verloren zu Maßnahmen an diesen „Sorgenkindern“ zu einem gehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ent- erfolgreichen Abschluss zu bringen verlangt von scheidung über Abbruchanträge zumeist eine Kos- der Denkmalpflege hohen personellen Einsatz und ten-Nutzen-Analyse zugrunde gelegt wird, die von den Eigentümern ein gehöriges Maß an Mut, ländliche Kulturdenkmale wegen der verglichen Phantasie, Begeisterung und Flexibilität. Manch ein mit städtischen Baudenkmalen i. d. R. deutlich ge- ins Auge gefasstes Projekt bleibt so auf der Strecke. ringeren Mieteinnahmen stark benachteiligt. Darüber hinaus hemmen vielfach langwierige Ver- Um gegen diese fatale Entwicklung anzugehen, kaufsverhandlungen die fachliche Abstimmung der konzipierte das damalige Ministerium für Finanzen potenziellen Bauherren mit der Denkmalpflege, Übrige Kosten und Wirtschaft als Oberste Denkmalschutzbe- was zu verzögertem Maßnahmenbeginn führt. 74 % hörde in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Angesichts all dieser Widrigkeiten ist die Bilanz des Denkmalpflege für den Zeitraum 2014 bis 2017 Sonderprogramms beachtlich: Während der vier- ein spezielles Förderprogramm, das großzügige fi- jährigen Programmlaufzeit wurden für insgesamt nanzielle Anreize für die Instandsetzung von leer- 18 Objekte Förderanträge gestellt. Bei einer Ge- stehenden Baudenkmalen bot. Mit dem soge- samtinvestitionssumme von knapp 11 Millionen Anteil Förderung 26 % nannten „Sonderprogramm Instandsetzung leer- Euro stellte das Land Baden-Württemberg im Rah- stehender Kulturdenkmale in dörflichen und men des Sonderprogramms mehr als 2,7 Millionen kleinstädtischen Ortskernen“ sollte das Engage- Euro Fördermittel zur Verfügungen, was einem An- 1 Mit Fördermitteln des ment jener Bauherren unterstützt werden, die sich teil von etwa 26 Prozent der veranschlagten Ge- Sonderprogramms in der anspruchsvollen Aufgabe stellten, ein ent- samtausgaben entsprach (Abb. 1). Höhe von 2 778 832 Euro konnten Investitionen sprechendes, mindestens fünf Jahre leerstehendes Knapp drei Jahre nach Auslaufen des Sonderpro- vielfach höheren Um- Objekt in besonders denkmalverträglicher Weise gramms konnten von den 18 angemeldeten Sanie- fangs generiert werden. zu sanieren und einer nachhaltigen Nutzung zu- rungsprojekten acht erfolgreich abgeschlossen zuführen. Bei mit dem Anforderungsprofil über- werden, bei sechs weiteren Objekten dauert die einstimmenden Projekten konnten die Instand- Umsetzung der Maßnahme an. 94 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
Ortsbildprägender Fachwerkbau Einer der ersten eingehenden Förderanträge betraf das ortsbildprägende Wohngebäude Kirchstraße 5 in Langenbrettach-Brettach (Landkreis Heilbronn). Um 1570 als Teil einer herrschaftlichen Hofanlage erbaut, diente das in seiner historischen Substanz und seinem charakteristischen Erscheinungsbild gut überlieferte Gebäude (Abb. 2) bis 1815 als Gast- haus zur Sonne, anschließend weitere 190 Jahre reinen Wohnzwecken. Nach langjährigem Leer- stand und Abbruch der rückwärtigen Scheune bot das zweigeschossige verputzte Fachwerkgebäude einen trostlosen Anblick, die Bausubstanz war durch eindringende Feuchtigkeit in weiten Teilen geschädigt, Schimmel und Hausschwamm hatten sich gebildet. Mit einer denkmalerfahrenen Archi- tektin an der Seite und in regelmäßiger Abstim- mung mit der Denkmalpflege machte sich ein jun- ges engagiertes Paar daran, das Sorgenkind zu neuem Leben zu erwecken. Auf Grundlage einer detaillierten Bestands- und Schadensaufnahme wurde ein Planungskonzept entwickelt, das die denkmalpflegerischen Erhaltungsziele mit den Nutzungs- und Modernisierungsabsichten der Bau- herren in Einklang brachte. Das ins 16. Jahrhundert datierende stark geschädigte Holztragwerk wurde repariert und partiell ertüchtigt (Abb. 3). Dank der Erfahrung und Umsicht der Zimmerleute gelang es, Substanzeingriffe zu minimieren und originale Ausfachungen in situ zu erhalten. Auch der über- lieferte Ausstattungsbestand wie Holzböden, Trep- pen, Zimmertüren, Lamberien sowie die Putze auf den Innen- und Außenwänden (einschließlich der Zierputzquaderung des Sockelgeschosses) konn- ten großteils erhalten und handwerklich repariert werden (s. Abb. S. 94 oben). Gleichermaßen über- raschend wie erfreulich waren die Befunde bau- zeitlicher Gefachputze mit Bemalung, die bei der Außeninstandsetzung zutage kamen und erfolg- reich gesichert wurden. Neben dem unermüdlichen Einsatz der Bauherr- schaft und dem großen Sachverstand aller am Bau Beteiligten trug nicht zuletzt auch die finanzielle Förderung dazu bei, dieses ortshistorisch und bau- geschichtlich bedeutsame Kulturdenkmal zu er- Dach auf. Bauhistorische Untersuchungen erbrach- 2–3 Ostansicht des Ge- halten, das nunmehr eine Bereicherung für den his- ten den Nachweis, dass es bereits um 1394 errich- bäudes Kirchstraße 5 in torischen Brettacher Ortskern darstellt. tet wurde und somit das älteste bisher bekannte Langenbrettach nach Wohnhaus Nürtingens ist. Sein Ostgiebel lehnt sich Abschluss der Sanierung im Jahr 2020 sowie Das älteste Haus Nürtingens an die Stadtmauer an, deren Wehrgang vom Ge- Reparatur der östlichen bäude aus betretbar ist (Abb. 4; 5). Zusammen mit Fachwerkaußenwand im Noch erheblich älter als die einstige Brettacher Hof- dem benachbarten Blockturm, der wie die Stadt- Jahr 2015. anlage aus der Frühen Neuzeit ist ein ebenfalls im mauer rund 50 Jahre älter sein dürfte, bildet es die Rahmen des Leerstand-Programms gefördertes Südostecke der mittelalterlichen Stadt. Dieses Kulturdenkmal in Nürtingen (Landkreis Esslingen). auch „romantischer Winkel“ genannte Quartier Äußerlich eher schlicht und unscheinbar, fällt das überstand als einziges den Stadtbrand von 1750. Haus Strohstraße 15 vor allem durch seine Lage di- Das Haus selbst besitzt zwar größtenteils erneu- rekt an der Stadtmauer und sein steiles, hohes erte Außenwände an den Traufseiten, hat aber Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 95
4 Nordfassade des Hau- ses in der Strohstraße 15 in Nürtingen im Jahr 2016. seine mittelalterliche Struktur mit zeittypischen, des Blockturms rückte 2001 auch das in städti- überblatteten Streben in Eichenholz und seine schem Eigentum befindliche Haus in der Stroh- Dachkonstruktion weitgehend bewahrt. Das Erd- gasse in den Fokus. Angesichts der Bedeutung des geschoss wurde ursprünglich als Ökonomie, das Objekts, seiner Sensibilität und der beengten Obergeschoss zu Wohnzwecken und die Dach- Raumverhältnisse traten der Schwäbische Heimat- räume als Speicher genutzt. Es handelt sich um ei- bund und das damalige Landesdenkmalamt für nen jahrhundertelang verbreiteten Haustypus, der eine Instandsetzung mit musealer Nutzung ein. alle Funktionen unter einem Dach vereint. Be- Die Stadtverwaltung sah auch die Möglichkeit sonders beeindruckend sind die vielen Zeitschich- einer Privatisierung mit Wohnnutzung und ließ das ten im Gebäude, die über 600 Jahre Geschichte Kulturdenkmal zunächst nur notsichern. So dau- widerspiegeln. Hierzu gehören mittelalterliche erte es noch 15 Jahre, bis man nach entsprechen- Baubefunde wie die Reste der Bohlenstube im der Förderzusage über rund 100 000 Euro ein Obergeschoss (Abb. 6), die Fensteröffnung zur lange vorbereitetes nutzungsneutrales Instand- 5 Fassadendetail nach Instandsetzung mit Bruch- Stadtmauer und das Lehmflechtwerk in den Ge- setzungskonzept verwirklichte, das im Wesent- kante der Stadtmauer und fachen, aber auch restauratorisch ermittelte Putz- lichen aus traditionellen Zimmerer-, Maurer- und spätmittelalterlichem Eck- und Farbbefunde, wie eine gelbe Fassung für die Verputzarbeiten ohne Einbau von Sanitär- und Hei- ständer mit Blattsassen im Balken mit schwarzen und roten Begleitstrichen zungsanlagen bestand. Die Begleitung durch Jahr 2017. aus dem 16. Jahrhundert. Mit der Instandsetzung einen Fachrestaurator und behutsames Vorgehen gewährleisteten die Erhaltung sämtlicher Befunde. Seitdem ist das älteste Haus Nürtingens mit dem einzigen vollständig erhaltenen Stadtmauerab- schnitt im Rahmen von Führungen öffentlich zu- gänglich. Nirgends sonst in Nürtingen wird Stadt- baugeschichte so anschaulich. Schweizerhaus-Stil im Nordschwarzwald Nach langer Leerstandsperiode ernsthaft vom end- gültigen Verlust bedroht war auch ein ortsbild- prägend an einer innerörtlichen Durchgangsstraße gelegenes Baudenkmal in Bad Herrenalb (Land- kreis Calw). Das zweigeschossige Wohngebäude wurde zusammen mit einer Gruppe weiterer Wohn- häuser entlang der Gernsbacher Straße Ende des 19. Jahrhunderts unter Stadtbaumeister Schnait- mann im „Schweizerstil“ errichtet (Abb. 8). Diese 96 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
Stilrichtung mit relativ flachen, weitauskragenden unbeheizt blieb, bildete sich darüber hinaus zwi- 6 Vorzustand der ehem. Dächern, üppigen Verzierungen durch Brettschnit- schen den Tapeten und der Putzoberfläche in nahe- Bohlenstube im Oberge- zereien und bogenförmigen Schmuckgiebeln, mit zu allen Räumen großflächig Schimmel. schoss des Hauses in der Schindelschirm oder Brettschalung sowie mit fili- Oberstes Ziel der Sanierung war neben der zwin- Strohstraße 15 mit Stuck- decke des 19. Jahrhun- granen Metallbalkonen war insbesondere für klein- gend erforderlichen statischen Ertüchtigung des derts und Auflagerbalken städtische Erholungsorte wie Herrenalb in dieser Tragwerks der Erhalt bauzeitlicher Bausubstanz. der ehem. Bohlen-Balken- Zeit typisch. Das Konzept zur energetischen Ertüchtigung sah decke. In den Ausneh- Das Wohnhaus wurde im 20. Jahrhundert sehr in- vor, die Heizungsanlage zu erneuern, eine Innen- mungen („Kammsassen“) tensiv genutzt und insbesondere in den 1960er dämmung aufzubringen und die bauzeitlichen lagen ursprünglich die Jahren im Inneren komplett überformt; seit den Fenster – soweit dies aufgrund des Erhaltungszu- Balken. Aufnahme 2016. 1980er Jahren wurde nicht mehr in die Instand- standes möglich war – mit Dichtungen und haltung investiert, zuletzt stand das Gebäude Sonderisolierverglasung aufzurüsten. 7 Zustand nach der Sa- 15 Jahre leer. Dementsprechend befand es sich zu Nach dem Entfernen sämtlicher Verkleidungen nierung des Hauses in der Beginn der Sanierungsmaßnahme sowohl kon- und moderner Einbauten zeigte sich, dass die kom- Gernsbacher Straße 41. Die bauzeitlichen Böden struktiv als auch optisch in einem desolaten Zu- plette bauzeitliche Ausstattung wie Dielenböden, und Fenster blieben er- stand. Das Wasser, das über undichte Kehlen und Stuckdecken, Treppen, Lamberien, Türzargen und halten. Hier ein Blick in über die Anschlussbereiche der Dachgauben ein- Türblätter noch vorhanden war. Im Zuge der Sa- das Hauptzimmer im gedrungen war, hatte einerseits die statische Holz- nierungsmaßnahme wurden diese Elemente auf- Dachgeschoss, 2016. konstruktion massiv geschädigt und sich anderer- gearbeitet und lassen das gerettete Kulturdenkmal seits auch zum idealen Nährboden für einen nun auch im Innern wieder in seinem Alterswert Schwamm entwickelt. Da das Gebäude lange Zeit erstrahlen (Abb. 7). 8 Straßenfassade mit den filigranen Metall- balkonen nach der Sanie- rung in der Gernsbacher Straße 41, Bad Herrenalb. Aufnahme 2019. 97
deutung. Nach Nutzungsaufgabe 1999 war das Haus 15 Jahre dem allmählichen Verfall preisge- geben, bevor die Rettung kam: Eine bereits in Kup- ferzell ansässige Architektin suchte ein geeignetes Domizil zum Wohnen und Arbeiten. Da die neue Eigentümerin bereits umfangreiche Erfahrungen bei der Sanierung und Restaurierung von Kultur- denkmalen gesammelt hatte, war sie bestens vor- bereitet. Ohne die Fördermittel des Sonderpro- gramms aber wäre die Instandsetzung dennoch nicht zu schultern gewesen. Nach einer Notsiche- rung ließ die Bauherrin in genauer Kenntnis der denkmalpflegerischen Werte den historischen Be- stand – Natursteinmauern, Fachwerk und Dach- stuhl, Dachdeckung sowie Böden, Treppe und Tü- ren – reparieren. Nachdem im ehemaligen Gast- raum Schablonenmalereien mit Weinreben zum Vorschein gekommen waren, verzichtete die Ar- 9 Ansicht von Süden mit Von Molkerei zu Architekturbüro chitektin auf die ursprünglich geplante Innendäm- Haupteingang und ehem. mung. Die baulichen Veränderungen beschränk- Ladengeschäft: Kirch- Auch dem 1881 unter Einbeziehung älterer Bau- ten sich auf den Rückbau nachträglich eingefüg- gasse 18 in Kupferzell. teile als Wohnstallhaus errichteten Gebäude Kirch- ter Wände, energetische Maßnahmen an Dach Hinter dem Kaufladen gasse 18 in Kupferzell (Hohenlohekreis) ist heute und Kellerdecke sowie den Einbau von Sanitäran- befindet sich die zum nicht mehr anzusehen, in welch miserablem Zu- lagen, Heizung und Elektroinstallationen. So ent- Architekturbüro umge- nutzte ehemalige Wein- stand es sich noch vor wenigen Jahren befand. Das standen ein Architekturbüro mit Werkstatt und La- stube. hangseitig zweigeschossige, in Mischbauweise er- gerraum sowie eine Wohnung im Dachgeschoss, stellte Gebäude mit Satteldach und Zwerchhaus die auch heutigen Anforderungen gerecht werden. zeigt mit großzügigem Dachüberstand, profilier- Eine Bauherrin mit Vorliebe für Baudenkmale, ein ten Pfetten- und Sparrenköpfen sowie ausge- geschichtsträchtiges Haus und attraktive Förder- mauertem Sichtfachwerk bauzeittypische Archi- möglichkeiten kamen hier auf glücklichste Weise tekturelemente (Abb. 9). Inmitten des Dorfzen- zusammen! Für ihre Leistungen erhielten die Bau- trums bei der Kirche gelegen, diente der Bau herrin und die beteiligten Handwerksbetriebe später unter anderem als Molkerei, Krämerladen 2019 den „Bundespreis für Handwerk in der Denk- und Wirtshaus und ist einschließlich der Ausstat- malpflege“. Der Denkmalschutzpreis Baden-Würt- tung mit hölzerner Staketentreppe, Rahmen-Fül- temberg folgte 2020 und bildet einen Schwer- lungstüren, Winterfenstern und Ladeneinbauten punkt in diesem Heft. mit Tresen nahezu unverändert erhalten geblieben (Abb. 10; 11). Neben der skizzierten traditionellen Synergiepotenzial Mischfunktion besitzt das Haus auch aufgrund der 1882 hier vollzogenen Gründung der Molkerei- Ungeachtet der zweifellos höchst erfreulichen Er- genossenschaft Kupferzell-Gerabronn-Schwä- folgsgeschichten wäre eine größere Anzahl an För- bisch Hall besondere heimatgeschichtliche Be- derprojekten wünschenswert gewesen. Die Hin- 10 Ehemaliger Krämer- laden, links der Eingang zur ehemaligen Wein- stube. 98
11 Ehemalige Wirtsstube nach Norden mit Zick- zack- und Weinreben- Fries und originalen Kastenfenstern. dernisse dafür waren zum einen die doch sehr rung bei. Dies scheint vor dem Hintergrund zu- hoch gesetzte Zahl an Leerstandsjahren – eine nehmender Mobilität, damit verbundener Ent- Mindestzahl von zum Beispiel drei Jahren hätte we- wurzelung sowie der Migration von Menschen kul- sentlich mehr Objekten den Zugang zum Pro- turell unterschiedlicher Prägung eine der größten gramm ermöglicht. Zum anderen führte die Ein- Herausforderungen der Zukunft an die Gesellschaft grenzung auf Ortskerne zu Definitionsschwierig- und auch an die Denkmalpflege zu sein. Und zu keiten und ließ herausragende Objekte in guter Letzt vermögen mit Sicherheit auch das Inter- Einzellage oder am Ortsrand außen vor. esse der öffentlichen Hand und die sich in finanziel- Dies ist bedauerlich, denn die vorgestellten Bei- ler Unterstützung niederschlagende Anerkennung spiele dokumentieren eindrücklich, dass die posi- des Engagements der Bauherrschaften eine ge- tiven Auswirkungen der Förderung weit über den wisse Strahlkraft zu entwickeln und damit das Erhalt der gefährdeten Kulturdenkmale hinausge- Bewusstsein für Bedeutung und Bewahrung un- hen: So werden durch die Anschubfinanzierung serer Kulturlandschaft zu fördern. Glossar des Landes weitere Investitionsmittel generiert und Fortwährende Anfragen zu dem 2017 ausgelaufe- damit einhergehend positive Effekte für die je- nen Förderprogramm zeigen den Bedarf an Unter- Bohlenstube weilige lokale Wirtschaft erzielt. Darüber hinaus stützung für Maßnahmen an leerstehenden Kultur- Raum, dessen Wände und schaffen neue Konzepte im Umgang mit dem denkmalen. Eine finanziell gut ausgestattete Neu- Decke aus Bohlen gefertigt sind; einst häufig der ein- Denkmal Raum für Innovationen und zeigen, dass auflage des Förderprogramms erscheint aktuell zige repräsentative beheiz- Innovation und Denkmalpflege sich keinesfalls aus- dringender denn je. Unter Berücksichtigung der bare Raum eines Fachwerk- schließen. Auch in ökologischer Hinsicht ist das För- vorgenannten modifizierten Rahmenbedingungen gebäudes. derprogramm als Erfolg zu bezeichnen, denn jede könnte hier ein wegweisendes Programm geschaf- Instandsetzungsmaßnahme bezeugt zugleich den fen werden, das nicht nur für den Erhalt von Kul- KG 300 Wert alter Handwerkstechniken und historischer turdenkmalen wichtig ist, sondern insbesondere Gebräuchliche Kurzform Werkstoffe und verdeutlicht deren Nachhaltigkeit. auch andere gesellschaftlich hoch aktuelle The- für „Kostengruppe 300“, Vor dem Hintergrund grassierenden Flächenfraßes, men wie Klimaschutz, Ressourcenschonung und in der gemäß der Kosten- steigender Umweltbelastung und fortschreitenden die Verödung von innerörtlichen Lebensräumen in ermittlung nach DIN 276 Aufwendungen erfasst Klimawandels ist es sinnvoll und dringend gebo- den Blick nehmen würde. werden, die für Bauleistun- ten, sich auf vorhandene Potenziale zu besinnen, gen und notwendige Lie- anstatt weitere Flächen am Ortsrand zu erschlie- Bianka Hinsberger ferungen zur Herstellung ßen und zu versiegeln. Dr. Eva-Maria Krauße-Jünemann des Bauwerks anfallen. Auch die soziokulturellen Effekte des „Leerstands- Dr. Karsten Preßler programms“, die sich schwerlich in Zahlen messen Ulrike Schubart Lamberie und ausdrücken lassen, sind nicht zu vernachläs- Landesamt für Denkmalpflege Verkleidung aus Holz, sigen: Das Ortsbild von Kleinstädten und Dörfern im Regierungspräsidium Stuttgart Stuck oder Marmor im unteren Bereich von In- wird an prominenter Stelle belebt und aufgewer- Dienstsitz Esslingen nenwänden. tet. Ehemals ungeliebte, unbeachtete Kulturdenk- male geraten wieder in das Bewusstsein der Bevöl- Daniel Keller Türzarge kerung und tragen als überliefertes bauliches Erbe Landesamt für Denkmalpflege Rahmenartige Türeinfas- zur Identitätsstiftung, Stärkung und Festigung der im Regierungspräsidium Stuttgart sung, allgemeinsprachlich sozialen Bindungen und Strukturen der Bevölke- Dienstsitz Karlsruhe Türrahmen genannt. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 99
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