Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
In Zusammenarbeit mit

Wahrnehmen – Deuten – Handeln
Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit
keinen Raum bieten
DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Inhalt
Charta gegen Rassismus und Rechtsextremismus des Paritätischen .......................................................................... 3
Vorwort .................................................................................................................................................................................... 5
Einleitung ................................................................................................................................................................................ 7
WAHRNEHMEN – Strategien und Aktionsformen der Rechtsextremen Szene:
Besetzung des öffentlichen Raumes, Bürgernähe und Wortergreifung ...................................................................                                                                         10
       Bürgernähe und „nationale Jugendarbeit“ .........................................................................................................................                                     10
       Besetzung des öffentlichen Raums .......................................................................................................................................                              11
       „Wortergreifungsstrategie“ ......................................................................................................................................................                     12
       Ideologische Erziehung, rechtsextreme Frauenorganisationen und Jugendarbeit ...........................................                                                                               14
       Konflikte im Kontext der Flüchtlingsaufnahme abwehren ..........................................................................................                                                      16
DEUTEN – Erkennungsmerkmale der rechten Szene:
Codes, Symbole, Bekleidungsmarken und Feiertage ...................................................................................................                                                          20
       Auswahl gängiger Symbole .....................................................................................................................................................                        20
       Bekleidungsmarken ....................................................................................................................................................................                22
       Zahlencodes, Chiffres, Abkürzungen ...................................................................................................................................                                24
       Regelmäßige Feiertage der rechtsextremen Szene ........................................................................................................                                               25
HANDELN – Strategische Hinweise zu Abwehr rechtsextremistischer Tendenzen .................................................                                                                                  27
       Möglichkeiten der Satzungsgestaltung ..............................................................................................................................                                   27
       Rassismus und Rechtsextremismus am Arbeitsplatz bekämpfen .............................................................................                                                               30
       Vermietung von Räumlichkeiten ...........................................................................................................................................                             38
Links gegen Rechts .............................................................................................................................................................                             46
Impressum ..................................................................................................................................................................................................... 47

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Charta gegen Rassismus und Rechtsextremismus
des Paritätischen
Der Paritätische mit seinen Mitgliedsorganisationen               Gruppen, vorhandene zivilgesellschaftliche Strukturen
versteht sich als Verband der Vielfalt, Toleranz und Of-          und Organisationen zu instrumentalisieren und für ihre
fenheit für alle Menschen, unabhängig von Hautfarbe,              Ideologie zu missbrauchen. Sie schließen sich den Ver-
Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter,             einen und Verbänden vor Ort an und versuchen, diese
Glauben oder Weltanschauung, sexueller Identität, ma-             von innen heraus zu beeinflussen und für ihre Zwecke
terieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung oder           zu missbrauchen. Dort, wo Angebote aus der Zivilge-
Krankheit. Der Verband wird getragen von der Idee der             sellschaft wegfallen, versuchen sie zudem, die entstan-
Parität, das heißt der Gleichheit aller in ihrem Ansehen          denen Lücken mit eigenen Angeboten zu schließen.
und ihren Möglichkeiten. Vielfalt ist für uns ein zentraler       Dieser Entwicklung wollen wir entgegentreten.
Wert, ihre Förderung ist das erklärte Ziel unserer Ver-
bandsarbeit. Wir bekennen uns öffentlich zur Gleich-              Mit dieser Charta positioniert sich der Paritätische in
wertigkeit aller Menschen und fühlen uns verpflichtet,            aller Klarheit gegen Rassismus, Rechtsextremismus
allen Ideologien der Ungleichwertigkeit entschieden               und jede andere Form gruppenbezogener Menschen-
entgegen zu treten.                                               feindlichkeit. Wir leisten einen aktiven Beitrag zu Prä-
                                                                  vention und Bekämpfung von Diskriminierung und
Für den Paritätischen gehört die Verteidigung und                 antidemokratischen Entwicklungen in der Gesellschaft
Stärkung einer demokratischen und engagierten Bür-                und damit auch in der eigenen Organisationsstruktur.
gergesellschaft in Deutschland zum Kernbereich seines             Wir wehren uns gegen die Einflussnahme rechtsradi-
Selbstverständnisses. Wir stehen ein für eine demokra-            kaler Personen und Gruppen auf unseren Verband, un-
tische Kultur und für Zivilcourage in der Gesellschaft,           sere praktische Arbeit und auf die Menschen, die sich
insbesondere aber innerhalb unserer Mitgliedsorgani-              in unseren Vereinen und Verbänden haupt- und ehren-
sationen und Einrichtungen.                                       amtlich engagieren. Aus diesem Antrieb heraus ist uns
                                                                  wichtig zu erklären:
Wir beobachten mit großer Sorge, dass antidemokra-
tische und menschenverachtende Einstellungen in al-                   ufgabe des Paritätischen ist es, eine demokra-
                                                                      A
len Regionen der Bundesrepublik und in allen Bereichen                tische und solidarische Gesellschaft mitzuge-
der Gesellschaft zu finden sind. Nicht alle rassistischen             stalten und zu verteidigen. Dazu pflegen wir eine
und antisemitischen Untaten sind deutschnational                      Verbandskultur, die von gegenseitigem Respekt
motiviert. Es ist auch gezielte Strategie rechtsextremer              und Wertschätzung jedes Einzelnen geprägt ist.

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
    er Paritätische verurteilt jede Form von gruppen-
    D
    bezogener Menschenfeindlichkeit. Wir dulden kei-
    ne Form von Rassismus, Rechtsextremismus oder
    Antisemitismus in unserer Gesellschaft, in unseren
    Mitgliedsorganisationen oder bei unseren Mitar-
    beiterinnen und Mitarbeitern.

 D
   er Paritätische schätzt die Vielfalt der Gesellschaft
  innerhalb und außerhalb des Verbandes und wird
  den Prozess der interkulturellen Öffnung im Sinne
  unserer Grundsätze fortführen.

Diese Charta soll durch einen kontinuierlichen Dialog
des Paritätischen und seiner Mitgliedsorganisationen
weiterentwickelt sowie durch gezielte Öffentlichkeits-
arbeit, politische Bildung und Aufklärung durch Hand-
lungsempfehlungen, Handreichungen und Arbeitshil-
fen flankiert werden.

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Vorwort
Rechtsextremismus ist leider kein überwundenes Pro-            frontiert, wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche.
blem unserer Gesellschaft, sondern immer noch prä-             Nicht immer sind diese dabei eindeutig und deutlich
sent. Das fängt an bei der kleinen Beleidigung im Alltag       als rechtsextrem erkennbar. Aber gerade auch die, die
und reicht über Pöbeleien bis hin zur steigenden Zahl          als zunächst unauffällige Mitarbeiter oder Klienten
von Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte und                in unserer Mitte auftauchen, können uns und unsere
andere Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund;              Klienten und unsere Kollegen gefährden. Immer wie-
vom Auftreten rechter Terrorgruppierungen wie dem              der passiert es zum Beispiel, dass in Einrichtungen der
NSU ganz zu schweigen. So sehr Menschen mit rechts-            ambulanten und stationären Pflege Mitarbeiterinnen
extremen, rassistischen und antisemitischen Einstel-           und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund mit abwer-
lungen politisch auch außerhalb unseres demokrati-             tenden und rassistischen Äußerungen von Klienten
schen Konsens stehen mögen, sie leben doch inmitten            konfrontiert werden. Auch Menschen mit Behinderung
unserer Gesellschaft. Sie gehen einem Beruf nach und           oder Obdachlose sehen sich immer wieder mit abwer-
nehmen Freizeit- und Kulturangebote in Anspruch, sie           tenden oder beleidigenden Äußerungen konfrontiert.
treiben Sport und sind
in Vereinen und Sozial-
verbänden ehrenamtlich
tätig, sie besuchen Ver-
anstaltungen und lassen
sich in Beratungseinrich-
tungen helfen, sie schi-
cken ihre Kinder in Kitas
und Schulen und werden
in Vertretungsorgane ge-
wählt. Kurz, sie nehmen
am ganz normalen, all-
täglichen Leben teil.

Aus diesem Grund sind
soziale Dienste und Ein-
richtungen genauso mit
Rechtsextremen     kon-

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Mitunter versuchen Rechtsextreme auch ganz gezielt,            Dazu soll diese Handreichung einen Beitrag leisten. Sie
unsere Grundsätze – Offenheit, Vielfalt und Toleranz –         soll Basiswissen zum Thema Rechtsextremismus und
auszunutzen, und für sich zu instrumentalisieren. Dabei        Rassismus für alle Kolleginnen und Kollegen im Pari-
steht der Paritätische seit jeher für die beiden Grund-        tätischen und seinen Mitgliedsorganisationen zur Ver-
sätze „Gleiche Chancen FÜR jeden Mensch und Respekt            fügung stellen. Orientiert an Praxis und Alltag, sollen
VOR jedem Menschen“. Die rechtsextremen Kräfte aber            Tipps und Handlungsempfehlungen für den Umgang
wollen genau das Gegenteil: Sie wollen aufgrund von            mit rechtsextremen Positionen und Phänomenen ge-
äußeren Merkmalen oder der Herkunft Ausgrenzung                geben werden. Ziel dieser Handreichung ist es, zentrale
betreiben. Alle Erfahrungen zeigen, dass nur die kon-          Ansatzpunkte zu beleuchten, Hilfestellungen zu leisten
sequente Zurückweisung seitens der Demokratinnen               und auf weiterführende Informationsmöglichkeiten
und Demokraten solche Versuche der Rechtsextremen,             hinzuweisen. Ich wünsche eine interessante Lektüre –
politische Diskussionen zu dominieren oder das soziale         und eine erfolgreiche Umsetzung in der Praxis.
Umfeld für antidemokratische Zwecke zu nutzen, ab-
wehren kann.                                                   Ihr

Im Paritätischen arbeiten wir jeden Tag dafür, dass je-
der Mensch die gleichen Chancen erhält und mit dem
gleichen Respekt behandelt wird. Dazu ist es wichtig,
dass die eigene Haltung und Werte auch im (Berufs-)
                                                               Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
Alltag gelebt werden. Offenheit gegenüber anderen
                                                               Vorsitzender
Kulturen, Toleranz, gegenseitiges Verständnis, demo-
                                                               Der Paritätische Gesamtverband
kratische Beteiligung und Mitbestimmung sowie das
Eintreten für eine sozial gerechte Gesellschaft für alle
Menschen – egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Kultur
oder Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung
– das sind Werte, für die wir als Paritäter immer wieder
eintreten und werben müssen – nach außen in der Öf-
fentlichkeit, aber auch innerverbandlich.

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Einleitung
Rechtextremismus und Faschismus sind immer noch               oder rechtsextreme Einstellungen vertreten, die aber
verbreitet und tief verwurzelt bis in die Mitte der Ge-       nicht durch Gewalttaten auffallen; die sich bieder, brav
sellschaft. Sie äußern sich in Rassismus, Fremden-            und bürgerlich geben, die in der Mitte der Gesellschaft
feindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie und Islam-          in versteckter Form agieren – oft freundlich, unauffällig,
feindlichkeit, aber auch in Angriffen auf Menschen mit        ohne allzu offen zu hetzen: der Familienvater, der sich
Behinderung und Obdachlose. Es geht von verbalen              im Elternrat der Schule seiner Kinder engagiert und
Abwertungen oder Beleidigungen, über Mobbing im               im Internet ein rechtsradikales Forum moderiert, die
Alltag bis hin zu körperlichen Übergriffen und Anschlä-       freundliche Erzieherin, die mit den Kindern gerne völ-
gen. Besonders betroffen sind Minderheiten, die Diskri-       kische Lieder singt oder die junge Mutter mit den pink
minierungen oftmals ohne ausreichend Unterstützung            gefärbten Haaren, Piercings und Thor Steinar Pullover,
ausgesetzt sind, da auch Ordnungsbehörden unter-              die sich im Jugendclub ehrenamtlich engagiert.
schiedlich konsequent angezeigte Taten verfolgen.

Es sind jedoch längst
nicht mehr nur Glatze und
Bomberjacke, Springerstiefel
und Baseballschläger, mit
denen sich die rechte Szene zu
erkennen gibt. Nicht alle sind
„dumm und gewalttätig“, wie
es häufig klischeehaft darge-
stellt wird. Im Gegenteil: Die-
se Klischees verhindern, dass
rechtsextreme Einstellungen
auch dann wahrgenommen
werden, wenn sie eher schlei-
chend und unauffällig daher-
kommen. Dabei geht leicht
der Blick auf diejenigen ver-
loren, die zwar unzweifelhaft
menschenverachtende und/

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
Das Auftreten und                                                             durch eine konsequente und gemeinsame
die Strategien der                                                            Zurückweisung die Versuche der Rechts-
Rechten      haben                                                            extremen, eine öffentliche Bühne für ihre
sich enorm ge-                                                                Agitation zu erhalten, erfolgreich abge-
wandelt und mo-                                                               wehrt werden können. Sie treten immer
dernisiert. Smart-                                                            nur so offensiv und selbstbewusst auf, wie
phones, Facebook,                                                             es die demokratischen Kräfte zulassen. Wo
Twitter & Co. ge-                                                             dies in der Vergangenheit aus unterschied-
hören heute ganz                                                              lichen Gründen nicht gelang, errangen
selbstverständlich                                                            die Rechtsextremen zumindest einen Teil-
zu den Werkzeu-                                                               erfolg.
gen der rechts-
extremen Szene in denen sie mitunter auch soziale                Dass die Strategie von Rechtsextremen mancherorts
Themen aufgreifen. Ebenso bunte Flyer, Buttons oder              erfolgreich ist, unterstreicht die Notwendigkeit, sich
Sticker, um ihre Botschaften zu verbreiten. Die rechtsex-        als Organisation oder Einrichtung mit dem Thema zu
treme Szene setzt auf eine Vielfalt an Ausdrucksformen           befassen, um im Bedarfsfall aktiv handeln zu können.
und adaptiert mitunter Elemente der Pop- und Jugend-             Ein Ausschluss von Rechtsextremen aus Einrichtungen
kultur ebenso wie Protestformen sozialer Bewegungen.             oder von öffentlichen Veranstaltungen hat dabei nichts
Wie ein Patchwork-Teppich setzt sich die Identität vieler        mit mangelnder Toleranz zu tun, sondern mit der de-
Aktivisten der rechtsextremen Szene zusammen: In der             mokratischen Ächtung rechtsextremer Positionen.
Regel unauffällig und angepasst in der Schule, im Büro           Rechtsextremes Gedankengut liegt außerhalb des To-
oder im Betrieb, radikal und brutal in ihrer Freizeit und        leranzbereichs! Tolerieren anderer Meinungen bedeu-
am Wochenende.                                                   tet grundsätzlich, diese zu dulden, auch wenn einem
                                                                 die Meinung nicht gefällt. Toleranz ist aber inhaltlich
Doch nicht nur der „Lifestyle“ der rechtsextremen Szene          nicht beliebig und kann keineswegs heißen, Diskrimi-
hat sich gewandelt, auch Ziele und thematische Agenda            nierungen, rassistische oder antisemitische Positionen
wurden modernisiert. Themen wie Heimatschutz, „Ar-               zu akzeptieren. Demokratie ist mehr als ein „Marktplatz
beitsplätz nur für Deutsche“, der Ruf nach der „Todesstra-       der Meinungen“. Rechtsextreme sind Protagonisten
fe für Kinderschänder“ oder die Forderung nach einem             einer menschenverachtenden Ideologie, die nicht vor
„Müttergehalt“ fungieren dabei als Türöffner in die Mit-         rassistisch begründeter Gewalt bis hin zu Mord zurück-
te der Gesellschaft. Alle Erfahrungen zeigen, dass nur           schrecken. Wer sich daher zu rechtsextremer Ideologie

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
bekennt, in einer rechtsextremen Gruppierung orga-           onsmuster, die Symbole, Codes und Modemarken der
nisiert ist oder einer rechtsextremen Partei angehört,       rechten Szene, damit das Problem überhaupt erkannt
kann nicht gleichberechtigte/-r Diskussionspartner/-in       wird. Und es bedarf gezielter rechtlicher Informati-
in der politischen Auseinandersetzung mit Demokrat/-         onen, um auf rechtsextreme Äußerungen sowie auf
innen sein.                                                  Vereinnahmungs- und Unterwanderungsversuche ad-
                                                             äquat reagieren zu können. Wir brauchen Beratung zur
Dazu gehört auch, dass Menschen, die bereits Opfer           Gestaltung von Satzungen, Arbeitsverträgen, Betriebs-
rechtsextremer oder rassistischer Gewalt geworden            vereinbarungen, Leitbildern, Mietverträgen etc. Nur
sind oder potenziellen Opfergruppen angehören, be-           wenn im öffentlichen Raum aktiv für demokratische
sonders geschützt werden. Die Ächtung von rechtsex-          Werte und Menschenrechte gekämpft wird, kann dem
tremen Positionen und der Ausschluss rechtsextremer          Rechtsextremismus erfolgreich entgegengetreten und
Personen von öffentlichen Veranstaltungen sind nicht         ihm der Nährboden entzogen werden.
vergleichbar mit dem Vorgehen der Rechtsextremen
gegen diejenigen, die sie selbst zu ihren politischen        Diese Aufgabe kann nicht umfassend mit einer Hand-
Gegner/-innen und Feinden erklären. Von demokra-             reichung behandelt werden. Ziel dieser Handreichung
tischer Seite aus erfolgen Ächtung und Ausschluss auf        ist es daher, zentrale Ansatzpunkte zu beleuchten, erste
der Basis eines demokratischen und menschenrechtso-          Hilfestellungen zu leisten und auf weiterführende Infor-
rientierten Standpunktes und haben das Ziel, rechtsex-       mationsmöglichkeiten hinzuweisen.
tremen Protagonisten keine Plattform dafür zu bieten,
ihre Ideologie zu propagieren. Selbst zu Wahlkampf-
zeiten gibt es keinen Automatismus, der dazu zwingt,
die NPD oder andere rassistisch oder rechtspopuli-
stisch argumentierende Parteien zu Informations- oder
Diskussionsrunden einzuladen.

Es bedarf demnach einer Sensibilisierung der Verant-
wortlichen bei den Verbänden, den Trägern und den
Mitarbeitern, damit das Problem und die Protagonisten
als solche identifiziert und ernst genommen werden. Es
bedarf des Wissens über die modernen Strategien und
Erscheinungsformen, die Themen und Argumentati-

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Wahrnehmen - Deuten - Handeln - Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit keinen Raum bieten - MBR Berlin
WAHRNEHMEN – Strategien und Aktionsformen der
Rechtsextremen Szene: Besetzung des öffentlichen
Raumes, Bürgernähe und Wortergreifung
Der moderne Rechtsextremismus hat sich nicht nur             Bürgernähe und „nationale Jugendarbeit“
kulturell weiterentwickelt, sondern auch strategisch
modernisiert. Aktuelle rechtsextreme Strategien und          Teil einer Gesamtstrategie bildet der Versuch, über so-
Aktionsformen zielen darauf, sich in den Nachbar-            ziales und politisches Engagement die Akzeptanz der
schaften, Stadtteilen und Kommunen sozialräumlich            lokalen Bevölkerung zu erreichen. So ist es Rechtsextre-
zu verankern. Im Repertoire der Rechtsextremen be-           men in einigen Regionen gelungen, Teil der Bürgerge-
finden sich zum Teil militante und gewalttätige Akti-        sellschaft zu werden. Es sind Angehörige der rechtsex-
onsformen gegen politische Gegner/-innen und Min-            tremen Szene, die z.B. kleine oder mittlere Unternehmen
derheiten sowie Überzeugungsarbeit im Hinblick auf           betreiben oder im örtlichen Vereinsleben aktiv sind und
die von Ihnen umworbene Zielgruppe. In diesem Zuge           damit als „gute Nachbar/-innen“ anerkannt sind.
geraten auch Einrichtungen, Dienste und Mitarbeiter/-
innen der Freien Wohlfahrtspflege in den Blick der           Mit Blick auf Jugendliche bedeutet diese bürgernahe
Rechtsextremen.                                              Normalisierungsstrategie zum Beispiel, dass Rechts-
                                                             extreme attraktive Freizeitangebote machen, die z.T.
                                                             durchaus auch kompatibel mit den Ansprüchen der El-
                                                             tern sind. Im Rahmen dieser „nationalen Jugendarbeit“
                                                             organisieren sie Freizeitaktivitäten, wie gemeinsame
                                                             Kinoabende, den Besuch von Fußballspielen, Schiff-
                                                             fahrten oder Zeltlager für Jugendliche. Sie veranstalten
                                                             Kinderfeste, versuchen Schülerzeitungen zu installie-
                                                             ren, begleiten Kinder Alleinerziehender zum Kindergar-
                                                             ten oder leisten Hausaufgabenhilfe.

                                                             Die Voraussetzung für den Erfolg dieser Normalisie-
                                                             rungsbemühungen ist, dass sich Rechtsextreme konse-
                                                             quent in kommunale Prozesse einbringen. Sie besuchen
                                                             öffentliche Veranstaltungen und versuchen dort, die

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Diskussion zu beeinflussen oder zu bestimmen. Dabei
knüpfen sie an tagespolitische Diskurse an und setzen
sich z.B. gegen die Abholzung von Bäumen oder den
Einzug der Gentechnik in die Landwirtschaft ein, oder
sie bieten Informationen für Sozialleistungsbezieher/-
innen an. Neben solchen scheinbar unideologischen
Kampagnen gehören aber auch z.B. Bürgerinitiativen                Besetzung des öffentlichen Raums
gegen die Existenz von Flüchtlingswohnheimen („Nein
zum Heim!“) zum Repertoire des Versuchs, Zustimmung               Im Rahmen des „Kampfes um die Straße“ finden jedes
in der Bevölkerung zu erringen.                                   Jahr zahlreiche rechtsextreme Demonstrationen in
                                                                  ganz Deutschland statt. Teil einer Demonstration zu
In Großstädten ist die rechtsextreme Szene häufig auf-            sein, vermittelt vor allem rechtsextrem-orientierten
grund der Stärke der demokratischen Gegenkräfte und               Jugendlichen ein konkretes Gemeinschaftsgefühl,
der nach wie vor relativ gut ausgebauten sozialen Infra-          die Identifizierung mit der Szene wird gestärkt. Durch
struktur bei weitem nicht so erfolgreich bei ihren Bemü-          das Skandieren von Parolen, Gespräche mit anderen
hungen um Normalisierung wie in ländlichen Gebieten.              rechtsextrem(orientiert)en Teilnehmer/-innen und Re-
In einer deutschen Großstadt wurde zwar von organisier-           den von rechtsextremen Funktionär/-innen werden
ten Rechtsextremen eine Kampagne für ein „nationales“             Weltanschauungen vermittelt und gefestigt.
Jugendzentrum durchgeführt, in deren Verlauf sich die
Rechtsextremen immer wieder als Vertreter/-innen an-              Allerdings wird die Straße nicht nur zu besonderen An-
geblich ausgegrenzter „nationaler“ Jugendlicher oder              lässen wie Demonstrationen besetzt, vielmehr werden
als „Sozialarbeiter“ darzustellen versuchen. Bisher schei-        Nachbarschaften und Stadtviertel gerade im Alltag
terten sie allerdings dort an einem konsequenten Um-              als „eigenes“ Territorium beansprucht. Rechtsextreme
gang seitens Zivilgesellschaft, Jugendarbeit und Politik,         schaffen dafür die Voraussetzungen, indem sie sich in
die sich neben vielen proaktiven Maßnahmen der Demo-              bestimmten Wohnquartieren konzentrieren und ver-
kratieförderung auch deutlich gegen rechtsextreme Ver-            suchen, Infrastrukturen aus Kneipen und Szeneläden
einnahmungsversuche einsetzen.                                    aufzubauen. Derartige Infrastrukturen bieten nicht

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„Wortergreifungsstrategie“
nur die Möglichkeit des sozialen Kontakts zwischen
Rechtsextremen und Rechtsextrem-Orientierten, sie                             Um Zugang zu kommunalpolitischen Prozessen zu
strahlen auch auf das soziale Klima im Stadtteil aus. Die                     erhalten, wenden Rechtsextreme systematisch die so
rechtsextreme Infrastruktur fungiert als Basis für die                        genannte „Wortergreifungsstrategie“ an, die zunächst
gezielte oder schleichende „Besetzung“ des öffentlichen                       von der NPD-Parteiführung propagiert wurde und in-
Raumes. Rechtsextrem(-orientiert)e werden im Sinne                            zwischen sowohl von Parteiangehörigen als auch von
einer solchen Besetzung des öffentlichen Raums aktiv,                         aktionsorientierten Rechtsextremen aus dem Kame-
indem sie durch Tags1 und Aufkleber die Sozialräume                           radschaftsspektrum eingesetzt wird. Kern dieser Strate-
als „eigenes“ Territorium markieren. Diese in großer                          gie ist es, lokale Veranstaltungen gezielt aufzusuchen,
Zahl anzubringen, ist Teil der erlebnisorientierten Akti-                     um dort bürgernah und gemäßigt aufzutreten und
onsformen, und dient der Einbindung in politische Ak-                         zu versuchen, die Meinungsführerschaft zu überneh-
tionen.                                                                       men. Nicht selten sind es Veranstaltungen zum Thema
                                                                              Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
                                                                              Aber auch Veranstaltungen zu anderen kommunal- und
                                                                              gesellschaftspolitischen Themen, etwa der Aufnahme
                                                                              von Flüchtlingen, werden als Bühne für rechtsextreme
                                                                              Inszenierung und Agitation genutzt.

                                                                              Durch zumeist moderates Auftreten versuchen die
                                                                              rechtsextremen Besucher/-innen das Bild zu vermitteln,
                                                                              sich im ganz normalen, demokratischen Meinungs-
                                                                              spektrum zu bewegen. Indes verfolgen sie mit ihren
                                                                              Veranstaltungsbesuchen und Teilnahmen an Podien
                                                                              ein strategisches Ziel: Die Teilnahme erfolgt vornehm-
                                                                              lich mit der Absicht, die Meinungsführerschaft in der
                                                                              Diskussion zu übernehmen, die aktuellen gesellschaft-
                                                                              lichen Themen durch eigene, zumeist umfangreiche
                                                                              Wortbeiträge rechtsextrem zu besetzen und den Ver-
                                                                              lauf der Veranstaltung zu bestimmen. Falls dies nicht
1 „Unterschrift“ unter gesprühten Bildern. Gilt in der Gang-Kultur als
                                                                              möglich ist, ist es das Ziel, die Veranstaltung zumindest
territoriale Markierung.

                                                                         12
zu stören und politische Gegner durch ein entspre-             Weiterführende Informationen zu diesem The-
chendes Auftreten einzuschüchtern. Dieses Vorgehen               ma finden sie in der Broschüre „Wir lassen uns
der Rechtsextremen zeigt Wirkung. Geben sich im Ver-             das Wort nicht nehmen! – Empfehlungen zum
lauf einer Veranstaltung Personen als Rechtsextreme              Umgang mit rechtsextremen Besucher/innen
zu erkennen und dominieren sie im Publikum oder mit              auf Veranstaltungen“ der Mobilen Beratung
ihren Parolen die Diskussion, macht sich Unbehagen               gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)
breit. Nicht selten stehen die anwesenden Demokrat/-
innen einer solchen Situation unsicher, wenn nicht gar
hilflos gegenüber.

Ob die Wortergreifungsstrategie in der Praxis tatsäch-
lich erfolgreich ist oder scheitert, hängt maßgeblich
von dem Verhalten der Veranstalter und der anwe-
senden Teilnehmer/-innen ab. Die Erfahrung zeigt aber
auch, dass Veranstalter/innen durch den konsequenten
und schnellen Ausschluss von Rechtsextremen deren
Wortergreifung erfolgreich verhindert können. Tipps
zum Umgang mit Personen, die versuchen die Worter-
greifungsstrategie anzuwenden finden Sie im Praxisteil
dieser Handreichung.

                                                         13
Ideologische Erziehung, rechtsextreme Frauenorganisationen und Jugendarbeit
Auch rechtsextreme Frauenorganisa-                                               die über den Rahmen des Privaten
tionen, wie die inzwischen verbote-                                              hinausreicht, von daher bestand
ne Gemeinschaft Deutscher Frauen                                                 eine enge Zusammenarbeit mit
(GDF), oder der Ring Nationaler Frauen                                           der inzwischen verbotenen Heima-
(RNF) oder Jugendorganisationen (z.B.                                            treuen Deutschen Jugend (HDJ),
Junge Nationaldemokraten, JN) spie-                                              die völkische, rechtsextreme Ju-
len eine Rolle. Rechtsextreme haben                                              gendarbeit betrieb.
erkannt, dass eine möglichst frühzei-
tige Beeinflussung von Kindern und                                               Das Engagement der GDF war in-
Jugendlichen eine große Wirkung in                                               sofern mit Besorgnis zu betrach-
ihrem Sinne erzielen kann.                                                       ten, als die Aktivistinnen auch
                                                                                 versuchten, über Gremien wie
Die verbotene rechtsextreme Frauen-                                              Elternräte oder Mütterkreise in
organisation GDF war eine der einfluss-                                          Kindertagesstätten und Schulen
reichsten rechtextremen Frauengrup-                                              Einfluss auf die Erziehungs- und Bil-
pen der letzten Jahre. Sie wurde 2001                                            dungsarbeit zu nehmen. In ihrem
von einschlägig bekannten rechtsex-                                              Auftreten knüpften sie an das Kli-
tremen Frauen gegründet, die zuvor                                               schee der sorgenvollen, engagier-
im selbst aufgelösten Skingirl Freun-                                            ten und unpolitischen Mutter an.
deskreis Deutschland politisch aktiv waren. Die GDF-
Frauen sind gestandene Rechtsextreme, die sich seit            Über die pädagogischen Ansätze der HDJ ist wenig
langer Zeit in der Szene behaupten, teilweise bereits          bekannt. Es handelte sich um eine sehr elitäre
ihre Jugendzeit in der rechtsextremen Szene verbracht          Organisation, die das Licht der Öffentlichkeit
haben. Sie arbeiteten dem Klischee des weiblichen              scheut. Tatsache ist, dass die HDJ Ferienlager für
Anhängsels rechtsextremer Männer seit Jahren entge-            Kinder und Jugendliche organisierte und dort
gen. Als eine zentrale Aufgabe betrachtete die GDF die         geschlechtsspezifische Angebote für Jugendliche und
Weitergabe der rechtextremen Ideologie an die nach-            junge Erwachsene machte. Bei den Jungen und jungen
wachsende Generation. Der Kindererziehung kam eine             Männern standen auch Wehrsportübungen und andere
zentrale Stellung zu. Sie wurde als Aufgabe verstanden,        Formen von Militarisierung auf der Tagesordnung.

                                                          14
Diese „Ferien“-lager erinnerten nicht zufällig an jene          Weiterführende Informationen zu diesem The-
„Werte“, die sowohl die verbotene Wiking-Jugend als                ma finden sie in der Broschüre „Integrierte
auch die Hitler-Jugend (HJ) und der Bund deutscher                 Handlungsstrategien zur Rechtsextremismus-
Mädel (BDM) zu vermitteln gedachten, auch ästhetisch               Prävention und -Intervention bei Jugendlichen
wurde offen an die nationalsozialistischen Traditionen             – Hintergrundwissen und Empfehlungen für
angeknüpft. Darüber hinaus richteten HDJ und GDF                   Jugendarbeit, Kommunalpolitik und Verwal-
gemeinsame Feiern innerhalb der Szene aus. Nach dem                tung“ des Vereins für Demokratische Kultur in
Verbot sind viele der ehemaligen Aktivisten der HDJ in             Berlin e.V. (VDK) und der Mobilen Beratung ge-
anderen Organisationen, wie z.B. der JN, der Jugend-               gen Rechtsextremismus Berlin (MBR).
organisation der NPD, tätig und führen dort teilweise
ähnliche Aktivitäten fort.

Obgleich es sich bei der HDJ und ähnlichen Organisa-
tionen um einen überschaubaren Kreis handelt, ist ihr
Einfluß nicht zu unterschätzen. Durch die Angebote
können rechtsextreme Familien ihre Kinder auch au-
ßerhalb der eigenen Kleinfamilie in einer rechtsextre-
men Umgebung aufwachsen lassen.

Kinder ohne rechtsextremen Familienhintergrund kön-
nen durch die Angebote schon früh mit menschen-
feindlicher Ideologie in Berührung kommen, ohne
dass die Eltern dies mitbekommen. Besonders in den
Gegenden, in denen etablierte Angebote der Jugend-
arbeit wegfallen, haben es Angebote der rechten Szene
leichter, Einfluß auf Kinder und Jugendliche auszuüben.

                                                          15
Konflikte im Kontext der Flüchtlingsaufnahme abwehren
Hetze gegenüber Asyl-                                                                        Erschreckend ist der Erfolg,
suchenden ist ein the-                                                                       den      rechtspopulistische
matischer Schwerpunkt                                                                        Bewegungen in vielen
rechtsextremer        Per-                                                                   Kommunen verzeichnen
sonen, Parteien und                                                                          können, zumindest solan-
Initiativen. Die Aus-                                                                        ge kein starkes zivilgesell-
grenzung und Ableh-                                                                          schaftliches Gegenbündnis
nung von Geflüchteten                                                                        existiert. Soziale Ängste,
wird allerdings auch im                                                                      politische Unzufriedenheit,
sogenannten bürger-                                                                          Ressentiments, Vorbehalte
lichen Lager propagiert.                                                                     und       gruppenspezifisch
Rechtsextreme Struk-                                                                         menschenfeindliche Ein-
turen haben eine Stra-                                                                       stellungen in der Bevöl-
tegie in Bezug auf Sammelunterkünfte für Flüchtlinge            kerung werden gebündelt und rassistisch aufgeladen
entwickelt und versuchen damit direkte Anwohner/-               artikuliert. Die Arbeit gegen diese rechten Initiativen ist
innen für ihre rassistischen Positionen zu gewinnen.            ein sehr wichtiges aber auch schwieriges Unterfangen:
                                                                Rechtsextreme Wortführer/-innen sind oftmals rheto-
Ob in Berlin-Hellersdorf, in Duisburg oder dem nieder-          risch geschult und sie lassen sich nur zum Schein auf
sächsischen Hameln – die Vorgehensweise bleibt stets            inhaltliche Auseinandersetzungen mit Mitgliedern von
dieselbe: Getarnt als Bürgerinitiative, jedoch häufig im        Willkommensbündnissen ein.
Hintergrund gut vernetzt und organisiert durch Rechts-
extreme, behaupten sie, die Meinung der Anwohner/-              Ein entscheidendes Aktionsfeld rechtsextremer Bewe-
innen zu vertreten. Durch den Hinweis auf fehlende              gungen sind soziale Netzwerke wie beispielsweise Fa-
Mitbestimmungsmöglichkeiten spielen sie der Öffent-             cebook und Twitter. Das Internet begünstigt auf meh-
lichkeit vor, kommunale und politische Entscheidungen           reren Ebenen die rassistische Propaganda: Nur wenige
demokratisch verändern zu wollen. Die „Bürgerinitiati-          Personen müssen sich hierdurch der Öffentlichkeit prä-
ven“ benutzen oft vorhandene Ohnmachtsgefühle und               sentieren, die Vernetzung mit ähnlichen Zusammen-
Unzufriedenheiten der Anwohner/-innen gegenüber                 schlüssen im gesamten Bundesgebiet ist erheblich
staatlichem und kommunalem Handeln.                             erleichtert und die Anwohner/-innen werden anonym

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und in extrem einfacher Weise an rechtsextreme Grup-            Diskussionen über vermeintliche Angst vor Flücht-
pen herangeführt. Ein hoher Organisationsgrad im In-            lingen gilt es immer kritisch zu hinterfragen. Die mei-
ternet erleichtert es außerdem für Demonstrationen              sten Behauptungen basieren auf rassistischen Einstel-
und Kundgebungen zu mobilisieren. Es ist wichtig,               lungen und mangelnden Kenntnissen über Sachlage
dass Willkommensbündnisse dieser Entwicklung etwas              und gesetzliche Grundlagen. Sie können dazu führen,
entgegensetzen, in sozialen Netzwerken Alternativen             dass Anwohner/-innen gegen Flüchtlinge aufgehetzt
schaffen und die rechtsextremen Hetzseiten beobach-             werden. Demgegenüber stehen aber reale Ängste in-
ten, um dagegen vorzugehen.                                     nerhalb der Bevölkerung, beispielsweise die Angst vor
                                                                einem sozialem Abstieg oder der eigenen Arbeitslo-
Sollte eine rassistische Mobilisierung im Umfeld der            sigkeit. Diese Befürchtungen haben jedoch nichts mit
Sammelunterkunft in Form von Demonstrationen                    Flüchtlingen oder deren Sammelunterkünften zu tun.
stattfinden, sollten Gegenaktionen organisiert wer-             Sie werden erst durch rassistische Argumentationsmu-
den, um den Flüchtlingen und anderen Anwohner/-                 ster mit der Fluchtthematik verbunden. In Diskussionen
innen zu verdeutlichen, dass es sich nicht um die vor           müssen die Ängste der Bevölkerung davon getrennt
Ort vorherrschende Meinung handelt. Je nach Situati-            werden. Hilfreich ist hierbei, direkt nach den Ängsten
on eignet sich hierfür z.B. eine Gegendemonstration,            der Menschen zu fragen und sie anschließend darauf
eine dauerhafte Mahnwache oder eine Kundgebung                  hinzuweisen, dass diese durchaus unabhängig von den
vor der Sammelunterkunft. Dabei ist stets die Situation         Flüchtlingen bestehen.
der Flüchtlinge zu bedenken. Sie sollten in jeder Phase
über geplante Schritte informiert werden.

Es sind nicht immer nur bekennende Rechtsextreme,
die durch Hetze gegenüber Flüchtlingen und deren
Sammelunterkünfte auffallen. Es kann ebenfalls der
befreundete Nachbar oder die angesehene Politikerin
einer demokratischen Partei sein. Durch die „Das-Boot-
ist-voll“-Rhetorik bestätigen und bekräftigen sie jedoch
gewalttätige Rechtsextreme in ihren Aktionen.

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   Willkommensbündnisse

Ziel lokaler Willkommensbündnisse für Flüchtlinge             che – auch gutgemeinte – Aktion weniger sinnvoll
ist, auf zivilgesellschaftlicher Ebene zusammen mit           ist. Dafür muss ein direkter Austausch zwischen dem
den politisch Verantwortlichen dafür zu sorgen, dass          Willkommensbündnis und den Flüchtlingen statt-
sich Geflüchtete bei uns einleben. So können sie ge-          finden. Oft ist in diesem Zusammenhang die Lei-
schützt vor Übergriffen und Diskriminierungen an              tung der Sammelunterkunft von großer Bedeutung,
der Gestaltung des Gemeinwesens mitwirken. Trotz              da sie dem Bündnis als erstes Informationen über
der vielen schon bestehenden Positivbeispiele von             Herkunft, Geschichte und Befinden der Geflüchte-
Willkommensbündnissen, werden Diskussionen über               ten zur Verfügung stellen kann und festangestellte
Geflüchtete immer wieder rassistisch aufgeladen.              Dolmetscher/-innen für sie arbeiten. Die Leitung der
Ein Willkommensbündnis sollte deshalb individuelle            Sammelunterkunft sollte das Unterstützungsange-
Vorurteile und rassistische Äußerungen mit Verweis            bot des Willkommensbündnisses nicht behindern
auf die tatsächliche Faktenlage widerlegen und vor            und ihnen unbürokratischen Zugang zur Unterkunft
Ort hierüber mit den Leuten diskutieren. Überzeugte           ermöglichen.
Rassist/-innen lassen sich durch Argumente nicht um-
stimmen. Dagegen lassen sich bei Personen, die nicht          Ein zivilgesellschaftliches Willkommensbündnis für
über ein geschlossenes Weltbild verfügen mitunter             Flüchtlinge hat umso höhere Erfolgschancen, je
Widersprüche aufzeigen, die zum Abbau rassistischer           mehr Initiativen, Verbände, Einrichtungen und Einzel-
Einstellungen führen können. Es ist wichtig, so früh          personen hieran beteiligt sind und je mehr örtliche
wie möglich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen             Entscheidungsträger/-innen außerhalb von Verwal-
Organisationen, einem Mobilen Beratungsteam ge-               tung und Politik eingebunden werden können. Das
gen Rechtsextremismus oder einer Flüchtlingsinitia-           Wohl der Geflüchteten sollte nicht aufgrund von po-
tive, eine ehrliche örtliche Analyse des rassistischen        litischen Meinungsverschiedenheiten in Gefahr ge-
Potentials innerhalb der Kommune durchzuführen.               bracht werden, weswegen ein gemeinsamer offen
Hierdurch kann festgestellt werden, welche Akteure            gehaltener Grundkonsens von großer Bedeutung ist.
bei der Bildung eines Willkommensbündnisses einbe-            Dies kann heißen, sich mit Menschen an einen Tisch
zogen werden sollten.                                         zu setzen, deren Glauben oder Weltanschauung man
                                                              nicht teilt. Dies kann auch bedeuten, dass radikalere
Es muss genau abgewogen werden, welche Aktionen               und weniger radikale Denk- und Handlungsansätze
und Bemühungen den Geflüchteten helfen und wel-               sich nicht gegenseitig ausgrenzen, sondern das Ge-

                                                         18
spräch und einen pragmatischen Konsens suchen.                 Weiterführende Informationen zu diesem
Das entschiedene Entgegentreten gegen Rassismus                    Thema finden sie in der Broschüre „Was tun,
und der Kampf für eine humanere Flüchtlingspolitik                 damit’s nicht brennt? Leitfaden zur Vermei-
ist im Wesentlichen die Aufgabe der Menschen, die                  dung von rassistisch aufgeladenen Konflikten
seit längerem in dieser Gesellschaft leben. Flücht-                im Umfeld von Sammelunterkünften für
linge sollten nicht für politische Forderungen instru-             Flüchtlinge“ von der Mobilen Beratung gegen
mentalisiert werden, die nicht ihre Forderungen sind.              Rechtsextremismus Berlin (MBR).

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DEUTEN – Erkennungsmerkmale der rechten Szene:
Codes, Symbole, Bekleidungsmarken und Feiertage
                                                                  Die Erkennungsmerkmale, Code und Symbole
                                                                    der rechten Szene unterliegen einem ständigen
                                                                    Wandel. Eine ausführliche und aktuelle Über-
                                                                    sicht über die einschlägigen Symbole und Codes
                                                                    findet sich unter www.dasversteckspiel.de

                                                                 Auswahl gängiger Symbole
                                                                  Adler
Die politische Einstellung eines Menschen ist nur sel-           Der Adler gilt in Deutschland seit dem Mittelalter als
ten an Äußerlichkeiten zu erkennen. Und doch ten-                Sinnbild für Macht, Erhabenheit, Göttlichkeit und
dieren Anhänger bestimmter Subkulturen dazu, ihre                Glück. Die romanisch-gotische Darstellungsform des
Zugehörigkeit durch das Tragen gewisser mehr oder                Reichsadlers, wie sie in der Reichskriegsfahne zu sehen
weniger expliziter Kleidungsstücke, -marken oder                 ist, wurde im Nationalsozialismus weitgehend durch
Accessoires kenntlich zu machen. Als Bekenntnis zu ei-           stilisierte Darstellungen ersetzt. Damit sollte Moderni-
ner rechtsextremen Orientierung werden häufig Codes              tät suggeriert werden. Der Adler ist beispielsweise Be-
und Symbole genutzt, insbesondere dann, wenn es                  standteil der Uniformierung der Aktionsgruppe Sturm
um strafrechtlich relevante Inhalte geht, die es zu chif-        Baden. Zusammen mit dem Gruppenkürzel SB ist er im
frieren gilt. Diese Symbole tauchen in Liedtexten, auf           Nacken auf die Bomberjacken gedruckt.
CD-Covern, als Aufdrucke oder Aufnäher, Schmuck,
Jackenembleme, Autokennzeichen oder Grußformeln                     Landser
auf. Sie haben wie in jeder anderen Subkultur den zu-                           „Der Landser“ war und ist die um-
sätzlichen Reiz, dass mit ihnen Botschaften an Gleichge-                        gangssprachliche Bezeichnung für
sinnte gesendet werden können, ohne dass Nicht-Ein-                             den Infanteristen im Zweiten Welt-
geweihte dies mitbekommen. Dem politischen Gegner                               krieg. Die positive Bezugnahme auf
gegenüber, der sie erkennt, dienen sie als Provokation,                         den Landser dient der Huldigung der
da die verbreitenden Personen für das entsprechende                             Wehrmachtssoldaten.      Verbunden
Bekenntnis oftmals nicht strafrechtlich belangt werden           ist diese mit der Leugnung oder Glorifizierung der
können.                                                          Wehrmachtsverbrechen.

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 Gaudreieck
Im Nationalsozialismus
verwiesen       Gauwinkel
oder Gaudreieck auf die
Herkunft der Träger/-in-
nen aus einem bestimm-
ten Gau der Nationalso-
zialistischen Deutschen
Arbeiterpartei (NSDAP)
oder der Hitler-Jugend.
Auch heute verwenden es Angehörige der Neonazi-Szene              Keltenkreuz
zur Kennzeichnung ihrer Herkunft bzw. lokalen Zugehö-            Das stilisierte Keltenkreuz dient in der rechtsextremen
rigkeit. Das Verwenden dieses Symbols ist verboten.              Szene weltweit als Symbol für die „Vormachtstellung
                                                                 der weißen Rasse“ und gilt gemeinhin als White-Power-
 Schwarz-weiß-rot                                               Zeichen. Häufig wird der Buchstabe „O“ durch das Ein-
Schwarz-weiß-rot waren bis zum Ende des Ersten Welt-             fügen eines Kreuzes verfremdet. Der Bundesgerichts-
krieges die offiziellen Farben des Deutschen Reiches. Mit        hof hat die Verwendung des stilisierten Keltenkreuzes
dem Ausrufen der Weimarer Republik wurde die Kombi-              2008 generell für strafbar erklärt.
nation schwarz-rot-gold zu den deutschen Nationalfar-
ben. 1933 wurden die Hakenkreuzfahne und die schwarz-                                      Triskele
weiß-rote Fahne gemeinsam zu Reichsfahnen erklärt.                                        Die Form der Triskele ähnelt
                                                                                          einem dreiarmigen Haken-
 Schwarze Sonne                                                                          kreuz und wird von neonazis-
Die schwarze Sonne war ein Kunstsymbol der Schutz-                                        tischen Kreisen entsprechend
staffel (SS), einer eigenständigen paramilitärischen                                      interpretiert. Sie ist Symbol
Organisation der Nationalsozialistischen Deutschen                                        der in Deutschland verbote-
Arbeiterpartei (NSDAP). Sie diente als Sinnbild einer            nen, international vernetzten Organisation „Blood and
nordisch-heidnischen Religion und eines vorgeblich ur-           Honour“ (Blut und Ehre), die unter anderem illegale
alten geheimen Wissens. Bei heutigen Rechtsextremist/-           Rechtsrockkonzerte veranstaltete sowie strafbewehrte
innen steht sie für die „Verbundenheit mit der eigenen           Musik produzierte und vertrieb. Die Triskele darf in die-
Art und arteigenen Wertvorstellungen“.                           sem Zusammenhang nicht gezeigt werden.

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Bekleidungsmarken
Es gibt Bekleidungsmarken, die in direktem Zusam-                  Erik & Sons
menhang mit der rechtsextrem-(orientiert)en Szene                                       Das Logo der Marke besteht
stehen. Dazu gehören: Consdaple, Masterrace, Walhall                                    aus der Naudiz-Rune, das De-
Germany, Hatecrime Streetwear, Celtic Wear, Dober-                                      sign besteht vor allem aus
mann, pro Violence, Alle gegen Alle, Sportfrei, Ansgar                                  nordisch-germanischer Sym-
Aryan. Hinzu kommen Marken, die zwar von Rechts-                                        bolik. Ebenso wie einige an-
extremen getragen und für ihre Zwecke genutzt wer-                                      dere neuere Marken, die in der
den, deren Firmen aber keinen Bezug in die organisier-                                  rechtsextremen Szene veror-
te rechtsextreme Szene haben. Beliebte Marken aus                                       tet sind, versucht auch Erik &
diesem Bereich sind unter anderem: Alpha Industries,                                    Sons das Erfolgskonzept der
Lonsdale, Pitbull und Troublemaker.                                                     Marke Thor Steinar zu kopie-
                                                                ren. Die Kleidung ist regelmäßig auf rechtsextremen
                       Consdaple                               Aufmärschen zu finden.
                      Bei Neonazis auf Grund der im
                      Wort enthaltenen Buchstaben-
                      folge NSDAP (Nationalsozialis-             Lonsdale
                      tische Deutsche Arbeiterpar-              War lange bei Rechtsextremist/-innen populär auf
                      tei) beliebt. Der Begriff ist eine        Grund der enthaltenen Buchstabenfolge NSDA, was als
                      Ableitung von dem englischen              Verweis auf die NSDAP gedeutet wurde. Seit 1999 dis-
                      Wort „Constaple“, das „Schutz-            tanziert sich Lonsdale von seinem rechtsextremen Kun-
                      mann“ bedeutet.                           denkreis und hat die Belieferung einiger Neonazi-Ver-
                                                                sandhändler eingestellt. Mit der Kampagne „Lonsdale
                                                                loves all colors“ unterstützt die Marke antirassistische
 Troublemaker                                                  Kulturinitiativen.
„Troublemaker“ bedeutet ins Deutsche übersetzt „Kra-
wallmacher“. Die Marke ist bei Hooligans und Skin-
heads ebenso wie im Rockermilieu beliebt. Troublema-
ker wird auch über rechte Versandhändler und Läden
vertrieben.

                                                           22
   Thor Steinar                                                 Alpha Industries
                        Namen, Logos und Motive                                        Bei dieser Marke gibt es keine
                        von Thor Steinar beziehen sich                                 Verbindungen zu rechtsex-
                        insbesondere auf die germa-                                    tremen Kreisen. Da das Logo
                        nische Mythologie sowie auf                                    dem verbotenen Zivilabzei-
                        die deutsche Kolonial- und                                     chen der Sturmabteilung
                        Militärgeschichte. Das aus der                                 (SA) der NSDAP ähnelt, wird
                        Kombination verschiedener                                      die Marke dennoch gerne
                        Runen      zusammengesetzte                                    von Rechtsextremen getra-
                        Thor-Steinar-Logo war jahre-                                   gen.
                        lang Gegenstand juristischer
                        Auseinandersetzung, da die
darin kombinierten Runen auch im Nationalsozialismus           NSU
Verwendung gefunden hatten. In einem Urteil des Bun-          Seit einiger Zeit werden auch eher unscheinbar mit
desgerichtshofes von 2010 zur Auseinandersetzung              Symboliken die Aktivitäten der nationalsozialistischen
rund um die Ladengeschäfte der Marke heißt es: „Diese         Terrorgruppe NSU (Nationalsozialistischer Untergrund)
Marke wird in der Öffentlichkeit in einen ausschließ-         verherrlicht. Motive sind z.B. „Pink Panther“ und Pump-
lichen Bezug zur rechtsradikalen Szene gesetzt“.              gun, dass sich auf das NSU-Bekennervideo bezieht und
                                                              das mörderische Trio verherrlichen soll. Auch „Freiheit
                                                              für Wolle”-Motive in Anlehnung an den inhaftierten
                                                              NSU-Komplizen Ralf Wohlleben werden immer häu-
                                                              figer gesichtet.

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Zahlencodes, Chiffres, Abkürzungen
Rechtsextreme Organisationen und Gruppierungen grei-                H8
fen oft auf Abkürzungen und Zahlencodes zurück. Da die             Ebenfalls populär in der rechtsextremen Szene ist der
Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verboten                 Code „H8“. Hier wird der Gruß „Heil Hitler“ verbunden
ist, wurden an deren Stelle Codes gesetzt, die auf den er-         mit einem Wortspiel – englisch ausgesprochen ist H8
sten Blick nicht eindeutig zu entschlüsseln sind. Bei Zah-         gleichlautend dem Wort „Hate“/Hass.
lenkombinationen stehen die einzelnen Ziffern häufig für
die Stellung des gemeinten Buchstabens im Alphabet.                 28
                                                                   Seit dem Verbot von „Blood &
 Combat 18/C18                                                    Honour“ wird die 28 synonym für
Combat 18 gilt als bewaffneter Arm des inzwischen in               die Buchstaben B&H verwendet.
Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerkes „Blood &                 Eine internationale Grußformel
Honour“ (Blut und Ehre) und C18 demnach als Hinweis                von Blood & Honour-Anhänger/-
auf Gewaltbereitschaft. Als Symbol für C18 wird der SS-            innen lautet 828 (Hail Blood &
Totenkopf verwendet.                                               Honour)

 88
Die 88 steht für Heil Hitler. Die 88 findet sich häufig auf
T-Shirts oder Aufnähern, als Bestandteil von Band- oder
Organisationsnamen oder auch Autokennzeichen.

                                                              24
Regelmäßige Feiertage der rechtsextremen Szene
Auch bestimmte Daten sollten Sie besonders aufmerk-              Februar
sam machen: Die rechtsextreme Szene begeht regel-                13. Februar (1945)
mäßig „Feiertage“, die sie in ihrem Sinne (be-)setzt oder        Bombardierung Dresdens durch die
umdeutet. Es ist keine Seltenheit, dass an diesen Tagen          Alliierten
gezielt Veranstaltungen organisiert werden, deren Hin-
tergründe auf den ersten Blick nicht immer sofort er-            15. Februar (1945)
kennbar sind                                                     Beginn der Bombardierung von Cottbus
                                                                 durch die Alliierten

Auswahl:                                                         23. Februar (1930)
                                                                 Todestag von Horst Wessel
            Januar
            18. Januar (1871)                                    März
            Gründung des Deutschen Reiches                       Fünfter Sonntag vor Ostern
                                                                 So genannter Heldengedenktag
            27. Januar (1945)
            Gedenktag für die Opfer des National-                April
            sozialismus (anlässlich der Befreiung des            20. April (1889)
            Vernichtungslagers Auschwitz)                        Geburtstag von Adolf Hitler

            30. Januar (1933)                                    Mai
            Machtübertragung an die NSDAP                        1. Mai „Nationaler Feiertag des
                                                                 deutschen Volkes“

                                                                 8. Mai (1945)
                                                                 Befreiung vom Nationalsozialismus,
                                                                 Kapitulation des NS- Regimes

                                                                 14. Mai (1948)
                                                                 Gründung des Staates Israel
                                                            25
Juni                                            Oktober
20. Juni auf 21. Juni                           29. Oktober (2009)
Sommersonnenwende                               Todestag von Jürgen Rieger

Juli                                            November
24. Juli (1943)                                 9. November (1923/1938)
Beginn der Bombardierung Hamburgs               „Gedenktag für die Gefallenen der Bewe-
                                                gung“ in Erinnerung an den gescheiterten
August                                          Putschversuch der NSDAP/Reichspogrom-
17. August (1987)                               nacht
Todestag von Rudolf Heß
                                                2. Sonntag im November
September                                       Volkstrauertag
1. September (1939)
Deutscher Überfall auf Polen, Beginn des        Dezember
Zweiten Weltkrieges                             20. Dez. auf 21. Dez.
                                                Wintersonnenwende
15. September (1935)
Verkündung der „Nürnberger Rassege-
setze“

24. September (1993)
Todestag von Ian Stuart Donaldson,
Sänger und Kopf von der Neonazi-Band
Skrewdriver sowie Gründer von „Blood
and Honour“

                                           26
HANDELN – Strategische Hinweise zu Abwehr
           rechtsextremistischer Tendenzen
Möglichkeiten der Satzungsgestaltung
                            Was können Vereine oder Or-           ge die Betroffenen ihre politischen Standpunkte nicht
                            ganisationen tun, wenn sie            öffentlich machen, wird ihre Mitgliedschaft häufig to-
                            feststellen müssen, dass sich         leriert. Viele Vereine funktionieren nach dem Motto:
                            in ihren eigenen Reihen Per-          Wer sich politisch ‚ruhig‘ verhält, darf auch teilnehmen.
                            sonen mit rechtsextremem              Viele Vereine nehmen für sich auch in Anspruch, poli-
                            Gedankengut befinden? Oft             tisch ‚neutral‘ zu sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass
                            wird in diesen Fällen von             diskriminierende Positionen und Verhaltensweisen ak-
                            gezielter Unterwanderung              zeptiert oder geduldet werden sollten.
                            gesprochen, ohne sich die
                            Hintergründe genauer anzu-            Ein Ausschluss von Rechtsextremen aus Vereinen und
                            sehen. Der Verweis auf eine           Verbänden mit demokratischer Grundeinstellung hat
                            Gefahr, die vermeintlich von          nichts mit mangelnder Toleranz zu tun, sondern mit der
                            außen kommt, ist jedoch ir-           demokratischen Ächtung rechtsextremer Positionen.
                            reführend und offenbart eine          Rechtsextremes Gedankengut liegt außerhalb des To-
                            verzerrte Sicht auf die Pro-          leranzbereichs. Tolerieren anderer Meinungen bedeu-
                            blematik. In den seltensten           tet zwar grundsätzlich, diese zu dulden, auch wenn sie
Fällen wird ein Verein gezielt von Rechtsextremen unter-          einem nicht gefällt. Toleranz muss aber keineswegs hei-
wandert, um die Strukturen dann für die eigenen rechts-           ßen, Diskriminierungen oder menschenfeindliche Positi-
extremen Zwecke zu nutzen. Diese Sichtweise verstellt             onen zu dulden. Es gibt keine Toleranz gegenüber jenen,
den Blick auf die deutlich häufiger auftretende Problema-         die die Menschenwürde der Anderen infrage stellen.
tik: Vereinsmitglieder oder -funktionäre mit rassistischer
oder rechtsextremer Einstellung sind vielfach bereits Teil        Aber wie soll und kann man als Verein damit umge-
der Vereine.                                                      hen, wenn man von der rechten Gesinnungen eines
                                                                  Vereinsmitglieds erfährt? Die Satzung ist die niederge-
Im Falle eines zutage Tretens der rechtsextremen Ge-              legte Grundordnung eines Vereins, die die Belange der
sinnung von Vereinsmitgliedern wird vielfach lange                Organisation, wie beispielsweise die Aufnahme und
Zeit versucht, diese Tatsache zu verharmlosen. Solan-             den Ausschluss unerwünschter Personen regelt. Viele

                                                             27
Satzungen sind allerdings auf Fälle wie diese häufig                                Mögliche Satzungsformulierung:
nicht vorbereitet. In diesem Kapitel werden Tipps zur                               Mitglied des Vereins kann jede natürliche Person wer-
Gestaltung einer Vereinssatzung gegeben, um in sol-                                 den, die die Ziele des Vereins unterstützt. Über den An-
chen Fällen besser vorbereitet zu sein.                                             trag auf Aufnahme in den Verein entscheidet der Vor-
                                                                                    stand (alternativ: die Mitgliederversammlung).

1.  Wie sollte eine Satzung gestaltet sein, damit                                 Nicht bewährt haben sich Satzungsklauseln, wonach
     eine Mitgliedschaft für Rechtsextreme                                         der Beitritt durch einseitige Erklärung des Beitrittswil-
     erschwert wird?                                                               ligen zustande kommt, da es der Verein nicht mehr in
                                                                                   der Hand hat, wer Mitglied wird und wer nicht.
             Gem. § 58 BGB muss jede Satzung eine Be-
             stimmung über den Eintritt und Austritt der                           Ein Verein kann in seiner Satzung sachlich begründete
             Mitglieder enthalten.                                                 Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft vorsehen:

           Grundsätzlich besteht für einen Verein kein Auf-                         Formulierungsvorschlag:
           nahmezwang für Einzelpersonen. Aufgrund der                              Nur Bewerber, welche die Grundsätze des Vereins, insbe-
           Vereinsautonomie kann der Verein selbständig                             sondere den Toleranzgedanken unterstützen, können Mit-
festlegen, wer nach welchen Kriterien Mitglied des Vereins                          glied des Vereins werden. (Röcken, ZStV 2012, 144 (146).)
werden soll. Auch wenn eine Satzung bestimmt, dass jeder
Mitglied werden kann, heißt das keineswegs, dass ein Ver-                          In einem Urteil des LG Bremen (Az.: 7-O-24/12 vom
ein jeden Beitrittswilligen aufnehmen muss. Eine Ausnah-                           31.01.2013) hatte der beklagte Verein innerhalb seiner
me kann für Verbände mit Monopolstellung2 bestehen.                                Zweckbeschreibung grundsätzliche Ziele definiert:

Die Satzung kann verschiedene Möglichkeiten der Auf-                                Formulierungsvorschlag:
nahme vorsehen. Eine Begründung für die Ablehnung                                   Der Verein ist politisch und religiös streng neutral und steht
ist gegenüber dem Mitglied zunächst nicht erforder-                                 in allen seinen Belangen auf demokratischer Grundlage.
lich, es sei denn, die Satzung sieht eine entsprechende                             Der Verein fördert die Funktion des Sports als verbindendes
Regelung vor. Eine Pflicht zur Begründung würde aber                                Element zwischen Nationalitäten, Kulturen, Religionen
in einem etwaigen Rechtsstreit bestehen.                                            und sozialen Schichten. Er bietet Kindern, Jugendlichen
                                                                                    und Erwachsenen unabhängig von Geschlecht, Abstam-
2 Das träfe zu, wenn z.B. eine (juristische) Person erheblich benachteiligt
und in seiner Entwicklung behindert wäre, wenn man ihr die Mitgliedschaft           mung, Hautfarbe, Herkunft, Glauben, sozialer Stellung
im Verband verweigern würde.                                                        oder sexueller Identität eine sportliche Heimat.
                                                                              28
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