Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020

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Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Vielfalt des Mittelalters
Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020

Vielfalt des Mittelalters
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz,
Direktion Landesdenkmalpflege
Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Grußwort
Grußwort
Ubi maxima vis regni esse noscitur – „wo be-        tümerinnen und Eigentümer, Planerinnen
kanntlich die größte Macht des Reiches liegt“:      und Planer, Handwerkerinnen und Handwerker
So charakterisierte Bischof Otto von Freising       sowie der vielen ehrenamtlich tätigen Vereine
(um 1112–1158) in seiner Lebensbeschreibung         und Initiativen für die Denkmäler unsere Auf-
Kaiser Friedrich Barbarossas das Land am Rhein      merksamkeit und Würdigung. Mit ihrem
zwischen Basel und Mainz. Mit dem Rhein- und        Engagement leisten sie alle einen maßgeb-
dem Moseltal umfasst Rheinland-Pfalz eines          lichen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Reich-
der Kernländer des Heiligen Römischen Reiches       tums und zur historischen Identität unseres
im Mittelalter. Die prächtigen sog. rheinischen     Landes. Nutzen Sie daher das digitale Angebot
Kaiserdome in Speyer, Mainz und Worms, die          der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
einst glanzvollen Kaiserpfalzen in Ingelheim        (www.tag-des-offenen-denkmals.de), das
und Kaiserslautern oder die mächtigen Reichs-       Ihnen auf diesem Wege interessante Einblicke
burgen wie der Trifels prägen als monumentale       gewährt und Sie vielleicht mit unerwarteten
Marksteine das Land ebenso wie die Fülle von        Entdeckungen überrascht.
Klöstern, Kirchen und Burgen in den Mittelge-
birgen und Flusstälern. Wehrmauern, Adels-          Unabhängig vom unmittelbaren Anlass des
sitze und repräsentative Bürgerhäuser zeugen        Denkmaltages bietet Ihnen diese Broschüre die
von der Bedeutung und vom Wohlstand vieler          Möglichkeit, die mittelalterlichen Schätze un-
Städte und Dörfer. Die weit über Mittel- und        seres Landes ebenso kennenzulernen wie die
Nordeuropa ausstrahlende Bedeutung der jüdi-        denkmalpflegerischen Herausforderungen bei
schen Gemeinden in den rheinischen Städten          ihrer Erhaltung. Alle beschriebenen Maßnahmen
mit ihren bis heute erhaltenen mittelalterlichen    wurden von der Landesdenkmalpflege und den
Synagogen, Ritualbädern und Friedhöfen steht        Unteren Denkmalschutzbehörden fachlich be-
im Mittelpunkt des Weltkulturerbe-Antrags           treut, die meisten von ihnen durch Mittel des
„SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz“,            Landes, einige auch durch Zuschüsse des Bundes
den das Land Rheinland-Pfalz in diesem Jahr bei     finanziell gefördert.
der UNESCO eingereicht hat.
                                                    Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre so-
Mit der großen Landesausstellung „Die Kaiser        wie eine spannende virtuelle, hoffentlich bald
und die Säulen ihrer Macht“ steht Rheinland-        auch wieder reale Erlebnisreise durch die reiche
Pfalz 2020 ganz im Zeichen des Mittelalters.        Denkmallandschaft Rheinland-Pfalz!
Auch der am „Tag des offenen Denkmals®“
von der Landesdenkmalpflege in der General-
direktion Kulturelles Erbe veranstaltete Denkmal-
tag Rheinland-Pfalz widmet sich diesem Thema.       PROF. DR. KONRAD WOLF
                                                    Minister für Wissenschaft,
Erstmals in seiner langjährigen Erfolgsgeschichte   Weiterbildung und Kultur
seit 1992 kann der Tag des offenen Denkmals
am 13. September jedoch wegen der Corona-
Pandemie nicht in gewohnter Form stattfinden.
Die immer gut besuchten Führungen, Besichti-
gungen und Veranstaltungen, bei denen zahl-
reiche sonst verschlossene Kulturdenkmäler
für Besucherinnen und Besucher geöffnet sind
und aktuelle Maßnahmen vorgestellt werden,
müssen in diesem Jahr leider entfallen. Dessen
ungeachtet verdienen die Leistungen der Eigen-

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Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
Vorwort

Vorwort
Anlässlich des Denkmaltages Rheinland-Pfalz legt      Darüber hinaus lässt die Broschüre die Vielfalt
die Landesdenkmalpflege in der Generaldirektion       und die Bedeutung der mittelalterlichen
Kulturelles Erbe 2020 nun zum zweiten Mal ein         Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz anschau-
Themenheft vor, in dem sie anhand ausgesuchter        lich werden. Fast alle der vorgestellten Bauten
Beispiele über ihre Arbeit berichtet. Auch wenn in-   und Kunstwerke verbinden sich mit aktuellen
folge der durch die Corona-Pandemie bedingten         Maßnahmen oder Untersuchungen. Zu ihnen ge-
Beschränkungen in diesem Jahr am Denkmaltag           hören Wehrbauten wie die Burgruine Wernerseck
keine Publikumsveranstaltungen oder Führungen         in der Vordereifel und die fast unberührt erhal-
angeboten werden können, vermittelt die Broschüre     tene Burg Eltz, doch auch die Kauzenburg in Bad
dennoch einen lebendigen Einblick in die reiche       Kreuznach mit ihrem bereits denkmalwerten
Denkmallandschaft und die Bemühungen um ihre          Neuausbau durch den Architekten Gottfried Böhm,
Erhaltung und Pflege.                                 der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern
Die 2020 im Landesmuseum Mainz veranstaltete          konnte. Die Spanne der Klöster reicht von der die
Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer    Landschaft beherrschenden Abtei Limburg bei Bad
Macht“ ist Anlass für alle Direktionen der GDKE,      Dürkheim, die noch als Ruine machtvoll ihre könig-
sich mit dem Thema Mittelalter auseinanderzu-         liche Gründung demonstriert, bis zur hoch über der
setzen. Für die Landesdenkmalpflege verbindet         Lahn aufragenden Klosterkirche Arnstein mit ihrer
sich diese Epoche, deren großartige Werke das         neu entdeckten Ausmalung.
historische Gesicht von Rheinland-Pfalz bis heute     Den hohen Anspruch sakraler Ausstattungen be-
besonders prägen, in vielfacher Hinsicht mit ih-      legen das großartige Ursularetabel in der Abtei
rer fachlichen Tätigkeit. Das denkmalpflegerische     Marienstatt, aber auch ein seltenes „Kabinett-
Aufgabenspektrum erstreckt sich von der Sicherung     stück“ wie die gotische Sakristeitür der ehem.
von Burgruinen, der Instandsetzung von Fachwerk-      Johanniterkirche in Mussbach bei Neustadt an der
und Dachkonstruktionen über die Erforschung,          Weinstraße. In den Städten erzählen neben den
Konservierung und Wiederherstellung historischer      aufwendigen Kirchen die neugestalteten Reste
Oberflächen mit Putzsystemen und Farbfassungen        der Barbarossapfalz in Kaiserslautern, die verbor-
bis zur Restaurierung von Wandmalereien und           genen Fragmente des Bischofshofes in Landau
Ausstattungsstücken. Erforderlich ist hierfür         oder die Stadtmauern in Mainz und Worms von
nicht nur ein breites Fachwissen und die intensive    kaiserlicher Förderung, Stadtherrschaft und bür-
Beschäftigung mit den individuellen Objekten,         gerlichen Privilegien. Eine Vorstellung davon, wie
sondern auch die enge Zusammenarbeit mit              es im Inneren der Städte und Dörfer aussah, ver-
Experten unterschiedlichster Fachrichtungen.          mitteln der Frankenturm in Trier oder die frühen
Auf diese Weise ist die Arbeit der Denkmalpflege      Fachwerkbauten im pfälzischen Neustadt und in
stets mit einem Gewinn an neuen, mitunter             Ediger an der Mosel. Die uralte Tradition der jü-
überraschenden Erkenntnissen über historische         dischen Kultur im Rheinland wird sichtbar in den
Bauweisen, künstlerische Techniken, Stilformen        ehem. SchUM-Städten Mainz, Speyer und Worms.
sowie Datierungen verbunden und trägt damit
maßgeblich zur Erweiterung unseres Wissens über       Damit enthält die Broschüre eine abwechslungs-
diese weit zurückliegenden Jahrhunderte bei. Das      reiche Auswahl bemerkenswerter Kulturdenkmäler,
vorliegende Heft berichtet von der Tätigkeit der      die auch unabhängig vom Denkmaltag immer
verschiedenen Fachbereiche der Denkmalpflege,         einen Besuch lohnen.
die die Denkmalerfassung und -erforschung in
der Inventarisation, die fachliche Begleitung         THOMAS METZ
von Maßnahmen zusammen mit Eigentümern,               GDKE, Generaldirektor
Planern, Handwerkern und Restauratoren sowie die
Vermittlung historischer Wertigkeiten und denk-       DR. ROSWITHA KAISER
malpflegerischer Entscheidungsprozesse umfasst.       GDKE, Landeskonservatorin

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Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
BURGEN UND
       und PALÄSTE

Die Kaiserpfalz in Kaiserslautern

Aus dem Verborgenen zurück ins
Blickfeld
Der heute inmitten des Zentrums von Kaisers-       Als erster Bauabschnitt wurde die Neugestaltung
lautern auf einem Felsplateau ansteigende Burg-    des in der heutigen Zufahrt zum Rathausvorplatz
hügel stellt mit seiner in fränkische, salische,   gelegenen Ausgangs der unterirdischen Gänge
staufische und kurpfälzische Zeit reichenden       umgesetzt. Eine bereits vorher als seitliche Be-
Baugeschichte ein historisch bedeutendes           grenzung der Treppe genutzte Sandsteinmauer,
Zeugnis der Stadtgeschichte dar.                   ein in den 1930er Jahren untermauerter Bogen,
                                                   konnte als Rest einer ehemaligen mittelalter-
Die erhaltenen baulichen Reste der ehemals         lichen Bogenbrücke, die den Zugang zum
prächtigen Anlage der Kaiserpfalz, im Süden        Burggelände bildete, identifiziert werden.
unterhalb des heute alles überragenden und
ebenfalls als Kulturdenkmal eingestuften           Zur Planung des nächsten Bauabschnitts im
Rathauses (1963–1968) gelegen, umfassen            Bereich von Domos und salischer Burgmauer
im Wesentlichen die 1152 begonnene Domos           wurden zunächst archäologische Sondagen unter
(kaiserliches Wohnquartier) aus der Zeit Kaiser    Betreuung der Landesarchäologie, Außenstelle
Friedrich Barbarossas (1152–1190) mit angren-      Speyer, durchgeführt, um den vorhandenen
zenden Resten der Pfalzkapelle und der sali-       baulichen Bestand der teilweise nur noch im
schen Burgmauer sowie des östlich gelegenen        Pflaster dargestellten Mauerzüge zu erkunden.
Casimirschlosses.                                  Grundlage hierfür waren vor allem Fotos und
                                                   Pläne der Grabungen aus den 1930er sowie
Beim Casimirschloss handelt es sich um die         1960er Jahren, letztere im Zusammenhang mit
ehemalige, ab 1570 errichtete Residenz des         Rathausneubau und Vorplatzgestaltung.
Pfalzgrafen Johann Casimir (1543–1592). Seine
heutige Form geht auf einen (Teil-)Wiederauf-      Im Zuge der Grabungen von 1934–1936 waren
bau und Umbau als Burgmuseum in den 1930er         spätere Überbauungen aus dem 19. Jahrhundert,
Jahren zurück. Von dort sind auch die unter-       wie Brauereigebäude und Teile des ehemaligen
irdischen Gänge erschlossen, die 2008 zur ange-    Zentralgefängnisses, abgerissen worden.
messenen Präsentation der historischen Befunde     Bauliche Reste, die sich eindeutig dem Mittel-
– Grablegen aus fränkischer Zeit, salische Burg-   alter zuordnen ließen, so z. B. die Kapellen-
mauer und Nutzung als Bierkeller im 19. Jahr-      ummantelung aus dem 13. Jahrhundert mit ihren
hundert – didaktisch neu gestaltet wurden.         für die Zeit typischen Buckelquadern, blieben
                                                   als Fragmente indes erhalten. Fundament- und
Diese Neugestaltung war gewissermaßen der          Mauerzüge des nur noch in geringer Höhe über-
Auftakt für die umfangreichen Maßnahmen            kommenen Saalbaus von Barbarossa wurden
zur Aufwertung des Rathausumfeldes mit             nach ihrer Freilegung fotografisch dokumentiert
Casimirschloss und Kaiserpfalz, die seither auf    und wieder mit Erdreich bedeckt.
der Grundlage eines Rahmenplans in mehreren
Bauabschnitten umgesetzt wurden und 2021           Obwohl bereits größtenteils ergraben, konn-
abgeschlossen sein sollen. Ermöglicht wurde        ten anhand bisher unbekannter Befunde neue
die Realisierung dieses Rahmenplans, neben         Erkenntnisse zur Erbauung der Domos erlangt
einer Reihe von weiteren Maßnahmen in der          werden. Auffallend sind die über die gesamte
Innenstadt, durch das seit 2008 laufende           Länge der Südfassade unterschiedlich behan-
Förderprogramm des Landes „Stadtumbau-             delten Fundamentsteine, die in ihrer Form, Be-
gebiet Aktives Stadtzentrum“.                      arbeitung und Größe wechseln und teilweise

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Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
auch auf eine Zweitverwendung schließen
lassen. Hervorzuheben ist ebenso die
Verwendung von Spolien in der untersten
Lage der Fundamente. Diese und weitere
Befunde, wie Abscherungen an der Außen-
kante der Fundamentquader oder deutliche
Fundamentabbrüche, die durch den von
felsig zu sumpfig wechselnden Baugrund
bedingt sind, belegen vier verschiedene
Bauphasen. Auch konnten neue Erkennt-
nisse zur Bauzeit gewonnen werden. Bisher
war man von einer Spanne zwischen 1152
und 1158 ausgegangen. Anhand der im
Fundamentbereich vorgefundenen und
datierbaren Hölzer kann nun jedoch belegt
werden, dass die letzte Bauphase am
Fundament 1190 oder kurz danach erfolgte.

Die auf Grundlage der neuen Befunde
erstellte Planung zur Erlebbarmachung
der Kaiserpfalz beinhaltet neben der
Sicherung des historischen Bestandes
auch eine Darstellung der ursprünglichen
Kubatur der Domos in stilisierter Form.
So sind Aufmauerungen in Sandstein zur
Sicherung der freigelegten Mauerkronen
hauptsächlich auf das anhand der alten
Grabungsfotos der 1930er Jahre erkenn-
bare, damals noch vorhandene Höhen-
niveau beschränkt. Für die oberirdische
Nachzeichnung der noch im Boden ge-
sicherten Befunde oder anhand älterer
Grabungspläne lokalisierten Bauteile
von Domos, Burgmauer, Pfalzkapelle und
Stapf‘scher Befestigungsanlage wurden
bewusst moderne Materialien wie
Stampfbeton und Cortenstahl gewählt.

Das große Interesse der Bevölkerung an
diesem Projekt, das sich, wie bereits bei
den archäologischen Sondagen, nun auch
nach weitgehender Fertigstellung der bau-
lichen Maßnahmen zeigt, beweist, dass       1) Kaiserslautern, Kaiserpfalz, Freilegungen beim Bau der
                                               Außenanlagen am Rathaus, 1968
das Ziel der Rückgewinnung dieses für die   2) Rathausvorplatz mit Casimirschloss und Kaiserpfalz
historische Identität von Kaiserslautern    3) Nachzeichnung des Sockelgeschosses der Domos
hochbedeutenden Denkmals gelungen ist.

SABINE AUMANN
Stadt Kaiserslautern,
Untere Denkmalschutzbehörde

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Vielfalt des Mittelalters - Denkmaltag Rheinland-Pfalz 2020
BURGEN und PALÄSTE

Der ehemalige Bischofspalast in Landau

Ein unbekanntes Kleinod
unter Wurmputz
Fehden zwischen Städten sind uns aus der Zeit       1746 als Dienstwohnung des Bürgermeisters
des Heiligen Römischen Reiches vor allem von        bezeichnet. Den Stadtbrand 1689 überstand
italienischen Stadtstaaten bekannt. Aber auch       der Bau wohl, sein Dachstuhl wurde teilweise
nördlich der Alpen gab es im 14. Jahrhundert so     erneuert. Später wurde der Hof zum Amts- und
einige, auch in der Pfalz.                          Landgericht umgebaut, bis zum Umzug 1903 in
                                                    den Justizpalast am Kaiserring. Dafür wurde der
1313 starb Heinrich VII. und in der Folge schwor    Bau um zwei Flügel erweitert. Nach dem Auszug
die junge Reichsstadt Landau Herzog Friedrich       des Tribunals erfolgte ein Umbau zum Hotel und
dem Schönen von Österreich die Gefolgschaft.        schließlich in den Wehen des Jugoslawienkrieges
Speyer hielt zum bayerischen Herzog Ludwig          zu einer Flüchtlingsunterkunft. Viele Jahre stand
dem Frommen. Beide Könige ernannten Speyerer        das Gebäude mit 2000 qm Nettonutzfläche in
Bischöfe, die jedoch die Stadt selbst zunächst      guter Lage leer. Immer wieder gab es Anfragen
nicht sahen: Einer residierte in Germersheim, der   nach einem Abbruch oder radikalen Umbau.
Andere in Landau. Im folgenden Bürgerkrieg zog      Zuletzt waren nur noch Gastronomien im
Landau mehrmals „plündernd“ gegen Speyer und        Erdgeschoss zugänglich.
verwüstete Äcker und Felder.
                                                    Das Grundstück des Bischofshofs ist mit 30 m
Friedrich geriet in Gefangenschaft, Landau          Tiefe und 35 m Breite eines der größten in der
musste die Herrschaft Ludwigs anerkennen und        Altstadt. Der mittelalterliche Flügel steht mit
schickte eine Gesandtschaft zu Friedrich, um        einer Breite von 12 m zur Straße und geht 30 m
sich vom Treueeid entbinden zu lassen. 1324         in die Tiefe. Er ist nur teilunterkellert, was der
verpfändete König Ludwig Landau zur Strafe          nahen Queich geschuldet scheint. Mit dem für
um 5000 Pfund Heller an den Speyerer Bischof        die Adelshöfe üblichen Hochparterre und nur
Emich. Fortan war die gedemütigte, sonst so         zwei Vollgeschossen zählt er nicht zu den
stolze Freie Reichsstadt dem Bischof untertan       höchsten Höfen der Straße. Zur Straße und
und die Bürger diesem statt dem König zehnt-        zum Hof sind die alten Fenster ihrer profilier-
pflichtig. Als markantestes Zeichen der neuen       ten Pfostenteilung beraubt und zu schlichten
Herrschaft errichtete man in der Kirchgasse,        Rahmengewänden degradiert, zu den Nachbarn
unweit des Marktplatzes an der Stiftskirche,        hin sogar vermauert.
einen Bischofspalast mit großer Zehntscheune.
In der im Vergleich zur Altstadt großzügiger an-    Um 1800 wird anstelle der brandgefährdeten
gelegten Niueve Stat südlich der Queich ent-        Zehntscheune ein später als Gendarmeriebau
standen um diese Zeit viele Adels- und Kloster-     bezeichneter Gegenpart in der Architektur-
höfe. Im „Bischofshof“ saß die bischöfliche         sprache des französischen Militärs errichtet:
Administration und verwaltete Teile des öffent-     Wuchtig, aber schlicht detailliert steht die
lichen Lebens, vor allem die gelieferten Abgaben.   Fassade mit ihren kaum profilierten Sand-
Trotzdem behielt Landau alle Privilegien und        steingewänden und einem kleinen Portal mit
konnte weiter prosperieren. Einmal im Jahr          leichtem Bogensturz dem Bischofspalais mit
schwor jeder Bürger dem Bischof den Eid vor         seinen Maßwerkfenstern gegenüber.
dem Rathaus. 1511 gelang es Landau endlich,
dank des Wohlwollens Kaiser Maximilians, sich       Der Bau wird für die Aufnahme des Gerichts durch
aus der Pfandschaft freizukaufen. Der Hof kam       einen straßenständigen, den Hof schließenden
letztlich in städtisches Eigentum und wurde ab      Mittelflügel mit dem Bischofspalais vereint und

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1) Landau, ehem. Bischofspalast, freigelegtes Portal
2) Palastfenster mit und ohne Pfostenteilung
3) Hofseite mit Einbauten des Hotelbetriebs, links Gendarmeriebau

die Fassade zur Straße bis zur Traufe einheitlich                   Hof. Und auch im Innern dauert es eine Weile,
überarbeitet: eine überbaute Zufahrt im linken                      bis man im Bereich von „Sam’s Bierakademie“
Bereich der leicht zurückgesetzten Mittelfassade,                   und der Bundeskegelbahn fündig wird: Unter
gleiche Fenstergrößen in allen Flügeln, einheit-                    verstaubtem Lametta steht eine Reihe gekup-
licher Putz. Der ehemalige Solitär ist durch das                    pelter spätgotischer Fenster und daneben ein
steile Walmdach noch zu erahnen, denn die Firste                    stattliches, spätgotisches Sandsteinportal mit
der beiden neueren Flügel sind deutlich niedri-                     Gewänden aus sich kreuzenden filigranen Kehl-
ger. Durch die Hotelnutzung ab 1903 werden                          und Vierkantstäben, das in keinen Saal mehr
vor allem die Hoffassade durch einen betonier-                      führt und jahrelang unter Gipskarton verborgen
ten Küchen- und Anlieferrampenbau verstellt                         war. Dieser Teil der Front hat, durch den ange-
und viele Innenstrukturen verändert: Kleine                         bauten Mittelflügel zur Innenwand degradiert,
Raumeinheiten werden mit Leichtbausteinen                           alle Fassadenänderungen überstanden. Wenn
geschaffen, Teile des Dachs ausgebaut und zum                       der Schutt einmal abgetragen ist, werden Bau-
Hof hin mit Gaubenbändern versehen.                                 forscher und Restauratoren weitere Reste des
                                                                    kurzzeitigen Bischofssitzes freilegen können.
Zugegeben, von außen erschließt sich heute
niemandem mehr die Tatsache, dass es sich beim                      JÖRG SEITZ
Nordflügel um einen ehemaligen Palast handelt:                      Stadt Landau,
Wurmputz, schlimmer Anstrich, Anbauten im                           Untere Denkmalschutzbehörde

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BURGEN und PALÄSTE

Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Burg Wernerseck
bei Ochtendung

Machtanspruch und Zeitenwende
Von Autobahn, Gewerbegebieten und Gesteins-          richtet wurde. Vorgeschichtliche und spät-
abbau umgeben, ragt zwischen Ochtendung und          römische Siedlungsspuren konnten durch die
Plaidt die Burgruine Wernerseck hoch über einer      Direktion Landesarchäologie bereits 2011 auf
Schleife des Nettebachs auf. Dominiert von           der Freifläche nachgewiesen werden. Doch was
einem mächtigen und gut erhaltenen, vierge-          war am Ende des 14. Jahrhunderts? Stand hier
schossigen Wohnturm sowie einer hoch auf-            womöglich eine andere Anlage? Dies sind Fragen,
ragenden Ringmauer thront sie hier auf einem         die bis heute nicht beantwortet werden können,
steilen Felssporn. Bis heute birgt ihre Geschichte   und so gibt der Bauplatz weiterhin Rätsel auf.
noch viele Geheimisse.
                                                     Der Burgplatz war vermutlich bei Baubeginn
Im Rahmen der jüngst erforderlichen Instand-         noch im Besitz des Grafen Ruprecht IV. von
setzungsmaßnahmen konnten nun durch das              Virneburg und soll erst 1402 an Werner von
Bauforscherbüro Frank & Mielke aufschlussrei-        Falkenstein abgetreten worden sein. Ein Rechts-
che neue Erkenntnisse zur Baugeschichte              streit zwischen den Erzbischöfen von Köln und
gewonnen werden, die mithilfe dendrochrono-          Trier über den Burgneubau entschied sich wahr-
logischer Altersbestimmungen von Gerüst-             scheinlich erst im Frühjahr 1409 zu Gunsten von
hölzern die bisher angenommene Bauzeit sowie         Werner. Auch wenn Burg Wernerseck als eine der
die Bauphasen präzisieren.                           letzten rheinischen Höhenburgen vom Trierer
                                                     Erzbischof als Grenzfeste begonnen wurde und
Die Errichtung der Burganlage wird dem Trierer       zur Zementierung seines Machtanspruches ge-
Erzbischof Werner von Falkenstein (1388–1418)        gen den Kölner Erzbischof diente, so ist an ihr
zugeschrieben, welcher in heftiger Rivalität         eine Zeitenwende ablesbar, die den gesamten
zum benachbarten Kölner Erzbischof stand. Die        Burgenbau fundamental verändern sollte: die
Fertigstellung des Bergfrieds konnte auf 1394        Erfindung der Feuerwaffen.
datiert werden. Allerdings ist der ausgewählte
Bauplatz ungewöhnlich. Die schmale Land-             Der südöstliche Rundturm der Ringmauer,
zunge, die hoch über dem Bachtal aufragt,            dessen Schießscharten bauzeitlich mit einem
wurde nicht wie üblich am höchsten Punkt             Widerlagerholz für den Gebrauch von Hand-
bebaut, sondern etwas abgerückt an einer             feuerwaffen ausgestattet waren, wurde eben-
tiefergelegenen Engstelle.                           falls im Jahr 1408 errichtet. Die erst aufkom-
                                                     menden Feuerwaffen stellten die High-Tech-
In einer zweiten Bauphase wurde 1408 der             Waffen jener Zeit dar, selten und kostspielig,
östliche Teil der mächtigen Ringmauer fertig-        und damit nur für wenige erschwinglich.
gestellt. Diese richtet sich gegen den heute         Zumal sie neben ihrer Anschaffung auch teure
freien Platz auf der Landzunge. Die neuen Unter-     bauliche Anpassungen erforderlich machten.
suchungen zeigen im nördlichen Bereich auf           Es ist daher davon auszugehen, dass Erzbischof
der Feldseite dieser Ringmauer Befunde, die als      Werner von Falkenstein, der bereits an anderen
Vorbereitung zur Errichtung einer Toranlage          Objekten Erfahrung mit Feuerwaffen gesam-
interpretiert werden können. Da das heute freie      melt hatte, diese auf Burg Wernerseck gezielt
Plateau auf der Landzunge nur durch die Burg         zur Machtdemonstration und Abschreckung ein-
Wernerseck erreichbar ist, stellt sich die Frage,    setzte. Ob dies einen Einfluss auf die Beilegung
warum eine so wehrhafte Befestigungsmauer            des Rechtstreits mit seinem Kölner Rivalen im
gegen einen nahezu unzugänglichen Platz er-          Jahr 1409 hatte, ist reine Mutmaßung.

10
In weiteren, gut ablesbaren Bauabschnitten
wurde die Ringmauer zuerst 1411 und
dann 1417 erweitert. Unter der Vielzahl
von Funden zeigt insbesondere der Be-
fund an der Mauerkrone der südlichen
Ringmauer, trotz allgemeinen Verfalls
                                Historische Bauforschung                      VERSUCH EINER BAUPHASENTRENNUNG                            WERNERSECK, 56299 OCHTENDUNG

der Burg, den noch immer guten Erhalt-
                                FRANK & MIELKE GbR                           ÄUSSERE RINGMAUER - SÜDL ABSCHNITT                          BAUUNTERSUCHUNGEN       2018

ungszustand der Ruine. Neben großen,
auskragenden Steinplatten, die Teil des
                          Errichtung der Kernburg

Wehrgangs waren, haben sich hier Reste
                          (in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts)

eines bauzeitlichen Estrichs erhalten. Der
                          Östlicher Abschnitt der äußeren Ringmauer

sogenannte Wohn- oder Wirtschaftsbau
                          (im Jahr 1408)

sowie die Vorburg konnten noch nicht
                          1. Erweiterung der äußeren Ringmauer

genauer datiert werden.   undatiert

                          2. Erweiterung der äußeren Ringmauer

So wichtig die Burg Wernerseck bei ihrer
                          (im Jahr 1411)

Erbauung war, verlor sie doch im Laufe der
                          3. Erweiterung der äußeren Ringmauer

Zeit an Bedeutung. Die seit 1542 im Besitz
                          (frühestens im Jahr 1417)

der Grafen von Eltz zu Langenau befind-
                          Veränderungen an der äußeren Ringmauer
liche Anlage verfiel vermutlich ab Mitte
                          undatiert

des 17. Jahrhunderts.                                                         Östlicher Abschnitt der             1. Erweiterung der     2. Erweiterung der
                          Veränderungen an der äußeren Ringmauer              äußeren Ringmauer                   äußeren Ringmauer      äußeren Ringmauer
                          in den 1960er Jahren
                                                                              im Jahr 1408                        undatiert              im Jahr 1411
Burg Wernerseck konnte durch die von
                                                                              3. Erweiterung der                  undatiert
2017 bis 2019 vorbildlich und behutsam
                          undatiert

                                                                              äußeren Ringmauer
durchgeführten Arbeiten für kommende                                          frühestens im Jahr 1417

Generationen bewahrt werden. Neben
den Sanierungs- und Restaurierungs-                                                                                                         39

arbeiten wurde auch eine dauerhafte
Erschließung des Bergfrieds neu ge-
schaffen. Die Arbeiten wurden durch
die Deutsche Stiftung Denkmalschutz,
das Denkmalschutzsonderprogramm
der Bundesbeauftragten für Kultur
und Medien, das Investitionsstock-
Förderprogramm des Landes Rhein-
land-Pfalz sowie durch die Direktion
Landesdenkmalpflege der General-
direktion Kulturelles Erbe gefördert.

ESTHER KLINKNER
GDKE, Landesdenkmalpflege,                                            1) Burg Wernerseck, Gesamtansicht
                                                                      2) Baualtersplan, äußere Ringmauer, südl. Abschnitt (Historische
Praktische Denkmalpflege                                                 Bauforschung Frank und Mielke GbR)
                                                                      3) Schießscharte mit rechteckiger Eintiefung, die zur Aufnahme
                                                                         eines Widerlagerholzes für Feuerwaffen diente

                                                                                                                                            11
BURGEN und PALÄSTE

Die Restaurierung der Innenräume auf Burg Eltz

„Die Burg schlechthin“
Als „die Burg schlechthin“ würdigte der            einzelnen, von den verschiedenen Familien-
Kunsthistoriker Georg Dehio 1911 in seinem         zweigen errichteten Burghäusern. Sie zeugen
bekannten Handbuch der Deutschen Kunst-            in ungewöhnlicher Anschaulichkeit vom Wohn-
denkmäler die malerisch in einem Seitental         komfort und der fortschreitenden Differenzierung
der Mosel gelegene Burg Eltz: „Das Gewirr und      der Raumfunktionen im späten Mittelalter.
Gezipfel ihrer steilen Dächer und Erker läßt uns   Während des 19. Jahrhunderts hatte man die
im Original anschauen, was wir sonst nur in        Ausstattung mit großem Respekt vor dem ori-
Bruchstücken oder aus alten Bildern und Kupfern    ginalen Bestand wiederhergestellt und ergänzt.
kennen.“ Trotz eines Großbrandes im Jahre 1920     Denkmalpflegerisches Ziel ist es, diesen über
gehört sie noch heute zu den authentischsten       viele Generationen gewachsenen Zustand zu
und eindrücklichsten Adelsburgen des späten        erhalten und – wo nötig – wieder verstärkt ab-
Mittelalters in Deutschland. Dabei verdankt        lesbar zu machen. Bereits 2010 wurden in einem
die Anlage, die über einem vom Elzbach um-         ersten Schritt die Burgküche sowie der prächtige
flossenen Felsen aufragt, ihre Bedeutung nicht     Fahnensaal im Groß-Rodendorfer Haus, dessen
allein dem unberührten, gleichsam aus der Zeit     aufwendiges spätgotisches Netzgewölbe ein-
gefallenen äußeren Erscheinungsbild. Mit ihrer     sturzgefährdet war, instandgesetzt.
reichen, über Jahrhunderte hinweg zusammen-
getragenen Ausstattung spiegelt sie zugleich in    Statische Probleme betrafen auch das Burghaus
einzigartiger Weise die seit mehr als 850 Jahren   Rübenach. Wie die aktuellen dendrochronologi-
ununterbrochene Kontinuität der Grafen zu Eltz     schen Untersuchungen belegen, wurde der 1920
als Eigentümer wider.                              vom Brand verschonte Bau schon 1311/1312
                                                   erbaut, sein steiles Dach 1440/1441 erneuert.
Wegen bedrohlicher Schäden an der historischen     Die Herausnahme der Mittelstütze im Untersaal
Substanz wurden 2009 grundlegende Instand-         des Erdgeschosses im 19. Jahrhundert hatte
setzungsarbeiten eingeleitet, die bis heute an-    zur Absenkung der Decken in den Geschossen
halten. An erster Stelle bei der von Bund und      darüber geführt. Um die überlieferte räum-
Land geförderten Maßnahme standen zu-              liche Situation nicht zu verändern, fing man
nächst die statische Sicherung des baulichen       die Lasten bei der Sicherung von oben her ab.
Gefüges, die Erneuerung der Schieferdächer         Dringender konservatorischer Behandlung
und die Reparatur der Fachwerkfassaden.            bedurfte vor allem das im Obergeschoss ge-
Jedoch konnte auch der mächtige, nach dem          legene wertvolle Raumensemble aus dem
Brand 1920 nur provisorisch aufgerichtete          Schlafgemach mit dem Kapellenerker und dem
Fachwerkgiebel des Kempenicher Burghauses          Ankleidezimmer, deren dekorative Ausmalung
aus dem 17. Jahrhundert nach alten Vorlagen        vielfältige Schäden aufwies. Neben der behut-
wiederhergestellt werden. Alle Arbeiten wurden     samen Reinigung der Oberflächen stand bei
sowohl durch bauhistorische wie restauratori-      den Restaurierungsarbeiten die Festigung der
sche Untersuchungen vorbereitet und beglei-        Farbschichten im Vordergrund, die sich vor al-
tet, die viele neue Erkenntnisse zur baulichen     lem an den Deckenbalken abzulösen drohten.
Entwicklung der Burg sowie zum Wandel ihres        Bei Voruntersuchungen zeigte sich, dass die im
Erscheinungsbildes hervorbrachten.                 19. Jahrhundert durch Überfassung entstan-
                                                   denen Rankenmalereien recht getreu ihren
Besondere Aufmerksamkeit galt der Restau-          spätmittelalterlichen Vorlagen entsprechen,
rierung der repräsentativen Innenräume in den      die sich darunter verbergen. Eine großflächige

12
Freilegung der mittelalterlichen Malereien
unterblieb mit Rücksicht auf deren un-
klaren Erhaltungszustand sowie die kon-
servierende Schutzwirkung der Über-
malung. Retuschen wurden nur sehr
zurückhaltend vorgenommen, damit die
authentische Wirkung der Räume mit
ihren Altersspuren bewahrt bleibt. Eine
Sicherung erfuhr auch die reizvolle, mit
figürlichen Darstellungen durchsetzte
Bemalung der Vertäfelung im angrenzen-
den Schreibkabinett, die 1881 von Eduard
Knackfuß als Ergänzung der mittelalter-
lichen Räume geschaffen wurde.

Eine merkliche Bereicherung des Raum-
bildes bewirkte die Restaurierung des
Rittersaales im 1514/1515 erbauten
Burghaus Groß-Rodendorf. Der größte
Saal der Burg mit seiner eindrucksvollen
spätgotischen Balkendecke und den stu-
ckierten Wappenfriesen des 17. Jahr-
hunderts war 1863 neu dekoriert und
mit Möbeln sowie Waffenarrangements
eingerichtet worden. In der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg, in der die Kunst des
Historismus nur wenig Wertschätzung
erfuhr, hatte man die Wände weiß über-
strichen. Untersuchungen ergaben,
dass sich unter der Tünche die aus dem
19. Jahrhundert stammende Sockelmalerei
mit ihren Ranken und Ornamentbordüren
weitgehend erhalten hatte. Auch die
Holztüren und selbst die Sockel der hier
aufgestellten Rüstungen konnten unter
dem nachträglichen Anstrich ihre rei-
chen Schablonenornamente bewahren.
Nach Freilegung und zurückhaltender
Ergänzung der Dekorationsmalereien
hat der Rittersaal nun seine frühere
atmosphärische Dichte wiedererlangt.

                                             1) Burg Eltz, Ansicht von Westen
                                             2) Haus Rübenach, Schlafgemach
DR. GEORG PETER KARN                         3) Haus Groß-Rodendorf, Rittersaal nach der Restaurierung, 2019
GDKE, Landesdenkmalpflege,
Weiterbildung und Vermittlung

                                                                                                               13
BURGEN und PALÄSTE

Mittelalterliche Mauern in Schloss Herrnsheim

Von der Burg zum Schloss
Malerisch am Rande des Ortes Herrnsheim              wo heute das Treppenhaus und die Südterrasse
gelegen, präsentiert sich Schloss Herrnsheim         des Schlosses liegen. Ein Plan aus dem frühen
als bedeutende klassizistische Anlage, deren         18. Jahrhundert deutet einen weiteren, gewin-
Gestalt durch die letzte große Umbauphase            kelten Baukörper im Norden und Osten mit
zwischen 1840 und 1845 geprägt wurde. Es ist         einem achteckigen Turm an.
zwar bekannt, dass Schloss Herrnsheim auf eine
mittelalterliche Burg zurückgeht, die von den        Die von der Stadt Worms mit Unterstützung
Kämmerern von Worms, genannt von Dalberg,            des Bundes und des Landes Rheinland-
um 1460 gegründet wurde, doch rein äußer-            Pfalz begonnene Sanierung des Schlosses
lich lässt nur noch der Rundturm mit seinen          bot 2018/2019 Gelegenheit, der noch nicht
Schießscharten in der Nordwestecke die alte          gänzlich geklärten Baugeschichte weiter
Wehranlage erahnen. Neben dem Turm wird der          nachzugehen. Im Abgleich von historischen
tonnengewölbte Keller im Westen des Schlosses        Plänen, Beschreibungen, Inventaren und res-
als Relikt dieser Burg angesehen. Bei bauhistori-    tauratorischen Befunden konnten die Mit-
schen Untersuchungen im Jahr 2013 konnte der         arbeiterinnen der Abteilungen Bauforschung
Bauforscher Lorenz Frank auch an der Südseite        und Restaurierung der Landesdenkmalpflege in
des Westflügels spätgotisches Mauerwerk bis          Zusammenarbeit mit der Stadt Worms für das
über zwei Stockwerke hinauf feststellen. Für die     gesamte Schloss Baualterspläne erarbeiten.
übrigen Fassaden steht eine Untersuchung noch
aus. Die Burg wurde im Zuge des Pfälzischen          Bei diesen Untersuchungen fanden sich Hin-
Erbfolgekrieges 1689 zerstört und an ihrer Stelle    weise darauf, dass auch im Osten des Schlosses
um 1711 bis 1740 ein zweigeschossiges Barock-        im Bereich des Kellers bzw. des Festsaales
schloss errichtet, das wiederum in zwei entschei-    ältere Bausubstanz erhalten ist. Darauf deuten
denden Phasen 1810–1833 und 1840–1845                zum einen Baubefunde und zum anderen die
seine heutige Gestalt erhielt.                       Analyse der mittelalterlichen bis barocken
                                                     Wegestruktur des Ortes hin. Denn seit dem
Im Gegensatz zur bewusst angelegten Öffnung          Mittelalter besaß Herrnsheim ein Wegenetz
des Schlosses zum Park und der anschließenden        mit Toren in jeder Himmelsrichtung. Das
Landschaft musste die mittelalterliche Burg vor      Nordtor, das in der Nähe der Burg gelegen
allem zur Landseite – der potentiellen Angriffs-     haben muss, ist längst verschwunden, sodass
seite – hin wehrhaft sein. Sie lag eingebunden       die Herrnsheimer Hauptstraße heute am Tor
in die ebenfalls wohl aus dem 15. Jahrhundert        des Schlosshofs endet. Sie führte einst weiter,
stammende Ortsbefestigung, verstärkt durch           durch das Nordtor geradewegs nach Osthofen.
den Rundturm und einen Graben vor der Mauer.         Die Straße musste im späten 18. Jahrhundert
Beide werden auf historischen Plänen zum             der Anlage des Englischen Landschaftsgartens
Umbau des Schlosses noch dargestellt. Das            weichen. Während der Revolutionskriege wurde
Aussehen der Burg ist nicht überliefert. Aus         sie jedoch von den Franzosen für den Durchzug
der Disposition des teils mittelalterlichen, teils   der Truppen kurzerhand wiederhergestellt, be-
barocken Kellers wird darauf geschlossen, dass       vor sie dann endgültig von Emmerich Joseph
der Westflügel des Schlosses auf ein Burghaus        von Dalberg (1773–1833) in den Westen des
zurückgeht. Die Lage des Kellerhalses zeigt,         Ortes verlegt wurde, sodass sich der Schloss-
dass es sich nach Osten zu einem Hof hin öff-        park seitdem ungestört ausdehnt.
nete, der in etwa dort zu lokalisieren wäre,

14
Vergleicht man die älteste Darstellung
des Herrnsheimer Schlosses, eine Supra-
porte aus dem Älteren Dalberger Hof in
Mainz, mit dem Bau selbst, fällt auf, dass
diese Straße nach bzw. von Osthofen
sowohl östlich neben dem Schloss, als
auch in eine Durchfahrt im Schloss selbst
mündete. Spuren der Durchfahrt lassen
sich noch heute im Mauerwerk des Kellers
ausmachen. Auch im Hochparterre des
Schlosses fallen Mauerstrukturen auf, die
sich nicht allein durch die Disposition der
Räume erklären lassen. Ebenso zeigen
die überlieferten Entwurfszeichnungen
zum Schlossumbau aus der Zeit vor
dem Wiederaufbau von 1711 verschie-
dene Überlegungen zur Führung dieser
Straße und zum Umgang mit dem nörd-
lichen Ortseingang. Durchgesetzt hat
sich schließlich die Idee, die Straße am
Schloss direkt aufzuteilen, einerseits
unter dem Schloss hindurch in den Hof
hinein und andererseits über eine paral-
lele Umfahrung des Schlosses in den Ort.
Es stellt sich somit die Frage, ob sich im
Bereich der Durchfahrt im Keller nicht nur
Relikte der Straßenführung, sondern auch
des verschwundenen Nordtores oder gar
der Burg innerhalb des barocken Neubaus
erhalten haben und beim Neubau des
Schlosses um 1711 bis 1740 Relikte der
Burg und der Ortsbefestigung miteinander
verschmolzen wurden.

Weitere Untersuchungen im Rahmen der
geplanten Instandsetzung des Schlosses
werden folgen und hoffentlich neue
Erkenntnisse zur mittelalterlichen Burg,
aber vor allem zur Genese des Schlosses
mit sich bringen.

                                              1) Schloss Herrnsheim, Gesamtansicht vom Park
                                              2) Ansicht von Norden mit Allee von Osthofen, Mitte 18. Jh.
JUTTA HUNDHAUSEN                                 (Supraporte aus dem Älteren Dalberger Hof in Mainz)
GDKE, Landesdenkmalpflege,                    3) Grundriss des Kellers mit Darstellung der Bauphasen
Bauforschung                                     (mittelalterlicher Bestand blau markiert)

                                                                                                            15
BURGEN und PALÄSTE

Die Kauzenburg in Bad Kreuznach

Gottfried Böhms postmoderner
Ausbau der Burgruine
Die auf einem Höhenrücken über dem Nahe-             Zeit, auf denen Andreas von Recum Anfang
tal gelegene Kauzenburg wurde vermutlich im          des 19. Jahrhunderts eine von Schloss Dhaun
12. Jahrhundert zum Schutz des Flussübergangs        stammende Löwenstatue angebracht hatte.
durch die Grafen von Sponheim gegründet und          Darüber hinaus hatten sich unterirdisch aus-
beherrschte über Jahrhunderte das Stadtbild von      gedehnte Gewölbekeller erhalten, die in zwei
Bad Kreuznach. Im Dreißigjährigen Krieg mehr-        Geschossen unter der Burg angelegt worden
fach beschädigt und im Pfälzischen Erbfolgekrieg     waren. Abgesehen von den nördlich aufragenden
1689 durch die Franzosen endgültig zerstört, war     Mauerresten der Burg, die unverändert an Ort
von der einst imposanten Burganlage Anfang des       und Stelle belassen wurden, erfolgte eine konse-
19. Jahrhunderts jedoch kaum mehr etwas vor-         quente Einbeziehung der historischen Substanz
handen. Als der pfälzische Weinbauexperte und        in den Neubaukörper.
Politiker Andreas Freiherr von Recum die Ruine
auf dem Kauzenberg im Jahr 1803 erwarb, ließ         Den erhaltenen Sockel des mittelalterlichen
er an ihrer Stelle einen Wirtschaftshof errichten,   Rundturms im Osten versah man mit einer
den noch erhaltenen Resten der Sponheim‘schen        transparenten Stahlkonstruktion und baute ihn
Burg schenkte er dabei kaum Beachtung. Seit          zur Aussichtsterrasse eines neuen Restaurants
dem späteren 19. Jahrhundert ergänzte eine           aus. Auf seiner Hofseite integriert der mit einer
neugotische Villa die Ruine. Anfang der 1970er       Vorhangfassade aus Metall und Glas versehene
Jahre sollte die mittelalterliche Burg wiederum      Neubau außerdem den als Rekonstruktion wie-
eine zeitgemäße Anpassung ihres Bestandes er-        dererstandenen Treppenturm, der als Aufzugs-
fahren, die die historische Bausubstanz in neu-      schacht einer neuen Nutzung zugeführt wurde
artiger Weise zur Geltung bringen sollte.            und nun alle vier Ebenen des Gebäudes mitein-
                                                     ander verbindet. Die ersten drei Geschosse, ein-
Als das Gelände 1969 in den Besitz der neu-          schließlich der Keller, sind für den Restaurant-
gegründeten Kauzenburg-Betriebs-Aktien-              und Gaststättenbereich vorgesehen, während
gesellschaft überging, ließ man die damals nur       das oberste Geschoss zur Unterbringung von
wenig geschätzte historistische Architektur          Personalwohnungen dient.
aus dem 19. Jahrhundert vollständig abreißen.
Stattdessen erfolgten eine behutsame Freilegung      Der in Bruchsteinmauerwerk ausgeführte Turm
der noch vorhandenen Bausubstanz der mittel-         bildet nicht nur einen vertikalen Akzent, son-
alterlichen Burganlage und die Beauftragung des      dern auch einen eindrücklichen Gegensatz
bedeutenden Kölner Architekten Gottfried Böhm        zu dem traditionellen Bruchstein und den
(*1920), der in Arbeitsgemeinschaft mit dem          modernen Materialien Metall und Glas.
ortsansässigen Architekten Günter Hartmann           Vor- und zurückspringende Gebäudeteile be-
einen zeitgemäßen Um- und Ausbau der                 wirken eine plastische Auflockerung der rötlich
Kauzenburg vornehmen sollte.                         gefassten Metallfassade, die durch Abschrägung
                                                     aller Gebäudeecken und Dachkanten zusätzlich
Oberirdisch existierten zu diesem Zeitpunkt          differenziert wird. Zur Talseite öffnet sich die
nur noch geringe Mauerreste, insbesondere der        über den Resten der ehemaligen Ringmauer auf-
Rest eines Treppenturms und die Grundmauern          ragende Fassade hingegen mit einer strengen
eines großen Rundturmes mit anschließen-             Reihung weit auskragender polygonaler Erker
dem Mauerwerk im Osten der Anlage sowie              und Balkone. Zwei große, in das historische
Fragmente von Gebäuden aus spätgotischer             Mauerwerk eingebrachte Thermenfenster

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1) Bad Kreuznach, Kauzenburg, Überreste spätgotischer Gebäude mit Löwenstatue im Osten der Anlage
2) Südostansicht des Neubaus mit erhaltenem Sockel des mittelalterlichen Rundturmes im Osten
3) Hofansicht des Neubaus mit Rekonstruktion des ehem. Treppenturmes

kennzeichnen die Räume im Kellergeschoss, die                       hier jedoch filigrane Stahl-Glaskonstruktionen
sich hier in der gesamten Höhe ihrer Tonnen-                        Eingang in die Gestaltung, welche die vorhan-
gewölbe nach außen öffnen. Die Planungen um-                        dene mittelalterliche Substanz zu einem integra-
fassten darüber hinaus auch die Außenraum-                          len Bestandteil der zeitgenössischen Konzeption
gestaltung. So wurden auf mehreren Ebenen                           machen und sich gleichzeitig gegenüber dem
Terrassen mit polygonalen, bastionsartigen                          historischen Bestand selbstbewusst behaupten.
Vorsprüngen angelegt, die Anleihen an der                           Die Kauzenburg markiert damit einen wichtigen
Festungsarchitektur des 17. Jahrhunderts                            Wendepunkt im Werk Gottfried Böhms und lässt
nehmen. Die filigranen Stahlbrüstungen der                          einen neuen, postmodernen Ansatz erkennen,
Terrassen, einst analog zu den Neubauteilen rot                     der erst in den 1980er Jahren vollends zur Ge-
gefasst, sind mittlerweile verschwunden, doch                       ltung kommen und den der Kölner Architekt
ist die grundlegende Struktur der Böhm‘schen                        einige Jahre später, etwa bei der Neugestaltung
Außengestaltung noch heute erkennbar.                               des Saarbrücker Schlosses, erproben sollte.

Der 1971–1972 erfolgte Ausbau der Kauzenburg
tritt als bewusster Kontrast zu den vorhandenen
Resten der mittelalterlichen Burg in Erscheinung.                   DR. LEONIE KÖHREN
Anders als die betonbrutalistischen Entwürfe des                    GDKE, Landesdenkmalpflege,
Kölner Architekten in den 1960er Jahren finden                      Inventarisation

                                                                                                                  17
KIRCHEN

Die Restaurierungen der Stiftskirche in Kaiserslautern

Auf der Suche nach dem Mittelalter
Im Zentrum der Stadt Kaiserslautern steht die        Am 5. Januar 1945 wurde die Stiftskirche in
Stiftskirche in ihrer prachtvollen schlanken sand-   Kaiserslautern von einer Bombe getroffen, die
steinroten Erscheinung. Sie gilt als bedeutendster   den Hauptturm mit dem eisernen Glockenstuhl,
Sakralbau der hohen Gotik in der Pfalz. Zugleich     das Dach von Chor, nördlicher Vorhalle und
ist sie ein Lehrbeispiel für den Wandel von der      Schiff einschließlich vieler Zwerchgiebel und
schöpferischen zur konservierenden Denkmal-          alle Glasfenster zerstörte. Der Wiederaufbau
pflege. Wir wissen, dass der lang gestreckte Chor    1946–1950 stand unter der Ägide von
der Kirche des von Kaiser Barbarossa gegründeten     Regierungsbaumeister Eugen Heußler. Er leitete
Prämonstratenserklosters im 13. Jahrhundert          auch den Wiederaufbau der neugotischen
entstanden ist, einige Jahrzehnte später das         Apostelkirche, für die er einen modernen Innen-
dreischiffige Hallenlanghaus.                        ausbau im Zeitstil der 1950er Jahre wählte. Im
                                                     Gegensatz dazu stand seine Arbeit an der Stifts-
Die älteste Abbildung der Kirche, die wir kennen,    kirche, wie er in der Festschrift zum Wiederauf-
stammt schon aus nachmittelalterlicher Zeit          bau 1950 schrieb: „[…] der andere Gesichtspunkt
um 1540 und zeigt den lang gestreckten Bau           war der des hingebungsvollen Dienens am Bau,
mit zahlreichen spitzbogigen Fenstern und den        das Unterordnen der eigenen Wünsche unter die
charakteristischen achteckigen Türmen, dem           Sprache des alten Meisterwerkes.“ Heußler er-
Vierungsturm in der Mitte und den beiden West-       neuerte die Gewölbe über Chor und nördlicher
türmen an der Eingangsseite. Fast genauso sieht      Vorhalle, die zerstörten Zwerchgiebel über den
die Kirche noch auf dem berühmten Bild der           Seitenschiffen und den Hauptturm. Aber diesen
Unionsfeierlichkeiten 1818 aus.                      „verbesserte“ er noch ein wenig: Das obere Turm-
                                                     freigeschoss, das bis zur Zerstörung rundbogige
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die       Fenster aus dem 18. Jahrhundert gezeigt hatte,
große Zeit der Hinwendung zu den Baustilen des       bekam nun größere spitzbogige Fenster mit
Mittelalters, besonders zur Gotik als „Kirchen-      Maßwerk. Der Wiederaufbau des Daches ge-
baustil“. Das galt für zahllose Kirchen, die neu     schah mit sparsamen Mitteln, mit z. T. einfachen
gebaut wurden, und für viele Kirchen, die noch       gestückelten und wiederverwendeten Balken,
vollendeter gotisch werden sollten, als sie schon    der Kriegsschutt blieb zum größten Teil auf den
waren. Der Architekt Heinrich von Schmidt, der       Gewölben liegen.
bereits in Oppenheim die Katharinenkirche wie-
derhergestellt hatte, widmete sich ab 1878 der       1965–1968 kam es zu der nächsten großen
Instandsetzung der Kaiserslauterer Stiftskirche.     und einschneidenden Restaurierungsmaßnahme:
Er vollendete sie gewissermaßen, machte ihr Auf-     Der Kaiserslauterer Architekt Werner Heyl
treten nach außen filigraner und gotischer, indem    verfolgte auch hierbei das Ziel der Wiederher-
er alle drei Turmhelme höher und spitzer machte      stellung eines mittelalterlichen Zustandes.
und das große breite Dach, das bisher alle drei      Dafür ließ er den Fußboden auf das ursprüng-
Schiffe des Langhauses überdeckt hatte, aufteilte    liche Niveau, um rund einen halben Meter,
in ein durchgehendes Mittelschiffdach und nied-      absenken und entfernte die historistische
rigere Querdächer über den Seitenschiffen. Sie       Wandfassung aus der Zeit von Heinrich von
laufen jeweils auf einen neu geschaffenen Zwerch-    Schmidt in der Vorstellung, durch das Freilegen
giebel zu, der von einer Kreuzblume bekrönt wird.    des reinen Sandsteins den mittelalterlichen
Zwischen den Giebeln ragen krabbenbesetzte           Raum wiederherzustellen. Weiterhin beseitigte
Fialen als Abschluss der Strebepfeiler auf.          Heyl den Anbau auf der Chornordseite ein-

18
1) Kaiserslautern, Stiftskirche, Ansicht von Norden
2) Ansicht von Südosten nach dem Bombentreffer 1945
3) Bergung einer stark geschädigten und absturzgefährdeten Fiale an der Nordwestecke

schließlich Resten der gotischen Sakristei,                          große Mengen Schutt beseitigt werden. Die
um den Kirchenbau freizustellen und ihn durch                        Dachtragwerke hinter den Zwerchgiebeln und
eine niedrige abgerückte Umgebungsbebauung                           über der Unionskapelle wurden erneuert, der
wieder mehr hervorzuheben.                                           Regenwasserablauf geregelt. Weiterhin wurden
                                                                     umfassende Restaurierungsarbeiten an der
Feuchteschäden am Gewölbe im Inneren der                             Außenhaut des Gebäudes vorgenommen, sämt-
Stiftskirche waren der Auslöser für eine erneute                     liche Natursteinteile und -oberflächen wurden
große Restaurierungskampagne 2018–2020.                              repariert und gereinigt, Stahl- und Bleistege an
Die Schadensanalyse durch den Architekten                            den Fenstern ertüchtigt, Glasscheiben erneuert.
Gunther Ecker ergab, dass die Kombination                            Als Ergebnis dieser aufwendigen Arbeiten sieht
von Fehlern beim Wiederaufbau des Daches                             man: Nichts hat sich verändert. Ausschließlich
und von Vernachlässigungen in den folgenden                          dringend notwendige Maßnahmen zur Sicherung
Jahrzehnten die Wasserführung so stark beein-                        der Bausubstanz haben stattgefunden und der
trächtigt hatten, dass es zu massiven Schäden                        Stiftskirche ihr überliefertes Gesicht bewahrt.
an Holztragwerk, Mauerwerk und Dachhaut
gekommen war. Durch Wassereintrag und
Schädlingsbefall zerstörte Teile des Dachtrag-                       DR. ULRIKE WEBER
werks wurden ausgewechselt, fehlende Teile des                       GDKE, Landesdenkmalpflege,
komplexen Gefüges mussten wiederhergestellt,                         Praktische Denkmalpflege

                                                                                                                   19
KIRCHEN

Die Neufassung der Liebfrauenkirche in Worms

In strahlendem Gewand
Von Weingärten umgeben, für deren Namen                nahmen, die den damaligen Vorstellungen von
„Liebfrauenmilch“ die Kirche Pate gestanden hat,       einem mittelalterlichen Bauwerk Rechnung tru-
am östlichen Stadtrand von Worms in der Nähe           gen: Die Westtürme der Liebfrauenkirche erhiel-
des Rheins gelegen, präsentiert sich die Lieb-         ten ein zeittypisches Erscheinungsbild mit hellen
frauenkirche, deren Ursprünge bis ins frühe            Putzflächen und dunkel abgesetzten Eckquadern.
Christentum zurück reichen, als ein herausragen-
des Zeugnis hoch- und spätgotischer Architektur        Im Zuge der letzten Restaurierungskampagne
in Rheinland-Pfalz. Die Bauzeit des heutigen           erfolgte zwischen 2005 und 2010 erneut eine
Kirchengebäudes erstreckte sich über fast 200          farbliche Veränderung an der Westfassade. Die
Jahre, von 1276 bis 1465, was nicht nur dessen         Eckquaderung wurde nun zugunsten einer ein-
Ausmaßen geschuldet war – die Liebfrauenkirche         heitlichen Farbfassung mit Fugenmalerei aufge-
ist die größte gotische Kirche in Rheinland-Pfalz –,   geben. Mit diesem Konzept versuchte man sich
sondern auch den wohl schwierigen Bauabläufen,         an historische Farbbefunde anzunähern, die sich
musste doch beim Neubau Rücksicht auf ein              bis heute im überdachten Bereich der Westtürme
Vorgängergebäude genommen werden.                      erhalten haben und kräftige Rotorange-Töne
                                                       sowie den Rest eines Fugenstrichs zeigen.
Mit Sicherheit wurde der Vorgängerbau während          Allerdings erschien der dominante Rotton da-
der Bauarbeiten weiterhin genutzt, um die Kon-         mals offenbar als zu gewagt, weshalb bei der
tinuität der Gottesdienstfeiern gewährleisten zu       Umsetzung der Farbgebung ein kühler Roséton
können. Denn die Liebfrauenkirche war das stark        vorgezogen wurde.
frequentierte Pilgerziel einer Marienwallfahrt.
Das hohe Pilgeraufkommen aus dem gesamten              Aufgrund erheblicher Schäden startete im
deutschsprachigen Raum dürfte auch den                 Jahr 2018 am Nordquerhaus erneut eine
Anstoß zum Neubau einer größeren Kirche                Instandsetzungsmaßnahme, die in den
gegeben haben. Die aufwendigen Bauformen               kommenden Jahren um sämtliche Fassaden
mit Sanktuariumsumgang im Osten und Zwei-              herumgeführt werden soll. Die steinsichtigen
turmfassade im Westen zeugen von der Finanz-           Oberflächen des Eisenberger Sandsteines zei-
kraft und den repräsentativen Ansprüchen der           gen starke Verwitterungsspuren und großflä-
Bauherren. Auch die qualitätvolle, heute noch          chige Abplatzungen, der Putz im Bereich des
zum Teil vorhandene Ausstattung verweist auf           Obergadens liegt an vielen Stellen hohl, sodass
die einstige Bedeutung der Liebfrauenkirche weit       umfangreiche Sanierungen unumgänglich sind.
über die Stadtgrenzen von Worms hinaus.
Wie so viele Bauwerke der südlichen Landesteile        Vor Beginn der Maßnahme wurden Bauforscher
wurde auch die Liebfrauenkirche im Pfälzischen         hinzugezogen, die die Steinoberflächen be-
Erbfolgekrieg 1689 teilweise zerstört. Anders als      gutachteten, Bearbeitungsspuren kartierten
die Mehrzahl der Kirchen wurde sie jedoch nicht        und Bauabschnitte verfolgten, um mehr über
barockisiert, sondern in ihren gotischen Formen        den Entstehungsprozess der Liebfrauenkirche
wiederaufgebaut. Schon damals ein Zeichen des          zu erfahren. Anhand der Steinformate und
Traditionsbewusstseins und des Wissens um die          der Bearbeitung der Oberflächen konnten die
historische Bedeutung des Bauwerks.                    Bauforscher unter anderem nachweisen, dass
                                                       Baumaterial aus dem Vorgängerbau in der
Ab 1860 erfolgten unter dem Mainzer Kreisbau-          Nordquerhausfassade wiederverwendet wurde.
meister Ignaz Opfermann restauratorische Maß-

20
Ein Restaurator konnte bei einer er-
neuten Untersuchung der Fassaden-
oberflächen ebenfalls die bereits vor
15 Jahren am Westteil der Kirche festge-
stellte historische Farbigkeit – also jenen
kräftigen Rotorange-Ton – auch für das
Nordquerhaus bestätigen.

Nach intensiven Diskussionen entschieden
die Verantwortlichen der kirchlichen und
staatlichen Denkmalpflege, bei der jetzi-
gen Maßnahme nicht das vor 15 Jahren
eingeführte Farbsystem weiter zu ver-
folgen, sondern das historisch überlieferte
Erscheinungsbild zum Vorbild zu nehmen,
die Fassaden zu verputzen und in dem
restauratorisch belegten Rotorange-Ton
zu fassen. Auf die Fassung wurde in An-
lehnung an den Befund ein Fugenbild in
heller Tönung aufgebracht.

Mit dieser Vorgehensweise wurde eine gut
begründete Grundsatzentscheidung ge-
troffen, die das Leitbild für die noch anste-
henden Bauabschnitte definiert. Zwar wird
dadurch bewusst in Kauf genommen, dass
sich die Westteile der Liebfrauenkirche
nach fertiggestellter Gesamtsanierung
erst einmal vom Rest der Kirche deutlich
unterscheiden werden, dennoch stellten
die an mehreren Stellen belegbaren histori-
schen Farbbefunde für alle Beteiligten eine
Verpflichtung zur Wiederherstellung des
mittelalterlichen Erscheinungsbildes dar.

Nach Abschluss der Sanierung wird die
in ihrer einstigen, leuchtend mittel-
alterlichen Farbigkeit erstrahlende
Liebfrauenkirche dann noch mehr als
bisher den Blick vom Rhein auf die Stadt
dominieren und ihre Stellung als ehemals
wichtige Pilgerkirche unterstreichen.
                                                1) Worms, Liebfrauenkirche, Ansicht von Nordosten 1965
                                                2) Ansicht von Nordosten mit rekonstruierter Farbfassung
                                                3) Ansicht der Westfassade mit Farbfassung der frühen 2000er Jahre

DR. KATINKA HÄRET-KRUG
GDKE, Landesdenkmalpflege,
Praktische Denkmalpflege

DIANA ECKER
Kirchliche Denkmalpflege Bistum Mainz

                                                                                                                21
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