Verschleppt, misshandelt, getötet

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Verschleppt, misshandelt, getötet
ZEITGESCHICHTE

                                      Heimkehr aus russischer Lagerhaft: Die schwerkranke Margarethe Ottillinger bei der Ankunft im Bahnhof Wiener Neustadt.

                                         Verschleppt, misshandelt, getötet
                                        Während der Besatzungszeit von 1945 bis 1955 verschleppten die sowjetischen Besatzer mehr als
                                       1.000 Österreicherinnen und Österreicher, darunter leitende Polizisten und Ministerialbeamte. Einige
                                            von ihnen wurden hingerichtet oder überlebten die Strapazen in der Gefangenschaft nicht.
                                            er Kriminalbeamte Anton Marek        Kollegen mit, wohin er gehe und dass       diese Weise den Marek zu befreien“,

                                      D     leitete nach dem Zweiten Welt-
                                            krieg die Gruppe 5 der Staatspoli-
                                      zei im Bundesministerium für Inneres
                                                                                 er nach etwa einer Stunde in das Büro
                                                                                 zurückkehren werde. Als er nach mehr
                                                                                 als zwei Stunden nicht zurückgekom-
                                                                                                                            erinnerte sich Pammer in der ORF-Do-
                                                                                                                            kumentation „Österreich II“. Die Poli-
                                                                                                                            zisten kamen zu spät. Marek war be-
                                      (BMI). Die Einheit unterstand direkt       men war, riefen seine Kollegen den         reits in das sowjetische Gefängnis nach
                                      dem Innenminister Oskar Helmer. Die        Leiter der Abteilung 2 (Staatspolizeili-   Baden gebracht worden. Die Bundesre-
                                      Beamten dieser Gruppe sollten unter        ches Büro), Ministerialrat Dr. Maximi-     gierung protestierte erfolglos beim Al-
                                      anderem Übergriffen der Besatzungs-        lian Pammer, an. Pammer ahnte, dass        liierten Rat gegen die Verschleppung
                                      macht nachgehen, die Sowjets beob-         Marek von den Sowjets festgehalten         Mareks.
                                      achten und Beweise sammeln. Marek          worden sein könnte und besprach die            Anton Marek, geboren am 28. Sep-
                                      war auch mit den Einvernahmen von          Situation mit dem Leiter der Staatspoli-   tember 1889 in Budapest-Vasas hatte
FOTO: VOTAVA/IMAGNO/PICTUREDESK.COM

                                      Flüchtlingen betraut, um zu staatspoli-    zeilichen Abteilung der Polizeidirekti-    beim Putschversuch der Nationalsozia-
                                      zeilich relevanten Informationen zu        on Wien, Dr. Oswald Peterlunger. Ge-       listen im Juli 1934 Aufständische in ei-
                                      kommen.                                    plant war eine Blitzaktion. „Wir ... be-   ner Turnhalle in der Siebensterngasse
                                         Oberinspektor Anton Marek war           schlossen, dass wir die Sowjetkom-         in Wien-Neubau aufgespürt. Deshalb
                                      mehrmals in der sowjetischen Stadt-        mandantur mit Patrouillenwagen der         wurde er nach der nationalsozialisti-
                                      kommandantur in Wien. Am 17. Juni          Polizei umstellen und mit jedem Wa-        schen Machtübernahme am 13. März
                                      1948 ersuchte ihn sein sowjetischer        gen, der aus der Kommandantur he-          1938 verhaftet und am 2. April 1938
                                      Verbindungsoffizier, in die Komman-        rauskommt, wenn notwendig eine Ka-         als „Schutzhäftling“ in das Konzentra-
                                      dantur zu kommen. Marek teilte seinen      rambolage bewerkstelligen, um auf          tionslager Dachau gebracht. Am 27.

                                      ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/22                                                                                             61
Verschleppt, misshandelt, getötet
ZEITGESCHICHTE

September 1939 wurde Marek in das                                                    de am 18. September 1951 von den
KZ Flossenbürg überstellt und am 2.                                                  Sowjets in Oberösterreich festgenom-
März 1940 kam er in das KZ Dachau                                                    men. Ein Militärtribunal verurteilte ihn
zurück. Am 22. April 1940 wurde er                                                   am 4. Dezember 1951 zum Tode we-
aus dem KZ entlassen.                                                                gen „Spionage“ für die USA. Ein Gna-
    Marek wurde am 7. Februar 1951                                                   dengesuch wurde vom Politbüro des
von einem sowjetischen Militärtribunal                                               Zentralkomitees der UdSSR abgelehnt.
wegen „Spionage“ und „Teilnahme an                                                   Feichtinger wurde am 1. März 1952 in
einer verbrecherischen Organisation“                                                 Moskau erschossen. Seine Asche wur-
zum Tod durch Erschießen verurteilt.      Margarethe Ottillinger 1949 in sowjeti-    de auf dem Donskoi-Friedhof in Mos-
Die Todesstrafe wurde am 19. März         scher Haft.                                kau in einem Massengrab beigesetzt.
1951 vom Obersten Gericht der                                                        Seine Hinterbliebenen erfuhren erst im
UdSSR in eine 25-jährige Freiheitsstra-       Der Verschleppung entgangen. An-       Frühjahr 1957 von der Hinrichtung.
fe umgewandelt. Marek wurde in die        dere hochrangige Beamte des Innenres-      Ernst Feichtinger wurde am 12. Jänner
Sowjetunion gebracht, wo er die Strafe    sorts entgingen einer Verschleppung        1998 in Russland rehabilitiert.
in Zwangsarbeitslagern verbüßte. Nach     nach Sibirien. Im Oktober 1946 verhaf-
der Unterzeichnung des Staatsvertrags     teten die Sowjets den Sicherheitsdirek-       Polizist, SS-ler und US-Agent. Al-
am 15. Mai 1955 wurden die letzten        tor von Niederösterreich, Hofrat Franz     fred Fockler, geboren am 31. Jänner
noch in sowjetischen Lagern gefangen      Baier, weil er eine Weisung des Sow-       1907 in Wien, trat in die Wiener Si-
gehaltenen Österreicher begnadigt und     jetvertreters nicht weitergegeben hatte,   cherheitswache ein und wurde 1934
durften nach Österreich zurückkehren.     wonach „im niederösterreichischen          der Alarmabteilung zugeteilt. Bei der
Mit dem 70. Heimkehrertransport traf      Sowjetsektor Streiks und öffentliche       Niederschlagung des Putschversuches
Anton Marek am 25. Juni 1955 auf          Demonstrationen jeder Art für verbo-       der illegalen Nazis am 25. Juli 1934
dem Bahnhof Wiener Neustadt ein. Er       ten erklärt werden“. Baier wurde von       war Fockler bei der Räumung der von
wurde von seinem Sohn und seiner          einem sowjetischen Militärgericht we-      den Aufständischen besetzten Radio-
Schwiegertochter empfangen; seine         gen Sabotage von Befehlen der sowje-       Verkehrs-AG eingesetzt. Nach der
Frau war inzwischen verstorben.           tischen Kommandantur zu drei Jahren        Machtübernahme der Nationalsozialis-
    Außer Marek wurden einige andere      Haft verurteilt, aber am 23. Dezember      ten im März 1938 in Österreich wurde
Exekutivbeamte verschleppt, unter ih-     1946 aus der Haft entlassen, nachdem       die Polizei „gesäubert“. Die neuen
nen der Gendarm Franz Kiridus, der        die Strafe in bedingte Haft umgewan-       Machthaber erwogen, auch Fockler au-
ebenfalls in der Staatspolizei im BMI     delt worden war.                           ßer Dienst zu stellen. Weil der Polizist
tätig war. Kiridus wurde am 16. Juli          Baiers Nachfolger als Sicherheitsdi-   festgenommene Nazis aber „anständig
1948 an der Zonengrenze auf dem           rektor, Hofrat Andreas Liberda, hatte      behandelt“ hatte, wurde er im Dienst
Semmering von sowjetischen Soldaten       ebenfalls Probleme mit der russischen      belassen. Fockler arrangierte sich mit
festgenommen, wie Marek wegen             Besatzungsmacht. Am 4. Dezember            den Nationalsozialisten, trat in die SS
Spionage zum Tod verurteilt und später    1949 wurde die Frau eines Gendarmen        ein und war 1943 SS-Sturmscharfüh-
zu 25 Jahren Haft begnadigt. Er konnte    bei einem Nikolaus-Fest in einem           rer. Er war auch Mitglied der National-
ebenfalls nach Abschluss des Staats-      Gasthaus in Hausmening von einem           sozialistischen Volkswohlfahrt (NSV),
vertrags 1955 nach Österreich zurück-     betrunkenen sowjetischen Offizier be-      der zahlreiche Hilfsorganisationen der
kehren.                                   lästigt. Daraufhin kam es auf dem          Nazis unterstanden. Ende 1942 wurde
    Im Zusammenhang mit der Ver-          Heimweg zwischen dem Gendarmen             Fockler über sein Ansuchen in den hö-
schleppung von Marek und Kiridus          und dem Offizier zu einer Auseinan-        heren Vollzugsdienst der Sicherheits-
wurden von den Sowjets im Herbst          dersetzung. Dabei stürzte der Russe        polizei aufgenommen. Er versah einige
1948 zwei weitere Männer festgenom-       von einer Brücke in die Ybbs und er-       Zeit Dienst in Minsk, Wien und Köln.
men – Igor Mermelstein und Viktor         trank. Innenminister Oskar Helmer ver-     Dort nahmen ihn zu Kriegsende ameri-
Ruew. Mermelstein arbeitete bei der       weigerte die von den Sowjets geforder-     kanische Soldaten gefangen und brach-
Handelsabteilung des sowjetischen         te Auslieferung des Gendarmen, weil        ten ihn in die USA, wo er als Agent
Elements der Alliierten Kommission.       eine Untersuchung durch österrei-          ausgebildet wurde. Er arbeitete im Pri-
                                                                                                                                FOTO: LUDWIG BOLTZMANN INSTITUT FÜR KRIEGSFOLGEN-FORSCHUNG

Er soll von einem Mitarbeiter Mareks      chische Behörden die Schuldlosigkeit       soners of War Interrogation Office
als Agent gegen die Sowjets angewor-      des Beamten ergeben habe. Daraufhin        (PIO) in Washington und unterstützte
ben worden sein. Ruew war Dolmet-         forderten die Sowjets am 10. Dezem-        die Amerikaner bei der Suche nach
scher bei der sowjetischen Erdölver-      ber 1949 in einer Note an die Bundes-      ehemaligen Angehörigen der Gestapo,
waltung im Büro für Tiefbohrungen. Er     regierung die Verhaftung und Ausliefe-     der SS und des SD. Er unterrichtete
soll ab Mai 1948 drei Berichte über die   rung des Sicherheitsdirektors Liberda.     US-Offiziere auch in Verhörmethoden
sowjetische Ölindustrie an Mitarbeiter    Auch das verweigerte Helmer.               und Kriminalistik.
von Mareks Gruppe 5 übergeben ha-                                                       Nach seiner Rückkehr nach Öster-
ben. Mermelstein und Ruew wurden zu          Erschossen in Moskau. Ernst Feich-      reich im Herbst 1945 wurde Fockler
25 Jahren Haft verurteilt. Ruew starb     tinger, geboren am 16. Oktober 1914 in     als Kriminalbeamter in die Bundespoli-
am 13. Dezember 1953 in einem sow-        Wiener Neustadt, war von 1940 bis          zeidirektion Wien aufgenommen. Im
jetischen    Straflager.   Mermelstein    1945 Soldat in der Deutschen Wehr-         Frühjahr 1946 begann er, für einen US-
konnte im Dezember 1956 nach Öster-       macht. Nach Kriegsende trat er in die      Geheimdienst zu arbeiten. Als „Alfred
reich zurückkehren.                       Sicherheitswache ein. Der Polizist wur-    Müller“ war er für die Amerikaner im

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Verschleppt, misshandelt, getötet
V E R S C H L E P P U N G E N I N D E R B E SAT Z U N G SZ E I T

                         Wotrubakirche in Wien-Mauer: Margarethe Ottillinger initiierte Hinweistafel der US-Besatzer auf die Grenze zur sowjetischen
                         den Bau der Kirche auf dem Georgenberg.                        Zone auf der Höhenstraße in Wien (Polizeimuseum Wien).

                         vereinigten alliierten Kommando in          Sowjets in der Alliierten Kommission       um den spektakulärsten Entführungs-
                         Europa (SHAEF) in Frankfurt am Main         für Österreich, zu den Amerikanern         fall im Österreich der Nachkriegszeit.
                         tätig, kehrte aber bald nach Wien zu-       überlaufen konnte.                         Ottillinger hatte mit ihrem Chef Peter
                         rück, wo er im „Security Office“ des            Alfred Fockler wurde neben Spiona-     Krauland, dem Bundesminister für
                         US-Oberkommandos in Österreich be-          ge gegen die Sowjetunion im Auftrag        Vermögenssicherung und Wirtschafts-
                         schäftigt und Mitarbeiter des US-Ge-        der US-Dienste auch vorgeworfen,           planung, in Linz an einer Dienstbespre-
                         heimdienstes „Strategic Service Unit“       während seiner Zeit in Minsk als SS-       chung in der „Hütte Linz“ und einer
                         (SSU) war. Nach der Reorganisation          Angehöriger an Massenerschießungen         Veranstaltung teilgenommen, bei der
                         der SSU im Sommer 1947 arbeitete er         beteiligt gewesen zu sein. Er soll         Bundeskanzler Leopold Figl einen
                         in der Wien-Dependance der „External        Agenten angeworben haben, darunter         Vortrag gehalten hatte. Bei der Rück-
                         Survey Division 22“ (ESD 22).               Angehörige der Roten Armee. Fockler        fahrt nach Wien wurde das Auto gegen
                             Die Agententätigkeit Focklers blieb     wurde zum Tod durch Erschießen ver-        15:30 Uhr bei der Ennsbrücke in St.
                         den sowjetischen Besatzern nicht ver-       urteilt. Die Todesstrafe gegen „Vater-     Valentin, der Besatzungszonengrenze,
                         borgen. Einige sowjetische Offiziere        landsverräter, Spione“ und „subversive     von sowjetischen Besatzungssoldaten
                         waren zu den Amerikanern übergelau-         Diversanten“ war erst im Jänner 1950       angehalten. Krauland und Ottillinger
                         fen oder hatten ihnen Informationen         wieder eingeführt worden. Anfang Ok-       wurden in die sowjetische Komman-
                         geliefert. Am 23. April 1948 hielten        tober 1951 verfasste der Verurteilte ein   dantur in St. Valentin gebracht. Wäh-
                         Soldaten der Roten Armee zwischen           Gnadengesuch: „Mit Urteil des Kriegs-      rend der Wirtschaftsminister und der
                         St. Pölten und Amstetten ein Auto an        kollegiums des Obersten Gerichtshofes      Chauffeur am Abend ihre Fahrt nach
                         und zwangen die vier Insassen mitzu-        der UdSSR vom 1.10.1951 wurde ich          Wien fortsetzen konnten, wurde Ottil-
                         kommen. Einer von ihnen war Alfred          zum Tod durch Erschießen verurteilt.       linger festgehalten und in die sowjeti-
                         Fockler, der angab, zu seiner Frau und      Ich bitte, das Urteil im Gnadenwege        sche Kommandantur nach Baden ge-
                         seiner Tochter nach Gmunden fahren          abzuändern, und bitte dabei um Be-         bracht. Ihr wurde vorgeworfen,
                         zu wollen. Während die drei Mitreisen-      rücksichtigung, dass ich in der Unter-     NSDAP-Mitglied gewesen zu sein. Au-
                         den bald freigelassen wurden, blieb         suchung die Aussagen freiwillig und        ßerdem habe sie für die USA spioniert
                         Fockler in Haft. Bei den Verhören sag-      vollkommen abgegeben habe ...“             und einem Russen bei der Flucht in den
                         te er unter anderem aus, dass ein Offi-         Das Oberste Gericht der UdSSR          Westsektor geholfen. Die Bundesregie-
                         zier des sowjetischen Militärstabs in       leistete dem Gnadengesuch nicht Fol-       rung protestierte beim sowjetischen
                         Baden den US-Nachrichtendienst ODI          ge. Alfred Fockler wurde am 1. No-         Hochkommissar erfolglos gegen die
                         in Wien gegen Bezahlung mit Informa-        vember 1951 in Moskau von einem Er-        willkürliche Verhaftung der Sektions-
                         tionen beliefere. Die Verbindung zwi-       schießungskommando         hingerichtet.   leiterin.
                         schen dem Offizier und den Amerika-         Die Leiche wurde eingeäschert und die          Margarethe Ottillinger, geboren am
                         nern habe Margarethe Ottillinger her-       Asche in einem Massengrab auf einem        6. Juni 1919 in Steinbach in Nieder-
                         gestellt, die Leiterin der wichtigen Pla-   Friedhof in Moskau bestattet. Focklers     österreich, studierte als eine der weni-
                         nungssektion im Bundesministerium           Rehabilitierung wurde von einem rus-       gen Frauen Handelswissenschaften an
                         für Vermögenssicherung und Wirt-            sischen Gericht am 9. Juli 2002 abge-      der Hochschule für Welthandel, der
                         schaftsplanung. Sie habe als Agentin        lehnt.                                     späteren Wirtschaftsuniversität, und
                         für die Amerikaner gearbeitet, wertvol-                                                promovierte 1940 als 21-Jährige. Die
                         le Informationen geliefert und auch            Überlebt im Gulag. Ein halbes Jahr      hochbegabte Frau hatte sich ihr Studi-
FOTOS: WERNER SABITZER

                         Kontakte zu anderen Sowjetbürgern in        nach Alfred Focklers verhängnisvollen      um als Werkstudentin bei einem Spedi-
                         Österreich gehabt. Im Herbst 1946 ha-       Aussagen wurde Sektionsleiterin Mar-       tionsunternehmen selbst finanziert. Sie
                         be Ottillinger dazu beigetragen, dass       garethe Ottillinger am 5. November         erhielt eine Anstellung bei der „Reichs-
                         Andrej Ivanovic Didenko, ein Inge-          1948 von sowjetischen Besatzungssol-       vereinigung Eisen“ und wurde 1942
                         nieur der Wirtschaftsabteilung der          daten festgenommen. Es handelte sich       stellvertretende Leiterin der Außenstel-

                         ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/22                                                                                              63
Verschleppt, misshandelt, getötet
ZEITGESCHICHTE

le Südost, ohne Mitglied der NSDAP                                                     Österreicherinnen und Österreicher. In
gewesen zu sein. Nach dem Ende des                                                     einem neuen Verfahren wurde Ottillin-
Zweiten Weltkriegs trat Ottillinger in                                                 ger von den sowjetischen Behörden
das Bundesministerium für Vermö-                                                       1956 von persönlicher Schuld freige-
genssicherung und Wirtschaftsplanung                                                   sprochen und am 16. März 1994, zwei
ein, wo sie 1947 Leiterin der Planungs-                                                Jahre nach ihrem Tod, in allen ihr zur
sektion wurde. Die ehrgeizige Nieder-                                                  Last gelegten Punkten rehabilitiert. Die
österreicherin war eine enge Mitarbei-                                                 Wirtschaftsexpertin konnte in ihren
terin des Ministers Peter Krauland und                                                 Akt einsehen und wusste, wer sie ver-
die erste Frau in Österreich, die eine                                                 raten hatte. Ihrem Ex-Chef Peter Krau-
Sektion in einem Ministerium leitete.                                                  land warf sie vor, er habe sich bei ihrer
Sie galt als mächtigste und einfluss-                                                  Festnahme zu wenig für sie eingesetzt.
                                            Nach Margarethe Ottillinger wurde der
reichste Beamtin der Republik. Sie er-                                                 Wäre er energischer gewesen, wären
                                            Platz unter der Wotrubakirche in Wien-
stellte einen Plan für den wirtschaftli-    Mauer benannt.                             ihr sieben Jahre Leiden im Gulag er-
chen Wiederaufbau Österreichs, mach-                                                   spart geblieben.
te eine Bestandsaufnahme der von der                                                       Nach ihrer Genesung trat Ottillinger
Sowjetunion als „deutsches Eigentum“                                                   in die Österreichische Mineralölver-
beschlagnahmten Betriebe und schätzte                                                  waltung (OMV) ein, wurde 1958 Vor-
deren Wert ein. Die Sowjets hatten in                                                  standsdirektorin und handelte mit den
Österreich etwa 250 Industriebetriebe                                                  Sowjets die ersten Gaslieferungen nach
beschlagnahmt und in der USIA zu-                                                      Österreich aus. Die Russen lieferten
sammengefasst, darunter die Donau-                                                     das erste Gas am 1. September 1968
dampfschiffahrtsgesellschaft (DDSG)                                                    nach Österreich. Einige Tage davor
und die Erdölindustrieanlagen in Nie-                                                  waren Truppen des Warschauer-Pakts
derösterreich. Viele Anlagen und Ma-                                                   in die Tschechoslowakei einmarschiert.
schinen sowie Rohstoffe und Gewinne                                                        1982 ging Ottillinger 63-jährig in
wurden in die UdSSR transportiert. Ot-                                                 Pension. Sie sammelte Geld für den
tillinger wusste Bescheid, wie viel Erd-                                               Bau der Wotrubakirche auf dem
öl die Russen in Niederösterreich för-                                                 Georgenberg in Wien-Mauer, war Mit-
derten. Sie erreichte mit ihren Berech-                                                gründerin des Afro-Asiatischen Insti-
nungen, dass Österreich nach Norwe-         Margarethe Ottillinger wurde im Ge-        tuts in Wien und beriet den Wiener
gen die zweithöchste Pro-Kopf-Zuwei-        meinschaftsgrab der Servitinnen auf        Erzbischof Franz Kardinal König in
sung der Mittel aus dem Europäischen        dem Friedhof Wien-Mauer bestattet.         Fragen der Beziehungen zur Ostkirche.
Wiederaufbauprogramms (Marshall-                                                       Sie übersiedelte in ein Heim der Servi-
Plan) erhielt. Ottillinger hatte regelmä-   sisch, verteidigte sich selbst und ver-    tinnen-Ordensgemeinschaft, der sie
ßig Kontakt mit Briten, Franzosen und       fasste immer wieder Einsprüche und         kurz vor ihrem Tod als Terziarin bei-
Amerikanern.                                Beschwerdebriefe an den Untersu-           trat. Margarethe Ottillinger starb am
    Nach ihrer Festnahme bei der Enns-      chungsrichter. Mehrmals wurde die          30. November 1992 in Wien und wur-
brücke wurde Margarethe Ottillinger in      Österreicherin zu Verhören nach Mos-       de im Gemeinschaftsgrab der Schwes-
der sowjetischen Kommandantur in            kau gebracht. Im Lager erkrankte Ottil-    tern des Servitinnenordens auf dem
Baden wochenlang einvernommen, ge-          linger mehrmals schwer. Als sie zu ei-     Friedhof Mauer in Wien-Liesing be-
demütigt und misshandelt, um sie zu         nem Verhör nach Moskau gebracht            stattet. Der Platz vor der Wotrubakir-
einem „Geständnis“ zu bewegen. Sie          werden sollte, kam von der Lagerlei-       che wurde am 9. Juni 2013 nach ihr be-
weigerte sich, vorgelegte Protokolle zu     tung die Nachricht, sie könne nicht        nannt.
unterschreiben, wollte sich in der Zelle    zum Verhör reisen, weil sie im Sterben
mit einer Schnur erhängen, wurde aber       liege. Sie hatte mehr als vier Wochen          Tod des Ministerialrats. Am 6. De-
von Wärtern daran gehindert. Sie wur-       lang über 40 Grad Fieber. Da man Ot-       zember 1947 wurde bei der Wiener Po-
de in das Durchgangslager Neunkir-          tillinger einigermaßen gesund zum          lizei eine Abgängigkeitsanzeige erstat-
chen gebracht, wo man mitteilte, dass       Verhör bringen wollte, kamen ein Offi-     tet: Der 60-jährige Dipl.-Ing. Paul Kat-
sie von einem Sondergericht zu 25 Jah-      zier und ein Arzt in das Lager und ver-    scher, Eisenbahnexperte im Bundesmi-
ren Zwangsarbeit verurteilt worden sei.     sorgten die Schwerkranke mit Medika-       nisterium für Verkehr, habe am Tag
Die Todesstrafe war damals von Stalin       menten. Ottillinger kam später in ein      davor gegen 17:30 Uhr seine Dienst-
für einige Jahre ausgesetzt worden.         anderes Straflager. Anfang 1955 wurde      stelle in der Elisabethstraße 9 verlas-
Anfang Mai 1949 wurde Ottillinger in        ihre Haftzeit von 25 auf 10 Jahre he-      sen, sei aber nicht zu Hause eingetrof-
die Sowjetunion transportiert und nach      rabgesetzt. Nach sieben Jahren Lager-      fen, wie er es seiner Frau telefonisch
mehreren Stationen, unter anderem im        haft wurde sie freigelassen. Sie kam       angekündigt habe. Ministerialrat Kat-
KGB-Hauptquartier („Lubjanka“) in           am 25. Juni 1955 auf einer Krankentra-     scher hätte am 6. Dezember zu einer
                                                                                                                                   FOTOS: WERNER SABITZER

Moskau, in ein Straflager gebracht. Im      ge auf dem Bahnhof Wiener Neustadt         intereuropäischen Gütertransportkonfe-
Lager mussten die Gefangenen unter          an. Sie litt an einer lebensgefährlichen   renz nach Genf reisen sollen, bei der es
unmenschlichen Bedingungen Schwer-          Rippenfellentzündung. Im gleichen          unter anderem über die Frage des Ver-
arbeit verrichten, oft bei extrem tiefer    Heimkehrerzug befanden sich Oberin-        bleibs von 14.000 österreichischen
Temperatur. Ottillinger lernte Rus-         spektor Anton Marek und weitere 185        Frachtwaggons gegangen wäre, die von

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Verschleppt, misshandelt, getötet
V E R S C H L E P P U N G E N I N D E R B E SAT Z U N G SZ E I T

                        der sowjetischen Besatzungsmacht                                                      ten des KGB. Margarita Ottilinger.
                        nach Osteuropa gebracht worden seien.                                                 Leykam-Verlag, Graz 1992.
                            Die Ermittlungen der Polizei erga-                                                    Karner, Stefan: Im Kalten Krieg der
                        ben, dass am 5. Dezember kurz vor                                                     Spionage. Margarethe Ottillinger in
                        17:30 Uhr ein Mann in russischer Uni-                                                 sowjetischer Haft 1948-1955. Studien-
                        form das Gebäude Elisabethstraße 9                                                    verlag, Innsbruck, Wien, Bozen, 2016.
                        betreten und bald darauf wieder verlas-                                                   Karner, Stefan; Stelzl-Marx, Barba-
                        sen hatte. Es konnte nicht geklärt wer-                                               ra (Hg.): Stalins letzte Opfer. Ver-
                        den, was der Mann im Gebäude getan                                                    schleppte und erschossene Österrei-
                        hatte. Ein weiterer Mann mit ausländi-                                                cher in Moskau 1950-1955. Böhlau
                        schem Akzent erkundigte sich beim                                                     Verlag, Wien/Oldenbourg Verlag,
                        Portier des Amtsgebäudes, ob Paul                                                     München, 2009.
                        Katscher das Ministerium schon ver-                                                       Knoll, Harald; Stelzl-Marx, Barba-
                        lassen habe, was der Portier verneinte.                                               ra: Die Fälle Marek und Kiridus. Zur
                        Etwa eine Viertelstunde später verließ     Armbinde des im April 1945 von den         Sowjetischen Strafjustiz in Österreich.
                        Katscher seine Dienststelle. Ein Zeuge     Sowjekts in Wien eingesetzten Polizei-     In: Karner, Stefan; Stangler Gottfried
                        gab an, er habe gegen 17:30 Uhr gese-      lichen Hilfsdienstes.                      (Hg.): „Österreich ist frei!“ Der
                        hen, wie der Ministerialrat bei der Goe-                                              Österreichische Staatsvertrag 1955.
                        thegasse von einem Mann in russischer         1.000 Verschleppte. Zwischen 1945       Beitragsband zur Ausstellung auf
                        Offiziersuniform und drei weiteren         und 1955 wurden in der sowjetisch be-      Schloss Schallaburg 2005. Verlag Ber-
                        Soldaten angehalten worden sei.            setzten Zone Österreichs mehr als          ger, Horn/Wien, 2005, S. 143-147.
                            Innenminister Oskar Helmer wandte      2.200 Zivilisten wegen angeblicher             Knoll, Harald; Stelzl-Marx, Barba-
                        sich mit einer Note vom 15. Dezember       Spionage oder Kriegsverbrechen an          ra: Sowjetische Strafjustiz in Öster-
                        1947 an die Sowjets im Alliierten Rat      UdSSR-Bürgern verhaftet. Etwa 1.000        reich. Verhaftungen und Verurteilun-
                        für Österreich und bat um Aufklärung,      von ihnen wurden verurteilt und in         gen 1945-1955. In: Karner, Stefan;
                        was mit Paul Katscher passiert sei.        Straflager in die Sowjetunion gebracht.    Stelzl-Marx, Barbara (Hg.): Die Rote
                        Auch Bundeskanzler Leopold Figl in-           Die letzte Verschleppung eines          Armee in Österreich. Sowjetische Be-
                        tervenierte. Eine Antwort der Sowjets      österreichischen Spitzenbeamten durch      satzung 1945-1955. Beiträge. Olden-
                        blieb aus. Auch weitere Anfragen des       sowjetische Besatzer betraf Alfred So-     bourg Verlag, Graz, Wien, München,
                        Innenministeriums nach dem Verbleib        kolowski. Der Chefdolmetscher der          2005, S. 275-322.
                        Katschers wurden nicht beantwortet.        Stadt Wien und Verbindungsmann zur             Knoll, Harald; Stelzl-Marx, Barba-
                            Erst viel später wurde den österrei-   sowjetischen Kommandantur wurde im         ra: „Wir mussten hinter eine sehr lan-
                        chischen Behörden das Schicksal des        Jänner 1955 unter einem Vorwand in         ge Liste einfach das Wort ,verschwun-
                        verschleppten Spitzenbeamten bekannt.      die Kommandantur gelockt, festgehal-       den‘ schreiben.“ Sowjetische Strafjus-
                        Paul Katscher, der schon im national-      ten und nach Moskau verschleppt. Als       tiz in Österreich; in: Hilger, Andreas;
                        sozialistischen Regime schwer gelitten     Grund nannten die Besatzer angebliche      Schmeitzner, Mike; Vollnhals, Clemens
                        hatte, war nach Baden gebracht wor-        Kriegsverbrechen Sokolowskis wäh-          (Hg.): Sowjetisierung oder Neutrali-
                        den, zum Sitz der Kommandantur der         rend des Zweiten Weltkriegs. Alfred        tät? Optionen sowjetischer Besatzungs-
                        sowjetischen Besatzungsmacht in            Sokolowski wurde im Oktober 1955           politik in Deutschland und Österreich
                        Österreich. Die Sowjets hatten in Ba-      freigelassen. Er kehrte nach Wien zu-      1945–1955. Vandenhoeck & Ruprecht,
                        den alle Hotels und viele Privathäuser     rück und arbeitete wieder in leitender     Göttingen, 201l, S. 169–219.
                        für ihre Dienststellen und die Unter-      Funktion beim Magistrat der Stadt              Rauchensteiner, Manfried; Kriech-
                        bringung ihrer Soldaten beschlagnahmt      Wien, zuletzt in der Magistratsdirekti-    baumer, Robert: Die Gunst des Augen-
                        und das Viertel mit blickdichten Plan-     on (siehe: Karten für die Eisrevue; in:    blicks. Neuere Forschungen zu Staats-
                        ken abgeriegelt. Ministerialrat Kat-       Öffentliche Sicherheit, Nr. 3-4/21, S.     vertrag und Neutralität. Böhlau Ver-
                        scher wurde der Spionage zum Nach-         85).                   Werner Sabitzer     lag, Wien, Köln, Weimar, 2005.
                        teil der Sowjetunion beschuldigt und in                                                   Schödl, Ingeborg: Im Fadenkreuz
                        der Haft dazu gebracht, ein „Geständ-         Quellen/Literatur:                      der Macht. Das außergewöhnliche Le-
                        nis“ zu unterschreiben. Zu zehn Jahren        Bacher, Dieter; Knoll, Harald:          ben der Margarethe Ottillinger. Czer-
                        Lagerhaft verurteilt, wurde der Spit-      Spione und Stalinopfer. Die Rolle          nin Verlag, Wien, 2004.
                        zenbeamte im April 1948 in ein sowje-      österreichischer Zivilisten in den Akti-       Stelzl-Marx, Barbara: Stalins Sol-
                        tisches Lager bei Lwow (Lemberg) ge-       vitäten ausländischer Nachrichten-         daten in Österreich. Die Innenansicht
                        bracht, wo er am 9. Juni 1949 im Ge-       dienste in Österreich 1950–1953. In:       der sowjetischen Besatzung 1945-
                        fängnisspital starb. Ein geflüchteter      Austrian Center for Intelligence, Pro-     1955. Reihe Kriegsfolgen-Forschung
                        Mithäftling berichtete, Katscher habe      paganda      and     Security    Studies   (hg. von Stefan Karner), Band 6. Böh-
                        in der U-Haft in Baden versucht, sich      (ACIPPS): Journal for Intelligence,        lau Verlag, Wien/Oldenbourg Verlag,
                        zu erhängen. Im Lager Lwow ange-           Propaganda and Security Studies            München, 2012.
FOTO: WERNER SABITZER

                        kommen, habe er nur noch aus „Haut         (JIPSS), Vol. 2, Nr. 2/2008, S. 99-108.        Wetz, Ulrike: Geschichte der Wie-
                        und Knochen“ bestanden, seine Knie            Carsten, Catarina: Der Fall Ottil-      ner Polizeidirektion vom Jahre 1945
                        und Ellenbogen seien angeschwollen         linger. Eine Frau im Netz politischer      bis zum Jahre 1955. Mit Berücksichti-
                        gewesen und sein Körper habe blau-         Intrigen. Herder, Wien 1983.               gung der Zeit vor 1945. Phil. Diss.,
                        gelb ausgesehen.                              Karner, Stefan (Hg.): Geheime Ak-       Wien 1971.

                        ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/22                                                                                            65
Verschleppt, misshandelt, getötet Verschleppt, misshandelt, getötet
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