Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt

Die Seite wird erstellt Denise Gerber
 
WEITER LESEN
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
initiativ
              juli 2019
              rundbrief 155

Bildung, neu gedacht
„Hey, Teacher, leave us kids alone – All in all you‘re just another brick in the wall!“,
sangen Pink Floyd vor vierzig Jahren in ihrer Anklage an das britische Schulsys-
tem. Die Gewalt und die Gedankenkontrolle, die der Song anprangert, sind
zum Glück weitgehend aus den Klassenzimmern verschwunden. Und doch ist
besonders das deutsche Schulsystem von angestaubten Tugenden geprägt: Für
die meisten Schüler*innen besteht der Alltag aus Sitzen, Auswendiglernen und
Wissen-Aufsagen. An praktischer Erfahrung mangelt es ihnen, im Schulalltag
verkümmert ihre kindliche Neugierde.
Die Handlungspädagogik eröffnet die Chance, das zu ändern. Auf Lern-Bau-
ernhöfen kommen Kinder und Jugendliche in Kontakt mit ihrer Umgebung. Da-
bei machen sie sich nicht nur die Hände schmutzig – sondern auch Gedanken
über eine zukunftsfähige und gerechte Welt. Wie sich die Bildung für die Große
Transformation auch selbst verändert, lesen Sie in unserem Blickpunkt!
Diese Ausgabe verkündet außerdem Neuigkeiten in eigener Sache: Anja Be-
ckers Abschied aus der ÖIEW und einen Wechsel in der Redaktionsleitung. Die
Zeichen stehen also, wieder, auf Veränderung. Wir sind gespannt – Sie auch?

Ihre initiativ-Redaktion
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik

   initiativ 155
   Im Blickpunkt: Handlungspädagogik
     Schule neu denken                                                3
   Aus der Initiative
      Tief und weit                                                    9
      Rückblick, Einblick, Ausblick in die ÖIEWerkstatt               10
      Neue Redaktionsleiterin: Drei Fragen an Anni                    12
      Wer setzt sich den Hut auf? Rückblick auf die Frühjahrstagung   13
   Die Erd-Charta-Seiten
      Die Botschafter*innen Ausbildung 2019                           14
      Internationale Erd-Charta-Bildungskonferenz in Costa Rica       16
      Rückblick auf die Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“             18
      Erd-Charta-Workshop in Darmstadt                                20
      Theaterreihe „Die Zukunft wird verspielt“                       21
      Co-kreatives Lernen – wie geht das?                             22
      Chronik: Februar bis Mai 2019                                   24
      Veranstaltungshinweise                                          26
      Einladung zum Aktions-Camp: Earth Charter in Action(s)          26
      Glänzende Aussichten                                            28

      Impressum                                                       13

   Titelfoto:
   „To Flee with Glee“
   David Goehring via Flickr/ CC-Lizenz BY 2.0
   bit.ly/öiew155bildtitel
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
2/3

Schule neu denken
Handlungspädagogik ermöglicht Kindheit in geeigneten Lebensfeldern
und erneuert unsere Beziehung zur Welt
von Godehard Münzer

Ein Beet bestellen, eine Unterkunft für Insekten schaffen: Praktische Fertigkeiten bleiben auf der Strecke, wo sich das städtische Leben sich von elementaren Lebensvollzügen
entfernt. Foto: „Ryan“, „morgan and i in the garden“, via Flickr / CC-Lizenz BY-ND 2.0 – bit.ly/öiew155bild3

„Auf der Erde ist die Natur in Gefahr. Pflanzen und                     Im Zuge der Ökonomisierung und Industriali-
Tiere verlassen den Planeten, und vom Klima spre-                       sierung auch in der Landwirtschaft müssen viele
chen alle.                                                              Bauern ihre Höfe aufgeben oder sich notgedrun-
   Aber noch etwas ist in Gefahr: die Kindheit“ [1c,                    gen als Spezialisten den Marktbedingungen an-
13]. Und wie als Weckruf formuliert Peter Gut-                          passen. Mit dem Rückgang familienbetriebener
tenhöfer an anderer Stelle: „Wenn die Landschaft                        Höfe schwindet für die Gesellschaft der Zugang
von den Bauern verlassen wird, versiegt ihre Le-                        zu elementaren Lebensvollzügen, der Raum, in Le-
bendigkeit – so wie die Lebenslust in der Schule                        bensvollzügen den Umgang mit dem Boden, mit
versiegt, wenn Liebe und Phantasie das Klassen-                         Pflanzen und den Tieren zu pflegen [1a, 1f]. Eine
zimmer verlassen“ [1b, 9]. Der Blick geht in zwei                       generationenversetzt erdumspannende Entwick-
Richtungen: Im Landbau verödete Landschaften,                           lung, die dazu führt, dass „immer weniger Men-
Weiden und Wälder, Elend auch in der Tierhal-                           schen fähig, willens oder überhaupt in der Lage
tung; im Bildungsbetrieb die Abkoppelung vom                            sind, in Landwirtschaft und Gartenbau zu arbei-
Handlungswissen, das die Grundlagen des mensch-                         ten“ [1b; 9]. Historisch lässt sich nachvollziehen,
lichen Daseins schafft. Will man vom ‚Nieder-                           wie die ‚ursprünglichen Kulturtechniken‘, d.h. die
gang der Landwirtschaft‘ (Guttenhöfer) sprechen,                        Kultivierung des Menschen wechselwirkend mit der
dann nicht etwa, weil die zunehmend agrar-indus-                        Kultivierung der Erde, parallel zur Abwendung vom
triellen Betriebe keine Lebensmittel mehr bereit-                       Landbau neu begriffen wurden: Lesen, Schreiben
stellen, sondern weil derartige Betriebe kein Le-                       und Rechnen, das sind die ‚zivilisatorischen Kultur-
bensmittelpunkt mehr sein können [ebd.]. Ein                            techniken‘ für eine „höhere Bildung“ [2c, 83f]. Auf
Strukturwandel, den viele gar nicht wahrnehmen:                         Seiten der vom Landbau emanzipierten „Bildungs-
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik

                                                                                             und damit unnachahmbar bleiben“ [2d, 94]. Kin-
                                                                                             der bewegen sich zunehmend in einem künstlichen
                                                                                             Milieu, das „tendenziell immer weniger in Zusam-
                                                                                             menhang mit der realen Lebensumgebung steht“
                                                                                             [ebd.]. Folge des Mangels an tätiger Handlung wie
                                                                                             auch der Vernachlässigung körpernaher Sinnesbetä-
                                                                                             tigung sind Guttenhöfer zufolge, dass „im Wesent-
                                                                                             lichen die Gliedmaßen- und Sinnestätigkeit und da-
                                                                                             mit die Regungen des kindlichen Willens“ gehemmt
                                                                                             werden [ebd.]. Wenn sich die Erfahrungsarmut und
                                                                                             „die Beschneidung der gesamten Lebensaktivität
                                                                                             des Kindes“ in die Schule hinein fortsetzt, so droht
                                                                                             auch hier, dass Schüler keine ‚echten Kompetenzen‘
                                                                                             mehr erwerben oder gar eine ‚Verödung der Seelen‘
                                                                                             im Schulbetrieb [1b, 9]. Die Zeit drängt: „Lasst uns
                                                                                             das Nötigste für die Erhaltung der Kindheit tun!
„Das pflügende Klassenzimmer“ beschreibt eine Kombination aus gemeinschaftsgetragener
Landwirtschaft und kindgerechtem Lernort. Foto: U.S. Department of Agriculture, „20120419_   Schenken wir unseren Kindern wenigstens 10 Jahre
FLearthday_005“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/öiew155bild2
                                                                                             Kindheit“ [1c, 13]. Guttenhöfer setzt seine Impulse
                                bürger“ hat sich indes das „Kulturleben“ in den              auf pädagogischem Terrain. „‘Schule‘ muss neu ge-
                                Städten „losgelöst vom grundlegenden praktischen             dacht werden“ [ebd.]! In der Brücke von Pädago-
                                Leben“ [2d, 94].                                             gik und Landbau erhält der angestrebte Aufbruch
                                                                                             ein erdenrelevantes Gewicht. Es gilt, kulturerneu-
                                       Wer kommt heute noch in Kontakt                       ernde Impulse zu setzten, die in beiderlei Richtung
                                   mit Wind und Wetter, Wasser und Matsch,                   – für den Menschen und für die Erde zugleich heil-
                                           mit Pflanzen und Tieren?                          sam wirken.

                                Was sich historisch gesellschaftlich vollzogen hat                Das pflügende Klassenzimmer schafft
                                und weiter vollzieht, prägt millionenfach individu-            körperliches Erlebnis und Daseinssicherheit
                                elle Biographien. Die Kinder, die heute in einer zi-
                                vilisatorischen Kultur heranwachsen, kommen im-              Die Not in den scheinbar unterschiedlichen Schau-
                                mer weniger mit den elementaren Lebensvollzügen              plätzen Landwirtschaft und Schule zeigt sich als
                                in Berührung. Denn im Umfeld der Stadtmenschen               „zwei verschiedene Erscheinungsweisen ein und
                                schwinden die Möglichkeiten, mit den elementaren             desselben Prozesses [...]“: die ‚Degeneration der
                                Dingen in einer natürlichen Umgebung in Berüh-               Kindheits- und Jugendkräfte‘, d.h. der ‚Lebenskräf-
                                rung zu kommen. „Mit Wind und Wetter, mit Was-               te der Erde‘ [1b, 9]. Die Jugendkräfte der Erde zu
                                ser und Matsch, mit den Pflanzen und den Tieren,             erneuern, ist für Guttenhöfer eine dringliche sozi-
                                mit Holz, Metall und Stein. Die einst das Familien-          al-kulturelle Aufgabe: die Beheimatung der Kinder
                                leben bestimmenden hauswirtschaftlichen Tätig-               in ihrem Leib „an der Erfahrung der eigenen Leib-
                                keiten, die das Kind zunächst im Spiel nachahmen             lichkeit in (…) irdisch-sinnlichen Umgebungen“
                                […] konnte und an denen es sich später spielend-ar-          [1d, 20]. Ziel ist es, „eine fundamentale Daseins-
                                beitend zu beteiligen hatte, sind hochgradig redu-           sicherheit, gegründet auf einem wachen Selbster-
                                ziert; die meisten Arbeitsgänge sind mechanisiert            lebnis im eigenen Körper“ wieder herzustellen [2d,
                                und elektrifiziert, sodass die physikalische Funkti-         95]. Üben – das ist die Aktivität, die den Menschen
                                on der Gerätschaften kaum mehr augenscheinlich               von Kindesbeinen an ganz ohne „äußeren Lehrplan“
                                sind und der kindlichen Wahrnehmung verborgen                durch sein Leben begleitet [2c, 80]. Im „ein“-üben
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
4/5

verleibt sich der Mensch die Gesetze seiner Umwelt
ein [ebd.]. „Je mehr der Mensch so an seiner Um-
welt arbeitet, sie gestaltet und formt, und sich darin
erkennt, umso mehr ist diese um ihn herum beste-
hende Welt seine Innenwelt. Die Welt da draußen
wird für den Tatmenschen „tatsächlich“ seine und
damit nur eine“ [2c, 81].
   Das sind menschenbildliche Grundlagen für eine
Pädagogik, welche ihre Initiatoren Tobias Hartke-
meyer, Dr. Peter Guttenhöfer und Manfred Schulze
als ‚Handlungspädagogik‘ in ihrem Buch ‚Das pflü-
gende Klassenzimmer‘ als Synthese aus gemein-
schaftsgetragener Landwirtschaft und kindgerech-
tem Lernort begründen [2]. Manfred Schulze hat
mit ‚Hof Hauser‘ eine Einrichtung für Jugendhil-
fe aufgebaut und weiß um „die individuelle Moral
als tragende Kraft“ in vielen heilpädagogischen Ein-     Entdeckung des Selbst in Stroh und Schmutz: Je mehr der Mensch an seiner Umwelt arbeitet, umso
richtungen und Lebensgemeinschaften [2c. 78f].           mehr ist diese um ihn herum bestehende Welt seine Innenwelt.
                                                         Foto: foundin_a_attic, „Lackham School of Agriculture“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/öiew155bild1
Für ihn kann der Mensch seine Sozialität erst in der
Arbeit für andere Menschen ausbilden. „Leiblich-         nen Kraftquelle für das weitere Leben sein wird
keit und Sozialität hängen direkt miteinander zu-        [2d, 99]? Mit der Forderung „Nicht pädagogisie-
sammen [...]“, denn „sozial bedeutet immer, den          ren, sondern kohärente Lebens- und Arbeitsfelder
leiblich bedingten Mangel des einen Menschen             gestalten“ weist Guttenhöfer auf den anstehenden
durch die Tat des anderen zu lindern oder zu be-         Paradigmenwechsel in der Pädagogik hin [4, 20].
heben“ [ebd.]. Daher muss es gerade heute darum             Parallel zum Paradigmenwechsel in der Pädagogik
gehen, „dass neben den schon in der Heilpädago-          kann sich dank der Solidarisierung mit den Bauern
gik und Sozialtherapie bestehenden Gemeinschaf-          und ihren Höfen für die Landwirtschaft eine ‚koper-
ten genügend neue Orte und Körperschaften ent-           nikanische Wende‘ von ähnlicher Tragweite vollzie-
stehen, die die Weiterentwicklung der Pädagogik          hen: denn gemeinschaftsgetragene Höfe sind nicht
und der Wirtschaft auf [...] dienende Kreativität        mehr „von ökonomischen Zwängen getriebene Tra-
und wirkliche gegenseitige Achtsamkeit und Brü-          banten“, sondern sie werden zu „getragenen Son-
derlichkeit stellen können [ebd.].“                      nen“; der Hof und jene, die das Land fruchtbar
                                                         machen, werden zum Mittelpunkt für die Solidar-
       Gemeinschaftshöfe und Schulen                     gemeinschaft [1d, 23f]. Neu ist die Idee, Landbau
        wachsen zusammen – für eine                      und Schule zu vereinen, und die so impulsierten so-
   handlungspädagogische Menschenbildung                 lidarischen Höfe zu Schulungsorten für eine hand-
                                                         lungspädagogisch motivierte ‚Menschenbildung‘
Dr. Guttenhöfer, Mitbegründer des Lehrersemi-            (Guttenhöfer) umzugestalten. Dabei kann man an
nars Kassel, fragt, welche Art von ‚Schulung‘ Kin-       die europäische Geistesgeschichte anknüpfen. Von
der vor der Beschneidung ihrer Lebensaktivität und       Goethe stammt der Begriff der ‚Pädagogischen
vor dem Verlust ihres Kohärenzerlebens bewahren          Provinz‘, ausgeführt in seinem Bildungsroman
kann [2d, 96f]. Was ist nötig, damit Kinder in den       ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre‘. Für Guttenhöfer
sieben Jahren zwischen ihrem vierten und elften          ist das ein ‚Urbild von Menschenerziehung‘: „Das
Lebensjahr ihre individuelle biologische, seelische      Arbeiten an der Erde ist mit Musik verwoben, Ar-
und geistige Gesundheit aufbauen können, die ih-         beit und Spiel vereint, Kunst und Natur versöhnt“
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik

                                                                                                        Wo sich in gemeinschaftsgetragenen Lebensorten
                                                                                                        „viele Menschen in der Arbeit an der Erde und den
                                                                                                        damit verbundenen Handwerken versammelt ha-
                                                                                                        ben“, dort keimt auch Grund zur Hoffnung: Denn
                                                                                                        mit dem Entstehen von Handlungsspielräumen mit
                                                                                                        den geeigneten Orten und Körperschaften, ermög-
                                                                                                        lichen wir schon kulturerneuernde Impulse. Für
                                                                                                        Schulze sind das ‚Heilimpulse‘, die darin beste-
                                                                                                        hen, zivil-gesellschaftlich „Lebens- und Arbeitsräu-
                                                                                                        me zu schaffen, in denen Menschen an der Arbeit
                                                                                                        für Menschen ihre zentrale menschliche Aufgabe
                                                                                                        ergreifen“ [2c, 78]. Impulse solcher Art wirken in
                                                                                                        beiderlei Richtung – für die menschliche Sozialität
                                                                                                        und für die Erde zugleich heilsam. „Eine Verstär-
                                                                                                        kung und Verjüngung der lernenden Gemeinschaf-
                                                                                                        ten durch die Wiederaufnahme der Kulturarbeit an
Wo sich Menschen in der Arbeit an der Erde versammeln, dort keimt der Grund zur Hoffnung.
Foto: „woodleywonderworks“, „your hands will get dirty here“, via Flickr / CC-Lizenz BY 2.0 – bit.ly/   den Naturreichen“ wäre dann, so Schulz, „mit Hän-
öiew155bild4
                                                                                                        den zu greifen [2d, 92].“
                                   [2c, 103]. Doch erst in unserer Zeit könnte Goe-
                                   thes Vision neu aufleben und in eine zeitgemäße,                                   Schule neu denken
                                   lebendige Praxis münden [2]. Tobias Hartkemeyer,                               – Konturen eines Aufbruchs
                                   Mitbegründer des CSA-Hofes Pente (CSA, engl.:
                                   Community Supported Agriculture / solidarische                       Wie kann sich die Annäherung von Höfen und
                                   Landwirtschaft) bescheinigt gemeinschaftsgetra-                      Schulen vollziehen? Ausgangspunkt kann ein ge-
                                   genen Höfen „das Potential, an Goethes Bildung-                      meinschaftsgetragener Hof sein: der Bauer der
                                   sideal anzuschließen und es für die Herausforde-                     mit seiner Familie dort wohnt sowie die zugehö-
                                   rungen der Gegenwart fruchtbar werden zu lassen“                     rige Solidar-Gemeinschaft, die mit ihren Beiträgen
                                   [2b, 32]. Der gemeinschaftsgetragene CSA-Hof                         das Jahres-Budget zur Hofhaltung samt den ver-
                                   Pente wurde im Verlauf eines Pilotprojektes in der                   einsinternen Kosten zur Organisation und Vertei-
                                   Dekade für ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘                     lung der Lebensmittel auf die Depots hin zu den
                                   (BNE, 2005-2015) zu einem handlungspädago-                           Mitgliedern abdeckt. Der Hof selbst sollte idealer-
                                   gischen Erfahrungsraum. Die Erfahrungen aus viel-                    weise mit allen seinen Handlungsschauplätzen ein
                                   seitiger Perspektive in diesem preisgekrönten Pro-                   Anziehungspunkt für die Gemeinschaft sein. Von
                                   jekt sind im Handbuch über ‚Handlungspädagogik                       hier aus plant man Projekte, in denen die Mitarbeit
                                   und Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft‘ be-                       gemeinschaftlich organisiert ist. Zyklisch im Jahr
                                   schrieben und verarbeitet [2].                                       oder nach Abschnitten gemeinsamen Umsetzens
                                                                                                        sollte es auch Zeiten zum Feiern geben – verbun-
                                       Die Zeit ist reif, um Heilimpulse zu setzen                      den auch mit einer Rückschau und Würdigung des
                                                                                                        gemeinsam Erreichten. Ein Zyklus von Anvisieren
                                   Die Zeit scheint reif: auf pädagogischer Seite, der                  neuer Ziele, Planung und gemeinschaftlich orga-
                                   Wunsch, „Pädagogik auf wirkliche Lebensvollzüge                      nisierter Umsetzung. Auch das gemeinsame Träu-
                                   zu orientieren“ könnte zusammenkommen mit ge-                        men darf in Gemeinschaften nicht fehlen. Mit dem
                                   meinschaftsgetragenen Höfen und ihrem Impuls,                        Äußern von Träumen und Bedürfnissen in einer le-
                                   „die Bereitstellung von Lebensmitteln nicht mehr                     bendigen Gemeinschaft. Guttenhöfers Zukunfts-
                                   den Marktmechanismen [zu] unterstellen“ [2d, 78].                    traum ist „eine Kulturwerkstatt, in der Land-
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
6/7

wirt(in), Handwerker(in) und Hauswirtschaf-             öffnen [2c, 89].“ Seitens der Schulen würde der Weg
ter(in) gemeinsam danach streben, die Kindheits-        der Annäherung an solche Bauernhöfe beinhalten,
kräfte des Menschen und der Erde zu hüten, und          dass sie „ihre Stundenpläne aufgeben und statt aus-
dadurch zu Erziehern der Kinder werden zu kön-          gedachter Projekte behutsam in die Arbeitsströ-
nen“ [2d, 103]. Eine „Bauernhofschule“ so nennt         me der Bauernhöfe „einsteigen“ (…) [2c, 92].“ Die
er diesen Lernort, sollte sich aus der Phantasiekraft   heilsame Folge: Menschen, Kinder und Erwachse-
und aus der Initiative von Menschen in einer be-        ne, „gewinnen (…) in der Arbeit oder im Anschluss
stehenden Hof-Gemeinschaft heraus entwickeln.           an Arbeitsströme wieder einen gesättigten und
Bauernhofschulen – Orte, in denen die Kinder ein-       handlungsfähigen Wirklichkeitsbegriff“ [2c, 89f].
tauchen können in eine gemeinschaftsstiftende erd-        Von welcher Seite der Anfangsimpuls auch aus-
verbundene Aufgabe.                                     gehen mag – Guttenhöfers ‚Entwurf eines hand-
                                                        lungspädagogischen Bildungsweges‘ wird einer Ge-
             Von der ‚Sitzschule‘                       meinschaft auch bei der Planung Impulse geben,
          zum reichhaltigen Lernraum                    „wie die Selbsterziehung des Kindes in den Le-
                                                        bens- und Arbeitszusammenhängen eines Bauern-
Als Norm für eine Bildungskultur, die ja vor allem      hofes organisiert werden kann“ [2d, 99f]. Es ist ein
in den Städten entstanden ist, kann das Modell          Weg der Umgestaltung bzw. der Einbeziehung ei-
Bauernhofschule nicht dienen. Vielmehr sieht auch       ner möglichst vollständigen pädagogischen Umge-
Guttenhöfer die von ihm intendierten Lernorte an        bung in einen landwirtschaftlichen Betrieb. Ein so-
Höfen als „Keime für völlig neue Erziehungsumge-        zialer Prozess, für den Guttenhöfer rät, dass sich
bungen“ [1b, 19]. Orte an denen „Schule“ neu ge-        hierbei Pädagogen und die betriebsleitenden Bau-
dacht wird, an denen ein Spiel- und Handlungsraum       ern gleichermaßen beteiligen [2d, 100]. Grundsätz-
geboten wird, der für Kinder ein reichhaltiger Lern-    lich erfordert Handlungspädagogik vom erwachse-
raum und auch Lebensmittelpunkt werden kann.            nen Begleiter einen ‚Selbsterziehungsweg‘. Denn in
  Doch auch an bestehenden Schulen könnte eine          der Doppelaufgabe „landwirtschaftliche Arbeit zu
Wandlung eintreten dahingehend, sich einem Bau-
ernhof und ihrer Hofgmeinschaft anzunähern. Dies
im Bewusstsein der immer häufiger vorkommenden
Kinder, die in der Gefahr sind, durch ‚staatlich ver-
ordnete Sitzschule‘ Schaden zu nehmen. Diese Kin-
der – und nicht nur sie – könnten „in schul- und
stuhlfreien Umgebungen ihren Ort und ihre Ge-
schwindigkeit und ihre Distanz und ihr Lern- und
Arbeitsthema finden (…). In einer wachsenden Zu-
sammenarbeit der Kindergärten und Schulen mit
ökologisch wirtschaftenden Höfen [läge damit]
ein starker Sozialimpuls“ [2c, 91]. Zunächst ste-
hen damit noch nicht Neubegründungen von ‚Bau-
ernhofschulen‘ im Vordergrund – die so andersar-
tigen Sozialgebilde werden ja hierzulande bislang
noch nicht als Ersatzschulen anerkannt – sondern
es kommt zunächst darauf an, dass „Bauern [und
in CSA-Höfen die dazugehörigen Solidargemein-
schaften; Anm. d. Autors] sich den pädagogischen        Wo leben eigentlich Honigbienen? Die Handlungspädagogik weist den Weg von der staatlich
                                                        verordneten Sitzschule zum praktisch orientierten Lernort.
und heilpädagogischen Institutionen gegenüber           Foto: Mit freundlicher Genehmigung von
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
Im Blickpunkt: Handlungspädagogik

            tun und die Aufmerksamkeit auf dieses Tun ständig       Godehard Münzer ist Lehrer
            zu teilen mit der Wachheit für die Bedürfnisse der      für Mathematik und Physik in der
            Kinder“ liegt eine wesentliche Anforderung im Zu-       Sekundarstufe I und II.
            sammensein mit Kindern bei Arbeiten in Hof oder         Er ist derzeit in berufsbildenden

                                                                                                                         Foto: privat
            Acker [2d, 101].                                        Schulen u.a. für Erzieher*innen
              Tatsächlich sind bereits auf einigen gemein-          tätig. Bei seiner vorangehenden
            schaftsgetragenen Höfen Bauernhofkindergär-             Tätigkeit als Oberstufenlehrer
            ten eingerichtet worden [1d]. Insbesondere vom          an Freien Waldorfschulen und
            CSA-Hof Pente liegen Erfahrungsberichte vor [2].        Fortbildungen kam er in der Camphillgemeinschaft
            Es handelt sich bei diesem Schritt in die Realisie-     Lehenhof auch mit Heilpädagogik und am Schulgarten
            rung um eine Erweiterung des ganzen Hof-Orga-           der FWS Otterberg mit Gartenbau in Berührung.
            nismus. Der Hof wird zur Bildungseinrichtung und         – Orte, an denen sich Pädagogik und die Zuwendung
            wird als solche in der Öffentlichkeit wahrgenom-        zum Landbau verbinden.
            men. Arbeiten und Bildung unter einem Dach –            Er ist Erd-Charta-Botschafter und an seinem
            verträgt sich das? Ist es überhaupt statthaft, Kinder   Wohnort Mannheim Mitglied einer solidarischen
            aus dem Schutzraum Schule herauszuführen und            Landwirtschaft.
            in Arbeitsprozesse einzubeziehen? Welche Quali-
            täten benötigt ein Lehrer /eine Erzieherin an einer
            Bauernhofschule? Pionierarbeit sollte mit Bewusst-       Zum Weiterlesen
            seinsbildung verknüpft sein. So könnte und müsste        [1] Seminarunterlagen mit gesammelten
                                                                     Aufsätzen*:
            ein CSA-Hof mit seiner Bauernhofschule in die-
                                                                       [1a S. 1-6] Guttenhöfer, Peter: Die Tiere und
            ser Phase zum Ort eines öffentlichen Diskurses
                                                                       die Pflanzen mitnehmen
            werden. Vorträge und abendliche ‚Kollegs‘ wie am           [1b 7-12] Guttenhöfer, Peter (2013): Aspekte
            CSA-Hof Pente, oder ein mehrjähriger Ausbil-               einer elementaren Handlungspädagogik
            dungsgang, der interessierte Pädagogen und Vertre-         [1c 13-19] Guttenhöfer, Peter: Rettung der
            ter einschlägiger Handwerksberufe vereinigt, wie er        Kindheit – Memorandum für elementare
                                                                       Handlungspädagogik
            am Hof Hauser von Guttenhöfer und Schulze mitt-
                                                                       [1d 20-24] Guttenhöfer, Peter: Verwandlung
            lerweile angeboten wird – all das sind weitere Ent-        von Schule, erschienen in: Punkt und Kreis
            wicklungen, die in der Gesellschaft ihre Kreise zie-       [1e 23-26] Von der Gathen: Die Weltenrettung
            hen [3; 4]. Auch wenn sie nur wenige der Städter           ist in vollem Gange, veröffentlicht in: Das
            in die ländliche pädagogische Provinz herauslocken         Goetheanum
            kann – sie kann doch Handlungspädagogik hinein-            [1f 27- 42] Guttenhöfer, Peter: Soltane und
            tragen belebend in das kulturelle Leben der Städte.        Pädagogische Provinz Erziehungsweisheit bei
                                                                       Wolfram und Goethe.
                                                                     * Die Aufsätze gehören zu Unterlagen eines
                                                                     Seminars im Frühjahr 2016 an der Akademie für
                                                                     Waldorfpädagogik Mannheim
  Kurz vor der Drucklegung dieses Heftes erreichte uns               [2a] T. Hartkemeyer: Der Gemeinschafts-
      die traurige Nachricht, dass Rüdiger Schloz                    getragene Hof als Handlungspädagogische
              am 11. Juni 2019 verstorben ist.                       Provinz
                                                                     [2b] T. Hartkemeyer: Erfahrungsberichte aus der
                                                                     Praxis. Vom CSA Hof Pente
Eine Würdigung dieses Mitbegründers und „Urgesteins“ der
    ÖIEW erfolgt in der nächsten Ausgabe des initiativ.              [2c] M. Schulze: Handlungspädagogik –
                                                                     Sozialität und Leiblichkeit oder Wie wird das
                      Die Redaktion
                                                                     Gemeinwesen gesund?
                                                                     [2d] P. Guttenhöfer: Entwurf eines
                                                                     handlungspädagogischen Bildungswegs
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
8/9

Tief und weit
Austausch im initiativ

In der Reihe „Tief und weit“ führen wir den Austausch   funden, um mich „tief und weit“ mit dem LEBEN, mit
zu den Zusammenhängen von Spiritualität und En-         andern, mit meiner eigenen Geschichte zu verbinden?
gagement weiter: Was macht meine Spiritualität aus?     Was hat mich zum Engagement für Frieden, Gerechtig-
Wie schöpfe ich Kraft, Hoffnung, Vertrauen in ei-       keit und der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen ge-
ner verrückten Welt voller Konflikte, Ungerechtig-      führt?
keiten, Kriege und Notwendigkeiten der Transforma-      Bernhard Möller lebt in Krefeld und ist ein
tion? Aber auch voller Schönheiten, Berührungen,        langjähriges ÖIEW-Mitglied sowie Redakteur
heilsamer Begegnungen. Welche Wege habe ich ge-         des initiativ.
                                                                                                              Foto: privat

Schule des Lebens, damals 1962: einen Lebenslauf        20 Jahren Menschenrechtsarbeit – kollegiale Nach-
schreiben können. Mein Berufsziel sei mir noch un-      hilfe in Planungsrecht – handwerkliche Unterstüt-
klar, schrieb ich. Immer noch? fragte die Deutsch-      zung bei zwei linken Händen – erleben, wie ein
lehrerin. Die Krise kam später, nach dem Theolo-        psychisch Kranker sich mit Malen Kontakte erhält
giestudium. Auf was kann ich bauen auf dem Weg          – Humor und Situationskomik – als Kassenprüfer
in den Beruf und durch‘s Leben? Was ist sicher, was     aufhören, dennoch die Kassiererin in längerer Er-
kann mir nicht genommen werden? Was als Glau-           krankung begleiten – Genügt der eine Tag pro Wo-
benskrise daher kam, war wohl eher eine Krise des       che bei der pflegebedürftigen Schwiegermutter? –
Erwachsenwerdens.                                       Die Balance mit der Partnerin nicht verlieren. Auch
  Mir blieb – mein damaliges Fazit – die Humani-        das.
tät, mag sie auch unterschiedliche Facetten haben.        Was genau trägt mich, was gehört für mich ins
Sie führte mich auch zu politischem und sozialem        Sortiment und an welche Grenzen stoße ich? In
Engagement. Ich sah Verantwortung aber einseitig,       Begegnungen und im Miteinander fühle ich mich
verlor mich selbst, bis zu dem Punkt, an dem ich        mit anderen verbunden, akzeptiert und bereichert.
mir sagte: Wenn Du jetzt nicht achtgibst, kommst        Menschen, auch junge Menschen, offen und ein-
Du unter die Räder. Ich übernahm Verantwortung          fühlsam zu erleben, macht mich optimistisch. Das
für mich selbst. Spätes Erwachsenwerden.                trägt. Getragen fühle ich mich auch durch meinen
  Holprig erfolgte mein beruflicher Start: Zwölf        Glauben. Und ich brauche Zeit, muss immer auch
Jahre Zeitverträge und Arbeitslosigkeit, bevor ich      frei werden von Aktuellem, möchte Gedanken auch
eine unbefristete Stelle hatte. Zu spät und zu spe-     ungezielt nachgehen können. Dabei stoße ich an
zielle Kenntnisse, um beruflich die Treppe hoch zu      Grenzen. Ich bin weder besonders mutig noch be-
fallen. Kein Scheitern, ich begriff den Gewinn: die     sonders konsequent. Ich kann nicht mit allen glei-
Entdeckung und Wertschätzung von Kollegialität,         chermaßen in Kontakt sein und in dem Maß, wie
einer Dimension alltäglicher Menschlichkeit. Mit-       ich mich um das Miteinander bemühe, mache ich
einander und voneinander leben. Ein Kollege for-        Kompromisse zu Lasten von Zielen. Deshalb brau-
mulierte, was ich zuvor nur gedacht hatte: „Wir le-     che ich gleichermaßen die Impulse wie die größere
ben hier auf einer Insel der Seligen.“                  Entschiedenheit anderer. Und dann ist da noch die
  Menschlichkeit bekam drei Facetten: mein Ver-         Politik, der Joker, der keiner ist, denn ihr müssen
halten im Alltag, im Brotberuf und Engagement für       wir ordentlich Beine machen. Statt sarkastisch wer-
Ziele. Miteinander leben als Dimension des Lebens       den und lamentieren, gilt es in mich zu gehen und
heißt konkret: sich zum Betriebsrat wählen lassen –     neu anzupacken. Der Menschen, der Menschlich-
Besuch beim Jugendfreund in Kolumbien und seit          keit und der Schöpfung wegen.
Initiativ juli 2019 rundbrief 155 - Ökumenische Initiative eine Welt
Aus der Initiative

               Rückblick, Einblick, Ausblick in die ÖIEWerkstatt
               „You can walk on the path                  ser Zeit: die erste länderübergreifen-    Besonders an diesem Zeitpunkt des
               Or you can walk through the hedge.         de Lehrerfortbildung zur Erd-Char-        Abschiedsnehmens ist auch, dass wir
               There’s two different ways of looking at   ta, das Lehrerhandbuch, das wir in        das vergangene ÖIEW-Jahr in der
               the world,                                 den deutschen Schulraum übertra-          Geschäftsstelle zu viert verbringen
               totaly different.                          gen haben gefolgt vom Praxishand-         konnten; mit einer Übergangs-Stelle
               That’s the beauty of art.“                 buch mit Kreativmethoden, das sehr        für Torben Flörkemeier (der nun 1.
               Andy Goldsworthy                           viel Lob erfuhr. An den Moment, als       Vorstandsvorsitzender ist). Dies er-
                                                          die Erd-Charta als Ethik für Bildung      möglichte nicht nur einen guten Ein-
               Nach fast 14 spannenden, schönen,          für nachhaltige Entwicklung end-          stieg unserer (inzwischen nicht mehr
               lern-reichen, gestaltungsbunten Jah-       lich auch im Nationalen Aktionsplan       ganz) neuen Kollegin Annika Thal-
               ren als Geschäftsführende Referen-         der Bundesregierung erschien. Die         heimer, sondern stellt nun auch eine
               tin kommt für mich die Zeit, mich          größte Veranstaltung in dieser Zeit,      gute Basis für die weiteren Übergän-
               zu verabschieden. Im Herzen wer-           das internationale junge Zukunfts-        ge dar (auch wenn Ursula Steuber
               de ich bei unseren Themen bleiben          forum, das wir in Zusammenarbeit          zum Jahresende in Rente geht).
               – die ÖIEW und das, was ich in die-        mit dem World Future Council, dem            Sehr schön finde ich, dass es die-
               ser Zeit meines Lebens dort lernen         KSI und der Bundeszentrale für po-        ses Jahr noch einmal diese besonde-
               durfte, sind für immer dort. Ganz          litische Bildung als junge Vorkonfe-      re Tagung mit der großen Auftakt-
               herzlich möchte ich mich bei allen         renz zur Halbzeit-Weltkonferenz           veranstaltung mit 250 Zuhörenden
               Menschen in der ÖIEW bedanken              der BNE-Dekade organisierten und          in Kooperation mit der Universität
               für diese Zeit, für euer Vertrauen,        von dem aus wir eine Erklärung nach       Kassel gab. Mit spannenden und gut
               für eure vielfältige Art, wie wir zu-      Bonn sandten. Oder den G8-Gip-            von Torben und Annika moderierten
               sammen unsere Initiative weiter ge-        fel in Rostock, wo wir das große Po-      Programmpunkten.
               bracht haben.                              dium auf dem Alternativgipfel zum            Und sehr gut, dass es vielver-
                  Gern erinnere ich mich auch an die      Thema Gerechtigkeit vorbereiteten         sprechend weitergeht, da wir Denis
               spannenden Hochmomente in die-             und Vandana Shiva trafen... An die        Kupsch als zukünftigen Geschäftsfüh-
                                                          Materialien für die junge Erd-Char-       renden Referenten der ÖIEW be-
                                                          ta, die wir entwickelten und natürlich    grüßen dürfen. Spannende Work-
                                                          die Erd-Charta-Website. Daran, dass       shops in diesem Sommer und Herbst
                                                          dann unsere „junge Erd-Charta-Bil-        laden überdies dazu ein, noch tief-
                                                          dungsarbeit“ als BNE-Maßnahme             ergehend bei den ÖIEW-Themen
                                                          ausgezeichnet wurde… und an die           mitzumachen.
                                                          große Jubiläumstagung mit Gerald             Und noch etwas ändert sich: wir
                                                          Hüther, die das „Wie“ des Bewusst-        danken                       für drei
                                                          seinswandelns erforschte.                 Jahre sehr kompetente, engagierte
                                                              Und an die letztlich wahrscheinlich   initiativ-Chefredaktionsarbeit: Danke
                                                          tausenden Begegnungen mit ÖIEW-           für deine Ideen für Layout und The-
                                                          und Erd-Charta-Menschen – alle un-        menbezüge, deine fachlich und jour-
                                                          terwegs auf breiten oder schmaleren       nalistisch wertvolle Arbeit und dei-
                                                          Wegen – die versuchen, einfach, ge-       ne wertschätzende Kommunikation!
                                                          sprächsbereit, glaubwürdig… zu le-        Und wir begrüßen Ann-Kathrin Gö-
                                                          ben und auf verschiedenste Weise          risch als Nachfolgerin: ganz herzlich
                                                          für mich Vorbild und Anregung sind.       willkommen!
Foto: privat
10 / 11

Und nun bleibt, mich – jedenfalls im       aufzustehen, eine Ethik der Liebe und        können, statt dass sie Fußangeln
initiativ – zu verabschieden. Danke        des weltweiten Friedens.“ (Towards a         gleich nach unserem Gleichgewicht
für alles. Wir werden uns wieder be-       New Earth Ethic, Erd-Charta-Slogan           greifen. Und der komplexen Schön-
gegnen. Vielleicht nach einer Thea-        2019)                                        heit der Welt nachspüren – um sie zu
tervorstellung , vielleicht auch bei        Auf dass wir unsere Welt, und uns,         feiern. Denn wir sind alles, die Weite
einer Veranstaltung zu unseren ge-         noch genauer kennen lernen – alle            und das Dickicht. Und überall begeg-
meinsamen Themen.                          Ecken, Gebüsche, die große Wei-              nen wir einander.
   „…gerade jetzt, inmitten des stei-      te und die Dickichte, damit wir uns                              Ihre Anja Becker,
gendem Populismus überall, ist es wich-    auch sie zum Freund machen und               (noch) Geschäftsführende Referen-
tiger denn je, für eine neue „Erd-Ethik“   behende in ihnen unterwegs sein                tin und (bald) freie Schauspielerin

Neue Redaktionsleiterin: Drei Fragen an Anni
                                           lieren und für eine bessere Zukunft
                                           zu kämpfen. Selbst wenn es manch-
                                           mal schwerfällt, an sie zu glauben.
                                           Auf deinem englischsprachigen
                                           Blog www.anniways.net schreibst
                                           du über „Feminismus, Identi-
                                           tät, Adoption, Kunst und all mei-
                                           ne Perspektiven auf diese Welt“.
                                           Was reizt dich daran, ein gedruck-
                                           tes Heft zum Thema Eine Welt zu
                                           gestalten?
                                           Letztendlich hängen so viele Formen
Die Redaktionsleitung übt ab sofort        von Ungerechtigkeit und Unterdrü-
Ann-Kathrin Görisch aus, die wir           ckung zusammen. Ein patriarchales
hier direkt zu Wort kommen lassen.         neoliberales System legitimiert so-
              Die Erde erhitzt sich        wohl Gewalt gegen die Umwelt wie
ungebremst, Millionen von Schü-            auch Gewalt gegen Frauen. Wenn               Rebecca Solnit verknallt. Sie ver-       Foto: privat
ler*innen gehen freitags auf die           man sich Textilbetriebe in Südosta-          fasst faszinierende, wunderschö-
Straße und in Brandenburg hat              sien ansieht, sogar beides in einem.         ne, provokante, einzigartige Bücher
eine rechtspopulistische Partei be-        Ich nähere mich diesen Themen in             und Texte. Poetisch und politisch zu-
ste Aussichten, im September die           vielen Formen an – akademisch, ak-           gleich. Verträumt und dabei radikal.
stärkste Kraft im Landtag zu wer-          tivistisch, theoretisch, künstlerisch, li-   Wir würden irgendein supertren-
den. Schaust du optimistisch oder          terarisch. Mein Blog und die Arbeit          diges Hipstergetränk trinken (ve-
pessimistisch auf die Welt?                für die ÖIEW ergänzen sich für mich          ganer Matcha-Ingwer-Hanf Chai)
Anni: Da muss ich spontan an Kofi          also bestens, so unterschiedlich sie         und uns über uns selbst lustig ma-
Annan denken: „Die Welt besteht            auf den ersten Blick auch erscheinen         chen. Und dann fünf Stunden über
aus Pessimisten und Optimisten.            mögen.                                       die Welt und das Leben und die Zu-
Letztlich liegen beide falsch, aber der    Welche berühmte Person würdest               kunft und herablassende Männer
Optimist lebt glücklicher.“ Ich bin im     du gern auf ein Heißgetränk tref-            sprechen.
Grunde genommen ganz schön pes-            fen? Was würdest du ihr anbieten?
simistisch, aber arbeite ständig daran,    Ich bin furchtbar in eine US-ame-            Anni ist per E-Mail erreichbar:
trotzdem nicht die Hoffnung zu ver-        rikanische Schriftstellerin namens           Annkathrin.goerisch@oeiew.de
Aus der Initiative

                                Wer setzt sich den Hut auf?
                                Rückblick auf die Frühjahrstagung „Wirtschaften für das Leben – auf zu einer
                                globalen Ethik“ am 17.-19.5.2019 in Kassel und Germete

Der „Cowboy Jim aus Texas“ sorgt für gute Stimmung. Bei aller Ausgelassenheit stehen die Hüte auch symbolisch für Abschied und Neuanfang in der ÖIEW.	  Foto: Archiv

                                Auf der diesjährigen Frühjahrstagung zum The-                        gewachsen, gewachsen ist aber auch die ökologische
                                ma Gemeinwohlökonomie drehte sich vieles um                          Krise und der damit verbundene Zeitdruck. Muss
                                die Metapher der Hüte. Die ÖIEW hat eine mit-                        sich die Initiative jetzt neu erfinden und sich einen
                                telgroße Transformation in Form vieler Personal-                     neuen Namen geben? Kommt nun die Zeit für ei-
                                wechsel vollzogen. Eine Reihe von Cowboyhüten,                       nen Widerstand gegen den Status Quo? Und wie
                                die sich zufällig aufgetan hatten, wurden genutzt,                   kann der aussehen?
                                um das Auf- und Absetzen und Weitergeben zu
                                symbolisieren. Sie standen für schwere Abschiede,                                       Sollen wir beten
                                Neuanfänge, aber schafften auch eine ausgelassene                                  – oder Widerstand leisten?
                                Stimmung mit dem „Cowbow Jim aus Texas“.
                                   Ebenso vielfältig waren die Gedanken, die sich                    „Allein den Betern kann es noch gelingen“, wurde
                                rund um die Frage entsponnen, wer sich wie den                       im Workshop zur „Ökonomie des Betens“ ein Ge-
                                „Hut aufsetzen“ soll und kann, um in der drama-                      dicht von Reinhold Schneider aus dem Jahr 1945 zi-
                                tisch aus dem Ruder laufenden Konsumgesellschaft                     tiert. Auch wenn sich die Anwesenden einig waren,
                                das Gemeinwohl und die Zukunftsfähigkeit der                         dass wir heute in einer wesentlich besseren Lage
                                Erde zu retten. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen                    sind als damals, scheint auch heute nur noch die
                                war überzeugt, dass es jetzt eher eine Revolution als                Tat zu zählen: nur was fotografiert, produziert und
                                eine Evolution hin zu mehr Nachhaltigkeit braucht,                   konsumiert werden kann, wofür man sich öffent-
                                um das noch zu erreichen. In den vergangen 13 Jah-                   lich feiern lassen kann. Als fundamentale Oppositi-
                                ren hat die Initiative viel erreicht, hat über 100 neue              on wird hier der Beter, der Spendende und Fastende
                                Erd-Charta-Botschafter*innen ausgebildet und ist                     im Verborgenen gesehen. Der Faden wurde in einer
                                mittlerweile offiziell Schulbuchwissen. Das Netz-                    Gruppe zur Spiritualität der Gemeinwohl-Ökono-
                                werk ist nun größer, die Anzahl Gleichgesinnter ist                  mie weitergesponnen: Durch die Spiritualität des
12 / 13

„einen Leibes“ könnten Abspaltungen in Produ-             kann das Wirtschaftssystem nachhaltiger machen.
zenten- und Konsumentenrolle und damit Externa-           In einem Workshop wurde die Kenianische Regi-
lisierungen überwunden werden. Und eine Haltung           onalwährung Mpesa vorgestellt, die mobiles bar-
des Mitgefühls allen gegenüber kann den gesamt-           geldloses Zahlen ermöglicht. Durch sogenann-
en Wirtschaftszweig obsolet machen, der Wegwerf-          te Blockchain-Technologie können derlei digitale
produkte produziert, die dem Konsumenten An-              Währungen mit Regeln belegt werden, die in der
erkennung und Aufmerksamkeit versprechen, die             technischen Infrastruktur festgeschrieben und für
wir gegenwärtig nicht bereit sind, unseren Mitmen-        jeden transparent sind. So auch Regeln, die den
schen zu geben.                                           Ideen der Gemeinwohlökonomie entsprechen.
   Klagen gegen Verstöße gegen das Gemeinwohl
vor dem Verfassungsgericht einzureichen, war der                      Die Herausforderung:
Vorschlag einer weiteren Arbeitsgruppe. Mit Un-               Schaffen es die Ideen in unseren Alltag?
terstützung von Kirchen, Gewerkschaften und An-
wälten könnten Sammelklagen eingereicht werden.           Von spirituellen über wirtschaftliche und rechtliche
Bis es soweit kommt, könnten Verstöße zunächst            bis hin zu technischen Lösungen für den Wandel,
auf einer Art „Klagemauer“ öffentlichkeitswirk-           vom konkreten Gesetzestext bis zu meditativen
sam gesammelt werden. Vor allem Kommunen, die             Texten zum Alles-in-Allem, vom Brainstorming
den Auftrag haben, für das Gemeinwohl zu sorgen,          bis zu Kreistänzen war wieder vieles auf der Ta-
könnten als „Wächter für das Gemeinwohl“ ge-              gung vertreten. Die große Herausforderung liegt
wonnen werden. Zur Unterstützung dazu könnten             aber jetzt vor uns: Schaffen wir es, die entwickelten
bewährte Gemeinwohl-orientierte kommunale                 Ideen in unseren Alltag zu übertragen? Wie wider-
Gesetzestexte für andere Kommunen öffentlich zu-          ständig wollen wir sein? Welchen Hut wollen wir
gänglich gemacht werden.                                  uns aufsetzen? Und was würden unsere Enkel tun?
Der Wechsel zu alternativen Währungssystemen                                                    Fabian Bethge

 Impressum                             Satz/Gestaltung:                     Für den Inhalt ist allein die ÖIEW
 initiativ – Rundbrief der Ökume-                       ,                   verantwortlich. Die Arbeit der
 nischen Initiative Eine Welt (ÖIEW)   Ann-Kathrin Görisch                  ÖIEW wird gefördert aus Mitteln
 Herausgeberin:                        Druck:                               der Inlandsförderung von Brot für
 Ökumenische Initiative Eine Welt      Knotenpunkt, Buch/Hunsr.             die Welt.
 e.V., Erd-Charta-Koordinierungs-      auf Recycling-Papier                 Redaktionsschluss Ausgabe 155:
 stelle in Deutschland                 Auflage:                             31. Mai 2019
 Redaktion:                            1.300                                Redaktionsschluss Ausgabe 156:
                      Anja Becker                                           4. Oktober 2019
                                       Fotos: Soweit nicht anders ver-
 (V.i.S.d.P.), Fabian Bethge, Ga-      merkt, privat oder aus dem Archiv    Bankverbindung und Spendenkonto:
 briele Fastus, Torben Flörkemei-      der ÖIEW.                            Waldecker Bank e.G.
 er, Ann-Kathrin Görisch, Sara                                              IBAN DE91 5236 0059 0000 9153
 Mierzwa, Bernhard Möller, Gode-                                            00, BIC GENODEF1KBW
 hard Münzer, Annika Thalheimer,                                            Mitarbeiterinnen
 Wieland Walther                                                            in der Geschäftsstelle:
 Redaktionsanschrift:                                                       Anja Becker: Geschäftsführende
 ÖIEW-Geschäftsstelle, Mittelstr. 4,                                        Referentin; Theaterbildungspro-
 34474 Diemelstadt-Wethen,             Förderhinweis:                       gramm / Annika Thalheimer: Refe-
 Tel. 05694-1417, Fax 05694-1532,      Die Erd-Charta-Seiten werden ge-     rentin Erd-Charta-Bildung und Ver-
 e-mail:                               druckt mit finanzieller Unterstüt-   netzung
 info@oeiew.de                         zung von Engagement Global im        / Ursula Steuber: Mitglieder, Ver-
 Erscheinungsweise:                    Autrag des BMZ.                      waltung & Finanzen
 vierteljährlich
Die Erd-Charta-Seiten

                                Gemeinsam auf dem Weg
                                in eine lebenswerte Zukunft
                                Die Erd-Charta-Botschafter*innen-Ausbildung 2019

Die bunt gemischte Gruppe frisch gebackener Ercharta-Botschafter*innen Foto: Archiv

                                Aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands und           durch kreative Übungen zum Ankommen und
                                sogar aus Südtirol machen sich Ende März 18 Men-       Kennenlernen, etwa das „blinde“ Ertasten und Wie-
                                schen auf den Weg nach Germete. Das gemeinsame         dererkennen einer anderen Hand, kurze Impulsge-
                                Ziel: Erd-Charta-Botschafter*in werden.                spräche oder das Aufstellen nach dem Herkunfts-
                                  Der erste Teil der Ausbildung beginnt am Frei-       ort. Hierdurch lernen wir uns noch etwas besser
                                tagabend mit einem gemeinsamen Abendessen, bei         kennen.
                                dem wir Gelegenheit haben, uns etwas kennenzu-
                                lernen. So viele neue Gesichter, interessante Ge-        Eine gemeinsame Vision schafft Vertrauen
                                schichten und vielfältige Perspektiven. Schnell wird                und Zugehörigkeit
                                klar: Wir werden eine spannende und inspirierende
                                Zeit miteinander verbringen.                           Wie schnell aus unserer bunt zusammengesetz-
                                  Nach dem Abendessen erwarten uns Annika und          ten Gruppe eine Gemeinschaft entsteht, die von
                                Torben im gestalteten Seminarraum. Nach kurzer         Wertschätzung und Zusammenhalt geprägt ist, ist
                                Zeit lockert sich die erwartungsgeladene Stimmung      für viele Menschen in der heutigen Gesellschaft si-
14 / 15

cher nicht selbstverständlich. Unsere Altersunter-     ter*innen dann in den Praxistest. Denn in der Zeit
schiede, Weltsichten und Lebenssituationen tren-       zwischen den beiden Ausbildungswochenenden ha-
nen uns nicht – sie inspirieren uns und lassen uns     ben sich alle Teilnehmer*innen eine kleine Einheit
voneinander lernen. Immer wieder führt dies zu         überlegt, die im Rahmen eines Erd-Charta-Work-
spannenden und konstruktiven Diskussionen über         shops oder -Seminars eingebracht werden könnte.
die Erd-Charta und die Welt.                           Es macht Freude, so viele verschiedene Möglich-
  Am ersten Ausbildungswochenende erwartet uns         keiten auszuprobieren. Ob spielerisch, wie beim
ein intensiver Stundenplan. Nicht nur über die In-     Erd-Charta-Escape-Room, der viel Teamarbeit er-
halte der Erd-Charta lernen wir viel. Besonders be-    fordert um die Schatztruhe zu öffnen, beim „Weg
eindruckend ist auch die Entstehungsgeschichte         einer Jeans“, der uns alle zum Nachdenken bewegt
und internationale Vernetzung der Erd-Charta, die      oder durch eine meditative Einheit, die die spiritu-
uns Alide Roerink näherbringt. Bemerkenswert an        elle Ebene der Erd-Charta anspricht.
diesem Wochenende ist auch die ganzheitliche Ver-
mittlung der Erd-Charta. Kognitive Einheiten wer-                Ein lebendiges Beispiel sein
den durch theaterpädagogische Elemente ästhetisch       für einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft
erlebbar. Gruppenaufgaben und Dialoge wirken in
Ruhephasen nach. Durch dieses methodische Zu-          Beeindruckend ist am Samstagabend die Ge-
sammenspiel wird für uns Teilnehmer*innen die          sprächsrunde mit Ragnhild Hausmann, die uns von
Erd-Charta nicht nur im Einzelnen, sondern auch        der Entstehung der Ökumenischen Initiative Eine
auf einer Metaebene erfahrbar, die verdeutlicht:       Welt und der Ökumenischen Gemeinschaft berich-
Alles ist miteinander verbunden, alles hat seinen      tet und uns damit Mut macht, unsere Ideale und
Platz, wenn wir den Dingen Raum geben zu wach-         Werte zu leben.
sen. Deutlich wird hierdurch auch: Viele Wege kön-       Bestärkt, glücklich und mit dem Vorhaben eines
nen zum Ziel einer lebenswerten Zukunft führen.        Wiedersehens im nächsten Jahr machen wir uns am
                                                       Sonntagnachmittag wieder auf in alle Himmelsrich-
      Jede*r bringt seine*ihre Talente ein             tungen aber noch immer mit einem gemeinsamen
         und wird so ein wichtiger Teil                Ziel: Veränderung zu sein und anzustoßen für eine
              von etwas Großem                         Zukunft die von Frieden, Gerechtigkeit und Leben
                                                       geprägt ist.
Am Ende des ersten Wochenendes sind wir zwar
alle müde, aber vor allem auch erfüllt von den vie-               Barbara Nick, Erd-Charta-Botschafterin
len Eindrücken, neuen Ideen und Gesprächen, die
wir für uns noch einmal in Ruhe reflektieren und
ordnen müssen. Wir schreiben auf, wie es für uns        Wie werde ich
weitergeht, was wir uns vornehmen: Erzählen, Ver-       Erd-Charta-Botschafter*in?
                                                        Für alle, die Lust auf politische Veränderungen
netzen, Handeln und achtsam Sein sind nur ein paar
                                                        und entsprechende Bildungsarbeit haben und
wenige Stichpunkte in unserer Gruppe. Was davon         sich gemeinsam mit der Erd-Charta auseinander
werden wir in der Zwischenzeit wohl umgesetzt ha-       setzen wollen, bietet die ÖIEW eine Erd-Charta-
ben?                                                    Botschafter*innen-Ausbildung an.
   Motiviert und voll Vorfreude blicken wir in den
zweiten Teil der Erd-Charta-Ausbildung. Das Wie-        Nächster Termin:
dersehen ist schön, es gibt viel zu erzählen, zu la-    7. bis 9. Februar und 17. bis 19. April 2020
chen und es ist fast, als hätten wir uns nicht zwei     in Warburg-Germete
Monate nicht gesehen. Nach einem ruhigen Frei-
tagabend geht es für uns zukünftige Botschaf-           Weitere Informationen unter erdcharta.de
Die Erd-Charta-Seiten

                    Earth Charter Education Conference 2019
                    Internationale Konferenz über Bildung, die Erd-Charta
                    und die Ziele für Nachhaltige Entwicklung
                                                                                            aus sozialen, ökologischen und staatlichen Blick-
                                                                                            winkeln, um verschiedenste Umweltprobleme zu
                                                                                            bekämpfen. Ein Kritikpunkt unserer Zeit ist, dass
                                                                                            wir zwar oft über Menschenrechte sprechen, aber
                                                                                            letztendlich dann wenig aktiv umsetzen. Nicht
                                                                                            viele Menschen sind bereit, Verantwortung für ihr
                                                                                            Handeln zu übernehmen und dieses zugunsten ei-
                                                                                            ner besseren Welt zu ändern. Ein Beispiel dafür ist
                                                                                            der CO2-Fußabdruck der Modebranche, der sich
                                                                                            im Meer und in der Atmosphäre zeigt. Tatsächlich
                                                                                            ist die Modebranche nach der Erdölindustrie der
                                                                                            zweitgrößte Umweltverschmutzer der Welt. Den-
                                                                                            noch folgen viele Menschen nach wie vor jedem
                                                                                            modischen „Trend“ und fördern somit eine um-
                                                                                            weltschadende Wegwerfindustrie.
                                                                                               Wenn wir an Umweltverschmutzung denken,
                                                                                            denken wir eher an Faktoren wie Kohlekraftwerke
                                                                                            oder Flugzeugreisen. Wir vergessen dabei jedoch
                                                                                            unseren enormen CO2-Fußabdruck, der aus all-
                                                                                            täglichen Handlungen wie dem Kaufen von Klei-
                                                                                            dung hervorgeht: Die Pestizide, die im Baumwol-
Ein gerechtes und zukunftsorientiertes Bildungssystem ist einer von 17 Schlüsselbereichen   lanbau verwendet werden; die giftigen Farbstoffe
der Agenda 2030. Grafik: UN                                                                 für das Färben der Kleidung; die vielen ausrangier-
                    Vom 29.-31. Januar 2019 fand im Earth Charter                           ten Kleidungsstücke, die zwar noch vollkommen in
                    Center an der University for Peace, Costa Rica,                         Ordnung, jedoch nicht mehr „in“ sind. Ebenfalls
                    die Earth Charter Konferenz 2019 statt. Dutzende                        vergessen wir oft die extravaganten Mengen natür-
                    Teilnehmer*innen aus aller Welt trafen sich für drei                    licher Ressourcen, die beim Anbau und der Ernte
                    Tage, um im Rahmen von Workshops, Vorträgen                             von Rohstoffen wie Baumwolle verwendet werden,
                    und anderen Aktivitäten die Earth Charta in ver-                        sowie bei deren Weiterverarbeitung für das Herstel-
                    schiedenen pädagogischen Kontexten zu diskutie-                         len von Kleidung. Auch der Versand und eine durch
                    ren und gemeinsam Visionen für eine zukunftsori-                        das Online-Shopping geförderte hohe Anzahl an
                    entiere Bildungsarbeit zu schaffen.                                     Retouren haben einen ngeativen Umwelteinfluss.

                                 Rechte und Verantwortungen                                               Die Rolle der Bildung

                    Auf der Konferenz wurde einerseits über Rechte                          Im Hinblick auf die Agenda 2030 ist 2019 das Jahr
                    gesprochen, zu denen alle Menschen Zugang ha-                           der Bildung, in dem sich das Hochrangige Politische
                    ben sollten. Andererseits jedoch auch über die Ver-                     Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten
                    antwortung, welche wir als Individuen auf diesem                        Nationen verstärkt auf die Fortschritte und Erfül-
                    Planeten hinsichtlich unseres Handelns haben –                          lung des vierten Nachhaltigkeitszieles konzentriert.
16 / 17

Während der Konferenz wurde die Aufmerksam-                                          Nachhaltige Entwicklung
keit auf die Notwendigkeit gelenkt, die Terminolo-                                  und starke Partnerschaften
gie der Bildung zu überdenken. Es wurde diskutiert,
dass Bildung ein lebenslanger Lernprozess sei, also                      Eine starke Partnerschaft ist heute mehr denn je
nicht nur etwas Temporäres oder etwas, zu dem wir                        erforderlich, da eine nachhaltige Entwicklung nur
an Bildungseinrichtungen Zugang haben. Bildung                           unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, so-
kann ohne Altersbeschränkung auf verschiedenen                           zialen und ökologischen Entwicklung möglich ist.
Plattformen in unterschiedlichen Formen für je-                          Nur wenn alle Sektoren ihren Beitrag dazu leisten,
dermann angeboten werden. Dies ist wichtig, um                           bringt uns dies auch in unserer menschlichen Ent-
hervorzuheben, dass wir alle voneinander lernen                          wicklung voran. Dies ist für uns alle, als eine große,
können, indem wir akzeptieren, dass wir alle Schü-                       auf diesem Planeten vereinte Familie, dringender
ler und Lehrer in einem bestimmten Bereich sind.                         denn je. Daher ist die Forderung nach Menschen-
Solche Plattformen aktivieren unsere Lernbereit-                         rechten keine Antwort an sich, sondern wir müs-
schaft und verbessern unsere Leistungen in Rich-                         sen auch tatsächlich Verantwortung übernehmen,
tung Nachhaltigkeit.                                                     um das Recht allen zugänglich zu machen.

                                                                                          Die Zukunft
                                                                         liegt in unseren Herzen, Köpfen und Händen

                     Nachhaltigkeit                                      „Die Zukunft liegt in unseren Herzen, Köpfen und
                                                                         Händen.“ Dies wurde während der Konferenz be-
                                                                         tont und ich stimme dem voll und ganz zu. Wissen
                                                                         ist wertlos, bis es genutzt wird, um eine positive
                                                                         Wirkung zu erzielen. Warten wir nicht darauf, dass
       Bildung                             Werte                         ein Held auftaucht und die Menschheit und diesen
                                                                         Planeten rettet. Wir alle haben die Supermächte,
                                                                         um unser Leben auf diesem Planeten zu verbessern
                                                                         und wir können immer von jedem Ort aus begin-
                                                                         nen. Lasst uns hier und heute beginnen.
Nachhaltige und gerechte Bildungsarbeit erfordert ganzheitliches
Denken. Grafik: Ann-Kathrin Görisch, in Anlehnung an die Earth Charter
Initiative. bit.ly/2XDGQSu                                                                                    Yumiko Takano

  Die Agenda 2030 in Deutschland
  Mit der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
  Anfang 2017 erläutert die Bundesregierung, wie die Ziele für
  Nachhaltige Entwicklung konkret in Deutschland umgesetzt
  werden sollen. Zu diesem Zweck wurden 63 konkrete
  Ziele beschlossen, die die 17 globalen Ziele ergänzen. Der
  komplette Bericht kann hier heruntergeladen werden:
  www.bundesregierung.de
  Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
  und Entwicklung hält über aktuelle Entwicklungen
  informiert, berichtet über Veranstaltungen und Initiativen
  im Zusammenhang mit der Agenda 2030 und gibt Tipps, wie
  man als Privatperson zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele
  beitragen kann: www.17ziele.de
Die Erd-Charta-Seiten

                                 Bildung macht Zukunft!
                                 Aber welche, wie und mit wem?
                                 Im Rahmen der Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“ diskutiert Annika Thalheimer
                                 mit 300 anderen Teilnehmer*innen über (zukunfts-)gerechte Bildungsarbeit, soziale
                                 Blasen und Diversität. Sie verlässt das Wochenende mit gemischten Gefühlen.

Teilnehmer*innen der Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ solidarisieren sich mit „Fridays for Future“. Foto: Pressefoto der Veranstalter*innen

                                 Bei der Konferenz „Bildung.Macht.Zukunft“ traf                           spontane Besuch und Input von Kassler Fridays for
                                 ich im Februar auf 300 Lehrer*innen, Multiplika-                         Future-Aktivist*innen am Freitag morgen.
                                 tor*innen und Wissenschaftler*innen. Sie kamen
                                 aus verschiedenen Bildungsrichtungen: politische                             Wie erreichen wir „die Welt da draußen“?
                                 Bildung, Globales Lernen und Bildung für Nach-
                                 haltige Entwicklung. In vielen Workshops, aber                           Immer wieder kamen wir zur Erkenntnis: Wir be-
                                 auch beim Theaterabend oder Fahrradkino, in Po-                          finden uns in einer Blase. Wir wollen sie verlassen.
                                 diumsdiskussionen und Impulsvorträgen waren                              Doch wie piksen wir sie auf?
                                 wir eingeladen, unsere Arbeit zu reflektieren und                          Wie kommen wir in den Austausch? Auf Augen-
                                 weiterzuentwickeln. Besonders spannend war der                           höhe! Mit Menschen anderen Alters, anderer Kul-
18 / 19

turen, anderer sozialer Herkunft, anderer Weltregi-   es, dass die Tochter ihrem Vater zuhört, während
onen. Wie kommen wir in den Dialog mit Menschen       sie für die Mutter einen Geburtstagskuchen backt,
mit Behinderung? Wir wollen Diversität und schot-     auch wenn sie gerade ganz viel anderes zu tun hat?
ten uns gleichzeitig durch unsere Sprache ab. Wir     Würde es ein Sohn ebenso tun? Das Mit-Mach-
treffen uns an einer Universität. Auch das ist ab-    Stück sprach die Teilnehmer*innen und Zuschau-
schreckend. Wie erreichen wir „die Welt da drau-      er*innen an und erreicht sie auf einer tieferen,
ßen“?                                                 emotionalen Ebene. Es regte dazu an, sich zu po-
  Mit all diesen Gedanken machen wir ein Wir und      sitionieren und neue Ansätze kennenzulernen. Es
ein Ihr auf. Wir unterscheiden uns voneinander und    lehrte mich einmal mehr, dass wir offen sein sollten,
bauen dabei Hierarchien auf. Wer unterrichtet wen     andere Perspektiven anzuhören, verstehen zu wol-
und wie?                                              len und womöglich von unserem Standpunkt ab-
  Während der Konferenz taten sich immer neue         weichen. Wenngleich wir dazu innere Widerstände
und alte Fragen auf. Einfache Antworten habe ich      überwinden müssen.
nicht gefunden. Ein paar Inspirationen habe ich          Anregend war auch der Klassismus-Workshop,
aber dennoch mitgenommen. Manches war mir be-         ein Workshop, in dem wir uns mit der Diskriminie-
reits bekannt, aber es war gut, nochmal neu drauf-    rung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozi-
zuschaun. Auch zur Frage, wie wir die Blase auf-      alen Position auseinandersetzten. Dort diskutierten
piksen können, habe ich Anregungen gefunden:          wir, ob das Elternpaar aus Neu-Köln ihr Kind in den
Zum einen sollten wir Begriffe verwenden, die die     Kindergarten ums Eck geben sollte, wo die meisten
Menschen, die wir erreichen wollen, verstehen und     Kinder aus schwierigen Verhältnissen und dem Ar-
attraktiv finden. Zum anderen sollten wir sie dort    beiter-Milieu kommen oder, ob der Waldkindergar-
abholen wo sie stehen und wo sie leben. Und wir       ten in Prenzlauer Berg doch besser ist, auch wenn
sollten sie in Projekte einbinden. Von Projektbe-     es einen weiten Weg bedeutet. Welche Folgen hat
ginn an.                                              es für die Entwicklung und Chancen des Kindes?
  Wenn wir Bildungsarbeit machen, sollten wir die     Die Entscheidung ist uns als Gruppe nicht leicht-
Menschen ernst nehmen, mit denen wir arbeiten.        gefallen. Ich frage mich; sollten wir als Gesellschaft
Wir sollten auch mal anderer Meinung sein können      nicht damit aufhören, Kinder von Anfang an zu se-
und Komplexität zulassen. Es geht nicht darum,        parieren?
dass ich selbst als Lehrende neutral bin. Ich darf       Nach der Konferenz war ich geschafft und ent-
meine Meinung haben und äußern, solange ich sie       täuscht. Ich hatte mir mehr praktische Inspirati-
als solche offenlege. Wir sollten einen Raum schaf-   on erhofft. Stattdessen verlasse ich den Kassler
fen, wo Unwissen und Unsicherheiten gezeigt wer-      Uni-Campus mit vielen neuen Fragen und irritiert.
den können. Gefühlen sollten wir Achtung schen-       So viele Menschen kamen zusammen, um die Ur-
ken. In der Arbeit sollten wir dazu einladen, ins     sachen aktueller Krisen anzugehen und gemeinsam
Spüren zu kommen. Und dann muss es auch okay          Wege der politischen Zukunftsgestaltung durch Bil-
sein, mal keinen Bock zu haben.                       dungsarbeit zu finden. Aber wie machen wir das?
                                                      Die Veranstalter veröffentlichten Ende Mai ein Po-
  Eigene Überzeugungen hinterfragen durch             sitionspapier und planen einen Sammelband. Auch
            Mit-Mach-Theater                          weitere Vernetzungstreffen sind geplant. Ich bin
                                                      gespannt: Bildung macht Zukunft! Aber welche,
Das interaktive Forum-Theaterstück am Samstag-        wie und mit wem?
abend war nicht nur unterhaltsam, sondern auch                                         Annika Thalheimer
fordernd. Währenddessen und im Anschluss gab
es rege Diskussionen zur Gerechtigkeit zwischen            Weitere Informationen zur Veranstaltung:
Männern und Frauen. Wie selbstverständlich ist                  www.bildung-macht-zukunft.de
Sie können auch lesen