Werbewirksamkeit Red Bull nimmt auch den Tod in Kauf (F.A.Z.)

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Werbewirksamkeit Red Bull nimmt auch den Tod in Kauf (F.A.Z.)
15.10.2012 · Für Red Bull hat sich der Felix Baumgartners Sprung aus der Stratosphäre gelohnt. Der
Werbewert für den Getränkehersteller ist nicht zu beziffern. Doch es stellen sich Fragen: Wie viel ist
ein Menschenleben wert? Was ist dagegen Publizität wert?

Noch einmal ist alles gut gegangen. Der Österreicher Felix Baumgartner hat den Sprung aus der
Stratosphäre offenbar unbeschadet überstanden. Für das Sponsoringunternehmen, den
Getränkehersteller Red Bull, hat sich das Spektakel gelohnt. Der Werbewert für Red Bull ist nicht zu
beziffern. Günter Schweiger, Präsident der Österreichischen Werbewissenschaftlichen Gesellschaft
(WWG), sagt: „Für die Marke ist das ein echter Turbo, weil das Thema in TV-Stationen und
Printmedien auf der ganzen Welt rauf- und runtergespielt wurde.“ Die Aktion sei zielgruppenkonform
verlaufen mit viel Abenteuer.

Aus Sicht des Wissenschaftlers dürfte das Image auch auf Österreich als Nation abfärben. Denn die
Alpenrepublik hat weniger Potential vor allem im Vergleich zu Deutschland, um durch Kraft, Stärke
und Macht zu punkten. „Durch ein derartiges Manöver - wenn jemand an die Grenzen des Machbaren
geht - gibt es auch eine Neubewertung des nationalen Images“. Auf der anderen Seite fragt sich
Schweiger, ob ein solches Risiko gerechtfertigt ist. Wie viel ist ein Menschenleben wert? Was ist
dagegen Publizität wert? Damit komme man an die Grenzen der werbewissenschaftlichen
Quantifizierbarkeit.

Sponsoring allein schafft noch keinen Gewinn, wissen Fachleute. Erfolg schafft erst das gesamte
Marketing. Den Publizitätsgrad der Aktion rechnet Schweiger weniger Red Bull als den Medien an.
Denn nicht nur der Boulevard habe hier äußerst sensationslüstern agiert, sondern auch seriöse
Branchenvertreter. „Wenn sich hingegen österreichische Lehrlinge in internationalen Wettbewerben
exzellent schlagen und damit Hinweise auf Standortqualität geben, interessiere das kein Medium.“

Tatsächlich hat der Sprung den Medien ein reges Interesse beschert. Davon profitierte auch die
Videoplattform You Tube: Bis zu acht Millionen Menschen sahen zur Spitze gleichzeitig zu, teilten
die Betreiber im offiziellen You Tube-Blog mit. Damit dürfte auch ein neuer Rekord für Live-
Übertragungen im Internet aufgestellt worden sein: Als bisheriger Spitzenwert galten mehr als sieben
Millionen Zuschauer, die der Internet-Dienstleister Akamai 2009 bei der Amtseinführung des
Präsidenten Obama zählte.

Das Budget für den Markenauftritt der Firma aus dem Salzkammergut scheint unerschöpflich. Etwa
ein Drittel des trotz Krise in den zurückliegenden Jahren ständig steigenden Umsatzes wird dafür
verwendet. Das macht unter dem Strich annähernd 1,5 Milliarden Euro. Die Kosten für das Projekt
Stratos bilden da mit kolportierten 50 Millionen Euro einen verschwindend kleinen Anteil. Red Bull
sponsert seit Jahren eine Vielzahl sportlicher Veranstaltungen, vor allem im Extremsport.

Scharfe Kritik an seinem Extremsportengagement hat das Unternehmen vor drei Jahren erlebt. Zwei so
genannte Basejumper, Menschen die mit einem Fallschirm etwa von Hochhäusern oder Klippen
springen, sind in der Schweiz ums Leben gekommen. „Geht Red Bull über Leichen?“, fragten
daraufhin eidgenössische Medien und sprachen von Perversionen des Event-Marketings. Das hat den
Getränkeproduzenten von seinen unkonventionellen Werbemethoden nicht abgebracht.

Nach Angaben des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Millward Brown liegt Red Bull
derzeit auf Platz 80 der wertvollsten Marken der Welt, Österreichs teuerste ist der Stier mit den
Flügeln auch: Der Wert beträgt umgerechnet 7,5 Milliarden Euro. In Summe stehen mehr als 600
Athleten bei dem Unternehmen unter Vertrag. Die Gesellschaft versucht sich aber nicht nur durch
spektakuläre Sportarten und Veranstaltungen zu profilieren - mit der Stiftung „wings for life“
engagiert sie sich seit Jahren bei Forschungsprojekten zur Heilung verletzten Rückenmarks.
Akademische Hochstapler Frankreich ist ein
Plagiatoren-Paradies
Die französische Literaturprofessorin Hélène Maurel-Indart kämpft seit
langem gegen Plagiate. In ihrem Land treten Eliten nicht zurück, wenn sie
ihren Titel verlieren. Im Interview spricht sie über skrupellose Abschreiber
und über ihre beste Waffe: Humor.

SPIEGEL ONLINE: In manchen Ländern treten Politiker zurück, weil sie eine
Geliebte haben, in anderen, weil sie plagiiert haben, schrieb die französische
Tageszeitung "Le Monde" zum Rücktritt von Annette Schavan - das klingt, als
belächle man in Frankreich den deutschen Umgang mit Plagiatsaffären.
Maurel-Indart: In Frankreich würde ein Politiker nicht zurücktreten, wenn er seinen
Doktortitel verliert. Hier sind Plagiatsaffären heftige, kurze Skandale. Danach kann
der prominente Plagiator seine Karriere weiterverfolgen.
SPIEGEL ONLINE: Genügt in Frankreich ein Universitätsabschluss für eine große
Karriere?
Maurel-Indart: In Frankreich ist es leicht, Karriere zu machen, wenn man von einer
Grande Ecole kommt. Diese Elitehochschulen sind sehr renommiert. Wer zum
Beispiel an der ENA studiert hat, der französischen staatlichen Hochschule zur
Ausbildung von hohen Verwaltungsbeamten, braucht keinen Doktortitel mehr.
SPIEGEL ONLINE: Und welchen Wert hat der Doktortitel an der Universität in Ihrem
Land?
Maurel-Indart: In Frankreich braucht man den Doktortitel, um Hochschullehrer und
dann Professor zu werden. Er ist also nur eine von mehreren Etappen im Lebenslauf.
Allerdings ist er wichtig und notwendig für eine wissenschaftliche Karriere.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch "Die kleine Untersuchung über den skrupellosen
Plagiator" wünschen Sie sich aber insgesamt mehr Prestige für Promovierte?
Maurel-Indart: Ja, eigenständig angefertigte Doktorarbeiten sind Glanzleistungen.
Es kostet Mühe und mindestens drei Jahre Zeit, eine Doktorarbeit zu schreiben. Mehr
Wertschätzung ist wichtig, trotzdem verarbeite ich Plagiate mit Humor.
SPIEGEL ONLINE: Was ist an Plagiaten lustig?
Maurel-Indart: Ich decke die Skrupellosigkeit des Plagiators mit Humor auf.
Plagiate sind oft so grotesk, dass der Schummler lächerlich wirkt: Wenn ein
vielbeschäftigter Prominenter auf einmal ein großes Werk vorstellt und jeder weiß,
dass er eigentlich gar keine Zeit dafür hat, ist das entlarvend. Doch weil sie hier
kaum Konsequenzen fürchten müssen, juckt sie das wenig. Frankreich ist ein
Plagiatoren-Paradies.
SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich das?
Maurel-Indart: In Frankreich ist es sehr schwierig, eine Autorität in einer Institution
zur Verantwortung zu ziehen. Aber ich sehe eine Veränderung in den letzten fünf
Jahren: Die Medien interessieren sich mehr für Plagiatsaffären, die Gesellschaft will
mehr Transparenz - und durch das Internet wird es auch einfacher, Plagiate
aufzudecken. Abschreiben allerdings auch.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben auch eine französische Webseite, die "Das
Plagiat" heißt. Jagen Sie damit Plagiatoren?
Maurel-Indart: Ich bezeichne mich nicht gerne als Plagiatsjägerin. Ich lehre und
informiere über Plagiate, auch auf meiner Seite. Aber dort Plagiatoren zu melden, ist
mir zu heikel. In meiner Funktion als Professorin muss ich nur Plagiate bei meinen
eigenen Studenten bestrafen, wenn ich welche entdecke.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das zu heikel, wenn Franzosen das mit dem Plagiieren
ohnehin nicht so eng sehen, wie Sie sagen?
Maurel-Indart: Es ist manchmal immer noch weniger riskant zu plagiieren, als den
Plagiatoren zu denunzieren.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem neuen Buch jedoch prangern Sie Plagiatoren an.
Maurel-Indart: Ja, ich habe aber auch lange und präzise daran gearbeitet und
wissenschaftliche Maßstäbe angelegt. Das Buch enthält konkrete Beispiele und
beschreibt Typen von Plagiatoren und ihre Art zu schummeln. Es ist für die breite
Öffentlichkeit bestimmt, damit jeder nachvollziehen kann, was ein Plagiat ist und was
nicht. Nur so viel: Um eins zu erkennen, muss man sehr genau hinschauen.
SPIEGEL ONLINE: Was muss sich ändern im Kampf gegen Plagiatoren?
Maurel-Indart: Wir müssen die Plagiatssoftware verbessern. Und es muss klar sein,
welchen Schaden ein Plagiat insgesamt anrichtet: Ehrliche Schriftsteller werden
entmutigt, Zeit und Mühe in ein eigenes Werk zu stecken. Kunstwerke, Schriftstücke
und Institutionen, die Titel vergeben, verlieren ihren Wert durch Plagiate.
Das Interview führte Vanessa Klüber
"Alternative für Deutschland": Warum die Anti-
Euro-Partei Merkels Sieg gefährdet
Eine Kolumne von Wolfgang Münchau

Man kann sich lustig machen über diese älteren Herrschaften mit der
Deutschland-Flagge und den D-Mark-Scheinen. Aber die "Alternative für
Deutschland" ist mittlerweile die einzige echte Opposition in Deutschland -
und Peer Steinbrücks letzte Chance auf den Wahlsieg.

CDU/CSU führen mit großem Vorsprung vor der SPD. Wenn man die Koalitionen
zusammenrechnet, wird es enger. Laut einer aktuellen Umfrage von INSA haben
Union und FDP 44 Prozent, SPD und Grüne zusammen 41. Die "Alternative für
Deutschland" (AfD) liegt mittlerweile bei drei Prozent.
Die Euro-Gegner profitieren vom Trend, und ihr Timing ist gut. Die AfD ist jetzt in
der Phase, in der gute Ergebnisse weitere gute Ergebnisse hervorbringen. Das ist wie
im Marketing: Es gibt eine Welle von Pionierkäufern. Und dann gibt es Kunden, die
erst dann zuschlagen, wenn das Produkt bereits Erfolg hat - wie beim iPhone. Sollte
die AfD in den Umfragen jemals fünf Prozent erreichen, könnte ihr Stimmenanteil
danach schlagartig ansteigen. Denn die Wähler können dann davon ausgehen, dass
eine Stimme für die AfD bei der Bundestagswahl nicht verschenkt ist.
Leser dieser Kolumne wissen, dass ich die der AfD diametral entgegengesetzte
Position vertrete. Ich bin für den Euro - aber im Gegensatz zur Bundesregierung
auch für die Dinge, die notwendig sind, um ihn zu erhalten. Wenn man Euro-Bonds
nicht will und die gemeinsame Einlagensicherung der Sparkonten in Europa auch
nicht; wenn die Bundesrepublik also nicht bereit ist, den notwendigen Preis für den
Erhalt des Euro zu zahlen, dann sollte sie die Währungsunion verlassen. In diesem
spezifischen Punkt stimme ich mit der AfD überein.
Merkels angeblich so clevere Krisenpolitik
Entscheidend für mein Urteil sind nicht Zypern oder Griechenland, sondern Italien
und Spanien. In Italien steigt die Schuldenquote bald auf 130 Prozent der
Wirtschaftsleistung. Das Land ist politisch nicht bereit, sich ökonomisch Deutschland
anzupassen. Dazu müsste Italien den Staatssektor reformieren, das Kartellrecht
stärken und vor allem sein Arbeitsrecht dem von Deutschland anpassen. Das Land
müsste sich praktisch neu erfinden. In Spanien führt die simultane Entschuldung von
Privat- und Staatssektor in eine brutale Abwärtsspirale, aus der ein Ende nicht
absehbar ist. Weder Italien noch Spanien sind unter den jetzigen Bedingungen im
Euro-Raum lebensfähig.
Ich glaube zwar nicht, dass die Mehrheit der deutschen Wähler vor der
Bundestagswahl die Konturen der Alternativen ebenso scharf zeichnet wie ich
gerade. Merkel ist ja zum Teil auch wegen ihrer angeblich so cleveren Krisenpolitik
bei den Wählern so beliebt. Aber ich glaube, es gibt genug Leute im Land, die ihr
Hasardspiel durchschauen.
Interessanterweise ist die AfD auch für bestimmte Euro-Befürworter attraktiv. Für
diejenigen nämlich, die glauben, dass man den Euro nur durch einen Austritt
Deutschlands retten kann. Die AfD steht schließlich nicht für die Abschaffung des
Euro, sondern lediglich für die freie Wahl eines Landes, die Währungsunion zu
verlassen. Wenn Deutschland austritt, würde der Rest-Euro abwerten. Genau das ist
notwendig, um dem Süden einen Wachstumsschub zu verleihen, der dann schnell die
Schuldenquoten drücken wird.
Der Euro brachte den Wettbewerbserfolg, nicht die Reformen
Im Gegenzug würde die neue Mark aufwerten. Deutschlands unanständig hohe
Handelsüberschüsse würden dahinschmelzen. Und vielleicht würde man dann auch
die Faktoren für Erfolge und Misserfolge der deutschen Wirtschaft besser verstehen.
Das deutsche Wirtschaftswunder der fünfziger und sechziger Jahre hatte weniger mit
Ludwig Erhard zu tun als mit der einfachen Tatsache, dass Deutschland von einem
System fester Wechselkurse profitierte und mit relativer Lohnzurückhaltung seine
Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten anderer sicherte. Genau dasselbe ist im Euro-Raum
erneut passiert. Der Euro brachte den Wettbewerbserfolg, nicht die Reformen von
Gerhard Schröder. Wenn der Wechselkurs wieder wild herumspringt, dann verpuffen
diese Reformen komplett.
Bis zur Bundestagswahl werden sicher noch unvorhersehbare Dinge passieren. Wenn
sich bei der AfD die internen Pannen häufen sollten, dann kann es mit der Partei
genauso schnell bergab gehen wie jetzt bergauf. Wichtig für sie ist vor allem die
klare Abgrenzung nach rechts. Sie darf nicht zum Sammelbecken politisch
heimatloser Deutschtümler werden.
Wenn die Partei solche Pannen vermeidet und ihr Thema scharf umreißt, dann
stehen die Chancen auf einen Einzug in den Bundestag nicht schlecht. Und dann
wäre auch das Gesamt-Wahlergebnis wieder offen. Man könnte sagen: Die AfD
ist Peer Steinbrücks einzige Chance.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/muenchau-ueber-afd-warum-die-partei-so-gefaehrlich-ist-fuer-
angela-merkel-a-894861.html
Britische        Innovations-Misere: "Deutsche
Gründlichkeit ist wichtig"
Großbritannien hat einen Nobelpreis für Ingenieure ins Leben gerufen. Mit-
Initiator ist der ehemalige BP-Chef Lord John Browne. Im Interview erklärt
er, warum vielen Briten die Lust am Tüfteln fehlt - und warum typisch
deutsche Pedanterie für Ingenieure eine gute Eigenschaft ist.

SPIEGEL ONLINE: Die Royal Academy of Engineers hat zum ersten Mal den Queen-
Elizabeth-Preis verliehen, eine Art Nobelpreis für Ingenieure. Damit wollen Sie den
Ingenieursmangel in Großbritannien bekämpfen. Ist dies ein Zeichen des Umdenkens
nach der Finanzkrise?

Browne: Wir brauchen mehr Ingenieure in Großbritannien, aber es gibt einen
Mangel in fast allen Ländern. Es geht uns darum, Exzellenz zu fördern und den
Nachwuchs zu inspirieren. Kinder brauchen Vorbilder. Der Preis ist in Großbritannien
angesiedelt und trägt den Namen der Königin von England. Aber er ist ein Weltpreis,
so wie die Nobelpreise in Schweden und Norwegen.

SPIEGEL ONLINE: Seit dem Ende des Finanzbooms 2007 wird in Großbritannien
viel über den Umbau der Wirtschaft debattiert. Die Finanzbranche schrumpft, und es
gibt das Gefühl, das Land habe seine Industrie zu schnell aufgegeben. Kommt jetzt
wieder die Zeit der Ingenieure?

Browne: Es geht nicht darum, verschiedene Sektoren gegeneinander auszuspielen.
Ingenieure können zusätzliches Wachstum schaffen, sei es in der Formel Eins in
Oxfordshire oder in der Londoner Informatikszene. Das wollen wir unterstützen. Es
wird jedoch keine schnelle Wende amArbeitsmarkt geben: Es dauert sieben Jahre,
bis ein Ingenieur ausgebildet ist.

SPIEGEL ONLINE: Jedes Jahr verlassen 90.000 Ingenieure die britischen Unis,
gebraucht werden jedoch 100.000. Warum ist das Fach aus der Mode gekommen?

Browne: Es ist sehr schwierig, und man lernt es nicht in der Schule. Medizin ist zwar
auch kein Schulfach, aber als Kind sieht man alle diese Fernsehserien, in denen Ärzte
die Helden sind. Es gibt keine Fernsehserien über Ingenieure. Die Schulabgänger
wählen ein Fach, über das sie nichts wissen. Früher haben die Leute gefragt, wenn
sie einen Ingenieur getroffen haben: "Gibt es noch etwas anderes, worüber Sie reden
können?" Es war nicht sehr spannend. Das ändert sich langsam wieder. Die Leute
finden neue Technologien faszinierend.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt immer, die besten Ingenieure kämen aus Deutschland.
Warum?

Browne: Seit Bismarcks Zeiten werden Ingenieure als Teil der deutschen
Gesellschaft geschätzt und respektiert. Ich bewundere das. Hier in Großbritannien
hingegen wurde die Ingenieurskunst lange nicht angemessen gewürdigt. Aber das
kann wieder werden.

SPIEGEL ONLINE: Hilft die deutsche Neigung zur Pedanterie?

Browne: Gründlichkeit ist sehr wichtig im Ingenieurwesen. Sie würden nicht in ein
Flugzeug einsteigen wollen, in dem die Piloten sich darauf verlassen, dass alles läuft.
Sie erwarten, dass sie vor dem Start pedantisch eine Checkliste abarbeiten und die
Passagiere sicher ans Ziel bringen. Das Gleiche gilt für Ingenieure. Sie schaffen
etwas Neues mithilfe von Chemie und Physik, aber am Ende kommt es darauf an,
verlässlich zu liefern.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind einer der Wirtschaftsberater der Cameron-Regierung.
Erfinder wie James Dyson haben in der Vergangenheit geklagt, dass der Staat nicht
genug für Industrie und Eigenproduktion tue. Hat er Recht?

Browne: Das ändert sich gerade. Natürlich gibt es Grenzen, was Regierungen tun
können. Grundsätzlich ist die Marktwirtschaft der zentralen Planwirtschaft
vorzuziehen. Aber die Tatsache, dass die Weltwirtschaft nicht mehr so automatisch
wächst wie in früheren Dekaden, hat der Regierung gezeigt, dass sie aktiver sein
muss.

SPIEGEL ONLINE: Die ersten Gewinner des Queen-Elizabeth-Preises sind die
Erfinder des Internets: Drei Amerikaner, ein Brite, ein Franzose. Wie könnte Europa
die US-Dominanz in einem Fach wie Informatik brechen?

Browne: Es gibt viele großartige Ingenieure in Europa. Wir hatten mehrere in der
engeren Auswahl, und ich sehe keinen Grund, warum einer von ihnen nicht im
kommenden Jahr den Preis erhalten könnte.

Das Interview führte Carsten Volkery in London

http://www.spiegel.de/wirtschaft/interview-mit-lord-browne-britannien-braucht-ingenierure-a-
889758.html
CITYMAUT

"Die Deutschen gehen die Sache falsch
an"
ZEIT ONLINE: Sie haben für Stockholm eine Staugebühr entwickelt, die 2006
eingeführt wurde Welche Wirkung hatte das?
Eliasson: Die Zahl der Autos sank während der Rushhour um 20 Prozent. Das war
ein wesentlicher Grund, warum die Gebühr in Stockholm heute große Akzeptanz
erfährt: Sie hat schnell nach der Einführung das gewünschte Ergebnis geliefert und
den Stau reduziert. Das richtige Design für eine solche Gebühr zu entwickeln, ist
allerdings nicht ganz leicht. Man darf das bloß nicht den Politikern überlassen.
ZEIT ONLINE: Wie entstand denn das System in Stockholm?
Eliasson: Wir hatten das Glück, dass unsere damaligen Politiker sich kaum
eingemischt haben. Sie gaben nur ein Ziel vor: weniger Stau in Stockholm. Wir
sollten eine Gebühr entwickeln, mit der sich der Autoverkehr zu Stoßzeiten um 10 bis
20 Prozent verringern lässt. Der Rest wurde uns überlassen. Eine Expertengruppe, zu
der auch ich gehörte, entwickelte daraufhin mithilfe von Computermodellen ein
Design. Das haben wir dann mehrfach durchgerechnet und verfeinert.
ZEIT ONLINE: In Deutschland geht man die Sache anders an: Die Citymaut soll vor
allem Geld für die Infrastruktur bringen, und die Verringerung von Staus nähme man
nebenbei noch mit. Führen die Deutschen eine falsche Diskussion?
Eliasson: Sie gehen die Sache falsch an. Das Hauptziel muss ein besser fließender
Verkehr sein. Die Einnahmen sind eher ein netter Nebeneffekt. Wenn es der Politik
nur um das Geld für Straßen und Brücken geht, sollte sie ein anderes Mittel wählen –
zum Beispiel höhere Steuern. Das ist auch der günstigere Weg: Rund 10 bis 20
Prozent der Einnahmen der Citymaut gehen immerhin dafür drauf, die Gebühr zu
erheben.
ZEIT ONLINE: Welchen Vorteil hat die Maut gegenüber gesetzlichen Regelungen
wie etwa Fahrbeschränkungen?
Eliasson: Man sollte den Leuten nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben.
Die Maut lässt ihnen die Wahl. Sie teilt die Autofahrer in zwei Gruppen. Die eine
findet, dass der Zeitgewinn, den die Stauverringerung bringt, die Gebühr nicht wert
ist – das sind typischerweise Freizeitfahrer. Die andere Gruppe, die unbedingt mit
dem Auto fahren muss, etwa täglich zur Arbeit, schätzt dagegen den Zeitgewinn
höher als den Preis, den sie dafür bezahlt.
ZEIT ONLINE: Die Gebühr in Stockholm ist sehr niedrig. Warum hatte sie dennoch
einen so großen Effekt?
Eliasson: Weil die Gelegenheitsfahrer in Stockholm rund zwei Drittel der
Autofahrer ausmachen, die die Mautgrenze passieren. Viele, die bisher drei Mal pro
Woche mit dem Auto in die Innenstadt fuhren, kommen nur noch zwei Mal. Allein
das wirkt sich spürbar auf die Verkehrsdichte aus, obwohl es für den einzelnen keine
große Veränderung bedeutet. Die meisten glauben, dass sie ihre Strecken wie bisher
fahren und sich gar nicht umgestellt haben.
ZEIT ONLINE: Viele Städte in Deutschland fürchten, dass durch eine Citymaut die
Innenstädte verwaisen und der Einzelhandel leidet. Zu Recht?
Eliasson: Das ist eines der gängigsten Gegenargumente. Zahlreiche Studien zeigen
aber, dass die Maut sich nicht negativ auf den Einzelhandel auswirkt. Wir haben in
Stockholm die Entwicklung von Umsatz und Gewinn vieler Geschäfte untersucht. Das
Ergebnis: Die Maut hatte überhaupt keinen Einfluss. Das ist auch kaum
verwunderlich. Die meisten Kunden kommen entweder mit öffentlichen
Verkehrsmitteln von außerhalb der Mautzone oder sie kommen mit dem Fahrrad
oder zu Fuß, ohne die Mautgrenze zu überschreiten.
ZEIT ONLINE: Bevor die Maut in Stockholm eingeführt wurde, waren 70 Prozent
der Bürger dagegen. Heute sind 70 Prozent dafür. Wie erklären Sie sich den
Stimmungsumschwung?
Eliasson: Die meisten überschätzen, wie viel Mühe ihnen die Gebühr machen wird,
und unterschätzen die Vorteile. Sobald die Gebühr eingeführt ist, ändert sich das: Die
Vorteile stellen sich als viel größer heraus, als man zuvor dachte, und die Menschen
merken, dass es weniger schwierig ist, sich an die neuen Regeln anzupassen.
Außerdem wirkt die menschliche Neigung, sich gegen Veränderungen im Leben zu
sträuben, in beide Richtungen. Sobald die Neuerung da ist, wird die Mehrheit aus
dem Bauch heraus sagen: "Ja, das ist okay – verändere es bloß nicht wieder." Egal
wie gut man die positiven Wirkungen einer Citymaut erklären kann: Politiker müssen
einsehen, dass man die Effekte sehen und erleben muss.
http://www.zeit.de/auto/2013-03/citymaut-stockholm-2/komplettansicht
Ein Pirat springt ab
Twitter ist für mich gestorben
19.02.2013 · FAZ
Von CHRISTOPHER LAUER

[…]
Soziale Medien sind ein Versprechen: dauerhafte Verfüg- und Erreichbarkeit sowie die Möglichkeit, ein
potentiell unendlich großes Publikum zu erreichen. Mittlerweile habe ich auf Twitter 22.500 Follower,
was man beachtlich finden kann. Oder auch nicht. Der hauseigene Analysedienst Twitter Analytics
brachte mich auf die Frage, ob Twitter überhaupt etwas bringt. Twitter Analytics zeigt mir an, wie oft
ein Link, den ich verbreite, geklickt wird. Ernüchternde Erkenntnis: Mir mögen zwar 22.500 Menschen
folgen, aber im besten Fall klicken 2.000 auf einen Link, den ich verbreite. Im Durchschnitt irgendetwas
um die 500. Große Tageszeitungen haben eine Auflage von mehr als 350.000 Exemplaren. Selbst bei der
konservativsten Rechnung, dass nur ein Prozent der Leser überhaupt bis hierhin gekommen ist und
diesen Gastbeitrag liest, wären das noch immer mehr, als auf meine Links auf Twitter klicken. Wenn ich
in einer Talkshow des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sitze, erreiche ich sogar ein Millionenpublikum.
Dafür kostet mich Twitter Zeit. Jeden Tag geht, seit Mitte 2009 grob gerechnet, mindestens eine Stunde
dafür drauf. Das sind 166 Acht-Stunden-Arbeitstage seit 2009, die ich nur mit Twitter verbracht habe.
Wenn jeder meiner 60.000 Tweets die Maximallänge gehabt hätte, käme ich auf ungefähr 800
Gastbeiträge zu je rund 10.000 Zeichen; das sind mehr als zwei Zeitungsspalten.

Dafür kostet mich Twitter Nerven. Jeden Tag aufstehen und mindestens einen doofen Kommentar, eine
Beleidigung lesen. Seit ich Abgeordneter bin, habe ich mehr als 500 Personen auf Twitter geblockt, das
heißt, diese können mir nicht mehr folgen, und wenn sie mir schreiben, sehe ich es nicht. Man stelle
sich vor, ich hätte in einem Jahr 500 einstweilige Verfügungen erwirken müssen, die es Menschen
untersagt, sich mir zu nähern oder mit mir zu kommunizieren. Dafür entsteht sozialer Stress. Menschen
twittern über ihre Depressionen, sie twittern im Affekt Unkluges, Dinge, die ich nicht lesen möchte.
Wenn ich diese Menschen abkoppele, muss ich mich dafür ihnen gegenüber rechtfertigen. Jetzt wird ein
Social-Media-Experte dazwischenrufen: „Aber du kannst sie doch für einen Zeitraum X stumm stellen!“
Ja, sage ich, aber will ich das? Warum soll ich als Empfänger auf einmal eine Filterleistung vollbringen,
die ich mir eigentlich vom Absender wünsche? Ist es zu viel verlangt, dass sich alle, egal, in welcher
Kommunikationsform, vorher folgende drei Fragen stellen: Muss es gesagt werden? Muss es jetzt gesagt
werden? Muss es jetzt von mir gesagt werden? Und: Welcher Mehrwert entsteht denn durch diese
permanente Nabelschau auf Twitter konkret und für wen?

Darüber hinaus zerfasert Twitter meine Kommunikation. Journalisten stellen mir Anfragen in einer
privaten Nachricht auf Twitter. Ein Statement hierzu, wie ich dieses und jenes einschätze. Es würde
auch in eine SMS oder E-Mail passen, aber Twitter bietet sich halt an, denn es suggeriert meine
dauerhafte Verfügbarkeit. Dabei sind einzig und allein Tweets Kalorien für die mediale Fressmaschine.
Sie sind der heilige Gral des Verlautbarungsjournalismus, denn es gibt nicht einmal mehr einen Kontext,
aus dem sie gerissen werden müssen, sie hatten von Anfang an keinen. So füllen seit dem Erfolg der
Piraten-Partei Schlagzeilen wie „XY hat dieses und jenes getwittert“ den Boulevard.
Wo aber sind die behaupteten Vorteile der Online-Kommunikation angesichts solcher medialer
Kollateralschäden? Vom Vertrauensverlust, der durch eine salopp formulierte Unflätigkeit auf Twitter
entsteht, gar nicht zu sprechen. Und weiß ich, Stichwort Brüderle, ob nicht in drei Jahren irgendein
Tweet rausgekramt wird, den ich 2010 möglicherweise im betrunkenen Zustand veröffentlicht habe?
Kann ich sagen, wie prüde die Gesellschaft im Jahr 2020 sein wird und in welchem Lichte meine Tweets
von 2012 dann betrachtet werden?

Überhaupt: In was für ein Menschen- und Gesellschaftsbild lasse ich mich durch die Nutzung von
Twitter eigentlich pressen? Ist es ein Wert, unbedarft jeden Gedanken, der vermeintlich in 140 Zeichen
passt, in die Welt zu blasen? Soll jeder immer alles kommentieren? Möchten wir eine Diskussions- und
Aufmerksamkeitskultur des Rauschens, das nur durch besonders laute und plakative Themen
unterbrochen wird? War das nicht lange Zeit die Kritik an den klassischen Medien?
Christopher Lauer ist innen- und kulturpolitischer Sprecher sowie Vorsitzender der Piraten-Fraktion
im Berliner Abgeordnetenhaus.
Finanzkritiker Jean Ziegler: "Die Schweiz
ist die Hehlerzentrale der Welt"
SPIEGEL ONLINE: Ba ye rn -Manage r Uli Ho neß hat Geld in de r S chwe iz depon iert.
Überrasc ht S ie das?
Ziegler: Ne in. Die Schweiz ha t eine s der höchsten Pr o-Kopf-Einkommen der Welt, di e
stärk ste Währung und ist der gr ößte Finanz pla tz für ausländische Vermögen. D abei
sin d wir ei n kle ines L and ohne Rohstoffe. Die Schweiz ist die Hehlerz entrale der Wel t.
SPIEGEL ONLINE: Ein ha rte r Vorwurf. W ie ko mmen S ie dazu?
Zie gle r: In de r Sc hweiz wird Ge ld a us drei illega len Que lle n ange leg t: der
Steue rhin te rziehung in anderen Indu striestaa ten, d e m B lutg eld vo n Dikta to ren und
anderen He rrschern in der d ritten We lt und de m orga nisie rten Verb re chen.
SPIEGEL ONLINE: Sie habe n das S chwe ize r Geschäftsmode ll scho n vo r mehr a ls 20
J ahren kritisie rt. Hat sich se itd e m ga r n ich ts g eändert?
Zie gle r: Doch. S teue rhinterz iehung wa r in der Sch weiz bisla ng kein S tra fde lik t,
desha lb gab e s in Fä lle n wie de m von Ex -P ost-Che f Klaus Zu mwink e l ke ine A mtsh ilfe.
Das hat sich auf Druc k der Indus trie länd er geändert. Doch die Sc hweiz lehn t noch
immer d en au to ma tisch en In formationsaustausch ab.
SPIEGEL ONLINE: Das war auch ein großer Stre itpun kt im gepla nten
Steue rabko mmen mit Deutsc hlan d. Hoeneß hat offenba r auf das Abkommen gehofft, u m
sein Vermöge n anon ym zu lega lisie ren. Doch dann wu rde d as Vorh ab en vo m Bunde srat
gestop pt.
Zie gle r: Go tt se i Dank ! Ich verste he n ich t, waru m Finanz ministe r W olfga ng Schäub le
das Abko mmen ange no mmen h at. Das war d ie letzte Sch lau me ie re i de r Zürche r Banke r.
SPIEGEL ONLINE: Sieh t denn die Sch weize r P olitik d ie Ro lle als Finanzp la tz
inzwischen k ritisch er?
Zie gle r: Übe rhaup t nic ht. Die Struktu r der S chwe izer Füh rungssch icht ist gran ithart
und seit Napoleon s Ze ite n un verän dert. Die sitz en auf de m Go tth ard und erte ilen der
Welt Lektionen in De mokratie - e ine unglaubliche Selbstzufriedenhe it und Arrog anz.
SPIEGEL ONLINE: Na ja, in ein igen P unkten ha t sich die Schweiz in den
ve rgangen en J ahren sch on beweg t.
Zie gle r: Ja, a ber nur a uf Druck. Das war scho n im Stre it u m jüd ische Vermögen so, d ie
Schwe izer Bank en nac h de m Krie g stillsch we igend e inbeha lten ha tte n. Da wurden e rs t
Entschäd igung en gez ah lt, nachde m d ie USA de n Banken mit Bo ykott drohten.
SPIEGEL ONLINE: Ex-Finan z minister P eer Steinb rück droh te sogar mit der
Ka va lle rie und wurde d afür stark k ritisie rt. Wie fanden Sie se ine Dro hung?
Zie gle r: Gu t. Ich habe nie ve rs tanden , waru m Deu tsc hlan d sich so here inlegen lässt.
Die Schweiz er Banke n plünde rn den deutschen Fisku s seit Jahrz ehnte n aus.
SPIEGEL ONLINE: Das is t wied er e in se hr harte r Vorwurf. Ist der Einfluss der
Banken auf den S taa t z u groß?
Zie gle r: Ja. Sehr viele Schweize r schä men sich diese r Bankenoliga rchie. Die Schweiz
ist se it 750 J ahren e in mu ltik ulturelles Lan d. Nur wegen de s Bankg eheimnisse s sind
wir n ich t in die EU ein getreten .
SPIEGEL ONLINE: Aber da s wird lang sa m aufge weicht. Beko mmt die Schweiz jetz t
Konkurrenz durch ande re S teueroasen?
Zie gle r: Die Sch we iz ist konku rrenzlos: S ie lieg t mitten in Euro pa, ist techn isch
höchst en twicke lt, rec hts sich er, und d ie p o litischen Verhä ltnisse werden sich nie
ändern.
SPIEGEL ONLINE: Wieso nic ht?
Zie gle r: Weg en der sc heinhe ilige n europ äisc hen Eliten. S chauen S ie sich Frank reich
an, da hatte der soz ialistisch e Ex -Hau shaltsmin ister Jérô me Ca huzac selb st e in
geheimes Aus land skon to. Die Hoffnun g lieg t au f Deutschland - weil e s dort d en
politisch en Willen und die wirtscha ftliche M ac ht g ibt.
SPIEGEL ONLINE: Auch die eno rmen Da ten lecks de r jüngsten Ze it sorgen fü r Druck.
Zie gle r: S timmt. Die früh er prieste rhaft ve rwa lte ten Gehe imn isse u m Offsho re -
Gesellscha ften müs se n heute auf den Co mp ute r - son st kann das Geld nich t
elek tron isch u m d ie Welt ra sen. Dann ko mmen au sländische Mitarbe ite r wie Hervé
Fa lc ian i, de r be i de r HSBC Steuerda ten sta hl und sie den franzö sischen Behö rden
übergab. Das s ind d ie Guten.
SPIEGEL ONLINE: Auch das ist letz tlic h eine Fo rm der Hehle rei, die Sie vorh in
Ihre r Heimat vorg ewo rfen haben.
Zie gle r: Abe r e ine lä sslich e Sünde im Ve rgle ich zu de m, was die Banken an
P lünderung be fre undete r De mokratien b etre ibe n.
SPIEGEL ONLINE: Sie wa ren ach t Jahre Uno -Sonde rberich terstatter für d as Rech t
auf Nahrung. In Ihre m neuen Buch "W ir lasse n Sie verhun gern " g reifen Sie e rneu t die
Finanzb ranche an. Is t d ie e twa auch fü r den H unger ve ran two rtlich?
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bezeic hnen S ie weg en ih rer Wirtscha ftspo litik ga r als "ap okal yptische Re iter". Wie
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Ziegler: A us ei gener Er fahrung. Ich ha be kürz lich in Per u erlebt, wie Mütter in eine m
Slum sich höchsten s e inen Plastikbe cher vol l Reis le isten k onnten. Das liegt an der
Börsenspeku lation auf Nahrungsmittel, die morgen verboten werde n könnte. Aber da s
widerspri ch t der neoli beralen Wahnidee, wonach Märk te mögli chst unregul iert sei n
sol l ten.
SPIEGEL ONLINE: Was fo rde rn Sie?
Zie gle r: Es gib t ke in e Ohnmacht in d er Demok ra tie - und De utsch land ist d ie
lebend igste De mok ra tie Europas. Die Wähle r könnten Schäub le da zu zwingen, be im
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dafür so rgen, das s Agrartre ibs toffe mit ho hen Zö llen be leg t werden, weil sie Millionen
Tonnen an Nahrung vernich ten. Und der Bund estag kö nnte d as Börse ngese tz so ände rn,
dass Nah rungs mittelspe kula tion en in Deutsch la nd un mög lich werden .
Das Interview führte David Böcking
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ affaere -um-uli-hoeness-interview-mit-
dem-bankenkritiker-je an-ziegler-a-895868.html
Zehn Jahre Schröder-Reform: Das Erbe der
Agenda 2010
Von David Böcking

Hamburg - Die Gegner gab es von Anfang an. Bis heute demonstrieren sie montags
in Freiburg, Bremen oder Eisenhüttenstadt gegen eine Reform, die aus ihrer Sicht
vor allem eines gebracht hat: "rücksichtslosen Sozialkahlschlag".

Doch in jüngster Zeit zeigen sich vor allem die Freunde der Agenda 2010. Zu ihnen
gehört   Frankreichs   konservativer     Ex-Präsident Nicolas Sarkozy,   der   den
Sozialdemokraten Gerhard Schröder als Reformkanzler lobte. Der Chef des US-
Konzerns General Electric, der sagte: "Wir müssen mehr wie Deutschland werden."
Und neuerdings auch Schröders Parteifreunde. "Wir können sehr stolz auf die Agenda
2010 sein", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

Zehn Jahre ist es her, dass Gerhard Schröder die Agenda-Reformen ankündigte,
deren Herzstück die Hartz-Gesetze für den Arbeitsmarktwaren. Die damals heftig
umstrittenen Reformen erscheinen heute in einem anderen Licht, weil Deutschland
die Wirtschaftskrise besser verdaut hat als die meisten anderen Länder. "Die
Reformen haben uns in der Krise sehr geholfen", sagt Jochen Kluve,
Arbeitsmarktexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung
(RWI). "Ohne sie stünden wir heute da wie Frankreich oder Italien."

Aber stimmt das wirklich? Viel spricht dafür, dass die Agenda Deutschland tatsächlich
wettbewerbsfähiger gemacht hat. So stiegen die Lohnkosten viel langsamer als in
EU-Ländern, die heute unter Wirtschaftseinbruch und Rekordarbeitslosigkeit leiden.
Kluve zeigt in Vorlesungen eine Grafik mit der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen
nach den Hartz-Reformen. Zunächst scheinen diese keinen Einfluss zu haben, die
Zahl der Jobsuchenden steigt weiter. Dann aber geht sie plötzlich stark zurück - und
bleibt trotz Krise weit unter dem früheren Niveau. […]

Denn es gibt auch andere Erklärungen, warum Deutschland so glimpflich durch die
Krise kam:

   Milliardenschwere Konjunkturhilfen wie die Abwrackprämie, mit denen die
    Bundesregierung die Wirtschaft in der Krise stützte.
   Die Ausweitung der Kurzarbeit - ein Instrument, das es bereits seit 1957 gibt.
   Die Skepsis deutscher Unternehmer, die im letzten Aufschwung 2005 bis 2007 mit
    Neueinstellungen zurückhaltend waren - und dadurch in der Rezession 2009
    weniger Angestellte entlassen mussten. Laut den Ökonomen Michael Burda und
    Jennifer Hunt erklärt dies rund 40 Prozent des ausgebliebenen Einbruchs am
    deutschen Arbeitsmarkt.
   Der Aufstieg von Schwellenländern, die derzeit besonders auf deutsche Produkte
    angewiesen sind. "Die Chinesen würden unsere Maschinen auch kaufen, wenn die
Löhne höher wären", sagt Matthias Knuth, Arbeitsmarktexperte an der Universität
    Duisburg-Essen.
   Die Bescheidenheit der Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen. "Die
    jahrelange Lohnzurückhaltung hat die Exporte befördert und am Arbeitsmarkt
    mehr bewirkt als die Agenda", glaubt der frühere DIW-Chef Gert Wagner.

Dennoch verlangen prominente Ökonomen zum zehnjährigen Agenda-Jubiläum nun
mehr vom Gleichen: Der RWI-Präsident und neue Chef der Wirtschaftsweisen,
Christoph Schmidt, forderte weitere Reformen und kritisierte, dass stattdessen über
einen Mindestlohn diskutiert werde.

Die Korrekturarbeiten laufen noch

Gerade die Mindestlohn-Debatte zeigt jedoch, dass die Politik noch damit beschäftigt
ist, unbeabsichtigte Folgen der Agenda zu korrigieren. Die Reformer hatten Mini-Jobs
mit geringer Bezahlung gestärkt - vor allem als Mittel zum Wiedereinstieg in den
Arbeitsmarkt. Doch mittlerweile sind Niedriglöhne für jeden fünften Deutschen zum
Normalfall geworden, mehr als eine Million Menschen benötigen trotz Arbeit
staatliche Hilfen. Beim DIW-Ökonomen Wagner hat das zu einem Umdenken geführt.
Vor zehn Jahren lehnte er Mindestlöhne noch ab, heute ist er dafür. "Früher habe ich
gesagt, das erledigen die Tarifpartner. Das stimmt heute leider nicht mehr."

Auch ein anderes Ziel der Hartz-Reformen wurde bislang verfehlt. Zwar verbesserte
sich die Vermittlungsquote von Hartz-IV-Empfängern. Doch ohne finanzielle
Förderung werden auch heute nur jährlich sieben Prozent von ihnen vermittelt, sagt
Knuth. "Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht gelöst."

Trotz solcher Kritik ist das Selbstbewusstsein bei den Reformern von heute groß. Vor
zehn Jahren war Deutschland noch als "kranker Mann Europas" kritisiert worden.
Kürzlich sprach Altkanzler Schröder nun von einer "gesunden Frau", von der andere
Länder lernen könnten. Experten wie Knuth sind da deutlich vorsichtiger.
"Ausländische Beispiele werden immer sehr holzschnittartig verwendet", sagt er.
"Das war vor Hartz bei uns so - und jetzt ist es so in anderen Ländern, in denen
Deutschland zum Vorbild erhoben wird.
Reformpaket
Großbritannien stutzt den Sozialstaat zusammen
03.04.2013 · Auf der Insel beginnt der größte Umbau in der Geschichte des britischen
Wohlfahrtsstaates. Kritiker warnen vor Ungerechtigkeit. Viele Bürger wollen indes die
Umverteilung begrenzen.
Von MARCUS THEURER, LONDON
Kann ein Minister von 7,57 Pfund (8,90 Euro) am Tag leben? „Wenn ich müsste, dann könnte ich das“,
antwortete der britische Arbeitsminister Iain Duncan Smith diese Woche in einem Radiointerview. Jetzt wollen
viele Briten, dass der Politiker von der Konservativen Partei seinen Worten Taten folgen lässt: Ein
Internetaufruf fordert, der Minister, der bislang netto 225 Pfund am Tag verdient, solle sich ein Jahr lang selbst
mit dem Minimalbudget begnügen. Binnen anderthalb Tagen haben den Aufruf rund 260.000 Bürger
unterzeichnet. Ein empörter Markthändler hatte Duncan Smith zuvor in der Radiosendung vorgerechnet, nach
der Kürzung des staatlichen Mietzuschusses durch die Regierung bleibe ihm genau diese Summe zum Leben.
Auf der Insel schlagen die Wogen hoch, nachdem die Regierung in London zu Monatsbeginn einen
weitreichenden sozialpolitischen Umbau ins Werk gesetzt hat. Fachleute sprechen von der umfassendsten
Reform des Sozialstaats in Großbritannien seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals ist
der britische Wohlfahrtsstaat in seiner heutigen Form geschaffen worden. Jetzt, da die neuen Spielregeln Stück
für Stück eingeführt werden, debattieren die Briten landauf, landab: Europas drittgrößter Volkswirtschaft droht
die dritte Rezession binnen fünf Jahren, die Staatsschulden sind rapide gestiegen. Wie viel Sozialstaat kann und
will sich das Land da noch leisten, und wie soll das Geld fair verteilt werden?
Insgesamt sechs verschiedene Reformen treten bis Ende April in Kraft. Sie werden nach Schätzung von
Ökonomen zu Einsparungen von rund 3,3 Milliarden Pfund im Jahr führen. Das entspricht zwar lediglich rund
1,5 Prozent der staatlichen Sozialausgaben insgesamt. Brisant sind die Neuregelungen dennoch. Geschätzte
660.000 britische Haushalte müssen zum Beispiel damit rechnen, dass ihnen der Mietzuschuss zu ihrer
staatlichen Sozialwohnung gekürzt wird, weil ihre Wohnung von der Regierung als zu geräumig erachtet wird.
Die Höchstsumme an staatlichen Zuwendungen soll für Familien unabhängig von der Zahl der Kinder auf 500
Pfund (589 Euro) in der Woche begrenzt werden. Das Heer der 3,2 Millionen Empfänger von
Berufsunfähigkeitsrenten will die Regierung durch strengere Prüfungen um ein Fünftel verkleinern. Die meisten
Sozialleistungen werden in den kommenden drei Jahren jeweils nur um 1 Prozent erhöht, während die
Lebenshaltungskosten in Großbritannien derzeit um mehr als 2 Prozent im Jahr steigen.
Reformen spalten das Land
Als deutlichster Reformschritt gilt jedoch die bevorstehende radikale Vereinfachung des Sozialsystems. Ab Ende
des Monats wird im ganzen Land schrittweise eine einheitliche Sozialhilfezahlung eingeführt. Der sogenannte
Universal Credit ersetzt ein Sammelsurium von sechs staatlichen Hilfszahlungen. Das führt zu einer
weitreichenden Umverteilung: Nach Schätzung der Regierung werden dadurch zwar 3,1 Millionen Haushalte
bessergestellt, aber 2,8 Millionen Haushalte werden weniger Unterstützung bekommen.
Die Regierung will zugleich stärkere Anreize schaffen, zu arbeiten, indem der Verdienst weniger stark auf die
Sozialleistungen angerechnet wird als bisher. „Die Vereinfachung der Sozialhilfe und die Arbeitsanreize sind ein
großer Schritt nach vorne“, sagt James Browne von der Londoner Denkfabrik Institute for Fiscal Studies, dem
renommiertesten unabhängigen Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Staatsfinanzen in Großbritannien.
Der Großumbau spaltet das Land. Vergangenen Monat kritisierte Justin Welby, der neue Erzbischof von
Canterbury und Oberhirte der Kirche von England, die Einschnitte im Sozialetat seien ungerecht und führten zu
einem Anstieg der Kinderarmut. Andererseits scheinen sich immer mehr Briten weniger Sozialstaat zu
wünschen: Meinungsumfragen zufolge glaubt inzwischen mehr als die Hälfte der Bürger, dass die staatlichen
Hilfen zu hoch seien und die Empfänger davon abhielten, sich Arbeit zu suchen.
Finanzminister George Osborne verteidigt die Sparmaßnahmen: „Manche behaupten, das sei das Ende des
Wohlfahrtsstaates, aber das ist schriller Nonsens“, sagte Osborne am Montag. „Die Wahrheit ist: Die
Steuerzahler glauben nicht, dass der Sozialstaat noch richtig funktioniert.“ Das bisherige Sozialhilfesystem sei
zu kompliziert und großzügig gewesen. Als Beispiel nannte Osborne Familien im teuren London, die staatliche
Mietzuschüsse von 100.000 Pfund im Jahr erhielten: „Keine Familie mit einem normalen Arbeitseinkommen
würde auch nur davon träumen, sich eine solche Miete leisten zu können.“
F ra n kf u rt e r Al l ge m ei n e Z ei tu n g
Werbung
Am Ende wollt ihr ja doch nur Pommes
02.06.2013 · Was ist da passiert? McDonald’s gilt jetzt als cool und junge Gesichter der
deutschen Unterhaltungsbranche tauchen plötzlich in den Werbefilmen des
amerikanischen Fast-Food-Unternehmens auf.
Von JÖRG THOMANN

Für Klaas Heufer-Umlauf, bärtige Hälfte der ewigen Fernseh-Duellanten Joko & Klaas, könnte das hart sein:
Kontrahent Joko vergnügt sich in munterer Runde, und er, Klaas, ist nicht eingeladen. Wie Joko mit heißen
Frauen wie Alexandra Maria Lara und Palina Rojinski flirtet und mit coolen Typen wie Moritz Bleibtreu und
Elyas M’Barek abhängt, das kann sich Klaas nur im Fernsehen anschauen, und ein Trost wird es auch nicht sein,
dass Joko dabei ein komisches T-Shirt trägt, auf dem „Hamburger“ steht. Aber so was muss eben tun, wer zur
jungen, lässigen Entertainment-Elite zählen will, die sich hier versammelt hat - in den neuen Werbefilmen für
McDonald’s.

Mancher wird da erst mal schlucken müssen, vor allem, wenn er sich erinnern kann an die achtziger, neunziger
Jahre des vergangenen Jahrtausends. Damals galt McDonald’s als goldenes Kalb der vom amerikanischen Food-
Imperialismus verblendeten Massen, die nichts wussten von den Geboten guter Ernährung und fairer
Unternehmenskultur; hinter der Clownsmaske verbarg sich ein Regenwälder und Betriebsräte verschlingendes
Monster. „Ganz unten“ befand sich, wie Günter Wallraff recherchierte, wer hier arbeitete, und wer hier aß,
nicht viel höher - jedenfalls in den Augen seiner besser essenden Mitmenschen. Und noch 2004 gruselte sich
das Kinopublikum davor, wie Morgan Spurlock im Film „Super Size Me“ nach dreißigtägigem Verzehr der
jeweils größtmöglichen McDonald’s-Portionen selbst mehr und mehr die Gestalt eines Big Mac annahm.

Schluss mit Super Size

Super Size war vorvorgestern: Die zehn durchweg schlanken Stars der neuen Kampagne schlüpfen in die Rollen
kleiner Snacks und Getränke, die sich zum Preis von zwei Euro miteinander paaren. Zehn Prominente der A-
Kategorie, angesagt bei der jungen bis sehr jungen Zielgruppe, sexy und gern auch etwas schräg. Rapper Cro
spielt einen (Wortwitz!) Wrap, Jürgen Vogel - als Mittvierziger mit Oliver Korittke der Älteste der Runde -
meditiert als Veggieburger TS im Yoga-Sitz, das Ehepaar Collien Ulmen-Fernandes und Christian Ulmen ist auch
dabei, sie als Eisbecher und er als Bio-Apfeltüte, die keiner bestellt. Selbstironie à la McDonald’s 2013: Schaut
her, so die Botschaft, bei uns gibt’s inzwischen auch kleingeschnittene Apfelstückchen - aber am Ende nehmt
ihr ja alle doch bloß die Pommes.

Vom unmanierlichen Schmuddelkind zum lustigen Kumpel, mit dem irgendwie jeder gut kann: Der Wandel,
dem sich der Konzern unterzogen hat, ist erstaunlich, und er findet seinen Ausdruck nicht allein in der
Apfeltüte. Bei McDonald’s gibt es heute Kalorienarmes und Kaffeekultur, Transparenz und Tarifverträge,
Nährwerttabellen und Nachhaltigkeitsberichte. Das einstige Symbol des Raubtierkapitalismus setzt auf
regionale Produkte, bildet Hauptschüler aus und viele Migranten. Der Personalvorstand bloggt über die
Arbeitswelt, und bei Facebook nimmt man demütig Kundenklagen über kalte Fritten entgegen. Und Lob für
seine Burger bekam man vom Starkoch Ferran Adrìa wie auch von Thilo Bode, dem Alpha-Rüden der
Kampfhunde von Foodwatch.

Ich liebe es: Auf jeden trifft der Firmenslogan nicht zu, aber immer weniger hassen es. McDonald’s ist Konsens
wie Ikea oder, in einer anderen Branche, Angela Merkel. Für kleinere Erregungswellen aber ist man immer noch
gut. Zum Beispiel, wenn Zürichs Schauspielhaus dagegen aufbegehrt, dass nebenan ein McDonald’s einzieht,
wenn das Unternehmen in einem „Bündnis für Verbraucherbildung“ Schulkindern Ernährungstipps geben will
oder wenn die „Stiftung Lesen“ Bücher in Happy-Meal-Tüten packt. Und auch über manch frischgebackenen
Werbekopf zieht nun ein Shitstorm hinweg. So wird Korittke auf seiner Facebook-Seite beschimpft, da er als
vermeintlich „cooler, unabhängiger und sozialer Typ“ nun Massentierhaltung und Junk-Food fördere: „So
unreflektiert und ignorant ist also heute unsere Schauspielergilde.“

Korittke mag sich dazu nicht äußern, seine Agentin erklärt, man habe nach längerer Diskussion entschieden,
dass die Werbung zu ihm passe. Knappe Statements liefern zwei Kollegen: „Die Idee, die Produktpalette mit
einem tollen Ensemble als Figuren zu spielen, fand ich sehr lustig“, lässt Moritz Bleibtreu verlauten, und auch
Jürgen Vogel lobt „das Konzept der Kampagne“ und den „Spaß an der Arbeit“ mit dem Team. Man kennt sich
aus der gemeinsamen Agentur oder von Filmen: Beim Casting für die Kampagne durfte McDonald’s auf die
Gruppendynamik setzen.

Werbestars geben sich entspannt

Die neuen Werbestars geben sich postideologisch entspannt und scheinen auch nicht den „Geiz ist geil“-
Beigeschmack der Spots zu fürchten. Und weil sie die McDonald’s-Produkte allesamt selbst spielen, müssen sie
nicht mal wie ihre Vorgänger Stefan Raab oder Heidi Klum in einen Burger beißen; sie machen sich, auch im
Wortsinn, die Finger nicht schmutzig. Gerade darin freilich sieht Andreas Pogoda, Gesellschafter der
Markenberatung Brandmeyer, eine Schwäche der Spots: Der Einsatz der Prominenten wirkt auf ihn
„hochgradig gestellt und unauthentisch“.

Allen Salat-Feigenblättchen zum Trotze bleibt die klassische McDonald’s-Kost ziemlich fett, salzig und
ballaststoffarm. Als Ernährungs-Vorbilder taugen die Testimonials, was sie nicht zu kümmern scheint, also nicht
- was allerdings ebenso gilt für Milchschnitte mampfende Schwergewichtsboxer und für Nationalkicker, die
Nutellabrötchen frühstücken. McDonald’s-Verächter können sich damit trösten, dass wenigstens Nora
Tschirner nicht dabei ist. Und, wie gesagt, auch Klaas Heufer-Umlauf nicht, für den an Jokos Seite kein Platz
war, weil McDonald’s nun mal keinen Doppel-Whopper im Angebot hat. Doch auch Klaas ist für McDonald’s
längst im Einsatz gewesen und hat aus einem Kinderbuch vorgelesen. Ein Hauch von Bulettenduft umweht also
auch ihn.

Quelle: F.A.S.
Unternehmensberater mit 18
Ein Abiturient erklärt die digitale Welt
09.05.2013 · Wie denken Digital Natives und was wollen sie? Kaum einer gibt den
Unternehmen so erfolgreich Nachhilfe wie ein 18 Jahre alter Abiturient aus der
schwäbischen Provinz.
Von NIKLAS WIRMINGHAUS

Philipp Riederle und ein Ausschnitt aus der ersten Folge seiner Serie „Mein iPhone und ich“
Philipp Riederle hat erst mal eine Auszeit genommen: keine Vorträge, keine Vor-Ort-Termine, volle drei
Monate lang. Angst vor einem Burnout? Quatsch. Riederle, 18 Jahre jung, steckt schlicht mitten in den
Abiturprüfungen. In der kommenden Woche steht Deutsch schriftlich an. Davor wird noch sein erstes Buch
veröffentlicht: „Wer wir sind und was wir wollen“.
Der Untertitel: „Ein Digital Native erklärt seine Generation.“ Philipp Riederle ist ein digitaler Ureinwohner. Als
er 1994 geboren wird, ist das World Wide Web schon seit einem Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich. Er
wächst auf mit tragbaren Computern und internetfähigen Handys. Facebook, Apps und Twitter gehören für ihn
zum Alltag.
Das unterscheidet ihn von den Digital Immigrants, die sich den Umgang mit den neuen Technologien mühsam
aneignen mussten und oft noch heute, 20 Jahre nach dem Aufstieg des Internets zum Massenphänomen, mit
der Lebenswelt der Digital Natives fremdeln. Auch in den Vorstandsetagen der Wirtschaft sitzen überwiegend
digitale Immigranten: 51,3 Jahre alt sind deutsche Führungskräfte im Schnitt, hat der
Wirtschaftsinformationsdienst Bürgel errechnet.
Klassensprecher der Generation Y
Weil die Unternehmen aber darauf angewiesen sind, dass sie erfahren, wie ihre Kunden und Arbeitskräfte von
morgen ticken, hat sich ein Markt aufgetan für jene, die den Firmenstrategen die Werte, Wünsche und
Gewohnheiten der Digital Natives glaubwürdig vermitteln können. Hier tummeln sich traditionelle
Unternehmensberatungen, Jugendforscher, spezialisierte Social-Media- und Enterprise-2.0-Agenturen sowie
eine ganze Reihe von selbsternannten Digitalexperten. Und eben ein 18-jähriger Abiturient aus Burgau in
Bayerisch-Schwaben.
Wie wird man zum Klassensprecher der Generation Y, wie die Digital Natives auch genannt werden? Die
Geschichte beginnt, als Riederle 13 Jahre alt ist. Der technikbegeisterte Junge legt sich ein iPhone von Apple zu.
Im Internet sucht er nach Anleitungen und Berichten über das Gerät - und findet nichts.
Riederle erfindet selbst ein Magazin: Aus dem Kinderzimmer sendet er von nun an einmal die Woche „Mein
iPhone und ich“: kurze Filmchen über Zusatzprogramme (Apps), den besten Umgang mit der Handykamera
oder die neueste Generation des Geräts. Die Serie wird schnell populär. Tausende Nutzer schauen sich jede
Folge an.
Aus dem Hobby macht Riederle bald ein gutes Geschäft. Firmen schalten Werbung vor seine Beiträge. Mit 15
gründet er eine eigene Firma, die Geschäftsführung übernimmt der Vater. Im Partykeller der Großeltern richtet
sich Riederle ein professionelles Aufnahmestudio ein. Und er wird zum ersten Mal für einen Vortrag vor
Marketingexperten angefragt. Das Thema: sein Erfolg als Web-Filmer.
Der Auftritt gelingt, und schnell hat er Anfragen aus der ganzen Industrie: Audi, SAP, Microsoft, Deutsche
Telekom. Er erweitert sein Themenspektrum, liest sich Theorie an und spricht nun auch über das
Kommunikationsverhalten seiner Generation, über entsprechendes Marketing, passende Geschäftsmodelle
und sogar interne Unternehmensorganisation.
Bis heute hat er knapp 100 Kunden beraten und über 150 Vorträge gehalten - all das neben dem Schulbesuch
am Dossenberger-Gymnasium in Günzburg. Er hat jetzt eine Agentin, die Anfragen und Termine koordiniert,
und fährt einen BMW als Dienstwagen. Seine Einnahmen verrät er aber nicht, so transparent sind die Digital
Natives nun auch wieder nicht.
Schnoddrig, belehrend, authentisch
Anruf beim Digitalguru. „Ich bin ein ganz normaler Jugendlicher, der mit Kumpels in verrauchten Kneipen oder
bei McDonald’s absteigt“, sagt Riederle. Er sei ein ganz normaler Jugendlicher, der Freunde und Freizeit habe.
Er muss das sagen. Denn davon hängt auch seine Glaubwürdigkeit als Klassensprecher der Digital Natives ab.
Als einer, der die digitalen Immigranten fast mitleidig betrachtet: „Diese Menschen haben meist kaum einen
Schimmer davon, in welcher Welt wir uns bewegen“, wie er in seinem Buch schreibt.
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