Vorschau - Parité in Sachsen-Anhalt - Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt
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Vorschau Vorwort Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt e.V. (LFR) 9 Eva von Angern und Daniela Suchantke Positionen der Botschafterinnen 17 für Gleichstellung des LFR Gabriele Brakebusch, Landtagspräsidentin, CDU Dr. Helga Paschke, DIE LINKE Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen, SPD Dr. Lydia Hüskens, FDP Cornelia Lüddemann, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Eva Gerth, GEW Gesetzentwurf 31 „Gewährleistung einer paritätischen Zusammensetzung der Verfassungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt mit Frauen und Männern“ Stellungnahmen aus der Sitzung des Ausschusses 33 Recht, Verfassung und Gleichstellung (Auszüge) Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Uni Kassel Jun.-Prof. Dr. Jelena von Achenbach, Uni Gießen Prof. Dr. Martin Morlock, Uni Düsseldorf Katharina Miller, Deutscher Juristinnenbund Daniela Suchantke, Landesfrauenrat LSA e.V. Dr. Andrea Blumtritt, Landesbeauftragte für Frauen- und Gleichstellungspolitik Gastbeitrag Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer 69 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) Der Blick über den Tellerrand oder… 81 JETZT ERST RECHT! Eva von Angern (LFR) 6
Vorschau Eva von Angern Daniela Suchantke LIEBE LESERINNEN UND LESER: WILLKOMMEN NEN, SPD, DIE LINKE und außerparlamentari- IN EINER GERECHTEN GESELLSCHAFT! schen Verbänden und Frauenvereinen angesto- ßen und mit umfassender Öffentlichkeitsarbeit Der Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt nimmt das begleitet. Ziel all dieser Initiativen ist die Erhö- Grundgesetz beim Wort. In Artikel 3 Grundgesetz hung des Frauenanteils in den Parlamenten, ist festgeschrieben, dass alle Menschen vor dem Gemeinde-, Stadt- und Ortschaftsräten auf 50 Gesetz gleich und Männer und Frauen gleichbe- Prozent. All diese Initiativen eint der Wunsch der rechtigt sind. Der Staat fördert die tatsächliche Verwirklichung der Parität nach Vorbild des Durchsetzung der Gleichberechtigung von französischen Paritégesetzes. Frauen und Männern und wirkt auf die Beseiti- gung bestehender Nachteile hin. Im Jahr 2019 verabschiedeten mit Brandenburg und Thüringen die ersten Bundesländer Wahlge- Heere Ziele unseres gemeinsamen staatlichen setze, die die paritätische Mandatsverteilung in Grundkonsenses, die wir in der Realität hin- den Landesparlamenten zum Ziel haben. sichtlich ihrer Umsetzung hinterfragen und Vor- schläge zur Erreichung dieses Staatszieles unter- In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehen die breiten. Koalitionsvereinbarungen vor, die Einführung eines Paritätsgesetzes nach französischem Vor- In der anhaltenden Diskussion um die politische bild zu prüfen. Daneben haben unter anderem Repräsentanz von Frauen gibt es in den Bundes- die Landesfrauenräte Baden-Württemberg und ländern verschiedene Initiativen zur Änderung Schleswig-Holstein Kampagnen mit dem selben der Landes- und Kommunalwahlgesetze, so auch Ziel gestartet. in Sachsen-Anhalt. Größtenteils wurden diese Initiativen von Parteien BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- Der Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt hat bereits 10
Vorschau im Jahr 2014 auf seiner Delegiertenversamm- war es uns als Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt lung die Einführung eines Paritégesetzes auch wichtig, die Umsetzung der Zielstellung einer für Sachsen-Anhalt gefordert. In dem Beschluss paritätischen Mandatsverteilung stetig einzufor- fordern die Delegierten die Landesregierung und dern, so u.a. im Rahmen der Aktivitäten zum den Landtag von Sachsen-Anhalt auf, dem För- 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechtes. derprinzip von Artikel 34 der Landesverfassung Anhand dieses Jubiläums wird besonders deut- folgend, Änderungen des Wahlgesetzes und lich, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von gegebenenfalls auch der Landesverfassung vor- Frauen und Männern an politischen Entschei- zunehmen, um den gleichen Zugang von Frauen dungen auf anderem Wege nicht zu erreichen ist. und Männern zu Wahlmandaten und auf Wahl be- ruhenden Ämtern auf Landes- und kommunaler Vor mehr als 100 Jahren waren es mutige Frauen, Ebene zu realisieren. die sich für das aktive und passive Wahlrecht für Frauen einsetzten. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt gab es ebenfalls mutige Frauen, die sich für dieses Recht stark machten. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Preußen verlang- ten die Frauen der Arbeiterinnenbewegung, dass die Forderung nach dem Frauenwahlrecht Bestandteil des Wahlkampfes sein muss. DENN OHNE FRAUEN IST KEIN DEMOKRATISCHER STAAT ZU MACHEN - so ein Wahlspruch der Frauen zum Frauenwahl- recht. Dieser Slogan hat an Aktualität nichts verloren. Heute sind wieder frauenpolitische Vereine wie der Landesfrauenrat innovative und treibende In Umsetzung des Beschlusses führten wir zahl- Kraft, wenn es um die Umsetzung gleicher reiche Gespräche mit den Fraktionen der SPD, Rechte für Mädchen und Frauen in allen gesell- CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DIE schaftlichen Bereichen geht. Diese demokra- LINKE, um für dieses Vorhaben zu werben. Mit tischen Vereine und Verbände stehen aber auch Fachveranstaltungen und Vorträgen diskutierten vor großen Herausforderungen. Eine davon – und wir die Thematik öffentlich. Im Rahmen der Land- in unseren Augen die wichtigste – ist die Gleich- tagsdirektor*innenkonferenz in Dessau in 2019 stellung von Frauen und die damit einher- konnten wir unsere Ideen länderübergreifend gehende geschlechterparitätische Verteilung vorstellen und diskutieren. von Mandaten. Unsere Bemühungen fanden u.a. in einem Prüf- „Die Forderung: Heraus mit dem Wahlrecht! auftrag an die Landesregierung im Koalitionsver- Muss deshalb in dem gegenwärtigen Wahlkampf trag von 2016 ihren Widerhall. Darüber hinaus genauso Parole sein wie diejenige: Her mit einem 11
Vorschau demokratischen Männerwahlrecht. Wir Frauen zum Beispiel in Großbritannien) im Durchschnitt haben […] einen Rechtsanspruch auf unsere bei nur 14 Prozent und in gemischten Systemen, politische Gleichberechtigung.“ ¹ wie der deutschen personalisierten Verhältnis- wahl, bei 18 Prozent. In Systemen mit reiner „Heraus mit Frauenwahlrecht!“ – was für eine Verhältnis-, also Listenwahl, liegt sie bei durch- Kampfansage. Heute müssen wir kämpferisch schnittlich 25 Prozent.“ ² Somit hat die Ausge- rufen: „Heraus mit einem Paritégesetz!“ Denn staltung des Wahlrechtes in den Bundesländern bei aller Würdigung der kämpferischen Frauen tatsächlich einen großen Einfluss darauf, wie gut von damals – wo stehen wir heute? die Chancen für einen höheren Frauenanteil in den Landtagen stehen. ³ Im Bundestag beträgt die Frauenquote 30,7 Pro- zent. Die AfD-Fraktion mit einer Quote von gerade mal 10,6 Prozent und die FDP-Frak-tion mit 22,5 Prozent bilden hier die Schlusslichter. Im Landtag von Sachsen-Anhalt liegt die Frauen- quote bei knapp 20 Prozent. Tendenz rückläufig. Sachsen-Anhalt bildet damit das bundesweite Schlusslicht. Nach anfänglicher kontinuierlicher Zunahme weiblicher Abgeordneter im Landtag von Sach- sen-Anhalt bis zum Jahr 2016 sank die Anzahl weiblicher Abgeordneter jüngst auf diesen Tief- stand und erreicht damit den zweitniedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Dieser Rückschritt, der sich Zur Landtagswahl am 13. März 2016 wurden parallel im Bundestag vollzogen hat, ist vor allem lediglich vier Frauen direkt in den 43 Wahlkreisen auf den starken Einzug konservativer und rechts- gewählt. ⁴ Die CDU erreichte 27 Direktmandate, populistischer Parteien zurückzuführen. Da davon entfielen zwei auf Frauen, die AfD erreich- diese Parteien traditionell über einen sehr te 15 Direktmandate, davon entfiel ein Mandat geringen Frauenanteil verfügen, schlägt sich auf eine Kandidatin und die Linke erreichte dieser derzeit auch in der Gesamtbesetzung der ebenfalls ein Direktmandat, welches auf eine Parlamente nieder. Frau entfiel. ⁵ Weitere Erklärungsmuster für das schlechte Ab- Bereits im Vorfeld der eigentlichen Verkündung schneiden von Frauen in Parlamenten sind in den des Wahlrechts forderte die Frauenrechtlerin Wahlsystemen zu finden. „Die Frauenrepräsen- Minna Cauer eine Quotierung für Frauen in den tanz liegt weltweit in Systemen mit Mehrheits- Abgeordnetenlisten im Wahlgesetz festzuschrei- wahlrecht (= ausschließliche Vergabe der Sitze ben. Eine sehr moderne und fortschrittliche For- an Direktkandidatinnen und -kandidaten, wie derung für diese Zeit. Diese wurde vom damali- 12
Vorschau gen Staatssekretär im Reichsamt des Inneren, – so unsere Ansicht – die Voraussetzung paritä- Hugo Preuß, jedoch mit folgenden Worten tische Wahlgesetze zu beschließen. kommentiert: Im Artikel 34 der Landesverfassung heißt es: „Sie fürchten wohl, dass die Frauen sonst zu „Das Land und die Kommunen sind verpflichtet, schlechte Plätze auf den Listen bekommen?“ ⁶ die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Die traurige Gewissheit sehen wir heute – 100 Männern in allen Bereichen der Gesellschaft Jahre später! durch geeignete Maßnahmen zu fördern.“ ⁸ Der ES GEHT NICHT UM FURCHT, ES GEHT UM DIE Gleichstellungsgrundsatz ist in den meisten DURCHSETZUNG DES STAATSZIELES DER Bundesländern in den Landesverfassungen GLEICHBERECHTIGUNG VON MANN UND FRAU. verankert – Ausnahmen bilden Baden-Württem- berg und Nordrhein-Westfalen. Die Verpflich- Als Fazit bleibt: „Die Gewährung des Frauenwahl- tung, die Gleichstellung tatsächlich zu verwirk- rechts wurde von ihnen nicht etwa als ein Ge- lichen, sei es durch „geeignete Maßnahmen“ schenk betrachtet, für das sie dankbar zu sein oder durch „Ausgleich bestehender Ungleich- hatten. Im Gegenteil, für die Mehrheit unter heiten“ ist ebenfalls in der Mehrzahl der Verfas- ihnen war es das Ergebnis eines lang währenden sungen festgehalten. Damit ergibt sich ein Kampfes, dem es gerecht zu werden galt, eine aktiver Auftrag für Sachsen-Anhalt, sowohl auf Herausforderung, der sie sich gegen zahlreiche Landesebene als auch auf kommunaler Ebene Widerstände stellten.“ ⁷ der Unterrepräsentanz von Frauen entgegen- zuwirken. In Bezug auf die gesetzlichen Regelungen stehen eigentlich alle Ampeln auf Grün im Sinne einer Die Vielzahl der unterschiedlichen Vorstöße hat Paritätsregelung. Der Gleichstellungsaufrag im nunmehr eine verfassungsrechtliche Debatte Grundgesetz und in der Landesverfassung bieten ausgelöst, in deren Verlauf auch diverse juristi- 13
Vorschau sche Gutachten entstanden sind. Im Wesentli- chen wird in den verschiedenen Gutachten diskutiert, ob und wie die grundgesetzliche geschützte Parteienfreiheit und die Wahlrechts- grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl durch quo- tierte Wahllisten beeinträchtigt werden bzw. ob diese Eingriffe durch das Gleichberechtigungs- gebot des Grundgesetzes gerechtfertigt sind. ⁹ Die vorliegende Broschüre ist das Ergebnis der Bemühungen des Landesfrauenrates Sachsen- Anhalt e.V. in seinen Aktivitäten für ein Paritäts- gesetz und durch Darstellung ausgewählter Stellungnahmen anlässlich der Anhörung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleich- stellung am 16. August 2019 zum im Landtag von Sachsen-Anhalt vorliegenden Gesetzent- wurf „[…] zur Gewährleistung einer paritätischen Zusammensetzung der Verfassungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt mit Frauen und Männern (Parité-Gesetz Sachsen-Anhalt)“ die Debatte weiter voranzutreiben. LASSEN SIE UNS GEMEINSAM AN DER BESTEN LÖSUNG ZUR UMSETZUNG DES GLEICHHEITS- GRUNDSATZES UNSERES GRUNDGESETZES ARBEITEN. Ihre Eva von Angern & Daniela Suchantke Vorsitzende Geschäftsführerin 1 Elke Stolze “Die weiblichen „Herren Abgeordneten“ – Politikerinnen der Region Sachsen-Anhalt 1918 – 1945, S.10 Landesfrauenrat 2 Lukoschat: Macht, S. 13. Sachsen-Anhalt e.V. 3 Das Wahlrecht in den Bundesländern bei Landtagswahlen ist sehr ähnlich. Lediglich das Saarland (Verhältniswahl mit geschlossenen Listen) und Hamburg und Bremen (Verhältniswahl mit offenen Listen) weichen ab. 4 vgl. www.statistik.sachsen-anhalt.de/wahlen/lt16/fms/fms216li.html, Stand: 11.08.2018 5 Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt: Landtagswahl 2016. Analysen zur Wahl und aus der repräsentativen Statistik, April 2016 6 Elke Stolze “Die weiblichen „Herren Abgeordneten“ – Politikerinnen der Region Sachsen-Anhalt 1918 – 1945, S.15 7 vgl. ebd. S. 18 8 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 9 Lukoschat: Macht, S. 28. 14
Vorschau BOTSCHAFT ERINNEN 17
Vorschau Ich selber erachte eine Quote per Gesetz ledig- lich als eine Möglichkeit für den Weg, den Frau- enanteil im wirtschaftlichen wie politischen Terrain zu erhöhen. Maßgeblichere Kriterien zur Förderung von Frauen sind für mich zum einen, die Akzeptanz des gesellschaftlichen sowie privaten Umfeldes, dass sich Frauen und Männer gleichermaßen um Kinder und Familie kümmern. Dass sich eine derartige positive Entwicklung bereits abzeichnet, freut mich sehr. Zum anderen sollten in erster Linie die Befähigung und Eig- nung bei der Besetzung von Stellen gelten. G a b r i e l e B r a ke b u s c h , C D U Die uneingeschränkte Partizipation der Frau Landtagspräsidentin nimmt heute in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Was vor der Einführung des IN DER VERFASSUNG DES LANDES SACHSEN- Frauenwahlrechts vor über 100 Jahren undenk- ANHALT IST VERANKERT, DIE TATSÄCHLICHE bar erschien, ist längst selbstverständlich. GLEICHSTELLUNG VON FRAUEN UND Frauen nehmen aktiv an Wahlen teil, sollten sich MÄNNERN IN ALLEN BEREICHEN DER GESELL- allerdings selbst öfter auch zur Wahl stellen. Sie SCHAFT DURCH GEEIGNETE MAßNAHMEN erfahren in der Arbeitswelt hohe Anerkennung ZU FÖRDERN. und spielen tragende Rollen neben ihren männli- chen Kollegen. Nun gilt es auch, sich über diese geeigneten Maßnahmen im Klaren zu sein. Die Koalitions- DIE GLEICHBERECHTIGUNG VON MANN UND partner der siebten Wahlperiode des Landtages FRAU SCHRITT NACH UND NACH VORAN, DOCH von Sachsen-Anhalt wollen für eine paritätische AN DER EINEN ODER ANDEREN STELLE DARF Besetzung von Kandidierenden-Listen prüfen, ob MEHR UND EHRLICHER ETWAS DAFÜR GETAN ein verfassungskonformes Paritégesetz mit WERDEN. Regelungen sowohl für die kommunale Ebene als auch die Landesebene auf den Weg gebracht Menschen, die sich um ihre Familie kümmern, werden kann. Nun hätten die großen Parteien, sei es um die jüngere oder ältere Generation, die der Politik das Personal stellen, jedoch schon sind als Bereicherung für unser Arbeitsleben zu längst ihr Recruiting anpassen können. Eine Art betrachten. Denn es ist die leistungsfähige weiche Quote, also Sollvorschriften zum Frauen- mittlere Generation, die ihre Kraft und Energie anteil für Wahllisten oder Ämter, haben für die bewusst für Beruf und Familie einsetzt, egal ob Wahllisten oder gar Ämter nicht zu mehr Frauen Mann oder Frau. geführt. Die Parteien sind daher erst einmal zu Hausaufgaben ermahnt, bevor sie sich in die Gabriele Brakebusch erneute Debatte stürzen. Landtagspräsidentin, CDU 18
Vorschau E N T W U R GESETZ ZUR GEWÄHRLEISTUNG EINER PARI- TÄTISCHEN ZUSAMMENSETZUNG DER VER- FASSUNGSORGANE DES LANDES SACHSEN- ANHALT MIT FRAUEN UND MÄNNERN G E S E T Z E S (Parité-Gesetz Sachsen-Anhalt) Artikel 1 - Änderung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 (GVBl. LSA S. 600), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes zur Parlamentsreform 2014 vom 5. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 494), wird wie folgt geändert: (1) Artikel 34 wird wie folgt geändert: a) Der bisherige Wortlaut wird zu Absatz 1. b) Es wird folgender Absatz 2 angefügt: „Das Land sorgt für die Möglichkeit einer gleichen Repräsenta- tion von Frauen und Männern in gewählten Vertre- tungen, in der Landesregierung und im Landesver- fassungsgericht.“ (2) Artikel 42 Abs. 1 wird wie folgt geändert: Nach den Wörtern „Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet“ werden die Wörter „und die paritätische Zusammensetzung mit Frauen und Männern ermöglicht“ eingefügt. (3) Dem Artikel 64 Abs. 1 wird folgender Satz 3 angefügt: „Die Landesregierung soll sich paritätisch aus Frauen und Männern zusammensetzen.“ (4) Dem Artikel 74 Abs. 2 wird folgender Satz 2 angefügt: „Es soll sich paritätisch aus Frauen und Männern zusammensetzen.“ Artikel 2 - Änderung des Wahlgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt Das Wahlgesetz des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Februar 2010 (GVBl. LSA S. 80), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 5. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 494), wird wie folgt geändert: 31
Vorschau (1) § 1 Absatz 1 wird wie folgt geändert: In Satz 2 a) In Absatz 1 Satz 1 werden die Wörter „Als wird die Zahl „43“ durch die Zahl „22“ ersetzt. Bewerber einer Partei“ durch die Wörter „Als Bewerberin und Bewerber einer Partei“ ersetzt. (2) § 10 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert: Die b) In Absatz 4 Satz 1 werden die Wörter „die Wahl Zahl „43“ wird durch die Zahl „22“ ersetzt. des Bewerbers“ durch die Wörter „die Wahl der Bewerberin und des Bewerbers“ ersetzt. (3) § 14 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 4 werden die Wörter „der Bewerber für (6) In § 22 Abs. 2 Satz 2 wird nach Nummer 3 eine Partei auftritt“ durch die Wörter „die Bewerber folgende Nummer 4 eingefügt: „4. er als Kreiswahl- für eine Partei auftreten“ ersetzt. vorschlag einer Partei nicht eine Bewerberin und b) Absatz 5 erhält folgende Fassung: „Der Kreis- einen Bewerber oder einen Bewerber und eine wahlvorschlag einer Partei darf nur eine Bewerberin Bewerberin enthält.“ Die Nummern 4 und 5 werden und einen Bewerber oder einen Bewerber und eine zu Nummern 5 und 6. Bewerberin enthalten. In dem Kreiswahlvorschlag müssen Familienname, Vorname, Geburtsdatum, (7) In § 23 wird nach Absatz 3 folgender Absatz 4 Geburtsort, Wohnort, Wohnung 1 und Beruf oder eingefügt: „(4) In einem Landesvorschlag sind die Stand der Bewerberin und des Bewerbers sowie die Bewerber zu streichen, die die strikt alternierende Parteibezeichnung angegeben sein. Die Hinzufü- Reihenfolge durchbrechen.“ Die Absätze 4 bis 10 gung der Parteibezeichnung ist nur mit Zustimmung werden zu Absätzen 5 bis 11. dieser Partei zulässig. Das Recht von Einzelbewer- bern, auf einem Kreiswahlvorschlag zu kandidieren, (8) In § 27 Absatz 1 Nr. 1 wird das Wort „Bewerber“ bleibt unberührt.“ gestrichen. c) Nach Absatz 5 wird ein neuer Absatz 6 angefügt: „(6) Personen, die entsprechend § 22 Absatz 3 und (9) In § 32 Satz 1 werden die Wörter „welcher § 45b Absatz 1 Personenstandsgesetz weder dem Bewerber“ durch die Wörter „welche Bewerberin männlichen noch dem weiblichen Geschlecht und welcher Bewerber oder welcher Bewerber und zugeordnet werden können, können frei entschei- welche Bewerberin oder welcher Einzelbewerber “ den, ob sie auf dem Kreiswahlvorschlag einer Partei ersetzt. als Bewerberin oder Bewerber antreten wollen." Die Absätze 6 und 7 werden zu Absätzen 7 und 8. (10) § 33 Absatz 1 wird wie folgt gefasst: „(1) d) In Absatz 8 werden die Wörter „Ein Bewerber Gewählt sind die Bewerberin und der Bewerber darf“ durch die Wörter „Eine Bewerberin oder ein oder der Bewerber und die Bewerberin oder die Bewerber dürfen“ ersetzt. Einzelbewerberin oder der Einzelbewerber des Kreiswahlvorschlags, der die meisten Erststimmen (4) § 15 wird wie folgt geändert: erhalten hat.“ a) In Absatz 1 werden nach dem Wort „Landeswahl- vorschläge“ die Wörter „die in der Reihenfolge von Artikel 3 - Inkrafttreten Frauen und Männern oder von Männern und Frauen (1) Artikel 1 Nr. 1 und Nr. 4 treten am Tag nach der als strikt alternierende Listen aufzustellen sind,“ Verkündung in Kraft. eingefügt. b) § 15 Abs. 1, Satz 3 erhält folgende Fassung: (2) Artikel 1 Nr. 2 und Artikel 2 treten für die Wahl Die Vorschriften des § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, zum Landtag der achten Wahlperiode in Kraft. Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 gelten entsprechend. (3) Artikel 1 Nr. 3 tritt mit Wirkung für die achte (5) § 19 wird wie folgt geändert: Wahlperiode des Landtages in Kraft. 32
Vorschau STELLUNG NAHMEN 33
Vorschau ÖFFENTLICHE ANHÖRUNG DES AUSSCHUSSES ein solches Gesetz dazu dient, die strukturelle Dis- FÜR RECHT, VERFASSUNG UND GLEICHSTELLUNG kriminierung von Kandidatinnen in parteiinternen DES LANDTAGES VON SACHSEN-ANHALT AM Nominierungsverfahren zu verhindern. Solche 16.08.2019 ZUM ENTWURF EINES GESETZES ZUR strukturellen Diskriminierungen können wir inzwi- GEWÄHRLEISTUNG EINER PARITÄTISCHEN ZUSAM- schen aufgrund von Statistiken erkennen. MENSETZUNG DER VERFASSUNGSORGANE DES LANDES SACHSEN-ANHALT MIT FRAUEN UND Des Weiteren dient alles, was in diesem Gesetzent- MÄNNERN wurf vorgegeben ist, der Sicherung der gleichbe- rechtigten demokratischen Teilhabe und effektiven Parité-Gesetz Sachsen-Anhalt Einflussnahme des Souveräns, nämlich der Bürge- rinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt. Aus der Per- (Hinweis des Landesfrauenrates Sachsen-Anhalt spektive von Demokratie und Gleichberechtigung e.V.: Am 16.08.2019 fand im Ausschuss für Recht, kann ich diesen Gestzentwurf somit nur begrüßen. Verfassung und Gleichstellung eine Anhörung zum oben genannten Gesetzentwurf statt. Wir erlauben Allerdings konzentriert sich dieser Gesetzentwurf - uns, diese auszugsweise hier wiederzugeben. Bei anders als die anderen Gesetzentwürfe - nicht allein Interesse an der gesamten Anhörung verweisen wir auf das Parlament, das wichtige Staatsorgan, son- auf die Homepage des Landtages von Sachsen- dern auch auf die Landesregierung und das Landes- Anhalt: www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/ verfassungsgericht. Das ist aus meiner Sicht konse- files/aussch/wp7/rev/protok/rev031p7i.pdf) quent und neu. Vorsitzender Detlef Gürth: Zu den einzelnen Fragen, die ich jetzt in Kürze Ich begrüße die zur heutigen Anhörung erschiene- beantworten werde. nen Gäste und möchte mich im Namen des Aus- schusses für die bereits eingereichten schriftlichen Frage 1: Ist es verfassungsrechtlich zulässig, die Statements bedanken. Sie können davon ausgehen, Wahlrechtsgrundsätze des Artikels 28 Abs. 1 Satz 2 dass diese Unterlagen schon gelesen worden sind. des Grundgesetzes (GG) in der Verfassung des Für den Verlauf der folgenden Anhörung wäre es Landes Sachsen-Anhalt mit dem Zusatz zu ver- somit günstig, wenn sich die Vortragenden auf die sehen, dass eine paritätische Zusammensetzung wesentlichen Positionen fokussieren und dann mit Frauen und Männern ermöglicht werden soll? Fragen der Abgeordneten beantworten würden. Als Aus meiner Sicht ist es verfassungsrechtlich zu- Orientierung für die Redezeit haben wir 15 Minuten lässig, einen Zusatz in die Landesverfassung einzu- vorgegeben. fügen, mit dem eine paritätische Zusammensetzung mit Frauen und Männern ermöglicht werden soll. Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski (Uni Kassel): Ein solcher Zusatz dient der Klarstellung und der Sie haben mir mit der Einladung einen Fragenkata- Durchsetzung des Rechts auf Chancengleichheit log zugesandt. Die darin aufgeführten Fragen werde der Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien ich im Folgenden der Reihe nach beantworten. gemäß Artikel 38 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 2 GG, Zunächst aber möchte ich den Landtag dazu be- die sich hierbei ergänzen. Ein solcher Zusatz dient glückwünschen, dass er sich überhaupt mit einem gleichzeitig der Durchsetzung des Demokratiege- solchen Gesetzentwurf auseinandersetzt. Die Dis- bots und dem daraus folgenden Recht der Bürge- kussion läuft in allen Bundesländern, seit das Land rinnen und Bürger auf gleiche demokratische Teil- Brandenburg mit einem Parité-Gesetz vorgelegt hat. habe und effektiven Einfluss auf die Staatsgewalt, Inzwischen hat auch Thüringen ein Parité-Gesetz hier in Form des Landesparlaments - Artikel 20 verabschiedet. Ich möchte deutlich machen, dass Abs. 2, Artikel 38 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 2 GG. 34
Vorschau Frage 2: Ist es verfassungsrechtlich zulässig, eine Frage 3: Ist es verfassungsrechtlich zulässig, auf paritätische Besetzung der Landesregierung und Landesebene Regelungen zu treffen, die Vorgaben des Landesverfassungsgerichts verpflichtend zu hinsichtlich des parteiinternen Aufstellungsverfah- regeln? Wenn nein, ist eine Sollvorschrift zulässig? rens der Kandidatinnen und Kandidaten beinhalten, insbesondere unter Berücksichtigung des Artikels Aus meiner Sicht ist es sowohl verfassungsrechtlich 21 Abs. 3 GG? zulässig, eine verpflichtende Regelung zu treffen, als auch, eine bloße Sollregelung zu treffen. Auf Dazu möchte ich zunächst sagen, dass ich die For- einfachgesetzlicher Ebene dürften sich Sollrege- mulierung so verstanden habe, dass sie auf mög- lungen allerdings als untauglich erweisen, darauf liche Kollisionen im Hinblick auf die Gesetzgebungs- möchte ich hinweisen. Auf der einfachgesetzlichen kompetenz hinausläuft. Artikel 21 Abs. 3 GG sah Ebene kann ich auf die Erfahrungen mit § 3 Abs. 1 bis 2017 eine entsprechende Regelung vor, seit Satz 4 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes 2017 findet sie sich in Artikel 21 Abs. 5 GG; ich (LVerfGG) verweisen. Diese Regelung hat sich als nehme an, das war ein redaktionelles Versehen. So Papiertiger erwiesen und dürfte gegen das Unter- habe ich die Frage jedenfalls verstanden. Dazu maßverbot - Artikel 20 Abs. 3 GG - verstoßen, ist ganz klar: Der Schwerpunkt einer solchen Regelung also eine völlig untaugliche Regelung. liegt im Bereich der Wahlvorbereitung, also im Landeswahlrecht. Von daher liegt die Gesetzge- Auf der Ebene der Landesverfassung, wie in dem bungskompetenz ganz klar beim Land, Artikel 70 Gesetzentwurf für Artikel 64 Abs. 1 Satz 3 (neu) GG und Artikel 42 der Landesverfassung. Aus und Artikel 74 Abs. 2 Satz 2 (neu) der Landesver- dieser Sicht ergibt sich kein Proble. Auch im Übri- fassung vorgesehen, erscheinen solche Sollrege- gen wäre eine solche Regelung verfassungsgemäß. lungen unschädlich, wenn auch völlig unüblich. - Dazu mehr in meiner schriftlichen Stellungnahme. Denn die Verfassungssprache in allen Verfassungen ist die des imperativen Indikativs. Dort wird klipp Frage 4: Ist der Begriff der paritätischen Zusam- und klar dargestellt, wie die Dinge zu sein haben mensetzung rechtlich eindeutig definiert? Genügt oder wie sie nicht sein dürfen. Aber solche from- der Begriff dem verfassungsrechtlichen Gebot der men Wünsche - es soll dieses, es soll jenes - finden Normenklarheit und -bestimmtheit oder bedarf es Sie in keiner Verfassung. Das ist aus meiner Sicht einer Legaldefinition? auch nicht erforderlich. Sie sollten hierfür die üb- liche Sprache wählen, den imperativen Indikativ. Ich Dazu ganz klar: Der Begriff an sich ist rechtlich sage es noch einmal deutlich: Solche Sollregelun- nicht eindeutig definiert. Er wird in unterschied- gen sind nicht erforderlich, aber doch verfassungs- lichen Teilrechtsgebieten verwendet. Im Kontext rechtlich zulässig. des Gesetzentwurfes wird jedoch hinreichend deutlich, was mit „paritätische Zusammensetzung" So, wie die Sollregelung vorgesehen ist, kommt den gemeint ist, nämlich eine hälftige geschlechterpari- Normen lediglich eine Appellfunktion zu, gerichtet tätische Zusammensetzung mit Frauen und Män- an die Person, die über die personelle Zusammen- nern. Allerdings dürfen diverse Menschen aus setzung der Landesregierung, also vor allem die verfassungsrechtlichen Gründen begrifflich nicht Ministerinnen und die Minister, und des Landesver- ausgeschlossen werden. Insoweit bedarf es einer fassungsgerichts entscheiden. Eine paritätische verfassungskonformen Interpretation. Eine solche Besetzung der Landesregierung und des Landesver- ist möglich mithilfe der üblichen juristischen Metho- fassungsgerichts ließe sich mithilfe solcher Sollre- dik. Daher genügt der Begriff dem verfassungs- geln aber nicht einfordern; denn „soll" heißt be- rechtlichen Gebot der Normenklarheit und Be- kanntlich nicht „muss". stimmtheit. Eine Legaldefinition ist nicht zwingend 35
Vorschau Quotenregelungen ist es allerdings nicht getan. Eine geschlechtergerechte Besetzung des Landta- ges ist geboten. Trauen Sie sich, innovativ zu sein. Ich bin mir sicher, dass die Investorinnen in dieses Land dies wohlwollend belohnen werden, sodass der Internationalisierung Sachsen-Anhalts nichts mehr im Wege stehen wird. PA R I T É 54
Vorschau sen-Anhalt) einbringen zu können. Politische und historische Einordnung Warum dieser Schritt politisch geboten ist, kann der Begründung des Gesetzentwurfs entnom- men werden. Mit der vorliegenden Stellungnah- me ergänzen und bekräftigen wir diese Begrün- dung aus gleichstellungspolitischer Sicht; wobei wir durchaus auch auf die grundlegende formal- juristische Ebene Bezug nehmen werden. Unsere Einschätzungen kommen zu dem Schluss, dass die Permanenz der Unterrepräsen- tanz in den Parlamenten zwangsläufig zur Konsequenz haben muss, dass die Parteien und politischen Vereinigungen ihre Nominierungs- Daniela Suchantke, Geschäftsführerin verfahren durchgehend geschlechterparitätisch Daniela Landesfrauenrat Suchantke, Sachsen-Anhalt e.V. Geschäftsführerin handhaben. Somit besteht der staatliche Auftrag Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt e.V. darin, diese Handhabung zu befördern. GEMEINSAME STELLUNGNAHME DES 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahl- LANDESFRAUENRATES SACHSEN-ANHALT E.V. rechts in Deutschland gibt es eine breite gesell- (LFR), DER ARBEITSGEMEINSCHAFT SOZIAL- schaftliche Debatte über die geringe politische DEMOKRATISCHER FRAUEN SACHSEN-ANHALT Teilhabe von Frauen in den Parlamenten. Dieses (ASF) UND DER LANDESARBEITSGEMEIN- Jubiläum hat auch in Sachsen-Anhalt dazu SCHAFT DER KOMMUNALEN GLEICH- beigetragen, das Thema (noch stärker) auf die STELLUNGSBEAUFTRAGTEN (LAG KGBA) politische Agenda zu setzen. Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung Bereits mit der Einführung des Frauenwahlrechts einer paritätischen Zusammensetzung der und der politischen Diskussion darum (1918), Verfassungsorgane des Landes Sachsen- forderte die Frauenrechtlerin Minna Cauer eine Anhalt mit Frauen und Männern (Parité- Quotenregelung für Frauen in den Abgeordne- Gesetz Sachsen-Anhalt) tenlisten im Wahlgesetz festzuschreiben. Dieses Ansinnen hielt der mit dem Auftrag einen Wahl- Anhörung im Ausschuss für Recht, Verfas- rechtsentwurf zu erarbeiten beauftragte Staats- sung und Gleichstellung (16. August 2019) sekretär im Reichsamt des Inneren, Hugo Preuß, Der Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt e.V. be- für nicht durchführbar. Er kommentierte das dankt sich für die Möglichkeit, eine Stellungnah- Ansinnen mit den Worten: „Sie fürchten wohl, me zum Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleis- dass die Frauen sonst zu schlechte Plätze auf tung einer paritätischen Zusammensetzung der den Listen bekommen“.¹ Verfassungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt mit Frauen und Männern (Parité-Gesetz Sach- 100 Jahre später konstatiert der Landesfrauen- 55
Vorschau rat mit Sorge, dass die Frauenanteile im Bundes- gesetzlichen Vorgaben zu einer paritätischen tag sowie in den Landesparlamenten und Handhabung ihrer Kandidaturenaufstellung Kommunalvertretungen – trotz innerparteilicher verpflichtet werden, deren Nichteinhaltung Selbstverpflichtungen einiger Parteien und trotz konsequent sanktioniert wird? Die politikwissen- des staatlichen Gleichstellungsauftrags in schaftliche Forschung untersucht seit Ende der Artikel 3 des Grundgesetzes – seit Anfang der 80er Jahre die Unterrepräsentanz von Frauen in 1990er Jahre stagnieren bzw. sogar rückläufig Politik und Parlamenten. Die jahrzehntelange sind. Nur eine gleichberechtigte Teilhabe macht wissenschaftliche Beobachtung und Analyse der unsere Gesellschaft gerecht, sie macht unsere Entwicklung der Geschlechterverhältnisse in der politischen Antworten besser und unsere Politik liefert die wissenschaftliche Untermaue- Demokratie zukunftsfest. So können auch die rung dafür, dass es notwendig ist, den Schritt unbestreitbaren Erfolge und Fortschritte in der eines Gesetzes zur paritätischen Quotierung zu politischen Partizipation von Frauen – eine Frau gehen.“³ als Kanzlerin, zahlreiche Ministerinnen, in Sachsen-Anhalt eine Frau als Landtagspräsi- In Sachsen-Anhalt wie auch in den anderen dentin – nicht darüber hinwegtäuschen, dass 70 Bundesländern lässt sich dies an den folgenden Jahre nach Verabschiedung des Gleichberechti- Erkenntnissen begründen: gungsartikels im Grundgesetz und 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts weiter- 1. Permanente Unterrepräsentanz von hin strukturelle Benachteiligungen bestehen und Frauen in den Landtagen, kommunalen nahezu überall in den politischen Entscheidungs- Vertretungen und Führungspositionen gremien Männer in der Mehrheit sind.² Durchschnittlich stellen Frauen ein knappes Drittel der Landtagsabgeordneten. Es gibt Diese Erkenntnis führte bereits 1994 zur Ergän- allerdings große Unterschiede zwischen den zung des Artikel 3 Grundgesetz und den Absatz Bundesländern. Sachsen-Anhalt belegt in dieser 2, Satz 2, der einen aktiven Gleichstellungsauf- Wahlperiode den letzten Platz. Zu Beginn der trag wie folgt formuliert: „Der Staat fördert die Wahlperiode betrug der Frauenanteil 24,4 tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechti- Prozent. Mit dem Ausscheiden von Mandatsträ- gung von Frauen und Männer und wirkt auf die gerinnen und dem „Nachrutschen“ von Män- Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Der nern, liegt dieser aktuell bei knapp 22 Prozent Nachweis bestehender Nachteile ist für uns mit (19 Frauen, 68 Männer). Damit erreicht der Wert der Entwicklung des Anteils weiblicher Abgeord- statistisch fast den historischen Tiefstand von neter seit der Wiedervereinigung. Auch wenn 1990. Da betrug der Frauenanteil gerade einmal diese statistischen Fakten durch einige Juristen 17 Prozent. in ihre Relevanz und Bedeutung angezweifelt werden, spiegeln sie für uns die tatsächliche 2. Nominierungsverfahren strukturelle Diskriminierung. An Handlungsempfehlungen und Konzepten mangelt es nicht, aber offenbar am Willen zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung Umsetzung. Der Landesfrauenrat Sachsen- Es stellt sich daher die Frage: „Warum müssen Anhalt zeigt sich davon überzeugt, dass die Parteien und politische Vereinigungen mit internen Nominierungsverfahren der Parteien 56
Vorschau ohne paritätische Steuerung auch zukünftig dazu 4. Frauen- und Geschlechterquoten führen werden, dass unter weitgehendem Ver- In der Entwicklung der Repräsentanz von Frauen zicht von Kandidatinnen überproportional viele im Landtag von Sachsen-Anhalt seit der Wieder- Kandidaten nominiert werden. vereinigung bis heute wird ebenfalls deutlich, dass die Fraktionen unterschiedlichen Anteil an 3. Direktmandate der geschlechtsspezifischen Verteilung haben. Die Ausgestaltung des Wahlrechts – und um Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die dessen Änderung geht es uns heute – hat einen Parteien, die über innerparteiliche Quotenrege- großen Einfluss darauf, wie gut die Chancen für lungen die Aufstellung der Listenplätze regulie- eine höhere Frauenrepräsentanz stehen. Insbe- ren, ein deutlich höher bzw. einen paritätischen sondere der Anteil von Sitzen, die als Direktman- Frauenanteil erreichen. Die Linke (PDS) in date vergeben werden, hat einen direkten Sachsen-Anhalt hat seit der zweiten Wahlperi- Einfluss auf die Partizipationschancen von ode einen Quotierungsbeschluss gefasst, der die Frauen. Es gilt die Faustregel: „Je mehr Sitze im hälftige Verteilung der Mandate festlegt. Damit Parlament als Direktmandate vergeben werden, liegen die weiblichen Mandate relativ konstant desto niedriger ist der Frauenanteil unter den zwischen 47 und 55 Prozent. BÜNDNIS 90/ DIE Abgeordneten.“⁴ GRÜNEN haben eine beschlossene Frauenquote von 50 Prozent für alle Ämter, Mandate und Der Aufstellungsprozess von Direktkandidatin- Listenplätze. Listenplätze werden alternierend nen und –kandidaten erweist sich als Nadelöhr vergeben. Sollte sich keine Frau für den entspre- für viele Politikerinnen. Zum einen gelten hier chenden Platz finden, bleibt dieser unbesetzt keine Quoten und zum anderen sind viele Wahl- und die Liste wird an dieser Stelle geschlossen. kreise bereits durch Männer besetzt, die wieder- In den Wahlperioden in den BÜNDNIS 90/ DIE um Männer nachziehen. Zur Landtagswahl am GRÜNEN den Einzug in den Landtag erreichten, 13. März 2016 wurden lediglich vier Frauen lag der Anteil weiblicher Abgeordneter zwischen direkt über die 43 Wahlkreise gewählt.⁵ Die CDU 40 und 60 Prozent. In der SPD wird laut Statut erreichte 27 Direktmandate, davon entfielen eine 40 Prozentquote vorgeschrieben. Der Anteil zwei auf Frauen, die AfD erreichte 15 Direktman- weiblicher Mandatsträger in der SPD Fraktion date, davon entfiel ein Mandat auf eine Kandi- entwickelte sich seit der Landtagswahl 1990 von datin und die Linke erreichte ein Direktmandat, 20 zu 46 Prozent in der aktuellen siebten Wahl- welches auf eine Frau entfiel.⁶ periode. Auf dem ordentlichen SPD-Landes- parteitag am 12./13. Januar 2018 wurde der Zur Landtagswahl 2011 zogen sechs Kandidatin- satzungsändernde Antrag der Arbeitsgemein- nen direkt in den Landtag ein. Alle gehörten der schaft Sozialdemokratischer Frauen und der CDU an, welche 41 der 45 Wahlbezirke für sich Jusos "Geschlechterquotierte Landesliste" mit entscheiden konnte. Im Ergebnis der Landtags- der notwendigen 2/3-Mehrheit, die für eine Sat- wahl 2006 zogen 7 Direktkandidatinnen der CDU zungsänderung erforderlich ist, beschlossen.⁸ in den Landtag ein. Andere Parteien konnte keine Frauen erfolgreich platzieren.⁷ In der CDU ist ein Frauenquorum fester Bestand- teil der Statuten.⁹ Das Quorum regelt, dass ein Drittel der Parteiämter, Mandate und Listen- 57
Vorschau hier die Frauenquote unter den Ministerinnen WP Minister* davon Mi- Frauenanteil und Minister seit 1990. Anhand der statistischen innen insg. nisterinnen in Prozent Auswertung wird deutlich, dass der Frauenanteil nie höher als 33,3 Prozent lag. Insgesamt lag der 1 18 1 5,6 Anteil von Frauen in Führungspositionen im Jahr 2 10 3 30,0 2015 in Sachsen-Anhalt laut Atlas zur Gleichstel- 3 12 4 33,3 lung von Frauen und Männern bei 27,3 Prozent. 4 9 1 11,1 Damit liegt Sachsen-Anhalt leicht über dem 5 12 4 33,3 bundesweiten Durchschnitt von 26,4 Prozent.¹² 6 10 2 20,0 7 10 3 30,0 Wir begrüßen daher die Regelung zur paritäti- Quelle: Landtag Sachsen-Anhalt schen Besetzung der Landesregierung im vor- gelegten Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE plätze an Frauen vergeben werden soll. Es wird ausdrücklich. nicht alternierend besetzt und wenn das Quorum nach zwei Wahlgängen nicht erreicht wird, bleibt Bewertung des Entwurfes im Kontext das Ergebnis des zweiten Wahlgangs dennoch Grundgesetz und Landesverfassung gültig.¹⁰ Die weibliche Repräsentanz in der CDU- Die Unterrepräsentanz weiblicher Abgeordneter Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, welche führt dazu, dass die Perspektiven und Interessen bis auf 1998, immer als stärkste Fraktion aus der Bürgerinnen nicht angemessen gespiegelt den Wahlen hervorging, entwickelte sich werden. Im Ergebnis bringt die geringe Reprä- zunächst zunehmend (von 1990 bis 2002). Sie sentation von Frauen damit auch eine mangeln- erreichte in der dritten Wahlperiode ihren de demokratische Legitimation getroffener Ent- absoluten Höchststand von über 30 Prozent. scheidungen mit sich, was dem Demokratieprin- Dies bedeutete einen Zuwachs von mehr als 20 zip des Art. 20 Abs. 1 GG widerspricht. Prozentpunkten im Vergleich zur vorangegangen Wahlperiode. In den folgenden Wahlperioden Der Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz nahm die Repräsentanz kontinuierlich ab und 2 GG fordert den Staat ausdrücklich dazu auf, auf erreicht im Jahr 2018 knapp 10 Prozent. In der die Beseitigung der Benachteiligung von Frauen FDP gibt es keine verpflichtenden Quotenrege- hinzuwirken. In unserem Wahlrecht fehlen lungen. Es gibt jedoch verschiedene Maßnah- jedoch Regelungen, die die tatsächliche Chan- men zur Frauenförderung, wie zum Beispiel cengleichheit von Kandidatinnen und Kandida- Mentoring Programme. In der AfD werden ten herstellen und sichern. Daher begrüßen der sowohl parteiinterne Quoten als auch Maßnah- LFR, LAG und ASF den vorliegenden Entwurf zur men zur Frauenförderung abgelehnt.¹¹ Einführung eines Paritätsgesetzes in Sachsen- Anhalt. Aus unserer Sicht stellt der vorgeschla- 5. Frauen in Führungspositionen gene Gesetzentwurf einen wichtigen Beitrag hin Neben der Unterrepräsentanz von Frauen in der zu einer geschlechtergerechten parlamentari- Politik existiert eine solch deutliche Unterreprä- schen Repräsentanz von Männern und Frauen in sentanz auch in den Führungsebenen der Sachsen-Anhalt dar – zumindest auf Landesebe- Verwaltung in Sachsen-Anhalt. Beispielhaft sei ne. Wir befürwortet auch, dass im vorliegenden 58
Vorschau Entwurf sowohl die Aufstellung der Landeslisten Erlaubt sei an dieser Stelle ein Exkurs zu Frauen der Parteien als auch die die Aufstellung der in kommunalen Führungspositionen. Sie bilden Direktkandidaturen in den Wahlkreisen dem das Schlusslicht in der statistischen Betrach- Paritätsprinzip unterliegen. Auf diese Weise kann tung, so auch in Sachsen-Anhalt. Im Bundes- verhindert werden, dass der Frauenanteil im zu durchschnitt liegt der Anteil der Mandatsträge- wählenden Parlament insgesamt sinkt, obwohl rinnen bei rund 26 Prozent, bei den Landrätinnen die Landeslisten paritätisch besetzt wurden. bei 9,5 Prozent und bei den Bürgermeisterinnen Positiv bewertet wird darüber hinaus die Tat- bei rund zehn Prozent.¹⁴ Diese gravierende sache, dass die fehlende Einhaltung des Paritäts- Unterrepräsentanz ist kein neues Phänomen und prinzips sanktionsbewährt ist. es gab bereits diverse Untersuchungen und Handlungsempfehlungen. Leider lässt sich Weder das Grundgesetz noch die Landesverfas- derzeit keine Trendwende erkennen. sung stehen dem Paritätsgesetz entgegen. Bedenken hinsichtlich etwaiger Eingriffe in Das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt Bezug auf die Parteienfreiheit gem. Art. 21 GG erfasst die Bürgermeister*innenwahlen seit der bzw. die Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. Einführung des Direktwahlverfahrens 1994. Im 1 GG sind unbegründet. Zunächst unterliegen Jahr der Einführungen wurden in 123 Gemeinden weder die Parteienfreiheit noch die Wahlrechts- Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gewählt. grundsätze einem absoluten Eingriffs- bzw. Mit dem Ergebnis, dass es gerade einmal 10 Differenzierungsverbot. Etwaige Eingriffe durch Frauen der Einzug in die Rathäuser gelang, was das Paritätsgesetz sind zudem verhältnismäßig einem prozentualen Anteil von 8,1 Prozent ent- bzw. aufgrund des staatlichen Gleichstellungs- spricht.¹⁵ Derzeit listet das Statistische Landes- auftrages aus Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt. amt 218 Gemeinden. Insgesamt sind von den 218 erfassten Bürgermeister*innen 20 weib- Kritik/ Anregungen lich.¹⁶ Damit beträgt der Frauenanteil 9,2 Wir bedauern indes, dass der Gesetzentwurf Prozent. keine geeigneten Maßnahmen oder Regelungen beinhaltet, um der mangelnden Repräsentanz Fazit von Frauen in kommunalen Vertretungen zu be- Paritätsgesetze sind ein effektives Mittel, um zu gegnen. So bedarf es eines über das Wahlrecht erreichen, dass Frauen gleichermaßen an hinausgehenden, übergreifenden Ansatzes, um politischer Machtausübung beteiligt sind und eine deutliche Erhöhung des Frauenanteils in ihre Interessen, Sichtweisen und Erfahrungen in den Parlamenten und kommunalen Vertretungen die Gesetzgebung einbringen können. Frauen zu ermöglichen. sind wie Männer keine politisch oder sozial einheitliche Gruppe. Dies ist aber kein Argument In den Kommunen in Sachsen-Anhalt liegt der gegen ihre gleichberechtigte Vertretung in der Anteil weiblicher Mandatsträger seit 2008 bei Politik, im Gegenteil. Denn bei aller Unterschied- knapp 20 Prozent.¹³ Damit zählt Sachsen-Anhalt lichkeit von Frauen ist das Geschlecht nach wie mit den Bundesländern Sachsen und Thüringen vor ein soziales Merkmal, das die Zugänge zu zu den Schlusslichtern im bundesweiten Ver- Macht, Ressourcen und Lebenschancen beein- gleich. flusst.¹⁷ 59
Vorschau 1 vgl. Elke Stolze: Die weiblichen „Herren Abgeordneten“. Politikerinnen der In der Diskussion um die politische Repräsen- Region Sachsen-Anhalt 1919 – 1945, mdv 2007, S. 14f tanz von Frauen gibt es in den Bundesländern 2 vgl. Lukoschat/Belschner: Macht zu gleichen Teilen. Ein Wegweiser zu Parität in der Politik, EAF Berlin, 2. Auflage 2017, S. 3 verschiedene Initiativen zur Änderung der 3 vgl. Kletzing/Letsch: Stellungnahme Frauenpolitischer Rat Brandenburg e.V. Landes- und Kommunalwahlgesetze. Mit Bran- für die öffentliche Anhörung des Thüringer Landtages am 06. Juni 2019 4 vgl. Lukoschat/Belschner: Macht zu gleichen Teilen. Ein Wegweiser zu denburg und Thüringen wurde in bereits zwei Parität in der Politik, EAF Berlin, 2. Auflage 2017, S. 7 5 vgl. www.statistik.sachsen-anhalt.de/wahlen/lt16/fms/fms216li.html Bundesländer entsprechende Gesetzesände- 6 Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt: Landtagswahl 2016. Analysen rung beschlossen. Größten Teils wurden diese zur Wahl und aus der repräsentativen Statistik, April 2016. 7 (Sachsen-Anhalt, 2018) Initiativen von außerparlamentarischen Ver- 8 Der Antragstext lautet wie folgt: "Die SPD Sachsen-Anhalt folgt dem bänden und Frauenvereinen – wie den Landes- positivem Beispiel der Landesverbände Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern frauenräten - angestoßen und mit umfassender und Schleswig-Holstein und führt zur Landtagswahl 2021 erstmalig die 50% geschlechterquotierte Landesliste ein, nach der alternierend eine Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Ziel all dieser Frau und ein Mann aufgestellt werden. In der Landessatzung wird daher Initiativen ist die Erhöhung des Frauenanteils in der §10 Abs. 4 (b) geändert durch folgenden Text: „Bei der Aufstellung des Wahlvorschlages findet §4 Abs. 2 der Wahlordnung der SPD den Parlamenten, Gemeinde-, Stadt- und Ort- Anwendung (Reißverschluss)." schaftsräte auf 50 Prozent. Die Erreichung der 9 Ebd. 10 Helga Lukoschat, Jana Belschner: Macht zu gleichen Teilen. Ein Wegweiser Parität. Vorbild dieser Initiativen ist das französi- zu Parität in der Politik, Berlin 2017 (2. Aufl.), S. 15. 11 Ebd. sche Paritégesetz. 12 (Bundesministerium für Familie, 2016) 13 (Bundesministerium für Familie, 2016) 14 (Lukoschat H. /., 2014), S. 7. DAHER KOMMEN WIR ZU DEM FAZIT: 15 vgl. www.statistik.sachsen-anhalt.de/wahlen/bmbm/index.html EINE GESETZLICHE REGULIERUNG DER 16 Ebd. 17 vgl. Deutscher Frauenrat: Mehr Frauen in die Parlamente, Broschüre, NOMINIERUNGSPRAXIS VON PARTEIEN MUSS 2019, S. 6 BESCHLOSSEN WERDEN! DIE IM GESETZ- ENTWURF DER FRAKTION DIE LINKE ER- ARBEITETEN LÖSUNGSVORSCHLÄGE KÖNNEN DAS PROBLEM DER PERMANENTEN UNTER- REPRÄSENTANZ VON FRAUEN LÖSEN. 60
Vorschau Mit freundlicher Genehmigung VERLAG C.H.BECK oHG NVwZ Heft 17/2019, Seite 1245 ff. D I E PA R I TÄT I S C H E F R AU E N Q U OT E Professor Dr. Dr. h. c. Hans Meyer, Emeritus der Humboldt-Universität zu Berlin VERBIETET DAS GRUNDGESETZ EINE PARI- TÄTISCHE FRAUENQUOTE BEI LISTENWAHLEN ZU PARLAMENTEN? I. Die paritätische Frauenquote und schnelle Reaktionen Die gesetzgeberische Entscheidung in Branden- burg, ab der übernächsten Wahl zum Landtag eine paritätische Besetzung der Listen vorzu- schreiben¹ hat zu ungewöhnlich schnellen, unterschiedlichen und auch rechtswissenschaft- lich argumentierenden Reaktionen schon in Tageszeitungen geführt. Am 1. Februar eröffnet Jasper von Altenbockum im politischen Teil der FAZ den Reigen journalistischer Sachverständi- gen mit kassandrischen Tönen: Parité und Repr äsentation seien unvereinbar. Am 13.02.2019 meldet sich mein Fakultätskollege 69
Vorschau Christoph Möllers unter der Überschrift „Die unverhältnismäßig sein. Das ist bildlich gespro- Krise der Repräsentation“ im Feuilleton der FAZ.² chen der Versuch, mit einer verfassungsdogma- Er sieht vorrangig die Auslegung von Art. 3 II 2 tischen Schrotflinte einen Blattschuss zu landen; GG gefordert, bedauert aber, dass das Thema er vermag nicht zu überzeugen. nicht von Anfang an „auf die Ebene der Verfas- sungsänderung“ gehoben worden sei. Am Zur Einstimmung servieren die Autoren eine 25.02.2019 versucht sich der für das Feuilleton Fülle von Verfassungspositionen oder – meist verantwortliche Mitherausgeber der FAZ Jürgen offengelassen – auch nur Rechtspositionen,⁶ die Kaube unter der Überschrift “Böser männlicher sie durch erzwungene paritätische Listen Blick“ am Thema und weist die Anhänger der „beeinträchtigt“ sehen; eine etwas freibleiben- Geschlechterparität mit Blick auf den Repräsen- de, zwischen „verletzt“ und „berührt“ schweben- tationsgedanken auf „etliche Dilemmata“ hin, in de, aber durchaus negativ gemeinte Charakteri- die ihr Vorhaben führe.³ Am 28.02.2019 reagiert sierung. Die ersten Opfer sollen die „Freiheit der der Kollege Bodo Pieroth aus Münster im politi- Wahl“ und die „Gleichheit der Wahl“ sein, also schen Teil der FAZ unter dem Titel „Zukunftsauf- klassische Verfassungsverbürgerungen für den gabe Gleichberechtigung.“ Er fasst zusammen: Bundes- wie den Landesbereich (Art. 38 I 1 und „Das Grundgesetz verlangt, auch faktische Art. 28 I 2 GG). Deren Behandlung geht freilich Benachteiligungen soweit wie möglich zu mit einer erstaunlichen Sorglosigkeit einher. beseitigen. Ein Paritätsgesetz aber ist zweifel- Abstürze bleiben daher nicht aus. haft.“ Die Begründung: Bei systematischer Auslegen sei Art. 3 II 2 GG lex specialis zu Art. 3 II Die einzige Verfassungsposition, über die zu 1 GG Männer und Frauen sind gleichberechtigt reden sich ernsthaft lohnt, ist die Freiheit der und „keine Ausnahmevorschrift zu anderen Wahl. Sie betrifft im Kern die freie Entscheidung Grundgesetznormen.“ des Wählers in Hinblick auf die zur Wahl stehen- de Parlamentspositionen. Er soll ohne unzulässi- II. Eine Reaktion nach längerem Nachdenken gen Druck seine Personalentscheidung treffen Die erste klassisch rechtswissenschaftliche können. Das BVerfG hat zudem mit guten Grün- Bearbeitung des Themas stammt von dem den anlässlich eines Hamburger Falls die Einhal- Düsseldorfer Kollegen „Martin Morlok und dem tung der „Mindestregeln einer demokratischen wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Kandidatenaufstellung“ zur Voraussetzung eines Hobusch. Sie vertreten die These der „Verfas- wahlrechtlich zulässigen Vorschlags erklärt, den sungswidrigkeit verpflichtender Quotenregelun- Schutz also vorverlegt.⁷ Die Entscheidung des gen bei Landeslisten“.⁴ Freiheit wie Gleichheit Wählers kann sich bei Listen, um die es hier allein der Wahl (Art. 38, 28 GG), Wahlvorschlagsrecht geht, nur auf den Vorschlag einer politischen und Tendenzfreiheit der Parteien sowie die Partei beziehen; sie allein ist vorschlagsberech- Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 I GG) tigt (§ 27 I 1BWahlG). Die Freiheit, eine nicht seien „beeinträchtigt“.⁵ Das Repräsentations- vorgeschlagene Person zu wählen, hat der prinzip liefere keine Rechtfertigung, da es nicht Wähler nicht,⁸ auch nicht durch die Berufung auf „Abbildungsgleichheit“ meine. Auch Art. 3 II 2 die Wahlfreiheit des Art. 38 GG. GG, dessen Inhalt umstritten sei, helfe nicht, weil eine verpflichtende Quotierung jedenfalls Wenn Morlok/Hobusch formulieren: „Notwendi- 70
Vorschau Der Blick über den Tellerrand oder... JETZT ERST RECHT! 81
Vorschau I. Blick in die Länder gänzung des Artikels 3 um den aktiven Gleich- Im Jahr 2019 war es soweit: das erste deutsche stellungsauftrag weiterhin als Meilenstein an- Parlament, der Landtag von Brandenburg, setze muten – ein zufriedenstellendes Ergebnis sind das Vorhaben „Parité“ in die Realität um und be- sie nicht. Auch der Bund muss sich bewegen. schloss mit den Stimmen von SPD, LINKEN und Frauen sind in allen Wahlämtern in der Bundesre- Grünen ein Paritätsgesetz für seine Landeslis- publik deutlich unterrepräsentiert. Mit derzeit ten. Ein gefeierter Moment in der Frauenbewe- knapp 31 Prozent ist der Frauenanteil im Deut- gung in Deutschland, der mit der Hoffnung ver- schen Bundestag so niedrig wie zuletzt vor zwei bunden wurde, dass dieser Schritt sowohl für Jahrzehnten. Aktuell berät der Bundestag über den Bund als auch für die anderen Bundesländer eine Wahlrechtsreform. Bisher haben Überle- Vorbildfunktion entfalten würde. Es dauerte gungen zu mehr Parität in den Gesprächen kaum nicht lange und erste Klagen beim Landesverfas- Beachtung gefunden. Daher wirbt der Deutsche sungsgericht Brandenburg waren gegen das Frauenrat aktuell mit zahlreichen Unterstüt- Gesetz anhängig. Wir erwarten die Urteile mit zer*innen im Rahmen seiner Kampagne #MEHR- Spannung. FRAUENINDIEPARLAMENTE dafür, dass es keine Wahlrechtsreform ohne Parität geben darf.³ In der Zwischenzeit hat auch Thüringen ein Auch andere bundesweit aktiven Verbände und Paritätsgesetz verabschiedet. In weiteren Bun- Stiftungen, wie der Deutsche Juristinnenbund, desländern (Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, das Gunda-Werner-Institut, die Friedrich-Ebert- Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpom- Stiftung oder die Europäische Akademie für mern, Sachsen u.a.¹) werden entsprechende Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V., Gesetzentwürfe diskutiert. Diese Debatten setzen sich für die Forderung nach mehr Parität werden vor allem durch die SPD, DIE LINKE und in den deutschen Parlamenten ein. Mit zahl- BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN angestoßen und reichen Veranstaltungen, Diskussionen und getragen. Auch die Landesfrauenräte aller öffentlichkeitswirksamen Mitteln (wie dieser Bundesländer sind wichtige Impulsgeber und Publikation) wird das Anliegen bundesweit Unterstützer. Sie organisieren Kampagnen, Peti- unterstützt. tionen oder parteiübergreifende Bündnisse. So hatte die Konferenz der Landesfrauenräte die II. Blick nach Europa: Bundes- und Landesregierungen bereits im Jahr Frankreich vs Norwegen 2018 dazu aufgefordert, verfassungskonforme In Frankreich existiert der „Hohe Rat für Gleich- Gesetzesvorschläge zur Erreichung der gleichen stellung von Frauen und Männern“. Er wurde als Repräsentanz von Frauen und Männern in Parla- nationales Beratungsorgan zur Begleitung der menten zu erarbeiten.² Frauen- und Gleichstellungspolitik eingesetzt und stellte fest: Beim Thema Parität in den Parlamenten müssen „In den verschiedenen Bereichen des gesell- Bund und Länder gemeinsam an einem Strang schaftlichen Lebens, dem politischen, berufli- ziehen. Auch wenn die beiden verabschiedeten chen und sozialen, ist Parität sowohl Instrument Paritégesetze 100 Jahre nach Einführung des als auch Ziel der gleichberechtigten Verteilung Frauenwahlrechts, 70 Jahre nach Inkrafttreten von Vertretungs- und Entscheidungsmacht des Grundgesetzes und 25 Jahre nach der Er- zwischen Frauen und Männern. Sie ist ein Gebot 82
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