Verfahrenspatente - Papiertiger oder wirksame Schutzrechte?

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Verfahrenspatente - Papiertiger oder wirksame Schutzrechte?
Verfahrenspatente – Papiertiger
oder wirksame Schutzrechte?
Gedanken zur „hinreichenden Wahrscheinlichkeit” i.S.d. §
140c PatG
9. Juni 2021

Werden Verfahrenspatente verletzt, sehen sich Patentinhaber nicht selten erheblichen
Beweisproblemen ausgesetzt. Erschwert wird eine effektive Rechtsdurchsetzung
zudem durch die strengen, von der Rechtsprechung für das Besichtigungsverfahren
gestellten Anforderungen. Um den Schutz durch Verfahrenspatente nicht leerlaufen
zu lassen, ist ein Umdenken hinsichtlich der Anforderungen an die „hinreichende
Wahrscheinlichkeit“ erforderlich, findet Stephan Neuhaus.

Ausgangspunkt                                         Erfindung gebührt dem Erfinder eine Belohnung, die
                                                      ihm in Form eines zeitlich begrenzten,
Gerade in den Bereichen der Biotechnologie, der       ausschließlichen Rechts, die Erfindung zu nutzen,
pharmazeutischen und chemischen Industrie             gewährt wird (BGH, GRUR 1969, 534, 535 –
können Innovationen im Herstellungsverfahren zu       Skistiefelverschluss; Rogge/Melullis in: Benkard,
bedeutenden Fortschritten führen. So kann             PatG, 11. Aufl., Einl., Rn. 1). In der Praxis stellt sich
beispielweise durch ein innovatives                   jedoch häufig die Frage, ob dieser Schutz das
Herstellungsverfahren die Ausbeute an einem           Papier wert ist, auf dem die Patentschrift gedruckt
gewünschten Arzneimittelwirkstoff in der Produktion   wurde.
deutlich erhöht werden (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 3.
April 2012, X ZR 90/09, BeckRS 2012, 12375, Rn.
18 – Gemcitabin). Für die Offenbarung seiner
                                                                                                  allenovery.com
Der Inhaber eines Verfahrenspatents steht                Die Voraussetzung der
    regelmäßig vor besonderen Schwierigkeiten, nicht
    nur theoretisch, sondern auch praktisch eine             „hinreichenden
    angemessene Entlohnung für seine Erfindung zu            Wahrscheinlichkeit“ einer
    erhalten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich
    die Anwendung des geschützten Verfahrens durch
                                                             Patentverletzung im deutschen
    einen (potentiellen) Verletzer nicht durch eine          Recht
    Analyse des hergestellten und vertriebenen
                                                             Nach § 140c Abs. 1 S. 1 PatG ist die Besichtigung
    Produkts feststellen lässt. Ist das hergestellte
                                                             oder die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde
    Erzeugnis nämlich selbst nicht neu, hilft dem
                                                             davon abhängig, dass der Besichtigungsschuldner
    Patentinhaber die Beweislastumkehr des § 139
                                                             „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit” eine
    Abs. 3 S. 1 PatG nicht weiter und ihn trifft die volle
                                                             Patentverletzung begeht. Was unter „hinreichender
    Beweislast für die Verwendung des geschützten
                                                             Wahrscheinlichkeit” zu verstehen ist, ist eine
    Verfahrens durch den Beklagten. Dieser Beweis
                                                             Wertungsfrage, die von den Gerichten auf Basis
    kann ihm aber nicht gelingen, ohne Einblick in das
                                                             objektiv bestimmbarer Aufklärungstatsachen
    Herstellungsverfahren selbst oder zumindest
                                                             beantwortet wird (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 27.
    entsprechende Dokumentationen nehmen zu
                                                             November 2019, 6 W 100/19, Juris-Rn. 3). Setzte
    können.
                                                             der BGH in seiner Rechtsprechung zur
    Verständlicherweise gewährt kein Unternehmen             Besichtigung nach § 809 BGB noch einen
    (freiwillig) Dritten – insbesondere Wettbewerbern –      „erheblichen Grad” an Wahrscheinlichkeit voraus
    Zugang zu seinen Produktionsanlagen. Auch                (BGH, GRUR 1985, 512, 2. LS – Druckbalken), soll
    entsprechende Dokumentationen, wie sie z.B. für          nunmehr zumindest ein „gewisser Grad” an
    die Zulassung von Arzneistoffen und deren                Wahrscheinlichkeit ausreichen, sofern die nicht von
    Herstellungsverfahren angefertigt und den                dem Besichtigungs- bzw. Vorlageverfahren
    zuständigen Behörden vorgelegt werden müssen,            betroffenen Voraussetzungen geklärt sind (BGH,
    werden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse            GRUR 2018, 1280, Rn. 16 – My Lai [zu einem
    streng geschützt. Abhilfe für derartige Fälle der        Anspruch nach § 809 BGB im Zusammenhang mit
    „Beweisnot” des Patentinhabers schafft in Common         dem Persönlichkeitsrecht]; LG München I, PharmR
    Law-Rechtsordnungen eine mehr oder weniger               2018, 268, 270; Kühnen, Handbuch der
    umfangreiche „Discovery” (vgl. zur US-Discovery          Patentverletzung, 13. Aufl. 2021, Rn. B.26). Das
    z.B. Pfeiffer, GRUR Int. 1999, 598). In Deutschland      OLG Frankfurt a.M. meint, dass als „praktischer
    bietet das seit der Richtline zur Durchsetzung von       Anhaltspunkt” eine hinreichende Wahrscheinlichkeit
    Rechten des Geistigen Eigentums (2004/48/EG,             dann vorliege, wenn die Patentverletzung eher
    Enforcement-RL) in § 140c PatG kodifizierte              wahrscheinlich als unwahrscheinlich sei, also ab
    Besichtigungs- und Dokumentenvorlageverfahren            einem Wahrscheinlichkeitsgrad von mehr als 50%
    eine Möglichkeit der Beweisgewinnung unter               (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 27. November
    gerichtlicher Aufsicht. Dennoch ist die Durchführung     2019, 6 W 100/19, Juris-Rn. 3).
    von Besichtigungsverfahren in der Praxis bislang
                                                             Als Aufklärungstatsachen, die für die Begründung
    eher die Ausnahme und nur selten erfolgreich – zu
                                                             einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der
    Unrecht.
                                                             Patentverletzung herangezogen werden können,
                                                             werden z.B. die Beschaffenheit von im patentfreien
                                                             Ausland vertriebenen Parallelprodukten, sowie
                                                             Angaben, die der Besichtigungsschuldner in
                                                             Werbeaussagen macht und die eine bestimmte
                                                             Beschaffenheit des Erzeugnisses indizieren, oder
                                                             Industriestandards, deren Einhaltung durch den
                                                             Inanspruchgenommenen naheliegend scheint,
                                                             genannt (Kaess in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9.

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Aufl. 2020, § 140c Rn. 8; Kühnen, Handbuch der         bislang typischerweise zur Abweisung eines
    Patentverletzung, Rn. B.28-31). Auch die               Besichtigungsantrags.
    Vermutungswirkung des § 139 Abs. 3 PatG wird
    hier angeführt.                                        Unter derartigen Umständen besteht demnach
                                                           praktisch keine Möglichkeit für den Patentinhaber,
    Die Beweisnot bei                                      eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ der
                                                           Patentverletzung zu begründen. Da ihm die
    Verfahrensansprüchen                                   Beweisgewinnung im Besichtigungsverfahren
    Die in der Literatur genannten Aufklärungstatsachen    verwehrt bleibt, hat er keine Möglichkeit, sein
    helfen dem Inhaber eines Verfahrenspatents jedoch      Schutzrecht durchzusetzen. Sind also
    häufig nicht weiter. Wenn sich das vertriebene         Verfahrenspatente in diesen Fällen wertlose
    Produkt zum Beispiel auch auf andere Weise als         Papiertiger?
    durch das geschützte Verfahren herstellen lässt,
    nutzt die Untersuchung des fertigen Gegenstands –      Europarechtskonforme
    ob im patentgeschützten Inland oder patentfreien       Auslegung
    Ausland – nichts. Öffentliche Aussagen über sein
    Herstellungsverfahren wird der unberechtigte           Die Lösung liegt in einer europarechtskonformen
    Nutzer des patentgeschützten Verfahrens                Auslegung des Begriffs der „hinreichenden
    vermeiden. Ist das hergestellte Erzeugnis an sich      Wahrscheinlichkeit” in Zusammenspiel mit den
    gegenüber dem Stand der Technik nicht neu, hilft       Möglichkeiten zum Schutz von Betriebs- und
    auch § 139 Abs. 3 PatG nicht weiter, zumal in          Geschäftsgeheimnissen nach dem sog.
    einem Fall des § 139 Abs. 3 PatG ein                   Düsseldorfer Verfahren.
    Besichtigungsverfahren dem Grunde nach gar nicht
                                                           Das Erfordernis der „hinreichenden
    nötig erscheint, weil aufgrund der
                                                           Wahrscheinlichkeit” gem. § 140c PatG soll
    Vermutungswirkung mit Beweislastumkehr in
                                                           sicherstellen, dass ein Besichtigungsantrag nicht
    solchen Situationen bereits eine substantiierte
                                                           „ins Blaue hinein” erfolgt, berücksichtigt aber, dass
    Klage erhoben werden kann.
                                                           die Frage der Rechtsverletzung letztlich eben
    Es mag Fälle geben, in denen sich gutachterlich        ungewiss bleiben kann (Kühnen, Handbuch der
    bestätigen lässt, dass sich beispielsweise das         Patentverletzung, Rn. B.26; Kaess in:
    Erzeugnis ohne Nutzung des patentgeschützten           Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 140c
    Verfahrens zwar theoretisch herstellen lässt, dies     Rn. 8). § 140c PatG dient der Umsetzung von Art. 6
    aber gegenüber der Nutzung des geschützten             und 7 der Enforcement-RL (BR-Drs. 64/07 S. 62,
    Verfahrens nicht wirtschaftlich darstellbar wäre und   65). Die Enforcement-RL ist mindestharmonisierend
    ein Produkt zu den Preisen des Wettbewerbers so        (BR-Drs. 64/07 S. 56 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1
    praktisch nicht angeboten werden könnte. Solche        Enforcement-RL). Die durch § 140c PatG gewährte
    eindeutigen Fälle dürften jedoch die Ausnahme          Besichtigung darf folglich nicht unter strengere
    sein. Häufig ist zwar das patentgeschützte             Voraussetzungen gestellt werden, als von Art. 7
    Verfahren erheblich wirtschaftlicher, aber das         Enforcement-RL bestimmt. Art. 7 Abs. 1
    Produkt des Besichtigungsschuldners lässt sich         Enforcement-RL macht die Gewährung eines
    auch auf patentfreiem Weg, wenn auch für eine          Besichtigungsanspruches aber schon im
    deutlich niedrigere – dem Besichtigungsgläubiger       Ausgangspunkt nicht von einer „hinreichenden
    naturgemäß unbekannte – Gewinnmarge herstellen.        Wahrscheinlichkeit” abhängig, sondern verlangt,
    An den Nachweis einer hinreichenden                    dass die Antragstellerin „alle vernünftigerweise
    Wahrscheinlichkeit der Patentverletzung auf diesem     verfügbaren Beweismittel zur Begründung ihrer
    Weg stellt die Rechtsprechung sehr strenge             Ansprüche, dass ihre Rechte an geistigem
    Anforderungen (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v.     Eigentum verletzt worden sind oder verletzt zu
    27. November 2019, 6 W 100/19, Juris-Rn. 4; LG         werden drohen”, vorlegt. Das Erfordernis der
    München I, PharmR 2018, 268, 272). Dies führt          „hinreichenden Wahrscheinlichkeit” gem. § 140c
                                                           PatG ist vor diesem Hintergrund auszulegen.

3   allenovery.com
Die Enforcement-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten      seines Verfahrens eher wahrscheinlich ist als jene
    außerdem, Maßnahmen zur Sicherung der                    des Verfahrens des anderen.
    rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der
    behaupteten Verletzung vorzusehen, die wirksam           Macht man also ernst mit dem Schutz von
    sind, sofern der Schutz vertraulicher Informationen      Verfahrenserfindungen, muss eine Besichtigung
    gewährleistet wird. Ziel ist es, dem                     auch in Betracht kommen, wenn das Gericht nicht
    Schutzrechtsinhaber die Durchsetzung seines              bereits aus den vorliegenden Indizien darauf
    Schutzrechts zu ermöglichen. Es ist damit nicht          schließen kann, dass eine Anwendung des
    zulässig, dem Patentinhaber die Durchsetzung             geschützten Verfahrens wahrscheinlicher ist (wenn
    seines Schutzrechts praktisch unmöglich zu               also die Schwelle von 50% nicht überschritten ist).
    machen, indem zu strenge Anforderungen an die            Ob dies in dem Kriterium des „gewissen Grads” an
    Darlegung der Wahrscheinlichkeit einer                   Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck kommt, wie es
    Patentverletzung gestellt werden.                        teilweise in Rechtsprechung und Literatur genannt
                                                             wird (s.o.), bleibt allerdings unklar. Die praktische
    50:50 = „wahrscheinlich“ genug?                          Anwendung erleichtern die verschiedenen
                                                             „Wahrscheinlichkeitstermini” nicht.
    Wie „wahrscheinlich” muss nun aber die
    Rechtsverletzung sein, damit ein                         Besichtigung, wenn alle
    Besichtigungsanspruch gewährt wird? Da es sich
    letztlich um eine durch das Gericht zu treffende         „vernünftigerweise verfügbaren
    Abwägung handelt, sind prozentuale Angaben               Beweismittel“ (Art. 7
    wenig hilfreich. Aber auch die wertende Betrachtung
    im Einzelfall bereitet Schwierigkeiten. In einem Fall,   Enforcement-RL) vorliegen
    in dem zwei gleichermaßen verfügbare                     Es stellt sich daher die Frage, ob bei der
    Herstellungsverfahren in Betracht kommen, von            Entscheidung über den Besichtigungsantrag nicht
    denen aber nur eines durch das                           besser dem in der Enforcement-RL genannten
    streitgegenständliche Verfahrenspatent geschützt         Kriterium größere Bedeutung geschenkt werden
    ist, wird man im Regelfall (in Abwesenheit weiterer      sollte, nach dem es darauf ankommt, dass der
    Indizien) nicht ohne Weiteres davon ausgehen             Besichtigungsgläubiger alle „vernünftigerweise
    können, dass die Verwendung des geschützten              verfügbaren Beweismittel” zur Begründung seiner
    Verfahrens „eher wahrscheinlich als                      Vermutung der Patentverletzung vorlegen muss.
    unwahrscheinlich” ist (siehe die oben zitierte           Dabei können vom Patentinhaber zumutbare
    Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.).                    Anstrengungen verlangt werden, wie zum Beispiel
    Andersherum betrachtet ist es aber ebenso wenig          auch aufwändige Versuche, wenn sich damit eine
    „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich”, dass         Aufklärung des Sachverhalts erwarten lässt. So hat
    das geschützte Verfahren nicht verwendet wird. Will      beispielsweise das LG Braunschweig einen
    man hier das Argument gelten lassen, dass sich der       Besichtigungsanspruch (wohl richtigerweise)
    Inanspruchgenommene im Zweifel rechtstreu                zurückgewiesen, weil der Patentinhaberin eigene
    verhalten und fremde Schutzrechte grundsätzlich          zumutbare Möglichkeiten der Sachaufklärung zur
    respektieren wird, d.h. im Zweifel ein verfügbares       Verfügung standen. Die Gegnerin hatte dort eine
    patentfreies (ggf. auch weniger optimales)               Probe zur Verfügung gestellt, durch deren Analyse
    Verfahren wählt, nimmt man dem Patentinhaber             die Patentinhaberin die erforderlichen Tatsachen
    jegliche Möglichkeit, sein Schutzrecht                   selbst hätte ermitteln können (LG Braunschweig,
    durchzusetzen. Selbst in einem konstruierten Fall,       Urteil vom 05. August 2016 – 9 O 2539/15). Hat der
    in dem für zwei in Betracht kommende,                    Patentinhaber hingegen sämtliche Möglichkeiten
    gleichwertige Herstellungsverfahren Patente an           zur Erlangung vernünftigerweise verfügbarer
    zwei unterschiedliche Patentinhaber erteilt wurden,      Beweismittel ausgeschöpft, muss ihm im Wege des
    wären diese praktisch wertlos. Keiner der                Besichtigungsverfahrens jedenfalls die Möglichkeit
    Patentinhaber könnte gegenüber dem Dritten               zur Sachaufklärung erhalten bleiben.
    Hersteller glaubhaft machen, dass die Anwendung

4   allenovery.com
Wahrung von Betriebs- und                            Mandanten gegenüber zur Verschwiegenheit
                                                         verpflichteten anwaltlichen Vertretern des
    Geschäftsgeheimnissen des                            Besichtigungsgläubigers nur das Gutachten des
    Besichtigungsschuldners im                           gerichtlich bestellten Sachverständigen zu
                                                         offenbaren. Auf diese Weise können sensible
    „Düsseldorfer Verfahren“                             Dokumente wie z.B. ganze Module vertraulicher
    Bedenken werden einer großzügige(re)n                arzneimittelrechtlicher Zulassungsunterlagen oder
    Gewährung von Besichtigungsansprüchen vor allem      Herstellungschargen-Protokolle zunächst durch den
    entgegengebracht, weil es dadurch zu einer           gerichtlichen Sachverständigen aufgrund des
    wahllosen Besichtigung „ins Blaue hinein” kommen     Parteivortrags zum Verletzungssachverhalt auf die
    könne (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung,        wesentlichen Tatsachen hin „gefiltert“ werden.
    Rn. B.26). Das deutsche Recht kenne aber keinen      Unklarheiten können dann ggf. im Rahmen von
    Ausforschungsbeweis (OLG Frankfurt a.M., Beschl.     Anträgen zur Gutachtenergänzung ausgeräumt
    v. 27. November 2019, 6 W 100/19, Juris-Rn. 3).      werden. So kann ein maximaler Schutz vertraulicher
    Dem liegt vor allem die berechtigte Befürchtung      Informationen des Besichtigungsschuldners
    zugrunde, aufgrund einer bloß vermuteten, ggf. nur   gewährleistet werden. Das Düsseldorfer Verfahren
    entfernt möglichen Patentverletzung könnte der       erlaubt also, je nach „Wahrscheinlichkeit“ einer
    Patentinhaber Zugang zu sensiblen Betriebs- und      Patentverletzung flexibel eine Lösung zu finden, die
    Geschäftsgeheimnissen des                            mögliche Geschäftsgeheimnisse des
    Besichtigungsschuldners erlangen.                    Besichtigungsschuldners wirksam schützt, ohne
                                                         dass dem Besichtigungsgläubiger die Durchsetzung
    Es besteht also ein Spannungsverhältnis zwischen     seines Schutzrechts von vorneherein unmöglich
    dem Schutz von Betriebs- und                         gemacht wird.
    Geschäftsgeheimnissen des mutmaßlichen
    Verletzers auf der einen und dem durch Art. 14 GG    Fazit
    geschützten Ausschließlichkeitsrecht des
    Patentinhabers auf der anderen Seite. Ein            Dem Besichtigungsantrag des Patentinhabers ist
    Ausgleich kann und muss hier jedoch getroffen        grundsätzlich stattzugeben, wenn dem
    werden, ohne dass dem Patentinhaber jegliche         Patentinhaber keine vernünftigerweise verfügbaren
    Möglichkeit zur Durchsetzung seines Schutzrechts     alternativen Möglichkeiten mehr zur Gewinnung von
    genommen wird. Dies gelingt durch eine flexible      Beweismitteln zur Verfügung stehen. Auf eine
    Anwendung der Geheimhaltungsmechanismen im           „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ im Sinne einer
    sog. „Düsseldorfer Verfahren” (vgl. dazu z.B.        „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ darf es nicht
    Deichfuß, GRUR 2015, 436). Gemäß dem                 ankommen. Den berechtigten Interessen des
    Düsseldorfer Verfahren wird die Partei selbst von    Besichtigungsschuldners an einer Sicherung seiner
    der Besichtigung ausgeschlossen und in einem         Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kann durch
    ersten Schritt erhalten neben dem gerichtlich        eine auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittenen
    bestellten Sachverständigen lediglich ihre           Ausgestaltung des Düsseldorfer Verfahrens
    anwaltlichen und patentanwaltlichen Vertreter        Rechnung getragen werden. Die Vorzüge der
    Zugang zum Besichtigungsgegenstand. Die Partei       flexiblen Ausgestaltung des Düsseldorfer
    erhält später nur dann Zugang zu dem                 Verfahrens hat auch der Gesetzgeber erkannt, der
    Besichtigungsergebnis in Form des im                 im Regierungsentwurf zum § 145a Patentgesetz die
    Freigabeverfahren freigegebenen                      Anwendung der Vorschriften des
    Sachverständigengutachtens, wenn sich ein            Geschäftsgeheimnisgesetzes gerade nicht auf das
    Verletzungssachverhalt erhärtet hat. Ebenso ist es   selbständige Beweisverfahren erstreckt (vgl. S. 65
    aber auch möglich, nur dem gerichtlich bestellten    des Regierungsentwurfs). Die §§ 16 ff. GeschGehG
    Sachverständigen Zugang zu dem zu                    erlauben nämlich, anders als das Düsseldorfer
    besichtigenden Verfahren oder entsprechenden         Verfahren, keinen vollständigen Ausschluss der
    Unterlagen zu gewähren und selbst den ihrem          Kenntnisnahme von geheimhaltungsbedürftigen

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Informationen durch die gegnerische Partei (vgl. §           muss, ein nicht unwesentliches finanzielles Risiko
    19 Abs. 1 GeschGehG).                                        dar und wird daher nicht leichtfertig gestellt werden.
                                                                 Dort, wo die Besichtigung ohne Beeinträchtigung
    Die Sorge, dass es bei dieser Handhabung von                 der Produktion im laufenden Verfahren durch
    Besichtigungsanträgen zu einer unzulässigen                  minimalinvasive Entnahme von Proben oder bloße
    Ausforschung kommt oder gar die Gerichte mit                 Beobachtung erfolgen kann (oder durch
    einer Flut von unberechtigten                                Inaugenscheinnahme von Dokumenten durch den
    Besichtigungsanträgen überlastet würden, dürfte              gerichtlich bestellten Sachverständigen), besteht
    unbegründet sein. Ein Patentinhaber wird den                 zudem unter dem Gesichtspunkt einer möglichen
    erheblichen Zeit- und Kostenaufwand für ein                  Beeinträchtigung der Produktion auch kein
    Besichtigungsverfahren nicht ohne plausiblen                 schutzwürdiges Interesse des
    Grund riskieren (auch wenn seine Vermutung einer             Besichtigungsschuldners. Seinen berechtigten
    Patentverletzung vielleicht nicht die Grenze von             Interessen an der Geheimhaltung seiner
    „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich”                   Geschäftsgeheimnisse kann, wie gesagt, durch
    überschreiten mag). Hinzu kommt, dass der                    graduell entsprechende Ausgestaltung des
    Besichtigungsgläubiger, sollte sich eine Verletzung          Verfahrens (Geheimhaltungsverpflichtung der
    nicht feststellen lassen, gem. § 140c Abs. 5 PatG            anwaltlichen Vertreter des Besichtigungsgläubigers
    zum Ersatz des durch die Besichtigung                        oder Besichtigung nur durch den gerichtlich
    entstandenen Schadens verpflichtet ist. Ggf. kann            bestellten Sachverständigen ggf. in Begleitung
    das Gericht die Durchführung der Besichtigung von            eines Mitglieds des Gerichts usw. und Mitteilung nur
    der Leistung einer entsprechenden Sicherheit                 des Besichtigungsergebnisses an die zur
    abhängig machen. Ein Besichtigungsantrag stellt              Vertraulichkeit verpflichteten Anwälte des
    also für den Patentinhaber, wenn z.B. für die                Besichtigungsgläubigers) Rechnung getragen
    Besichtigung die Produktion unterbrochen werden              werden.

      Key points/1 minute read/Summary
      Für die Durchsetzung von (Herstellungs-)Verfahrenspatenten sind Patentinhaber häufig auf Informationen
      aus dem eigentlichen Herstellungsverfahren oder aus vertraulichen (Zulassungs-)Unterlagen des möglichen
      Verletzers angewiesen. Das Besichtigungsverfahren nach § 140c PatG bietet hier eine wirksame Methode
      der Beweismittelgewinnung in Deutschland – einer Rechtsordnung in der es an einer „Discovery“ fehlt. Bei
      dem Erlass von Besichtigungsanordnungen legen die Gerichte jedoch strenge Maßstäbe an und verlangen
      tatsächliche Indizien dafür, dass eine Patentverletzung „hinreichend wahrscheinlich“ ist. Wann dies der Fall
      ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Bestehen alternative (eventuell sogar patentfreie)
      Möglichkeiten zur Herstellung, bleibt der Besichtigungsantrag häufig erfolglos. Stephan Neuhaus plädiert für
      eine europarechtskonforme Auslegung, bei der einem Besichtigungsantrag dann stattzugeben ist, wenn
      „sämtliche verfügbaren Beweismittel“ vorgelegt sind, der Verletzungssachverhalt aber dennoch unklar bleibt.
      Ansonsten werden Verfahrenspatente, deren Schutz der Gesetzgeber ausdrücklich vorsieht, praktisch
      entwertet. Berechtigten Interessen des Besichtigungsschuldners an dem Schutz seiner Betriebs- und
      Geschäftsgeheimnisse kann durch die flexible Ausgestaltung des sog. „Düsseldorfer Verfahrens“ Rechnung
      getragen werden.

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