Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
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initiativ juli 2019 rundbrief 155 Bildung, neu gedacht „Hey, Teacher, leave us kids alone – All in all you‘re just another brick in the wall!“, sangen Pink Floyd vor vierzig Jahren in ihrer Anklage an das britische Schulsys- tem. Die Gewalt und die Gedankenkontrolle, die der Song anprangert, sind zum Glück weitgehend aus den Klassenzimmern verschwunden. Und doch ist besonders das deutsche Schulsystem von angestaubten Tugenden geprägt: Für die meisten Schüler*innen besteht der Alltag aus Sitzen, Auswendiglernen und Wissen-Aufsagen. An praktischer Erfahrung mangelt es ihnen, im Schulalltag verkümmert ihre kindliche Neugierde. Die Handlungspädagogik eröffnet die Chance, das zu ändern. Auf Lern-Bau- ernhöfen kommen Kinder und Jugendliche in Kontakt mit ihrer Umgebung. Da- bei machen sie sich nicht nur die Hände schmutzig – sondern auch Gedanken über eine zukunftsfähige und gerechte Welt. Wie sich die Bildung für die Große Transformation auch selbst verändert, lesen Sie in unserem Blickpunkt! Diese Ausgabe verkündet außerdem Neuigkeiten in eigener Sache: Anja Be- ckers Abschied aus der ÖIEW und einen Wechsel in der Redaktionsleitung. Die Zeichen stehen also, wieder, auf Veränderung. Wir sind gespannt – Sie auch? Ihre initiativ-Redaktion
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik initiativ 155 Im Blickpunkt: Handlungspädagogik Schule neu denken 3 Aus der Initiative Tief und weit 9 Rückblick, Einblick, Ausblick in die ÖIEWerkstatt 10 Neue Redaktionsleiterin: Drei Fragen an Anni 12 Wer setzt sich den Hut auf? Rückblick auf die Frühjahrstagung 13 Die Erd-Charta-Seiten Die Botschafter*innen Ausbildung 2019 14 Internationale Erd-Charta-Bildungskonferenz in Costa Rica 16 Rückblick auf die Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“ 18 Erd-Charta-Workshop in Darmstadt 20 Theaterreihe „Die Zukunft wird verspielt“ 21 Co-kreatives Lernen – wie geht das? 22 Chronik: Februar bis Mai 2019 24 Veranstaltungshinweise 26 Einladung zum Aktions-Camp: Earth Charter in Action(s) 26 Glänzende Aussichten 28 Impressum 13 Titelfoto: „To Flee with Glee“ David Goehring via Flickr/ CC-Lizenz BY 2.0 bit.ly/öiew155bildtitel
2/3 Schule neu denken Handlungspädagogik ermöglicht Kindheit in geeigneten Lebensfeldern und erneuert unsere Beziehung zur Welt von Godehard Münzer Ein Beet bestellen, eine Unterkunft für Insekten schaffen: Praktische Fertigkeiten bleiben auf der Strecke, wo sich das städtische Leben sich von elementaren Lebensvollzügen entfernt. Foto: „Ryan“, „morgan and i in the garden“, via Flickr / CC-Lizenz BY-ND 2.0 – bit.ly/öiew155bild3 „Auf der Erde ist die Natur in Gefahr. Pflanzen und Im Zuge der Ökonomisierung und Industriali- Tiere verlassen den Planeten, und vom Klima spre- sierung auch in der Landwirtschaft müssen viele chen alle. Bauern ihre Höfe aufgeben oder sich notgedrun- Aber noch etwas ist in Gefahr: die Kindheit“ [1c, gen als Spezialisten den Marktbedingungen an- 13]. Und wie als Weckruf formuliert Peter Gut- passen. Mit dem Rückgang familienbetriebener tenhöfer an anderer Stelle: „Wenn die Landschaft Höfe schwindet für die Gesellschaft der Zugang von den Bauern verlassen wird, versiegt ihre Le- zu elementaren Lebensvollzügen, der Raum, in Le- bendigkeit – so wie die Lebenslust in der Schule bensvollzügen den Umgang mit dem Boden, mit versiegt, wenn Liebe und Phantasie das Klassen- Pflanzen und den Tieren zu pflegen [1a, 1f]. Eine zimmer verlassen“ [1b, 9]. Der Blick geht in zwei generationenversetzt erdumspannende Entwick- Richtungen: Im Landbau verödete Landschaften, lung, die dazu führt, dass „immer weniger Men- Weiden und Wälder, Elend auch in der Tierhal- schen fähig, willens oder überhaupt in der Lage tung; im Bildungsbetrieb die Abkoppelung vom sind, in Landwirtschaft und Gartenbau zu arbei- Handlungswissen, das die Grundlagen des mensch- ten“ [1b; 9]. Historisch lässt sich nachvollziehen, lichen Daseins schafft. Will man vom ‚Nieder- wie die ‚ursprünglichen Kulturtechniken‘, d.h. die gang der Landwirtschaft‘ (Guttenhöfer) sprechen, Kultivierung des Menschen wechselwirkend mit der dann nicht etwa, weil die zunehmend agrar-indus- Kultivierung der Erde, parallel zur Abwendung vom triellen Betriebe keine Lebensmittel mehr bereit- Landbau neu begriffen wurden: Lesen, Schreiben stellen, sondern weil derartige Betriebe kein Le- und Rechnen, das sind die ‚zivilisatorischen Kultur- bensmittelpunkt mehr sein können [ebd.]. Ein techniken‘ für eine „höhere Bildung“ [2c, 83f]. Auf Strukturwandel, den viele gar nicht wahrnehmen: Seiten der vom Landbau emanzipierten „Bildungs-
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik und damit unnachahmbar bleiben“ [2d, 94]. Kin- der bewegen sich zunehmend in einem künstlichen Milieu, das „tendenziell immer weniger in Zusam- menhang mit der realen Lebensumgebung steht“ [ebd.]. Folge des Mangels an tätiger Handlung wie auch der Vernachlässigung körpernaher Sinnesbetä- tigung sind Guttenhöfer zufolge, dass „im Wesent- lichen die Gliedmaßen- und Sinnestätigkeit und da- mit die Regungen des kindlichen Willens“ gehemmt werden [ebd.]. Wenn sich die Erfahrungsarmut und „die Beschneidung der gesamten Lebensaktivität des Kindes“ in die Schule hinein fortsetzt, so droht auch hier, dass Schüler keine ‚echten Kompetenzen‘ mehr erwerben oder gar eine ‚Verödung der Seelen‘ im Schulbetrieb [1b, 9]. Die Zeit drängt: „Lasst uns das Nötigste für die Erhaltung der Kindheit tun! „Das pflügende Klassenzimmer“ beschreibt eine Kombination aus gemeinschaftsgetragener Landwirtschaft und kindgerechtem Lernort. Foto: U.S. Department of Agriculture, „20120419_ Schenken wir unseren Kindern wenigstens 10 Jahre FLearthday_005“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/öiew155bild2 Kindheit“ [1c, 13]. Guttenhöfer setzt seine Impulse bürger“ hat sich indes das „Kulturleben“ in den auf pädagogischem Terrain. „‘Schule‘ muss neu ge- Städten „losgelöst vom grundlegenden praktischen dacht werden“ [ebd.]! In der Brücke von Pädago- Leben“ [2d, 94]. gik und Landbau erhält der angestrebte Aufbruch ein erdenrelevantes Gewicht. Es gilt, kulturerneu- Wer kommt heute noch in Kontakt ernde Impulse zu setzten, die in beiderlei Richtung mit Wind und Wetter, Wasser und Matsch, – für den Menschen und für die Erde zugleich heil- mit Pflanzen und Tieren? sam wirken. Was sich historisch gesellschaftlich vollzogen hat Das pflügende Klassenzimmer schafft und weiter vollzieht, prägt millionenfach individu- körperliches Erlebnis und Daseinssicherheit elle Biographien. Die Kinder, die heute in einer zi- vilisatorischen Kultur heranwachsen, kommen im- Die Not in den scheinbar unterschiedlichen Schau- mer weniger mit den elementaren Lebensvollzügen plätzen Landwirtschaft und Schule zeigt sich als in Berührung. Denn im Umfeld der Stadtmenschen „zwei verschiedene Erscheinungsweisen ein und schwinden die Möglichkeiten, mit den elementaren desselben Prozesses [...]“: die ‚Degeneration der Dingen in einer natürlichen Umgebung in Berüh- Kindheits- und Jugendkräfte‘, d.h. der ‚Lebenskräf- rung zu kommen. „Mit Wind und Wetter, mit Was- te der Erde‘ [1b, 9]. Die Jugendkräfte der Erde zu ser und Matsch, mit den Pflanzen und den Tieren, erneuern, ist für Guttenhöfer eine dringliche sozi- mit Holz, Metall und Stein. Die einst das Familien- al-kulturelle Aufgabe: die Beheimatung der Kinder leben bestimmenden hauswirtschaftlichen Tätig- in ihrem Leib „an der Erfahrung der eigenen Leib- keiten, die das Kind zunächst im Spiel nachahmen lichkeit in (…) irdisch-sinnlichen Umgebungen“ […] konnte und an denen es sich später spielend-ar- [1d, 20]. Ziel ist es, „eine fundamentale Daseins- beitend zu beteiligen hatte, sind hochgradig redu- sicherheit, gegründet auf einem wachen Selbster- ziert; die meisten Arbeitsgänge sind mechanisiert lebnis im eigenen Körper“ wieder herzustellen [2d, und elektrifiziert, sodass die physikalische Funkti- 95]. Üben – das ist die Aktivität, die den Menschen on der Gerätschaften kaum mehr augenscheinlich von Kindesbeinen an ganz ohne „äußeren Lehrplan“ sind und der kindlichen Wahrnehmung verborgen durch sein Leben begleitet [2c, 80]. Im „ein“-üben
4/5 verleibt sich der Mensch die Gesetze seiner Umwelt ein [ebd.]. „Je mehr der Mensch so an seiner Um- welt arbeitet, sie gestaltet und formt, und sich darin erkennt, umso mehr ist diese um ihn herum beste- hende Welt seine Innenwelt. Die Welt da draußen wird für den Tatmenschen „tatsächlich“ seine und damit nur eine“ [2c, 81]. Das sind menschenbildliche Grundlagen für eine Pädagogik, welche ihre Initiatoren Tobias Hartke- meyer, Dr. Peter Guttenhöfer und Manfred Schulze als ‚Handlungspädagogik‘ in ihrem Buch ‚Das pflü- gende Klassenzimmer‘ als Synthese aus gemein- schaftsgetragener Landwirtschaft und kindgerech- tem Lernort begründen [2]. Manfred Schulze hat mit ‚Hof Hauser‘ eine Einrichtung für Jugendhil- fe aufgebaut und weiß um „die individuelle Moral als tragende Kraft“ in vielen heilpädagogischen Ein- Entdeckung des Selbst in Stroh und Schmutz: Je mehr der Mensch an seiner Umwelt arbeitet, umso richtungen und Lebensgemeinschaften [2c. 78f]. mehr ist diese um ihn herum bestehende Welt seine Innenwelt. Foto: foundin_a_attic, „Lackham School of Agriculture“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/öiew155bild1 Für ihn kann der Mensch seine Sozialität erst in der Arbeit für andere Menschen ausbilden. „Leiblich- nen Kraftquelle für das weitere Leben sein wird keit und Sozialität hängen direkt miteinander zu- [2d, 99]? Mit der Forderung „Nicht pädagogisie- sammen [...]“, denn „sozial bedeutet immer, den ren, sondern kohärente Lebens- und Arbeitsfelder leiblich bedingten Mangel des einen Menschen gestalten“ weist Guttenhöfer auf den anstehenden durch die Tat des anderen zu lindern oder zu be- Paradigmenwechsel in der Pädagogik hin [4, 20]. heben“ [ebd.]. Daher muss es gerade heute darum Parallel zum Paradigmenwechsel in der Pädagogik gehen, „dass neben den schon in der Heilpädago- kann sich dank der Solidarisierung mit den Bauern gik und Sozialtherapie bestehenden Gemeinschaf- und ihren Höfen für die Landwirtschaft eine ‚koper- ten genügend neue Orte und Körperschaften ent- nikanische Wende‘ von ähnlicher Tragweite vollzie- stehen, die die Weiterentwicklung der Pädagogik hen: denn gemeinschaftsgetragene Höfe sind nicht und der Wirtschaft auf [...] dienende Kreativität mehr „von ökonomischen Zwängen getriebene Tra- und wirkliche gegenseitige Achtsamkeit und Brü- banten“, sondern sie werden zu „getragenen Son- derlichkeit stellen können [ebd.].“ nen“; der Hof und jene, die das Land fruchtbar machen, werden zum Mittelpunkt für die Solidar- Gemeinschaftshöfe und Schulen gemeinschaft [1d, 23f]. Neu ist die Idee, Landbau wachsen zusammen – für eine und Schule zu vereinen, und die so impulsierten so- handlungspädagogische Menschenbildung lidarischen Höfe zu Schulungsorten für eine hand- lungspädagogisch motivierte ‚Menschenbildung‘ Dr. Guttenhöfer, Mitbegründer des Lehrersemi- (Guttenhöfer) umzugestalten. Dabei kann man an nars Kassel, fragt, welche Art von ‚Schulung‘ Kin- die europäische Geistesgeschichte anknüpfen. Von der vor der Beschneidung ihrer Lebensaktivität und Goethe stammt der Begriff der ‚Pädagogischen vor dem Verlust ihres Kohärenzerlebens bewahren Provinz‘, ausgeführt in seinem Bildungsroman kann [2d, 96f]. Was ist nötig, damit Kinder in den ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre‘. Für Guttenhöfer sieben Jahren zwischen ihrem vierten und elften ist das ein ‚Urbild von Menschenerziehung‘: „Das Lebensjahr ihre individuelle biologische, seelische Arbeiten an der Erde ist mit Musik verwoben, Ar- und geistige Gesundheit aufbauen können, die ih- beit und Spiel vereint, Kunst und Natur versöhnt“
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik Wo sich in gemeinschaftsgetragenen Lebensorten „viele Menschen in der Arbeit an der Erde und den damit verbundenen Handwerken versammelt ha- ben“, dort keimt auch Grund zur Hoffnung: Denn mit dem Entstehen von Handlungsspielräumen mit den geeigneten Orten und Körperschaften, ermög- lichen wir schon kulturerneuernde Impulse. Für Schulze sind das ‚Heilimpulse‘, die darin beste- hen, zivil-gesellschaftlich „Lebens- und Arbeitsräu- me zu schaffen, in denen Menschen an der Arbeit für Menschen ihre zentrale menschliche Aufgabe ergreifen“ [2c, 78]. Impulse solcher Art wirken in beiderlei Richtung – für die menschliche Sozialität und für die Erde zugleich heilsam. „Eine Verstär- kung und Verjüngung der lernenden Gemeinschaf- ten durch die Wiederaufnahme der Kulturarbeit an Wo sich Menschen in der Arbeit an der Erde versammeln, dort keimt der Grund zur Hoffnung. Foto: „woodleywonderworks“, „your hands will get dirty here“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/ den Naturreichen“ wäre dann, so Schulz, „mit Hän- öiew155bild4 den zu greifen [2d, 92].“ [2c, 103]. Doch erst in unserer Zeit könnte Goe- thes Vision neu aufleben und in eine zeitgemäße, Schule neu denken lebendige Praxis münden [2]. Tobias Hartkemeyer, – Konturen eines Aufbruchs Mitbegründer des CSA-Hofes Pente (CSA, engl.: Community Supported Agriculture / solidarische Wie kann sich die Annäherung von Höfen und Landwirtschaft) bescheinigt gemeinschaftsgetra- Schulen vollziehen? Ausgangspunkt kann ein ge- genen Höfen „das Potential, an Goethes Bildung- meinschaftsgetragener Hof sein: der Bauer der sideal anzuschließen und es für die Herausforde- mit seiner Familie dort wohnt sowie die zugehö- rungen der Gegenwart fruchtbar werden zu lassen“ rige Solidar-Gemeinschaft, die mit ihren Beiträgen [2b, 32]. Der gemeinschaftsgetragene CSA-Hof das Jahres-Budget zur Hofhaltung samt den ver- Pente wurde im Verlauf eines Pilotprojektes in der einsinternen Kosten zur Organisation und Vertei- Dekade für ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ lung der Lebensmittel auf die Depots hin zu den (BNE, 2005-2015) zu einem handlungspädago- Mitgliedern abdeckt. Der Hof selbst sollte idealer- gischen Erfahrungsraum. Die Erfahrungen aus viel- weise mit allen seinen Handlungsschauplätzen ein seitiger Perspektive in diesem preisgekrönten Pro- Anziehungspunkt für die Gemeinschaft sein. Von jekt sind im Handbuch über ‚Handlungspädagogik hier aus plant man Projekte, in denen die Mitarbeit und Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft‘ be- gemeinschaftlich organisiert ist. Zyklisch im Jahr schrieben und verarbeitet [2]. oder nach Abschnitten gemeinsamen Umsetzens sollte es auch Zeiten zum Feiern geben – verbun- Die Zeit ist reif, um Heilimpulse zu setzen den auch mit einer Rückschau und Würdigung des gemeinsam Erreichten. Ein Zyklus von Anvisieren Die Zeit scheint reif: auf pädagogischer Seite, der neuer Ziele, Planung und gemeinschaftlich orga- Wunsch, „Pädagogik auf wirkliche Lebensvollzüge nisierter Umsetzung. Auch das gemeinsame Träu- zu orientieren“ könnte zusammenkommen mit ge- men darf in Gemeinschaften nicht fehlen. Mit dem meinschaftsgetragenen Höfen und ihrem Impuls, Äußern von Träumen und Bedürfnissen in einer le- „die Bereitstellung von Lebensmitteln nicht mehr bendigen Gemeinschaft. Guttenhöfers Zukunfts- den Marktmechanismen [zu] unterstellen“ [2d, 78]. traum ist „eine Kulturwerkstatt, in der Land-
6/7 wirt(in), Handwerker(in) und Hauswirtschaf- öffnen [2c, 89].“ Seitens der Schulen würde der Weg ter(in) gemeinsam danach streben, die Kindheits- der Annäherung an solche Bauernhöfe beinhalten, kräfte des Menschen und der Erde zu hüten, und dass sie „ihre Stundenpläne aufgeben und statt aus- dadurch zu Erziehern der Kinder werden zu kön- gedachter Projekte behutsam in die Arbeitsströ- nen“ [2d, 103]. Eine „Bauernhofschule“ so nennt me der Bauernhöfe „einsteigen“ (…) [2c, 92].“ Die er diesen Lernort, sollte sich aus der Phantasiekraft heilsame Folge: Menschen, Kinder und Erwachse- und aus der Initiative von Menschen in einer be- ne, „gewinnen (…) in der Arbeit oder im Anschluss stehenden Hof-Gemeinschaft heraus entwickeln. an Arbeitsströme wieder einen gesättigten und Bauernhofschulen – Orte, in denen die Kinder ein- handlungsfähigen Wirklichkeitsbegriff“ [2c, 89f]. tauchen können in eine gemeinschaftsstiftende erd- Von welcher Seite der Anfangsimpuls auch aus- verbundene Aufgabe. gehen mag – Guttenhöfers ‚Entwurf eines hand- lungspädagogischen Bildungsweges‘ wird einer Ge- Von der ‚Sitzschule‘ meinschaft auch bei der Planung Impulse geben, zum reichhaltigen Lernraum „wie die Selbsterziehung des Kindes in den Le- bens- und Arbeitszusammenhängen eines Bauern- Als Norm für eine Bildungskultur, die ja vor allem hofes organisiert werden kann“ [2d, 99f]. Es ist ein in den Städten entstanden ist, kann das Modell Weg der Umgestaltung bzw. der Einbeziehung ei- Bauernhofschule nicht dienen. Vielmehr sieht auch ner möglichst vollständigen pädagogischen Umge- Guttenhöfer die von ihm intendierten Lernorte an bung in einen landwirtschaftlichen Betrieb. Ein so- Höfen als „Keime für völlig neue Erziehungsumge- zialer Prozess, für den Guttenhöfer rät, dass sich bungen“ [1b, 19]. Orte an denen „Schule“ neu ge- hierbei Pädagogen und die betriebsleitenden Bau- dacht wird, an denen ein Spiel- und Handlungsraum ern gleichermaßen beteiligen [2d, 100]. Grundsätz- geboten wird, der für Kinder ein reichhaltiger Lern- lich erfordert Handlungspädagogik vom erwachse- raum und auch Lebensmittelpunkt werden kann. nen Begleiter einen ‚Selbsterziehungsweg‘. Denn in Doch auch an bestehenden Schulen könnte eine der Doppelaufgabe „landwirtschaftliche Arbeit zu Wandlung eintreten dahingehend, sich einem Bau- ernhof und ihrer Hofgmeinschaft anzunähern. Dies im Bewusstsein der immer häufiger vorkommenden Kinder, die in der Gefahr sind, durch ‚staatlich ver- ordnete Sitzschule‘ Schaden zu nehmen. Diese Kin- der – und nicht nur sie – könnten „in schul- und stuhlfreien Umgebungen ihren Ort und ihre Ge- schwindigkeit und ihre Distanz und ihr Lern- und Arbeitsthema finden (…). In einer wachsenden Zu- sammenarbeit der Kindergärten und Schulen mit ökologisch wirtschaftenden Höfen [läge damit] ein starker Sozialimpuls“ [2c, 91]. Zunächst ste- hen damit noch nicht Neubegründungen von ‚Bau- ernhofschulen‘ im Vordergrund – die so andersar- tigen Sozialgebilde werden ja hierzulande bislang noch nicht als Ersatzschulen anerkannt – sondern es kommt zunächst darauf an, dass „Bauern [und in CSA-Höfen die dazugehörigen Solidargemein- schaften; Anm. d. Autors] sich den pädagogischen Wo leben eigentlich Honigbienen? Die Handlungspädagogik weist den Weg von der staatlich verordneten Sitzschule zum praktisch orientierten Lernort. und heilpädagogischen Institutionen gegenüber Foto: Mit freundlicher Genehmigung von
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik tun und die Aufmerksamkeit auf dieses Tun ständig Godehard Münzer ist Lehrer zu teilen mit der Wachheit für die Bedürfnisse der für Mathematik und Physik in der Kinder“ liegt eine wesentliche Anforderung im Zu- Sekundarstufe I und II. sammensein mit Kindern bei Arbeiten in Hof oder Er ist derzeit in berufsbildenden Foto: privat Acker [2d, 101]. Schulen u.a. für Erzieher*innen Tatsächlich sind bereits auf einigen gemein- tätig. Bei seiner vorangehenden schaftsgetragenen Höfen Bauernhofkindergär- Tätigkeit als Oberstufenlehrer ten eingerichtet worden [1d]. Insbesondere vom an Freien Waldorfschulen und CSA-Hof Pente liegen Erfahrungsberichte vor [2]. Fortbildungen kam er in der Camphillgemeinschaft Es handelt sich bei diesem Schritt in die Realisie- Lehenhof auch mit Heilpädagogik und am Schulgarten rung um eine Erweiterung des ganzen Hof-Orga- der FWS Otterberg mit Gartenbau in Berührung. nismus. Der Hof wird zur Bildungseinrichtung und – Orte, an denen sich Pädagogik und die Zuwendung wird als solche in der Öffentlichkeit wahrgenom- zum Landbau verbinden. men. Arbeiten und Bildung unter einem Dach – Er ist Erd-Charta-Botschafter und an seinem verträgt sich das? Ist es überhaupt statthaft, Kinder Wohnort Mannheim Mitglied einer solidarischen aus dem Schutzraum Schule herauszuführen und Landwirtschaft. in Arbeitsprozesse einzubeziehen? Welche Quali- täten benötigt ein Lehrer /eine Erzieherin an einer Bauernhofschule? Pionierarbeit sollte mit Bewusst- Zum Weiterlesen seinsbildung verknüpft sein. So könnte und müsste [1] Seminarunterlagen mit gesammelten Aufsätzen*: ein CSA-Hof mit seiner Bauernhofschule in die- [1a S. 1-6] Guttenhöfer, Peter: Die Tiere und ser Phase zum Ort eines öffentlichen Diskurses die Pflanzen mitnehmen werden. Vorträge und abendliche ‚Kollegs‘ wie am [1b 7-12] Guttenhöfer, Peter (2013): Aspekte CSA-Hof Pente, oder ein mehrjähriger Ausbil- einer elementaren Handlungspädagogik dungsgang, der interessierte Pädagogen und Vertre- [1c 13-19] Guttenhöfer, Peter: Rettung der ter einschlägiger Handwerksberufe vereinigt, wie er Kindheit – Memorandum für elementare Handlungspädagogik am Hof Hauser von Guttenhöfer und Schulze mitt- [1d 20-24] Guttenhöfer, Peter: Verwandlung lerweile angeboten wird – all das sind weitere Ent- von Schule, erschienen in: Punkt und Kreis wicklungen, die in der Gesellschaft ihre Kreise zie- [1e 23-26] Von der Gathen: Die Weltenrettung hen [3; 4]. Auch wenn sie nur wenige der Städter ist in vollem Gange, veröffentlicht in: Das in die ländliche pädagogische Provinz herauslocken Goetheanum kann – sie kann doch Handlungspädagogik hinein- [1f 27- 42] Guttenhöfer, Peter: Soltane und tragen belebend in das kulturelle Leben der Städte. Pädagogische Provinz Erziehungsweisheit bei Wolfram und Goethe. * Die Aufsätze gehören zu Unterlagen eines Seminars im Frühjahr 2016 an der Akademie für Waldorfpädagogik Mannheim Kurz vor der Drucklegung dieses Heftes erreichte uns [2a] T. Hartkemeyer: Der Gemeinschafts- die traurige Nachricht, dass Rüdiger Schloz getragene Hof als Handlungspädagogische am 11. Juni 2019 verstorben ist. Provinz [2b] T. Hartkemeyer: Erfahrungsberichte aus der Praxis. Vom CSA Hof Pente Eine Würdigung dieses Mitbegründers und „Urgesteins“ der ÖIEW erfolgt in der nächsten Ausgabe des initiativ. [2c] M. Schulze: Handlungspädagogik – Sozialität und Leiblichkeit oder Wie wird das Die Redaktion Gemeinwesen gesund? [2d] P. Guttenhöfer: Entwurf eines handlungspädagogischen Bildungswegs
8/9 Tief und weit Austausch im initiativ In der Reihe „Tief und weit“ führen wir den Austausch funden, um mich „tief und weit“ mit dem LEBEN, mit zu den Zusammenhängen von Spiritualität und En- andern, mit meiner eigenen Geschichte zu verbinden? gagement weiter: Was macht meine Spiritualität aus? Was hat mich zum Engagement für Frieden, Gerechtig- Wie schöpfe ich Kraft, Hoffnung, Vertrauen in ei- keit und der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen ge- ner verrückten Welt voller Konflikte, Ungerechtig- führt? keiten, Kriege und Notwendigkeiten der Transforma- Bernhard Möller lebt in Krefeld und ist ein tion? Aber auch voller Schönheiten, Berührungen, langjähriges ÖIEW-Mitglied sowie Redakteur heilsamer Begegnungen. Welche Wege habe ich ge- des initiativ. Foto: privat Schule des Lebens, damals 1962: einen Lebenslauf 20 Jahren Menschenrechtsarbeit – kollegiale Nach- schreiben können. Mein Berufsziel sei mir noch un- hilfe in Planungsrecht – handwerkliche Unterstüt- klar, schrieb ich. Immer noch? fragte die Deutsch- zung bei zwei linken Händen – erleben, wie ein lehrerin. Die Krise kam später, nach dem Theolo- psychisch Kranker sich mit Malen Kontakte erhält giestudium. Auf was kann ich bauen auf dem Weg – Humor und Situationskomik – als Kassenprüfer in den Beruf und durch‘s Leben? Was ist sicher, was aufhören, dennoch die Kassiererin in längerer Er- kann mir nicht genommen werden? Was als Glau- krankung begleiten – Genügt der eine Tag pro Wo- benskrise daher kam, war wohl eher eine Krise des che bei der pflegebedürftigen Schwiegermutter? – Erwachsenwerdens. Die Balance mit der Partnerin nicht verlieren. Auch Mir blieb – mein damaliges Fazit – die Humani- das. tät, mag sie auch unterschiedliche Facetten haben. Was genau trägt mich, was gehört für mich ins Sie führte mich auch zu politischem und sozialem Sortiment und an welche Grenzen stoße ich? In Engagement. Ich sah Verantwortung aber einseitig, Begegnungen und im Miteinander fühle ich mich verlor mich selbst, bis zu dem Punkt, an dem ich mit anderen verbunden, akzeptiert und bereichert. mir sagte: Wenn Du jetzt nicht achtgibst, kommst Menschen, auch junge Menschen, offen und ein- Du unter die Räder. Ich übernahm Verantwortung fühlsam zu erleben, macht mich optimistisch. Das für mich selbst. Spätes Erwachsenwerden. trägt. Getragen fühle ich mich auch durch meinen Holprig erfolgte mein beruflicher Start: Zwölf Glauben. Und ich brauche Zeit, muss immer auch Jahre Zeitverträge und Arbeitslosigkeit, bevor ich frei werden von Aktuellem, möchte Gedanken auch eine unbefristete Stelle hatte. Zu spät und zu spe- ungezielt nachgehen können. Dabei stoße ich an zielle Kenntnisse, um beruflich die Treppe hoch zu Grenzen. Ich bin weder besonders mutig noch be- fallen. Kein Scheitern, ich begriff den Gewinn: die sonders konsequent. Ich kann nicht mit allen glei- Entdeckung und Wertschätzung von Kollegialität, chermaßen in Kontakt sein und in dem Maß, wie einer Dimension alltäglicher Menschlichkeit. Mit- ich mich um das Miteinander bemühe, mache ich einander und voneinander leben. Ein Kollege for- Kompromisse zu Lasten von Zielen. Deshalb brau- mulierte, was ich zuvor nur gedacht hatte: „Wir le- che ich gleichermaßen die Impulse wie die größere ben hier auf einer Insel der Seligen.“ Entschiedenheit anderer. Und dann ist da noch die Menschlichkeit bekam drei Facetten: mein Ver- Politik, der Joker, der keiner ist, denn ihr müssen halten im Alltag, im Brotberuf und Engagement für wir ordentlich Beine machen. Statt sarkastisch wer- Ziele. Miteinander leben als Dimension des Lebens den und lamentieren, gilt es in mich zu gehen und heißt konkret: sich zum Betriebsrat wählen lassen – neu anzupacken. Der Menschen, der Menschlich- Besuch beim Jugendfreund in Kolumbien und seit keit und der Schöpfung wegen.
Aus der Initiative Rückblick, Einblick, Ausblick in die ÖIEWerkstatt „You can walk on the path ser Zeit: die erste länderübergreifen- Besonders an diesem Zeitpunkt des Or you can walk through the hedge. de Lehrerfortbildung zur Erd-Char- Abschiedsnehmens ist auch, dass wir There’s two different ways of looking at ta, das Lehrerhandbuch, das wir in das vergangene ÖIEW-Jahr in der the world, den deutschen Schulraum übertra- Geschäftsstelle zu viert verbringen totaly different. gen haben gefolgt vom Praxishand- konnten; mit einer Übergangs-Stelle That’s the beauty of art.“ buch mit Kreativmethoden, das sehr für Torben Flörkemeier (der nun 1. Andy Goldsworthy viel Lob erfuhr. An den Moment, als Vorstandsvorsitzender ist). Dies er- die Erd-Charta als Ethik für Bildung möglichte nicht nur einen guten Ein- Nach fast 14 spannenden, schönen, für nachhaltige Entwicklung end- stieg unserer (inzwischen nicht mehr lern-reichen, gestaltungsbunten Jah- lich auch im Nationalen Aktionsplan ganz) neuen Kollegin Annika Thal- ren als Geschäftsführende Referen- der Bundesregierung erschien. Die heimer, sondern stellt nun auch eine tin kommt für mich die Zeit, mich größte Veranstaltung in dieser Zeit, gute Basis für die weiteren Übergän- zu verabschieden. Im Herzen wer- das internationale junge Zukunfts- ge dar (auch wenn Ursula Steuber de ich bei unseren Themen bleiben forum, das wir in Zusammenarbeit zum Jahresende in Rente geht). – die ÖIEW und das, was ich in die- mit dem World Future Council, dem Sehr schön finde ich, dass es die- ser Zeit meines Lebens dort lernen KSI und der Bundeszentrale für po- ses Jahr noch einmal diese besonde- durfte, sind für immer dort. Ganz litische Bildung als junge Vorkonfe- re Tagung mit der großen Auftakt- herzlich möchte ich mich bei allen renz zur Halbzeit-Weltkonferenz veranstaltung mit 250 Zuhörenden Menschen in der ÖIEW bedanken der BNE-Dekade organisierten und in Kooperation mit der Universität für diese Zeit, für euer Vertrauen, von dem aus wir eine Erklärung nach Kassel gab. Mit spannenden und gut für eure vielfältige Art, wie wir zu- Bonn sandten. Oder den G8-Gip- von Torben und Annika moderierten sammen unsere Initiative weiter ge- fel in Rostock, wo wir das große Po- Programmpunkten. bracht haben. dium auf dem Alternativgipfel zum Und sehr gut, dass es vielver- Gern erinnere ich mich auch an die Thema Gerechtigkeit vorbereiteten sprechend weitergeht, da wir Denis spannenden Hochmomente in die- und Vandana Shiva trafen... An die Kupsch als zukünftigen Geschäftsfüh- Materialien für die junge Erd-Char- renden Referenten der ÖIEW be- ta, die wir entwickelten und natürlich grüßen dürfen. Spannende Work- die Erd-Charta-Website. Daran, dass shops in diesem Sommer und Herbst dann unsere „junge Erd-Charta-Bil- laden überdies dazu ein, noch tief- dungsarbeit“ als BNE-Maßnahme ergehend bei den ÖIEW-Themen ausgezeichnet wurde… und an die mitzumachen. große Jubiläumstagung mit Gerald Und noch etwas ändert sich: wir Hüther, die das „Wie“ des Bewusst- danken für drei seinswandelns erforschte. Jahre sehr kompetente, engagierte Und an die letztlich wahrscheinlich initiativ-Chefredaktionsarbeit: Danke tausenden Begegnungen mit ÖIEW- für deine Ideen für Layout und The- und Erd-Charta-Menschen – alle un- menbezüge, deine fachlich und jour- terwegs auf breiten oder schmaleren nalistisch wertvolle Arbeit und dei- Wegen – die versuchen, einfach, ge- ne wertschätzende Kommunikation! sprächsbereit, glaubwürdig… zu le- Und wir begrüßen Ann-Kathrin Gö- ben und auf verschiedenste Weise risch als Nachfolgerin: ganz herzlich für mich Vorbild und Anregung sind. willkommen! Foto: privat
10 / 11 Und nun bleibt, mich – jedenfalls im aufzustehen, eine Ethik der Liebe und können, statt dass sie Fußangeln initiativ – zu verabschieden. Danke des weltweiten Friedens.“ (Towards a gleich nach unserem Gleichgewicht für alles. Wir werden uns wieder be- New Earth Ethic, Erd-Charta-Slogan greifen. Und der komplexen Schön- gegnen. Vielleicht nach einer Thea- 2019) heit der Welt nachspüren – um sie zu tervorstellung , vielleicht auch bei Auf dass wir unsere Welt, und uns, feiern. Denn wir sind alles, die Weite einer Veranstaltung zu unseren ge- noch genauer kennen lernen – alle und das Dickicht. Und überall begeg- meinsamen Themen. Ecken, Gebüsche, die große Wei- nen wir einander. „…gerade jetzt, inmitten des stei- te und die Dickichte, damit wir uns Ihre Anja Becker, gendem Populismus überall, ist es wich- auch sie zum Freund machen und (noch) Geschäftsführende Referen- tiger denn je, für eine neue „Erd-Ethik“ behende in ihnen unterwegs sein tin und (bald) freie Schauspielerin Neue Redaktionsleiterin: Drei Fragen an Anni lieren und für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Selbst wenn es manch- mal schwerfällt, an sie zu glauben. Auf deinem englischsprachigen Blog www.anniways.net schreibst du über „Feminismus, Identi- tät, Adoption, Kunst und all mei- ne Perspektiven auf diese Welt“. Was reizt dich daran, ein gedruck- tes Heft zum Thema Eine Welt zu gestalten? Letztendlich hängen so viele Formen Die Redaktionsleitung übt ab sofort von Ungerechtigkeit und Unterdrü- Ann-Kathrin Görisch aus, die wir ckung zusammen. Ein patriarchales hier direkt zu Wort kommen lassen. neoliberales System legitimiert so- Die Erde erhitzt sich wohl Gewalt gegen die Umwelt wie ungebremst, Millionen von Schü- auch Gewalt gegen Frauen. Wenn Rebecca Solnit verknallt. Sie ver- Foto: privat ler*innen gehen freitags auf die man sich Textilbetriebe in Südosta- fasst faszinierende, wunderschö- Straße und in Brandenburg hat sien ansieht, sogar beides in einem. ne, provokante, einzigartige Bücher eine rechtspopulistische Partei be- Ich nähere mich diesen Themen in und Texte. Poetisch und politisch zu- ste Aussichten, im September die vielen Formen an – akademisch, ak- gleich. Verträumt und dabei radikal. stärkste Kraft im Landtag zu wer- tivistisch, theoretisch, künstlerisch, li- Wir würden irgendein supertren- den. Schaust du optimistisch oder terarisch. Mein Blog und die Arbeit diges Hipstergetränk trinken (ve- pessimistisch auf die Welt? für die ÖIEW ergänzen sich für mich ganer Matcha-Ingwer-Hanf Chai) Anni: Da muss ich spontan an Kofi also bestens, so unterschiedlich sie und uns über uns selbst lustig ma- Annan denken: „Die Welt besteht auf den ersten Blick auch erscheinen chen. Und dann fünf Stunden über aus Pessimisten und Optimisten. mögen. die Welt und das Leben und die Zu- Letztlich liegen beide falsch, aber der Welche berühmte Person würdest kunft und herablassende Männer Optimist lebt glücklicher.“ Ich bin im du gern auf ein Heißgetränk tref- sprechen. Grunde genommen ganz schön pes- fen? Was würdest du ihr anbieten? simistisch, aber arbeite ständig daran, Ich bin furchtbar in eine US-ame- Anni ist per E-Mail erreichbar: trotzdem nicht die Hoffnung zu ver- rikanische Schriftstellerin namens Annkathrin.goerisch@oeiew.de
Aus der Initiative Wer setzt sich den Hut auf? Rückblick auf die Frühjahrstagung „Wirtschaften für das Leben – auf zu einer globalen Ethik“ am 17.-19.5.2019 in Kassel und Germete Der „Cowboy Jim aus Texas“ sorgt für gute Stimmung. Bei aller Ausgelassenheit stehen die Hüte auch symbolisch für Abschied und Neuanfang in der ÖIEW. Foto: Archiv Auf der diesjährigen Frühjahrstagung zum The- gewachsen, gewachsen ist aber auch die ökologische ma Gemeinwohlökonomie drehte sich vieles um Krise und der damit verbundene Zeitdruck. Muss die Metapher der Hüte. Die ÖIEW hat eine mit- sich die Initiative jetzt neu erfinden und sich einen telgroße Transformation in Form vieler Personal- neuen Namen geben? Kommt nun die Zeit für ei- wechsel vollzogen. Eine Reihe von Cowboyhüten, nen Widerstand gegen den Status Quo? Und wie die sich zufällig aufgetan hatten, wurden genutzt, kann der aussehen? um das Auf- und Absetzen und Weitergeben zu symbolisieren. Sie standen für schwere Abschiede, Sollen wir beten Neuanfänge, aber schafften auch eine ausgelassene – oder Widerstand leisten? Stimmung mit dem „Cowbow Jim aus Texas“. Ebenso vielfältig waren die Gedanken, die sich „Allein den Betern kann es noch gelingen“, wurde rund um die Frage entsponnen, wer sich wie den im Workshop zur „Ökonomie des Betens“ ein Ge- „Hut aufsetzen“ soll und kann, um in der drama- dicht von Reinhold Schneider aus dem Jahr 1945 zi- tisch aus dem Ruder laufenden Konsumgesellschaft tiert. Auch wenn sich die Anwesenden einig waren, das Gemeinwohl und die Zukunftsfähigkeit der dass wir heute in einer wesentlich besseren Lage Erde zu retten. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen sind als damals, scheint auch heute nur noch die war überzeugt, dass es jetzt eher eine Revolution als Tat zu zählen: nur was fotografiert, produziert und eine Evolution hin zu mehr Nachhaltigkeit braucht, konsumiert werden kann, wofür man sich öffent- um das noch zu erreichen. In den vergangen 13 Jah- lich feiern lassen kann. Als fundamentale Oppositi- ren hat die Initiative viel erreicht, hat über 100 neue on wird hier der Beter, der Spendende und Fastende Erd-Charta-Botschafter*innen ausgebildet und ist im Verborgenen gesehen. Der Faden wurde in einer mittlerweile offiziell Schulbuchwissen. Das Netz- Gruppe zur Spiritualität der Gemeinwohl-Ökono- werk ist nun größer, die Anzahl Gleichgesinnter ist mie weitergesponnen: Durch die Spiritualität des
12 / 13 „einen Leibes“ könnten Abspaltungen in Produ- kann das Wirtschaftssystem nachhaltiger machen. zenten- und Konsumentenrolle und damit Externa- In einem Workshop wurde die Kenianische Regi- lisierungen überwunden werden. Und eine Haltung onalwährung Mpesa vorgestellt, die mobiles bar- des Mitgefühls allen gegenüber kann den gesamt- geldloses Zahlen ermöglicht. Durch sogenann- en Wirtschaftszweig obsolet machen, der Wegwerf- te Blockchain-Technologie können derlei digitale produkte produziert, die dem Konsumenten An- Währungen mit Regeln belegt werden, die in der erkennung und Aufmerksamkeit versprechen, die technischen Infrastruktur festgeschrieben und für wir gegenwärtig nicht bereit sind, unseren Mitmen- jeden transparent sind. So auch Regeln, die den schen zu geben. Ideen der Gemeinwohlökonomie entsprechen. Klagen gegen Verstöße gegen das Gemeinwohl vor dem Verfassungsgericht einzureichen, war der Die Herausforderung: Vorschlag einer weiteren Arbeitsgruppe. Mit Un- Schaffen es die Ideen in unseren Alltag? terstützung von Kirchen, Gewerkschaften und An- wälten könnten Sammelklagen eingereicht werden. Von spirituellen über wirtschaftliche und rechtliche Bis es soweit kommt, könnten Verstöße zunächst bis hin zu technischen Lösungen für den Wandel, auf einer Art „Klagemauer“ öffentlichkeitswirk- vom konkreten Gesetzestext bis zu meditativen sam gesammelt werden. Vor allem Kommunen, die Texten zum Alles-in-Allem, vom Brainstorming den Auftrag haben, für das Gemeinwohl zu sorgen, bis zu Kreistänzen war wieder vieles auf der Ta- könnten als „Wächter für das Gemeinwohl“ ge- gung vertreten. Die große Herausforderung liegt wonnen werden. Zur Unterstützung dazu könnten aber jetzt vor uns: Schaffen wir es, die entwickelten bewährte Gemeinwohl-orientierte kommunale Ideen in unseren Alltag zu übertragen? Wie wider- Gesetzestexte für andere Kommunen öffentlich zu- ständig wollen wir sein? Welchen Hut wollen wir gänglich gemacht werden. uns aufsetzen? Und was würden unsere Enkel tun? Der Wechsel zu alternativen Währungssystemen Fabian Bethge Impressum Satz/Gestaltung: Für den Inhalt ist allein die ÖIEW initiativ – Rundbrief der Ökume- , verantwortlich. Die Arbeit der nischen Initiative Eine Welt (ÖIEW) Ann-Kathrin Görisch ÖIEW wird gefördert aus Mitteln Herausgeberin: Druck: der Inlandsförderung von Brot für Ökumenische Initiative Eine Welt Knotenpunkt, Buch/Hunsr. die Welt. e.V., Erd-Charta-Koordinierungs- auf Recycling-Papier Redaktionsschluss Ausgabe 155: stelle in Deutschland Auflage: 31. Mai 2019 Redaktion: 1.300 Redaktionsschluss Ausgabe 156: Anja Becker 4. Oktober 2019 Fotos: Soweit nicht anders ver- (V.i.S.d.P.), Fabian Bethge, Ga- merkt, privat oder aus dem Archiv Bankverbindung und Spendenkonto: briele Fastus, Torben Flörkemei- der ÖIEW. Waldecker Bank e.G. er, Ann-Kathrin Görisch, Sara IBAN DE91 5236 0059 0000 9153 Mierzwa, Bernhard Möller, Gode- 00, BIC GENODEF1KBW hard Münzer, Annika Thalheimer, Mitarbeiterinnen Wieland Walther in der Geschäftsstelle: Redaktionsanschrift: Anja Becker: Geschäftsführende ÖIEW-Geschäftsstelle, Mittelstr. 4, Referentin; Theaterbildungspro- 34474 Diemelstadt-Wethen, Förderhinweis: gramm / Annika Thalheimer: Refe- Tel. 05694-1417, Fax 05694-1532, Die Erd-Charta-Seiten werden ge- rentin Erd-Charta-Bildung und Ver- e-mail: druckt mit finanzieller Unterstüt- netzung info@oeiew.de zung von Engagement Global im / Ursula Steuber: Mitglieder, Ver- Erscheinungsweise: Autrag des BMZ. waltung & Finanzen vierteljährlich
Die Erd-Charta-Seiten Gemeinsam auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft Die Erd-Charta-Botschafter*innen-Ausbildung 2019 Die bunt gemischte Gruppe frisch gebackener Ercharta-Botschafter*innen Foto: Archiv Aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands und durch kreative Übungen zum Ankommen und sogar aus Südtirol machen sich Ende März 18 Men- Kennenlernen, etwa das „blinde“ Ertasten und Wie- schen auf den Weg nach Germete. Das gemeinsame dererkennen einer anderen Hand, kurze Impulsge- Ziel: Erd-Charta-Botschafter*in werden. spräche oder das Aufstellen nach dem Herkunfts- Der erste Teil der Ausbildung beginnt am Frei- ort. Hierdurch lernen wir uns noch etwas besser tagabend mit einem gemeinsamen Abendessen, bei kennen. dem wir Gelegenheit haben, uns etwas kennenzu- lernen. So viele neue Gesichter, interessante Ge- Eine gemeinsame Vision schafft Vertrauen schichten und vielfältige Perspektiven. Schnell wird und Zugehörigkeit klar: Wir werden eine spannende und inspirierende Zeit miteinander verbringen. Wie schnell aus unserer bunt zusammengesetz- Nach dem Abendessen erwarten uns Annika und ten Gruppe eine Gemeinschaft entsteht, die von Torben im gestalteten Seminarraum. Nach kurzer Wertschätzung und Zusammenhalt geprägt ist, ist Zeit lockert sich die erwartungsgeladene Stimmung für viele Menschen in der heutigen Gesellschaft si-
14 / 15 cher nicht selbstverständlich. Unsere Altersunter- ter*innen dann in den Praxistest. Denn in der Zeit schiede, Weltsichten und Lebenssituationen tren- zwischen den beiden Ausbildungswochenenden ha- nen uns nicht – sie inspirieren uns und lassen uns ben sich alle Teilnehmer*innen eine kleine Einheit voneinander lernen. Immer wieder führt dies zu überlegt, die im Rahmen eines Erd-Charta-Work- spannenden und konstruktiven Diskussionen über shops oder -Seminars eingebracht werden könnte. die Erd-Charta und die Welt. Es macht Freude, so viele verschiedene Möglich- Am ersten Ausbildungswochenende erwartet uns keiten auszuprobieren. Ob spielerisch, wie beim ein intensiver Stundenplan. Nicht nur über die In- Erd-Charta-Escape-Room, der viel Teamarbeit er- halte der Erd-Charta lernen wir viel. Besonders be- fordert um die Schatztruhe zu öffnen, beim „Weg eindruckend ist auch die Entstehungsgeschichte einer Jeans“, der uns alle zum Nachdenken bewegt und internationale Vernetzung der Erd-Charta, die oder durch eine meditative Einheit, die die spiritu- uns Alide Roerink näherbringt. Bemerkenswert an elle Ebene der Erd-Charta anspricht. diesem Wochenende ist auch die ganzheitliche Ver- mittlung der Erd-Charta. Kognitive Einheiten wer- Ein lebendiges Beispiel sein den durch theaterpädagogische Elemente ästhetisch für einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft erlebbar. Gruppenaufgaben und Dialoge wirken in Ruhephasen nach. Durch dieses methodische Zu- Beeindruckend ist am Samstagabend die Ge- sammenspiel wird für uns Teilnehmer*innen die sprächsrunde mit Ragnhild Hausmann, die uns von Erd-Charta nicht nur im Einzelnen, sondern auch der Entstehung der Ökumenischen Initiative Eine auf einer Metaebene erfahrbar, die verdeutlicht: Welt und der Ökumenischen Gemeinschaft berich- Alles ist miteinander verbunden, alles hat seinen tet und uns damit Mut macht, unsere Ideale und Platz, wenn wir den Dingen Raum geben zu wach- Werte zu leben. sen. Deutlich wird hierdurch auch: Viele Wege kön- Bestärkt, glücklich und mit dem Vorhaben eines nen zum Ziel einer lebenswerten Zukunft führen. Wiedersehens im nächsten Jahr machen wir uns am Sonntagnachmittag wieder auf in alle Himmelsrich- Jede*r bringt seine*ihre Talente ein tungen aber noch immer mit einem gemeinsamen und wird so ein wichtiger Teil Ziel: Veränderung zu sein und anzustoßen für eine von etwas Großem Zukunft die von Frieden, Gerechtigkeit und Leben geprägt ist. Am Ende des ersten Wochenendes sind wir zwar alle müde, aber vor allem auch erfüllt von den vie- Barbara Nick, Erd-Charta-Botschafterin len Eindrücken, neuen Ideen und Gesprächen, die wir für uns noch einmal in Ruhe reflektieren und ordnen müssen. Wir schreiben auf, wie es für uns Wie werde ich weitergeht, was wir uns vornehmen: Erzählen, Ver- Erd-Charta-Botschafter*in? Für alle, die Lust auf politische Veränderungen netzen, Handeln und achtsam Sein sind nur ein paar und entsprechende Bildungsarbeit haben und wenige Stichpunkte in unserer Gruppe. Was davon sich gemeinsam mit der Erd-Charta auseinander werden wir in der Zwischenzeit wohl umgesetzt ha- setzen wollen, bietet die ÖIEW eine Erd-Charta- ben? Botschafter*innen-Ausbildung an. Motiviert und voll Vorfreude blicken wir in den zweiten Teil der Erd-Charta-Ausbildung. Das Wie- Nächster Termin: dersehen ist schön, es gibt viel zu erzählen, zu la- 7. bis 9. Februar und 17. bis 19. April 2020 chen und es ist fast, als hätten wir uns nicht zwei in Warburg-Germete Monate nicht gesehen. Nach einem ruhigen Frei- tagabend geht es für uns zukünftige Botschaf- Weitere Informationen unter erdcharta.de
Die Erd-Charta-Seiten Earth Charter Education Conference 2019 Internationale Konferenz über Bildung, die Erd-Charta und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung aus sozialen, ökologischen und staatlichen Blick- winkeln, um verschiedenste Umweltprobleme zu bekämpfen. Ein Kritikpunkt unserer Zeit ist, dass wir zwar oft über Menschenrechte sprechen, aber letztendlich dann wenig aktiv umsetzen. Nicht viele Menschen sind bereit, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und dieses zugunsten ei- ner besseren Welt zu ändern. Ein Beispiel dafür ist der CO2-Fußabdruck der Modebranche, der sich im Meer und in der Atmosphäre zeigt. Tatsächlich ist die Modebranche nach der Erdölindustrie der zweitgrößte Umweltverschmutzer der Welt. Den- noch folgen viele Menschen nach wie vor jedem modischen „Trend“ und fördern somit eine um- weltschadende Wegwerfindustrie. Wenn wir an Umweltverschmutzung denken, denken wir eher an Faktoren wie Kohlekraftwerke oder Flugzeugreisen. Wir vergessen dabei jedoch unseren enormen CO2-Fußabdruck, der aus all- täglichen Handlungen wie dem Kaufen von Klei- dung hervorgeht: Die Pestizide, die im Baumwol- Ein gerechtes und zukunftsorientiertes Bildungssystem ist einer von 17 Schlüsselbereichen lanbau verwendet werden; die giftigen Farbstoffe der Agenda 2030. Grafik: UN für das Färben der Kleidung; die vielen ausrangier- Vom 29.-31. Januar 2019 fand im Earth Charter ten Kleidungsstücke, die zwar noch vollkommen in Center an der University for Peace, Costa Rica, Ordnung, jedoch nicht mehr „in“ sind. Ebenfalls die Earth Charter Konferenz 2019 statt. Dutzende vergessen wir oft die extravaganten Mengen natür- Teilnehmer*innen aus aller Welt trafen sich für drei licher Ressourcen, die beim Anbau und der Ernte Tage, um im Rahmen von Workshops, Vorträgen von Rohstoffen wie Baumwolle verwendet werden, und anderen Aktivitäten die Earth Charta in ver- sowie bei deren Weiterverarbeitung für das Herstel- schiedenen pädagogischen Kontexten zu diskutie- len von Kleidung. Auch der Versand und eine durch ren und gemeinsam Visionen für eine zukunftsori- das Online-Shopping geförderte hohe Anzahl an entiere Bildungsarbeit zu schaffen. Retouren haben einen ngeativen Umwelteinfluss. Rechte und Verantwortungen Die Rolle der Bildung Auf der Konferenz wurde einerseits über Rechte Im Hinblick auf die Agenda 2030 ist 2019 das Jahr gesprochen, zu denen alle Menschen Zugang ha- der Bildung, in dem sich das Hochrangige Politische ben sollten. Andererseits jedoch auch über die Ver- Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten antwortung, welche wir als Individuen auf diesem Nationen verstärkt auf die Fortschritte und Erfül- Planeten hinsichtlich unseres Handelns haben – lung des vierten Nachhaltigkeitszieles konzentriert.
16 / 17 Während der Konferenz wurde die Aufmerksam- Nachhaltige Entwicklung keit auf die Notwendigkeit gelenkt, die Terminolo- und starke Partnerschaften gie der Bildung zu überdenken. Es wurde diskutiert, dass Bildung ein lebenslanger Lernprozess sei, also Eine starke Partnerschaft ist heute mehr denn je nicht nur etwas Temporäres oder etwas, zu dem wir erforderlich, da eine nachhaltige Entwicklung nur an Bildungseinrichtungen Zugang haben. Bildung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, so- kann ohne Altersbeschränkung auf verschiedenen zialen und ökologischen Entwicklung möglich ist. Plattformen in unterschiedlichen Formen für je- Nur wenn alle Sektoren ihren Beitrag dazu leisten, dermann angeboten werden. Dies ist wichtig, um bringt uns dies auch in unserer menschlichen Ent- hervorzuheben, dass wir alle voneinander lernen wicklung voran. Dies ist für uns alle, als eine große, können, indem wir akzeptieren, dass wir alle Schü- auf diesem Planeten vereinte Familie, dringender ler und Lehrer in einem bestimmten Bereich sind. denn je. Daher ist die Forderung nach Menschen- Solche Plattformen aktivieren unsere Lernbereit- rechten keine Antwort an sich, sondern wir müs- schaft und verbessern unsere Leistungen in Rich- sen auch tatsächlich Verantwortung übernehmen, tung Nachhaltigkeit. um das Recht allen zugänglich zu machen. Die Zukunft liegt in unseren Herzen, Köpfen und Händen Nachhaltigkeit „Die Zukunft liegt in unseren Herzen, Köpfen und Händen.“ Dies wurde während der Konferenz be- tont und ich stimme dem voll und ganz zu. Wissen ist wertlos, bis es genutzt wird, um eine positive Wirkung zu erzielen. Warten wir nicht darauf, dass Bildung Werte ein Held auftaucht und die Menschheit und diesen Planeten rettet. Wir alle haben die Supermächte, um unser Leben auf diesem Planeten zu verbessern und wir können immer von jedem Ort aus begin- nen. Lasst uns hier und heute beginnen. Nachhaltige und gerechte Bildungsarbeit erfordert ganzheitliches Denken. Grafik: Ann-Kathrin Görisch, in Anlehnung an die Earth Charter Initiative. bit.ly/2XDGQSu Yumiko Takano Die Agenda 2030 in Deutschland Mit der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie Anfang 2017 erläutert die Bundesregierung, wie die Ziele für Nachhaltige Entwicklung konkret in Deutschland umgesetzt werden sollen. Zu diesem Zweck wurden 63 konkrete Ziele beschlossen, die die 17 globalen Ziele ergänzen. Der komplette Bericht kann hier heruntergeladen werden: www.bundesregierung.de Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hält über aktuelle Entwicklungen informiert, berichtet über Veranstaltungen und Initiativen im Zusammenhang mit der Agenda 2030 und gibt Tipps, wie man als Privatperson zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele beitragen kann: www.17ziele.de
Die Erd-Charta-Seiten Bildung macht Zukunft! Aber welche, wie und mit wem? Im Rahmen der Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“ diskutiert Annika Thalheimer mit 300 anderen Teilnehmer*innen über (zukunfts-)gerechte Bildungsarbeit, soziale Blasen und Diversität. Sie verlässt das Wochenende mit gemischten Gefühlen. Teilnehmer*innen der Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ solidarisieren sich mit „Fridays for Future“. Foto: Pressefoto der Veranstalter*innen Bei der Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“ traf spontane Besuch und Input von Kassler Fridays for ich im Februar auf 300 Lehrer*innen, Multiplika- Future-Aktivist*innen am Freitag morgen. tor*innen und Wissenschaftler*innen. Sie kamen aus verschiedenen Bildungsrichtungen: politische Wie erreichen wir „die Welt da draußen“? Bildung, Globales Lernen und Bildung für Nach- haltige Entwicklung. In vielen Workshops, aber Immer wieder kamen wir zur Erkenntnis: Wir be- auch beim Theaterabend oder Fahrradkino, in Po- finden uns in einer Blase. Wir wollen sie verlassen. diumsdiskussionen und Impulsvorträgen waren Doch wie piksen wir sie auf? wir eingeladen, unsere Arbeit zu reflektieren und Wie kommen wir in den Austausch? Auf Augen- weiterzuentwickeln. Besonders spannend war der höhe! Mit Menschen anderen Alters, anderer Kul-
18 / 19 turen, anderer sozialer Herkunft, anderer Weltregi- es, dass die Tochter ihrem Vater zuhört, während onen. Wie kommen wir in den Dialog mit Menschen sie für die Mutter einen Geburtstagskuchen backt, mit Behinderung? Wir wollen Diversität und schot- auch wenn sie gerade ganz viel anderes zu tun hat? ten uns gleichzeitig durch unsere Sprache ab. Wir Würde es ein Sohn ebenso tun? Das Mit-Mach- treffen uns an einer Universität. Auch das ist ab- Stück sprach die Teilnehmer*innen und Zuschau- schreckend. Wie erreichen wir „die Welt da drau- er*innen an und erreicht sie auf einer tieferen, ßen“? emotionalen Ebene. Es regte dazu an, sich zu po- Mit all diesen Gedanken machen wir ein Wir und sitionieren und neue Ansätze kennenzulernen. Es ein Ihr auf. Wir unterscheiden uns voneinander und lehrte mich einmal mehr, dass wir offen sein sollten, bauen dabei Hierarchien auf. Wer unterrichtet wen andere Perspektiven anzuhören, verstehen zu wol- und wie? len und womöglich von unserem Standpunkt ab- Während der Konferenz taten sich immer neue weichen. Wenngleich wir dazu innere Widerstände und alte Fragen auf. Einfache Antworten habe ich überwinden müssen. nicht gefunden. Ein paar Inspirationen habe ich Anregend war auch der Klassismus-Workshop, aber dennoch mitgenommen. Manches war mir be- ein Workshop, in dem wir uns mit der Diskriminie- reits bekannt, aber es war gut, nochmal neu drauf- rung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozi- zuschaun. Auch zur Frage, wie wir die Blase auf- alen Position auseinandersetzten. Dort diskutierten piksen können, habe ich Anregungen gefunden: wir, ob das Elternpaar aus Neu-Köln ihr Kind in den Zum einen sollten wir Begriffe verwenden, die die Kindergarten ums Eck geben sollte, wo die meisten Menschen, die wir erreichen wollen, verstehen und Kinder aus schwierigen Verhältnissen und dem Ar- attraktiv finden. Zum anderen sollten wir sie dort beiter-Milieu kommen oder, ob der Waldkindergar- abholen wo sie stehen und wo sie leben. Und wir ten in Prenzlauer Berg doch besser ist, auch wenn sollten sie in Projekte einbinden. Von Projektbe- es einen weiten Weg bedeutet. Welche Folgen hat ginn an. es für die Entwicklung und Chancen des Kindes? Wenn wir Bildungsarbeit machen, sollten wir die Die Entscheidung ist uns als Gruppe nicht leicht- Menschen ernst nehmen, mit denen wir arbeiten. gefallen. Ich frage mich; sollten wir als Gesellschaft Wir sollten auch mal anderer Meinung sein können nicht damit aufhören, Kinder von Anfang an zu se- und Komplexität zulassen. Es geht nicht darum, parieren? dass ich selbst als Lehrende neutral bin. Ich darf Nach der Konferenz war ich geschafft und ent- meine Meinung haben und äußern, solange ich sie täuscht. Ich hatte mir mehr praktische Inspirati- als solche offenlege. Wir sollten einen Raum schaf- on erhofft. Stattdessen verlasse ich den Kassler fen, wo Unwissen und Unsicherheiten gezeigt wer- Uni-Campus mit vielen neuen Fragen und irritiert. den können. Gefühlen sollten wir Achtung schen- So viele Menschen kamen zusammen, um die Ur- ken. In der Arbeit sollten wir dazu einladen, ins sachen aktueller Krisen anzugehen und gemeinsam Spüren zu kommen. Und dann muss es auch okay Wege der politischen Zukunftsgestaltung durch Bil- sein, mal keinen Bock zu haben. dungsarbeit zu finden. Aber wie machen wir das? Die Veranstalter veröffentlichten Ende Mai ein Po- Eigene Überzeugungen hinterfragen durch sitionspapier und planen einen Sammelband. Auch Mit-Mach-Theater weitere Vernetzungstreffen sind geplant. Ich bin gespannt: Bildung macht Zukunft! Aber welche, Das interaktive Forum-Theaterstück am Samstag- wie und mit wem? abend war nicht nur unterhaltsam, sondern auch Annika Thalheimer fordernd. Währenddessen und im Anschluss gab es rege Diskussionen zur Gerechtigkeit zwischen Weitere Informationen zur Veranstaltung: Männern und Frauen. Wie selbstverständlich ist www.bildung-macht-zukunft.de
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