Von den Sopranos zu den Mad Men - Die Faszination amerikanischer Fernsehserien

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TITEL

Von den Sopranos zu den
Mad Men
Die Faszination amerikanischer Fernsehserien

Lothar Mikos

                                                                                                                     Die Sopranos

     Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind hochwertige,          Deutsche Serien haben es dagegen bei einem jungen
     komplex erzählte Fernsehserien aus den USA zu einem         Publikum schwer, sie sprechen eher ältere Menschen an
     Massenphänomen geworden. Sie haben einen Großteil           und werden nur selten in andere Länder verkauft. In dem
     ihres Erfolgs der Faszination zu verdanken, die sie welt-   Beitrag geht es um die Besonderheit von amerikanischen
     weit auslösen. Vor allem ein junges, gebildetes Publikum    Dramaserien im Fernsehen. Betrachtet werden die Erzähl-
     goutiert deren Erzählweise und Inszenierungsstil.           weisen und Produktionsbedingungen.

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Das neue Jahrtausend begann mit einem Se-         Komplexe Erzählungen                               dass potenziell auch immer wieder neue Cha-
rienknaller, von dem die deutschen Zuschauer                                                         raktere eingebaut werden können (vgl. Polan
jedoch kaum etwas mitbekamen. Bereits im          Vor 25 Jahren war die Serienwelt noch in ein-      2009, S. 40). In jeder einzelnen Episode gibt
Januar 1999 war auf dem amerikanischen Pay-       facher Ordnung. Es wurde zwischen Serien,          es mindestens vier Handlungsstränge, von de-
TV-Sender HBO die Mafiaserie Die Sopranos         Reihen und Mehrteilern unterschieden (vgl.         nen zwei gleichberechtigt sind und jeweils ei-
gestartet. Im Frühjahr 2000 durften dann die      Mikos 1987, S. 8). Serien erzählten eine offene,   nen Konflikt aufbauen. „Der dritte Strang (C-
deutschen Zuschauer einen Einblick in das Le-     zukunftsorientierte Geschichte, die Charaktere     Strang) kann einen Wesenszug einer Figur er-
ben der Familie von Tony Soprano gewinnen,        entwickelten sich über die Zeit weiter, mehrere    zählen, der in den darauffolgenden Episoden
allerdings zu später Stunde nach 23.00 Uhr –      Handlungsstränge waren miteinander verwo-          in einem der A- oder B-Stränge zum Tragen
zunächst samstags, dann sonntags, auf dem         ben. Dallas und Denver-Clan galten damals als      kommt. […] In manchen Episoden gibt es auch
ZDF –, zu einer Sendezeit also, zu der jüngere    prototypische Beispiele solcher Serien im          einen vierten, den sogenannten D-Strang, der
Zuschauer bestimmt nicht diesen Seniorensen-      Abendprogramm. Reihen erzählten mit immer          komödiantisch zur Auflockerung eingebaut
der einschalteten. So kam es, wie es kommen       dem gleichen Personal in sich abgeschlossene       ist“ (Kraus 2011, S. 37). Da es zwei gleichbe-
musste: Nach drei Staffeln war im Herbst 2002     Geschichten pro Folge. Derrick und der Tatort      rechtigte Handlungsstränge gibt, kann die
beim ZDF Schluss mit der Serie. Während           dienten hier als Beispiele. Mehrteiler hingegen    Spannung anders als in klassischen Serien, in
HBO in den USA im Durchschnitt etwa 8 Mio.        erzählten eine abgeschlossene Geschichte           denen ein Handlungsstrang dominiert, verteilt
Zuschauer pro Folge verzeichnen konnte (vgl.      über zwei bis zwölf Folgen hinweg. In den Te-      werden und führt so zu einer Verdichtung der
Blanchet 2011, S. 55) und die Serie eine Aus-     lenovelas konnte dies auch 150 oder mehr           Erzählung. Die Handlung ist für die einzelnen
zeichnung nach der anderen gewann, versen-        Folgen dauern. Allerdings kam es in den            Folgen zentral, denn Konflikte werden inner-
dete sie sich gewissermaßen in Deutschland.       1990er-Jahren schnell zu einer Vermischung         halb einer Episode aufgebaut und beendet.
Auf der Veranstaltung „TV Drama Vision“ des       der Formen, seitdem ist von sogenannten            Was die Serie vorantreibt, sind die Charaktere,
Nordic Film Market während des Internationa-      „flexi-narratives“ (Nelson 1997, S. 30 ff.) oder   ihre Routinen und ihre Entwicklung. „Auf der
len Filmfestivals in Göteborg im Februar 2012     von hybriden Serienformen (vgl. Creeber            Grundlage der physischen und psychischen
sagte David Madden, Präsident des amerika-        2004, S. 11) die Rede. Serien- und Reihenele-      Konstruktion der Figuren entstehen die Kon-
nischen Fernsehstudios Fox, den weittragen-       mente (im angloamerikanischen Raum stehen          fliktlinien“ (ebd.). Die Charaktere sind nicht
den Satz: „Die Sopranos haben das Fernsehen       Serials für Serien und Series für Reihen) vermi-   einfach gestrickt, sondern sehr komplex und
verändert. Die Erzählweise von Serien ist eine    schen sich. Mit dem Begriff „flexi-narrative“      voller Widersprüche. Da sie eng an die Hand-
andere geworden.“ Diese Aussage macht             wird ein „Mix vieler Narrationsebenen und          lung gebunden sind, führt das zu einer äußerst
mehr als deutlich, wie sehr sich die Landschaft   eine Kombination von Formatformen“ be-             komplexen Erzählweise, die die Mitarbeit der
der Fernsehserien, vor allem der Dramaserien,     zeichnet (Piepiorka 2011, S. 47). In den klassi-   Zuschauer bei der Geschichte herausfordert.
in den USA verändert hat. Während einige die-     schen Reihen entwickeln sich die Charaktere        Das gilt für jede einzelne Folge wie für die ge-
ser neuen Serien in Deutschland vor allem auf     zunehmend über mehrere Folgen hinweg,              samte Serie. „Der Zuschauer muss also die
den privaten Fernsehsendern mit mehr oder         während in den Serien mit abgeschlossenen          Verbindungen zwischen dem Geschehen der
minder großem Erfolg liefen, hat sich die ver-    Handlungssträngen gearbeitet wird. Als Bei-        einzelnen Episode und dem umfassenderen
änderte Erzählweise nicht auf die deutsche        spiele für diese neuen Formen des Erzählens,       fiktionalen Universum erkennen und aktiv Be-
Serienproduktion ausgewirkt.                      die zugleich das sogenannte Quality-TV aus-        züge herstellen“ (Winter 2011, S. 165). Diese
                                                  machen, gelten Hill Street Blues und vor allem     Aktivierung des Zuschauers ist für die neueren
                                                  Twin Peaks. Mit anderen Worten: „Quality-TV        US-Serien typisch. Daher streben sie auch
                                                  ist die Fernsehvariante des Kunstfilms“            nach wiederholtem Konsum, z. B. auf DVD
                                                  (Thompson 1996, S. 16).                            oder per Video-on-Demand. Auf diese Weise
                                                     Mit den Sopranos wurde die Hybridität der       können die Zuschauer immer wieder Neues
                                                  Serienformen auf die Spitze getrieben, was         entdecken.
                                                  seitdem die Produktion von Primetime-Serien           Prototypisch für eine Rätselserie ist sicher
                                                  nachhaltig beeinflusst hat. In der Serie werden    Lost, eine Serie, die auch in der deutschen
                                                  Strukturen des Gangsterfilms, der Soap Opera,      Medien- und Kommunikationswissenschaft
                                                  der Sitcom, der Familienserie und der Psycho-      große Aufmerksamkeit erregt hat (vgl. Grawe
                                                  therapie im Film verarbeitet (vgl. Winter 2011,    2010, S. 66 ff.; Olek 2011; Piepiorka 2011;
                                                  S. 163 f.). In der Serie „entsteht durch Anknüp-   Schabacher 2010; Schmöller 2011; Ziegen-
                                                  fung und Verwendung verschiedener themati-         hagen 2009). Hier werden bis zu zehn Hand-
                                                  scher Strukturen ein vielschichtiges fiktionales   lungsstränge pro Episode erzählt. Wie in den
                                                  Universum, in dem immer wieder neue Ge-            Sopranos stehen auch hier die Charaktere im
                                                  schichten entwickelt werden, Charaktere sich       Mittelpunkt. Ihre Geschichte nach dem Flug-
                                                  verändern und neue Situationen entstehen“          zeugabsturz auf der Insel wird bis zum Ende
                                                  (ebd., S. 164). Die Erzählung ist so gebaut,       der dritten Staffel mit Rückblenden angerei-

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chert, ab dann kommen auch Vorausblenden           alle Mysterien aufgelöst. Die Konflikte der           Dichte aus. Sie sind in der Regel ebenso dyna-
hinzu. Es gibt also drei Zeitebenen für das En-    Handlungsstränge werden auch nicht in einer           misch wie punktgenau geschnitten. Eine Serie
semble von Figuren. Das führt zu großer Kom-       Episode aufgelöst, sondern erstrecken sich            wie Mad Men orientiert sich in der Ausstattung
plexität der Charaktere (vgl. Piepiorka 2011,      über mehrere Episoden hinweg. „Manche rei-            und visuell an den 1960er-Jahren, bleibt so auf
S. 62 ff.), die Zuschauer müssen mit den Unge-     chen nicht nur über mehrere Episoden, sie             der ästhetischen Ebene historisch genau und
reimtheiten zwischen den Ebenen leben oder         reichen sogar bis in die nächste Staffel. Das         kann dabei auch an nostalgische Emotionen
können versuchen, diese im Austausch mit           rührt daher, dass die Handlungsstränge aus-           der Zuschauer anknüpfen. In der Serie 24 z. B.
anderen Zuschauern zu lösen. Die Fanaktivitä-      setzen, zurückgestellt werden und viel später         werden eine Vielzahl von narrativen und ästhe-
ten spielen daher bei Lost eine große Rolle        erst wieder aufgegriffen und weitergeführt            tischen Spannungselementen (Parallelmonta-
(vgl. Ziegenhagen 2009, S. 101 ff.). Ein wesent-   werden. Viele narrative Stränge laufen ins            ge, Splitscreen) eingesetzt, sodass eine äu-
liches Merkmal der Serie ist das Vorenthalten      Leere und bleiben offen“ (Ziegenhagen 2009,           ßerst spannende, dichte Erzählung entsteht
von Informationen: „Lost erzählt zwar eine         S. 36). Dadurch entstehen „Konfusionen der            (vgl. Mikos 2008, S. 339 ff.). Die narrative Kom-

komplexe Geschichte, doch bleibt sie in erster     Handlungsebenen“ (Piepiorka 2011, S. 74).             plexität wird durch den visuellen Stil und die
Linie auch deshalb so mysteriös, weil kontinu-     Hinzu kommen durch die Flashbacks und                 ästhetischen Gestaltungsmittel unterstützt.
ierlich Informationen zurückgehalten werden,       Flashforwards Konfusionen auf der Zeitebene               Ein weiteres Merkmal, das US-Serien von
also komplex erzählt wird, und weil viele Me-      (vgl. ebd., S. 88 ff.). Die Serie stellt damit eine   deutschen unterscheidet, ist eine ungewöhn-
chanismen des dargestellten Universums nur         große Herausforderung für die Zuschauer dar,          liche Story mit außergewöhnlichen Charakte-
angedeutet werden, das dargestellte Univer-        die so gebunden werden – oder aber schnell            ren in Szenerien, in denen keine bürgerliche
sum also selbst als komplex und letztendlich       aussteigen.                                           Normalbiografie gedeihen könnte. So spielt
nicht vollständig durchschaubar modelliert             Neben der komplexen Erzählweise ste-              Sons of Anarchy in der Bikerszene, in Six Feet
wird“ (Schmöller 2011, S. 38). Da die Zuschau-     chen die neueren US-amerikanischen Serien             Under steht ein Bestattungsunternehmen im
er genauso viel oder wenig wissen wie die Fi-      durch ihre Ästhetik heraus. Die Szenen sind           Mittelpunkt, ein Polizist ist als sympathischer
guren, bekommt die Serie einen mysteriösen         filmisch aufgelöst. Die Serien zeichnen sich          Serienmörder aktiv (Dexter), ein todkranker
Charakter. Bis zum Ende werden auch nicht          durch visuellen Reichtum und ästhetische              Lehrer wird unter Mithilfe eines ehemaligen

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Schülers zum Crystal-Meth-Produzenten, um          Produktionsbedingungen                              die großen Networks ABC und Fox produziert.
seine Familie finanziell abzusichern (Breaking                                                         Diese Serien haben auch ein großes Publikum
Bad), um nur einige Beispiele zu nennen. Eini-     Häufig wird als einer der Gründe für die höhe-      erreicht. Dagegen nimmt sich die Zuschauer-
ge Serien orientieren sich am Fantasy- oder        re Qualität US-amerikanischer Serien das grö-       schaft der von HBO, Showtime oder AMC pro-
Vampirgenre (Game of Thrones, True Blood,          ßere Budget genannt. 3 bis 4 Mio. Dollar pro        duzierten Serien eher dürftig aus. So kommt
The Vampire Diaries). In anderen wird das          Episode à ca. 46 bis 48 Min. (60 Min. inklusive     Dexter (Showtime) im Schnitt auf etwas mehr
Leben in heruntergekommenen Stadtvierteln          Werbung) sind keine Seltenheit. Da können           als 2 Mio. Zuschauer, Mad Men (AMC) und
ziemlich realistisch geschildert (The Wire) oder   deutsche Serienproduktionen nicht mithalten.        Breaking Bad (AMC) liegen ebenfalls bei etwa
ein multikulturelles Ensemble von Personen         Aber Geld ist nicht alles. Als weiterer Grund für   2 Mio. Zuschauern im Schnitt, True Blood
setzt seine besonderen Fähigkeiten ein             die besondere Qualität der amerikanischen           (HBO) und die Sopranos (HBO) konnten mehr
(Heroes). Die einzige Serie im deutschen Fern-     Serien wird gern die Besonderheit des ameri-        als 3 bzw. etwa 8 Mio. Zuschauer verzeichnen
sehen, die mit einer ungewöhnlichen Konstel-       kanischen Fernsehmarktes hervorgehoben.             (vgl. auch Blanchet 2011, S. 54 f.). Richtig ist

lation aufwartet, ist Danni Lowinski, die sich     Pay-TV- und Kabelsender seien durch genau-          sicherlich, dass die US-Serien hier in Deutsch-
dann auch prompt in andere Länder, u. a. in die    ere Kenntnis ihres Zielpublikums in der Lage,       land mehrheitlich ein junges, gebildetes Publi-
USA, verkaufte.                                    speziell auf diese Zuschauer zugeschnittene         kum ansprechen, zumal die meisten dieser
                                                   Serien zu produzieren. Vor allem ein besser         Serien auf den Sendern mit einem jungen Pu-
                                                   gebildetes, ökonomisch situiertes, junges Pu-       blikum wie ProSieben, kabel eins oder RTL II
                                                   blikum werde so erreicht: „Die neuen Serien         gezeigt werden. Die Produktion der Serien für
                                                   sprechen kein Massenpublikum an, sie richten        das Nischenpublikum der Pay-TV- und Kabel-
                                                   sich an eine privilegierte Elite“ (Ritzer 2011,     sender mag sicher die eine oder andere The-
                                                   S. 25; vgl. auch Thompson 1996, S. 14). Das         matik und außergewöhnliche Geschichte er-
                                                   trifft jedoch nur z. T. zu. Innovative Serien wie   klären, nicht aber die Qualität der US-Serien
                                                   Desperate Housewives, Grey’s Anatomy, Dr.           schlechthin.
V. l. n. r.:
Lost, Mad Men                                      House, Lost, The X-Files oder 24 wurden für

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     Ein wichtiges Element der Produktion ist          sind oft auch als Produzenten der Serien tätig.   nen verwirklicht. Frank Spotnitz wies zudem
die Art des Schreibens. Die amerikanischen             Sie verfolgen die kreative Vision, der ihre Ar-   darauf hin, dass in Europa die Rolle des Regis-
Serien werden im sogenannten Writers’ Room             beit untergeordnet ist. Zwar sind sie diejeni-    seurs sehr hoch geschätzt wird. Dadurch (und
entwickelt und geschrieben. In so einer                gen, die letztlich entscheiden, wie die Ge-       durch den Einfluss von Fernsehredakteuren)
„Schreibwerkstatt“ arbeiten bei Dramaserien            schichte der Serie verläuft und wie die einzel-   wird die Serienproduktion eher schwierig. In
etwa vier bis sechs Autoren, bei Sitcoms kön-          nen Charaktere gezeichnet sind, doch müssen       den USA sind die Regisseure z. B. beim Schnitt
nen es bis zu acht Autoren sein. Diese Gruppe          sie offen für die Vorschläge der Autoren im       der Serie gar nicht mehr dabei. Das liegt in der
der Schreibenden, die alle ihr Bestes geben je         Writers’ Room sein, denn die können besser        Hand der Showrunner und Cutter. Die gesam-
nach Fähigkeit, wird durch den sogenannten             sein als ihre eigenen. Die Arbeit der Showrun-    te Produktion der Serie wird vom Showrunner
Showrunner oder Creator zusammengehalten.              ner ist also dem Produkt, der Serie, unterge-     beaufsichtigt. In Deutschland werden lediglich
Diese Personen werden inzwischen als „Auto-            ordnet, nicht umgekehrt. In der Produktion        Daily Soaps und Telenovelas von mehreren
renfilmer des Fernsehens“ gehandelt, weil              gehe es vor allem um Kollektivität und Zusam-     Autoren geschrieben. Ansonsten ist das Prin-

Serien wie die Sopranos, Dexter oder The Wire          menarbeit, so James Manos am 26. April 2012       zip des Writers’ Room zwar bekannt, wird aber
ihre Qualität deren individuellem Stil verdan-         auf dem „European TV Drama Series Lab“.           nur selten praktiziert. Die Serie Unschuldig mit
ken (vgl. Dreher 2010; Lavery 2010). Doch das          Das widerspricht ebenso dem Autorenideal          Alexandra Neldel wurde für ProSieben so pro-
ist ein eher cineastischer Blick, der sich am          wie die Aussagen von Frank Spotnitz einen         duziert, mit Frank Weiss als Showrunner. Aber
Ideal des Autorenfilmers orientiert. Die Reali-        Tag später, dass es für den Showrunner darum      durchgesetzt hat sich das nicht, u. a. weil die
tät sieht etwas anders aus, wie die Teilnehmer         gehe, das Beste aus den Autoren im Writers’       vermeintlich höheren Kosten gescheut werden
des „European TV Drama Series Lab“ des                 Room herauszuholen. Die Rolle des Showrun-        – zulasten der Qualität. Vom Showrunner als
Erich Pommer Instituts von Showrunnern wie             ners ist bei amerikanischen Serien so zentral,    kreativem Kopf auf einem kreativen Körper
James Manos Jr. (Sopranos, The Shield, Dex-            weil sie zwischen Sender, Produzent und Auto-     wird viel verlangt, dennoch ist es „der beste
ter), Simon Mirren (Criminal Minds, Spooks,            ren vermittelt und dabei die Idee bzw. das        Job der Welt“, wie Vince Gilligan (Breaking
Waking the Dead) und Frank Spotnitz (The X-            Konzept einer Serie verfolgt und nicht, weil      Bad) es genannt hat (zitiert bei Lavery 2010,
Files, Hunted) erfahren   konnten.1       Showrunner   der Showrunner seine künstlerischen Ambitio-      S. 81).

50                                                                                                                                         4 | 2012 | 16. Jg.
tv diskurs 62
                                                                                                                                                         TITEL

                                                   Literatur:                      Olek, D.:                                       Anmerkung:
Schlussbemerkungen                                                                 Lost und die Zukunft des
                                                   Blanchet, R.:                   Fernsehens. Die Verände-                        1
                                                   Quality-TV: Eine kurze          rung des seriellen Erzählens                    Vgl. den Beitrag von
Jenseits aller Produktionsbedingungen sind         Einführung in die Geschich-     im Zeitalter von Media Con-                     Christine Otto in dieser
                                                   te und Ästhetik neuer ameri-    vergence. Stuttgart 2011                        Ausgabe, S. 114 f.
für eine qualitative Serie immer noch eine gu-     kanischer TV-Serien. In:
te Geschichte und komplexe Charaktere wich-        Ders./K. Köhler/T. Smid/        Piepiorka, C.:
                                                   J. Zutavern (Hrsg.): Serielle   Lost in Narration. Narrativ
tig. Ein Dr. House ist einfach ein bisschen kom-   Formen. Von den frühen          komplexe Serienformate
plexer als ein Dr. Heilmann (In aller Freund-      Film-Serials zu aktuellen       in einem transmedialen
                                                   Quality-TV- und Online-         Umfeld. Stuttgart 2011
schaft), ein Dexter ist mit Sicherheit komplexer   Serien. Marburg 2011,
als ein Balko. Deutsche Serien wie In aller        S. 37 – 70                      Polan, D.:
                                                                                   The Sopranos. Durham/
Freundschaft oder Um Himmels Willen sind           Creeber, G.:                    London 2009
sicher professionell und gut produziert. Doch      Serial Television. Big
                                                   Drama on the Small Screen.      Ritzer, I.:
sind sie sehr einfach gestrickt, weil sie ein      London 2004                     Fernsehen wider die Tabus.
größtmögliches Publikum ansprechen wollen.                                         Sex, Gewalt, Zensur und
                                                   Dreher, C.:                     die neuen US-Serien.
Ihnen fehlen komplexe Erzählstrukturen und         Autorenserien. Die Neu-         Berlin 2011
Charaktere. Auch in der amerikanischen Seri-       erfindung des Fernsehens.
                                                   In: Ders. (Hrsg.): Autoren-     Schabacher, G.:
enproduktion ist sicher nicht alles Gold, was      serien. Die Neuerfindung        „When am I?“ Zeitlichkeit in
glänzt. Es ist schließlich nur eine kleine Zahl    des Fernsehens. Stuttgart       der US-Serie Lost. In:
                                                   2010, S. 23 – 61                A. Meteling/I. Otto/Dies.
von Serien, die international erfolgreich sind.                                    (Hrsg.): „Previously on …“.
Allerdings sind die Bedingungen dafür durch        Eichner, S./Mikos, L./          Zur Ästhetik der Zeitlichkeit
                                                   Winter, R. (Hrsg.):             neuerer TV-Serien. München
neue Vertriebswege und neue Player wie Hulu        Transnationale Serienkultur.    2010, S. 207 – 229 und
und Netflix besser denn je. So lässt sich einfa-   Theorie, Ästhetik, Narration    S. 259 – 276
                                                   und Rezeption neuerer Fern-
cher nicht nur auf das eigene Zielpublikum         sehserien. Wiesbaden 2013       Schmöller, V.:
schielen, sondern auch für ein weltweites Ni-                                      Further Instructions: Zum
                                                   Grawe, T.:                      seriellen Erzählen in Lost. In:
schenpublikum produzieren (vgl. auch die Bei-      Neue Erzählstrategien in        Dies./M. Kühn (Hrsg.): Durch
träge in Eichner/Mikos/Winter 2013 sowie           US-amerikanischen Fernseh-      das Labyrinth von Lost. Die
                                                   serien. Von der Prime-Time-     US-Fernsehserie aus kultur-
Weber 2012). Von diesem Verständnis des in-        Soap zum Quality-TV.            und medienwissenschaftli-
ternationalen, globalen Fernsehmarktes im          München 2010                    cher Perspektive. Marburg
                                                                                   2011, S. 19 – 41
Hinblick auf Produktion, Vertrieb und Zielpubli-   Kraus, J.:
kum sind deutsche Produzenten und Sender           Amerikanische und deutsche      Thompson, R.:
                                                   Mafiaserien im Fernsehen.       Television’s Second Golden
leider noch weit entfernt.                         Eine vergleichende Analyse      Age. From Hill Street Blues
                                                   von Innovation im Seriellen     to ER. Syracuse 1996
                                                   anhand von The Sopranos
                                                   und Im Angesicht des Ver-       Weber, T.:
                                                   brechens (Masterarbeit im       Kultivierung in Serie. Kultu-
                                                   Studiengang Medienwissen-       relle Adaptionsstrategien
                                                   schaft der Hochschule für       von fiktionalen Fernseh-
                                                   Film und Fernsehen [HFF]        serien. Marburg 2012
                                                   „Konrad Wolf“). Potsdam-
                                                   Babelsberg 2011                 Winter, R.:
                                                                                   „All Happy Families“: The
                                                   Lavery, D.:                     Sopranos und die Kultur
                                                   The Imagination Will BeTe-      des Fernsehens im 21. Jahr-
                                                   levised: Die Rolle des Show-    hundert. In: R. Blanchet/
                                                   runners und die Wiederbele-     K. Köhler/T. Smid/J. Zutavern
                                                                                                                                            Dr. Lothar Mikos ist
                                                   bung der Autorschaft im         (Hrsg.): Serielle Formen.
                                                                                                                                         Professor für Fernseh-
                                                   amerikanischen Fernsehen        Von den frühen Film-Serials
                                                                                                                                            wissenschaft an der
                                                   des 21. Jahrhunderts. In: C.    zu aktuellen Quality-TV- und
                                                                                                                                       Hochschule für Film und
                                                   Dreher (Hrsg.): Autorenseri-    Online-Serien. Marburg
                                                                                                                                      Fernsehen (HFF) „Konrad
                                                   en. Die Neuerfindung des        2011, S. 153 – 174
                                                                                                                                      Wolf“ in Potsdam-Babels-
                                                   Fernsehens. Stuttgart 2010,
                                                                                                                                           berg und geschäfts-
                                                   S. 63 – 111                     Ziegenhagen, S.:
                                                                                                                                        führender Direktor des
                                                                                   Zuschauer-Engagement.
                                                                                                                                        Erich Pommer Instituts.
                                                   Mikos, L.:                      Die neue Währung der
                                                   Fernsehserien. Ihre Ge-         Fernsehindustrie am
                                                   schichte, Erzählweise und       Beispiel der Serie Lost.
                                                   Themen. In: medien + erzie-     Konstanz 2009
                                                   hung, 31/1987/1, S. 2 – 16

                                                   Mikos, L.:
                                                   Film- und Fernsehanalyse.
                                                   Konstanz 2008
                                                   (2., erweiterte Aufl.)

                                                   Nelson, R.:
                                                   TV Drama in Transition.
Um Himmels Willen
                                                   Forms, Values, and Cultural
                                                   Change. Basingstoke 1997

4 | 2012 | 16. Jg.                                                                                                                                            51
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