Daktylos - INKLUSION - Pädagogische Hochschule Heidelberg
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BILDUNGSWISSENSCHAFTLICHES MAGAZIN DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE HEIDELBERG INKLUSION Herbst 2020 . 25. Jahrgang daktylos
daktylos 0,– Euro Girokonto 1 BILDUNGSWISSENSCHAFTLICHES MAGAZIN für Berufsstarter DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE HEIDELBERG INKLUSION im öffentlichen Dienst HERBST 2020 Jetzt informieren 50,– BBBank eG Filialen Euro B i s m a rc k s t ra ß e 1 7 6 9 1 1 5 H e i d e l b e rg D o s s e n h e i m e r L a n d s t ra ß e 3 6 6 9 1 2 1 H e i d e l b e rg - H a n d s c h u h s h e i m Startbonus!2 www.bbbank.de/termin 1 Voraussetzungen: BBBank-Junges Konto mit Online-Überweisungen ohne Echtzeit-Überweisungen, Genossenschaftsanteil von 15,– Euro/Mitglied bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Danach erfolgt die Umwandlung in ein Girokonto; Eingang Ausbildungsvergütung bzw. Gehalt/Bezüge ab Ausbildungsbeginn/Berufsstart. Stand: 29.01.2020. 2 Voraussetzungen: Eröffnung eines BBBank-Junges Konto zwischen dem 01.02. und dem 31.12.2020, Neumitglied aus dem öffentlichen Dienst ab 16 Jahren bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, Berufsstarter (Beamtenanwärter/Auszubildender), keine Mitgliedschaft in den letzten 6 Monaten. Nicht mit weiteren Prämien kombinierbar. Die Verbuchung des Startbonus kann bis zu 8 Wochen dauern.
5 Editorial « Liebe Leserinnen und Leser, zur Bildungsfachkraft absolviert und geben Studierenden fort- an unmittelbare Einblicke in die Lebenswelt von Menschen mit auf dem Titelbild des daktylos 2020 begrüßen Sie Ines Matic Behinderung. Das ist ein Novum in der nationalen wie internati- (links) und Katharina Vollrodt. Sie studieren erfolgreich Lehr- onalen Hochschullandschaft – das Zentrum wird mit Förderung amt Sonderpädagogik, haben als Tutorinnen wertvolle Erfah- des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums im rungen im Wissenschaftsbetrieb gesammelt und zudem gute Herbst 2020 seine Arbeit aufnehmen. Freundschaften in der Hochschule geschlossen. Der Titel spielt auf ihre „unsichtbaren Behinderungen“ an: Ines ist hochgra- Wie viel wissenschaftliches Know-how in Sachen „Bildung für Inhalt dig sehbehindert und Katharina nahezu taub. Persönliche und alle“ die Hochschule aufzuweisen hat und wie gleichermaßen Inhalt institutionelle Unterstützung sowie technische Hilfsmittel wie umfassend sowie differenziert der Inklusionsbegriff hier mit das auf dem Foto der ersten Seite sichtbare Cochlea-Implantat Leben gefüllt wird, davon zeugen die Forschungsprojekte, An- erleichtern das Studium, doch dass Inklusion weder in Hoch- sätze in in der Lehre sowie die Maßnahmen zum Wissenstrans- «« schule noch im gesellschaftlichen Leben vollends erreicht ist, fer, die in diesem daktylos vorgestellt werden. INKLUSION darüber wissen sie viel zu berichten. Getreu dem Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention „Nichts über uns ohne An der einen oder anderen Stelle werden auch die Herausfor- INTRO uns!“ haben sie sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit derungen sichtbar, die uns die Corona-Pandemie auferlegt, der daktylos-Redaktion genommen. sicherlich weit über den jetzigen Zeitpunkt hinaus. Vielleicht 5 EDITORIAL 26 WELCHE SPRACHE SPRICHT MEIN KIND? ist das gerade ein besonders guter Moment, im 25. Jahr des Projekt „Gemeinsam zur Sprache” zeigt, wie Kleinkinder Wie sehr Inklusion, das Schwerpunktthema der vorliegenden daktylos einmal innezuhalten, seine Entwicklungsphasen zu re- 6 INKLUSION: ZIELE UND WEGE mehrere Sprachen gut erlernen Ausgabe, in der Pädagogischen Hochschule Heidelberg als flektieren und insbesondere die Menschen zu würdigen, die das Markantes Profilelement der ganzen Hochschule Profilmerkmal verankert ist, demonstriert die Gründung des bildungswissenschaftliche Magazin geprägt haben. 28 HÄ? DAS VERSTEHE ICH NICHT! Annelie-Wellensiek-Zentrums für Inklusive Bildung. In der neuen STUDIUM UND LEHRE Erkennen und Therapie von Kindern mit wissenschaftlichen Einrichtung werden Menschen mit kognitiver Sprachentwicklungsstörungen Beeinträchtigung zu festen Mitgliedern der Hochschule und Viel Freude beim Entdecken, 8 GEMEINSAM GROSSES ERREICHEN übernehmen Aufgaben in der Lehre. Sie haben eine Qualifikation Birgitta Hohenester-Pongratz Annelie-Wellensiek-Zentrum für 30 INKLUSION UND DIGITALISIERUNG Inklusive Bildung gegründet Moderne Technik für mehr Lebensqualität von Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung 12 NICHT ÜBER UNS – OHNE UNS! Zwei Studentinnen mit Behinderung im Gespräch 32 GEDANKEN ZUR ETHIK 44 EINE KOOPERATION, DIE WEITERBILDET über Studium und Hochschulleben Herausforderungen im Forschungskontext Kontaktstudienangebote in der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik 16 GEWÄCHSE DER SEELE 33 UNTERSTÜTZUNG IN DER CORONA-PANDEMIE „Kunst & Inklusion“: Interdisziplinäres Seminar von Kinder und Jugendliche mit Behinderung AUS HOCHSCHULE UND UMFELD Menschen mit Behinderung und Studierenden TRANSFER 46 3 FRAGEN AN ... 19 BERUFSZIEL SONDERPÄDAGOGIK … Personalratsvorsitzende Manuela Pollok zur Situation von Überblick: Sonderpädagogikstudium an der Hochschule 34 DAS HEIDELBERGER SCHLOSS TAKTIL ENTDECKEN Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung Geführte Touren und Reliefmodelle ermöglichen neue Zugänge für Blinde und Sehbehinderte 47 WIR LEBEN INKLUSION FORSCHUNG UND daktylos-Druckerei Texdat-Service arbeitet mit Menschen mit NACHWUCHSQUALIFIKATION 36 TREFFEN AM TIERGEHEGE Behinderungen Ein neues Projekt untersucht den Zoo als 20 „DER BLICK RICHTET SICH WENIG AUF DAS inklusiven Lernort 48 25 JAHRE daktylos PSYCHISCHE WOHLBEFINDEN DER KINDER“ Ein Blick auf Menschen, Inhalte und Strukturen Interview mit Professor Dr. Klaus Sarimski 38 IMMER POSITIV BLEIBEN Projekt „Wild aufs Lernen“: Ein neuer Blick auf Kinder mit 22 BRAILLESCHRIFT IST GRUNDLEGEND FÜR Verhaltensauffälligkeiten 18 IMPRESSUM BILDUNG UND INTEGRATION Ergebnisse des internationalen Kooperationsprojekts 40 FIT FÜR DEN SCHULALLTAG „Zukunft der Brailleschrift“ Beratungsstelle LRS und Dyskalkulie an der Hochschule 24 WENN DIE HÄNDE ZU AUGEN, OHREN UND 43 SCHÜLER HELFEN SCHÜLERN! STIMME WERDEN Qualifikation von interkulturellen Tutoren mit der Pionierarbeit in der Taubblindenpädagogik Internationalen Gesamtschule Heidelberg
6 Intro 7 Stiftungsprofessur realisiert, hat die Hoch- und Diversität reflektiert werden. Dazu müssen schule diesen Weg auch strukturell konsequent die Merkmale von Diversität auch benannt und fortgesetzt. Mit der Gründung des Annelie- erforscht werden. Beiden Begriffen ist als Ziel- Wellensiek-Zentrums für Inklusive Bildung, das vorstellung gemeinsam, dass Diskriminierung zum Wintersemester 2020/21 seine Arbeit auf- im Sinne einer Verweigerung oder Einschrän- nimmt, schafft sie eine weit über die Landes- kung von gesellschaftlicher Teilhabe und ins- grenzen hinaus beispielhafte Einrichtung, die besondere von Teilhabe an Bildung aufgedeckt es erstmals ermöglichen wird, dass zu Bildungs- und vermieden oder reduziert werden. Wer von fachkräften qualifizierte Betroffene ihre Sicht Integration spricht, geht jedoch von der Vorstel- unmittelbar und aktiv in die Hochschullehre ein- lung eines Normalzustandes und damit oft einer bringen. Norm aus. Integration wird dann schnell mit der Erwartung von Assimilation verknüpft. Der Be- VIELFALT UND DIFFERENZ griff der Inklusion schlägt dagegen vor, Diversi- Der Inklusionsbegriff der Hochschule beschränkt tät als Vielfalt zu verstehen und wertzuschätzen. TEXT HANS-WERNER HUNEKE sich aber nicht auf das Verständnis von und Das kann durchaus zur Herausforderung werden, den Umgang mit Beeinträchtigungen und den ist aber ein Kernelement von Bildung. Behinderungen, die sich oftmals daraus erge- ben. Er wurde auf weitere Felder ausgeweitet NACHHALTIGKEITSZIEL NR. 4: und schließt heute interkulturelle und ethnische BILDUNG FÜR ALLE INKLUSION: ZIELE UND WEGE Vielfalt ebenso ein wie die in Familien und im Ge- Im Senatssaal der Hochschule liegt ein roter meinwesen verankerte Mehrsprachigkeit, soziale Schaumstoffwürfel, der als Sitzhocker ausge- und soziokulturelle Ungleichheit, Gender und die führt ist. Es ist einer von 17 Würfeln, jeder steht Konstruktion von geschlechtsbezogenen Rollen, für eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Verein- die Begegnung von Religionen, Konfessionen ten Nationen. Der Würfel im Senatssaal ist der und Weltanschauungen sowie den Blick auf die zum vierten Ziel, in der amtlichen Übersetzung: VOM AUSGANGSPUNKT EINER UMFASSENDEN SONDERPÄDAGOGISCHEN EXPERTISE HAT SICH DAS THEMA INKLUSION ZU gesamte Lebensspanne von der frühkindlichen „Bildung für alle – inklusive, gerechte und hoch- Entwicklung und Bildung bis ins Alter. wertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten EINEM MARKANTEN PROFILELEMENT DER GANZEN HOCHSCHULE ENTWICKELT. DER INKLUSIONSBEGRIFF BESCHRÄNKT des lebenslangen Lernens für alle fördern“. Der Dies wird in dem besonders breiten Angebot an Würfel verweist auf die Kernaufgabe der Päda- SICH DABEI NICHT AUF DEN UMGANG MIT BEEINTRÄCHTIGUNGEN UND BEHINDERUNGEN, SONDERN SCHLIESST WEITERE Erweiterungsfächern, Studienprofilen, Kontakt- gogischen Hochschule als bildungswissenschaft- studien und Zusatzqualifikationen deutlich, das liche Hochschule universitären Profils, die Bil- FELDER EIN. TEXT HANS-WERNER HUNEKE die Hochschule ihren Studierenden und der inte- dung, stellt sie in den Kontext von Inklusion und ressierten Öffentlichkeit macht. Dazu zählen die gibt damit ein sehr anspruchsvolles Programm Studienangebote zu „Taubblinden-/Hörsehbe- vor. Hat die Hochschule dieses Ziel bereits er- 25 Jahre daktylos – welcher Themenschwerpunkt ist so um- Sonderpädagogen ausgebildet werden. Diese Arbeit strahlt hindertenpädagogik“, „Low Vision in pädagogi- reicht, ist sie eine inklusive Hochschule? Nein, fassend, dass er sich für die Geburtstagsausgabe eines bil- weit über das Bundesland hinaus aus, sie macht es aber auch schen Arbeitsfeldern“, die Studienprofile „Inklu- sicher nicht – aber sie ist auf einem guten Weg dungswissenschaftlichen Magazins eignet? Das Thema Inklusi- für die anderen Fächer und Arbeitsgebiete leicht, innerhalb der sion in sonderpädagogischen Handlungsfeldern: dorthin. Das belegen die vielen Beispiele in der on bietet sich für die Pädagogische Hochschule Heidelberg in eigenen Hochschule Ansprechpartner zu finden und Kooperati- Wohnen, Arbeiten, Freizeit“ und „Alter, Bildung, vorliegenden Jubiläumsausgabe des daktylos. besonderem Maß an, denn es geht dabei um eine Aufgabe für onsideen umzusetzen. Digitalisierung“ im Masterstudiengang Bildungs- Und wenn es zutrifft, dass Kunst ein Vorschein die ganze Hochschule. In Forschung, Lehre und Wissenstrans- wissenschaften, „Interkulturelle Lernbeglei- der Zukunft sein kann, dann passt hierher ein fer ist Inklusion zu einem zentralen und intensiv diskutierten Nachdem Deutschland im Jahr 2009 die Behindertenrechts- tung“, „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“, Satz aus dem Beitrag zum Projekt „Gewächse Schwerpunkt, zu einem Erfahrungs- und Expertisefeld in allen konvention ratifiziert hat, wurde die Diskussion um inklusive ein Studienprofil „Deutsch als Zweitsprache“ der Seele. Kunst & Inklusion“ in diesem Heft: Fächern und Bereichen der Hochschule geworden. Das Ver- Bildung, insbesondere um eine inklusive Schule und auch um im Lehramtsstudium Deutsch, „Interreligiöses „Die Inklusion steht dabei nicht im Zentrum ständnis von diesem Aufgabenfeld und auch die unterschiedli- eine auf Inklusion ausgerichtete Sonderpädagogik intensiviert. Begegnungslernen“, „Global Citizen“, „Inklu- […], sondern die Kunst, der man sich aus unter- chen Konzepte und Konzeptionen wurden in den letzten Jahren Daran hat sich die Pädagogische Hochschule Heidelberg aktiv sive Pädagogik bei Schülerinnen und Schülern schiedlichen Perspektiven nähert.“ und Jahrzehnten beständig diskutiert und zu einem besonders beteiligt und Inklusion ist heute ein verbindlicher Bestandteil mit Blindheit oder Sehbehinderung“. Alle diese markanten Profilelement der Hochschule weiterentwickelt. Es aller lehramtsbezogenen Studiengänge, sowohl in Form eines Angebote schlagen Brücken zwischen fachlicher ist ein Themenfeld, zu dem – wen würde das wundern? – durch- eigenständigen Moduls als auch als Querschnittselement in den Expertise und der Weiterentwicklung von Kon- aus vielfältige Perspektiven entwickelt wurden. Bildungswissenschaften sowie in den Unterrichtsfächern. Hei- zepten inklusiver Bildung. AUSGANGSPUNKT: delberg hat aber darauf verzichtet, den Weg mancher anderer Universitäten zu gehen und die Sonderpädagogik mit ihren Fach- Diese facettenreiche Praxis von Forschung, Lehre * SONDERPÄDAGOGISCHE EXPERTISE richtungen in „Inklusionspädagogik“ umzuwandeln oder umzu- und Transfer verweist auf das breite und sicher- Ein zentraler Ausgangspunkt der Diskussion zum Thema In- benennen. Wir sind der Überzeugung, dass gerade die Suche lich nicht einheitliche, eben vielfältige Verständ- klusion ist die sonderpädagogische Expertise der Hochschu- nach wegweisenden Konzeptionen für inklusive Bildung auf son- nis von Inklusion an der Hochschule. Die Dis- le. Heidelberg ist einer von nur zwei Standorten in Baden- derpädagogische Expertise und auch auf fachrichtungsspezifi- kussion um den Begriff schloss und schließt in DR. HANS-WERNER HUNEKE, Württemberg, an dem zu den sonderpädagogischen Fachrich- sche Forschung angewiesen ist. Mit dem Aufbau der Professur vielen Zusammenhängen an den Begriff der Inte- Professor für deutsche Sprache und tungen geforscht wird und an denen Sonderpädagoginnen und für Taubblinden-/Hörsehbehindertenpädagogik, zunächst als gration an. Beiden ist gemeinsam, dass Differenz ihre Didaktik, ist seit 2015 Rektor der Hochschule.
8 STUDIUM UND LEHRE 9 EIN NOVUM: GEMEINSAM Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung werden zu festen Mitgliedern der Hoch- schule und übernehmen Aufgaben in der GROSSES Lehre. Ein Blick auf den langen Weg hin zum Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung. ERREICHEN TEXT VERENA LOOS „Diversität als Ressource und Gewinn“. Das war ein Leitbild ZURÜCK AUF ANFANG Für Thorsten Lihl, der als angehende Bildungsfach- von Professorin Dr. Annelie Wellensiek. Die 2015 verstorbene Zwar werden Menschen mit Behinderungen regelmäßig bei- kraft an der Qualifizierung teilnimmt, erfüllt sich ein Rektorin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg war der spielsweise in Lehrveranstaltungen eingeladen, ganz im Sinne Lebenstraum: „Ich habe rund zwanzig Jahre in Werk- Überzeugung, dass alle Menschen das Recht auf Bildung und Wellensieks lässt das Zentrum jedoch Bewährtes los, um Bes- stätten gearbeitet und war dort unterfordert. Durch Teilhabe an der Gesellschaft haben. Bildung wiederum bedeu- seres zu schaffen. Der Weg dahin war lang und häufig mühsam, das Projekt ‚Inklusive Bildung‘ kann ich zeigen, was tete für sie, sich nicht voneinander abzugrenzen, sondern durch reflektiert Stephan Friebe. Friebe ist als Dozent für Psychologie in mir steckt. Das ist zwar auch anstrengend, jetzt die Verschiedenheit voneinander zu lernen, im Austausch neue und Didaktik an der Fachschule für Sozialwesen der Johannes- weiß ich aber, warum ich abends müde bin. Das erfüllt Antworten zu finden und dadurch auch Bewährtes loszulassen, Diakonie Mosbach tätig: „In meine Lehre habe ich sporadisch mich und macht mich glücklich.“ Das bestätigt auch um Besseres zu schaffen. Damit Bildung zu einem Gewinn wer- immer wieder Menschen mit Behinderungen eingebunden. Es Helmuth Pflantzer, der ebenfalls Teil des Projekts ist: den kann, „braucht es neben dem Bewusstsein, dass man zu- fehlte aber ein systematisches Konzept dazu und auch die Rah- „Natürlich habe ich jetzt weniger Zeit für Freunde, sammenarbeitet, auch Formen der Zusammenarbeit, die man menbedingungen für die Erfahrungsexperten waren aus meiner aber das ist Ordnung – ich weiß ja, warum das so ist.“ weiterentwickelt und in die man neue Mitwirkende integrieren Sicht sehr unzureichend. Daran wollte ich etwas ändern.“ Beide erleben positive Veränderungen. Zum einen kann“, sagte sie in ihrer Rede zur Amtseinführung. reagiert ihr Umfeld anders auf sie: „Wenn ich von Er beginnt, ein Curriculum für die systematische Einbindung meiner Qualifizierung zur Bildungsfachkraft erzähle, Heute, lange nach dem Amtsantritt Wellensieks und fünf von Erfahrungsexperten zu entwickeln und stößt dabei auf das werden die Leute plötzlich aufmerksam und interes- Jahre nach ihrem Tod, nimmt die Pädagogische Hochschule Projekt „Inklusive Bildung“. Dieses wurde 2013 von der Kieler sieren sich für mich und meine Arbeit. Das tut natür- Heidelberg weitere Mitwirkende in ihre Reihen auf und erin- Stiftung Drachensee ins Leben gerufen und verfolgt seitdem lich gut“, freut sich Pflantzer. Zum anderen haben sie nert gleichzeitig an ihre ehemalige Rektorin: Am Annelie- das Ziel, Menschen, die als kognitiv beeinträchtigt gelten, zu selbst sich verändert, wie Lihl berichtet: „Ich bin nun seltener thematisieren. Zustande gekommen ist der Kontakt wieder über Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung (AW-ZIB) wer- Expertinnen und Experten in eigener Sache zu qualifizieren. krank. Ich drücke mich anders aus, bin selbstbewusster gewor- das Netzwerk von Stephan Friebe: Über gemeinsame Projekte den ab November 2020 Menschen eingestellt, die als „Wir, das heißt Dr. Jan Wulf-Schnabel, sein Team und ich, ha- den und stehe mehr für mich ein.“ „Genau aus dem Grund ist kennt er Professorin Dr. Karin Terfloth, die am Institut für Son- kognitiv beeinträchtigt gelten und vorab eine Qualifi- ben schnell gemerkt, dass wir am gleichen Strang ziehen und die Qualifizierung so wertvoll“, meint Projektkoordinatorin Nina derpädagogik lehrt und forscht, und spricht sie auf das Projekt zierung zu Bildungsfachkräften erfolgreich durchlaufen gemeinsam Großes erreichen können“, berichtet Friebe. Und so Rudolph. „Bildung ist ein Menschenrecht und Voraussetzung an. Die Professorin für Inklusionspädagogik erinnert sich: „So- haben – sozialversicherungspflichtig, in Vollzeit und un- wird die Johannes-Diakonie 2017 der erste Kooperationspart- dafür, dass man sich für sich und seine Rechte einsetzen kann. wohl wir im Fachbereich als auch das Rektorat waren von der befristet. Das Neue dabei: Die Bildungsfachkräfte werden ner außerhalb von Schleswig-Holstein: Mit Unterstützung der Über diese Fähigkeit verfügen die sechs Bildungsfachkräfte nun Idee begeistert, knüpft sie doch nahtlos an unsere Zielperspek- zu festen Mitgliedern der Hochschule und geben Einblicke in Dieter Schwarz Stiftung durchlaufen seitdem sechs Menschen und beweisen immer wieder, was in ihnen steckt.“ tive an, erfolgreiche Bildungsverläufe für alle zu ermöglichen. die Lebenswelten sowie Inklusions- und Exklusionserfahrun- mit sogenannter kognitiver Beeinträchtigung in Baden-Würt- Unsere Lehramtsstudierenden wurden zu diesem Zeitpunkt gen von Menschen mit Behinderung. Im Bildungsbereich ist temberg eine dreijährige Vollzeit-Qualifizierung. Sie lernen EINBINDUNG IN DIE LEHRE zwar alle bereits in inklusionspädagogischen und -didaktischen das AW-ZIB in seiner direkten Verortung als wissenschaftliche dabei, anderen ihre Lebenswelten, Bedarfe und spezifischen Ihr Potenzial zeigen sie seit dem Sommersemester 2018 auch Grundlagen ausgebildet. In den direkten Kontakt mit Menschen Einrichtung und Inklusionsabteilung an einer Hochschule ein Sichtweisen als Menschen mit Behinderungen kompetent zu an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, wo sie seitdem mit Behinderung sind sie jedoch meist erst durch die obligato- absolutes Novum – national wie international. vermitteln. mit Studierenden ihre Exklusions- und Inklusionserfahrungen rischen Praktika oder sogar erst in der Arbeitswelt gekommen.
10 STUDIUM UND LEHRE 11 Dass Menschen mit Behinderungserfah- Am Ende sagen elf davon ihre Unter- schule. Es war daher folgerichtig, die rung den Studierenden selbst aufzeigen, stützung zu und melden ihren Bedarf an Qualifizierung der baden-württembergi- was Inklusion in der Praxis heißt, war für inklusiver Bildung beim Wissenschafts- schen Bildungsfachkräfte von Anfang an uns ein folgerichtiger Schritt.“ ministerium an. zu begleiten“, erläutert Rektor Professor Dr. Hans-Werner Huneke anlässlich der PERSPEKTIVEN SCHAFFEN STOLZ UND GLÜCKLICH Senatsentscheidung. „Mit dem AW-ZIB Die Hochschule unterstützt zudem das Dieses gibt am 9. Januar 2020 bekannt, schaffen wir nun die Struktur, um die Ar- Ziel, den Bildungsfachkräften eine Zu- dass das Land Baden-Württemberg den beitsplätze der Bildungsfachkräfte über kunftsperspektive in Form eines sozial- Bildungsfachkräften dauerhafte Arbeits- ihre Qualifizierung hinaus zu sichern und versicherungspflichtigen Arbeitsplatzes plätze zusichert. „Das war wie ein Sech- den Transfer der Bildungsangebote ins zu bieten. Hierzu suchen Friebe und ser im Lotto“, sagt Lihl. „Ich habe lange Land zu ermöglichen.“ und hart dafür gearbeitet, ei- nen Arbeitsplatz auf dem ers- SICHTBARER BESTANDTEIL ten Arbeitsmarkt zu erhalten. Das stellt die Hochschule vor neue Her- Für mich wäre es ein Schlag ausforderungen, wie Professorin Terfloth fachkräfte – ‚Nichts über uns ohne uns!‘ – orientieren, partizipa- an Bildungsangeboten als Voraussetzung für die Implemen- gewesen, hätte ich zurück in berichtet, die das Zentrum gemeinsam tiv arbeiten und ab Herbst 2020 gemeinsam einen Schritt nach tierung weiterer Qualifizierungsdurchgänge: „Uns interessiert die Werkstatt gemusst. Jetzt mit Professorin Dr. Vera Heyl leiten wird: dem anderen gehen.“ Die Bildungsfachkräfte begrüßen dies: zunächst, an welchen Institutionen und in welchem Umfang bin ich einfach nur stolz und „Wir mussten zunächst einige Formalia „Dass wir bereits in die Umbauarbeiten eingebunden wurden, Bedarf an den Angeboten von Bildungsfachkräften besteht. Im glücklich.“ Auch für Pflantzer zur Anstellung der neuen Kolleginnen hat uns viel bedeutet. Ich wünsche mir, dass wir auch weiterhin Anschluss gilt es zu untersuchen, ob und wie weitere Qualifi- wäre der Weg zurück in die und Kollegen klären. Als das gelöst war, in alle für uns wichtigen Entscheidungen eingebunden werden,“ zierungsdurchgänge umgesetzt werden und inwiefern die Bil- Werkstatt keine Option ge- ging es mit den Arbeitsverträgen wei- sagt Pflantzer. Und Lihl ergänzt: „Die Zusammenarbeit wird für dungsfachkräfte des AW-ZIB mit ihren Erfahrungen darin einge- wesen: „Das hätte nicht mehr ter: Das sind juristische Dokumente, die uns alle spannend und wir können alle voneinander profitieren.“ bunden werden können“, berichtet Heyl. funktioniert. Umso mehr freue nicht einfach geändert werden können; ich mich, dass wir in Zukunft gleichwohl müssen die angehenden Bil- GEMEINSAM NEUE ERKENNTNISSE GEWINNEN GELEBTE INKLUSION FÖRDERN bei Bildungsfragen mitreden dungsfachkräfte natürlich verstehen, Dies gilt auch für die am Zentrum angesiedelte Forschungs- Das Interesse insbesondere auf Seite der Personen mit Beein- und Veränderungen anstoßen was sie da unterzeichnen. Wir haben die arbeit, für die eine Juniorprofessur sowie zunächst zwei Pro- trächtigung und ihrer Familien hieran ist groß, da es auch rund können. Wer weiß, wie meine Verträge sowie grundlegende Begriffe motionsstellen geschaffen wurden: „Es erscheint uns thema- 15 Jahre nach Unterzeichnung der Behindertenrechtskonven- Schullaufbahn verlaufen wäre, daher zusammen mit unserer Personal- tisch nur konsequent, die Forschungsvorhaben partizipativ tion noch häufig an tragfähigen Lösungen fehlt, wie Inklusion hätte es damals bereits Bildungs abteilung in Leichte Sprache übersetzt.“ auszurichten und die Bildungsfachkräfte an geeigneten Stellen umgesetzt werden kann. „Mit dem AW-ZIB ist daher auch das fachkräfte wie jetzt uns gegeben.“ aktiv zu beteiligen. Diese erweitern ihre Kompetenzen und wir Ziel verbunden, die Auseinandersetzung mit dem Thema zu be- sein Team das Gespräch mit der Politik, Zusammen mit dem für die Hochschule Forschenden erhalten vertiefte Einblicke in ihre subjektive Pers fördern. Hierzu soll ein Netzwerk aus Fach- und Hochschulen, der Verwaltung sowie Eingliederungs- Dem stimmt auch Wissenschafts- zuständigen Bauamt sowie mit Unter- pektive“, so Heyl. Politik, Verwaltung und Selbstvertretungsverbänden aufgebaut hilfeträgern. „Uns war wichtig, dass die ministerin Bauer zu, die anlässlich der stützung durch die Abteilung Technik & Besonders naheliegend erscheint hierfür die Forschung zur Wir- werden“, erklärt Terfloth. In diesem Zusammenhang kann Frie- Menschen nicht nur auf dem Papier über Bekanntgabe sagt, sie sei zutiefst davon Bau wurden zudem Umbaumaßnahmen kung der Bildungsarbeit. So haben zwar Studien bereits gezeigt, be der aktuellen Corona-Pandemie sogar etwas Positives ab- unser Konzept lesen, sondern vor Ort überzeugt, dass das Projekt ein hervor- geplant bzw. umgesetzt, um das denk- dass Studierende, die Lehrveranstaltungen mit inklusionsspezi- gewinnen: „Die angehenden Bildungsfachkräfte haben die He- erleben, welches Potenzial in Menschen ragendes Vorhaben ist und dass das ge- malgeschützte Gebäude barrierefrei zu fischen Themenschwerpunkten besuchen, später zum Beispiel rausforderungen angenommen, die sich durch die notwendigen mit sogenannter geistiger Behinderung plante Annelie-Wellensiek-Zentrum für gestalten: „Das AW-ZIB wird zukünftig einer inklusiven Schule offener gegenüberstehen. „Bislang Kontakteinschränkungen ergeben haben! Sie haben gelernt, steckt und welch‘ positive Wirkung in- Inklusive Bildung große Strahlkraft ent- im ebenerdigen Untergeschoss des Alt- kaum wissenschaftlich untersucht ist jedoch die Wirksamkeit Online-Kurse durchzuführen. Damit lässt sich die Reichweite klusive Bildung haben kann“, erklärt der wickeln wird. Deshalb hat sie sich mit der baus zu finden sein. Aus den bislang zwei von Lehrveranstaltungen unter Einbezug von qualifizierten Bil- ihrer Bildungsveranstaltungen deutlich vergrößern. So können Projektleiter. Grünen Fraktion im Landtag für die För- Räumen werden vier, die alle mit einer dungsfachkräften mit kognitiver Beeinträchtigung. Wir wollen nun auch Hochschulen beispielsweise in Stuttgart, Freiburg Zu den ersten Besuchern gehört die derung des Zentrums durch Verortung behindertengerechten Möblierung aus- daher zum Beispiel der Frage nachgehen, wie sich die Kompe- oder Konstanz das Angebot nutzen.“ baden-württembergische Wissenschafts- von Mitteln und Stellen im Staatshaushalt gestattet werden. Darüber hinaus wer- tenzen der Studierenden im Umgang mit Menschen mit kogniti- ministerin Theresia Bauer: Bereits An- stark gemacht. Zur Unterstützung des den die Türen erweitert, damit sie auch ver Beeinträchtigung durch die Bildungsarbeit verändern, aber VIELFALT GEWINNT fang 2018 tauscht sie sich mit den ange- Themas wurde im Ministerium für Wis- von Personen im Rollstuhl problemlos auch wie die Bildungsarbeit etwa das subjektive Wohlbefinden Unterstützt wird das Zentrum nicht nur vom Land Baden- henden Bildungsfachkräften aus und lobt senschaft, Forschung und Kunst zudem genutzt werden können, und die Barrie- der Bildungsfachkräfte beeinflusst“, erklärt Heyl. Württemberg, auch die Familie von Annelie Wellensiek steht den innovativen Ansatz. Es folgen zahl- die Geschäftsstelle „Inklusive Bildung“ refreiheit der Toiletten im Untergeschoss hinter dem Vorhaben: „Meine Frau war eine engagierte Kämp- reiche Gespräche unter anderem mit So- eingerichtet. wird weiter verbessert“, informiert Heyl. Auch die Bildungsangebote selbst sollen evaluiert und anschlie- ferin für Bildungsgerechtigkeit und eine stete Netzwerkerin. zialminister Manne Lucha und der Lan- Lihl, Pflantzer sowie die anderen Bil- ßend weiterentwickelt werden. „Dabei erforschen wir struktu- Sie hat Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen desbehindertenbeauftragten Stephanie dungsfachkräfte werden ihre Arbeit im Weitere grundlegende Entscheidungen relle und interaktionale Gelingensbedingungen für eine diver- und Diversität nicht als Problem gesehen, sondern vielmehr als Aeffner. „Sie alle waren begeistert. Es November an der Pädagogischen Hoch- wollen Heyl und Terfloth nur zusammen sitätssensible Gestaltung der Lehre“, so Terfloth. Demnach soll Chance für gelingende Bildungsprozesse. Ein Zentrum, das da- war aber auch schnell klar, dass wir für schule in Heidelberg antreten. Deren Se- mit den Bildungsfachkräfte treffen: „Uns beispielsweise untersucht werden, wie sich die fachliche Kom- für einsteht, durch die Verschiedenheit voneinander zu lernen eine politische Entscheidung ein trag- nat hatte Ende Januar die Einrichtung des ist wichtig, die Hochschule gemeinsam munikation zwischen den Studierenden und den Bildungsfach- und sich dadurch gemeinsam weiterzuentwickeln, wäre ganz fähiges Konzept brauchen, das den tat- Annelie-Wellensiek-Zentrums für Inklusi- zu gestalten! Das Zentrum soll keine Insel kräften gestaltet oder welche strukturellen Veränderungen sich im Sinne von Annelie gewesen“, sagt Dr. Jobst Wellensiek ab- sächlichen Bedarf an unserer Bildungs- ve Bildung beschlossen, das im Oktober sein, sondern sichtbarer Bestandteil un- in der Organisation Hochschule zeigen. Die Bildungsfachkräfte schließend. arbeit aufzeigt“, so Friebe. Also nutzt 2020 eröffnet wird: „Inklusive Bildung serer Hochschule; dazu wird sich einiges sollen ferner in die Evaluation und Weiterentwicklung der Qua- er wieder sein Netzwerk und spricht mit konsequent und nachhaltig umzusetzen, verändern müssen. Wir wollen uns dabei lifizierung zu Experten in eigener Sache eingebunden werden. seinem Team weitere Hochschulen an. das ist ein wichtiges Ziel unserer Hoch- aber an dem Grundsatz der Bildungs- Dazu gehört auch die systematische Erhebung des Bedarfs www.ph-heidelberg.de/aw-zib
12 STUDIUM UND LEHRE 13 NICHTS ÜBER UNS OHNE UNS! Wie gestalten sich Studium und Hochschulleben für Studierende mit Behinderung? Katharina Vollrodt hat eine Hörbehinderung und Ines Matic ist hochgradig sehbehindert. Die beiden haben Birgitta Hohenester- Pongratz und Sarah Dörfler von der daktylos-Redaktion aus ihrem Hochschulalltag berichtet. INES MATIC UND KATHARINA VOLLRODT (VON LINKS) Hallo Katharina, hallo Ines, wir freuen uns, dass unser Gespräch trotz Corona „live“ stattfinden kann. Kommilitonen zu finden. Ansonsten bin ich verloren: Zwischen den Veranstaltungen sind so viele Hier auf dem Campus der Hochschule haben wir ausreichend Platz im Freien, um uns mit dem nötigen Leute in den Gebäuden unterwegs, dass ich keine Chance habe, jemanden einfach so zu finden. Abstand zu unterhalten. Stellt Euch bitte kurz vor. Katharina: Ich werde im Studienalltag von Präsenz-Dolmetschern unterstützt, die in den Veran- Katharina: Ich studiere Sonderpädagogik mit den Fachrichtungen Hören und Lernen sowie staltungen neben mir sitzen und mir den Seminarverlauf auf dem Laptop verschriftlichen. Geht Deutsch als Hauptfach und befinde mich in meinem 11. Fachsemester. Außerdem habe ich eine das nicht, wie bei einigen meiner Seminare der Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik, übersetzt Ausbildung als Erzieherin. Ich bin an Taubheit grenzend schwerhörig und trage beidseitig ein mir ein Gebärdensprache-Dolmetscher das Geschehen. Ich kann zwar vor allem durch das Lip- Cochlea-Implantat (CI), also eine Innenohrprothese. penabsehen selbst Informationen aufnehmen, aber nicht über das durch die Cochlea-Implantate Ines: Ich studiere seit Oktober 2015 an der Hochschule und bin jetzt im Masterstudium Sonderpä- übersetzte Hören: Stimmenvielfalt und diffuse Geräusche sind im Hörsaal einfach zu groß. Durch dagogik eingeschrieben mit den beiden Fachrichtungen Lernen bei Blindheit und Sehbehinderung meine Hörbehinderung kann ich diesen „Lärm“ nicht filtern, alles kommt in derselben Lautstärke und Geistige Entwicklung sowie meinem Hauptfach Politikwissenschaften. Ich habe eine hochgra- bei mir an. Außerdem sitze ich im Seminarraum nicht immer so, dass ich das Lippenbild und die dige Sehbehinderung. Mimik des Dozenten gut sehen und das Gesagte verstehen kann. Und es kommt hinzu, dass es un- möglich für mich ist, zuzuhören und gleichzeitig mitzuschreiben, denn das Lippenbild wäre beim Wie ist Euer Leben als Studierende und wie läuft ein typischer Tag an der Hochschule ab? Schreiben ausgeblendet. Die Dolmetscher sind für mich also unersetzbar. Da ich den Einsatz der Ines: Ich fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hochschule; immer im Gepäck dabei sind Dolmetscher spätestens acht Wochen vor Vorlesungsbeginn beantragen muss, ist meine Semes- mein Laptop und mein Smartphone. Denn das sind für mich als Sehbehinderte unentbehrliche terplanung bereits im Februar bzw. August abgeschlossen. Außerdem arbeite ich ebenfalls mit Hilfsmittel im Studium: Folien etwa, die im Seminar bearbeitet und diskutiert werden, kann ich den Folien, die mir Dozenten im Vorfeld der Veranstaltungen zur Verfügung stellen. nur lesen, wenn ich sie auf meinem Laptopbildschirm vergrößere. In der Bibliothek nutze ich das Smartphone als Lupe, um Titel und Signaturen lesen zu können oder um den QR-Code eines Bu- Welche besonderen Hürden gilt es in Eurer Situation zu bewältigen? ches zu scannen. Meistens unterstützt mich hier aber eine Studienfreundin, indem sie die Litera- Katharina: Mein Studienbeginn war ziemlich holprig, weil das Sozialamt Heidelberg bis heute nicht tur zusammen mit mir heraussucht. Das ist eine große Entlastung für mich und geht viel schneller. bereit ist, die Dolmetscher zu bezahlen. Argumentiert wird, dass ich durch meine Erzieherin- Ganz wichtig sind außerdem Routinen und feste Strukturen im Studienalltag, denn die geben nen-Ausbildung ja dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnte. Ich finde das unfair, da auch mir Sicherheit und Orientierung. Beispielsweise sind feste Treffpunkte mit Kommilitoninnen und andere mit einer abgeschlossenen Ausbildung in der Tasche das Recht auf ein Studium haben. Kommilitonen wichtig, damit ich niemanden verfehle. So sitze ich in den Seminarräumen meis- Zudem ist das Studium auf die bereits abgeschlossene Ausbildung aufbauend. Seit dem fünf- tens auf dem gleichen Platz. Auch in der Mensa ist mir ein fester Treffpunkt wichtig, um meine ten Semester übernimmt Nordrhein-Westfalen, das Bundesland, aus dem ich komme, die Kosten
14 STUDIUM UND LEHRE 15 für die Dolmetscher-Begleitung und das sogar mit einer unbe- kennen, wie und wo sie mir helfen können, und dies auch fraglos grenzten Stundenanzahl. Ab da ging mein Studium eigentlich tun. So habe ich eine Freundin, die mir regelmäßig Studientexte erst mal so richtig los! vorliest. Das gilt ebenso für manche Dozenten, die beispiels- Ines: Es ist schade, dass einfache Unterstützung wie das Zusen- weise schriftliche in mündliche Prüfungen verändern und mir den der Folien bei manchen Dozenten so explizit eingefordert dadurch sehr entgegenkommen. werden muss. Das sieht so aus, als wolle man eine „Extrawurst“, Katharina: Dies kann ich nur bestätigen und unterstreichen. Frau obwohl es nur darum geht, gleiche Chancen herzustellen. Ich Bogner ist nicht nur eine große Hilfe, sondern erst durch ihr möchte meinen Kommilitonen und Kommilitoninnen gegenüber Engagement ist das Studium möglich. Ines arbeitet als Tutorin keine Sonderrolle einnehmen, sondern nur die gleichen Voraus- schon lange beim „Umsetzungsdienst“, der aus studentischen setzungen fürs Studium erhalten. Aber genau das klappt oft Qualitätssicherungsmitteln finanziert wird und Studienmate- nicht, denn ich werde noch häufig auf meine Behinderung redu- rialien adaptiert. Das geschieht in digitaler Form, indem Texte ziert. Oft wird nicht geschaut, was mich als Mensch auszeichnet eingescannt und vergrößert werden oder aber auch Braille-Aus- oder wie ich als Mensch handle, sondern mein Verhalten wird drucke vorgenommen werden. Das ist eine hilfreiche Sache, nur durch den Filter der Behinderung wahrgenommen. Und die genauso wie der Untertitelungsdienst, den ich mit ins Leben Behinderung wird nicht differenziert, da ist man blind oder taub, gerufen habe und der wichtige Seminarmaterialien, insbeson- ohne zu beachten, dass es auch hier unglaublich viele Unter- dere Videos, mit Untertiteln versieht. Gut sind Höranlagen in schiede gibt. Vorlesungsräumen, die mir ermöglichen, mich auf die Stimme Katharina: Manchmal passiert sogar das Gegenteil. Ich spreche des Vortragenden zu konzentrieren. Außerdem bieten manche besser als ich höre, aber das ist im Studienalltag eher Fluch als Lehrende von selbst Hilfe an, indem sie z.B. die Sprechge- Segen. Denn meine gute Lautsprachkompetenz stößt auf sehr schwindigkeit anpassen. viele Missverständnisse und es kommt vor, dass mir deshalb IM GESPRÄCH MIT DEN daktylos- nicht geglaubt wird, dass ich das Gehörte tatsächlich nicht ver- Wie ist der Kontakt zu anderen Studierenden – solchen mit und ohne REDAKTEURINNEN DR. BIRGITTA stehe. Das ist das Problem einer unsichtbaren Behinderung. Aber Einschränkungen? Gibt es Netzwerke von Betroffenen und Gleichge- HOHENESTER-PONGRATZ UND soll ich mich dafür etwa rechtfertigen oder gar entschuldigen? sinnten an der Hochschule, denen Ihr angehört? SARAH DÖRFLER (VON LINKS) Ines: Es gibt die SAG Inklusion, eine Arbeitsgemeinschaft von Habt Ihr trotz dieser Erfahrungen auch Unterstützung im Studienall- Studierenden mit und ohne Behinderung, die jedoch leider nicht tag? Welche Hilfen bieten Kommilitonen und Kommilitoninnen sowie sehr aktiv und populär ist. Ich habe aber zuverlässige Freundin- die Hochschule an? nen und Freunde an der Hochschule, sodass ich mich gut auf- Ines: Ja, es gibt auch Gottseidank viel Unterstützung von un- gehoben fühle. terschiedlichen Seiten. Die Behindertenbeauftragte Dr. Barbara Katharina: Die Gehörlosen sind traditionell gut vernetzt mitein- Bogner ist uns eine große Hilfe! Sie kümmert sich sehr enga- ander. Das Stichwort ist hier „Deaf Culture“, eine internationa- giert um unsere Belange und setzt sich für uns ein, wenn es le Gehörlosenkultur, die spezielle Überzeugungen, Traditionen, besser verstehen, da ich eine digitale Übertragungsanlage am Hat sich „die Gesellschaft“ in Sachen Diskriminierung Eurer Erfah- irgendwo hakt. Die Hochschule gewährt einen Nachteilsaus- Infrastrukturen und Netzwerke kennzeichnet. So kenne ich die Laptop anschließen kann und mir das Gesagte so direkt an mein rung nach in den letzten Jahren verändert? Was hat sich verbessert gleich, also etwa die Verlängerung der Abgabefristen für Haus- meisten Studierenden mit Hörbehinderungen meines Alters an CI übertragen wird. Außerdem fallen die ganzen Störgeräusche und wo gibt es noch Probleme? arbeiten, die Möglichkeit, länger zu studieren oder Prüfungen anderen Universitäten Deutschlands. Und in Heidelberg habe weg, die man in einem Hörsaal hat. Videos kann ich durch mein Ines: Ich denke, dass die Gesellschaft bereits viel sensibilisierter am Laptop zu absolvieren. Frau Bogner ist mit dabei, wenn es ich wie Ines einen guten Kommilitonenkreis – sowas trägt einen. automatisches Untertitelungsprogramm auf meinem Smart- ist, was die Integration von Menschen mit Behinderungen be- darum geht, diesen Nachteilsausgleich bei Lehrenden zu bean- phone sogar besser folgen als in Präsenzsitzungen. Das schafft trifft. Aber hier ist sicherlich Luft nach oben: Ich wünsche mir, tragen oder Empfehlungsschreiben zu formulieren. Toll finde Durch die Corona-Pandemie findet das Sommersemester vorwiegend mir persönliche Freiheiten und ich bin dadurch deutlich auto- dass mehr Berührungsängste abgebaut werden und man noch ich, dass ich Freundinnen habe, die ganz selbstverständlich er- anhand von digitalen Formaten und Online-Angeboten statt. Wie nomer. Wenn Veranstaltungen allerdings rein auditiv ablaufen, offener mit Behinderungen umgeht. Konkret bedeutet das im kommt Ihr damit zurecht? wird es kompliziert. Kontext Hochschule, dass beispielsweise eine Handreichung Ines: Für mich haben die digitalen Formate Vorteile, da ich mir für Lehrende für den speziellen Umgang mit beeinträchtigten etwa die Folien und Arbeitsmaterialien so vergrößern kann, Ihr seid in einem Lehramtsstudium eingeschrieben. Wie stellt Ihr Studierenden sehr hilfreich wäre, um unbeabsichtigte Diskri- dass ich leicht folgen kann. Auch das asynchrone Arbeiten Euch Euren künftigen Berufs- und Lebensweg vor? minierungen zu vermeiden. Außerdem wären auch beispiels- kommt mir entgegen. So habe ich dieselben Chancen wie meine Katharina: Als ich anfing zu studieren, wollte ich unbedingt Leh- weise Seminare für Lehrende eine gute Möglichkeit, um den Kommilitonen, da jeder die Präsentation vor sich auf dem Bild- rerin werden, weil ich manches anders machen wollte als das, Austausch mit beeinträchtigten Studierenden zu fördern und schirm verfolgen kann. Natürlich fehlt mir der Kontakt zu Stu- was ich in meiner Schullaufbahn erlebt habe. Mittlerweile kann Berührungsängste abzubauen. dierenden und Lehrenden, aber das geht sicherlich den meisten ich mir eher vorstellen, in der Frühförderung oder Berufsausbil- Katharina: Ja, in den eigenen Kreisen ist das kein Problem, aber Menschen so. dung tätig zu sein, vielleicht sogar in der Forschung, vielleicht im in der Öffentlichkeit kommt es manchmal zu ungewollten Aus- Katharina: Auch in Coronazeiten ist nicht alles schwarz oder Ausland. Das Studium hat meinen Berufswunsch da definitiv er- grenzungen und Stigmatisierungen durch unsensibles Verhalten. weiß, es gibt einige Nachteile, aber auch viele gute Seiten. weitert, denn es gibt so viele mögliche Arbeitsbereiche. Auf je- Wenn Informationen nur mündlich geteilt werden, bin ich eben Durch die Maskenpflicht fällt das Lippenlesen komplett aus – den Fall möchte ich aber im Bereich Hörgeschädigtenpädagogik draußen. Besonders wichtig ist mir aber eins: Nichts über uns das ist eine schwere Einschränkung in der Kommunikation, die arbeiten. ohne uns! Dass also nicht von Inklusion gesprochen wird, ohne mit mich überall beeinträchtigt. Online-Angebote aber haben den Ines: Ich wünsche mir, in Zukunft in einem Sonderpädagogischen den Betroffenen selbst zu sprechen. Deshalb bedanken wir uns Vorteil, dass vieles in Schriftsprache ist, sodass ich gleichbe- Bildungs- und Beratungszentrum zu arbeiten. Ich finde es gut, für die Einladung, im daktylos unserer Situation eine Stimme rechtigt wie alle anderen studieren kann. Das ist eine große Er- wenn ich selber als Betroffene in diesem Bereich tätig werde, da und den notwendigen Raum geben zu können. leichterung und ich kann in meinem eigenen Tempo arbeiten. ich aus ganz anderen Erfahrungen schöpfen kann als Nicht-Be- Bei Online-Vorlesungen kann ich den Dozenten außerdem viel troffene; diesen „Vorteil“ möchte ich professionell nutzen. Wir bedanken uns für das intensive und offene Gespräch! Platzhalter Anzeige TexDat
16 Studium und Lehre 17 Gewächse der Seele Im interdisziplinären Seminar „Kunst & Inklusion“, das seit vie- len Jahren an der Hochschule stattfindet, arbeiten Menschen mit Behinderung und Studierende zusammen an einem Thema. Dabei wurde eine Ausstellung des Wilhelm-Hack-Museums TEXT SUSANNE BAUERNSCHMITT UND TERESA SANSOUR Ludwigshafen zum Ausgangspunkt künstlerischen Tuns. Das Fach Kunst veranstaltet in Kooperation mit der Fachrich- Heidelberg waren neun Teilnehmende dabei. Letztere haben Die Auswahl war mannigfaltig: Manche Teilnehmende waren nicht vorher mühevoll erdenken müsste, sondern etwas fließen tung geistige Entwicklung der Pädagogischen Hochschule so- eine „geistige Behinderung“ und manche von ihnen nutzen kei- angezogen von okkultistisch inspirierten Malereien Hilma af lassen wollte, das unaufhaltbar und mir eigen ist. Ein Gewächs wie in Kooperation mit der Lebenshilfe Heidelberg schon seit ne Verbalsprache. Manche sind sehr selbstständig und konnten Klints, andere von den grafischen Klecksographien Justinus der Seele – genau das wollte ich finden.“ 2013 inklusive Seminare. „Kunst & Inklusion“ zielt darauf, dass mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Seminar kommen, andere Kerners, wieder andere gebannt von den experimentellen Ver- Zur Realisierung der individuellen künstlerischen Ideen und erwachsene Menschen mit und ohne Behinderung sich ge- benötigten deutlich mehr Unterstützung. fahren Max Ernsts oder den surrealen Bildmotiven Magrittes, Fragestellungen stand in den folgenden Seminarsitzungen stets genseitig kennenlernen, gemeinsam und individuell zu immer Vor der Begegnung mit den Bild- und Seelenwelten im Muse- bis hin zur Faszination von Georgiana Houghtons künstlerischer eine üppige Materialtheke bereit. Die Vielfalt und der Aufforde- neuen Themenfeldern künstlerisch arbeiten, unterschiedliche um galt es, dass sich die Seminarteilnehmenden gegenseitig Strategie, mit Toten zu kommunizieren. rungscharakter des Materials eröffneten unterschiedliche bild- Sichtweisen formulieren und austauschen, miteinander lernen kennenlernten und erste künstlerische Zugänge zum Thema nerische Gestaltungsmöglichkeiten, weckten Experimentier- und sich bilden. Die Inklusion steht dabei nicht im Zentrum des „Gewächse der Seele“ anbahnten. Anhand von mitgebrachten BILDNERISCHE RESONANZEN freude. Es wurde gemalt, gezeichnet, modelliert, fotografiert, Seminars, sondern die Kunst, der man sich aus unterschiedli- Kunstwerken zur individuellen Lieblingspflanze stellten sie ein- Zurück im Seminar wurden die Erträge des Museumsbesuchs mit Bauschaum geformt, mit Schuhcreme gedruckt, auf Dreh- chen Perspektiven nähert. ander in Kleingruppen vor. Sie entwickelten Pflanzenfantasien, vertieft, indem allen Teilnehmenden zum ausgewählten Werk scheiben gekreist, jede und jeder den eigenen Vorlieben und „Gewächse der Seele“ war im Sommersemester 2019 der Un- indem sie gefundene Pflanzenteile neu zusammensetzten und und seiner Aneignungsmöglichkeit Informations- und Bildmate- Interessen folgend. Eine Teilnehmerin beschrieb den Prozess tertitel des „Kunst & Inklusion“-Seminars, das auf eine gleich- die Hybride fotografierten. Und sie formulierten bildnerisch rial bereitgestellt wurde. Es galt, nach vertrauten und fremden so: „Ich hatte noch nie so eine Auswahl an Möglichkeiten und namige Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigs- oder schriftlich, was sie sich unter ‚Seele‘ vorstellten. Kein ein- Aspekten zu recherchieren, um bildnerische Resonanzen zu den Materialien […]. Ich war ganz wild darauf, etwas auszuprobieren, hafen Bezug nahm. Zu sehen waren dort symbolistische und faches Unterfangen. individuellen Ausgangswerken zu formulieren. Somit waren die das ich noch nicht kannte, […] richtig mit dem Körper zu arbei- surrealistische Werke in Gegenüberstellung mit Arbeiten der Die nächste Sitzung fand im Mai 2019 im Ludwigshafener Kunstwerke Inspirationsquellen für eigene künstlerische Arbei- ten und in die Kunst und in mich selbst einzutauchen. […] Ich Outsider-Art, also Arbeiten, die außerhalb der anerkannten Museum statt. Es gab keine Führung, sondern nur eigenständige ten, aber auch Ausgangspunkte für Auseinandersetzungen mit habe das Brennen auf meinen Fingerkuppen gespürt. Ich habe Kunstproduktion entstanden waren. Die Werke zeigten innere Erkundungen mit reichlich Raum für die eigenen Sichtweisen. künstlerischen Techniken, mit Biografien von Künstlerinnen und geschwitzt und gekeucht. Ich war ‚eins‘ mit meinem Projekt und Seelenzustände, Verbildlichungen von Gedanken, Visionen und Die Teilnehmenden erhielten Aufgaben, die sie in Kleingruppen Künstlern sowie mit dem eigenen Selbst. Eine Teilnehmerin re- ‚eins‘ mit der Kunst.“ Träumen, Pflanzenformen als Sinnbild der Ursprünglichkeit, als und alleine bearbeiteten. Werke wurden ausgewählt, diskutiert, flektierte: „Es sollte anders kommen als ich dachte und plante. Mit den fertigen Werken ging es im Juni 2019 ein zweites Mal Spiegel der Seele. befragt, es wurde geschrieben, gezeichnet und imaginiert. Eine Von mehreren Pflanzenfotos inspiriert, startete ich mein Werk in die Ausstellung „Gewächse der Seele“. Vor den Ausgangs- Teilnehmerin formulierte: „Ich fand die Art und Weise, wie wir und musste nach der ersten Werkphase sehr unbefriedigt fest- werken stellten sich die Teilnehmenden gegenseitig ihre Arbei- KUNST WÄCHST IM DIALOG mit der Kunst in Berührung gekommen sind, inspirierend. Kei- stellen, dass irgendetwas nicht stimmte – diese ‚Reise‘ war nicht ten vor. Im vergleichenden Wahrnehmen entstanden erhellende Am Seminar nahmen 29 Personen teil: 20 von ihnen waren Studie- ne Museumsführung mit stundenlangem Vortrag, sondern eine meine. […] Es entsprang nicht diesem tieferen Quell, dieser In- Einsichten, ungeahnte Bezüge, gedankenreiche Dialoge, viele rende zwischen dem 2. und 6. Semester für die Primar- und Sekun- eigenständige Museumserkundung.“ Dann benannte jede und tuition, der folgend man nicht viel zu denken hat. Noch einmal in Resonanzen zwischen den Werken ebenso wie zwischen den darstufe sowie im Bereich Sonderpädagogik, von der Lebenshilfe jeder für sich ein besonders interessantes Bild der Ausstellung. mich gehend begriff ich, dass ich etwas schaffen wollte, das ich Beteiligten. Schließlich wurden die Arbeiten des Seminars in
18 Studium und Lehre 19 der Pädagogischen Hochschule ausgestellt; die Vernissage fand am 2. Juli 2019 im Altbau statt. Eine Studentin erlebte dies so: „Die Krönung war natürlich die Vernissage. Zu sehen, wie stolz dass ich sie hilfebedürftiger als mich sah und mich schon di- rekt um sie ‚kümmern‘ wollte. […] Wenn ich diese Haltung im Nachhinein reflektiere, finde ich es sehr erschreckend, welche BERUFSZIEL die Kommilitonen der Lebenshilfe waren, ihre große Freude, ihre eigenen Werke präsentieren zu können. Alle begrüßten sich, als hätten sie sich lange nicht gesehen, aber schon ewig gekannt.“ indirekten Vorurteile noch in mir sind, die ich dachte, durch mei- ne Erfahrung und Arbeit mit Menschen mit Behinderung längst ,überwunden‘ zu haben. Ich glaube aber, dass jeder Mensch so SONDERPÄDAGOGIK Vorurteile gegenüber anderen Menschen hat, die einem manch- AUF AUGENHÖHE mal gar nicht bewusst sind. Deswegen bin ich sehr dankbar, Heidelberg gehört bundesweit zu den wenigen Stand- Welche nachhaltigen Lernerfahrungen wurden im inklusiven dass ich meine Haltung in diesem Seminar erlebt habe.“ Und Seminar gemacht? Um diese Erfahrungen im Nachgang zu re- eine andere Teilnehmerin resümierte sehr persönlich: „Es fällt orten, an denen ein Sonderpädagogikstudium möglich flektieren und zu festigen, formulierten die Studierenden ein mir schwer, auf andere Menschen zuzugehen. Manchmal habe etwa zweiseitiges „Statement“, die Teilnehmenden der Lebens- ich Angst davor, dass andere Menschen mich nicht verstehen ist. Ein Überblick über die Studienmöglichkeiten an der hilfe wurden von der dortigen Kooperationspartnerin Barbara oder mich komisch finden. Mich deshalb zurückweisen. Ich habe Schmidt mündlich befragt. Eine Teilnehmende fasste zusam- mir vorgenommen, in Zukunft in ähnlichen Situationen zu ver- Pädagogischen Hochschule. men: „Ich hätte nie gedacht, dass dieses ‚Zusammenarbeiten‘ suchen, selbst aktiver zu werden. Ich möchte mutiger sein, und so auf einer Augenhöhe stattfindet. […] In diesen Prozess wur- mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen, anstatt abzuwarten TEXT VERENA LOOS de mir klar, dass ich doch eine andere Haltung zu Menschen und das Gefühl der Einsamkeit aufkommen zu lassen.“ mit Behinderung habe, als ich gedacht hatte. So stellte ich fest, Seit Juli 2015 sind inklusive Bildungsangebote an Schulen in Baden- Wer als Lehrkraft arbeiten möchte, muss nach dem Bachelor- noch ein * Württemberg gesetzlich verbindlich verankert. Entsprechend hoch ist Masterstudium absolvieren. Hier bietet die Hochschule den Master der Bedarf an qualifizierten Sonderpädagoginnen und -pädagogen. of Education Lehramt Sonderpädagogik an. Der Studiengang ist SUSANNE BAUERNSCHMITT ist Akademische Oberrätin im Fach Kunst. Heidelberg ist landesweit einer von zwei Standorten, an denen sie ausgerichtet auf die Entwicklung von vertieften Kompetenzen, um ausgebildet werden. Einen Studienplatz zu erhalten ist entsprechend der Bildung und Erziehung von Kindern, Jugendlichen und jungen DR. TERESA SANSOUR ist seit April 2020 Professorin am Institut für Sonder- und schwierig: Aktuell liegt der Grenzwert hier – je nach sonderpädago- Erwachsenen mit sonderpädagogischem Bildungs- und Unterstüt- Rehabilitationspädagogik der Universität Oldenburg. gischer Fachrichtung – zwischen 35 und 45 Punkten. Da Heidelberg zungsbedarf gerecht zu werden. Besondere Berücksichtigung finden bei der Studienplatzvergabe als einzige der Pädagogischen Hoch- dabei fachrichtungsspezifische Aspekte der Sonderpädagogik, die schulen der Abiturnote die gleiche Bedeutung wie pädagogisch rele- mit einer fachspezifischen Didaktik verschränkt werden. Ergänzt vanten Vorerfahrungen – nämlich jeweils 30 Punkte – beimisst, brau- wird das Studium durch die Bildungswissenschaften und zwei weitere chen Bewerberinnen und Bewerber sowohl ein (sehr) gutes Abitur Praktika. als auch einen Nachweis zum Beispiel über die Betreuung von Men- Impressum daktylos . Herbst 2020 . 25. Jahrgang . ISSN 1437-8590 HERAUSGEBER Prof. Dr. Hans-Werner Huneke, Rektor * schen mit Behinderung. BUNDESWEIT EINZIGARTIG Sowohl Bachelor- als auch Masterstudierende haben seit dem Win- REDAKTIONSANSCHRIFT VOM BACHELOR ZUM MASTER tersemester 2019/2020 die Möglichkeit, zusätzlich das Besondere Pädagogische Hochschule Heidelberg Wer sich für die professionelle Arbeit mit Kindern, Jugendlichen Erweiterungsfach Taubblinden- und Hörsehbehindertenpädagogik Keplerstraße 87, 69120 Heidelberg und jungen Erwachsenen mit sonderpädagogischem Bildungs-, zu belegen. Das Lehrangebot ist bundesweit einzigartig, da es bis- 06221 477-643 . presse@vw.ph-heidelberg.de Beratungs- und Unterstützungsbedarf interessiert, bewirbt sich in lang an der Qualifizierung von Lehrkräften für die Arbeit mit Kindern REDAKTIONSLEITUNG der Regel zunächst für den Bachelorstudiengang „Sonderpädagogik und Jugendlichen, die taubblindenspezifische Unterstützungs- und Dr. Birgitta Hohenester-Pongratz (Bezug Lehramt Sonderpädagogik)“. Die Studierenden können ein Bildungsbedürfnisse haben, gefehlt hat. REDAKTION Fach sowie zwei sonderpädagogische Fachrichtungen wählen; diese Verena Loos, Sarah Dörfler, Cosima Stawenow © Zsuzsanna Ilijin sind Lernen, Geistige Entwicklung sowie Sprache, die alle drei auch STUDIENANGEBOTE FÜR LEHRKRÄFTE GESTALTUNG in Ludwigsburg studiert werden können, sowie Hören bzw. Lernen Wer bereits einen Lehramtsstudiengang abgeschlossen hat oder als Katja Komma, Heidelberg kontakt@katjakomma.de . www.katjakomma.de bei Blindheit und Sehbehinderung, die ausschließlich in Heidelberg ausgebildete Lehrkraft an Regelschulen arbeitet, kann außerdem angeboten werden. Allen gemein ist die Entwicklung von Kompe- den Aufbaustudiengang Lehramt Sonderpädagogik belegen. Dieser FOTO Alle PH Heidelberg, bis auf: S. 9: Vision Factory / Martin tenzen, die gelingende Lern- und Inklusionsprozesse fördern, sowie qualifiziert dazu, als Sonderpädagogin bzw. Sonderpädagoge an Miseré; S.11: Heidelberg School of Education | Ingo Kleiber; zwei Praktika. Sonderschulen bzw. in inklusiven Settings tätig zu sein. S. 24: CHARGE Syndrom e.V.; S. 26: clipdealer-9455289; S. 28: David-W- / photocase.de; S. 31: PCSS Poznańskie Centrum Superkomputerowo-Sieciowe: Insension: ICT system for In Heidelberg belegen die Sonderpädagogikstudierenden zudem den Seit dem Wintersemester 2018/2019 bietet die Hochschule zudem detection and interpretation of non-symbolic behaviors of Übergreifenden Studienbereich – und zwar gemeinsam mit den Stu- ein Weiterqualifizierungsprogramm für Haupt- und Werkrealschul- people with PIMD, veröffentlicht am 22.07.2019, www.youtube. dierenden der anderen beiden lehramtsbezogenen Bachelorstudien- lehrkräfte an: Diese werden über den Masterstudiengang Aufbau com/watch?v=G8s8U8lxMcw; S. 34: Reliefmodell von Marieke Wydra; S. 44 & 45: Johann-Wilhelm Klein-Akademie. gänge. Der sogenannte ÜSB dient der Entwicklung von Querschnitts- Lehramt Sonderpädagogik für einen horizontalen Laufbahnwechsel kompetenzen und widmet sich in den ersten beiden Pflichtmodulen für den Einsatz an anderen Schularten weiterqualifiziert. DRUCK TexDat-Service gem. GmbH, Weinheim . www.texdat.de dem Thema „Inklusion“: Die Studierenden beschäftigen sich dabei zunächst mit einem inklusiven Bildungssystem und entwerfen dann Bücherstube an der Tiefburg • Dossenheimer Landstraße 2 • 69121 Heidelberg-Handschuhsheim ANZEIGEN Telefon 06221/475510 • rkg@buecherstube-hd.de • www.buecherstube-handschuhsheim.de Renate Neutard, Sandhausen im Kontext ihrer gewählten Studienfächer fachdidaktische Kompe- www.ph-heidelberg.de/studienangebot 062 24 17 43 30 . neutard.werbung@t-online.de tenzen für einen inklusiven Unterricht.
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