Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt

Die Seite wird erstellt Silvester Hammer
 
WEITER LESEN
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Verwandlung – Inszenierung – Rollenspiel
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Verwandlung – Inszenierung – Rollenspiel

           Herzlich willkommen zur Online-Präsentation
            des 2. Ausstellungs–LAB der GEDOK Berlin
                       17. April – 10. Mai 2020
                                    

2
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Die Lust an der modischen Inszenierung bei
Ida Dehmel als Impulsgeber unserer Arbeiten

Im Rahmen der Jahresplanung 2020 der         sitz und widersetzte sich bis zu ihrem Frei-
GEDOK Berlin beschäftigen sich Künstle-      tod 1942 der drohenden Enteignung und
rinnen mit unterschiedlichen Fragestel-      Deportation.“ (Zitat C. Muysers)
lungen auf verschiedenen Ebenen mit Ida
Dehmel (1870–1942), der Gründerin der        Ausgangspunkt für die Überlegungen des
GEDOK 1926.                                  2. LABs (Labors) der GEDOK Berlin, das
                                             Künstlerinnen ohne Kuratoren selbst or-
Die Kunstförderin Ida Dehmel rief 1926 in    ganisieren und durchführen, waren histo-
Hamburg die „Gemeinschaft Deutscher          rische Schwarz-weiß Fotos Ida Dehmels
und Oesterreichischer Künstlerinnen-         modischer Verkleidungen und Inszenie-
vereine“ ins Leben und stärkte dadurch       rungen. Verwandlung, Rollenspiel, Kos-
maßgeblich Frauen in den Bereichen der       tüm, Spiel mit der Identität, die Insze-
Bildenden, Angewandten, Darstellenden        nierung des Körpers und seiner Hülle im
Kunst, der Musik und Literatur.              Raum; Ida Dehmel als Frau zur Wende vom
                                             19. ins 20igste Jhd. liebte die Inszenierung
„Unter der Nationalsozialistischen Herr-     ihres Körpers und ihrer Persönlichkeit in
schaft verlor sie als Jüdin den GEDOK Vor-   wechselnden Hüllen.

                                                                                        3
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Die grafisch interessante Kleidung Ida         Jeweils ein Statement im digitalen Kata-    Der Schmuck, die Avantgarde: Annette          Das alles wird mit den Medien Malerei,
Dehmels als moderne Ikone der Reform-          log wird einer ausgewählten Arbeit der 17   Rischer-Spalink, Verena Kyselka               Zeichnung, Collage, Fotografie und textiler
bewegung verweist auf die Wiener Werk-         „Forscherinnen“ im Labor der zeitgenössi-                                                 Objekte herausgefiltert und dargestellt.
stätten und den Jugendstil. Die Frau als       schen Kunst gegenübergestellt und zeigt     Der Stoff, die Materialität: Burghild Eich-
Gesamtkunstwerk, die sich in der (priva-       die sehr unterschiedlichen Herangehens-     heim                                          Wegen der aktuellen Vorsorgemaßnah-
ten) Öffentlichkeit inszeniert, in der Ge-     weisen an das große Thema:                                                                men wird unsere Ausstellung dieses Mal in
sellschaft, im Kunstsalon, in den Salons, zu                                               Und dabei Aspekte der Politik des Nati-       digitaler Form online präsentiert und dann
Hause, bei Einladungen.                        Das Spiel: Frauke Beeck, Julia Büttelmann   onalsozialismus: Gertraude Pohl               ebenfalls in gedruckter Form als Katalog
                                                                                                                                         vorliegen.
Die Lust an der Verwandlung und Insze-         Die Verwandlung in ein anderes Selbst:      Verweise auf feministische Kunstge-
nierung beschäftigt uns als Bildende und       Susanne Isakovic, Gritt Klaasen             schichte und Mode: Eva Kreutzberger           Seien Sie gespannt und bleiben Sie gesund,
Angewandte Künstlerinnen hundert Jah-                                                                                                    wir freuen uns auch auf ein Wiedersehen
re später ebenfalls. Das LAB „Verwand-         Die Maske und deren Facetten: Britta        Die Körperlichkeit und deren Zerbrech-        im realen Ausstellungsgeschehen Berlins.
lung – Inszenierung – Rollenspiel“ nimmt       Clausnitzer, Ulrike-Martha Zimmermann,      lichkeit: Katrin Salentin
diese Lust als Impuls zur eigenen künstle-     Pia Fischer, Renate Schweizer
rischen Stellungnahme auf.                                                                 Die Inszenierung des Raumes: Aenne
                                               Die weibliche Rolle und deren Umkeh-        Burghardt
                                               rung: Jeanne Fredac, Giuliana Del Zanna

4                                                                                                                                                                                  5
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Aenne Burghardt

Zu Besuch bei Ida Dehmel in Hamburg –
Erfahrungsraum der Moderne

Eine junge Frau in Saudi-Arabien filmt mit      Es ist leichter, Gebäude von außen zu fo-
einem Smartphone ihren Alltag hinter            tografieren, um sie herumzuschleichen, als
Schleiern, Verboten und geschlossenen           um Erlaubnis zu bitten, im Inneren foto-
Türen. Sie entscheidet sich zur Flucht.         grafieren zu dürfen und etwas zu inszenie-
Allabendlich sendet sie ihre kleinen Filme      ren. Denn dies war das Thema: Rollenspiel,
über das Internet zu einer Filmemacherin        Verwandlung, Inszenierung. Ich fuhr nach
in die Schweiz. Es entsteht der Film „Saudi –   Hamburg mit einer Idee im Gepäck, aber
Runaway“ von Susanne Regina Meures.             ohne zu wissen, was ich dort wirklich foto-
                                                grafieren will.
Die junge Frau heißt Muna, was im Ara-
bischen“ soviel bedeutet wie (ersehnter)        Muna kam mit mir.
„Wunsch“ ggf. auch „Verlangen“ und im
germanischen Sprachraum „sich erin-             Sie gab mir die Kraft und den Mut, darauf
nern“. Er bedeutet aber auch Sprache,           zu vertrauen, dass sich die Idee einstellen
„ihre Sprache“.                                 würde.

Gefangen in ihrer Geschichte fahre ich          Der Wunsch, es wirklich zu tun, muss nur
Anfang März nach Hamburg, um in dem             stark genug sein.
Haus zu fotografieren, in dem Ida Dehmel
bis 1942 lebte.

                                                                                              Zu Besuch bei Ida Dehmel · 2020 · analoge s/w Fotografie, Handabzug · 40 × 40 cm

6                                                                                                                                                                                7
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Annette Rischer-Spalink

Autorenschmuck aus Brillengläsern

Die „Feuer-Kette“ entstand 2019/2020 im        Begeisterung“. Das ist der Ursprung, der
Hinblick auf das IDA DEHMEL Jubiläumsjahr.     Motor und das Ziel unseres Handels und
Meine Schmuckobjekte, in diesem Fall aus       auch jeden künstlerischen Prozesses. Die
ausrangierten Brillengläsern gefertigt, fal-   Kette habe ich aus transparenten, aus-
len unter die Gattung „Autorenschmuck“.        rangierten Brillengläsern gefertigt. Ur-
Dieser zeichnet sich u.a. durch untypischen    sprünglich sollten die Gläser dem Nutzer
Einsatz von Materialien und Techniken aus      helfen, seine Umgebung scharf zu sehen,
und lässt so eigenständige und -willige Ob-    deutlicher wahrzunehmen. Nun werden
jekte mit Charakter entstehen. Die Träge-      sie im Umkehrschluss selbst zum Objekt
rInnen eines solchen Unikats möchten auf-      der Beobachtung, auf das sich die Blicke
fallen, sichtbar sein und sichtbar machen,     fokussieren. Durch thermisches Verfor-
Individualität bekunden und nicht zuletzt      men, Mattieren, Vergolden und Montieren
auch eine Botschaft transportieren.            entstand das tragbare Objekt.

Die Trägerin der „Feuer-Kette“ präsentiert
sich im Zusammenhang mit dem Thema
„Verwandlung – Inszenierung – Rollenspiel“.
Meine Kette sagt: „Ich bin Feuer und Flam-
me“. Das heißt im übertragenen Sinn „mit

                                                                                          Feuer-Kette · 2019 · Plexiglas, verformt, bemalt, blattvergoldet · ca. 60 × 6 × 6 cm

8                                                                                                                                                                                9
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Britta Clausnitzer

Ich will beides: Fiktion und fette Farbe.
Pinselhiebe bis es kracht!

Körper und ihre Verwandlung durch die          Die daraus entstehende Überlagerung
Projektion auf diese spielen in meinen Bil-    von Bedeutungsebenen und Projektionen
dern eine zentrale Rolle. Dabei treten diese   aus Werbung, Film und Tagespresse geben
aus einem abstrakten Bildraum hervor –         den Figuren eine Ambivalenz die für mich
Zufall, Pinselhiebe und Spachtelfetzen, die    in den heutigen beschleunigten Rezepti-
Abstraktion von Natur bilden den Figuren       onsgewohnheiten von Bildmaterial steckt.
den Counterpart.                               Gerade der weibliche Körper und die Ab-
                                               bildung desselben, ist permanent diesen
Ich arbeite mit dem kollektiven Bildge-        Projektionen ausgesetzt – diese Prozesse
dächtnis, d.h. mit einer Zitatebene, bei-      versuche ich sichtbar zu machen.
spielsweise mit Bildzitaten wie dem Floß
der Medusa von Guericault, den Gefange-        Die Performance „Sweet Delight – Endless
nen von Michelangelo, Uma Thurman aus          Night“ knüpft in poetischer Wendung an
Pulp Fiction u.a.                              diese Rezeptionsambivalenz an.

                                                                                          Deathmask · 2017 · Öl auf Leinwand · 143 × 143 cm

10                                                                                                                                            11
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Burghild Eichheim

Als Information zu dem Jahresthema der         war ich veranlasst, besondere Sorgfalt auf
GEDOK hatte ich mir das Buch von Matthias      die Textilien in meiner Kreidezeichnung
Wegner „Aber die Liebe. Der Lebenstraum        zu legen.
der Ida Dehmel“, Claassen Verlag, Mün-
chen 2000 besorgt.                             Ich baue öfter in meinen Arbeiten Texte mit
                                               in die Komposition ein, was in dieser Arbeit
Ähnlich wie in der Entstehung der Portrait     Bezug auf die Biografie nimmt. Nur we-
Reihe von Ida Dehmel 1995 – als ich im         nige Notizen aus dem Buch von Matthias
GEDOK-Atelierhaus in Lübeck im Januar          Wegner habe ich notiert und freute mich
1995 das Gastatelier bekam – nahm ich          besonders, dass gesagt wurde: solange die
wieder als Vorlage eine Seitenansicht.         Familie Meyer-Coblenz (der Geburtsname
                                               Idas) in Bingen gelebt habe, dort nie eine
Der Bericht, dass sie als Kind bei der Groß-   Ghettosituation entstanden sei.
mutter alles edel fand und auch schöne
Stoffe bewundert hat, berührte mich. So

                                                                                                   Portrait zu Ida
                                                                                                          Dehmel
                                                                                               2019 · Pastellkreide
                                                                                              auf gefärbten Papier
                                                                                                        42 × 30 cm

12                                                                                                                    13
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Eva Kreutzberger

Seit dem Ende meines Studiums beschäf-        collagierte Pelztasse und die linke Seite
tige ich mich intensiv mit dem Thema          der weiblichen Figur benutzen den Rah-
Selbstportrait. Ich verändere, verwandle      men des Bildpassepartouts, gehen aber
mich, spiele Rollen. Ich benutze Mittel der   gleichzeitig darüber hinaus.
Collage und Fotoübermalung um meine
Befindlichkeiten zu äußern; parallel zu       Das collagierte Material der Pelztasse kor-
meinem eigenen Älterwerden – meiner           respondiert mit dem realen Material des
vergehenden Zeit – differenzieren sich die    Persianerpelzstücks, das sich wie ein Cape
Rollenspiele mit mir Selbst.                  an die Figur schmiegt.

Das Behüten spielt hier in der Selbst-        Das sichtbare Kostüm in schwarz-weiß
portraitserie „Großmutters Persianer“         erinnert an Kostüme der 20iger Jahre des
eine wichtige Rolle, hier ist es die be-      20.Jhd.s und stellt neben dem Persianer-
rühmte Pelztasse Meret Oppenheims, ein        pelz dadurch einen direkten Bezug zu den
feministisches Icon, das etwas zu groß auf    Auftritten Ida Dehmels in den Salons Ham-
dem Kopf der Selbstportrait-Halbfigur, die    burgs und Berlins der 20iger Jahre her.
sich dem Betrachter zuwendet, sitzt. Die

                                                                                            Aus der Serie Großmutters Persianer: Gut behütet – über den Rahmen II
                                                                                            2006 · Collage, Mischtechnik, Pelz auf Fotopapier · 60 × 50 cm

14                                                                                                                                                                  15
Verwandlung - Inszenierung - Rollenspiel - Aenne Burghardt
Frauke Beeck

Tisch mit eingebautem Schachbrett,
2 Klappstühle, 32 Schachfiguren,
Waldblätterboden

In meinem Atelier auf einem kleinen Wald-   Manchmal kommen Datschenbewohner
grundstück in Grünheide beschäftige ich     aus der Nachbarschaft zum Schachspielen.
mich neben meiner Kunst mit dem Schach-     Die Verbindung zwischen Intellekt, Spiel
spiel. Dort habe ich das WALDSCHACH ge-     und Kommunikation hat schon viele Künst-
baut: einen Tisch schwarz-weiß gefliest     ler – wie z.B. Marcel Duchamp – fasziniert.
und die Schachfiguren aus den gefunde-
nen Natur-Materialien geformt.

                                                                                          Waldschach · 2019 · Tisch 50 × 50 × 70 cm, 2 Stühle, 32 Schachfiguren

16                                                                                                                                                                17
Gertraude Pohl

Politische Perlen

SCHÖNHEIT ist nicht allein eine Frage der    Ihre gesellschaftliche Reputation, aber
Betrachtung, sondern vielmehr eine Emp-      auch ihre zunehmend zeitkritische Hal-
findung der Teilhabe.                        tung, machten die Perlenstickerin Ida Deh-
                                             mel zur frühen frauenpolitischen Netzwer-
Lebenslang auf der Suche nach Teilhabe       kerin. Perle für Perle.
am SchönGeist der Zeit, dem Wunsch nach
eigener Verwirklichung und Ausstrahlung      In diesem Sinne fand Ida Dehmel in der Zeit
und der Sammlung ihr anverwandter Ge-        vor dem 1. Weltkrieg individuelle Befreiung
sinnungen, wurde Ida Dehmel 1926 Be-         im kunsthandwerklichen Tun und erlitt als
gründerin einer Gemeinschaft deutscher       schließlich emanzipierte Frau und Jüdin
und österreichischer Künstlerinnenverei-     systematische politische Ausgrenzung im
ne aller Kunstgattungen: GEDOK.              deutschen Nationalsozialismus.

Die avantgardistische Dimension dieser       Die Arbeit steht in diesem Kontext.
Gründung wird deutlich im Vergleich zum
engstirnig verkniffenen Agieren vieler Re-
präsentanten ihrer Generation.

                                                                                           Aus der Serie POLITISCHE PERLEN. FÜR IDA D. · Prima Qualität · Eins A weiße deutsche Wäsche-
                                                                                           knöpfe auf braunem Grund · Papier, Kunststoff, Textil · Assemblage · 2020 · 40 × 40 cm

18                                                                                                                                                                                  19
Giuliana Del Zana

Fliegen fliehen sublimieren träumen spielen.
Ich liebe Theater!

                                                                Ritterin
                                               (oder Brunnhilde Strafe)
                                                  2018 · Acryl/Leinwand
                                                             80 × 45 cm

20                                                                         21
Gritt Klaasen

Ida Dehmel liebte es sich zu verkleiden.      tierung und Montage, z.B. in der Serie:
Die Maskerade und das Rollenspiel ent-        Homophyta. Ich stelle Verwandlung und
springen einem uralten Grundbedürfnis         Nachahmung des Körpers in unterschied-
des Menschen. Durch eine Verkleidung,         lichen Formvarianten zur Diskussion, bei
oft auch eine theriomorphe, schlüpft der      der sich Mensch und Tier vermischen. Die
Mensch in eine neue Identität. In meiner      Grenze zur Animalität wird dadurch spiele-
Malerei beschäftigt mich als zentrales The-   risch untersucht und deren Unbestimmt-
ma das Verhältnis zwischen Mensch und         heit entlarvt.
Tier und dessen Inszenierung. Humorvoll
oder auch brutal und archaisch erfinde
ich malerisch neue Körper mit Fragmen-

                                                                                           Strutheo · 2012 · Öl auf Leinwand · 59 × 49 cm

22                                                                                                                                          23
Jeanne Fredac

Der Akt in der Kunstwelt ist im Wesentli-   oder mehrere Personen handelt. Der Ti-
chen weiblich. Für diese Ausstellung habe   tel „Der Friseur aus Duisburg“ leitet eine
ich mich dafür entschieden, die Rollen      dritte Dimension ein. Indem ich einen Titel
umzukehren und einen männlichen Akt zu      gebe, der sowohl eine genaue soziale Rolle
präsentieren. Aber weit davon entfernt,     als auch einen Ort vorgibt, spiele ich mit
eine Person auf einen Körper reduzieren     der Tendenz der Menschen, Kategorien
zu wollen, habe ich mich dafür entschie-    einzuordnen …
den, die Vielfältigkeit eines jeden aus-
zudrücken, indem ich einen Mann nicht
statisch, sondern dynamisch fotografiere.
Wir wissen nicht mehr, ob es sich um eine

                                                                                          Der Friseur aus Duisburg · 2019 · Fotografie · 60 × 60 cm

24                                                                                                                                                    25
Julia Büttelmann

Ida Dehmel, Gründerin der GEDOK 1926,
liebte es sich zu verkleiden und zu in-
szenieren. Die Lust an der Verwandlung
kann man mit meinem Büchlein erfahren.
7 Figuren, die jeweils 3-geteilt sind (Kopf,
Bauch, Beine) ermöglichen durch das
Klappen der Segmente 343 Variationen.

Hier ist eine davon.

                                               7 Figuren 343 Variationen · 2019 · Büchlein · 21 × 11 cm

26                                                                                                        27
Katrin Salentin

Kleidung verrutscht die Grenze zwischen      aus einzelnen weiblichen Extremitäten und
„Körperraum Mensch“ und „Außenraum           Rümpfen neue und anscheinend ganzheitli-
Umwelt“ (Ingrid Loschek, Wann ist Mode?).    che Körper. Die Körperfiguren sind massiv,
Sie ist Wärmeschutzschild, demonstriert      gleichzeitig in Bewegung und wandeln me-
Haltung, maskiert oder korrigiert den Kör-   tamorphisch ihre Gestalt.
per und erweitert seine Größe. Ab und an
gilt es, genau hinschauen zu müssen um zu    Bis zu welchem Grad ist das Rollenspiel
erkennen, wer sich unter der Kleiderinsze-   noch glaubhaft und authentisch? Fängt
nierung verbirgt.                            Inszenierung nicht schon beim Körperbe-
                                             wusstsein an? Oder sind die verschmolze-
In meinen Arbeiten konzentriere ich mich     nen Körperteile nur skulptural geformte
auf den Körper ansich und zeige ihn nackt    Schneiderpuppen, für die die passende
– hüllenlos, ohne Kleidung. Ausgeschnitten   Kleiderhülle dringlich erfunden werden
aus zeitgenössischen Modekatalogen, digi-    muss?
tal überzeichnet und collagiert, erwachsen

                                                                                          Faltung · 2020 · Digitale Collage, Fineart Print · 60 × 50 cm

28                                                                                                                                                        29
Pia Fischer

Verwandlung schafft Sicherheit –
der Preis ist Distanz.

                                            Maske
                                             2020
                                        Baumwolle
                                    Einheitsgröße
                                   40 × 25 × 25 cm

30                                                   31
Renate Schweizer

Vom Figuren- und Maskentheater kom-          betriebs fällt mir schwer bzw. dünkt mir,
mend liegt mir das Thema „Verwandlung –      in Konkurrenz mit meiner künstlerischen
Inszenierung – Rollenspiel“ im Theater und   Arbeit zu gehen. Das widerum würde dem
auf der Bühne nahe.                          Werk nicht gerecht werden. Meine Ar-
                                             beiten setzen sich mit der Frage, meinem
Als Bildende Künstlerin steht für mich das   inneren Zwiespalt und Konflikt und dem
Werk im Vordergrund und Inszenierung         Widerspruch auseinander.
als Künstlerin auf dem Parkett des Kunst-

                                                                                              Medea and me
                                                                                          2017 · Papierarbeit/
                                                                                             Kaschiertechnik
                                                                                                  80 × 120 cm
                                                                                         Foto: B. v. Hartmann

32                                                                                                               33
Susanne Isakovic

Wie auch Ida Dehmel verspüren viele Men-       bis ins kleinste Detail ausgetüftelt. Nichts
schen die Lust an der Verkleidung und der      ist dem Zufall überlassen. Dafür nehme ich
öffentlichen Inszenierung ihres Körpers als    mir ausgiebig Zeit, über Monate arbeite ich
Gesamtkunstwerk. Bereits seit vielen Jah-      an den Bildern.
ren untersuche ich die Selbstinszenierung
des Menschen und sein Rollenverhalten als      In meinen Malereien befasse ich mich mit
Mittelpunkt meiner künstlerischen Arbeit.      der „Verkleidung“ als Teil der Inszenierung
                                               der Selbstdarstellung einer Rolle. Die Tiere
Ein PORTRAIT von mir ist eine langwieri-       stehen hier symbolisch für die Rolle des
ge Angelegenheit, bis es am Ende in sei-       Menschen. Sie sind Lebensgroß, Verklei-
ner verdichteten und barocken Präsenz          det, Inszeniert und konfrontieren den Be-
mit einem ungeheuren Detailreichtum zu         trachter mit seinem Rollenverhalten, indem
einer Bildaussage kommt. In meinen Ar-         es wie durch einen Spiegel zurückgeworfen
beiten findet sich meine Liebe zum Detail      wird. Durch die Verwendung von Tieren
und mein Hang zur Komposition. Alles ist       gelingt es mir besser auf die Inszenierung
bis ins kleinste Detail ausgetüftelt. Nichts   von Rollenverhalten zu verweisen und nicht
wird dem Zufall überlassen. Meine Arbeiten     auf eine bestimmte Person. Wie Ida Dehmel
bestechen durch ihre Genauigkeiten! Sie        selbst nehmen meine Figuren eine Rolle ein
leben von der Mischung aus Malerei, Col-       und stellen sich eindrucksvoll vor.
                                                                                                  Lerne, in Stille Dir selbst
lage, Stickerei und feiner Zeichnung. Alles
                                                                                                                  zuzuhören
                                                                                              2015 · Öl, Acryl, Bonbonpapier
                                                                                                auf Leinwand · 170 × 100 cm

34                                                                                                                              35
Ulrike-Martha Zimmermann

Die Verwandlung basiert bei meiner Ar-        Die Idee einer Verwandlung bedeutet hier
beit „I dressed up several times“ auf einer   eine Neuinszenierung, ein Spiel mit einer
Gesichtserkennungsmaske, die aus einem        neuen Identität ist möglich. Meine Maske
programmierten Algorithmus menschliche        enttarnt sich selbst durch ihre Transpa-
Gesichter erkennen kann. Sie kann Men-        renz und offene Struktur, sowie durch das
schen identifizieren und legt damit ihre      Material, das sie in ihrer Einfachheit skiz-
Daten offen, eine derartige Überwachung       ziert, schemenhaft und reliefartig wirken
wird für unser demokratisches System als      lässt. Ihre neu gewonnene Persönlichkeit
eine Bedrohung empfunden.                     als weibliches Wesen wirkt nicht mehr be-
                                              drohlich, sie hat sich von ihrer ursprüngli-
Die Gesichtserkennungsmaske „I dressed        chen Idee der Überwachung und Kontrolle
up several times“ wird durch das ange-        losgelöst und ihr spielerisches Eigenleben
deutete Haar zu einer weiblichen Gestalt,     beginnt.
die Maske verwandelt sich durch wenige
Details. Aus der abstrakten Maske die
auf einem menschlichen Gesicht basiert,
wird annähernd wieder eine menschliche
Gestalt.

                                                                                             I dressed up several times · 2019 · Garn, Insektennadeln, Tusche · 51 × 42 cm

36                                                                                                                                                                           37
Verena Kyselka

Gegen Mitte der 1980er Jahre gründete          Inszenierungen mit Exterra XX geschaffen
sich aus einer Künstlerinnengruppe im          hatte und mit denen ich selbst aufgetreten
ostdeutschen Erfurt die feministische          bin. Während ich noch mea culpa 1988 aus
Performancegruppe, die später unter            Verpackungsmaterial eines Westpakets
dem Namen Exterra XX in der alternativen       kreierte, ist das Recycling-Kostüm wäh-
Kunstszene der DDR und in der Wendezeit        rend der politischen Brisanz der Wende
bis Mitte der 90er Jahre auch internationa-    entstanden. Durch die neuen westlichen
le Aufmerksamkeit bekam. In dem gesam-         Importprodukte fiel plötzlich eine Men-
ten Zeitraum war ich als aktive Performerin    ge Plastikmüll an, aus dem ich mehrere
dabei. Bei unseren Gruppenauftritten in-       Kostüme entwickelte. Meine Performance
szenierte sich meist jede Künstlerin selbst.   bestand darin mit Bewegungen besondere
„Tanz den Recycling“ und „mea culpa“ sind      plastische Klänge zu erzeugen.
zwei Kostüme, die ich für einige meiner

                                                                                              Tanz den Recycling
                                                                                             Performance im zakk
                                                                                                Düsseldorf · 1990
                                                                                                 c-Print, gerahmt
                                                                                                       70 × 50 cm
                                                                                            Foto: M. Sondermann

38                                                                                                                  39
Dieser Katalog ist die digitale Präsentation des des LABs
„Verwandlung – Inszenierung – Rollenspiel“. Die LAB-Reihe der
Berliner GEDOK ist ein besonderes Ausstellungsformat, das
von den Künstlerinnen selbst kuratiert und organisiert wird.

Konzeption der LAB-Ausstellung und Katalogredaktion
Julia Büttelmann, Eva Kreutzberger und Katrin Salentin

Einführungstext
Eva Kreutzberger

Statement-Texte und Werk-Abbildungen
Alle Rechte vorbehalten, Rechte liegen bei den Künstlerinnen

Gestaltung
Katrin Salentin

Abbildungen auf dem Titel
Ida Dehmel (1870–1942) · Gründerin der GEDOK 1926 als
„Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnen-
vereine aller Kunstgattungen“
www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/idad.html

Parallel zu der Online-Präsentation entsteht ein gedruckter
Katalog, der zu einem späteren Zeitpunkt in der Galerie
GEDOK Berlin erworben werden kann.

            © 2020 Galerie GEDOK Berlin
                                                          Gefördert durch das Künstlerinnenprogramm
            Suarezstraße 57 · 14057 Berlin
                                                          der Senatskanzlei für Kultur und Europa
            U2 Sophie-Charlotte-Platz
            Telefon 030 441 39 05
            www.gedokberlin.de

40                                                                                                    41
www.gedokberlin.de
Sie können auch lesen