Verbindung germanisch - Wer ging uns voraus?
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Wer ging uns voraus? Verbindung germanisch Das Hermannsdenkmal in der Nähe von Detmold ist eine kolossale Statue und erinnert an den Cheruskerfürsten Arminius und die Schlacht im Teutoburger Wald 9 n.Chr. Jeder Zeit ihre Mythen! 22 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? als inspirierte Selbsthilfe Wer waren unsere Vorfahren? Der CV nahm Geschichtskonstruktionen nicht immer bierernst m kleindeutsch-preußischen Kaiserreich ? Wie sieht es mit den Verbindungen bei I ist an unserem Cartellverband die allge- meine Germanophilie nicht spurlos vor- übergegangen. Das verraten Verbindungs- namen wie Markomannia und Burgundia. uns im CV aus? ! Bei uns sind die Namensgebungen der Verbindungen in der Anfangszeit des CV Dahinter verbirgt sich die Frage: Wer waren durchwachsen. Die ältesten Verbindungsna- überhaupt die Germanen, ihre Stämme und men sind ebenfalls häufig im weitesten Sin- Völker? Was wissen wir heute über sie und ne landsmannschaftlich inspiriert: Aenania wie sollen wir die Geschichtspolitik bewer- („die vom Inn“), Bavaria, Sauerlandia oder ten, die mit ihnen betrieben wurde? Zu all Guestfalia. Winfridia dagegen nimmt auf diesen hochinteressanten Fragen hat sich der den heiligen Bonifatius Bezug und zeigt, Historiker Cbr Prof. Dr. Matthias Stickler (GW) gleich in der Frühzeit des Cartells, eine dezi- in einem ausführlichen Interview geäußert. diert katholische Färbung. Den ersten eigent- Er ermöglicht damit eine seriöse Verortung lich germanischen Namen einer Verbindung unseres Miteinanders angesichts der Ge- im CV trägt die 1870/71 gegründete KDStV schichte und des Umgangs mit ihr. Das Ge- Markomannia Würzburg. Dabei war die Vor- spräch führte Prof. Dr. Veit Neumann (Alm). stellung leitend, das Maindreieck bei Würz- burg habe einmal zum Reich der Markoman- ? Lieber Cartellbruder Stickler, wie steht nen gehört. In Würzburg gibt es einen noch das Thema der Germanen mit Verbindun- etwas früheren Fall, nämlich die 1864 ge- gen in Zusammenhang? gründete KV-Verbindung Walhalla. Solche germanischen Namen sind damals allerdings ! Die ältesten Verbindungsnamen sind noch nicht dominant. landsmannschaftlich geprägte Namen wie Foto: imago images/Thomas Eisenhuth Rhenania und Bavaria. Sie gehen auf die ? Wie geht es dann weiter? Landsmannschaften und Corps zurück. Die Namen germanischer Stämme erscheinen als ! Im CV folgt dann Burgundia Leipzig, heu- Folge der nationalen Bewegung. Bereits ab te Düsseldorf (1879). Man muss solche „ger- 1815 kann man diesen Vorgang, nicht zuletzt manischen“ Bezüge wohl im Zusammen- in der burschenschaftlichen Bewegung, be- hang der Tatsache sehen, dass Katholiken im obachten. Kulturkampf so beweisen wollen, dass sie ACADEMIA 4/2020 23
Wer ging uns voraus? Beweisen, „gute Deutsche“ sind. So lässt sich erklären, dass man bei Namensgebungen im Rahmen dass wir gründung und fächert sich pluralistisch auf. der eigenen Tradition auf Vorbilder aus ei- nem anderen Kontext zurückgreift. Diese Tendenz manifestiert sich auch in Couleur- gute Deutsche Damals aber müssen die einzelnen Verbindungen durch die Universitäten karten und Couleurliedern. ? Aha, also ein Parallelstrang neben dem sind genehmigt werden. Die- se kontrollieren die Maßgabe, dass es Na- Katholizitätsprinzip? men und Farben nur je- diesem Kontext ist auch die Annahme des weils einmal geben darf. Je mehr Verbindun- ! Ja, die katholischen Verbindungen sind Prinzips Patria durch den CV im Jahr 1907 gen es an einem Hochschulort gibt, desto eben katholische Selbsthilfeorganisationen, zu sehen. erfindungsreicher muss man daher bei der die im entstehenden Nationalstaat um Wahl sein. Und das wiederum führt dazu, Gleichberechtigung und Anerkennung rin- ? Aber eigentlich bestand doch keine Not, dass immer mehr völkerwanderungszeitliche gen. Dabei lässt es sich bis zum Ersten Welt- sich derart germanophil zu positionieren. Namen „ausgegraben“ werden. Das geht so krieg beobachten, dass die katholischen Ver- weit, dass auch sarmatische Namen wie Ala- bindungen in den kleindeutsch-preußischen ! Eines kommt hinzu: Das Verbindungswe- nia oder keltische wie Vindelicia angenom- Nationalstaat sozusagen hineinwachsen. In sen insgesamt expandiert seit der Reichs- men werden. In anderen Verbänden, auch bei Foto: imago images/imagebroker Foto: imago images/Design Pics Foto: imago images/Design Pics 24 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? den Burschenschaften, gibt es zudem slawi- zungsprozesse und weiteres ausdrückt. Was die Germanen als Identifikationsfigur für sche Namen wie Obotritia oder Redaria, die hat dies aber inhaltlich mit dem zu tun, was Deutsche entdeckt. Das rührt aus der Mittel- sich auf elbslawische Stämme beziehen. Es wir heute über die Germanen wissen? Wie se- alterromantik her, wobei der Fokus auf die ist bemerkenswert, dass hier nicht-germani- riös waren die Kenntnisse damals, im Lichte spätantiken und frühmittelalterlichen Volks- sche Namen historistisch in einen letztlich heutiger Erkenntnisse, über die Germanen? stämme gelegt wurde. Es ist ein idealisiertes „nationalen“ Kontext eingebunden werden. Germanenbild, das mit der historischen Wirk- ! Was damals von den Germanen gewusst lichkeit nicht viel zu tun hat. Es knüpft an die ? Namen annehmen ist ein symbolisches wurde und was wir heute wissen, unterscheidet Rezeption der „Germania“ des römischen His- Handeln, das Annäherungsprozesse,Abgren- sich grundlegend. Im 19. Jahrhundert werden torikers Tacitus (ca. 58-120 n.Chr.) an. Diese ethnographische Schrift war im 15. Jahrhun- dert wiederentdeckt worden. Schon im 16. 1 Tacitus schrieb die „Germania“. Das ethnographische Werk prägte später das Bild der Deutschen. Jahrhundert wurden von deutschen Humanis- 2 Johann Gottfried Herder (1744-1803) meinte, dass Nationen organisch wie aus einer Wurzel wachsen. ten Traditionslinien zwischen den Germanen 3 Franz Bopp (1791-1867) prägte den Begriff der indogermanischen Sprachen. 4 Heinrich Heine (1797-1856) nahm die Germanentümelei in Burschenschaften nicht ganz ernst. und „den Deutschen“ im Heiligen Römischen 5 Felix Dahn (1834-1912) schrieb Professoren-Romane, z.B. „Ein Kampf um Rom“. Reich gezogen. Das ist also keine Erfindung 6 Richard Wagner (1813-1883) inszenierte sich dürerisch-mittelalterlich. Von den vorgeblichen des 19. Jahrhunderts. Aber die Romantik för- Germanen und ihren Mythen nahm er reichlich Stoff für seine (sprachlich viel stabreimenden) Werke. derte dies seit dem späten 18. Jahrhundert ganz maßgeblich. (Fortsetzung Seite 26 ) / tock&people Foto: imago images/imagebroker Foto: imago images/Mary Evans Foto: imago images/s /s Foto: imago images/Panthermedia ACADEMIA 4/2020 25
Wer ging uns voraus? Der ? Solche gelehrten Zusammenhänge hat- ten diese deutliche Auswirkung? schen Germanenkult Berücksichtigung fin- det – als Teil einer romantisch-historistischen Weltwahrnehmung, wie sie sich im 19. Jahr- Arianer ! Was wir nicht vergessen dürfen: das Werk Richard Wagners (1813-1883). Wagner hat mit seinen Opern, vor allem mit dem „Ring hundert herausgebildet hat. ? Wie können wir eine solche romantisch- als katho- des Nibelungen“, und den Bayreuther Fest- spielen eine Tradition begründet, wie „die Germanen“ (angeblich) aussahen. Der typi- historistische Welt bewerten? ! Zunächst einmal: Es gibt Vergleichbares lischer sche „Theater-Germane“ mit dem Flügel- helm ist eine historistische Erfindung, die gleichwohl damals für historisch gehalten auch in anderen Ländern. In Frankreich spielt bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die Tradition eine herausragende Rolle, wonach Held der wurde. Auf dem Umweg über die Wagner- Opern, aber auch über „Professoren-Roma- ne“ wie „Ein Kampf um Rom“ von Felix die Franzosen von den Franken abstammen und sie die Erben der historischen Franken seien. Im 19. Jahrhundert ändert sich dies. Gothia Dahn (1834-1912) hat sich die Vorstellung ei- ner idealisierten germanischen Vorzeit im Bürgertum verbreitet. Und davon blieb auch Nun werden die keltischen Gallier als iden- titätsstiftende Ahnherren „entdeckt“. Napo- léon III. (regiert 1848/52 bis 1870) fördert der Katholizismus nicht unberührt, weil das den Vercingetorix-Kult. In Alise-Sainte-Rei- katholische Bürgertum aufstiegsorientiert ne, wo man Alesia vermutete, den Ort, wo war. Vercingetorix 52 v. Chr. von Caesar besiegt wurde, errichtete man ein entsprechendes ? Die Verbindungen hatten aber, ander- Denkmal. Bei den Engländern übernehmen seits, keine Berührungsängste mit sprach- die Angelsachsen und der keltisch-anglonor- lichen Gallikanismen oder Französismen, mannische Artus-Sagenkreis diese Funktion. wenigstens was zentrale couleurstudenti- Ähnliches gab es auch in Spanien, wo sich sche Begriffe angeht. Auch das Latein, wel- die christlichen Kleinkönigreiche im Mittel- ches den sprachlichen Urgrund der Ro- alter als Erben der Westgoten inszenierten. mania, der romanischen Sprachenwelt und Im altspanischen Adel spielte diese Goten- große Teile ihrer Kultur bildet, war ja wohl- Tradition bis in die Neuzeit eine Rolle und gelitten. All das hat im Couleurstudenten- wurde v.a. vom entstehenden kastilisch-spa- tum überlebt und wurde sogar weiterge- nischen Nationalismus aufgegriffen. Typisch führt. Es ist auf uns überkommen. Wie passt für all diese Versuche, und somit nicht nur das mit einem gewissen Germanenfimmel typisch deutsch, ist es, die eigene nationale zusammen? Tradition sehr weit zurück zu verlängern, um den in Wahrheit jungen Nationalstaaten ! Das Kneiplatein, um es konkret anzuspre- durch die Behauptung einer ungebrochenen chen, war prägend, weil es an das Lateinische Kontinuität historische Tiefe zu geben. Im als Sprache der Gebildeten anknüpfte. Die deutschen Nationalismus ist dies aufs engste lateinische Universitätssprache gab es bis mit dem Germanenkult verknüpft. weit in das 20. Jahrhundert hinein. Promo- tionen mussten noch lange grundsätzlich ins ? Die Nation diente nicht zuletzt dazu, um Lateinische übersetzt werden. Daher rührt den noch kleinteiligeren Partikularismus auch die Latinisierung der (germanischen) der deutschen Einzelstaaten zu überwin- Verbindungsnamen: Burgundia, Langobar- den. Warum dann aber beim „nation buil- dia oder Nibelungia. Man hätte sich natürlich ding“ die häufige Bezugnahme auf Stäm- auch gemäß der deutschen Norm benennen me? können. Das geschieht erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert ist das La- ! Das ist schon richtig. Allerdings gibt es teinische noch derart dominant, dass dieses zwei Konzepte von Nation: Einerseits die Merkmal selbst im verbindungsstudenti- Nation als Willensgemeinschaft. Sie betrifft 26 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? vor allem die französische Sphäre. Ernest Renan (1832-1892) sagte dazu 1882, die Existenz einer Nation sei ein tägliches Ple- biszit. Andererseits die Nation als Abstam- mungsgemeinschaft. Diese Vorstellung fin- den wir v.a. bei Völkern, die im 19. Jahrhundert noch keinen eigenen Staat hat- ten, etwa bei uns in Deutschland, aber auch im slawischen Ostmitteleuropa. Sie geht nicht zuletzt auf Johann Gottfried Herders (1744-1803) Vorstellung von den Völkern als „Gedanken Gottes“ zurück. Das hat eine weitreichende geistesgeschichtliche Traditi- on begründet, die in Überresten bis in die Gegenwart reicht. Demnach entwickeln sich Nationen gleichsam wie Pflanzen organisch aus einer Wurzel. Man kann solche Vorstel- lungen einer „objektiven“ Nationszugehö- rigkeit ethnozentrisch oder rassistisch-biolo- gistisch aufladen, wobei Herder dies natürlich nicht im Sinne hatte. Die Vorstel- lung, dass Völker etwas historisch Gewach- senes im Sinne uralter Abstammungsge- meinschaften sind, entsteht im späten 18. Jahrhundert und prägt seit dem 19. Jahrhun- dert viele Nationalismen. ? Was heißt das aber konkret für unsere Germanen? ! Die germanischen Völker waren in dieser Perspektive Teil eines einheitlich gedachten germanischen Gesamtvolkes. Und mit der Vielfalt der germanischen Völker wurde im 19. Jahrhundert die Tradition des deutschen Föderalismus parallel gesetzt. Die Vorstel- Fotos: oben+unten imago images/Steffen Schellhorn; Mitte imago images/stock&people lung von den deutschen Stämmen ist noch in (Fortsetzung Seite 30 ) Beilagen zum Grab eines Germanen um Christi Geburt (oben), gefunden in Allstedt in Sachsen-Anhalt. Germanenschmuck, der bei einer Ausgrabung in Kleingräfendorf (ebenfalls Sachsen-Anhalt) ans Tageslicht kam. Germanisch-römische Fibel, 1. Jahrhundert, aus Pfriemsdorf im Landkreis Anhalt- Bitterfeld. ACADEMIA 4/2020 27
Wer ging uns voraus? 1 Germanen im Wald bei der rituellen Opferung - so das Geschichtsbild um 1910, als das Bild entstand. 2 Kämpfer der Germanen bei der Schlacht auf den Katalaunischen Gefielden im Jahre 451. 3 So stellte man sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein germanisches Zechgelage vor. 4 Hermann der Cherusker hört auf die Weissagungen einer Seherin. 5 Und hier hält sich der flügelbehelmte Hermann bei den Priestern und Druiden auf. 1 2 die Verfassung der Weimarer Republik ein- der Germanen“ in elf Bänden heraus. Damit tichis ein Gefangener gebracht. In ihm er- gegangen, wo in der Präambel die Rede ist prägte er die Vorstellung von einem germa- kennt Hildebrand seinen Enkel. Er ist der vom deutschen Volk, das einig in seinen nischen Volk, dessen unterschiedliche Aus- Sohn seines früh verstorbenen Sohnes, der (deutschen) Stämmen sei. Die Germanen prägungen er beschreibt. eine Römerin geheiratet hatte. Diese habe ih- stellte man sich als ein ursprünglich einheit- ren Sohn zu einem Römer erzogen. Das be- liches Volk vor, das aber (leider) in unter- ? Die Begriffe Germanien oder Germanen greift Hildebrand im Roman als Verrat am schiedliche Völkerschaften zerfallen sei. In sind Konstrukte, die so nie existiert haben? Volk der Goten, und er lässt seinen eigenen dieser Perspektive waren alle germanischen Enkel töten. Die Begründung ist bezeich- Völker Vorfahren der Deutschen. Diese his- ! Ja. Aus heutiger Perspektive ist die Ger- nend und, mit unserem Wissen um die natio- toristische Parallelisierung machte es mög- manen-Vorstellung des 19. Jahrhunderts ein nalistischen Exzesse in der Geschichte des lich, den Germanenkult für das Projekt ahistorisches Konstrukt. Die Historiker, die 20. Jahrhunderts, geradezu beklemmend: „Deutsches Reich“ im Sinne eines nationa- sich mit den „Germanen“ beschäftigen, ha- Hildebrand sagt nämlich, dass Volksverräter listischen Imperialismus zu instrumentalisie- ben sich heute von diesen Konstruktionen hingerichtet werden müssten. Dahinter steht ren. Aufgabe sei es, die Nation zu einen und weitgehend verabschiedet: Es gab schlicht- die Auffassung Dahns, die Goten seien eine damit das zu tun, was in Spätantike und Mit- weg kein „germanisches Volk“ und die Völ- „objektive“ ethnische Gemeinschaft gewe- telalter nicht gelungen sei. kerschaften, die wir als Burgunder oder Lan- sen. Das ist historisch falsch. Dahn hat hier gobarden, West- oder Ostgoten bezeichnen, die Logik des ethnisch fundierten Nationa- ? Und das haben alle so gesehen? waren in der Regel auch keine „ethnischen“ lismus seiner Zeit auf die Spätantike über- Gemeinschaften, sondern durchaus hetero- tragen. ! Naja, das konnte man natürlich auch ganz gene Kampf- und Kultgemeinschaften, die anders sehen. So polemisierte bereits Hein- immer wieder neue Gruppen aufnahmen. ? Was ist das eigentlich, eine Ethnie? rich Heine (1797-1856), obwohl selbst zeit- Unser heutiger Volksbegriff ist auf solche weise Bonner Burschenschafter, gegen die Großgruppen nur schwer oder gar nicht an- ! Die Vorstellung aus der Romantik ist, dass Germanentümelei der frühen Burschen- wendbar. Völker ähnlich wie Familien strukturiert schaften. Dennoch hat sich die referierte do- sind, dass sie auf Blutsverwandtschaft und minante Sichtweise klar durchgesetzt. Auch ? Wie wirkte sich die anachronistische damit auf einer gemeinsamen Abstammung die Forschung an den Universitäten war da- Sichtweise des 19. Jahrhunderts aus? beruhen. Volks- und Staatsnationen seien in- mals stark davon beeinflusst. Ein Mann wie sofern im Wesentlichen Abstammungsge- Felix Dahn, der nicht nur Romane, sondern ! Bei Felix Dahn gibt es in dem Roman „Ein meinschaften. Die moderne Migrationsfor- als historisch arbeitender Jurist auch wissen- Kampf um Rom“ eine bezeichnende Szene: schung hat nun gezeigt, dass man sich in schaftliche Werke verfasste, brachte zwi- Dem alten Hildebrand wird im Zuge der großen Teilen Europas von der Vorstellung schen 1861 und 1909 das Werk „Die Könige Kämpfe gegen die Oströmer unter König Wi- verabschieden muss, dass es so etwas wie ei- 30 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? 3 4 5 Fotos: imago images/United Archives ne echte Abstammungsgemeinschaft wirk- ineins. Beides sind Begriffe für Volk. Ethnos tisch die Verwandtschaft von Sprachen in lich gibt. Insofern sprechen wir zwar von ei- ist, in der Perspektive der alten Griechen, Eurasien. Ein Großteil der europäischen so- nem ethnisch fundierten Nationalismus als eine Form von Sprachgemeinschaft (in Ab- wie einige asiatische Sprachen sind in der historisches Phänomen. Aber heute hat sich grenzung zu den „Barbaren“), während de- Tat miteinander verwandt. Bopp hat, typisch mehrheitlich die Überzeugung durchgesetzt, mos die Bürger einer politischen Gemein- für das 19. Jahrhundert, versucht, eine Art dass jener ein Kon- schaft sind. Deshalb Ursprache zu rekonstruieren, die er als indo- strukt ist. Warum sind sprechen wird von germanisch bezeichnet hat. Damit versinn- z.B. die Österreicher heute eine eigene Falsch ist der Demokratie und nicht von Ethnokratie. Bür- bildlichte er deren maximale geographische Ausdehnung von Indien bis zu den germani- Nation? Weil sie eine eigene Nation sein Theater-Germane gerrechte korrelierten nicht notwendiger- schen Sprachen. Damit einher ging ur- sprünglich auch die Vorstellung von einer Art wollen. Im 19. Jahr- hundert postulierten mit dem weise mit gemeinsa- mer Sprache oder Ab- indogermanischem Urvolk mit einer ge- meinsamen Sprache. Aus dieser hätten sich Nationalisten: Alle, die Deutsch spre- Flügelhelm stammung. Ein Blick auf die Römer zeigt, die meisten Sprachen Europas und auch vie- le asiatische Sprachen entwickelt, etwa die chen und germani- dass das römische germanischen und romanischen, aber z.B. scher Abstammung sind, sind Deutsche. Die Bürgerrecht allen möglichen Menschen auch die indoiranischen Sprachen und das Ineinssetzung von (fiktiver) Abstammung, verliehen wurde. Der heilige Paulus z.B. war Armenische. Sprache und Nation, die es in Deutschland, Jude und Römer. aber auch anderen Völkern gibt, kann man ? Gerade das Konzept, dass nationale und heute nicht mehr ernsthaft vertreten. ? Wie kann es aber sein, dass Sprachen un- sprachliche Einheit zusammengehören, tereinander, auch wenn sie variieren, er- wurde aber von der nationalen Großgruppe ? Was aber ist eine Ethnie genau im Ge- hebliche Verwandtschaftsgrade aufweisen? aufgebracht oder doch massiv gefördert, die gensatz zum Volk? Eine Form von Gesell- Es wurde rekonstruiert, dass, wenn diese nicht auf die Nation als Abstammungsge- schaft, in der Menschen irgendwie zusam- Sprachen verwandt sind, dann die Men- meinschaft setzt: von Frankreich. menleben und bestimmte Bräuche schen, die nun relativ unterschiedliche entwickeln? Sprachen sprechen, oder zumindest deren ! Das war eine etwas andere Entwicklung: Vorfahren irgendwann doch miteinander Die Entstehung der modernen französischen ! Der Begriff ethnos stammt aus dem Grie- zu tun gehabt haben müssen. Nation ist im Zusammenhang mit dem chischen. Schon die Griechen unterscheiden Machtgewinn der französischen Krone seit aber zwischen ethnos und demos. Das 19. ! Der Sprachwissenschaftler Franz Bopp dem 13. Jahrhundert zu sehen. Dass es den Jahrhundert setzt ethnos und demos stark (1791-1867) erforschte erstmals systema- Kapetingern gelingt, große Teile des damali- ACADEMIA 4/2020 31
Wer ging uns voraus? Die Statue des gallischen Vercingétorix (be- kannt u.a. aus „Asterix und Obelix“) im bur- gundischen Alise-Ste-Marie. Was für das Deutsche Reich die Germanen, waren für Frankreich lange die keltischen Gallier: eine Geschichtskonstruktion mit Zielen. gen Frankreich unter die unmittelbare Herr- schaft der Krone zu bringen, führt dazu, dass sich die Sprache der Île de France in der glei- chen Weise ausbreitet. Dadurch werden re- gionale sprachliche Unterschiede eingeeb- net. Die Katharer-Kriege können zwar als Religionskriege gedeutet werden, aber sie waren auch ein Instrument, um den wider- spenstigen süd- und westfranzösischen Adel zu unterwerfen. Andere romanische Spra- chen wie das Okzitanische starben zwar nicht aus, aber sie sanken, obwohl z.B. das Provenzalische im Hochmittelalter eine Li- teratursprache gewesen war, faktisch zu Dia- lekten herab, ähnlich dem Niederdeutschen bei uns. Diese Homogenisierungstendenzen beginnen bereits im Mittelalter. Dass sich Frankreich spätestens unter Ludwig XIV. als ein einheitlicher Staat mit einer einheitlichen Sprache versteht, ist im Grunde ein Vorgang, der durch politische Integration entstanden ist und diese wiederum verstärkt hat. Sprach- liche Minderheiten wie Bretonen, Basken, Katalanen, Flamen, Okzitanier oder Elsässer wurden zur Anpassung gezwungen. Deshalb konnte sich in Frankreich früh eine Vorstel- lung von Einheit der Nation herausbilden, obwohl diese zunächst gar nicht derart ein- heitlich war. ? Und man musste, nachdem der Prozess weit fortgeschritten war, nicht mehr auf das Konzept der Abstammung zurückgreifen. ! Ja, die Vorstellung von einer gemeinsamen Abstammung war gegenüber der bereits er- reichten staatlichen Einheit sekundär. Es gab Foto: imago images/UIG sie zwar, aber das war nie so dominant wie in Deutschland, weil viel eher klar war, wer Franzose ist. In Deutschland dagegen war das schwieriger. Auch das französische Mo- 32 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? dell ist allerdings nicht ohne Probleme: Das „staatlicher“ Einheit. Das ist das Erbe des Ius soli – Franzose ist, wer in Frankreich ge- christlichen Mittelalters. Es stellt sich aber – boren ist – macht Einbürgerung relativ ein- bis heute – immer wieder die Frage: Was hält fach. Dennoch ist das heutige Frankreich staatliche Gemeinschaft im Kern zusam- vermutlich heterogener als Deutschland, men? Im 19. Jahrhundert wird diese Frage in auch wegen der Einwanderung aus den frü- Deutschland mehrheitlich dahingehend be- heren Kolonien. Für unsere Frage ist wichtig: antwortet, dass wir eine Abstammungsge- In Frankreich, partiell auch in England und meinschaft sind und alle eine Sprache spre- Spanien gab es vormoderne Formen von In- chen. Deshalb sind wir eine Nation. Diese tegration, die dazu führten, dass die Frage Vorstellung wird mit den Mitteln von Schul- der Zugehörigkeit nicht so kontrovers disku- tiert zu werden brauchte wie in Deutschland, pflicht und Wehrpflicht durchgesetzt. Eine wirklich einheitliche sprachliche Norm des Französisch: wo viel weniger Klarheit herrscht. Nehmen wir Bayern: Es gibt im 19. Jahrhundert auch Hochdeutschen entsteht übrigens erst im 19. Jahrhundert. Das hat enorme Integrationsef- ursprünglich die Vorstellung einer bayerischen Staatsnati- fekte. Es gibt aber auch Ausgrenzungsbestre- on, die sich zwar nicht als getrennt von der bungen, etwa gegenüber Juden oder nationa- gar nicht so deutschen Kulturnation begreift (König Lud- len Minderheiten, die von Nationalisten als wig I. sagte: „Wir wollen Deutsche sein und Fremde bzw. Feinde angesehen werden. romanisch Bayern bleiben“), für die aber Deutschland immer nur als ein Staatenbund vorstellbar war. ? Deshalb gibt es in München ein Natio- nalmuseum – mit Bezug zur Ideen einer bayerischen Nation. ! Ja, und deshalb gibt es in München auch ein entsprechendes Nationaltheater. Bezugs- punkt war ursprünglich tatsächlich eine bayerische Nation. Das gibt es in anderen Bundesländern nicht, abgesehen vielleicht von Sachsen. Aber man kann solche Ge- schichtsbilder natürlich hinterfragen: etwa Foto: imago images/Danita Delimont die Vorstellung von einer mehr als tausend- jährigen bayerischen Geschichte, wie sie die Präambel der Bayerischen Verfassung von 1946 beschwört und die implizit Franken und Schwaben einbezieht. Das ist eine ge- schichtspolitische Konstruktion, die auf Ludwig I. zurückgeht und die postulierte, dass die Geschichte der Franken, Schwaben und Pfälzer, die als „Stämme“ begriffen wur- ? Es gibt das Neuhochdeutsche, das Mit- den, gleichsam in die staatsbayerische Ge- telhochdeutsche und das Althochdeutsche. Die Kathedrale im südfranzösischen Albi wirkt schichte einmündet. Was lässt sich aus den damit einhergehen- wie eine Festung. Es heißt, dies sei Ausdruck den (auch linguistischen) Kategorisierun- der Haltung der Kirche in den Albigenser- ? Gibt es eigentlich die Möglichkeit, Ge- gen zur Beantwortung der Frage schließen, kriegen (1209-1229). Tatsächlich waren sie nicht schichte ohne solche Konstruktivismen zu was die Germanen einmal waren, wie wir nur Religionskriege, sondern die französische denken? sie verstehen können? Einfach gesagt: Was Krone wollte die Adligen dieser Region unter- werfen - zur Festigung des Staates. war vor dem Althochdeutschen? ! Das kommt darauf an: Staatlichkeit im Sinne einer res publica geht davon aus, dass ! Was wir heute als Althochdeutsch be - Menschen miteinander in Gemeinschaft le- zeichnen, ist auch eine Konstruktion. Es ben und gewisse gemeinsame Ziele verfol- gab althochdeutsche Dialekte. Eine einheit- gen. Dann wäre die Frage, was die Grundla- liche Schriftsprache oder eine auch nur ge- ge eines solchen Zusammenlebens ist. Das sprochene einheitliche Sprache hat es sehr kann alles Mögliche sein. In dem, was wir vermutlich nicht gegeben. Wenn Germa- als „mittelalterlichen Staat“ bezeichnen, nisten das Hildebrandslied (9. Jahrhundert) spielt etwa Religion eine sehr wesentliche oder die Straßburger Eide (842) analysie- Rolle. Bis ins 17. Jahrhundert war religiöse ren, können sie dialektale Besonderheiten Einheit ein ganz wichtiger Ausdruck von herausarbeiten. (Fortsetzung Seite 35 ) ACADEMIA 4/2020 33
Wer ging uns voraus? Inszenierung der „Walküre“ 2001 in der Deutschen Oper Berlin durch Goetz Friedrich. Die Oper gehört zu Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Unten: Der „Siegfried“ in einer Insze- nierung an der Bayerischen Staatsoper München 2012. Fotos: imago images/stock&people 34 4/2020 ACADEMIA
Wer ging uns voraus? Was davor war, ist nur bruchstückhaft bekannt. Wir haben Sprachdenkmäler des Gotischen in der (W)Ulfila-Bibel (4. Jahrhundert). Wie Parallel Theoderich der Große (451/56-526) sprach, wissen wir nicht genau. Die germanischen Völker verschriftlichten ihre Rechtssysteme bezeichnenderweise auf Latein. Für Begriff- zur lichkeiten, die es im Lateinischen nicht gibt, wurden germanische Wörter eingesetzt. Auf solchen Textsplittern beruhen weitgehend deutschen unsere Kenntnisse spätantiker und frühmittel- alterlicher germanischer Sprachen. Gebildete Germanen schrieben auf Latein. Paulus Dia- Tradition conus (725/30 bis ca. 800), ein langobardi- scher Geschichtsschreiber und Mönch, ver- fasste seine Geschichte der Langobarden in föderaler lateinischer Sprache, obwohl er wahrschein- lich des Langobardischen noch mächtig war. Einzelstaaten ? Wie können wir uns diese Konkurrenz von Sprachen in etwa vorstellen? dann deutsche Namen angesagt: Kaiser- Schlacht auf den Katalaunischen Feldern im ! Als die germanischen Völker allmählich pfalz, Trifels, Elbmark, Greiffenstein... Nach Kampf gegen die Hunnen fiel. Merkwürdig katholisch wurden, haben sie sich mit den dem Zweiten Weltkrieg gibt es keine eindeu- ist dabei aber: Die Westgoten waren wie die Romanen vermischt. Damit haben sie auch tige Tendenz mehr. meisten spätantiken Germanenvölker antitri- deren Kultur und Sprache(n) angenommen. nitarische Arianer oder, wie man eigentlich Wir wissen, dass am Hofe Theoderichs des ? Wie denkst Du über Umbenennungen? korrekt sagen müsste, Homöer. Trotzdem be- Großen noch Ostgotisch gesprochen wurde. singt unser Bundeslied den einer häretischen Allerdings sprachen die gebildeten Goten, ! Wir müssen uns bewusst sein, dass die an- Strömung des Christentums angehörenden auch der König selbst, mit den italischen Un- gebliche Germanentradition ein Konstrukt Westgotenkönig als Vorkämpfer des Chris- tertanen und den senatorischen Führungseli- ist. Deshalb sollten Verbindungen aber nicht tentums, wobei hier eindeutig der Katholi- ten natürlich Latein, und Latein war auch die ihre Namen ändern müssen. Man sollte den zismus gemeint ist. Amtssprache im Reich der Ostgoten. Man historischen Hintergrund kennen und das nimmt an, dass später die Langobarden unter Ganze auch nicht so bierernst nehmen. ? Was folgt daraus? sich noch Langobardisch sprachen. In ande- ren sozialen Kontexten sank dieses aber zu ? Bitte? ! Daran lässt sich sehr schön ersehen, wie einer Art Soziolekt herab. In einer romani- man im späten 19. Jahrhundert in der Lage schen Umgebung wurden die germanischen ! Ein Beispiel aus meiner eigenen Verbin- war, bestimmte Widersprüche auszublenden. Sprachen zunehmend nicht mehr benötigt, dung Gothia Würzburg: Warum heißen wir Aus Versatzstücken der historischen Wahr- dies auch deshalb, weil das Lateinische für eigentlich so? Das hat vermutlich mit dem heit wird ein Geschichtsbild konstruiert, das eine überlegene Kulturtradition stand. In den bereits erwähnten Roman Felix Dahns „Ein geeignet ist, die katholischen Ideale der Got- mehrheitlich romanischen Reichsteilen des Kampf um Rom“ zu tun. Das Buch war po- hia Würzburg zu symbolisieren, und das zu- Frankenreichs – das, was heute Frankreich pulär und die darin dargestellten Goten wur- dem auch noch gut hineinpasst in den histo- ist – wurde das sogenannte Westfränkisch den als heroisch empfunden. In unserem ristischen Zeitgeist. Die Hunnen sind hierbei seit dem 9. Jahrhundert endgültig verdrängt, Bundeslied geht es aber nun gerade nicht um natürlich die weltanschaulichen Gegner des es hinterließ jedoch Spuren im Französi- die Ostgoten, sondern um den Westgotenkö- Politischen Katholizismus. Diese kreative schen. nig Theoderich I., der 451 als Verbündeter Form von Eklektizismus ist für die Zeit des des römischen Feldherrn Aëtius in der späten Kaiserreichs durchaus typisch. ? Was machen wir jetzt als CV und als CVer mit „unseren“ Germanen? Welche Bedeu- tung sollen sie heute für uns haben? Der Autor: Prof. Dr. Matthias Stickler (GW) lehrt Neuere und Neueste ! Das alles ist in erster Linie eben ein histo- Geschichte an der Universität Würzburg. Er forscht u.a. zur Universitäts- risches Phänomen. Wenn Verbindungen heu- und Studentengeschichte. Seit 2011 ist er Wissenschaftlicher Leiter des Insti- te gegründet werden, sind germanische Na- tuts für Hochschulkunde an der Universität Würzburg. Weitere Schwerpunkte Foto: privat men eher selten (lacht). Wir haben aber seiner momentanen wissenschaftlichen Arbeit sind die Geschichte der gesehen: Es gibt Konjunkturen, was die Na- Habsburger mo narchie, vergleichende Genozidforschung und die Ge- mensgebungen betrifft. Als „Norm“ enden schichte von Flucht und Vertreibung sowie der Vertriebenenintegration (siehe https://www.phil. die germanischen Namen mit dem Ende des uni-wuerzburg.de/hochschulkunde). Ersten Weltkriegs. In den 1920er-Jahren sind ACADEMIA 4/2020 35
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