USA-Vortrag, Oktober 2002

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USA-Vortrag, Oktober 2002

Die Stiftung Bauhaus Dessau ist heute wie in den 20er Jahren die Dessauer Hoch-
schule für Gestaltung ein Ort der Gestaltung, Forschung und Lehre. Ein ganzheitli-
cher Arbeitsablauf im Sinne einer Werkstatt – von der Theorie bis zur Praxis ist das
Ziel. Dabei beziehen sich die Themen auf relevante gesellschaftskritische und sozia-
le Fragen in den Bereichen Städtebau, Architektur, Design und Kunst – national wie
international.

Mein Anliegen heute ist ein doppeltes: Ich möchte Ihnen zum einen die entscheiden-
den Entwicklungslinien in der Geschichte des Bauhauses von 1919 bis zur Gründung
der heutigen Stiftung Bauhaus Dessau vorstellen. Ich kann wohl in diesem Kreis von
der grundsätzlichen Kenntnis der Bauhaus-Geschichte ausgehen. Daher lege ich
den Schwerpunkt auf die Zeit nach 1933, also auf die Periode nach der Auflösung
des Bauhauses durch Ludwig Mies van der Rohe in Berlin – sicher die weniger gut
bekannte und deshalb für sie interessante Phase des Dessauer Bauhauses. Zum
anderen möchte ich unsere aktuelle Stiftungsarbeit erläutern; mir wurde signalisiert,
dass auch dafür ein gewisses Interesse vorhanden ist.

Das Bauhaus von seiner Gründung im Jahr 1919 bis zu seiner Schließung im
Jahr 1933

Von Anfang an, also seit seiner Gründung in Weimar, war das Bauhaus dem kriti-
schen Druck konservativer und reaktionärer Kreise ausgesetzt. Schon die politisch
motivierte Vertreibung des Bauhauses aus Weimar 1925 hätte das Ende der Instituti-
on bedeuten können, wenn sich nicht doch noch verschiedene deutsche Städte an-
geboten hätten, dem Bauhaus einen neuen Standort zu bieten.

Der Beschluss des Bauhaus-Meisterrates fiel schließlich auf das anhaltinische Des-
sau. Wie schon in Weimar unter der Leitung von Walter Gropius nahm die Hochschu-
le für Gestaltung am 1. April 1925 ihre Arbeit auf, ab 1926 ging der Lehrbetrieb dann
weiter in dem neu eröffneten Bauhausgebäude. Dort begann die erfolgreichste Pha-

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se des Bauhauses, die unter anderem in den Meisterhäusern und in der Siedlung
Dessau-Törten auch sichtbare architektonische Gestalt annahm.

Fabrik, Laboratorium und Schulbau, all das sollte mit dem Bauhausgebäude in Des-
sau assoziiert werden können. So plante Gropius den Bau als dreiflügelige Anlage,
die sich dann auch nicht als homogener Block präsentierte, sondern eher als eine
Zusammenfügung selbständiger Baukörper. Gropius erläuterte seine Pläne folgen-
dermaßen: „Ein aus dem heutigen Geist entstandener Bau wendet sich von der re-
präsentativen Erscheinungsform der Symmetriefassade ab. Man muss rund um den
Bau gehen, um seine Körperlichkeit und die Funktion seiner Glieder zu erfassen.“

Die beiden dreigeschossigen Baukörper des Gebäudes – den im Süden gelegenen
Werkstattflügel und den nördlich gelegenen Flügel, den Schultrakt, verband Gropius
durch eine zweigeschossige Brücke. Zwischen Werkstattflügel und dem so genann-
ten Atelierhaus im Osten legte er einen eingeschossigen Zwischenbau an, mit Aula,
Bühne und Mensa. Dominanter Baustoff war Glas, es sollte Transparenz, Durchläs-
sigkeit und Durchsichtigkeit signalisieren.

Erstmals in der Geschichte von Gestaltungshochschulen vereinte das Bauhaus nicht
nur eine handwerkliche Ausbildung für Künstler und Gestalter mit eigenen Produkti-
onsstätten und Diskussionsforen, sondern förderte auch eine Denkweise mit
Grundsätzen der Aufklärung wie „das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden“. Die
Zielsetzung des Bauhauses orientierte sich dabei an einem ganzheitlichen Verständ-
nis von Kunst und Technik - ganzheitlich zum einen im Sinne einer Einheit von Kunst
und Technik, und zum anderen im Sinne einer ganzheitlichen Ausbildung, die prakti-
sche und theoretische Arbeit vereinte. Auf diese Weise sollte eine Produkt- und
Gebrauchskultur geschaffen werden, die zu einer tatsächlichen Verbesserung des
alltäglichen Lebens beitrug – ein sozialer Aspekt des Bauhaus-Gedankens, dessen
Einfluss bis heute wirkt.

Der Neuanfang des Bauhauses in Dessau fiel in eine Phase des wirtschaftlichen
Aufschwungs, während die Jahre ab 1929 von Wirtschaftskrisen, steigenden Arbeits-
losenzahlen und sich bekämpfenden politischen Kräften bestimmt war.

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Erneut blieb das Bauhaus von diesen politischen Entwicklungen nicht verschont.
Während der Amtszeit des zweiten Direktors, Hannes Meyer, geriet das Bauhaus
aufgrund linksgerichteter Agitationen in den eigenen Reihen, unter zunehmenden
politischen Druck. Als die Nationalsozialisten 1931 im Dessauer Stadtrat die Mehrheit
erhielten, sorgten sie im Herbst 1932 für die Schließung des Bauhauses in Dessau.
Auch die private Eigeninitiative Mies van der Rohes, dem dritten Direktor, mit dem
Bauhaus nach Berlin zu ziehen, blieb glücklos. 1933 wurde – wieder auf Betreiben
der Nationalsozialisten – die Hochschule für Gestaltung endgültig geschlossen.

Die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

Mit der Errichtung des NS-Regimes in Deutschland, das die Arbeit avantgardistischer
Künstler und Gestalter als „entartet“ und „un-deutsch“ einstufte, emigrierten viele
Künstler, Architekten und auch Bauhäusler wie Walter Gropius in die USA. Gropius
wurde Leiter der Schule für Architektur in Harvard. Moholy-Nagy eröffnete das New
Bauhaus, das sich zum Chicago Institute of Design entwickelte. Josef Albers ging
Ende 1933 an das Black Mountain College, und Mies van der Rohe wurde Dekan der
Fakultät für Architektur im Armour Institute in Chicago, das spätere Illinois Institute of
Technology.

In Dessau wurde das Bauhausgebäude in den folgenden Jahren von den National-
sozialisten für Propagandazwecke gegen moderne Architektur und Kunst miss-
braucht, wobei sogar die Gefahr bestand, dass das Gebäude abgerissen wurde.
Hierfür hatten die Nationalsozialisten schon deutlich vor der Machtergreifung mobil
gemacht.

Dennoch konnte die Bauhausmoderne in den verschiedensten Bereichen der NS-
Kultur überleben. Wesentliche Prinzipien und Programme der Bauhausarchitektur
lassen sich in den Bauvorhaben der Nationalsozialisten wiederfinden. Zwar waren
die meisten Repräsentationsbauten Mixturen verschiedenster Stile, geprägt von Mo-
numentalismus und Neoklassizismus, aber insbesondere im Bereich von Industrie-
bauten, Arbeiterwohnungen und Gebrauchsgütern konnte man den Einfluss der

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„Neuen Sachlichkeit“ erkennen. Nicht zuletzt wollten auch die Nationalsozialisten ihre
technologischen Fortschritte auf internationaler Bühne herausstellen.

Fest in der Hand des Regimes, das im Bauhaus u.a. die Gauführerschule und den
Baustab Albert Speers unterbrachte, wurde das Gebäude im März 1945 stark zer-
stört. Durch Bombardierung wurden die oberen Ebenen des Klassenraumtraktes zer-
stört, der Werkstattflügel brannte aus und die Glasvorhangfassade zerbarst. Die kon-
struktiven Strukturen wie das Skelett aus Eisenbeton, die Steineisendecken und die
Ziegelwandausfüllungen blieben allerdings vollständig erhalten.

Die Zeit nach dem Krieg

Das Überleben des Bauhausgebäudes unmittelbar nach dem Krieg ist einer Gruppe
ehemaliger Bauhäusler zu verdanken, die entweder noch in Dessau lebten oder wie-
der zurückgekommen waren. Angeführt von Hubert Hoffmann hielt man an der Bau-
hausidee fest und glaubte an einen Wiederaufbau nicht nur des Gebäudes, sondern
auch der Institution. Unterstützung fanden sie bei Oberbürgermeister Fritz Hesse.

1946 beauftragte er Hubert Hoffmann mit der städtebaulichen Planung für den Wie-
deraufbau Dessaus und der Institution Bauhaus. Er begann, in Anlehnung an die
Konzepte von Hannes Meyer, ein Curriculum auszuarbeiten, das den Programmen
des historischen Bauhauses folgte.

Aber der Plan der Wiederbelebung nach dem Vorbild der Meyer-Ära scheiterte
schnell. Nicht nur fehlte die Unterstützung des Bauhaus-Gründers Walter Gropius,
vor allem der aufkommende kalte Krieg und die Umgestaltung Ostdeutschlands bzw.
der DDR im Sinne des Sozialismus ließen die Neugründung des Bauhauses unmög-
lich werden. Mit der Übernahme der Regierung durch die Sozialistische Einheitspar-
tei Deutschlands (SED) im Oktober 1946 verlor Fritz Hesse sein Amt, die Gruppe um
Hubert Hoffmann löste sich auf.

Doch nicht allein die politischen Umstände sorgten für einen starken Gegenwind,
auch die Dessauer selbst schienen sich eher weniger mit einer Wiederbelebung des

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Bauhauses abfinden zu können. So stellte Carl Fieger, Bauhäusler und Architekt des
„Kornhauses“ in Dessau, 1949 in einem Brief an Walter Gropius auch fest: „In den
Bürgerkreisen hier herrscht immer noch eine Abneigung gegen das Bauhaus mit sei-
ner modernen Kunstauffassung. In einer Architektensitzung wurde ich doch neulich
auf mein Verlangen, das neu zu errichtende, durch Bomber zerstörte Bahnhofsge-
bäude im besten Sinne modern zu bauen, entsetzt gefragt: Doch nicht etwa im Bau-
hausstil?“

Doch auch wenn die Gruppe um Hubert Hoffmann an der praktischen Ausführung
ihrer Programme und Ideen gescheitert war, so setzte sie doch ein lebendiges Zei-
chen für den Erhaltungswillen der Bauhausidee. Daher ist es nicht zuletzt ihnen zu
verdanken, dass ihre Bemühungen auch die Wiederherstellung des Gebäudes ein-
bezogen.

Die Reparaturen am Bauhausgebäude begannen im Oktober 1945. Dabei wurde u.a.
die zerstörte Glasvorhangfassade des Werkstattflügels durch Ziegelmauerwerk und
eine Lochfassade ersetzt.

Das Bauhausgebäude befand sich wie bisher im Eigentum der Stadt Dessau und war
auch weiterhin für eine öffentliche Nutzung vorgesehen. Es wurde vor allem eine Bil-
dungsstätte für die gewerbliche Berufsschule. 1946 konnten die ersten Unterrichts-
räume fertiggestellt werden. Darüber hinaus waren in dem Gebäude aber auch ver-
schiedene kleinere Unternehmen, ein Teil der Stadtbücherei sowie des Hochbauam-
tes untergebracht. Verschiedene Bereiche des Gebäudes wurden umgebaut, es
wurden Wände versetzt und die sanitären Anlagen erweitert.

1949 schließlich war das Gebäude wieder vollständig bezogen. Die gewerbliche Be-
rufsschule teilte sich den Nordflügel zusammen mit der pädagogischen Fachschule
für Kindergärtnerinnen und einer Fachschule für Schwermaschinenbau.

Die Bauhausidee selbst trat dabei vollkommen in den Hintergrund, selbst die neuen
Nutzer der Räumlichkeiten wussten oftmals nicht in welchem historischen Bauwerk
sie sich bewegten und arbeiteten.

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Das Bauhaus zwischen Stalinisierung und Tauwetter

1950, kaum ein Jahr nach der Gründung der DDR, sahen sich die Bauhäusler mit
zunehmender Stalinisierung endgültig einer übergreifenden Ablehnung der Avant-
garde ausgesetzt, deren Bruch mit der historischen Tradition augenscheinlich nicht in
die sozialistische Ideologie passte. Mit der Erschaffung einer neuen kulturellen Identi-
tät der DDR aus dem humanistischen Erbe des frühen 19. Jahrhunderts heraus,
musste das Bauhaus mit seinem kosmopolitischen Ansatz abgelehnt werden. Die
sachliche und universale Ausdrucksform der Bauhaus-Architektur und -Gestaltung
entsprach in dieser Zeit nicht den Vorstellungen von deutscher Kunst und Architektur
im Sinne des sozialistischen Fortschrittsgedankens.

Zum zweiten Mal in seiner Geschichte stand das Bauhaus nun erneut im Kreuzfeuer
der Ideologien und wie in den dreißiger Jahren wurde es auch nun wieder als elitär,
volksfremd und „un-deutsch“ bezeichnet.

Kurt Liebknecht, ehemaliger Mitarbeiter Mies van der Rohes und Präsident der Ost-
deutschen Bauakademie erklärte dazu Anfang der fünfziger Jahre: „Die Erzeugnisse“
der Bauhausarchitektur verunstalten auch heute noch unsere Städte wie das eigene
frühere Gebäude des Bauhauses in Dessau (...) Diese Gebäude sind ohne Verbin-
dung mit der Umwelt, es sind schmucklose, primitive Kästen, die den Menschen
selbst in eine Maschine verwandeln wollen.“

Mit der berüchtigten Formalismus-Debatte im Jahr 1951 erreichte die Ablehnung der
Bauhaus-Idee ihren Höhepunkt. Die SED nahm den so genannten Kampf gegen den
Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur auf, und
das Bauhaus wurde wiederum als „entartete Kunst“ bezeichnet. U.a. ließ sie verlaut-
baren: „In der Architektur, die im Rahmen des Fünfjahrplanes vor großen Aufgaben
steht, hindert uns am meisten der sogenannte Bauhausstil und die konstruktivisti-
sche, funktionalistische Grundeinstellung vieler Architekten an der Entwicklung einer
Architektur, die die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokra-
tischen Republik zum Ausdruck bringt.“

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Und Walter Ulbricht, stellvertretender SED-Parteichef, gab einige Monate später be-
kannt: „Gleichzeitig mit dem Studium der nationalen Tradition als Grundlage der Ent-
wicklung unserer Architektur müssen wir den Bauhausstil als volksfeindliche Erschei-
nung klar erkennen.“

In den folgenden Jahren dann wurde die Bauhausidee offiziell verleugnet. Erst Sta-
lins Tod und der Beginn der Ära Chruschtschow leiteten eine Phase der Wiederbele-
bung ein.

Ab Mitte der 50er Jahre dann setzte man sich - nicht zuletzt wegen des akuten Woh-
nungsnotstandes und der allgemeinen Materialknappheit - intensiver mit den Ideen
der Bauhausarchitektur, insbesondere dem Thema des industriell vorgefertigten
Bauens auseinander. Der ideelle Wert der Architektur geriet dabei in den Hintergrund
und wurde durch die Forderung nach Industrialisierung und Standardisierung des
Wohnungs- und Häuserbaus abgelöst.

Im Zuge dieser Entwicklung erfuhr nun auch das Bauhaus selbst eine neue Aufmerk-
samkeit innerhalb der DDR. Zwischen 1955 und 1958 erfolgten erste Arbeiten am
äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes, u.a. wurde die Lochfassade des Werkstät-
tentraktes mit durchlaufenden Fensterbändern versehen. Weitere Überlegungen zur
Sanierung des Hauses oder gar zu seiner Nutzung blieben bis in die Mitte der sech-
ziger Jahre allerdings aus. Rund zehn Jahre später galt das Gebäude als ein fort-
schrittliches und bedeutendes Bauwerk und zählte zur „Liste 1 denkmalwerter Bau-
werke der DDR“.

Dennoch zog die erweiterte Nutzung des Gebäudes durch Baukombinat und Schul-
einrichtungen große bauliche Veränderungen nach sich. So wurde das Breuerinven-
tar aus der Aula entfernt und diese in ein Physik- und Chemielabor umgewandelt.
Das oberste Geschoss der Tischlerei im Werkstättentrakt wurde zu einer Turnhalle
umfunktioniert.

1976 wurde das Bauhausgebäude erstmals in seinem äußeren Erscheinungsbild
wiederhergestellt. Parallel zur Sanierung des Gebäudes wurde auch über die weite-
re Nutzung entschieden, und im April 1976 wurde die Bildung eines „Wissenschaft-

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lich-Kulturellen Zentrums“ (WKZ) festgelegt. Die Hauptaufgabe des WKZ beschränk-
te sich zunächst auf die Einrichtung einer Bauhaus-Sammlung und den Aufbau eines
Archivs zur Bauhaus-Geschichte, dem eine Ausstellung der gesammelten Werke
folgte. Zum ersten Mal wurde das kulturelle Erbe des Bauhauses öffentlich gezeigt.
Das Bauhaus war nun wieder eine Institution, Bildungseinrichtung und Tagungsstät-
te, die mehr und mehr als Symbol und Leitfigur der modernen nationalen Kultur dien-
te.

1986 wurde das Bauhaus dem Ministerium für Bauwesen angegliedert und in „Bau-
haus Dessau. Zentrum für Gestaltung“ umgewandelt. Das Wissenschaftlich-Kulturelle
Zentrum Bauhaus mit Sammlung und Archiv wurde vollständig integriert. Die Arbeit
des Bauhauses sollte sich mit Entwicklungen in Architektur, Städtebau, Form- und
Produktgestaltung der DDR befassen.

Die Stiftung heute – ihre Aufgaben und Tätigkeitsfelder

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die 1986 gebildete Struktur des Zent-
rums für Gestaltung übernommen, und 1994 wurde die „Stiftung Bauhaus Dessau“
gegründet. Aufgabe der Stiftung ist es, das Erbe des historischen Bauhauses zu be-
wahren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und zu vermitteln sowie die Ideen
und Ansätze des historischen Bauhauses in den Kontext heutiger Probleme zu stel-
len, um einen eigenen Beitrag zur Gestaltung des Lebensumfeldes zu leisten.

Seit 1998 stellt das Bauhaus „das Urbane“ ins Zentrum seines Arbeitsprogramms.
Der globale Trend zur postindustriellen Raumentwicklung reduziert tendenziell die
Bedeutung von Nationalstaaten zugunsten eines weltweiten Netzes von zentralen
Städten. Die Muster städtischer Lebenswelten sind gleichzeitig gekennzeichnet von
einem Hang zur globalen Einheitskultur und zur stärkeren Differenzierung der kultu-
rellen Alltagspraktiken, von Inklusionen und Exklusionen des Fremden sowie der sozialen

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Ränder. Die medialisierten Lebenswelten bringen künstlerische Ausdrucksweisen,
kommunikative Schnittstellen, Arbeiten und Wohnen in Bewegung. Die Stadt ist ein
entscheidender Raum. Hier bündeln sich die gegenwärtigen Gestaltungsaufgaben .

Folgende Schwerpunkte unserer Tätigkeiten möchte ich Ihnen nun kurz vorstellen:
die Sanierung des Bauhausgebäudes, das Bauhaus Kolleg und die Bauhaus Werk-
statt.

Die Sanierung

1996 wurde mit der Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe die internationale
Leistung und Bedeutung des Bauhauses einmal mehr unterstrichen. In diesem
Zusammenhang wurde eine Generalsanierung beschlossen.

Unter Berücksichtigung historischer Befunde und noch vorhandener originärer Bau-
substanz soll die Sanierung eine lebendige Nutzung des Gebäudes ermöglichen.
Grundsätzliche Zielsetzung der Sanierung ist es, die ursprünglichen Strukturen des
Hauses wiederherzustellen, die Spuren der Geschichte zu sichern und somit das
Denkmal zu erhalten und zu bewahren. Das beinhaltet auch die Rekonstruktion der
bauzeitlichen Fassung, sofern dies - wissenschaftlich fundiert - möglich ist.

Finanziert wird die seit 1996 laufende und bis ins Jahr 2006 reichende Sanierung
durch öffentliche Gelder und Fördermittel. Die Kosten werden sich schätzungsweise
auf 17 Millionen Euro belaufen. Der Maßnahmenkatalog umfasst dabei die Sanierung
der Tragkonstruktion, der Putz- und Glasfassaden und der Flachdächer, die Wieder-
herstellung der Raumfolgen, die Erneuerung der haustechnischen Anlagen und die
Gestaltung der Außenanlagen.

Die Sanierung des Gebäudes, die schon fast einer archäologischen Befund- und
Fundsuche gleichkommt, birgt dabei viele Überraschungen. So stellte sich unter an-
derem heraus, dass die Flachdächer im Zuge diverser Instandsetzungsmaßnahmen
einen erhöhten Aufbau erhalten hatten und somit teilweise den unteren Teil beste-
hender Fensterfronten verdeckten. Die zur Sitzbank geformte Attika auf dem Dach

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des Atelierhauses, ist durch einen überhöhten Aufbau der Attika völlig verschwunden
gewesen. Ein Teil der Raumfolgen war durch Abriss von Wänden und den Neubau
von Trennwänden an anderer Stelle verändert worden. Der größte Teil der Stahlfens-
ter war bei der Sanierung 1976 entfernt und durch vereinfachte Nachbauten ersetzt
worden, und da Stahl und Glas wertvolle Baumaterialien waren, waren die Original-
fenster des Bauhauses,z.B. für private Gewächshäuser, verbaut worden.

Ein überraschendes Forschungsergebnis ergaben auch unsere Untersuchungen der
Decken, Wände und Geländer. Das Bauhaus zeigte sich bedeutend farbiger als er-
wartet, sein bauzeitliche Grundtönung variierte über die Zeit erheblich. Ziel der Sa-
nierung heute ist die Wiederherstellung der Originalfarben sowie der Struktur des
Außenputzes.

Das Bauhaus Kolleg

Seit 1999 übernimmt die Stiftung Bauhaus in Dessau wieder Verantwortung für For-
schung und Lehre.

Das Bauhaus Kolleg ist ein Postgraduiertenprogramm wie es z.B. auch Havard, Co-
lumbia N.Y., die AA in London oder das Berlage Institut in Amsterdam anbieten. Der
Unterschied zu diesen Schulen ist jedoch, dass das Bauhaus Kolleg nicht nur inter-
national, sondern auch interdisziplinär ausgerichtet ist. Dass Teilnehmer aus allen
Ländern willkommen sind, ist selbstverständlich – die Interdisziplinarität hat etwas mit
der Tradition des historischen Bauhauses zu tun, aber nicht nur.

Hintergrund dieser Arbeitsweise ist, dass in der Zukunft hervorragende und intelligen-
te Gestaltungsansätze nur in hochspezifischen, interdisziplinären Teams erarbeitet
werden können. Das Bauhaus Kolleg übernimmt damit eine qualifizierte Vorbereitung
der Absolventen für diese Arbeitsweise.

Die Gruppe, die am Bauhaus lernt, lebt und arbeitet ist klein und exklusiv. Es sind
Architekten, Soziologen, Künstler und Designer. Sie kommen, arbeiten drei Monate

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oder ein Jahr, und verwenden bei Verlassen des Kollegs das Gelernte als Baustein
für die Karriere.

Das historische Bauhaus war in Lehre, Forschung und Programm Protagonist der
ersten Moderne und Ort für das Experiment. Da das Bauhaus nun denselben expe-
rimentierfreudigen Geist aufweist, und sich nicht als ein starres Museum begreift,
wird im Bauhaus Kolleg mit viel Energie und Lust an Fragen des zeitgenössischen
Urbanismus gearbeitet. Das Zeitgenössische, vielleicht sogar das Zukunftsweisende
steht dabei ganz im Mittelpunkt. Während die erste Moderne die Folgen der indus-
triellen Revolution in der Architektur reflektierte und daraus gestalterische Ansätze
ableitete, stehen heute postfordistische Produktionsweisen von Waren, die Arbeit mit
Computern und Netzwerken, die veränderten gesellschaftlichen Strukturen und
sozialen Praktiken im Zentrum der Analyse und werden zum Ausgangspunkt von
Gestaltungsansätzen.

In einem Zyklus, der drei Jahre umfasst, widmete sich das Bauhaus Kolleg im ersten
Jahr „Event City“ den städtischen Erlebnisräumen (Shopping und Vergnügen), im
gerade abgeschlossenen Jahr „Serve City“ standen das Verhältnis von Wohnen und
Arbeiten im Mittelpunkt, und im gerade anlaufenden Jahr „Dot.City“ werden die
globalen Kommunikations- und Informationsnetzwerke in ihrer Auswirkung auf Stadt
genauer betrachtet.

In bezug auf Fragen des zeitgenössischen Urbanismus und planerischer Gestal-
tungsansätze nimmt die Stiftung Bauhaus Dessau eine klare Position ein: Stadt ist
nicht mehr die physisch und typologisch kohärente Ableitung einer geschlossenen
Gesellschaftsstruktur wie noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Stadt heute ist ein
komplexes Gebilde aus kulturellen, finanziellen, ethnischen, technologischen, infra-
strukturellen und vielen anderen sich überlappenden, oftmals konkurrierenden Sphä-
ren. Sie wird bewohnt von einer Gesellschaft, die sich auf dem Weg der maximalen
Individualisierung befindet und Räume wie Biografien reflexiv gestaltet.

Stadt so verstanden bedeutet, dass dieses Gebilde keine einheitliche, räumliche oder
gar formale Antwort mehr geben kann – es gibt nicht mehr DIE räumliche Manifesta-
tion EINER Gesellschaft an EINEM Ort. Die Komplexität der Strukturen bis zur Ver-

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schränkung virtueller und physischer Räume ist die Herausforderung, der sich das
Bauhaus stellt. Stadt so zu begreifen heißt Abschied nehmen von der Idee, dass äs-
thetisch anspruchsvolle Architektur das Heil der Stadt sein kann. Es interessieren
vielmehr die Prozesse und Organisationsformen in der Stadt. Die problemorientierte
Gestaltung solcher Organisationsformen ist das eigentlich kreative Moment der Ar-
beit des Bauhauses. Diese Position wird den Kollegteilnehmern durch spezielle Me-
thodiken vermittelt, die einem klaren didaktischen Konzept unterliegt.

Am Anfang eines jeden Kollegjahres steht eine spezifische Fragestellung, an der ge-
arbeitet werden soll wie z.B.: Sind die Netzwerke der Informations- und Kommunika-
tionstechnologie wirklich unsichtbar? Wie können wir sie im Stadtraum nachweisen
und seine Veränderung beschreiben? Wie beeinflussen sie die Herstellung von
Raum? Verändert sich die Qualität des öffentlichen Raumes?

Zur Lösung dieser Fragen gehen wir folgenden Weg:

   1. Akkumulation eines theoretischen Wissenspools: Filtern des Problems -
      Einbettung in den theoretischen und kulturellen Kontext.
   2. Empirische Untersuchung. Aufzeigen des Problems/Phänomens im städti-
      schen Kontext. A) räumlich / Betrachtung von Orten, B) soziologisch / Betrach-
      tung von sozialen Zusammenhängen (z.B. user profiles)
   3. Übertragung der Erkenntnisse auf einen Ort. (Frankfurt/Sydney)
   4. Ausarbeitung eines Gestaltungsansatzes. Dabei ist der „Gestaltungsansatz“
      hier nicht ausschließlich formal gemeint. Die Resultate, die am Ende des Tri-
      mesters oder Jahres vorliegen, sind äußerst vielfältig. Es sind theoretische Ar-
      beiten, Kunst, praktische Mikrolösungen für ein Problem oder das Erarbeiten
      eines prozessorientierten Schemas für die strukturellen Abläufe eines Gebie-
      tes.

Das mag sich abstrakt anhören, aber wir befinden uns an einer ganz entscheidenden
Stelle des Umbruches in den Instrumentarien von Architektur und Stadtplanung. Die
Haltung des Bauhauses zur Frage der Gestaltung ist Loslösung von der Form und
Hinwendung zur Analyse und Lösung von Problemen.

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Am Beispiel eines Bergdorfs in Italien wird dies deutlich. Hier wohnen nicht mehr die
Menschen, die sich in einer geschlossenen Einheit von Ort, Kultur und Zeit durch
Handel und Landwirtschaft ernähren. Seit Mitte der neunziger Jahre wohnen in die-
sem Dorf hochspezialisierte ICT-Spezialisten, die durch mediale Vernetzung ihre Ar-
beit in Mailand verrichten. Die mittelalterliche Struktur der kleinen Stadt wird ganz
anders genutzt. Das heißt nicht, dass in Mailand im Hochhaus nicht auch die glei-
chen ICT Spezialisten sitzen und vielleicht noch in einem Einfamilienhaus in der Pe-
ripherie von Padua. Sie alle tun das gleiche, aber besetzten ganz unterschiedliche
formale Nischen. An diesem Beispielen zeigt sich sehr schön, wie stark sich die Pro-
duktionsverfahren von Typologie und Form von Stadt getrennt haben. Heutzutage
scheinen andere Faktoren die Produktion von Raum zu bestimmen, denen das Bau-
haus Kolleg anhand von Projekten nachkommen will.

Im folgenden möchte ich Ihnen nun noch zwei beispielhafte Arbeiten unserer Kolleg-
Teilnehmer präsentieren. Sie geben einen guten Eindruck von der Vorgehensweise
und den Zielsetzungen unseres Kollegs:

Kollegprojekt „Slang City“

Ausgangsfragestellungen waren:

Was geschieht mit der Stadt, wenn sie vor allem um des Erlebnisses willen aufge-
sucht wird?
Wie finden sich Menschen in ihren städtischen Zusammenhängen zurecht, wenn sich
das raum-zeitliche Kontinuum, in dem sie gewohnt sind zu leben, angesichts multi-
medialer Kommunikation und Dominanz globaler Bilder aufzulösen beginnt? Und wie
kann Architektur und urban Design unter diesen Bedingungen noch Orientierung im
urbanen Raum stiften?
Lassen sich städtische Räume noch sozial und ästhetisch vorprogrammieren, wenn
die städtische Gesellschaft zunehmend in unterschiedliche Milieus und heterogene
Lebensstile zerfällt?
Und wie kann die Artikulation differierender Gruppenidentitäten und Kräfteverhältnis-
se im städtischen Raum organisiert und gestaltet werden?

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Das städtebauliche Konzept Slang City machte die Aktivitäten der sozialen Herstel-
lung des städtischen Raumes, der Gruppenkommunikation und Interaktion zur
Grundlage des Entwurfsprozesses. Untersucht wurde, wie unterschiedliche Gruppen
in Frankfurt ihre jeweilige Stadt aus verschiedenen Orten, die sie in ihren alltäglichen
Praktiken aufsuchen zusammensetzen. Dabei kommt dem Slang als Sprache, als
Bezeichnung eines Ortes eine besondere Funktion zu: Hier werden sehr unterschied-
liche Geschichten von Frankfurt erzählt. Jeder Slang beinhaltet eine gruppenspezifi-
sche Aussage. Der Versuch war, aus den ästhetischen und kulturellen Präferenzen
dieser Gruppen spezifische Slang-Muster zu identifizieren und daraus Programme
und Atmosphären abzuleiten, die dann in Szenarien dargestellt wurden.
In den spezifischen Slang-Ausdrücken werden zudem städtischen Räumen besonde-
re Bedeutungen zugemessen. Aus der Analyse von Slang-Quartern ließen sich des-
halb Rückschlüsse auf die Besetzung und Benutzung von Raum ziehen. Dabei wur-
de festgestellt, dass die Praktiken der Slang Gruppen über den gesamten städti-
schen Raum verteilt waren, sprich unterschiedliche Orte und Güter im Sprachraum
der Gruppen zusammengesetzt wurden. Aus diesen städtischen Syntheseleistungen
ist eine Kartografie erarbeitetet worden, in der sich die verschiedenen Netze der
Gruppen überlagern. In einem nächsten Schritt wurden daraus räumliche Organisati-
onsprinzipien zu generieren versucht und diese den in Szenarien verdichteten kultu-
rellen Mustern der Gruppen zuzuordnen.

Entgegen der beobachtbaren Tendenz konkurrierender Gruppenidentitäten und Le-
bensstile im städtischen Raum, einer Tendenz die zu wachsender Exklusion und
Fragmentierung führt, sollten sich durch Überlagerung und Durchdringung dieser sol-
chermaßen identifizierten Slangquarter eine Sequenz von Erlebnisräumen entwi-
ckeln, die aus der Heterogenität dieser städtischen Kulturen ihre Erlebniswert ge-
winnt.

z.B.
El Barrio Homeboy
Border condition fosters locally determined space
   1. Explanation: El Barrio, gang slang neighbourhood. Homeboy, hip hop slang,
         somebody from the same neighbourhood, friend.
   2. Translation: collection of immigrant based activities where surviving is the
         main task and cultural practice reveals the ethnic origin of the inhabitants.

                                                                                         14
Popular neighbourhood with unregulated activities for daily tasks. The space is
      open to spontaneous expressionism and the use of adapted public spaces.

Boo Koo
Consumption and heterogeneity
  1. Explanation: boo koo, sherzo constante a large quantity of anything, original
      French – beaucoup
   2. Translation: Consumption orgy. Every kind of cheap food; communal areas
      dedicated to trade and daily life dealing of goods.

Propellorhead
Absolute freedom of thought
   1. Explanation: modern slang: Academic type person who has a lot of book
      knowledge but little or no real product experience.
   2. Translation: constellation of academic meeting points for average income
      members with common interest in the enjoyment of daily student life.

According to these slang terms, the group worked out:
   1. a theme/storyboard to describe a daily practice over a certain time
   2. the atmosphere within the urban fabric which could be related to this slang
      term
   3. a user profile related to these practises and atmosphere
   4. a pattern, which to find a localisation and organization principle of this particu-
      lar group on the site

This diagram shows concentration as well as overlapping of different slang patterns.

Das Beispiel der Slang City zeigt sehr gut wie versucht wird, über neue Entwurfsstra-
tegie zu Aussagen über die Struktur von Stadt zu kommen, die den formalen und
funktionalen Aspekt von Stadt erweitert. Der Bergriff des Slangs gab die gemeinsame
Plattform. Über die Entwicklung der themes/storyboards war die Fantasie gefordert
sich mit dem Leben in bestimmten Slangquartieren auseinander zu setzen und der
Grundstein für die Entwicklung der Userprofiles gelegt. Das Arbeiten an den Userpro-
files integriert den soziologischen und den architektonischen Ansatz. Die Patterns
sind eine Möglichkeit der Darstellung einer Stadtstruktur. Sie sind kein Masterplan,

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sondern eine Matrix als Vorbereitung und Inspiration für die räumliche Umsetzung,
ein innovativer Vorschlag Stadt, im 21. Jahrhundert anders zu denken.

Allerdings wird nicht immer die Stadt als Ganzes betrachtet. Andere Teilnehmer
nehmen sich bestimmte Aspekte heraus, die sie weiterentwickeln.

Eine Teilnehmerin widmete sich zum Beispiel in einem Theorietrimester der Frage
wie Architektur und Räume gelesen werden, welche Narrative der Gestaltung von
Raum zu Grunde liegen und wie die räumliche Gestaltung anhand von Themen
heutzutage als aktive Strategie von Architekten funktionalisiert wird. „Theming“ – die
semantische Programmierung von Raum.

Das Bauhaus Kolleg bot ihr den Rahmen verschiedenste Gebäude nur unter der
Fragestellung zu analysieren: welche Assoziationen entwickelt der Betrachter beim
Durchschreiten des Raumes? Inwiefern werden Assoziationen vom Architekten „vor-
fabriziert“, manipuliert oder vom Bauherren gewünscht? Wer erarbeitet die visuelle
Kommunikationsstruktur dieser Themen im Raum?

Sie stellte diese Untersuchungen in 7 Collagen als assoziative Reise durch die Ge-
bäude dar und auf der theoretischen Ebene wurde aus diesen Collagen eine Doktor-
arbeit.

Das Bauhaus als Werkstatt

Zielsetzung der Stiftung Bauhaus Dessau ist es, eine kontinuierliche Zusammenar-
beit aller Aufgabenbereiche zu erreichen, von der Lehre über die Forschung,
Entwicklung bis hin zur Realisierung von Projekten – in Anlehnung an die
ursprüngliche Idee des Bauhauses, Theorie und Praxis erfolgreich miteinander zu
verbinden. Das Arbeitsfeld beschränkt sich dabei nicht auf architektonisch-
städtebauliche Projekte, sondern schließt bildende und darstellende Künste, Feste,
Publikationen und Ausstellungen ein.

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Projektideen können zum einen kurzfristig durch eine Arbeitsgruppe aufgegriffen und
im Sinne einer Expertise rasch in den öffentlichen Diskurs eingespeist werden. Zum
anderen können Projektvorschläge einen intensiveren Arbeitskreislauf durchschrei-
ten: Sie werden nach kurzer Aufbereitung durch die Werkstatt im internationalen
Kommunikations- und Ideenaustausch innerhalb des Kollegs untersucht und weiter-
entwickelt, um, nach einem ersten Entwurf, zur Realisierung wieder an den Werk-
stattbereich zurücküberwiesen zu werden.
Drei Projekte möchte ich nun skizzieren:

„Celula Urbana“ Favela Jacarezinho, Rio de Janeiro

Das erste Projekt, das nach meiner Amtsübernahme diesen Prozess durchlaufen hat,
trägt den Titel „Celula Urbana“ und bezieht sich auf die Favela Jacarezinho in Rio de
Janeiro. Nach einer zu langen Phase der Ignoranz und Vertreibung entwickelte die
Politik in den 80er Jahren verstärkt Strategien zur Verbesserung der Lebensbedin-
gungen in diesen Gebieten. Anfang der 90er Jahre startete das Programm „Favela
Bairro“, das auf eine Nachurbanisierung und Öffnung der Favelas zielt. Im Auftrag
der Stadt Rio de Janeiro erarbeitete die Stiftung Bauhaus Dessau ein Modellprojekt
für den Wandel dieser Favela, das im Unterschied zu allen bisherigen Programmen
die Vielfalt dieser Gebiete respektiert und die Favela als eine erhaltenswerte, ent-
wicklungsfähige und wertvolle Struktur wertet.

Dazu wurde das Projekt in der ersten Stufe der Bearbeitung im Werkstattbereich
analytisch vorbereitet und zur näheren Erforschung an das Kolleg abgegeben. Im
Zuge einer Bestandsaufnahme der Situation reiste das Kollegteam nach Rio de Ja-
neiro, um sich vor Ort ein Bild des Zustandes zu machen und erste Ideen und Kon-
zepte mit der dort lebenden Bevölkerung gemeinsam zu entwickeln. Mit künstleri-
schen Interventionen untersuchten wir die Favela und entwickelten das Pilotprojekt
„Sea Tower“; eine an einem Ballon befestigte Videoinstallation, die Bilder aus der
Umgebung inmitten des Gewühls der Favela übertrug und so einen ersten Kontakt
zwischen ihr und der Stadt ermöglichte.

Dieses auf breiten Anklang gestoßene Teilprojekt öffnete das Areal, das unter ande-
rem auch starkem Zugriff der organisierten Kriminalität unterliegt, und eröffnete damit

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die zweite Phase der Entwicklung: die städtebauliche und architektonische Ausarbei-
tung eines ausgewählten Areals in der Favela. Diese Aufgabe wurde im Jahr 2000
durch die Bauhaus-Werkstatt umgesetzt.

Kern des Projektes ist ein „Block“, für den prototypische, in der gesamten Favela an-
wendbare bautechnische, städtebaulich-architektonische und grundstücksordnende
Eingriffe vorgeschlagen werden. Es entstand ein Pool an Methoden und gestalteri-
schen Lösungen, der es Bewohnern, Gewerbetreibenden und Institutionen erlaubt,
unabhängig von Planungsverläufen und in einem Prozess der Selbstorganisation,
punktuelle Interventionen vorzunehmen: zur Herstellung von Grundstandards des
Wohnens, zur Aufwertung des Wohnumfeldes und zur allgemeinen Entwicklung von
Lebensperspektiven.

Parallel dazu entstand in einer der Favela vorgelagerten und städtebaulich neu zu
gestaltenden Industriebrache das „Foyer". Hier wird die Etablierung eines internatio-
nalen Zentrums für Projekte in Armutsgebieten vorgeschlagen. Diese „Taba universi-
taria“ folgt nicht nur einem Bildungsauftrag gegenüber den Favelabewohnern son-
dern soll die Idee der „Celula Urbana“ fördern und damit ein Beispiel für globales Zu-
sammenarbeiten darstellen.

Die angebotenen Umnutzungen im Bestand sowie die neu zu errichtenden Gebäude
für öffentliche und kommerzielle Funktionen sind als Bausteine für eine „Brücke“ zu
verstehen, die die Favela mit der Stadt verbindet und damit dem Grundgedanken des
Pilotprojektes der Kollegiaten folgt.

Nach dieser konzeptionellen Ausarbeitung befindet sich das Projekt seit Anfang 2001
in der Ausführungsplanung und wurde nach ca. einjähriger Planung durch einen
zweiten Besuch in der Favela von der Arbeitsgruppe der Werkstatt öffentlich präsen-
tiert und der Stadt Rio de Janeiro übergeben. Mit der Durchführung des Projektes ist
nun ein lokales Büro beauftragt, während die Stiftung Bauhaus-Dessau die künstleri-
sche Oberleitung beibehält.

Addis Abeba

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Ein weiteres Projekt der Stiftung Bauhaus Dessau ist seit 2000 in einer Partnerschaft
mit der Stadt Addis Abeba in Äthiopien und der Deutschen Gesellschaft für Techni-
sche Zusammenarbeit entstanden.

1999/2000 beteiligte sich das Bauhaus maßgeblich an dem Projekt „Addis Abeba
Forum and Exhibition“, das eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Stadt-
entwicklung sowie neue Standards für die Zukunft der Hauptstadt im Visier hatte und
etwa 50.000 Bewohner erreichte.
Aus einer anfänglichen Unterstützung für eine Ausstellung zur Stadt und ihrer Ge-
schichte ist jetzt eine Zusammenarbeit entstanden, die das Bauhaus in seiner einma-
ligen Doppelrolle als Schule und als Werkstatt fordert. 2001 wurden mit einem Team
aus Architekten und Stadtplanern aus Addis und dem Bauhaus, das später auch für
die Umsetzung der Projekte verantwortlich ist, Planungsstrategien für zwei Gebiete
der Stadt entwickelt:

Das eine Projekt befasst sich mit einem der größten Märkte in Afrika, dem Merkato,
100 ha groß und täglich von einer viertel Million Menschen besucht. Angeschlossen
ist hier die Asmara Road, eine typisch afrikanische Straße, die gleichzeitig als Raum
für Verkehr, Verkauf, Produktion, Schrott und Gebet dienen muss. Bei dem zweiten
Projekt handelt es sich um ein für Addis Abeba typisches Wohngebiet, an Merkato
angrenzend, das sich baulich wie infrastrukturell schlechtem Zustand befindet.

Ziel dieser Projekte ist der Aufbau einer Gegenstrategie zu den Entwicklungen, die
bis dahin zerstörerisch in die gewachsene kulturelle Stadtstruktur eingegriffen haben
und sich in Richtung Mall und Entertainmentcenter bewegen.

Die Arbeitsgruppe konnte in Studien vor Ort feststellen, dass die Quartiere strenge
baulich-räumliche und soziale Organisationsformen aufweisen. Entlang der Haupt-
straßen, die die einzelnen Quartiere von allen Seiten umschließen, befinden sich die
kommerziellen Bereiche. Im Innern trifft man – entsprechend einer so genannten
Compounds-Organisation – auf private bzw. halböffentliche Infrastrukturen mit orga-
nischen Wegenetzen. Diese Compounds sind von bestimmten Ethnien oder religiö-
sen Gruppen dominiert, ohne jedoch einen abgeschlossenen, statischen Charakter
zu besitzen. Stattdessen weisen sie eine gewisse Dynamik auf, mit der Fähigkeit

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Mischformen zu entwickeln, indem beispielsweise Christen und Moslems friedlich
nebeneinander leben.

Diese Kraft der Bewegung hat die Arbeitsgruppe als ein großes Potential begriffen
und entsprechend aufgenommen. Es wurden Gegenstrategien zur üblichen Stadt-
planung entwickelt - eine Vorgehensweise, die zu einem Politikum wurde.

IBA –Projekt „Heidestraße Nord – Freiraum als Chance“

Im Zuge der Internationalen Bauausstellung des deutschen Bundeslandes Sachsen
Anhalt beschäftigt sich das Bauhaus seit Anfang diesen Jahres mit der Thematik des
Schrumpfens der Städte.

Für diese Aufgabe gewährleistet das Bauhaus einen internationalen Austauschpro-
zeß, in dem Erfahrungen aus anderen Städten und Regionen für den Stadtumbau
nutzbar gemacht werden. In einem Workshop „Weniger ist mehr“ wurde neben ersten
Grundsätzen auch ein Werkzeugkasten mit sechs Werkzeugen formuliert, die den
Stadtumbauprozess steuern und grundlegende Handlungsoptionen aufzeigen sollen.
Die ersten vier Werkzeuge – Extensivieren, Abreißen, Umschichten, Einfrieren – ge-
hen von der Schrumpfung als Gegebenheit aus und zeigen Wege, wie dieser Pro-
zess qualifiziert werden kann. Die beiden anderen Werkzeuge - Binden und Stimulie-
ren - beeinflussen hingegen Schrumpfung und Wachstum selbst.

Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten wurde ein Pilotprojekt „Heidestraße Nord –
Freiraum als Chance“ in der Bauhaus-Stadt Dessau entwickelt.
Durch den Bevölkerungsrückgang und die postindustrielle Umstrukturierung Dessaus
zeigt der momentan noch kompakt erscheinende Stadtraum einige schon deutlich von
der Schrumpfung ausgedünnte Stadtteilbereiche sowie in anderen Gebieten noch ver-
dichtete, urbane Strukturen. Der Trend dieser Verinselung wurde zum Ausgangspunkt
des Entwurfes gemacht. Dieser beinhaltet die Definition zurückzubauender Bereiche
und Gebäude, einen Vorschlag zur Weiterverwertung des Abrissmaterials, Ideen zur
Programmierung der frei gewordenen Fläche und eine Vision subjektiver Wahrneh-
mung des Raumes und möglicher Aktivitäten.

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Die Differenzierung von Stadtinseln und Freiräumen ist als strukturelles Gegenmodell
zu zentrumsorientierten Gemeinden zu sehen, die konzentrisch Stadtvolumen ab-
bauen. Dieser Ansatz eröffnet räumliche, ökonomische, ökologische und programma-
tische Chancen. Die Stadtrandlage, die nach wie vor von vielen Städtern als erstre-
benswerte Wohnqualität gesehen wird, wird innerstädtisch maximiert.
Gleichzeitig dient die Maßnahme der besseren Belichtung und Belüftung und unter-
stützt den Rückbau von versiegelten Flächen. Dies entspricht dem erklärten Ziel öko-
logischer Stadtentwicklung.

Hinsichtlich ökonomischer Faktoren ist festzustellen, dass mindergenutzte Infrastruk-
tur und leer stehende Wohngebäude Instandhaltungskosten und permanenten Pfle-
geaufwand nach sich ziehen. Eine Minimierung dadurch bedingter Verluste ist erklär-
tes Ziel dieses Projektansatzes.

Entwerfen durch Subtraktion ist die Handlungsanweisung für dieses Modell. Ein positi-
ver Impuls für den urbanen Raum kann allerdings nur dann erzielt werden, wenn der
Rückbau kompakt vorgenommen wird. Das schließt nicht aus, dass ein solches Ver-
fahren über Jahre peu à peu gestaltet wird. Ausgangspunkt und Zielsetzung aller Ü-
berlegungen ist jedoch die Konstitution einer gesamtstädtisch relevanten Form. Für
Dessau bedeutet die gestaltete Figur das Beschreiten von „Neuen Wegen“ im doppel-
ten Sinn. Zum einen ist es die alternative Wegebeziehung, die sich in Nord-Süd Rich-
tung als Alternative zur Heidestrasse ergibt, zum anderen sind es die „Neuen Wege“,
die von allen Planungsbeteiligten zu beschreiten wären.

Die Freiräume stehen für neue Programme, zum Beispiel im Sinne des Leitbildes
„Sportstadt Dessau“, zur Verfügung. In einer individualisierten Gesellschaft, in der
Körperkultur und Freizeitorientierung immer stärker zunehmen, kann die ‚Stadt als
Sportplatz’ eine wichtige Alternative zur Vereinskultur als kommunikativer Plattform
werden. Leider wird der öffentliche Raum in vielen Metropolen jedoch zur Kampfzone
zwischen Flaneuren, Skatern und Radfahrern. In Dessau bietet sich die Chance, ein
Neben- statt ein Gegeneinander verschiedener Trends zu inszenieren. Inlineska-
terpfad und Mountainbiketrail könnten zum dynamischen Anfang eines solchen Pro-
zesses werden.

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Am Anfang steht jedoch die realistische Einschätzung einer kommunalen Ausgangsla-
ge, die nicht mehr einem Wachstumsmodell unterliegt, sondern den Paradigmenwech-
sel akzeptiert, um Rückbau nicht mehr als Verlust und den Stadtumbau als neue
Chance zu bewerten.

Abschluss

Dass die Stiftung Bauhaus Dessau heute wieder die Möglichkeit hat, sich mit gegen-
wärtigen Themen zu Kunst, Gesellschaft, Architektur und Stadtplanung auseinander
zu setzen, ist nicht zuletzt dem Erhaltungswillen der Bauhausidee durch die Bau-
hausanhänger weltweit zu verdanken.

Damit ist das Bauhaus heute wieder ein Ort der Gestaltung, der Lehre und der For-
schung. Mit den Erkenntnissen aus der Gegenwart versuchen wir die Zukunft mitzu-
gestalten, ohne die Aufarbeitung der Geschichte unberücksichtigt zu lassen.

Diese Präsentation soll ein Dank an all diejenigen sein, die, allen politischen Diskre-
panzen zum Trotz, nie die soziale und gleichzeitig fortschrittliche Entwicklung des
Bauhauses degradiert und verleugnet haben.

Ich danke Ihnen!

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