DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG - Heidelberger OJS-Journals
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00_nb209_U1+U2.qxd:00_Titel-NB406_U1+U2.qxd 06.05.2009 18:44 Uhr Seite 1 DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG NACHRICHTENBLATT DER LANDESDENKMALPFLEGE 2 | 2009 Konrad Diet rich Haßler 38 . J A H R G A N G
00_nb209_U1+U2.qxd:00_Titel-NB406_U1+U2.qxd 08.05.2009 9:24 Uhr Seite 2 Inhalt Konrad Diet rich Haßler 57 Editorial 106 Verbundfenster Noch kein Fall für die Rote Liste 59 Konrad Dieterich Haßler Hermann Klos und das Ulmer Münster Württembergs erster Landeskonser- 113 Michelsberger Erdwerke vator rettete als „Reisender für das Jungsteinzeitliche Befestigungsanlagen größte Haus Deutschlands“ das Wahr- im Raum Heilbronn zeichen der Donaustadt Ute Seidel Frank Raberg Bildcollage, Münsterbauamt Ulm, 119 Denkmalporträt Janine Butenuth M.A. 68 Denkmalkunde – eine zentrale „Glück und Glas, Aufgabe für Denkmalschutz und wie leicht bricht das“ Denkmalpflege Glasmalereien im Ulmer Münster Von Anbeginn an spielte die Inventari- Janine Butenuth sation eine zentrale Rolle in der Denk- DENKMALPFLEGE malpflege – und diese sollte sie auch 120 Gefährdetes Denkmal IN BADEN-WÜRTTEMBERG zukünftig innehaben. Schriesheim-Ursenbach, Nachrichtenblatt Ulrike Plate Rhein-Neckar-Kreis der Landesdenkmalpflege Backhaus und Schweinestall, 2/ 2009 38. Jahrgang 75 Perspektiven einer Bau- und Ortsstraße 7 Kunstdenkmalpflege heute Ute Fahrbach-Dreher Herausgeber: Landesamt für Denkmal- pflege im Regierungspräsidium Stuttgart 150 Jahre staatliche Denkmalpflege in Verbindung mit den Fachreferaten in Württemberg 121 Mitteilungen für Denkmalpflege in den Michael Goer Regierungspräsidien. 124 Ausstellungen Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a. N. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: 82 Archäologische Denkmalpflege 127 Neuerscheinungen Präsident Prof. Dr. Dieter Planck in Baden-Württemberg Schriftleitung: Dr. Irene Plein Stellvertretende Schriftleitung: Stärken, Schwächen und Heraus- 127 Personalia Helmuth Fiedler forderungen Redaktionsausschuss: Dirk L. Krausse Dr. Claudia Baer-Schneider, Dr. Dörthe Jakobs, Dr. Clemens Kieser, Prof. Dr. Claus-Joachim Kind, 92 Die Wilhelmvorstadt Dr. Claudia Mohn, Dr. Karsten Preßler, Ein Tübinger Universitätsquartier Dr. Anne-Christin Schöne, Sabine Kraume-Probst / Michael Ruhland Dr. Günther Wieland, Dr. Bertram Jenisch Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart 100 Was kann man mit einer ehemali- Lektorat: André Wais / Tina Steinhilber gen Synagoge anfangen? – Drei Gestaltung und Herstellung: Hans-Jürgen Trinkner / Verena Schmynec Beispiele im Rhein-Neckar-Kreis Druck: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Die ehemaligen Synagogen in Nicolaus-Otto-Straße 14, 89079 Ulm-Donautal Ehrstädt, Rohrbach und Steinsfurt Postverlagsort: 70178 Stuttgart (Stadt Sinsheim) Erscheinungsweise: vierteljährlich Claudia Baer-Schneider Auflage: 23000 Gedruckt auf holzfreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh- migung des Landesamtes für Denkmal- pflege. Quellenangaben und die Über- lassung von zwei Belegexemplaren an die Schriftleitung sind erforderlich. Bankverbindung: Landesoberkasse Baden-Württemberg, Baden-Württembergische Bank Karlsruhe, Konto 7 495 530 102 (BLZ 600 501 01). Verwendungszweck: Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618. Dieser Ausgabe liegt eine Beilage der Denkmalstiftung Baden-Württemberg bei. Sie ist auch kostenlos bei der Geschäftsstelle der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, Charlotten- platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich.
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 57 Editorial Vor 150 Jahren, am 14. März 1858, wurde mit gagierte Bürgerinitiativen, Fördervereine und Stif- dem Ulmer Abgeordneten Konrad Dietrich Haß- tungen erfährt. Und er hob den wirtschaftlichen ler der erste staatliche Konservator im Königreich Nutzen von Sanierungsmaßnahmen an Baudenk- Württemberg eingesetzt und somit die staatliche malen hervor. Für die Kollegenschaft des Landes- Denkmalpflege als Institution gegründet. Haßler amtes für Denkmalpflege, die gemeinsam diese konnte schon bei verschiedenen Maßnahmen Veranstaltung vorbereitet hat, war es ein wichti- reichlich Erfahrung sammeln, etwa bei der Ent- ges Anliegen, die geschichtliche Entwicklung, deckung und Ausgrabung eines alamannischen insbesondere die Persönlichkeit, die an deren An- Friedhofes des 4. bis 7. Jahrhunderts n. Chr. im fang stand, in einem Vortrag zu präsentieren. Bahnhofsgelände von Ulm. Des Weiteren ist Haß- Dies erfolgte in sehr kompetenter Weise durch lers Planung und Fertigstellung des Ulmer Müns- den Landeshistoriker Dr. Frank Raberg. Im An- ters zu nennen, mit dessen Finanzierung Haßler schluss daran wurden in drei Vorträgen Fragen ein Werk der mittelalterlichen Baugeschichte voll- der weiteren Entwicklung der Denkmalpflege in enden konnte. drei zentralen Fachbereichen dargestellt. Prof. Dr. Bereits fünf Jahre früher war im Großherzogtum Michael Goer, als der verantwortliche Landeskon- Baden mit August von Bayer ein staatlicher Kon- servator für die Bau- und Kunstdenkmalpflege in- servator eingesetzt worden. Für Württemberg nerhalb des Landesamtes für Denkmalpflege, war die Beauftragung Haßlers eine logische Kon- ebenso wie Herr Dr. habil. Dirk Krausse, als ver- sequenz und richtige Entwicklung. Damit war der antwortlicher Landesarchäologe für Baden-Würt- gesamte deutsche Südwesten durch eine fachli- temberg, haben in ihren Vorträgen Perspektiven che staatliche Denkmalpflege abgedeckt, nach- und Ziele des jeweiligen Fachbereiches aufge- dem bereits die hohenzollerischen Lande als Teil zeigt. Frau Dr. Ulrike Plate, Leiterin des Referates Preußens mit Ferdinand von Quast, dem ersten Fachliche Grundlagen, Inventarisation, Baudoku- Konservator der Kunstdenkmäler in Preußen, mentation, hat sich mit grundsätzlichen Fragen eine Persönlichkeit benannt hatten, die ab 1849 der Inventarisation und der Vermittlungsarbeit auch für diesen Landesteil verantwortlich war. des Kulturdenkmalbegriffs sowie mit den rechtli- Die Denkmalpflege mit all ihren Fachdisziplinen chen Seiten beschäftigt. Diese drei Vorträge wer- war bis dahin wesentlich dem Engagement ein- den in dieser Ausgabe abgedruckt. Sie stellen ein schlägiger Vereinigungen oder Institutionen, ein- Meinungsbild der jeweiligen leitenden Konserva- zelner Persönlichkeiten, adeliger Familien oder toren dar. Die Veröffentlichung in diesem Heft soll des Bürgertums zu verdanken. Die Denkmäler der zeigen, in welche Richtung die Überlegungen Frühzeit und des Mittelalters nicht nur zu erhal- derzeit gehen. Sie sollen als Einstieg in die Dis- 1 Großer Besucher- ten, sondern sie neu zu beleben und zu gestalten, kussion darüber dienen, wie sich die staatliche andrang bei der Fest- wurde unter dem Einfluss des immer größer wer- Denkmalpflege in Zukunft erfolgreich bewähren veranstaltung. denden historischen Empfindens als ein wichtiges Anliegen erkannt. Das nun vorliegende Heft unserer Zeitschrift „Denkmalpflege in Baden-Württemberg – Nach- richtenblatt der Landesdenkmalpflege“ ist be- sonders diesem Thema gewidmet. 150 Jahre staatliche Denkmalpflege in Württemberg hatten uns veranlasst, zahlreiche Gäste aus nah und fern zu einer Festveranstaltung am 16. November 2008 nach Ulm, dem Wirkungsort des ersten hie- sigen Konservators, einzuladen. Es war uns eine besondere Ehre, dass das für die Denkmalpflege zuständige Wirtschaftsministerium durch Herrn Staatssekretär Drautz vertreten war, der auch die Festansprache hielt. In ihr würdigte er den Anteil, den die Denkmalpflege am heutigen Erschei- nungsbild unserer Städte und Gemeinden besitzt. Er dankte für die Unterstützung, die sie durch en- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 57
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 58 2 Führung durch die kann. Erfreulicherweise kann hier außerdem der Das vorliegende Heft hat eine Veranstaltung in Münsterbauhütte. Festvortrag von Herrn Dr. Raberg veröffentlicht den Mittelpunkt gestellt, die einerseits ein Zu- werden. Ich denke, so wird die Veranstaltung rückblicken auf die historische Entwicklung der 3 Musikalisches Rahmen- auch für die spätere Zeit nachvollziehbar. staatlichen Denkmalpflege in den letzten 150 programm. Es ist mir ein großes Anliegen, an dieser Stelle Jahren beinhaltet. Es besteht aber auch die Ver- auch der Stadt Ulm, insbesondere Herrn Ober- pflichtung, in die Zukunft zu blicken und die Öf- bürgermeister Ivo Gönner sehr herzlich für sein fentlichkeit im Lande von der Notwendigkeit und Grußwort zu danken. Das 150-jährige Bestehen der Bedeutung der staatlichen Denkmalpflege zu der staatlichen Denkmalpflege gerade in Ulm und überzeugen. Ich hoffe und wünsche, dass die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ulmer Müns- nächsten 150 Jahre eine weiterhin erfolgreiche ter feiern zu können, war eine schöne Gelegen- Arbeit ermöglichen, um unseren reichen Bestand heit und dafür sind wir der Stadt Um und der an Kulturdenkmalen im deutschen Südwesten zu Stadtverwaltung sehr dankbar. erhalten. Aus fast allen Epochen der Mensch- Die Fachreferate sollen aufzeigen, was bewältigt heitsgeschichte besitzen wir eindrucksvolle Zeug- worden ist, und vor allen Dingen, welche Per- nisse, mit denen wir pfleglich und behutsam um- spektiven sich für den einzelnen Fachbereich in zugehen haben. Nicht jeder Kompromiss für die den nächsten Jahren ergeben. Die Erhaltung und Durchführung einer Maßnahme sollte eingegan- Pflege des uns anvertrauten Denkmalbestandes gen werden. An alle im Lande tätigen Bürger- für die nächsten Generationen ist eine der zen- innen und Bürger, vor allem aber die politische tralen Aufgaben der gesamten Denkmalpflege Öffentlichkeit, möchte ich von dieser Stelle aus mit all ihren Fachdisziplinen. Unser gemeinsames appellieren, sich für dieses Kulturgut auch in Zu- Ziel ist, dafür Sorge zu tragen, diesen Bestand an kunft ganz besonders einzusetzen. Die Kultur- unverwechselbaren Zeugnissen aus allen Epo- denkmale unseres Landes bilden einen wichtigen chen der Vergangenheit zu bewahren und zu si- Anteil an der Unverwechselbarkeit unserer Hei- chern. Das ist jedoch nicht mit dem Gesetz allein mat. In einer Zeit, die weltweit zusammenrückt, zu realisieren, sondern nur durch ein partner- in der viele notwendige Ressourcen knapp wer- schaftliches Zusammenwirken aller, durch eine den, macht die Eigenständigkeit, die regionale intensive Beratung vor Ort, durch die Durchfüh- Ausbreitung der Denkmallandschaft, die beson- rung notwendiger Rettungsgrabungen sowie die dere Qualität unseres Landes aus. Sicherung gefährdeter Bereiche durch entspre- chende Schutzmaßnahmen. Nur so lässt sich die reiche und qualitätvolle Denkmallandschaft für Prof. Dr. Dieter Planck die nächsten Generationen sichern. Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege 58 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 19:07 Uhr Seite 59 Konrad Dietrich Haßler und das Ulmer Münster Württembergs erster Landeskonservator rettete als „Reisender für das größte Haus Deutschlands“ das Wahrzeichen der Donaustadt Als im Jahre 1858 in Württemberg ein „Landeskonservator der vaterländi- schen Kunst- und Altertumsdenkmale“ gesucht wurde, fiel die Wahl des zu- ständigen Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens weder auf einen Künst- ler noch auf einen Architekten (Abb. 1). Sie fiel auf einen als Historiker und Politiker profilierten Ulmer Gymnasialprofessor namens Konrad Dietrich Haß- ler, der sich als Vorsitzender des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben, vor allem aber als Retter des Münsters unschätzbare Verdienste um Ulm erworben hatte (Abb. 2). Als Vater der staatlichen Denkmalpflege in Württemberg, die er aufbaute, bestimmte er nachhaltig deren Wirken. Frank Raberg Bis zur kriegsbedingten Zerstörung im letzten persönlichen Einsatz und Entsagung gefördert Jahr des Zweiten Weltkriegs gab es im Ulmer worden. Unter ihnen allen gebührt dem „gelern- Münster das so genannte „Kaiserfenster“. Vom ten“ Theologen, Lehrer, Polyhistor, Sprachfor- Baufonds der Münsterwerkstätte finanziert und scher, Publizisten, Politiker, Vereinsfunktionär, Al- von dem Frankfurter Glasmaler Professor Linne- tertümer-Sammler, Freimaurer und Eisenbahn- mann ausgeführt, war das „Kaiserfenster“ im Propagandisten Konrad Dietrich Haßler eine Jahre 1900 im Münster angebracht worden. Der herausragende Bedeutung. Warum das so ist, sol- einzige erhaltene untere Teil zeigt Ulmer Persön- len die folgenden Ausführungen verdeutlichen. lichkeiten, die im August 1872 dabei waren, als Dabei soll getreu dem Titel dieses Beitrags zu- der deutsche und preußische Thronfolger Fried- nächst auf die Vita Haßlers eingegangen werden. rich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., Ulm und dem Münster einen Besuch abstattete. Unter diesen Persönlichkeiten ist auch ein großbürger- lich gewandeter älterer Herr zu sehen, der neben Oberbürgermeister Carl von Heim und Oberjus- tizprokurator Carl Schall ebenso abgeklärt selbst- bewusst wie interessiert in eine imaginäre Ferne blickt (Abb. 3). Es handelt sich bei diesem Herrn mit dem von einem noch nicht allzu ausgedünn- ten weißen Haarkranz gekrönten mächtigen Ge- lehrtenschädel um Konrad Dietrich Haßler, der den Kronprinzen seinerzeit durch das Münster führte, das er mit einigem Recht voller Stolz in 1 Die im Regierungsblatt den Jahrzehnten davor zahlreichen gekrönten für das Königreich Würt- und ungekrönten Prominenten seiner Zeit ge- temberg 1858 veröffent- zeigt hatte. lichte Bekanntmachung, Die Restaurierung und Fertigstellung des Ulmer „betreffend die Staatsfür- Münsters in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- sorge für die Denkmale derts ist von vielen Menschen – und nicht nur Ul- der Kunst und des Alter- mern – mit Begeisterung, Leidenschaft, großem thums“. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 59
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 60 2 Porträt von Konrad Der schier unglaubliche Reichtum seines vielfälti- dass die stolze Reichsstadt Ulm in den Stürmen Dietrich Haßler (1803– gen Wirkens kann uns dabei über einige Notizen der napoleonischen Zeit ihre Selbstständigkeit 1873), dem ersten würt- nicht hinausführen. Anschließend folgt in einem verloren hatte und mit ihrem Territorium an Kur- tembergischen „Conser- zweiten Schritt eine knappe Beleuchtung seiner pfalzbayern gefallen war. Die politischen Verwer- vator der vaterländischen beispiellosen Aktivitäten zur Rettung des Müns- fungen und kriegerischen Auseinandersetzungen Kunst- und Alterthums- ters. Zum Abschluss wird in gebotener Kürze auf der Epoche spiegelten sich auch in der Geschichte denkmale“ seit 1858. Haßlers Ernennung zum ersten Landeskonserva- von Haßlers Geburtsort. Das seit 1385 Ulmische 3 Fotomontage des ehe- tor des Königreichs Württemberg im Jahre 1858 Altheim gehörte zum Zeitpunkt der Geburt Haß- maligen Kaiserfensters zu sprechen zu kommen sein. Letztlich handelt es lers zu Kurpfalzbayern, das sich 1806 in das neue im Ulmer Münster. In der sich dabei ja um den Anlass, weshalb wir heute Königreich Bayern verwandelte. Ein Jahr zuvor, Mitte Kronprinz Fried- hier im Schatten des Münsters versammelt sind. 1805, hatte die Schlacht bei Ulm-Elchingen die rich III. bei seinem Besuch gesamte Region schwer in Mitleidenschaft gezo- in Ulm im Jahr 1871, Biografische Stationen gen. 1810 fiel der größere Teil des Ulmer Territo- links v. l.n.r.: Konrad Die- riums mit Ulm und Altheim an das Königreich trich Haßler, Prokurator Die Lebensspanne von Konrad Dietrich Haßler Württemberg. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Karl Schall und Oberbür- (1803–1873) reicht von der Zerstörung der alten Pfarrerssohn Konrad in der Altheimer Dorfschule germeister Karl Heim. Ordnung des „Heiligen Römischen Reiches Deut- gerade Schreiben und Rechnen gelernt. scher Nation“ bis zur Formierung der in Jahr- Konrad war elf Jahre alt, als er 1814 nach Ulm zehnten von vielen Deutschen auf friedlichem ging, um seine Schulbildung an dem buchstäblich Wege ersehnten, dann aber 1871 gewaltsam zu- im Schatten des Münsters gelegenen „gymna- stande gekommenen nationalen Einigung des sium academicum“ fortzusetzen. Dort war sein auf dem Territorium eines niedergerungenen Großvater Marcus Haßler einst Rektor gewesen. Feindes proklamierten Kaiserreichs der Hohen- Obwohl er nach 1816 dreimal das württembergi- zollern. Kaum ein Zeitalter der deutschen Ge- sche Landexamen bestand, wurde er nicht in ei- schichte hat die Menschen politisch so interes- nes der evangelisch-theologischen Seminare auf- siert gesehen, und kaum ein Zeitalter der Ge- genommen, wo der Pfarrernachwuchs ausgebil- schichte überhaupt erbrachte solch umfassende det wurde. Der offiziellen Begründung für die Umwälzungen in der Industrie, Wirtschaft, Kunst, Ablehnung der Aufnahme, er sei dafür zu alt, ist Kultur und Wissenschaft. zu misstrauen. Da später gegen seine Berufung Konrad Dietrich entstammt einer ursprünglich in zum Professor in Tübingen die Begründung ins Kärnten ansässigen Familie evangelischer Glau- Feld geführt wurde, er sei kein Seminarist gewe- bensflüchtlinge, die im 16. Jahrhundert in das sen, schadete ihm diese Ablehnung sehr und zer- Gebiet der Reichsstadt Ulm eingewandert war. störte die Lebensplanung eines Wissenschaftlers, Seither nahmen verschiedene Mitglieder der Fa- der wie nur wenige über die Befähigung ver- milie Stellungen im Verwaltungs-, Kirchen- und fügte, in den 1830er Jahren den Lehrstuhl für Ori- Bildungswesen Ulms ein. Haßlers Vater war Land- entalistik an der Landesuniversität zu erlangen. geistlicher und zum Zeitpunkt der Geburt des Nachdem er 17-jährig das Gymnasium abgeschlos- Sohnes am 18. Mai 1803 Diakon (= Helfer) in sen hatte, kam Haßler im Dezember 1820 zum dem kleinen Pfarrdorf Altheim auf der Ulmer Alb. Studium an die württembergische Landesuniver- Als Haßler im Helferhaus in Altheim zur Welt sität Tübingen, wo er sich zunächst der Theologie kam, war es gerade ein gutes halbes Jahr her, und Philosophie widmete, sich aber später den 60 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 61 orientalischen Sprachen zuwendete, ohne die bis- Haßler war Lehrer mit Leib und Seele. Im Kolle- herigen Fächer aufzugeben. Als Student war er genkreis und darüber hinaus machte er sich je- Mitglied des Corps Ulma. Nachdem er 1824 das doch nicht nur Freunde, da er mit seinen zahl- theologische Examen abgelegt hatte, stellte er reichen außerberuflichen Aktivitäten Neid und seine Dissertation fertig. Sie befasste sich mit ara- Missgunst auf sich zog. Als 1852 der Rektor des bischer Handschriftenkunde, fand in Tübingen Ulmer Gymnasiums pensioniert wurde und Haß- erstklassige Resonanz und führte Ende 1824 zur ler für ein halbes Jahr die Rektoratsgeschäfte Verleihung des akademischen Doktorgrades. führte, meinte er davon ausgehen zu dürfen, 1825 wurde er auf Wunsch seines Vaters, der dass man ihm die Leitung des Gymnasiums über- mittlerweile als Pfarrer in Degenfeld tätig war, tragen würde. Als diese dem Leiter des Pädago- dessen Vikar. Doch zum Geistlichen war Haßler giums in Esslingen, Karl Adolf Schmid, anvertraut nicht geboren, und gegen den Widerstand des wurde, zog sich der düpierte Haßler weitgehend Vaters verlor er sein Ziel, die Professur für Orien- aus dem Schuldienst zurück – die Demütigung talistik in Tübingen zu erhalten, nicht aus dem war für einen selbstbewussten Ulmer Großbürger 4 Ulmer Münster, An- Auge. Er unterzog sich der Professoratsprüfung unerträglich. Offiziell schied Haßler erst 1867 aus sicht von Westen, Kupfer- für die Zulassung zum Dienst an den höheren dem Schuldienst aus, nachdem ihn der aus Ulm stich aus dem Jahre Schulen, langweilte sich als Vikar in Lorch, schei- stammende Staatsminister Ludwig von Golther 1718. terte aber bei der Erlangung der Tübinger Profes- sur. Diese war offiziell mit Haßlers Studienfreund Julius Mohl besetzt, obwohl der in Paris forschte und nie eine Vorlesung in Tübingen hielt. Hinzu kam der Hinweis altwürttembergischer akade- mischer Bedenkenträger, da der „Ulmer“ Haßler nicht Zögling eines der theologischen Seminare gewesen sei, könne er auch nicht Professor wer- den. Man wird Haßlers Biograf Herbert Wiegandt nur zustimmen können, wenn er feststellt, dass Haßler an einer anderen Universität sicher zum Ziel gelangt wäre: „Doch solche planmäßige Ziel- strebigkeit lag nicht in seinem Charakter. Er folgte im Leben eher den Bahnen, die ihm von außen gewiesen wurden, um allerdings dann in der ge- gebenen Situation große Aktivität mit vollem En- gagement zu entfalten“. Haßler blieb einer der führenden deutschen Orientalisten, publizierte und referierte deutschlandweit und war 1845 Mitgründer der Deutschen Morgenländischen Ge- sellschaft. An Zielstrebigkeit, den ungeliebten Vikardienst zu verlassen, mangelte es ihm jedoch nicht. Als im Herbst 1826 eine Professorenstelle an der obe- ren Abteilung des Ulmer Gymnasiums frei wurde, bewarb sich Haßler mit Erfolg darum. An dem im ehemaligen Barfüßerkloster auf dem Münster- platz untergebrachten Gymnasium erteilte Haß- ler fortan Unterricht in philosophischer Propä- deutik, Deutsch, Hebräisch und Religion. 1827 heiratete Haßler die Tochter eines früheren Müns- terpredigers und Professors am Gymnasium. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor. Sehr bedeutsam für unser Thema war die Tatsa- che, dass Haßler nicht nur aus beruflichen Grün- den täglich das Münster sah. Er war ihm auch als Prediger eng verbunden. Da er in einem Haus ne- ben dem des Konditors Tröglen – gegenüber dem Hauptportal des Münsters – wohnte, war er mit dem unvollendeten Kirchenbau permanent im wahrsten Sinne des Wortes konfrontiert (Abb. 4). Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 61
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 62 5 Porträt von Konrad 1864 noch mit dem Titel Oberstudienrat ge- fig von heftigen Attacken der Ungeduld geplagte Dietrich Haßler (1803– schmückt hatte. Abgeordnete Haßler fand nur wenig Freude am 1873). Nicht ganz gleichberechtigt stand neben dem Parlamentarierdasein. Dessen ureigenstes Wesen Gelehrten Haßler der homo politicus. Der Profes- verachtete er als „langweilige[s] Verhandeln“. In 6 Karikatur von Konrad sor mit seinem großbürgerlichen Habitus, nach einem Brief an seine Frau schimpfte er: „Viel Dietrich Haßler (1803– 1841 einer der höchstbesteuerten Ulmer Bürger, Schur, keine Wolle, viel Arbeit, keinen Dank, viel 1873). mischte sich von Anfang an mit großer Selbstver- verlorene Zeit und lauter Unlust und dazu meine ständlichkeit in die öffentlichen Angelegenheiten gebundene Stellung, die mich hindert, dem, was Ulms ein (Abb. 5, 6). Die politischen Implikatio- ich wenigstens nach meiner Überzeugung für das nen der württembergischen Turn- und Sängerbe- Rechte halte, mit aller Kraft Bahn zu brechen“. wegung sind bekannt, aber noch nicht hinrei- Kein Wunder also, dass er 1848 als Ulmer Land- chend erforscht. Haßler errang schon Ende der tagskandidat nicht mehr zur Verfügung stand 1820er Jahre eine führende Rolle in beiden Zwei- und sich auch nicht bewegen ließ, in einem an- gen, war Mitglied des Ulmer Turnvereins und Vor- deren Wahlbezirk, wie etwa Biberach, ein Man- stand des Ulmer Liederkranzes, später Mitgrün- dat zu erringen. der des Schwäbischen Sängerbundes. 1830 er- In Zeiten des politischen Umbruchs wollte und hielt er wegen angeblicher politischer Agitation konnte ein Haßler aber nicht abseits stehen. Im innerhalb des Liederkranzes einen strengen Ver- März 1848, als sein Landtagsmandat sich dem En- weis. 1831 wollte ihn der Wahlbezirk Ulm Stadt de zuneigte, gehörte Haßler als Ulmer Vertreter erstmals als Landtagskandidaten aufstellen, doch dem so genannten „Vorparlament“ in Frankfurt / Haßler war mit 28 Jahren nicht alt genug dafür – Main an, dem im Wesentlichen die Organisation 30 Jahre alt musste man in Württemberg sein, der Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung um ein Landtagsmandat ausüben zu können! oblag, dem ersten gewählten gesamtdeutschen Seit 1835 engagierte sich Haßler maßgeblich beim Parlament. Schon zuvor hatte er am 5. März 1848 Ulmer Eisenbahnkomitee, das die rasche Anbin- an der „Heidelberger Versammlung“ teilgenom- dung Ulms an das württembergische Bahnnetz men. Ende April 1848 erfolgte im 2. Wahlkreis im nachdrücklich verfolgte. Seit 1839 war Haßler ein Donaukreis (Ulm-Blaubeuren-Laupheim) gegen hervorragendes Mitglied der Donaudampfschiff- den deutschkatholischen Prediger und Journalis- fahrtsgesellschaft. ten Friedrich Albrecht mit großem Stimmenvor- 1838 in den Bürgerausschuss gewählt, das zweite sprung Haßlers Wahl in die Deutsche Nationalver- bürgerliche Kollegium neben dem Gemeinderat, sammlung in Frankfurt/Main, der er vom 18. Mai errang er 1844 als „gemäßigter Liberaler“ das 1848 bis 11. April 1849 als Mitglied der Fraktion Landtagsmandat des Wahlbezirks Ulm Stadt. Der Westendhall angehörte. Als Schriftführer der Re- sich selbst als „Macher“ einschätzende und häu- daktionskommission erwarb er sich unvergängli- 62 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 63 che Verdienste um die Dokumentierung der Ver- chen Mauerlöchern und Schlupfwinkeln der goti- handlungen der Paulskirche, die in sechs Bänden schen Ornamente und Figuren nisteten. Die fre- erschienen. Bei der Wahl eines Reichsoberhaup- chen Spatzen, die durch die vielen Löcher in den tes gab er seine Stimme für den preußischen Kö- Butzenscheibenfenstern aus- und einfliegen konn- nig ab und war weniger befremdet als seine Kol- ten, nisteten auch im Innern der Kirche, und vor ih- legen, als Friedrich Wilhelm IV. die „Krone aus rem Geschrei verstanden wir Knaben auf unsern Dreck und Letten“ ablehnte. Haßler war kein „Li- von der Kanzel zu weit entfernten Plätzen kaum beraler im Frack“, als der er gelegentlich geschil- den Geistlichen. Kein Wunder, wenn uns die dert wird. Vielmehr war er ein pragmatischer Re- Spatzen mehr interessierten, als die Predigt“. alpolitiker, der mit sicherem Gespür das Mach- Keine Frage – das einst als stolzes Monument Ul- 7 Riss des Ulmer Müns- bare erkannte und im Zusammenhang mit der mischer Bürgerherrlichkeit gedachte Münster ters aus der Zeit des Bau- Ausrufung der Republik Angst vor einem Bürger- drohte zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die meisters Matthias Böblin- krieg hatte. Als die Erosionserscheinungen in der Reichsstadt Ulm sich in völlig neuen Verhältnissen ger, Ende des 15 Jh. Nationalversammlung unübersehbar wurden, zurechtfinden musste, zu einem Mahnmal trauri- legte Haßler sein Mandat 1849 nieder. Seine po- ger Lächerlichkeit herabzusinken. litische Karriere war damit beendet. Schon vor Haßler setzten sich namhafte Ulmer für eine Münsterrestaurierung ein. Darunter sind Haßler und das Ulmer Münster klingende Namen wie der Prälat und Generalsu- perintendent Johann Christoph von Schmid, Zei- Haßler lebte die meiste Zeit seines Lebens buch- chenlehrer Eduard Mauch, Verlagsbuchhändler stäblich im Schatten des Ulmer Münsters. Als Pro- Philipp Ludwig Adam, Finanzassessor Friedrich fessor am Gymnasium sah er es, in seinem Haus Eser und der Vorstand der Regierung des Donau- am Münsterplatz sah er es, in seinen Gedanken kreises, Staatsrat Carl von Holzschuher zu Harr- nahm es mit der Zeit einen beherrschenden Platz lach. Als Vehikel, die Münsterrestaurierung zu ein. Mehr als einmal wird der Gymnasialprofessor promovieren, diente der am 6. März 1841 ins Le- Haßler mit dem Gedanken eingeschlafen sein: ben gerufene „Verein für Kunst und Altertum in Kann es so bleiben, wie es ist? Darf es überhaupt Ulm und Oberschwaben“. Auch Konrad Dietrich so bleiben, wie es ist? Und was habe ich in die- Haßler trat dem Verein bei und entfaltete fortan sem Zusammenhang für eine Verantwortung? eine beispiellose Aktivität im Dienste der Vollen- Bevor die Rede auf die Verdienste Haßlers um das dung des Ulmer Münsters. Ulmer Münster kommt, scheint es geboten, kurz Nach eigenem Bekunden fand Haßler bereits auf dessen Zustand im frühen 19. Jahrhundert Ende der 1830er Jahre auf dem Dachboden der hinzuweisen. 1377 war die Grundsteinlegung des Ulmer Münsterbauhütte alte Turmbaupläne und Kirchenbaus erfolgt, der bei aller Religiosität ein -schriften aus der Zeit des Baumeisters Matthäus Dokument reichsstädtischen Bürgerstolzes wer- Böblinger, Ende des 15. Jahrhunderts (Abb. 7). In den sollte und wurde. Die Arbeiten endeten nach seinem vor den Mitgliedern des Vereins für Kunst einer ersten dynamischen Phase, in der von Patri- und Altertum 1842 gehaltenen Vortrag „Zur Bau- ziat und Bürgerschaft ungeheure Summen dafür geschichte des Ulmer Münsters“ berichtete Haß- aufgebracht worden waren, im frühen 16. Jahr- ler von der Entdeckung des verloren geglaubten hundert. Der reformatorische Bildersturm der frü- Münsterarchives und arbeitete dessen Bedeu- hen 1530er Jahre zog einen weiteren Rückgang tung für die Baugeschichte des Münsters heraus. des Interesses nach sich, und 1543 erfolgte die Dieser Fund führte Wasser auf die Mühlen all de- Schließung der Bauhütte. In den folgenden Jahr- rer, die den Ausbau der Münstertürme befürwor- hunderten wurden zwar notwendige Renovie- teten. Dabei ist es unwesentlich, ob Haßler die rungsarbeiten innen und außen durchgeführt, Unterlagen tatsächlich im Münster aufgestö- aber das Münster blieb mit seinem gedrungenen bert oder von einem anderen Sammler erworben Turm ein Torso, „ein schauerlicher Block“, wie hatte. Wesentlich ist allein, dass auch aufgrund Eduard Mörike 1831 meinte. „Die Schuld hiervon des besagten Fundes 1844 die Münsterbauhütte liegt aber nur daran, daß der Turm weit über die mit dem Münsterbaumeister Ferdinand Thrän Hälfte nicht ausgebaut ist; das Fehlende hinzuge- nach drei Jahrhunderten des „Dornröschenschla- dacht, ist alles unvergleichlich“. Der Zeichenleh- fes“ wieder eröffnet wurde. Und wesentlich ist rer Carl Dieterlen am Ulmer Gymnasium, ein ge- auch, dass Ulm sich mit der Rückbesinnung auf bürtiger Ulmer, fügte hinzu: „Vom bescheidenen die Bedeutung des Münsterbaus ganz bewusst in Moos auf den Ziegeldächern bis zu ganzen die reichsstädtische Tradition stellte und diese Bäumchen auf den Mauern und Mauerabsätzen zum Fundament des Erfolges zu generieren ver- wuchsen und gediehen Pflanzen, die Tierwelt war stand. Dies war ein ganz bewusstes Gegenmodell vertreten durch Eulen, Käuzchen, Fledermäuse, zur Integration in das Königreich Württemberg Dohlen etc., die auf Dachböden, in den zahlrei- und bedeutete ganz konkret die Fortschreibung Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 63
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 64 reichsstädtischer Traditionen im Bezugsrahmen Der nach seiner Zurückweisung als Gymnasial- des 19. Jahrhunderts. Mit Denkmalpflege, vor al- rektor ein neues Betätigungsfeld suchende Haß- lem im heutigen Verständnis, hatte das Ganze ler stellte seine Kraft ganz in den Dienst der sehr wenig zu tun. Münsterrestaurierung. Dabei leiteten ihn weniger Die nicht unerheblichen Kosten für die Sicherung religiöse Motive als der Wunsch, den Bau der des Strebewerks am Langschiff konnten zunächst Hochgotik zum Ruhm der Stadt und aller Spender von den Zinsen des Vermögens der Kirchenstif- zu vollenden und dabei den höchsten Kirchturm tung beglichen werden. Die Finanzmittel schmol- der Welt zu schaffen – und damit den Kölner zen jedoch rasch zusammen, und von 1850 bis Dom zu übertreffen. Zu diesem Zweck musste er 1852 mussten die Arbeiten ganz eingestellt wer- in die Welt hinaus, Überzeugungsarbeit in ganz den. Die Gefahr eines erneuten „Dornröschen- Deutschland leisten und ein Bewusstsein für ein schlafes“ bestand. Konrad Dietrich Haßler hatte Bauwerk wecken, das den meisten Deutschen 1850 als Vorsitzender des „Vereins für Kunst und völlig fremd war. Was bedeutete einem Wiener, Altertum in Ulm und Oberschwaben“ die Bühne Kölner, Mainzer, Trierer das Ulmer Münster? Wa- betreten und gedachte nicht, sie erfolglos wieder rum Geldmittel zur Verfügung stellen für ein zu verlassen. Münster des „Glaubensfeindes“? Haßler gelang Die frühen Geschichtsvereine in Deutschland wa- es, die Sache des Ulmer Münsters aus dem kon- ren aus einer unreflektierten Mittelalterbegeiste- fessionellen Bereich herauszuheben und zu einer rung heraus entstanden. Sie widmeten sich zu- deutschen Angelegenheit zu machen. Insofern nächst vor allem der Archäologie und Denkmal- war er im museal-restauratorischen Bereich sogar 8 König Wilhelm I. von beschreibung, übernahmen aber auch als erste ein Avantgardist der deutschen Einigung. Württemberg (reg. 1816– 1864) genehmigte die denkmalpflegerische Aufgaben – wobei es in der Unermüdlich war er jahrelang als „Reisender für Stelle eines „Conservators Natur der Sache lag, dass diese Anfänge auf das größte Haus Deutschlands“ in ganz Deutsch- für die vaterländischen ehrenamtlicher Basis recht unkoordiniert wirken. land unterwegs und hielt Vorträge, um die inte- Kunst- und Alterthums- Aber sie waren eine unverzichtbare Vorstufe für ressierten Menschen von der Bedeutung der Auf- denkmale“. die staatliche Denkmalpflege. gabe der Münsterfertigstellung zu überzeugen. Haßler war überzeugend, werbend, auch pene- trant, aber er erreichte das Ziel, ständig neue Fi- nanzmittel aufzutun. In einer Zeit, als dies keiner- lei Tradition besaß und z. B. den Menschen im Kö- nigreich Hannover eigentlich relativ egal war, ob in Ulm eine Kirche der Fertigstellung entgegen- geführt wurde, war das keine leichte und schon gar keine angenehme Aufgabe – aber Haßler un- terzog sich ihr. 1855 gelang es ihm, den „Ge- samtverein der deutschen Geschichts- und Alter- tumsvereine“ auf die Unterstützung des Ausbaus des Münsters zu verpflichten. 1856 erhielt Haßler für ein Jahr Urlaub, um sich ausschließlich seinen Wandervorträgen widmen zu können, die ihn an fast alle deutschen Fürstenhöfe führten. Haßler wurde zum „Trommler für das Ulmer Münster“, zum Motor für die Vollendung eines der großar- tigsten christlichen Bauwerke des deutschen Spät- mittelalters – nach jahrhundertelanger Pause. Beim Besuch des Königs Wilhelm I. von Würt- temberg in Ulm am 11. Juni 1856 ließ sich der Monarch von Haßler im Münster vom Stand der Arbeiten unterrichten (Abb. 8), in gleicher Funk- tion war er am 14. August 1863 beim Besuch des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich tätig. 1857 verfasste Haßler im Namen des Münsterkomitees einen in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Aufruf, der für ein finanzielles Engagement hin- sichtlich der Münstervollendung warb. Er hielt Vorträge, schrieb Zeitungsartikel, Broschüren und Bücher, reiste umher und trat in persönlichen Kontakt mit möglichen Geldgebern. Es mag sein, 64 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 65 dass ihm das Spaß gemacht hat, ihm persönliche Befriedigung einbrachte. Es ist sogar ziemlich si- cher, dass es so war. Und doch wäre Ulm nicht das Ulm von heute, wenn Haßler anders aufgetreten wäre. Und wenn es Haßler nicht gegeben hätte, wäre Ulm um vieles ärmer. Es ist ihm versagt geblieben, das große Münster- fest aus Anlass des 500. Jahrestages der Grund- steinlegung im Jahre 1877 mitzuerleben. Auch die Vollendung des Münsterausbaus am 31. Mai 1890, als in Ulm der höchste Kirchturm der Welt Realität wurde, konnte Haßler nicht erleben. Ge- rade heute aber – 205 Jahre nach seiner Geburt, 135 Jahre nach seinem Tod – bleibt festzuhalten: Ohne ihn wäre diese Entwicklung undenkbar ge- wesen (Abb. 9). Württembergs erster Landeskonservator Württemberg war kein Vorreiter im Bereich der staatlichen Denkmalpflege. In Preußen war schon 1843, in Baden mit dem Kunstmaler August von Bayer 1853 ein staatlicher Konservator berufen worden. In Württemberg dauerte es bis 1858, dass ein Landeskonservator ernannt wurde. Zwei Aspekte waren dafür ausschlaggebend: 1. der Disput über die Zuordnung des Landes- konservators 2. Haßler war für das neue Amt nicht die „erste Wahl“. Bei den langwierigen Verhandlungen darüber, ob der Landeskonservator beim Statistisch-Topogra- phischen Bureau und damit beim Innenministe- rium oder bei der Kgl. Kunstschule in Stuttgart und damit beim Ministerium des Kirchen- und bracht. Aber Mauch, der zu Beginn der 1840er 9 Ulmer Münster heute. Schulwesens angesiedelt werden sollte, schaltete Jahre die Oberaufsicht über die Renovierungsar- sich auch der Württembergische Geschichts- und beiten am Ulmer Münster geführt hatte, starb im Altertumsverein ein. Dessen Vorsitzender, Graf April 1856. Neuer Favorit des Ministeriums war Wilhelm von Württemberg – seit 1857 übrigens danach der Direktor der Stuttgarter Baugewerke- Gouverneur der Bundesfestung Ulm –, versuchte schule, Joseph von Egle, seines Zeichens Beirats- mit der Unterstützung eines Bewerbers Fakten zu mitglied für die Münsterrestaurierung, später Mit- schaffen und die neue Stelle dem Verein zuzu- glied des Münsterbaukomitees und Ulmer Ehren- ordnen. Der Bewerber war der Architekt Carl Ale- bürger. Nachdem Egle zum Kgl. Hofbaumeister xander von Heideloff, der für Graf Wilhelm das berufen worden war, hatte sich auch dieser Plan Schloss Lichtenstein auf der Reutlinger Alb ge- zerschlagen. Zeitweise kursierte der Name des baut hatte. Der Personalvorschlag kam Mitte der Baudirektors Christian Friedrich von Leins. Alle in 1850er Jahre zu einem Zeitpunkt, als die Stelle Vorschlag gebrachten Persönlichkeiten waren üb- noch gar nicht geschaffen war. Begleitet wurde er rigens hochkarätig und spiegeln die hohe Wer- von einem Gutachten, das einen weit gefassten tigkeit des neuen Amtes wider. Denkmalsbegriff unter Berücksichtigung etwa Der Leiter des Ministeriums für Kirchen- und Schul- auch der Bodenaltertümer formulierte. Daneben wesen, Staatsrat Gustav von Rümelin, brachte nun- enthielt es auch einen Gliederungsvorschlag für mehr Konrad Dietrich Haßler in Vorschlag. Beide das neue Amt, der dann tatsächlich fast unverän- waren Abgeordnete im Paulskirchenparlament dert umgesetzt wurde. gewesen und kannten sich gut. Mittlerweile hatte das Ministerium des Kirchen- König Wilhelm I. wollte für das Amt des Landes- und Schulwesens den gebürtigen Ulmer Johann konservators einen bausachverständigen Prakti- Matthäus von Mauch, Architekt und Professor ker, keinen Theoretiker und Altertumsliebhaber, am Stuttgarter Polytechnikum, in Vorschlag ge- als den er Haßler einschätzte. Noch einmal sollte Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 65
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 66 bei Heideloff angefragt werden, gegen den je- bei seinen Aktivitäten rund ums Münster – Ei- doch sein Alter von 68 Jahren und seine große gennützigkeit. Abgesehen davon, dass man sich Schwerhörigkeit sprachen. Rümelin setzte sich ein Ergebnis wie die Rettung des Münsters in Ulm beim König nachdrücklich für Haßlers Ernennung bei einer unterstellten Eigennützigkeit ja nur ein und schrieb ihm, der Ulmer sei „nach dem wünschen kann: Im Zusammenhang mit dem übereinstimmenden Zeugnis derjenigen, die ihn Amt des Landeskonservators war Haßler alles an- kennen, ein Mann von Geist, von vielseitiger dere als eigennützig. Als ihm einige Jahre nach wissenschaftlicher Bildung, von gebildetem Ge- Übernahme der neuen Aufgabe in Stuttgart die schmack und tüchtigen Kenntnissen in Kunstsa- Direktion des Germanischen Nationalmuseums in chen, von großer Gewandtheit in der Feder wie Nürnberg angeboten wurde, lehnte Haßler sie in der Rede, und einer seltenen Gabe zu persön- ab, obwohl sie erheblich besser dotiert und hoch licher Anregung und Beredung für seine Zwecke, angesehen war. Haßler hätte um des persönli- lauter Eigenschaften, die für die fragliche Tätig- chen Vorteils wechseln können – und blieb doch keit von entschiedenem Wert sind und die von al- in Württemberg und Ulm bzw. Stuttgart. len Architekten, die in Frage kommen können, Haßler entfaltete als Landeskonservator eine rast- schwerlich irgendeiner in sich vereinigen dürfte“. lose und zielführende Tätigkeit. Von Anfang an Diese Laudatio durch den Leiter des Ministeriums ging er systematisch vor, versandte Fragebögen brach den Widerstand des greisen Monarchen. und kam selbst vor Ort – ob zu den Pfahlbauten Wilhelm I. ernannte Haßler am 2. März 1858 zum am Bodensee oder zu den Ausgrabungen der „Conservator für die vaterländischen Kunst- und Steinzeitfunde an der Schussenquelle –, um sich Altertumsdenkmale“, wobei es sich um ein wi- einen Überblick über die Lage zu schaffen und 10 Titulatur von Haßlers derrufliches Nebenamt mit einem Jahresgehalt Material für seine Veröffentlichungen zu sam- „Die Pfahlbaufunde des Ueberlinger Sees in der von 300 Gulden handelte. Das Amt des Landes- meln, in denen er grundsätzliche Überlegungen Staatssammlung vaterlän- konservators wurde offiziell am 14. März 1858 zur Praxis anstellte und Vorschläge zur Restaurie- discher Alterthümer zu geschaffen. rung unterbreitete (Abb. 10–12). Stuttgart“, erschienen in Zeitgenössische Gegner Haßlers, wie der Ulmer Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Haßler im Ge- Ulm 1866. Apotheker Reichard, unterstellten ihm – wie auch gensatz etwa zu seinem bayerischen Amtskolle- gen Friedrich von Gärtner, der einen konservato- rischen Ansatz verfolgte, das Dokumentieren und Bewahren der Geschichte als seine Aufgabe be- griff. Der Landeskonservator war dem Ministe- rium des Kirchen- und Schulwesens in Stuttgart direkt unterstellt. Seine Aufgabe war es, „eine genaue Kenntnis aller Denkmale des Landes, die öffentlich sichtbar und zugänglich sind und durch ihren Kunstwert oder auch durch geschichtliche Erinnerungen Bedeutung haben, zu sammeln und bei deren Eigentümern dahin zu wirken, daß sie solche in würdigem Stand und in ihrem ei- gentümlichen Charakter erhalten“ (Regbl. Nr. 40 / 1858). Mit Haßler ist auch der Beginn der Perso- nalunion zwischen Landeskonservator und Kon- servator der Staatssammlungen verknüpft. Letz- teres Amt übernahm Haßler im Jahre 1867, nach- dem zeitweise der Direktor der Kunstschule ein Gegner dieser Personalunion gewesen war. Es war ein Durchbruch von säkularer Bedeutung, dass Haßler sich das Amt des Konservators der Staatssammlungen sichern konnte und es mit dem des Landeskonservators verknüpfte. Davon profitiert die staatliche Denkmalpflege noch heute. Konrad Dietrich Haßler starb am 15. April 1873 in Ulm – einen Monat vor Vollendung seines 70. Le- bensjahres. Sein Grab mit dem neugotischen Grabstein auf dem Alten Friedhof wurde 1962 entfernt und durch eine Grabplatte ersetzt. Die Stadt Ulm benannte eine Straße nach Haßler. 66 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 67 Die Erinnerung an einen der rührigsten und viel- Stadt Ulm, Reihe Dokumentation, Band 7), Ulm 1990. 11 Tafel IV aus Haßlers seitigsten Ulmer Bürger des 19. Jahrhunderts August Gebessler, Professor Haßler. Der erste Kon- „Die Pfahlbaufunde des verblasst zusehends. Dieser Entwicklung entge- servator im Königreich Württemberg, in: Schwäbi- Ueberlinger Sees in der genzutreten war der Ausgangspunkt dieses Bei- sche Heimat 1 / 1988, S. 114–117. Staatssammlung vaterlän- discher Alterthümer zu trags. Hans Eugen Specker / Reinhard Wortmann (Hrsg.): Stuttgart“, erschienen in 600 Jahre Ulmer Münster. Festschrift (Forschungen Ulm 1866. Literatur zur Geschichte der Stadt Ulm, Band 19), 2., verbes- serte und erweitere Auflage, Ulm 1984. 12 Tafel IV aus Haßlers Peter Huber: Conrad Dietrich Haßler und seine Ul- Hubert Krins: Die Gründung der staatlichen Denk- „Das Alemannische Tod- mischen Landsleute in Tübingen. Quellen zur Ge- malpflege in Baden und Württemberg, in: Denkmal- tenfeld bei Ulm“, erschie- schichte der Landsmannaschaft Ulmia zu Tübingen pflege in Baden-Württemberg 12/2, 1983, S. 34–46. nen in Ulm 1860. und zur Bürgergeschichte der Stadt Ulm im 19. Jahr- hundert, Tübingen 2005. Praktische Hinweise Hans Binder: Ein Ulmer, der vieles bewegte: Vor 200 Jahren wurde Konrad Dieterich Haßler geboren, in: Öffnungszeiten: 9–18.45 (April–Juni), 9–19.45 Uhr Schwäbische Heimat 3 / 2003, S. 266–275. (Juli–August). Der Einlass zur Turmbesteigung endet Frank Raberg: Biographisches Handbuch der würt- 1 Stunde früher. Führungen buchbar über die Tou- tembergischen Landtagsabgeordneten 1815–1933, rist-Information Ulm/Neu-Ulm, Tel. 0731/161-28 30 Stuttgart 2001, S. 327–328. www.ulmer-muenster.de, www.ulm.de Herbert Wiegandt: Konrad Dieterich Haßler, 1803– 1873. Von der Politik zur Denkmalpflege, Ulm 1998. Hans Eugen Specker (Hrsg.): Ulm im 19. Jahrhundert. Aspekte aus dem Leben der Stadt. Zum 100. Jahres- Dr. Frank Raberg M.A. tag der Vollendung des Ulmer Münsters. Begleitband Talstr. 9 zur Ausstellung (Forschungen zur Geschichte der 73450 Neresheim Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 67
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 68 Denkmalkunde – eine zentrale Aufgabe für Denkmalschutz und Denkmalpflege Von Anbeginn an spielte die Inventarisation eine zentrale Rolle in der Denkmalpflege – und diese sollte sie auch zukünftig innehaben Der Titel der Veranstaltung „Aus der Vergangenheit in die Zukunft“ spielt auf das Motto des Europäischen Denkmalschutzjahres von 1975 an: „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“. Doch in diesem Beitrag stehen nicht die Objekte im Mittelpunkt. Es geht vielmehr um diejenigen, die sich um die Objekte be- mühen. Es geht um uns, die wir die Objekte aus der Vergangenheit in eine Zukunft führen, die aber auch selbst aus der eigenen Vergangenheit heraus fragen, welche Zukunft ihnen in einer Welt beschieden ist, die wenig Verständ- nis für die Anliegen der Denkmalpflege zu haben scheint. In solchen Momen- ten ist es sinnvoll, sich auf seinen gesetzlichen Auftrag zu besinnen. Ulrike Plate Der Auftrag 1858 1. möglichst genaue Kenntnis von dem Dasein und dem Zustande der in dem Großherzogtum Der Erlass von 1858 (Abb. 1), mit dem die neu befindlichen Kunstdenkmale zu sammeln eingerichtete Konservatorenstelle im Regierungs- 2. die gesammelten Kenntnisse aufzuzeichnen und blatt bekannt gegeben wurde, formuliert als 3. die Erhaltung der Kunstdenkmale zu fördern. Hauptziel dieser Maßnahme, die „sorgfältige Er- Interessant ist in beiden Texten, dass die Aufgabe, haltung der im Vaterland befindlichen Denkmale „sich eine genaue Kenntnis [zu] verschaffen“ und der Kunst und des Altertums zu sichern.“ Inte- die Aufgabe des Dokumentierens – ein Verzeich- ressant ist, genau zu lesen, was als Aufgabe des nis erstellen, die gesammelten Kenntnisse aufzu- neu bestellten Konservators formuliert wurde. Zu zeichnen – als Voraussetzung für die Zielerrei- diesem Zweck sei es zunächst notwendig, sich chung, nämlich die Erhaltung der Denkmale zu „eine genaue Kenntniß aller … Denkmale“ zu fördern, gesehen wird. In Württemberg wird als verschaffen, sie zu sammeln und dann „auf de- weiterer wesentlicher Schritt die Veröffentlichung ren Eigenthümer dahingehend“ einzuwirken, der Kenntnisse gefordert. „dass sie solche Denkmale in würdigem Stande Im Text von 1858 fällt noch etwas Weiteres auf: und ihrem wesentlichen Charakter erhalten. Der Während es die Aufgabe des neu bestellten Kon- Conservator wird hienach ein Verzeichniß solcher servators ist, die Denkmale zu sammeln, ist es kei- Gegenstände anlegen, welches seiner Zeit zur öf- neswegs seine Aufgabe, diese auch zu erhalten. fentlichen Kenntniß gebracht werden soll …“. Nein, er soll sich Kenntnisse über die Denkmale Zuletzt folgt noch ein Appell an alle anderen öf- und ihre Bedeutung verschaffen und dahinge- fentlichen Diener, aber auch an alle Kenner und hend auf die Eigentümer einwirken, „daß sie sol- Freunde der Kunst und an die Vereine, den Kon- che Denkmale in würdigem Stand und in ihrem servator in dieser Aufgabe zu unterstützen. wesentlichen Charakter erhalten“. Somit waren Sich eine „genaue Kenntniß“ zu verschaffen, ein die Hauptaufgaben des ersten staatlichen Kon- „Verzeichniß“ anzulegen und dieses zur „öffentli- servators die Aneignung von Wissen über die chen Kenntniß“ zu bringen. Dies sind die Absätze, Denkmale und die Vermittlung desselben. Dies ist die sich mit der Aufgabe der Inventarisation befas- eine deutlich andere Vorstellung von den Aufga- sen. Ein deutlich formulierter Auftrag – der sich ben der staatlichen Denkmalpflege, als dies im ähnlich klar auch schon fünf Jahre zuvor im badi- Denkmalschutzgesetz von Baden-Württemberg schen Erlass findet. Dort wird 1853 die Aufgabe des nachzulesen ist. Dort wird in §1 formuliert: „Es großherzoglichen Konservators der Kunstdenkmale ist Aufgabe von Denkmalschutz und Denkmal- – August von Bayer – in drei Absätzen benannt: pflege, die Kulturdenkmale zu schützen und zu 68 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 69 1 Die im Regierungsblatt für das Königreich Würt- temberg 1858 veröffent- lichte Bekanntmachung, „betreffend die Staatsfür- sorge für die Denkmale der Kunst und des Alter- thums“. pflegen, insbesondere den Zustand der Kultur- bezog sich auf bewegliche Denkmale im öffentli- denkmale zu überwachen sowie auf die Abwen- chen Besitz, insbesondere vorgeschichtliche Ge- dung von Gefährdungen und die Bergung von genstände, alte Münzen und Bücher, Urkunden Kulturdenkmalen hinzuwirken.“ und Akten. Entsprechend ist die badische Verord- Wie konnte es zu einer solchen Verschiebung des nung vom 27. November 1914, Ausgrabungen staatlichen Konservatorenauftrags kommen? und Funde betreffend, zu werten. Baudenkmale Und was hat das für unser heutiges Verständnis wurden hier bewusst ausgelassen. Deren Schutz von Denkmalpflege für Konsequenzen? war in der Landesbauordnung von 1910 geregelt (Art. 97). Hier heißt es: „Künstlerisch oder ge- Baurecht oder Wissenschaft? schichtlich wertvolle Bauwerke (Baudenkmale) sol- len in ihrem Bestand und Gesamtbild möglichst er- Um hier Antworten zu finden, müssen wir einen halten werden“. Relevant sind „Bauveränderun- Blick auf die Geschichte der Gesetzgebung im gen am Äußeren der Baudenkmale oder in deren Denkmalschutz werfen. Als das älteste deutsche Umgebung“, die im Falle einer Beeinträchtigung Denkmalschutzgesetz gilt das Hessische von von der Baupolizeibehörde zu untersagen sind. Sie 1902. 1858 handelte es sich ja keineswegs um nimmt diesen Auftrag „nach Rücksprache mit ein Gesetz, sondern um einen Erlass seiner kö- dem staatlich bestellten Kunstverständigen wahr“. niglichen Majestät des Königs von Württemberg. Es ist schon erstaunlich, dass die ältesten gesetz- 1914 erließ Württemberg ein Gesetz betreffend lichen Regelungen für Baudenkmale in Bauord- den vorläufigen Schutz von Denkmalen. Dieses nungen festgeschrieben wurden und eben nicht Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009 69
01_nb209_57-128.qxd:Nabla 06.05.2009 18:35 Uhr Seite 70 in einem Denkmalschutzgesetz. Dies spielt eine sen, „Grundstücke … zu betreten und Kultur- wichtige Rolle für die traditionelle Wahrnehmung denkmale zu besichtigen, soweit es zur Erfüllung der Baudenkmalpflege als Baugestaltung und die der Aufgaben des Denkmalschutzes erforderlich Reduktion des Denkmalschutzes auf das äußere ist. Sie sind zu den erforderlichen wissenschaftli- Erscheinungsbild. Im Gegensatz zur Archäologie, chen Erfassungsmaßnahmen – wie der Inventari- deren Funde als Gegenstand wissenschaftlichen sation – berechtigt“. Interesses wahrgenommen wurden, standen die Nach Auffassung der damaligen Gesetzgeber Baudenkmale als städtebaulich relevante Objekte spiegelte sich in diesem Passus eine – gegenüber unter Schutz. Und damit auch in erster Linie ihr der älteren Gesetzgebung – neue Einschätzung äußeres Erscheinungsbild. Als Gegenstand wis- vom Auftrag der Denkmalpflege wider. Im Kom- senschaftlichen Interesses wurden sie nicht wahr- mentar 1971 heißt es zu §10, dass hier erstmals genommen. mit dem Begriff Inventarisation die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Erfassung und Erfor- Die heutige gesetzliche Grundlage schung für Baudenkmale festgeschrieben wor- den sei. Bisher war es nur möglich, Grundstücke Die Landesdenkmalpflege arbeitet heute auf zu betreten, und Aufnahmen von Baudenkmä- Grundlage des Denkmalschutzgesetzes von 1971, lern zu machen, so im hessischen Gesetz von zuletzt geändert 2004. §2 dieses Gesetzes defi- 1902 (Art 20 Hess DSchG), oder sie zu besichti- niert, was Gegenstand des Denkmalschutzes ist: gen, so im Badischen Gesetz von 1949 (§9 Bad „Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind DSchG). Von einer wissenschaftlichen Bearbei- Sachen, Sachgesamtheiten und Teile von Sachen, tung ist nur in Schleswig-Holstein 1958 (§15 an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künst- SchlH DschG) die Rede. Und in den Ausführungs- lerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen bestimmungen zum preußischen Ausgrabungs- ein öffentliches Interesse besteht“. Das Gesetz gesetz von 1914, bei dem sich dieser Passus je- geht davon aus, dass jede Sache, welche mindes- doch auf gefundene Denkmale beschränkt. Hier tens eine der entsprechenden Eigenschaften be- spiegelt sich die Auffassung wider, nur die Bo- sitzt, ein Kulturdenkmal ist. Sie ist Denkmal, das dendenkmalpflege betreibe wissenschaftliche Ar- zu wissen reicht, um sie dem Schutz und der beiten, die Baudenkmalpflege dagegen betreibe Pflege zu übergeben. Doch woher wissen wir, ob nur Denkmalschutz. ein Objekt die Eigenschaften eines Kulturdenkmals Wie im Kommentar weiter darlegt wird, wurde besitzt? Muss man sie nicht erst erfassen und er- diese Fehleinschätzung noch von einer anderen forschen? Hierzu findet sich im Denkmalschutzge- übertroffen. Danach diene der Baudenkmal- setz – zumindest im §1 – kein entsprechender Auf- schutz der Erhaltung des Denkmals selbst, wäh- trag mehr. Doch an einer anderen Stelle wird deut- rend der Schutz von Bodenfunden die wissen- lich, dass sich der Gesetzgeber durchaus darüber schaftliche Auswertung verfolge. Eine solche Un- im Klaren war, dass es diesen Auftrag gibt. terscheidung macht das Denkmalschutzgesetz 2 Titelblatt des ersten In- ventarbandes der Kunst- In §10 (2) des Denkmalschutzgesetzes wird in von Baden-Württemberg nun nicht mehr, es und Altertumsdenkmale Zusammenhang mit der „Auskunfts- und Dul- trennt nicht zwischen Bau- und Bodendenkmal. im Königreich Württem- dungspflicht“ auf das Recht der „Denkmalschutz- Der Auftrag des Gesetzes erstreckt sich in glei- berg. Neckarkreis 1889. behörden oder ihre[r] Beauftragten“ hingewie- cher Weise auf jedes Kulturdenkmal. Interessan- terweise wirkt in der archäologischen Denkmal- pflege bis heute noch die alte Tradition nach. Sie wird viel eher als wissenschaftliche Disziplin wahr- genommen als die Baudenkmalpflege. Die Wahrnehmung eines Baudenkmals als histo- risches Dokument ist auch wesentlich proble- matischer. Während die Schriftquelle wohl tem- periert in einem staubfreien Archivschrank der Nachwelt bewahrt werden kann, während das Fundstück einer archäologischen Ausgrabung die ihm entlockte Geschichte in der Museumsvitrine bezeugt, steht das Baudenkmal im prallen Leben. Es soll und muss genutzt werden, nur dann kann es der Nachwelt überliefert werden. Da hilft eben keine Käseglocke, und sei sie noch so oft zitiert. Doch umso wichtiger ist es, diese Quelle zu er- forschen, bevor sie einem Veränderungsprozess unterzogen wird. 70 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2009
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