Verblödungstoleranz - Deutscher Hochschulverband
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1|12 Forschung & Lehre S TA N D P U N K T 1 Verblödungstoleranz Morgenlektüre: Gera- dieser Art zwecklos ist, man nimmt die Blüten des de schaffen sie in den Normierungswahns zur Kenntnis und reagiert Schulen die Schreib- mittlerweile mit einem nach innen geflüsterten schrift ab. Der Verfas- „Lass doch das.“ Wir haben schon genug. ser des Beitrags in der Das Privatfernsehen kann man immerhin ab- Süddeutschen Zeitung schalten, die Kulturkämpfe darum sind geschla- empört sich, man gen. Es ist so: Jahrzehnte sorglosen Zulassens geis- kann finden, mit guten tiger Verwahrlosung bei gleichzeitiger Alimentie- Gründen. Immerhin rung von aktuellster Unterhaltungselektronik ha- droht wieder ein Ver- ben jene „Unterschicht“ entstehen lassen, die sich lust, diesmal der Ver- jetzt auch im Fernsehen wiederfindet. Die Zusam- lust der Chance, auf menhänge sind bekannt. Interessant sind die Kon- Holger Noltze ist Professor für Musik und der Grundlage einer vergenzen. Bezogen auf das Fernsehen also die Medien an der Technischen gelernten Schreib- Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Pro- Universität Dortmund, Mo- schrift, in der die gramms, das seinen „Kulturauftrag“ als peinliche derator der Fernsehsendung Buchstaben auf eine Hypothek mit zunehmendem Erfolg verdrängt. Im west.art Talk und Autor des mehr oder weniger in- Zweifel für den Gebührenzahler, und der schaut ja Buches „Die Leichtigkeits- lüge: Über Musik, Medien dividuelle Weise mitei- lieber Fußball als Kulturauftrag. Auch das wissen und Komplexität“. nander verbunden wir schon. Legitimation wird hergestellt über Quo- werden, eine eigene ten: Zwanghaft muss man die Vielen erreichen, Handschrift zu entwi- und das geht, indem die Ansprüche gesenkt wer- ckeln. Mein Sohn, 12, kann das nicht mehr. Er den. malt eben Druckbuchstaben. Es hat den Vorteil Dem fallen nicht nur die Schnörkel in der der Lesbarkeit, wer Buchstaben malt, krakelt Schreibschrift zum Opfer. Das KISS-Prinzip, nicht. Also: weg mit den Schnörkeln. „keep it short and simple“ regiert längst, wo es Der Aufschrei der Empörung, den diese Nach- noch fataler ist: an der Universität. Die Toleranz richt auslöste, fiel schwach aus. Erinnern wir uns gegenüber dem, was man nicht leicht versteht, weil noch an den bürgerlichen Aufstand gegen die es komplex ist, sinkt. Die großen Kräfte: Globali- Rechtschreibreform? Das war noch was. Die FAZ sierung, Ökonomisierung wirken auf die in eine hat damals die Machtfrage gestellt, indem sie ver- trügerische Autonomie entlassenen Universitäten. kündete: Wir machen den Unfug nicht mit. Sie hat Es wird normiert, reformiert, evaluiert. Das Sys- sie gestellt – und verloren. Die Anpassung an die tem wird komplizierter bis zur Undurchschaubar- reformierte Schreibung geschah, eher leise, ein keit, seine Ergebnisse immer banaler. Statt dass es, paar Jahre später – hat das noch jemand gemerkt? in einer komplexen Welt, lehrt, mit Komplexität Dahinter ist die stille Einsicht zu vermuten, umzugehen, lehrt es dummerweise das Gegenteil: dass der Widerstand gegen „Modernisierungen“ Verblödungstoleranz.
2 I N H A LT Forschung & Lehre 1|12 Inhalt Nachwuchs- wissenschaftler S TA N D P U N K T Foto: mauritius-images Holger Noltze 1 Verblödungstoleranz NAC H R IC HTE N 4 Hochschulzulassung: Chaos ohne Ende Sind die derzeitigen Personalstrukturen an deutschen Universitäten attraktiv für Nachwuchswissenschaftler? Verbessert NAC HWUC H SWI SS E N SC HAFTLE R die Exzellenzinitiative ihre Karriere- chancen? Hat sich das Wissenschafts- Wolfgang Marquardt zeitvertragsgesetz bewährt? Wie hoch 8 „Doktoranden sind keine Währung und kein Besitzstand“ sind die Chancen für Nachwuchswis- senschaftler im internationalen Ver- Fragen an den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates gleich, auf eine Professur zu gelangen? Reinhard Kreckel Fragen, auf die der Schwerpunkt Ant- worten sucht. 12 Habilitation versus Tenure Nachwuchswissenschaftler . . . . . . . . 8 Karrieremodelle an Universitäten im internationalen Vergleich Caspar Hirschi 16 Bessere Karriereaussichten? Die Schweiz als Alternative für junge deutsche Wissenschaftler Sibylle Baumbach | Klaus Oschema | Stefanie Walter 20 Exzellente Perspektiven? Auswirkungen der Exzellenzinitiative Kathrin Blawat 22 In zehn Schritten zum Nobelpreis Erfolgreiche Wissenschaftler brauchen mehr als Fleiß Foto: DFG und gute Ideen – ein Leitfaden für Nachwuchsforscher Ulrike Preißler 26 Verbesserungsbedarf Forschungsförderung Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Nachwuchsförderung Die Diskrepanz zwischen den vorhan- denen Fördermitteln der DFG und der Simone Fulda Anzahl der förderungswürdigen Anträ- 28 Medizin als Wissenschaft ge wächst. Wie kommt es zu diesem Zu- wachs an Anträgen? Müssen die Krite- Ärztemangel in der klinischen Forschung rien für förderungswürdige Anträge neu ausgehandelt und angepasst werden? Kostbares Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT Hannelore Weber | Erich Schröger 30 Kostbares Gut Kleine Fächer Forschungsförderung durch die DFG Die Bedeutung der „Orchideenfächer“ ist durch ein Auf und Ab gekennzeich- net. Wer aktuell zu den Gewinnern und K L E I N E FÄC H E R Verlierern zählt und wie es insgesamt um die Kleinen Fächer steht, zeigt eine Norbert Franz Auswertung der Potsdamer Arbeitsstelle 34 Manövriermasse Kleine Fächer. Die Situation der so genannten Kleinen Fächer Manövriermasse . . . . . . . . . . . . . . . . 34
1|12 Forschung & Lehre I N H A LT 3 Foto: dpa-picture alliance W I S S E N S C H A F T S K U LT U R Christopher Baum 38 Whistleblowing in der Wissenschaft Schutz und Codex „Whistleblowing“ Das englische Wort „Whistleblowing“ formuliert oft ein Problem fehlender G R O S S B R I TA N N I E N Kommunikation. Es geht darum, dass ein Informant auf Missstände (z.B. Kor- Christopher Metcalf ruption) hinweist und sie veröffentlicht. 42 Eine Wette auf die Zukunft Deshalb wird er meist misstrauisch an- Britische Hochschulen als Konsumware gesehen. Das gilt auch für Menschen, oder öffentliches Gut? die auf Fehler oder Täuschung in der Wissenschaft hinweisen. Was müsste verändert werden, um eine positivere CHILE Kommunikationskultur zu schaffen? Einige Vorschläge. Antonio Sáez-Arance Schutz und Codex. . . . . . . . . . . . . . . 38 44 Schlecht, teuer, ungerecht Warum in Chile Schüler und Studenten protestieren Großbritannien Eine utilitaristische Sicht auf Wissen- schaft und Universitäten ist in Großbri- CAMPUSROMAN tannien an der Tagesordnung. Die der- Martin Huber zeitige Regierung scheint dies allerdings unter dem Vorzeichen des Ökonomis- 47 Wer erzählt die Universität? mus auf die Spitze zu treiben. Dagegen Warum wir deutsche Campusromane brauchen wehren sich seit einiger Zeit Kritiker, die Bildung vor allem als öffentliches Gut verstehen. G R U N D M O T I VAT I O N E N Eine Wette auf die Zukunft. . . . . . . . 42 Joachim Bauer 48 Egoismus oder Altruismus? Was „treibt“ den Menschen? KARRIERE-PRAXIS Foto: dpa-picture alliance Nina Feltz 56 Jenseits der Pyramide Scheitern als Chance RUBRIKEN Campusromane 50 Forschung: Ergründet und entdeckt An vielen Stellen zeigt sich, dass die Öf- 52 Zustimmung und Widerspruch fentlichkeit nur ein diffuses Bild von der 53 Lesen und lesen lassen Universität hat. Können Campusroma- 54 Entscheidungen aus der Rechtsprechung ne dazu beitragen, einen Eindruck vom 55 Steuerrecht akademischen Alltag zu vermitteln? 58 Habilitationen und Berufungen (Rezensionen zu zwei jüngst erschiene- 64 Impressum nen Campusromanen in F&L 10/11, 65 Akademischer Stellenmarkt S. 789 und in dieser Ausgabe S. 53) 83 Fragebogen II: Zu Ende gedacht – Angelika Nußberger Wer erzählt die Universität? . . . . . . 47 84 Exkursion
4 NACHRICHTEN Forschung & Lehre 1|12 Nachrichten Hochschulzulassung: Chaos ohne Ende A uch im kommenden Jahr kann das geplante bundesweite System für Stu- dienbewerber nicht vollstän- dig in Betrieb gehen. Erneut könnten deshalb 2012 Tau- den und sei nun frühestens für das Wintersemester 2013/ 2014 geplant. Die Vorsitzende des Bil- dungsausschusses im Deut- schen Bundestag, Ulla Bur- sende Studienplätze zu spät Die Bundesregierung ist chardt, rechnet nach Infor- oder überhaupt nicht besetzt laut Zeitungsbericht mit 15 mationen der SZ damit, dass Zahl des Monats werden. Dies geht einer Mel- Millionen Euro am Aufbau etwa 150 von etwa 300 In den Niederlanden ist dung der Süddeutschen Zei- des neuen Systems beteiligt. Hochschulen entweder noch der Anteil an Schülern, die tung zufolge aus einer Be- Es soll einen unmittelbaren gar nicht oder zumindest Deutsch als Fremdsprache schlussvorlage der zuständi- Abgleich der zum Studium nicht risikolos an dem neuen lernen, zwischen 2005 und gen „Stiftung für Hochschul- zugelassenen Bewerber er- Verfahren teilnehmen könn- 2010 von 86 Prozent auf zulassung“ hervor. Möglich möglichen. Damit könne ver- ten. Sie spricht von einer sei nur ein Pilotbetrieb mit hindert werden, dass Studi- „traurigen Fortsetzung des 44 Prozent ausgewählten Hochschulen. enplätze unnötig für Bewer- Zulassungschaos“. Leidtra- zurückgegangen. Der flächendeckende Start ber freigehalten werden, die gende seien die Studienbe- Quelle: Statistisches Bundes- der neuen Software müsse sich bereits an einer anderen werber. amt,14. Dezember 2011 wegen technischer Probleme Hochschule eingeschrieben noch einmal verschoben wer- haben. Mehr Professoren, viel mehr Studenten D ie Zahl der Universi- tätsprofessuren hat sich im Jahr 2010 gegenüber gestellten Hochschulen. Das sind 664 mehr als im Jahr 2009. lerdings nicht Schritt. Die Zahl der Studierenden ist ge- genüber 2009 um 55 223 ge- schullehrer. 2009 waren es noch 59, im Jahr 2000 56 Studierende. Wie bereits in dem Vorjahr leicht erhöht. Über den Zeitraum von stiegen, gegenüber dem Jahr den letzten Jahren hat sich Nach Zahlen des Statisti- zehn Jahren (2000: 23 980 2000 um 162 690. Damit hat die Zahl der Abschlussprü- schen Bundesamtes, die für Professoren) sind sogar 1 000 sich das Betreuungsverhält- fungen wieder erhöht: um et- Forschung & Lehre erhoben Professuren hinzugekom- nis wie in den vergangenen wa 39 000 auf nunmehr wurden, lehrten 24 934 Pro- men. Mit dem Zuwachs bei Jahren weiter verschlechtert. 279 820. Es gab mehr Promo- fessoren an deutschen Uni- den Studierendenzahlen hal- Es liegt im Durchschnitt bei tionen und weniger Habilita- versitäten und ihnen gleich- ten die Professorenzahlen al- 60 Studierenden pro Hoch- tionen. Uni-Barometer 2011 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Univ.-Professoren1 23 980 23 744 23 739 23 712 23 845 23 475 23 361 23 596 23 918 24 270 24 934 Studierende an Universitäten1 1 341 149 1 382 261 1 422 688 1 467 890 1 403 491 1 418 377 1 408 544 1 369 075 1 397 492 1 448 616 1 503 839 davon ausl. Studenten inkl. Bildungsinländer1 149 879 164 277 179 824 193 161 192 012 191 819 187 978 176 043 176 514 179 353 184 205 Deutsche Studierende im Ausland 52 200 53 400 58 700 65 600 67 400 78 200 85 300 93 400 106 800 115 500 * Abschlussprüfungen2 122 433 117 373 118 839 122 853 131 574 145 047 159 178 179 043 201 372 240 764 279 820 Promotionen 25 780 24 796 23 838 23 043 23 138 25 952 24 287 23 843 25 190 25 084 25 629 Habilitationen 2 128 2 199 2 302 2 209 2 283 2 001 1 993 1 881 1 800 1 820 1 755 Quelle: Statistisches Bundesamt Ausgaben der Hochschulen in Mio. Euro 27 509 28 648 30 374 30 644 30 537 30 974 32 144 33 478 36 342 38 859 * Drittmitteleinnahmen (in Mio. Euro), alle Hochschulen 2 830 3 076 3 305 3 437 3 466 3 662 3 855 4 262 4 853 5 233 * * Es liegen noch keine aktuellen Daten vor. 1 Universitäten einschließl. Kunsthochschulen, Pädagogische Hochschulen, Gesamthochschulen sowie Theologische Hochschulen 2 Abschlüsse insgesamt ohne Promotion und Fachhochschulabschluss
1|12 Forschung & Lehre NACHRICHTEN 5 Auf und Ab bei Kleinen Fächern K O M M E N TA R I n den bundesweit rund 120 Studiengängen sog. Kleiner Fächer, die über we- 77,5, 2011: 59) seien durch neue Trends in den Naturwis- senschaften (Stichworte „Life bearbeite, habe ein großes Wachstum zu verzeichnen, während die nicht primär an- Akademische nig Studenten und maximal Sciences“, „Humangenetik“) wendungsorientierten Altphi- Sterbebegleitung drei Professuren verfügen, erklärbar. Dagegen werde das lologien (1997: 200 Professu- Ist in der deutschen Wis- gibt es Gewinner wie Verlie- Wachstum der Islamwissen- ren, heute: 158,5 Professu- senschaft Indologie, Alt- rer. Das geht aus einer Be- schaften (1997: 29, 2011: 33) ren), deren Existenz sich zum orientalistik und Afrika- standsaufnahme des im Auf- durch den „11. September“ großen Teil auf die Lehrerbil- nistik zusammengenom- trag der Hochschulrektoren- und die daraus resultierenden dung stützt, größere Einbu- men weniger wichtig als konferenz (HRK) durchge- öffentlichen Diskussionen ßen erleiden mussten. Um- Gender-Studies? Diese führten und vom Bundesmi- verständlich. Die in diesem schichtungen, die sich auf ge- Frage ist weder provokant nisterium für Bildung und Zusammenhang gewachsene sellschaftliche Trends zurück- noch unzulässig. Dass sie Forschung finanzierten Pro- öffentliche Sensibilität für Re- führen lassen, verzeichneten überhaupt gestellt werden jekts „Kartierung der Kleinen ligionen als gesellschaftliche etwa auch die Geschichtswis- kann, ist BMBF und HRK Fächer“ hervor. Der Blick auf Faktoren dürfte für den An- senschaften. Hier seien die zu verdanken, die sich der die quantitative Entwicklung stieg der Professuren in der Wissenschaftsgeschichte Kartierung Kleiner Fächer der Professuren in den Klei- Judaistik (1997: 10, 2011: 15) (1997: 28, 2011: 16), die angenommen haben. Wel- nen Fächern zeige demnach, und der Religionswissen- Wirtschafts- und Sozialge- che Kolateralschäden Fö- dass sowohl wissenschaftsim- schaft (1997: 20, 2011: 27,5) schichte (1997: 45, 2011: 37) deralismus, Autonomie manente Entwicklungen als verantwortlich sein. Umge- und Medizingeschichte und Profilbildung bei den auch gesellschaftliche Fakto- kehrt habe die Slawistik (1997: 31, 2011: 25) von star- kleinen Fächern anrichten, ren für Veränderungen ver- (1997: 93, 2011: 80) nach ken Verlusten betroffen, wäh- ist nun anschaulich zu be- antwortlich gemacht werden dem Ende des „kalten Krie- rend die Außereuropäische sichtigen. könnten. Die Einbußen etwa ges“ starke Verluste hinneh- Geschichte zu Regionen wie Andererseits sind Föde- der Anthropologie (1997: men müssen. Ein Fach wie Ost- und Südasien oder La- ralismus und Autonomie 16,5 Professuren, 2011: 12 Gender Studies (1997: 29,5, teinamerika (1997: 23, 2011: wichtige Konstituenten des Professuren), der Kristallo- 2011: 52,5), das, so die HRK, 30) gewonnen haben. Wissenschaftssystems. Und graphie (1997: 42, 2011: 23,5) einen wichtigen gesellschaftli- Siehe hierzu den ausführlichen die Konkurrenz der Fächer und der Mineralogie (1997: chen Trend wissenschaftlich Beitrag im Heft auf Seite 34. untereinander und der Auf- und Niedergang von Leit- disziplinen ist so alt wie 400 Millionen Euro für bessere Lehre die Geschichte der Univer- sität. Gerade weil die Kar- I n der zweiten Runde des Bund-Länder-Programms „Qualitätspakt Lehre“ erhal- teilte die Gemeinsame Wis- senschaftskonferenz (GWK) mit. Demnach haben sich an len aus allen Regionen Deutschlands. Zusammen mit der im Wintersemester tierung für einige kleine Fä- cher nicht mehr ist als eine akademische Sterbebeglei- ten insgesamt 102 Universi- der zweiten Antragsrunde 2011/12 gestarteten ersten tung, muss sie fortgesetzt täten, Fachhochschulen und 169 Hochschulen mit 135 Förderrunde werden jetzt und weiterfinanziert wer- Kunst- und Musikhochschu- Anträgen für Einzel- und 186 Hochschulen aus allen den. Sie ist eine wissen- len bis zum Jahr 2016 rund Verbundvorhaben beteiligt. 16 Ländern gefördert. Insge- schafts- und gesellschafts- 400 Millionen Euro Förder- Davon wurden 102 Hoch- samt haben sich mehr als 90 politische Erkenntnisquelle mittel des Bundes. Das Geld schulen zur Förderung ausge- Prozent der antragsberechtig- über den Wandel von Prio- soll zur Verbesserung von wählt: 40 Universitäten, 43 ten Hochschulen beteiligt. ritäten und über die Aus- Studienbedingungen und Fachhochschulen und 19 wirkungen von (zuviel) Lehrqualität beitragen. Dies Kunst- und Musikhochschu- Wettbewerb in der Wissen- schaft. Zudem lässt es sich trefflich darüber streiten, ob HRK: Grundmittel für die Hochschulen die damit dokumentierte dringend erhöhen Entwicklung eine dynami- sche Innovationsfähigkeit D erneut ie Hochschulrektoren- konferenz (HRK) hat eine verlässliche hen erreichten. Im Gegensatz dazu sei das Drittmittelauf- kommen der Hochschulen Lehre. Sie können also die fehlende Grundfinanzierung nur eingeschränkt ersetzen. des Gesamtsystems belegt oder Ausbund ist von Kul- turverfall und geistlosem Grundfinanzierung der seit dem Jahr 2000 um 80 Allerdings benötigen die Zeitgeist. Hochschulen gefordert. Tat- Prozent angestiegen. Dritt- Länder nach Ansicht der sächlich seien die Grundmit- mittel könnten jedoch nur für HRK ohne Zweifel die Un- Michael Hartmer tel für die Hochschulen in die Zwecke eingesetzt wer- terstützung des Bundes. Er realen Werten seit Mitte der den, für die sie eingeworben müsse seinen Anteil an der 90er Jahre signifikant gefal- wurden – naturgemäß also Hochschulfinanzierung stei- len, während die Studieren- nahezu ausschließlich für die gern. denzahlen neue Rekordhö- Forschung und nicht für die
6 NACHRICHTEN Forschung & Lehre 1|12 HESSEN Keine Krankenschwester ohne Abitur? Appell der Universitätspräsidenten n einem gemeinsamen Appell haben die Präsidenten K rankenschwestern und Hebammen sollen in Zukunft EU-weit Abitur ha- land, Österreich und Luxem- burg müssten aufstocken. Anlass für die Änderung I der fünf hessischen Universitäten vor einer schlei- chenden Auszehrung der Hochschulen gewarnt. „Die ben müssen. Das sieht laut der Zeitung Handelsblatt die der Richtlinie aus dem Jahr 2005 ist nach dem Bericht der Konferenz der Hessischen Universitätspräsidenten Neufassung der europäischen Zeitung die zunehmende Be- (KHU) ist in großer Sorge um die Qualität von Lehre, Richtlinie zur Berufsanerken- reitschaft der Europäer, über Studium und Forschung,“ heißt es in dem Appell. So ist nung vor. Demzufolge sollen Grenzen hinweg zu arbeiten. laut KHU die Zahl der Studenten an hessischen Univer- die Staaten die nötige Quali- 2009 waren rund 5,8 Millio- sitäten binnen kürzester Zeit, seit 2007, von insgesamt fikation für eine solche Aus- nen Europäer in einem ande- 107 351 auf 135 818 gestiegen. Dies entspricht einer bildung von zehn auf zwölf ren Mitgliedstaat der Union Steigerung von 27 Prozent. Bei den Erstsemestern be- Schuljahre ausweiten. Der- beschäftigt. Das entspricht et- laufe sich der Anstieg sogar auf mehr als 40 Prozent, zeit sei dies bereits in 24 wa 2,5 Prozent der Erwerbs- rechnet man die Masterstudiengänge hinzu, seien es Staaten der Fall. Deutsch- bevölkerung in der EU. mehr als 60 Prozent. Ein Rückgang der Studentenzahlen sei nicht absehbar. Im Gegenteil, der Trend werde anhal- ten, zumal in Hessen der G8-Anstieg erst noch bevorste- he. Dazu komme, dass das reale Grundbudget der Hochschulen 2012 weiter sinke. Die Präsidenten begrü- ßen, dass sich das Land im Hessischen Hochschulpakt bereit erklärt habe, sich an den Mehrkosten der Tarifstei- Professor Harald Lesch gerungen ab 2013 wieder zu beteiligen. Dennoch bleibe Hochschullehrer des Jahres die Situation für die Universitäten 2011 und 2012 prekär. Sie fordern von der Landesregierung, die Kosten für die Tarif- und Gehaltssteigerungen der Angestellten und Beamten 2011 und 2012 von rund 28 Millionen Euro P rofessor Dr. Harald Lesch, seit 1995 Profes- sor für Theoretische Astro- (DHV), Professor Bernhard Kempen. Lesch habe sich da- durch in herausragender rückwirkend zu übernehmen. physik am Institut für Astro- Weise um das Ansehen des nomie und Astrophysik der Wissenschaftler- und Profes- Ludwig-Maximilians-Univer- sorenberufes in der Öffent- sität München und seit 2002 lichkeit verdient gemacht. Zahl dualer Studienplätze steigt Lehrbeauftragter Professor Der Preis „Hochschulleh- für Naturphilosophie an der rer/-in des Jahres“ wird mit D ie Zahl der Unterneh- men, die in Zusam- menarbeit mit einer Hoch- nal unterschiedlich ausge- prägt. Einen deutlichen Zu- wachs im Vergleich zum Vor- Hochschule für Philosophie (SJ) in München, wird die diesjährige Auszeichnung Unterstützung des ZEIT-Ver- lags Gerd Bucerius GmbH & Co.KG vergeben. schule oder Berufsakademie jahr konnte Bayern (plus 88 „Hochschullehrer des Jahres“ Der mit 10 000 Euro do- duale Studienplätze anbieten, Prozent) auf 126 Studiengän- zugesprochen. „Kollege Lesch tierte Preis wird Professor ist stark gestiegen. Im Jahr ge und Rheinland-Pfalz (plus ist ein Sympathieträger und Lesch am 19. März 2012 im 2011 gabe es im Vergleich 92 Prozent) auf 23 Studien- Botschafter für die Wissen- Rahmen der vierten Gala der zum Vorjahr eine Steigerung gänge verzeichnen. Am häu- schaft und die Faszination, deutschen Wissenschaft in von rund 46 Prozent auf über figsten vertreten sind duale die von ihr ausgeht. Es ge- Hannover verliehen, auf der 40 000 solcher Angebote von Studiengänge in Baden- lingt ihm mühelos, Brücken auch academics – das von Unternehmen, die damit dua- Württemberg (236 Studien- zwischen Geistes- und Na- der ZEIT und der Zeitschrift le Studienplätze für über gänge) und Nordrhein-West- turwissenschaften zu schla- „Forschung & Lehre“ getra- 61 000 Studenten bereitstel- falen (198 Studiengänge). gen und Einsichten in Zu- gene Karriereportal für die len. Dies ergab eine aktuelle Über ein umfangreiches An- sammenhänge der Welt zu Wissenschaft – den Preis für Auswertung des Bundesinsti- gebot verfügen außerdem die vermitteln. Als Wissen- den/die „Nachwuchswissen- tuts für Berufsbildung Bundesländer Sachsen (77 schaftsmoderator zahlreicher schaftler/-in des Jahres“ ver- (BIBB). Auch die Zahl der Studiengänge), Hessen (70 TV-Formate bei BR-alpha, geben wird. Die mit 2 000 angebotenen dualen Studien- Studiengänge) und Nieder- ZDF und zdf_neo vermag er Euro prämierte Auszeich- gänge ist gestiegen. Ihre Zahl sachsen (65 Studiengänge). als Hochschullehrer seit nun- nung erhält der Physiker Dr. stieg demnach um rund 20 Duale Studiengänge ver- mehr 13 Jahren ein Millio- Moritz Riede von der Techni- Prozent auf 929, nachdem im binden die praktische Ausbil- nenpublikum für das Aben- schen Universität Dresden Vorjahr bereits eine Steige- dung in einem Betrieb und teuer Forschung zu begeis- für seine Forschungsleistun- rung von mehr als zwölf Pro- die theoretische Ausbildung tern und die Faszination Wis- gen und sein Engagement für zent beobachtet werden an einer Hochschule oder senschaft auch für Laien erneuerbare Energien und konnte. Berufsakademie, sodass Ab- spürbar werden zu lassen“, die soziale Verantwortung Das Angebot dualer Suti- solventen im besten Fall zwei sagte der Präsident des Deut- von Wissenschaftlern in der dengänge ist laut BIBB regio- Abschlüsse erwerben. schen Hochschulverbandes Gesellschaft.
1|12 Forschung & Lehre FUNDSACHEN 7 Fundsachen Selbstbewusst Fundglück „Die Gelassenheit des früheren Kon- „Jede Dummheit findet einen, der sie macht.“ stanzer Historikers Arno Borst dürfte Tennessee Williams (1911-1983) sich beim Endspurt der Exzellenzinitia- tive kaum eine der beteiligten Universi- täten bewahrt haben. Die Frage eines DFG-Präsidenten, zu welchem Schwer- punkt er gehöre, beschied Borst kurz (Un-)begreiflich Irrtum und knapp: ‘Der Schwerpunkt bin ich.’“ Heike Schmoll; zitiert nach „Der Mensch muss bei dem Glauben „Das einzige Mittel, den Irrtum zu ver- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom verharren, dass das Unbegreifliche be- meiden, ist die Unwissenheit.“ 7. Dezember 2011 greiflich sei; er würde sonst nicht for- Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) schen.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Donald Duck und Muppets Lebensgefährlich „Die Beliebtheit sollte kein Maßstab für Deutsch „Wird’s besser? Wird’s schlimmer?/ die Wahl von Politikern sein. Wenn es fragt man alljährlich./Seien wir ehr- auf die Popularität ankäme, säßen Do- „Wir sind den Franzosen zwar in vielen lich:/Leben ist immer/lebensgefähr- nald Duck und die Muppets längst im Dingen ähnlich, aber wir sind keine lich.“ Senat.“ Franzosen. Wir sind grüblerischer, mit Erich Kästner (1899-1974) Orson Welles (1915-1985) einem Hang zum Grundsätzlichen und manchmal auch mit einer gewissen Nei- gung zur Rechthaberei. Luthers ‘Hier Böse Undo stehe ich, ich kann nicht anders’ auf dem Reichstag zu Worms scheint mir „Die Welt wird nicht bedroht von den „Das Englische tendiere demgegenüber für viele unserer Debatten paradigma- Menschen, die böse sind, sondern von zu Klarheit: Während man etwa im tisch. Damit muss die Politik umgehen.“ denen, die das Böse zulassen.“ Deutschen das Verb ‘machen’ umständ- Bundesverfassungsrichter Professor Peter Albert Einstein (1879-1974) lich mit ‘ungeschehen machen’ negie- M. Huber; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Dezember 2011 ren müsse, heiße es im Englischen kurz und knapp: ‘to undo’. Mag sein, dass das prägnanter ist. Unbedingt schöner ist es aber nicht.“ Tomasz Kurianowicz; zitiert nach Frankfur- ter Allgemeine Zeitung vom 7. Dezember 2011 Angst und bange Scheinerwerb „Doch auch in diesem Gespräch zeigt Guttenberg unfreiwillig, warum er als „Es gehört zu den Feinheiten der deutschen Hochschulsprache, politische Führungsfigur ungeeignet ist dass sie das Ansammeln von beglaubigten Leistungen im Lauf (...) So minutiös beschreibt er sein eines Studiums geradeheraus als Scheinerwerb bezeichnet – was chaotisches Vorgehen – er will mit insofern als terminologisch wertvoller Hinweis zu würdigen ist, ‘mindestens 80’ Datenträgern gearbei- als zwischen einer authentischen Kompetenz, was immer das tet haben –, so wortreich seine Überfor- derung mit einer Aufgabe (Bundestags- sein mag, und einer umfassenden Simulation der selben Kompe- mandat, Doktorarbeit, Familie), die tenz kein essentieller Unterschied nachzuweisen ist. Man könn- doch so oder ähnlich zahllose Men- te dies an einigen bekannten Beispielen von falschen Ärzten il- schen bewältigen, dass einem angst und lustrieren, die jahrelang täglich mit gutem Erfolg schwierigste bange wird bei dem Gedanken, dieser Operationen durchführten, bis sich eines Tages herausstellte, Mann könnte noch einmal die Geschi- dass sie hierzu nicht qualifiziert waren.“ cke Deutschlands lenken, und sei es Professor Peter Sloterdijk; zitiert nach Der Spiegel 49/2011 nur durch die Mitarbeit an Gesetzen.“ Eckart Lohse; zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. November 2011
8 NACHWUCHSWISSENSCHAFTLER Forschung & Lehre 1|12 „Doktoranden sind keine Währung und kein Besitzstand“ Fragen an den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates | W O L F G A N G M A R Q U A R D T | Der Wissenschaftsrat hat immer wieder zur Frage des wissen- schaftlichen Nachwuchses, zur Bedeutung von Habilitation und Juniorprofessur Stellung bezogen.Wie schätzt er die aktu- ellen Perspektiven der Nachwuchswissenschaftler angesichts tausender befristeter Stellen durch Hochschulpakt und Exzellenzinitiative ein? Welche Bedeutung soll Tenure im Hochschulsystem haben? Fragen an den Vorsitzenden des Rates. Cartoon: Meissner
1|12 Forschung & Lehre NACHWUCHSWISSENSCHAFTLER 9 Forschung & Lehre: Der Wissen- uns mit einheitlichen formalen Krite- wird, wären wir gut beraten, einem gro- schaftsrat hat sich im Jahr 2001 für die rien als Voraussetzung für die Berufbar- ßen Teil der Nachwuchswissenschaftler Einführung der Juniorprofessur ausge- keit aufzuhalten, sollten wir Berufungs- einen Verbleib in den Hochschulen zu sprochen. Das damalige Ziel von etwa entscheidungen allein an der inhaltlich attraktiven Konditionen zu ermögli- 6000 Juniorprofessuren in Deutschland belegbaren wissenschaftlichen Qualifi- chen. Nur so können die Betreuungsre- wurde mit derzeit knapp 1000 weit ver- kation der Bewerber orientieren. lation verbessert, die Lehraufgaben mit fehlt. Welche Gründe sehen Sie für das hoher Qualität abgedeckt und gleichzei- Auseinanderfallen von Soll- und Ist-Zu- F&L: Die Kernfrage des wissenschaftli- tig eine Verbesserung der Leistungsfä- stand? chen Nachwuchses ist die Verlässlich- higkeit unserer Forschung im interna- keit der Berufsperspektive, insbesondere tionalen Wettbewerb erreicht werden. Wolfgang Marquardt: Die Einführung verbunden mit der Option für eine Te- der Juniorprofessur war ja nur einer der nure-Stelle. Plädieren Sie für Wissen- F&L: Sind die derzeit bestehenden Per- Bausteine einer Reform der Karrierewe- schaft als „Laufbahn“? sonalkategorien an den Hochschulen ge in Deutschland, um frühe wissen- für den wissenschaftlichen schaftliche Unabhängigkeit und verläss- liche Karriereperspektiven zu schaffen. »Die Qualifizierungswege sollten Nachwuchs ausreichend? Ist die Professur mit Schwer- An diesen Zielen müssen wir weiter auch künftig in den Fächern punkt Lehre angesichts des festhalten, wenn wir international wett- variieren können.« derzeitigen Studentenan- bewerbsfähig bleiben wollen. Die Quali- sturms ein Zukunftsmodell? fizierungswege sollten aber auch künftig in den Fächern variieren können, weil – Wolfgang Marquardt: „Laufbahn“ als Wolfgang Marquardt: Wir treten seit wie beispielsweise in den Ingenieurwis- automatische Beförderung nach Alters- langem für eine Ausdifferenzierung der senschaften – der Weg zur Professur stufen verstanden, passt nicht in das Personalkategorien ein, hier stellt die nicht zwingend über eine Juniorprofes- Wissenschaftssystem. Wissenschaftskar- Professur mit Schwerpunkt Lehre eine sur gehen muss. Demnach zeigt die klei- rieren müssen vielmehr an Qualität und sinnvolle Variante dar. Diese oder jede ne Zahl von Juniorprofessuren, dass es Leistung in Forschung, Lehre und andere Personalkategorie soll die Ein- immer noch nicht gelungen ist, neben Transfer orientiert sein. Aber wenn zelnen aber nicht ein für alle Mal festle- der klassischen Rekrutierung über As- „Laufbahn“ mehr Transparenz über gen. Die im individuellen Karrierever- sistenzen oder aus der Industrie auch Prozeduren und Kriterien der Bewer- lauf flexible Schwerpunktsetzung in Tenure-Track-Verfahren mit transparen- tung von Qualität und Leistung und der Forschung oder Lehre oder in der Wis- ten Spielregeln flächendeckend einzu- auf dieser Grundlage entschiedenen Be- senschaftsadministration kommt der führen. Stattdessen muten wir dem wis- rufung oder Entfristung bedeutet, dann Vorstellung des Wissenschaftsrats am senschaftlichen Nachwuchs weiterhin erscheint mir das sehr wohl vereinbar nächsten. Was die Gestaltung der Per- unübersichtliche, meist drittmittelfinan- mit dem Leistungsprinzip. sonalstruktur betrifft, so wird sich der zierte Wege zur Professur zu, die oft Wissenschaftsrat in nächster Zeit ver- durch Kettenverträge kurzer Laufzeit F&L: Exzellenzinitiative und Hoch- mutlich erneut dazu äußern. In diesem gekennzeichnet sind. Damit tun wir der schulpakt haben Tausende von befriste- Rahmen könnten auch Karrierewege Wissenschaft langfristig allerdings kei- ten Stellen für Nachwuchswissenschaft- und Personalkategorien neben der Pro- nen Gefallen, auch wenn es für die Uni- ler generiert. Welche Perspektive haben fessur empfohlen werden, den Beratun- versitäten praktisch zu sein scheint. diese Wissenschaftler? Die Zahl der gen will ich aber nicht vorgreifen. Universitätsprofes- »Die Professur mit Schwerpunkt Lehre soren ist seit Jahren nahezu konstant – stellt eine sinnvolle Variante dar.« und zwar konstant niedrig. F&L: Nach wie vor ist die Habilitation für viele Wissenschaftler der Qualifika- Wolfgang Marquardt: Der Zuwachs an tionsweg für eine Professur. Welche Be- Nachwuchswissenschaftlerstellen ent- deutung hat sie im Vergleich mit der Ju- spricht der gewachsenen Bedeutung der niorprofessur? Forschung für den Standort Deutsch- land und ist daher grundsätzlich sehr zu Wolfgang Marquardt: In vielen Fä- begrüßen. Mit diesen Sonderprogram- chern hat die Habilitation de facto im- men qualifizieren wir eine deutlich hö- mer noch eine zentrale Bedeutung für here Zahl junger Menschen für eine die Rekrutierung – allerdings ist diese wissenschaftsorientierte berufliche Tä- Rekrutierungspraxis weder alternativ- tigkeit nicht nur innerhalb, sondern los, noch wäre der Verzicht auf sie auch außerhalb des Wissenschaftssys- zwangsläufig mit Qualitätseinbußen tems. Da dieser Aufwuchs zeitgleich mit verbunden. Und das ist nicht erst seit einer stark gestiegenen Nachfrage nach Einführung der Juniorprofessuren der Studienplätzen stattfindet und laut ak- Professor Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt ist Fall; schon immer waren Berufungen tuellen Vorausberechnungen die Zahl Vorsitzender des Wissenschaftsrates und auch mit dem Nachweis habilitations- der Studierenden auch in den nächsten Professor für Prozesstechnik an der RWTH äquivalenter Leistungen üblich. Statt fünfzehn Jahren nicht zurückgehen Aachen.
10 NACHWUCHSWISSENSCHAFTLER Forschung & Lehre 1|12 Anzeige F&L: An vielen Universitäten wird die ständlich muss die Ausgestaltung einer Lehre durch den Einsatz von Lehrbe- solchen kollegialen Verantwortung auftragten, von denen sehr viele Privat- nach fachspezifischen Erfordernissen dozenten sind, mitgetragen. Viele von erfolgen und sich auf gerade diesen wis- ihnen beklagen Unterbezahlung und senschaftlichen Diskurs konzentrieren, Perspektivlosigkeit. Zu Recht? anstatt fächerübergreifend formale Re- gelungen und mehr Bürokratie einzu- Wolfgang Marquardt: In der Tat kann führen. die Lehrleistung nicht alleine durch die Professoren erbracht werden. Daher ist F&L: Dem steht entgegen, dass nie- das Hochschulsystem systemisch auf mand die Dissertation besser kennt, zu- weitere Lehrkräfte angewiesen. Inwie- mindest kennen sollte, als der Betreuer. weit diese Lehrkräfte eine berufliche Per- »Der Betreuer steht einer spektive innerhalb oder außerhalb der Dissertation inhaltlich am nächsten Wissenschaft haben und verantwortet die Orientierung.« oder nicht, hängt vom Fach und von der Or- ganisationsstruktur einer Einrichtung Wird mit diesem Komiteemodell nicht ab. Die manchmal unzumutbare Situati- die Motivation, Doktoranden anzuneh- on von Privatdozenten und anderen men, geschwächt und entscheidet das hoch qualifizierten Nachwuchskräften Komitee nicht auch unmittelbar über ist eben die Kehrseite der traditionellen die Betreuungsleistung? Karrierewege in der Wissenschaft in Deutschland, wo allein auf „up or out“ Wolfgang Marquardt: Natürlich steht gesetzt wird und keine attraktiven Kar- der Betreuer einer Dissertation inhalt- riereoptionen neben der Professur ge- lich am nächsten und verantwortet die boten werden. Besonders problematisch Orientierung. Gerade diese Verantwor- scheint es mir, wenn Missstände nicht tung kann nicht delegiert werden. Ihre nur in Einzelfällen entstehen, sondern Frage geht offenbar aber von der Inter- wenn die Funktionsfähigkeit der Hoch- pretation einer Betreuungsbeziehung schulen systematisch durch eine große als Besitzverhältnis aus: Weshalb sollte Zahl hoch qualifizierter und erfahrener, ich weniger motiviert sein, einen Dok- aber nicht wissenschaftlich selbstständi- toranden anzunehmen, wenn auch Kol- ger Lehrkräfte sichergestellt wird. So legen sich mit dessen Projekt aus fachli- werden Potenziale verschenkt und cher Perspektive befassen? Verantwor- Frustration erzeugt. tungsvollen Doktorvätern und –müt- tern ist es ein Anliegen, Doktorarbeiten F&L: Der Wissenschaftsrat hatte in ei- möglichst gut zu betreuen, warum soll- nem aktuellen – wie man hört auch in- ten sie kollegiale Unterstützung dabei tern nicht unumstrittenen – Positionspa- zurückweisen oder sich gar bezüglich pier empfohlen, die Doktorandenausbil- ihrer Betreuungsleistung kontrolliert dung künftig stärker in kollegiale Ver- fühlen? Ist nicht mit einem wissen- antwortung zu geben und Doktoranden schaftlichen Gewinn zu rechnen, wenn zusätzlich zu ihren Betreuern durch ein die inhaltliche Auseinandersetzung fachnahes Promotionskomitee zu beglei- über eine Forschungsarbeit schon früh, ten. Was versprechen Sie sich davon? also lange vor der Promotionsprüfung, in einem größeren Kreis von Fachleuten Wolfgang Marquardt: Die Betonung erfolgt? Die Heftigkeit mancher Reakti- kollegialer Verantwortung, die übrigens on lässt mich manchmal daran zweifeln, nur eine von vielen Empfehlungen ist, ob wir alle das Verständnis von Wissen- war nicht umstritten. Im Rahmen struk- schaft als offenem Austausch teilen. turierter Promotionen haben sich sol- Doktoranden sind keine Währung und che Modelle kollegialer Betreuung viel- kein Besitzstand, sondern die Zukunft fach bewährt, die im Übrigen nicht die der Wissenschaft. Beziehung zum Doktorvater bzw. der Doktormutter ersetzen, sondern ergän- zen sollen. Wissenschaft ist offener Dis- kurs unter Peers. Ich sehe nicht, wes- halb ein solcher Austausch gerade wäh- rend der wichtigsten Qualifizierungs- phase schädlich sein sollte. Selbstver-
PROMOVIEREN AN EINEM EXPERIMENTELLEN ORT Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltingenieurwis- Rahmenbedingungen der Doktorandenausbildung an der senschaft, Kunst und Gestaltung, Medienwissenschaft und Bauhaus-Universität Weimar. Als zentrale wissenschaftliche Medieninformatik – die Bauhaus-Universität Weimar lebt ak- Einrichtung fungiert die Bauhaus Research School als Dachin- tiv die Verbindung unterschiedlicher Disziplinen. stitution für alle strukturierten Promotionsstudiengänge, Gra- duiertenkollegs und Internationalen Promotionsprogramme Daraus entsteht in Forschung und Lehre Neues, Ungewöhnli- der vier Fakultäten: ches und Kreatives. Dem Geist des Bauhauses folgend, steht der Name der Universität heute für Experiment und Exzellenz, • Internationales Promotionsprogramm Europäische Nähe zur industriellen Praxis und Internationalität. Wissen- Urbanistik schaftler, Architekten, Gestalter und Künstler arbeiten an der • Bi-nationale Promotionsforschungsgruppe Urban Heritage Bauhaus-Universität Weimar gemeinsam an der Konzeption • Promotionsprogramm Projektentwicklung und und Gestaltung gegenwärtiger und zukünftiger Lebensräume. Immobilienresearch • Graduiertenkolleg Modellqualitäten im Konstruktiven Mit der Bauhaus Research School bietet die Universität ihrem Ingenieurbau wissenschaftlichen und künstlerisch-gestalterischen Nach- • Promotionsstudiengang Kunst und Design, Freie Kunst, wuchs einen Ort für den Austausch, für die wissenschaftli- Medienkunst che Promotion sowie die künstlerische Weiterqualifikation • Graduiertenkolleg Mediale Historiographien über Fakultäts- und Fächergrenzen hinweg. Unser Anliegen • Junior-Fellow-Programm Theorie und Geschichte ist die gezielte Förderung strukturierter und individueller kinematographischer Objekte Promotionsvorhaben sowie die Schaffung unterstützender • Individuelle Promotion www.uni-weimar.de/brs
12 NACHWUCHSWISSENSCHAFTLER Forschung & Lehre 1|12 Habilitation versus Tenure Karrieremodelle an Universitäten im internationalen Vergleich | R E I N H A R D K R E C K E L | Seit dem Siegeszug der Deutschland, gegliedert nach Karriere- Drittmittelforschung sind Nachwuchswissenschaftler zunehmend befristet und stufen (in Vollzeitäquivalenten). Auf- prekär beschäftigt. Die Chancen für Lehr- und Forschungspersonal sind interna- grund der sehr unterschiedlichen hoch- tional verglichen durchaus unterschiedlich. Nehmen die akademischen Karriere- schulstatistischen Zählweisen in den stufen an deutschen Universitäten eine Sonderstellung ein?* verschiedenen Ländern ist jeder direkte Vergleich ein gewagtes Unterfangen. D as europäisch-amerikanische Forschungsuniversität, die um Weltgel- Aber ein gemeinsamer Bezugspunkt fin- Modell der Forschungsuniver- tung ringen – ein französisches, ein deut- det sich, wenn man bei den Positionen sität hat sich weltweit als sches, ein englisches und ein nordameri- am oberen Ende der universitären Lauf- maßgebendes Leitbild durchgesetzt: kanisches Modell. bahn ansetzt, den Positionen für selbst- Universitäten gelten überall als der Ort, Sie alle stehen vor gemeinsamen ständig forschende und lehrende Hoch- wo höhere Bildung in Verbindung mit Herausforderungen, aber sie bewegen schullehrer. Diese sind überall sehr ähn- wissenschaftlicher Forschung vermittelt sich dabei innerhalb ihrer je eigenen lich und deshalb als Vergleichsbasis gut und wissenschaftlicher Nachwuchs her- Logiken und reagieren deshalb auf sehr geeignet: In der Regel werden sie unbe- vorgebracht wird. unterschiedliche Weise auf sie: Überall fristet und in Vollbeschäftigung wahrge- Eines der besonderen Kennzeichen nommen, sie verleihen An- der Forschungsuniversitäten ist ihre In- »Ca. 85 Prozent des wissenschaft- sehen und „professorale“ ternationalität. Offenheit für internatio- Unabhängigkeit in Lehre nale Studierende, Doktoranden, Gast- lichen Personals an deutschen und Forschung. In den bei- wissenschaftler war schon immer eines Hochschulen ist auf unselbst- den Abbildungen werden ihrer Merkmale. Der allmähliche Sieges- sie unter dem Oberbegriff zug des Englischen als allgemeine Wis- ständigen Mittelbaupositionen.« „Senior Staff“ zusammen- senschaftssprache und die zunehmende gefasst, da der Professoren- internationale Standardisierung von Stu- treten ähnliche Finanzierungsprobleme titel nicht in allen Ländern die gleiche diengängen, akademischen Graden und auf, überall sind die Auswirkungen der Bedeutung hat. Titeln kommen heute hinzu. Allerdings weltweiten Bildungsexpansion zu be- Komplexer, und hier von besonde- übersieht man angesichts dieser Interna- wältigen, für alle gilt der gleiche inter- rem Interesse, ist die Kategorie des „Ju- tionalisierungseuphorie allzu leicht, dass nationale Qualitätswettbewerb usw. Sie nior Staff“. Dabei geht es um hauptamt- hinter den zurzeit stattfindenden termi- müssen sich auch alle mit dem Umstand lich und selbstständig lehrende und for- nologischen und organisatorischen An- auseinandersetzen, dass ein immer grö- schende Hochschullehrer unterhalb der gleichungen noch immer sehr unter- ßer werdender Teil des universitären professoralen Spitzenebene. Hier gibt es schiedliche nationale Universitätskultu- Forschungspersonals nicht mehr aus von Land zu Land ganz erhebliche Un- ren und –strukturen stehen. Ein Beispiel Haushaltsmitteln bezahlt wird, sondern terschiede, wie sich bereits an Abbil- dafür sind die akademischen Laufbahn- auf projektgebundene und grundsätz- dung 1 ablesen lässt. Es ist unüberseh- strukturen, die hier vergleichend be- lich befristete Drittmittel angewiesen bar, dass allein Deutschland über ein trachtet werden: Es gibt nicht nur eine, ist. Um die damit verbundenen Verän- Universitätssystem verfügt, in dem fest sondern mindestens vier Varianten des derungen verstehen zu können, ist es angestellte, eigenständig lehrende und europäisch-amerikanischen Modells der hilfreich, die unterschiedlichen nationa- forschende Hochschullehrer beim len Laufbahnstrukturen und Selbstver- hauptberuflichen wissenschaftlichen AUTOR ständlichkeiten zu kennen, die sich hin- Personal klar in der Minderheit sind. ter häufig ähnlich klingenden Bezeich- Das bedeutet, dass die anfallenden Professor (em.) Reinhard Kreckel, nungen verbergen. Lehr- und Forschungsaufgaben hier Soziologe, war Rektor der Univer- Die beiden Abbildungen auf der fol- schon rein rechnerisch nur auf relativ sität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Hochschulfor- genden Seite zeigen das hauptberufliche wenige professionelle Schultern verteilt schung e.V. (HoF) in Wittenberg. wissenschaftliche Personal an Universi- werden können: Ca. 85 Prozent des täten in sechs Ländern im Vergleich zu hauptberuflichen wissenschaftlichen
1|12 Forschung & Lehre NACHWUCHSWISSENSCHAFTLER 13 vor allem an den Spitzenuniversitäten, Abbildung 1 deutliche Züge der deutschen Habilita- tion. 8% W3-Prof. 18% ⎫ 24% 5% W2-Prof. ⎥ Das für Deutschland charakteristi- Professor 30% ⎥ Professeur 2% JP/Doz. ⎥ ⎥ sche Hausberufungsverbot und die Vor- „Oberbau“ Full Professor ⎥ (selbstständige 17% 25% ⎬ Senior Staff stellung, dass nur ganz wenige zur ⎥ Sen. Lecturer Hochschullehrer) ⎥ ⎥ selbstständigen Lehre und Forschung 40% Reader 25% ⎥ Maître de ⎥ ⎥ an einer Universität „berufen“ seien, ist Associate Prof. ⎭ Conférences 22% in keinem der genannten Länder geläu- Lecturer fig. Auch der Gedanke, ein „echter“ ⎫ 68% 14% ⎥ 9% (befristet) 7% ⎬ Junior Staff Professor und Lehrstuhlinhaber müsse Assistant Prof. ⎥ „Mittelbau“ ⎭ über eigene Mitarbeiter- bzw. Assisten- (abhängiges 28% 1% ⎫ wissenschaft- 27% ⎥ Assisting tenstellen verfügen, stößt dort auf Ver- (befristet) (befristet) 17% ⎬ liches Personal) (befristet) ⎥ ⎭ Staff wunderung. Andererseits sind die tradi- tionellen universitären Laufbahnstruk- Frankreich 2009/10 Deutschland 2009 England 2009 USA 2008/09 turen zurzeit in allen vier Ländern von I Wiss. Mitarb. (befristet) I Wiss. Mitarb. (unbefristet) I Junior Staff (Tenure Track) I Junior Staff (Tenure) einem Erosionsprozess betroffen, der I Junior Staff (a.Z./a.D.) I Sonst. Senior Staff I o. Prof. durch die überall spürbare Zunahme von befristet und prekär beschäftigtem Lehr- und Forschungspersonal und den Personals an deutschen Universitäten berufen werden, häufig an der eigenen Siegeszug der Drittmittelforschung aus- ist auf unselbstständigen Mittelbauposi- Universität. Insofern haben wir es im gelöst wird. tionen unterhalb der Hochschullehrer- Falle Frankreichs mit einer Mischform Nun könnte man denken, dass die ebene beschäftigt, weitaus die meisten von Tenure- und Habilitationssystem zu in Abbildung 1 sichtbar werdende extre- auf befristeten Qualifikations- und/oder tun. me Sonderstellung des deutschen Kar- Drittmittelstellen. Nur ein kleiner, zu- Eine spezifische Variante des Tenu- rieremodells, in dem es nur relativ we- nehmend schrumpfender Teil des Mit- re-Modells ist das „Tenure Track“-Sys- nige W2- und W3-Professuren und so telbaupersonals (z. Zt. knapp 20 Pro- tem der USA. Hier, anders als im stär- gut wie keine etablierten Junior Staff- zent) ist auf unterschiedlichsten Positio- ker titelorientierten Europa, tragen alle Positionen gibt, mit dem Umstand zu- nen (als Akademische Räte, Mitarbei- Vollmitglieder des Lehrkörpers („facul- sammenhängt, dass wir es hier nicht mit ter/innen auf Funktionsstellen, Lehr- ty“) den Professorentitel, mit grundsätz- einem Tenure-, sondern mit einem aus- kräfte für besondere Aufgaben u.ä.) lich gleichen Rechten und Pflichten in gesprochenen Habilitations-Modell zu dauerhaft an der Universität tätig. An- Lehre und Forschung. Allerdings wird tun haben. Abbildung 2 zeigt allerdings dererseits fehlt die Kategorie des „Ju- dem Assistant Professor im Unterschied etwas anderes. Auch unter den Habili- nior Staff“ an deutschen Universitäten zum europäischen Lecturer oder Maître tationsländern ist Deutschland ein Aus- fast völlig; und wo es sie doch gibt, han- de Conférences die Festanstellung nicht nahmefall. delt es sich überwiegend um Zeitstellen: fast automatisch gewährt, sondern nur Das Habilitations-Modell der aka- Der Anteil der Juniorprofessuren am in Aussicht gestellt und erst nach vier demischen Karriere findet sich in relativ wissenschaftlichen Personal der Univer- bis sieben Jahren und strenger Leis- reiner Form in den traditionellen Uni- sitäten liegt zur Zeit bei etwa 0,7 Pro- tungsüberprüfung gewährt. Die mit dem versitätssystemen von Deutschland, Ös- zent, der der Universitätsdozenturen Tenure Track-Verfahren verbundene terreich und der Schweiz, aber auch in und vergleichbarer Positionen bei Evaluation der Forschungs- und Lehr- osteuropäischen Ländern (hier als Bei- knapp einem Prozent. leistungen („tenure evaluation“) trägt, spiel: Tschechien). In diesen Ländern Ganz anders ist die Situation in England und Frankreich, die – trotz al- ler sonstigen Unterschiede – beide über Abbildung 2 Universitätssysteme mit ausgeprägtem ⎫ 11% 13% 14% 10% ⎬ Tenure-Modell verfügen. Dort berech- „Oberbau“ Profesor W2/W3-Prof. Univ.-Prof. ⎭ Senior Staff Professor tigt die Berufung auf eine Stelle als (selbstständige 2% JP/Doz. 14% ⎫ Hochschullehrer) 20% 13% ao./assoz. Prof. ⎬ ⎭ Junior Staff Lecturer bzw. Maître de Conférences Docent 17% „ob. Mittelbau“ ⎫ ⎥ (die in der Regel nach der Promotion 20% ⎥ ⎥ bzw. einer Postdoc-Phase erfolgt) zu ⎥ ⎥ ⎥ selbstständiger Lehre und Forschung. ⎥ ⎥ Assisting Beim englischen Lecturer ist nach kur- „Mittelbau“ 69% 73% ⎬ ⎥ Staff 68% ⎥ zer Probezeit die unbefristete Anstel- (abhängiges (befristet/ (befristet) (befristet) 56% ⎥ unbefristet) ⎥ lung („tenure“) üblich, mit der Möglich- wissenschaft- (befristet) ⎥ ⎥ liches Personal) ⎥ keit des internen Aufstieges oder der ex- ⎥ ⎥ ternen Berufung zum Senior Lecturer ⎥ ⎭ und Professor. Der französische Maître Tschechien 2007 Deutschland 2009 Schweiz 2009 Österreich 2009 de Conférences ist Lebenszeitbeamter. Erwirbt er die (der deutschen Habilita- I Wiss. Mitarb. (befristet) I Wiss. Mitarb. (unbefristet) I Junior Staff (Tenure) I Junior Staff (a.Z./a.D.) I Professoren tion ähnliche) habilitation de diriger des recherches, kann er zum Professor
14 Forschung & Lehre 1|12 verleiht nicht, wie in den Tenure-Syste- Deutschlands und teilweise auch der men, die Promotion, sondern erst der Schweiz – unterhalb der ordentlichen Erwerb der Habilitation (oder eines Professur den Typus des selbstständigen Äquivalentes) die Befähigung zu selbst- Hochschullehrers mit eigenen Lehr- ständiger Forschung und Lehre. Alle und Forschungsaufgaben kennen, der Lehr- und Forschungstätigkeiten vor als Lecturer, Docent, Maître de Confé- der Habilitation gelten daher eo ipso als rences oder Assistant Professor dauer- „unselbstständig“. Die für Nichthabili- haft an einer Hochschule tätig ist. Diese tierte vorgesehenen Stellen werden des- auf den oberen Stufen sehr viel offene- halb vor allem als befristete Qualifikati- ren akademischen Karrierestrukturen onsstellen verstanden. In diesen vier bieten die Möglichkeit, mit den im Zuge noch stark vom klassischen Lehrstuhl- der Bildungsexpansion steigenden prinzip geprägten mitteleuropäischen Lehranforderungen und mit der sich in- Universitätssystemen sind etatmäßige Professuren (mit nur 11–14 Prozent der »An deutschen Hochschulen Stellen für hauptberufliches fehlt die Dozentenebene. wissenschaftliches Perso- Die akademische Juniorposition nal) eher rar. Auffällig ist, dass der universitäre Lehr- fällt praktisch aus.« körper sich in allen vier Ländern ganz überwiegend aus befristet tensivierenden Forschungsorientierung beschäftigtem Personal mit assistieren- der Universitäten flexibel umzugehen. der Funktion und in unselbstständiger An den deutschen Hochschulen fehlt Stellung zusammensetzt. dagegen die Dozentenebene. Die akade- Zur Habilitation muss allerdings in mische Juniorposition fällt praktisch diesen Ländern, ebenso wie in Deutsch- aus – abgesehen von den wenigen be- land, die Berufung auf eine Professur fristeten Juniorprofessuren, die größten- hinzukommen: Erst der „Berufene“ gilt teils sogar ohne Tenure Track ausge- als vollwertiger Hochschullehrer. Ein schrieben werden. neuralgischer Punkt sind deshalb im Die naheliegende Alternative, für die Habilitations-Modell die nicht auf Pro- alle anderen hier skizzierten europäi- fessuren berufenen Habilitierten. In schen Universitätssysteme bereits mehr Deutschland gibt es für sie, schon we- oder weniger deutlich optiert haben, ist gen des noch immer wirksamen Haus- die Ausweitung der Gruppe der selbst- berufungsverbotes, fast keine festen ständig lehrenden und forschenden Hochschullehrerstellen. In Österreich Hochschullehrer, speziell der Universi- ist das anders. Dort bleiben die nicht tätsdozenten, die nach strengen Quali- berufenen Habilitierten als außeror- tätskriterien berufen werden. Damit lie- dentliche (bzw. „assoziierte“) Professo- ßen sich die Aufgaben von Lehre, For- schung und Nachwuchsqualifizie- rung auf mehr Schultern verteilen, »In Deutschland gilt erst der qualifikations- und funktionsbezoge- ›Berufene‹ als vollwertiger ne Differenzierungen von Tätigkeits- schwerpunkten für einzelne Hoch- Hochschullehrer.« schullehrer würden erleichtert, und man wäre dann auch in der Lage, ren weiter an der Universität. Status- vielversprechende Postdocs aus dem In- rechtlich gehören sie aber weiterhin und Ausland für die deutschen Universi- zum Mittelbau, nicht zur „Professoren- täten gewinnen bzw. in Deutschland bank“. Ähnlich verhält es sich bei den halten zu können. Als Voraussetzung Dozenten in Tschechien, während in dafür ist freilich die allmähliche Reduk- der Schweiz die Habilitierten als Privat- tion der (von der Professorenschaft) ab- dozenten bzw. Titularprofessoren der hängigen archaischen Statusgruppe der statistischen Mischkategorie des „obe- „Assistierenden“ erforderlich – ein nicht ren Mittelbaus“ zugerechnet werden. ganz einfaches Unterfangen. Sie lehren und forschen zwar selbst- ständig, haben in den meisten Fällen * Gekürzte und teilweise neu bearbeitete Fas- aber keine Dauerstelle an der Universi- sung von R. Kreckel, „Karrieremodelle an Uni- versitäten im internationalen Vergleich.“ In: tät, ähnlich wie in Deutschland. A. Borgwardt, Hrsg., Der lange Weg zur Profes- Der vergleichende Blick auf die ver- sur, Berlin 2010, S. 33-44. Dort finden sich schiedenen Universitätssysteme zeigt auch ausführliche Quellenbelege und Literatur- somit, dass sie alle – mit Ausnahme hinweise.
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