Martin zu Kathrin zu Martin - Spiegel

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Martin zu Kathrin zu Martin - Spiegel
Der Schweizer Rechtsprofessor Martin Föhse entschied sich, als Frau leben
zu wollen. Kathrin Föhse machte Karriere – und entschloss sich
Jahre später abermals für einen Wechsel. Ein Leben aus drei Perspektiven.

                            Von
                         Martin zu
                          Kathrin
                         zu Martin
                              artin Föhse wandert vor seiner             den Text geschrieben hat, fand es wohl nicht so wichtig. Oder

M                             PowerPoint-Präsentation hin und
                              her, eine Hand in der Tasche sei-
                              ner dunkelblauen Anzughose, in
                              der anderen hält er einen Laser-
                              pointer. Der Rechtsanwalt und
                              Assistenzprofessor an der Univer-
                              sität St. Gallen ist ein gut ausse-
hender Mann Anfang vierzig. Seine Vorlesung in Verwaltungs-
                                                                         das Fragen danach indiskret. Andere Studierende haben in den
                                                                         Wintersemesterferien kommentarlos von »Frau Professor« auf
                                                                         »Herr Professor« umgeschaltet.
                                                                              Seit sein »Wechsel«, wie er es nennt, bekannt wurde, hat
                                                                         Martin Föhse keinen einzigen dummen Kommentar gehört. Nur
                                                                         er selbst läuft noch manchmal gedankenverloren Richtung Da-
                                                                         men-WC oder greift mit der linken statt mit der rechten Hand
                                                                         nach der Knopfleiste des Jacketts – Jacken für Männer haben
recht, vier Stunden am Stück, hält er mit lässiger Souveränität.         die Knöpfe auf der anderen Seite. Ihm scheint, Studierende heu-
Einige Studenten checken Facebook, klicken sich durch You-               te finden seine Geschichte nicht mehr sehr erstaunlich.
Tube, die meisten aber lauschen konzentriert, wie Föhse über                  Warum also erzählt er sie hier trotzdem?
Kontrollorgane, Verwaltungsorganisation und den Verfügungs-                   Über die Jahre gelangte er zu der Einsicht, dass die Erfah-
begriff spricht. Ohne Mikro.                                             rungswelten von Frauen und Männern sich radikaler unterschei-
    Es ist noch nicht lange her, da hätte er das nicht gemacht.          den, als er es je für möglich hielt. Unverständnis, Kränkungen,
Bis zu seinem 32. Lebensjahr war Martin Föhse ein Mann. Dann             Streit – vieles ließe sich vielleicht vermeiden, wenn nicht jeder
war er zehn Jahre lang eine Frau mit dem Namen Kathrin Föhse.            so in seiner Rolle gefangen wäre, glaubt Martin Föhse. Wenn da
Zu einer Frau passt eine sanfte Stimme. Als Frau hätte er ver-           mehr Bereitschaft wäre, sich in andere hineinzuversetzen.
mutlich ein Mikrofon benutzt. Seit Januar 2018 ist er wieder                  Vor zehn Jahren ließ er sich die Haare verlängern. Haare
ein Mann und trägt seinen alten Namen.                                   seien sehr wichtig, wenn es darum geht, was andere in einem
    Kürzlich erschien in der Studierendenzeitung seiner Uni-             sehen, sagt Föhse. Seine Friseurin ist eine Bekannte aus der
versität ein Porträt über ihn. Darin wird seine steile Karriere          Schulzeit, sie hatte die Echthaare im richtigen Farbton schon
vom Vermessungszeichner zum Assistenzprofessor detailliert               vor Wochen bestellt. Im Parkhaus touchierte er mit seinem
nacherzählt, erst gegen Ende wird erwähnt, dass Martin Föhse             BMW einen Pfosten, so nervös war er. Der Termin war ein
die letzten zehn Jahre Kathrin Föhse hieß. Der Student, der              erster Schritt zu einer gravierenden Veränderung, die Ent-

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Martin zu Kathrin zu Martin - Spiegel
Von Paula Scheidt

                          scheidung dazu war                                                                                                    men verziert ist, und
                          Föhse nicht leichtge-                                                                                                 nicht mehr vor blauen
                          fallen. Jahrelang hatte                                                                                               und silbernen Plastik-
                          er mit seiner männ-                                                                                                   flaschen, auf denen was
                          lichen Identität gehadert                                                                                             von Energy und Power
                          und keinen Weg gese-                                                                                                  steht. Im Restaurant be-
                          hen, als Mann weiter-                                  Die Haare wieder kurz: Martin Föhse                            stellt sie eher einen Salat
                          zuleben.                                                                                                              und verzichtet aufs Des-
                              Die Friseurin arbeitete viele Stunden lang, abends verließ                sert, denn sie hat bemerkt, dass sie nun schneller zunimmt. Sie
                          er den Salon mit einem dunkelblonden schulterlangen Bob.                      lässt sich im Zug von fremden Männern den Koffer auf die
                          Für den nächsten Tag hatte er einen Flug nach Guadeloupe ge-                  Ablage hieven, auch wenn sie einen Kopf kleiner sind. Sie geht
                          bucht, zwei Wochen Strandferien, eine symbolische Zäsur. In                   sicher nicht an zwei Tagen hintereinander im gleichen Outfit
                          seiner Anwaltskanzlei hatte er angekündigt, er werde als Frau                 ins Büro und genießt es, Trägershirt und Ballerinas zu tragen
                          zurückkommen.                                                                 statt Krawatte und Socken. Es fühlt sich gut an, natürlich.
                              Zurück in der Schweiz heißt Martin fortan Kathrin und geht
                          morgens als Businessfrau im schwarzen Hosenanzug aus dem                      Kathrin Föhse ist Perfektionistin. Niemand soll an ihrer Weib-
                          Haus. Föhse arbeitet als Anwältin in einer angesehenen Wirt-                  lichkeit zweifeln. Die Hormontherapie wirkt bereits, die Mus-
                          schaftskanzlei nahe dem Bahnhof Bern. Auf der Website der                     keln sind verschwunden, die Hüften weicher geworden und die
                          Kanzlei werden Name und Foto ausgetauscht, ebenso im An-                      Barthaare epiliert. Um sicherzugehen, testet sie ihre Wirkung
CREDIT: FLORIAN KALOTAY

                          waltsregister. Föhse plädiert jetzt als Frau vor Gericht. Laufende            an Fremden. Früher, als sie noch Martin hieß, arbeitete sie ein
                          Mandate schließt Kathrin als Martin ab, damit es keine Verwir-                paar Monate am Bahnhof Bern im Sicherheitsdienst. Ein gut
                          rung gibt. Neuen Klienten stellt sie sich als Kathrin vor. Die Se-            bezahlter Studentenjob. Damals, erinnert sie sich, lümmelte in
                          kretärin informiert bei jedem Anruf, nach wem verlangt wird.                  der Halle eine Bettlerin herum, die jedem, der ihr nichts gab,
                              In Warenhäusern findet sie sich jetzt zwischen Regalen wie-               Beleidigungen hinterherbrüllte. Kathrin Föhse geht nun also
                          der, in denen das Duschgel mit rosa Schmetterlingen und Blu-                  im Hosenanzug durch den Bahnhof, die Bettlerin steht wieder

                                                                                                29                                             UNI SPIEGEL 1 / 2019
Martin zu Kathrin zu Martin - Spiegel
Er stellt sich vor, wie es sein könnte, als Frau zu leben.

da, Föhse setzt eine arrogante Miene auf, und, tatsächlich, die               legt sie alles offen und kündigt an, dass sie zwei Wochen fehlen
Bettlerin ruft: »Du dreckige Saufotze!« Und Föhse denkt: Test                 wird, um sich operieren zu lassen: der letzte Schritt auf dem
bestanden. So kann man nur eine Frau beschimpfen.                             Weg zur Frau.
     Ein andermal, als sie einen neuen Ausweis beantragt, schaut                   Im Berufsleben, merkt sie, laufen gewisse Dinge anders, seit
die Mitarbeiterin das alte Dokument an, sieht das Foto von                    sie eine Frau ist. Energiewirtschaft ist eine Männerdomäne, und
Martin und sagt: »Tut mir leid, aber da muss Ihr Ehemann                      von den Kollegen wissen nur wenige von ihrer Vergangenheit.
schon selbst vorbeikommen.« Flüchtige Bekannte fragen, ob                     Sie sehen Kathrin Föhse. Sie halten ihr die Tür zum Sitzungs-
Martin Föhse ihr Bruder sei.                                                  zimmer auf, Stühle werden zurechtgerückt. Respektvolle, freund-
     Es begann schon in der Kindheit. Damals, im Kindergarten,                liche Gesten. Föhse kommen sie trotzdem merkwürdig vor.
soll der fünfjährige Martin bei Mutter-Vater-Kind die Mutter                       Sie steht auf Frauen, das hat sich nicht geändert. Das
spielen, erst traut er sich nicht, aber dann macht es ihm Spaß.               bedeutet: Sie ist nun lesbisch. Wenn Männer mit ihr flirten,
Ein Gefühl, das ihn durch seine Kind-                                                                     berührt sie das auf eigenartige
heit und Jugend begleitet und von                                                                         Weise.
dem er keinem Menschen erzählt.                                                                                Sie misst 176 Zentimeter, eine
     Martin spielt jahrelang Handball                                                                     gute Größe, für Männer wie für Frau-
in der höchsten Juniorenliga, frisiert                                                                    en. Sie achtet darauf, wie sie sich be-
Mofas und ist Mitglied im Schützen-                                                                       wegt, wie sie sich ausdrückt. Welche
verein, wie es sich auf dem Land ge-                                                                      Kleider ihr stehen. Ihre Haare sind
hört. Bei der Eignungsprüfung fürs                                                                        inzwischen nachgewachsen, Exten-
Schweizer Militär erreicht er die ta-                                                                     sions braucht sie nicht mehr. Sie
gesbeste Punktzahl.                                                                                       schminkt sich dezent.
     Niemand merkt etwas, aber je                                                                               Kathrin lernt Weiblichkeit wie
älter Martin wird, desto mehr ver-                                                                        eine komplizierte Sprache, mit
sucht er, sein Wesen zu ergründen.                                                                        Mühe, mit Fleiß – und beherrscht sie
Sich mit der Frage auseinanderzuset-                                                                      schlussendlich besser als viele
zen, warum sich seine Rolle als                                                                           Frauen, die schon weiblich geboren
Mann so falsch anfühlt.                                                                                   wurden. Ein bisschen wie ein über-
     Im Studium, Rechtswissenschaf-                                                                       angepasster Migrant. Welche Farben
ten in Bern, lernt er Anita kennen.                                                                       stehen mir? Kathrin hat sich oft be-
Die beiden werden ein Paar, und sie                                                                       raten lassen. Passende Ohrringe zum
ist die erste Person, der er sich an-                                                                     Businessoutfit? Sie kennt die rich-
vertraut. Nach dem Gespräch fürch-                                                                        tigen Boutiquen.
tet Anita das Ende der Beziehung.                                                                              Und dann ist da ihre Stimme.
Aber Martin Föhse hat nicht vor, sich                                                                     Anfangs hat sie sich kaum zu spre-
zu trennen. Später wird Anita sagen:            Zehn Jahre stellt sie sich als Kathrin Föhse vor.         chen getraut. Aber mit der Zeit
»Das Geheimnis hat uns fast noch                                                                          merkt sie, dass ihre Tonlage gar nicht
mehr zusammengeschweißt.«                                                                                 so tief ist. Und dass viel wichtiger ist,
     Anfangs probiert Martin die Frauenrolle heimlich aus,                    welche Wörter sie wählt, wie sie betont. Sie singt ein wenig
schlüpft in weibliche Kleidung, gefällt sich darin. Doch immer                beim Sprechen, hebt mal die Stimme am Satzende. Eine Politi-
öfter stellt er sich vor, wie es sein könnte, als Frau zu leben.              kerin sagt: »Ich höre Ihnen so gern zu, Sie haben so eine ange-
Nicht hin und wieder, sondern immer. Nicht allein zu Hause,                   nehme Stimme.« Ein Kompliment, das Kathrin Föhse nun häu-
sondern bei Familienfeiern und Geschäftsterminen. Nach und                    figer hört.
nach weiht er Freunde ein.
     Einige Jahre sind Anita und er ein Paar. Sie liebt ihn, aber             Gleichzeitig spürt sie, dass sie mehr Kraft aufwenden muss,
sie liebt auch, dass er ein Mann ist. Später wird sie sagen: »In              um sich Gehör zu verschaffen. In einer Sitzung wird über die
gewisser Weise habe ich ihn verlassen, weil ich einen Mann                    Auslegung einer Bestimmung diskutiert, und sie sagt: »Sorry,
wollte. Aber man kann auch sagen, er hat mich verlassen, indem                das stimmt so nicht.« Der Kollege insistiert, bis ein Dritter ihn
er eine Frau wurde.«                                                          aufklärt: »Hören Sie, sie hat das Gesetz selbst geschrieben.«
     Wenige Monate nach dem »Wechsel« verliert Martin, der                    Jahre später, sie hat seit einiger Zeit eine Führungsposition,
nun Kathrin ist, den Job. Zu wenige Mandate, heißt es in der                  wird sie von einem jüngeren Kollegen gefragt: »Arbeitest du
Kanzlei. Föhse vermutet, dass ein Seniorpartner ein Problem                   im Sekretariat?« Sie antwortet: »Nein. Und du?«
mit ihrer neuen Identität hat. Ihr wird ein wichtiger Fall ent-                    Mit Frauen umzugehen fällt ihr leichter, es hat fast etwas
zogen, über Nacht verschwinden Aktenmappen aus ihrem                          Verschwörerisches. Man berührt sich schneller, auch wenn man
Schrank. Trotzdem akzeptiert sie die Entscheidung und beginnt                 sich kaum kennt. Frauen, lernt Föhse, lächeln sich auch mal
als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesamt für Energie.                 an, wenn sie sich auf der Straße begegnen. Es kommt auch
Diesmal will sie sichergehen, dass ihr Chef zu ihr hält. Deshalb              vor, dass Männer ihr das Herz ausschütten. Früher, als Mann,

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Sie fragt sich: Kann stimmig sein, was Kraft kostet?

                           hat sie mit anderen Männern nie diese persönliche Ebene                       deren. Wie wenig sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte,
                           erreicht.                                                                     um nachher nicht als zickig zu gelten.
                                Die alten Freunde bleiben, neue kommen hinzu, vor allem                       Besitzt sie wirklich die Energie, das durchzuhalten? Sie
                           Frauen. Und plötzlich laufen die Gespräche in eine ganz andere                fragt sich jetzt öfter: Kann stimmig sein, was Kraft kostet? Sie
                           Richtung. All die Sorgen und Nöte rund um das Thema Kinder                    wagt erstmals den Gedanken: Wäre es eine Möglichkeit, wieder
                           – als Mann hat sie die gar nicht wahrgenommen, im Alltag, in                  als Mann zu leben? Für ihre berufliche Laufbahn wäre es heute
                           der Karriereplanung.                                                          wohl besser, eine Frau zu bleiben. So wie es vor zehn Jahren
                                Natürlich kann sie nie sicher sein, dass es wirklich am Frau-            besser gewesen wäre, ein Mann zu bleiben.
                           sein liegt, denn die exakt gleiche Situation hat sie als Mann ja                   Ihre Entscheidung steht bald fest. Im Herbst 2017 beginnt
                           nicht erlebt. Aber über die Jahre sieht sie Muster, die kaum                  sie, Testosteron zu spritzen, die erste Vorbereitung auf den
                           dem Zufall geschuldet sein können.                                            Wechsel zum Mann. Sie engagiert eine Kommunikationsbera-
                                Nach einem Jahr im Bundesamt                                                                         terin, um an der Hochschule und in
                           für Energie wird Kathrin Föhse be-                                                                        der Kanzlei anzukündigen, dass sie
                           fördert, sie verantwortet das gesamte                                                                     ab dem Frühlingssemester 2018 Pro-
                           Vertrags- und Beschaffungswesen                                                                           fessor Martin Föhse heißen wird.
                           des Amtes, das Personalrecht, das                                                                              Sie weiß, keine Law School kann
                           allgemeine Energierecht, die Strom-                                                                       es sich leisten, jemanden rauszuwer-
                           und Gasmarktregulierung sowie die                                                                         fen, weil er sein Geschlecht wechselt.
                           Verhandlungen mit der EU über ein                                                                         Trotzdem ist sie gerührt, wie die Kol-
                           Abkommen im Energiebereich.                                                                               leginnen und Kollegen reagieren. Ei-
                                Es sind gute Zeiten für Frauen                                                                       ner vertraut ihr seine Vorlesung für
                           im Berufsleben. In den Medien wird                                                                        das kommende Semester an, eine
                           über Chancengleichheit diskutiert,                                                                        Professorin und der Dekan küm-
                           Frauenförderung gilt als chic. In den                                                                     mern sich persönlich, die Kommuni-
                           Chefetagen sitzen ältere Männer,                                                                          kation nach außen wird entwickelt.
                           und um das auszugleichen, werden                                                                               Heute heißt Föhse wieder Mar-
                           – vor allem jüngere – Frauen von un-                                                                      tin und sieht mit kurzen blonden
                           ten nachgezogen.                                                                                          Haaren und schwarzen Budapester
                                Trotzdem entscheidet Föhse,                                                                          Schuhen auch so aus. Wenn man ihn
                           nach sechs Jahren in der Verwaltung                                                                       fragt, wie es sich anfühlt, dann lä-
                           wieder als Anwältin arbeiten zu wol-                                                                      chelt er, sagt: »Gut, es fühlt sich gut
                           len, und wechselt zu einer renom-                                                                         an.« Ein bisschen wie nach Hause
                           mierten Wirtschaftskanzlei. Kurz                                                                          kommen nach einem tollen Urlaub.
                           darauf erhält sie einen Ruf an die                                                                             Man könnte auf die Idee kom-
                           Hochschule St. Gallen für eine                    Seit Anfang 2018 heißt er wieder Martin Föhse.          men, dass alles ein Irrtum war. Dass
                           Assistenzprofessur in Verwaltungs-                                                                        seine Zeit als Frau ein Fehler war,
                           recht. Ein prestigeträchtiges Amt für                                                                     den er erkannt und behoben hat.
                           eine Juristin, sie kann es parallel zur Arbeit in der Kanzlei aus-            Aber das ist nicht der Fall. »Die letzten zehn Jahre waren eine
                           üben, wo sie das Pensum reduziert. Sie tritt der Freisinnig-                  dermaßen bereichernde und schöne Zeit für mich«, sagt er.
                           Demokratischen Partei bei, den Schweizer Liberalen.                           »Eine tolle Erfahrung, die ich um keinen Preis missen will. Ich
                                Mit dem Erfolg kommen aber auch Zweifel. Viele Jahre                     sage das in dem Bewusstsein, dass man dazu neigt, sich Dinge
                           lang hat sich alles leicht angefühlt, richtig und natürlich.                  im Nachhinein schönzureden.«
                           Nun spürt sie manchmal diese kleine Anstrengung. Nach                              Kürzlich stand er nach einer Tagung mit einem anderen
                           endlosen Vorlesungen, in denen sie ihre Haltung und ihre Stim-                Teilnehmer in der Straßenbahn und lobte euphorisch die Vor-
                           me kontrollieren muss. Bei Vorträgen, wenn Hunderte Augen-                    züge eines Gasherds. Plötzlich dachte er: Ist es überhaupt an-
                           paare sie mustern. Es sind die anderen Frauen, deren Blicke                   gemessen, dass ich mich als Mann derart fürs Kochen begeis-
                           sie am meisten fürchtet, sie sind am kritischsten. Dann sehnt                 tere? Aber ja, völlig angemessen, dachte er dann. Warum soll
                           sie sich danach heimzukommen, durchzuatmen, sich gehen                        ich Bier trinken, wenn es mir nicht schmeckt? Warum so tun,
                           zu lassen.                                                                    als hätte ich immer alles im Griff, wenn das nicht der Fall ist?
CREDIT: BEAT MUMENTHALER

                                Sie weiß jetzt auch, wie es sich anfühlt, nachts in hohen                »Die zehn Jahre als Frau haben mir geholfen, mich mit meinen
                           Schuhen und Abendgarderobe allein an einer Gruppe betrun-                     weiblichen Seiten zu versöhnen«, sagt er.
                           kener Männer vorbeizugehen. Wie unangenehm es ist, bei einer                       Kürzlich, beim Besuch bei seinem Patenkind, die kindlich-
                           Tagung von einem Arbeitskollegen aufs Hotelzimmer eingela-                    naive Frage: »Was bist du eigentlich – eine Frau oder ein
                           den zu werden. Wie groß die Hürde ist, eine Szene zu machen,                  Mann?« Martin Föhse wollte eine ehrliche Antwort geben, des-
                           wenn ein Geschäftspartner ihr bei einer beruflichen Abendver-                 halb dachte er nach und sagte schließlich: »Weißt du, ganz
                           anstaltung plötzlich den Arm um die Taille legt. Vor allen an-                sicher bin ich mir da auch nicht.«

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