Gutes Wohnen für alle - Für eine soziale Wohnungspolitik - Ver.di
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W i r t s c h a f t s p o l i t i k v e r. d i Gutes Wohnen für alle Für eine soziale Wohnungspolitik Die Wohnungsfrage kehrt zurück 1 Geschichte der Wohnungspolitik 2 Wohnungsfrage als soziale Frage 4 Wohnungsmarkt: Bedarf und Wirklichkeit 6 Betongold 8 Neubau ist nicht alles 10 Wohnungspolitik: 12 Öffentlich ist wesentlich! Die Mieten bremsen 16 Steuern vermeiden 18 mit Wohnungen Für eine andere Wohnungspolitik! 20
Herausgeber: ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesvorstand, Ressort 1 Paula-Thiede-Ufer 10 10179 Berlin Verantwortlich: Frank Bsirske Bearbeitung: Bereich Wirtschaftspolitik Dr. Dierk Hirschel (Bereichsleiter) Ralf Krämer Dr. Patrick Schreiner Anita Weber Lena Müller Ceren Ucar Kontakt: wirtschaftspolitik@verdi.de www.wipo.verdi.de Gestaltung und Satz: VH-7 Medienküche GmbH, 70372 Stuttgart www.vh7-m.de Karikaturen: Reinhard Alff, Dortmund Fotos: Titelfoto PM Cheung Foto (Seite 2) Shutterstock.com Druck: DCM Druck Center Meckenheim GmbH & Co. KG W-3061-10-1018 Januar 2019
Die Wohnungsfrage kehrt zurück Im April 2018 demonstrierten 25.000 Menschen in Berlin gegen steigende Mieten, Immobilien Wohnungsunternehmen gerieten ins Hintertreffen. Fördergelder wurden abgebaut. Der Neubau Das Nachsehen hatten und haben die Mieterinnen und Mieter – viele von ihnen Rentnerinnen und Rent- 1 spekulation und fehlenden Wohn- ging drastisch zurück – abgesehen ner, Arbeitslose, Soloselbstständige raum. Aufgerufen hatten weit über von der verstärkten Bautätigkeit in oder abhängig Beschäftigte. Die 200 Verbände und Initiativen. Ostdeutschland nach der Wieder allermeisten von ihnen werden sich Der „Berliner Kurier“ schrieb von vereinigung. Die Spekulation mit absehbar niemals Wohneigentum „Wut auf den Wucher“. Und die Wohnungen und Grundstücken leisten können. Steigende Mieten gibt es keineswegs nur in der wurde nun zunehmend auch für aber eben auch nicht. Sie sehen Bundeshauptstadt: Initiativen und internationale Finanzunternehmen sich nun aus ihren Nachbarschaften zivilgesellschaftliche Bündnisse, und Fonds interessant. verdrängt, weil Straßenzüge und Proteste und Demonstrationen gab ganze Stadtteile für Menschen mit ! und gibt es auch in Hamburg, Haushalte mit kleinem kleinem oder sogar mittlerem München, Frankfurt, Freiburg und Geldbeutel haben das Einkommen zu teuer werden. Zu- vielen anderen Städten. Nachsehen. nehmende soziale Ungleichheit Im September 2018 organisierten und ein wachsender Niedriglohn- Deutscher Mieterbund, Gewerk- sektor verschärfen die Situation. schaften, Sozialverbände und Mieterinitiativen anlässlich eines „Seit den neunziger Jahren wurden Fördermittel für den Wohnungsbau „Wohngipfels“ der Bundesregie- gestrichen. Es gab genug Wohnraum, die öffentlichen Kassen waren rung einen großen, bundesweiten leer – und man glaubte, dass der Staat das Thema Wohnen dem Markt „Alternativen Wohngipfel“ mitsamt überlassen solle. Das war eine verhängnisvolle Fehleinschätzung.“ Protestdemo. Die gemeinsame For- (Die Zeit, Januar 2018) derung aller beteiligten Organisati- onen: Solidarische Städte, die nicht profitable Geschäftsmodelle für wenige, sondern soziale Nachbar- Mietenexplosion in den Großstädten schaften für viele bieten. Anstieg der Angebotsmieten in Prozent, 2010–2017 Der Markt versagt 67,9 % Diese Beispiele zeigen: Die Wohnungsfrage ist zurück auf der politischen Tagesordnung. Und das, nachdem sie noch in den 46,0 % 43,7% 42,5% frühen 2000er-Jahren als gelöst 39,1% 37,4% galt. Wie in anderen Bereichen 31,6% 30,9% 30,8% 29,9% 28,4% 28,9% auch, hat die Politik die Weichen daraufhin in Richtung „mehr Markt“ gestellt: Schon seit den 1980er-Jahren wurden ganze Wohnungsbestände privatisiert und Regulierungen abgebaut. Öffentliche und gemeinnützige n en rt en rg m f n ln rg e* d or rli ai an ga da Kö be bu t ch em ld M äd Be hl tt ts n ün am se Br am st sc u ür Po üs St M ß t H N eu ro D t ur G D kf an Fr Seit einigen Jahren steigen die Mieten vor allem in Groß- und Universitätsstädten stark an. Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, eigene Berechnungen. *Kreisfreie Städte mit über 500.000 Einwohner*innen.
Gutes Wohnen für alle Geschichte der Wohnungspolitik 2 N ach dem Ersten Weltkrieg fehlten bis zu 1,5 Millionen Wohnungen. Der Markt konnte die schen Instrumente war die soge- nannte Hauszinssteuer. Diese auf Altbaubesitz erhobene Sondersteuer Bundesrepublik: vom öffentlichen und gemein- nützigen Wohnungsbau … Versorgung mit bezahlbarem Wohn- subventionierte den sozialen Woh- Nach dem Zweiten Weltkrieg raum nicht sicherstellen. Die Politik nungsbau. Zudem drückte die waren Infrastruktur und Wohn- reagierte mit staatlichen Eingriffen. Rationalisierung der Bauwirtschaft raum in erheblichem Umfang zer- (Normierung, Typisierung von stört. Die Luftangriffe hinterließen Weimarer Republik: Bauteilen, Serienfertigung usw.) neun Millionen Obdachlose. Hinzu öffentliche Wohnbauoffensive die Kosten. kamen 12 Millionen Flüchtlinge In der Weimarer Republik (1918 Träger der Wohnungsbauoffen- aus den Ostgebieten. Zwischen bis 1933) war die Wohnungspolitik sive waren gemeinnützige Woh- Hamburg und München fehlten immer auch Sozialpolitik. Jeder nungsbaugenossenschaften. Sie rund 5,5 Millionen Wohnungen. sollte eine gesunde und bedarfs bauten ab Mitte der 1920er-Jahre Die erste Bundesregierung führte gerechte Wohnung bekommen. fast jede zweite Wohnung. Die eine Wohnungszwangsbewirt- Die Regierungen betrieben eine Gewerkschaften spielten hier eine schaftung ein. Die Adenauer- Wohnungszwangswirtschaft (Ein- bedeutende Rolle. Die starke Bau- Regierung verbot die Kündigung griffe ins Mietrecht und öffentliche tätigkeit ging einher mit neuen von Bestandsmietern, legte Miet Wohnraumbewirtschaftung). Eines architektonischen und städteplane- niveaus fest, vergab privaten der wichtigsten wohnungspoliti- rischen Formen. Als Gegenentwurf Wohnraum an Wohnungssuchende zur Mietskaserne entstanden und finanzierte den Bau von 3,3 gewerkschaftliche und kommunale Millionen Wohnungen. Ferner bau- Großsiedlungen. Die Weltwirtschafts- ten private Investoren 2,7 Millio- krise 1929 beendete jedoch diesen nen Wohnungen. Diese wohnungs- Bauboom. politischen Maßnahmen über- wanden die große Wohnungsnot Naziregime ab 1933: der 1950er-Jahre. In der Nach- Kürzung der öffentlichen kriegszeit wurden die westdeut- Wohnungsbauförderung schen Gewerkschaften zu einem Nach der Machtübernahme zentralen Akteur des gemeinnützi- der Nazis wurde die öffentliche gen Mietwohnungsbaus. 1954 Wohnungsbauförderung gekürzt. bündelten die gewerkschaftlichen Gefördert wurden nur noch Klein- Wohnungsbaugesellschaften ihre siedlungen. Die Hitler-Diktatur Aktivitäten unter dem Dach der schaffte die Wohnraumbewirt- Neuen Heimat Hamburg. Die Neue schaftung (Ausnahme Kündigungs- Heimat verfügte bereits in den schutz und Mietpreisbindung) 1950er-Jahren über 100.000 Woh- wieder ab. Die gemeinnützigen nungen. Anschließend baute kein Wohnungsbaugenossenschaften anderes deutsches Unternehmen und Bauvereine wurden in der so viele Wohnungen. Deutschen Arbeitsfront (DAF) ! zwangsorganisiert und gleich Nach den Weltkriegen geschaltet. Darüber hinaus ver- konnte die Wohnungsnot drängten die Nazis die jüdische nur durch öffentlichen, ge- Bevölkerung aus ihren Wohnungen. meinnützigen und sozialen Die braune Wohnungspolitik Mietwohnungsbau sowie entschärfte nicht den Wohnungs ein mieterfreundliches mangel in den Großstädten, zumal Mietrecht überwunden mit Kriegsbeginn der Neubau ins werden. Stocken geriet.
Nachdem die Wohnungsnot nützigkeit heraus. Die Versorgung Seit der Jahrtausendwende ver- 3 überwunden war, lockerte die kleiner und mittlerer Einkommen schärfte sich der Wohnungsmangel Bundesregierung die Wohnungs- mit bezahlbarem Wohnraum rückte in den Metropolen. Die Zahl der zwangswirtschaft und kürzte den in den Hintergrund. Anfang der Sozialwohnungen schrumpfte. sozialen Mietwohnungsbau. Das 1980er-Jahre trieb die Geschäfts- Während immer mehr Wohnungen starke Bevölkerungswachstum führung der Neuen Heimat das aus der Mietpreisbindung fielen, verhinderte jedoch, dass sich der Unternehmen in den Konkurs. wurden kaum noch neue Sozial- Wohnungsmarkt dauerhaft ent- Nach der Deutschen Einheit ver- wohnungen gebaut. Zudem wurden spannte. Ab den 1970er-Jahren stärkte die innerdeutsche Zuwan- große öffentliche und werksgebun- wurde die Eigenheimförderung als derung die Nachfrage nach Wohn- dene Wohnungsbestände und Mittelschichtsförderung ausgebaut. raum im Westen. Die Bundes- -unternehmen verkauft. Ferner un- Steuerabschreibungen und Bau regierung verstärkte die sozialen ternahm die Politik nichts gegen kindergeld sollten die private Bau- Wohnungsbauprogramme. Gleich- steigende Baulandpreise. Viele tätigkeit ankurbeln. Gleichzeitig zeitig wurden im Osten viele leere Eigentümer bauten nicht, sondern schrumpfte der soziale Mietwoh- Wohnungen abgerissen. spekulierten lediglich auf Wertzu- nungsbau weiter. Ein Kündigungs- wächse ihrer Grundstücke. schutzgesetz und die Kopplung von Mietsteigerungen an die orts- übliche Vergleichsmiete (Miet spiegel) sollten stark steigende Mieten verhindern. Wohnungspolitik in der DDR In Ostdeutschland war die Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg … zu Marktgläubigkeit und kleiner als im Westen. In der DDR war der Wohnungs- und Städtebau Wohnraum-Mangel fester Teil der Planwirtschaft. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten In den 1980er-Jahren wurde flossen aber alle Ressourcen in den Aufbau der Industrie, weswegen Miet-Wohnraum immer mehr zu der Wohnungsbau kaum gefördert wurde. Die DDR-Regierung fror die einer kapitalistisch verwerteten Mietpreise auf den Stand von 1936 ein. Die Mietbelastung betrug nur Ware. Selbst die Neue Heimat drei Prozent des mittleren Haushaltseinkommens. Erst 1973 wurde ein wuchs durch neue Geschäfts großes Neubauprogramm aufgelegt. Bis zum Ende der DDR wurden modelle – Universitäten, Kranken- 1,8 Millionen Wohnungen neu gebaut. Der Wohnraummangel wurde häuser, Kongresszentren, Altstadt- dadurch aber nicht überwunden, und mit der Konzentration auf den sanierung usw. – aus der Gemein- Neubau ging ein Verfall des Altbaubestands einher. Wohnungspolitisches Vorbild Wien In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg wuchs Wien, wie andere Städte auch, geradezu explosionsartig. Auf den daraus resultierenden Mangel an Wohnraum reagierte die Stadtverwaltung mit dem Aufbau eines großen öffentlichen Wohnungssektors. Noch heute gehört in Wien eine von vier Wohnungen der Stadt, und weitere werden ständig gebaut. Hinzu kommen öffentlich geförderte Wohnungen von Genossenschaften und Privatunternehmen, die strikten sozialen Vorgaben unterliegen. Fast zwei Drittel der Menschen in Wien leben in kommunalen oder geförderten Wohnungen. Und bei etwa der Hälfte dieser Wohnungen ist der Be- zug an Einkommensgrenzen gebunden – und zwar dauerhaft: Anders als im deutschen sozialen Mietwoh- nungsbau läuft diese Sozialbindung nicht nach 15 oder 20 Jahren aus. Dabei sind die Einkommensgrenzen bewusst hoch. Theoretisch hätten in Wien drei Viertel der Menschen Zugang zum geförderten Mietwoh- nungsbau. Über die tatsächliche Vergabe der Wohnungen entscheiden dann weitere Kriterien wie etwa Bedürftigkeit, Kinderzahl und Gesundheitszustand. Dieses System drückt die Mieten am gesamten Markt deutlich. Im Ergebnis hat Wien im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen die niedrigsten Wohnkosten.
Gutes Wohnen für alle Wohnungsfrage als soziale Frage 4 W ohnen ist eine soziale Frage. Wohnlage, Wohnungsqualität und Mietpreis unterscheiden sich benachteiligt: durch unzureichende Infrastrukturen, durch einge- schränkte Sozialkontakte und durch Soziale Spaltung auf dem Wohnungsmarkt Einkommen und Vermögen sehr stark. Die soziale Lebenslage Stigmatisierung. prägen die Wohnverhältnisse. Zwi- eines Menschen lässt sich häufig Die Mietpreise steigen. Da die schen Berlin und München hat die an seiner Wohnadresse ablesen. Arbeitseinkommen mit den Mieten Ungleichheit deutlich zugenommen. In den letzten Jahren hat sich nicht mehr Schritt halten konnten, Das reichste ein Prozent besitzt die soziale Spaltung bei der Wohn- erhöhte sich für viele Haushalte heute rund 30 Prozent des gesam- raumversorgung vertieft. Immer die Mietbelastung. Republikweit ten Nettovermögens in Höhe von mehr gilt: Die Reichen wohnen in müssen heute Mieterinnen und rund zehn Billionen Euro. Das ihren Vierteln unter sich, den Mieter rund 28 Prozent ihres Netto- reichste Zehntel verfügt über zwei Armen bleiben allenfalls noch haushaltseinkommens für ein Dach Drittel. Der Großteil dieses Vermö- schlechte Randlagen. Selbst die über dem Kopf ausgeben. Etwa gens sind Wohn- und Gewerbe- Mittelschicht wird zunehmend aus jeder Fünfte zahlt sogar mehr als bauten sowie Bauland. Etwa 19 ihren Nachbarschaften verdrängt. 40 Prozent. Millionen Haushalte haben Haus- Die Gründe sind steigende Miet- und Grundvermögen. Das reichste ! preise, eine unzureichende Zahl an Steigende Mietpreise Fünftel besitzt über 70 Prozent des Sozialwohnungen sowie eine allge- zwingen viele Mieterinnen Nettoimmobilienvermögens. Die mein wachsende soziale Ungleich- und Mieter dazu, mehr als untere Hälfte geht leer aus. heit in Deutschland. Mancherorts 40 Prozent ihres Haushalts- Wer reich ist, wohnt in seinen – insbesondere in ostdeutschen einkommens für die eigene eigenen vier Wänden. Drei von vier Städten – hat die räumliche Tren- Wohnung zu bezahlen. reichen Haushalten haben heute nung von Arm und Reich ein Wohneigentum. Der Kauf von erschreckendes Ausmaß erreicht. Deutschland ist traditionell ein Wohneigentum durch die obere Gerade bei armen Kindern ist die Mieterland. Mehr als die Hälfte der Mittelschicht und Oberschicht soziale Ausgrenzung besonders Bevölkerung wohnt zur Miete. In wurde in den letzten Jahrzehnten ausgeprägt. Wenn Menschen aber den Ballungsräumen sind es über politisch gefördert. Die reichsten in benachteiligten Quartieren auf- 85 Prozent. Folglich belasten die 20 Prozent kassierten drei Viertel wachsen, dann leiden ihre Lebens- steigenden Mieten nicht nur Gering- der Bausparsubventionen und fast chancen. Sie werden mehrfach verdiener und Transferempfänger. die Hälfte der Einkommenssteuer- geschenke. So finanzierten die Kassiererin und der Altenpfleger das Eigenheim ihres Zahnarztes. Etwa 45 Prozent der Haus- und Je reicher, desto mehr Immobilienvermögen Wohneigentümer nutzen ihre Im- Verteilung des Immobilienvermögens nach Einkommensgruppen mobilie selbst. Zwei von drei Ver- 71,4 % mietern sind Kleinvermieter. Private Konzerne und Gesellschaften besit- zen zwei Millionen Mietwohnungen oder zehn Prozent des Gesamt bestands. Einige, aber nicht alle 19,4 % Immobilienbesitzer werden durch Mieteinnahmen reich. Deutsche 7,3 % Privatvermieter erzielen nach Zinsen 1,3 % 0,5% und Steuern eine Nettorendite von Ärmstes Fünftel 2. Fünftel 3. Fünftel 4. Fünftel Reichstes Fünftel zwei Prozent. Jeder vierte Vermieter erwirtschaftet eine Rendite von fünf Prozent. Jeder Siebte erreicht Immobilienvermögen ist nicht gleich verteilt, vielmehr besitzen vor allem Haushalte mit hohen Einkommen Häuser, Wohnungen und Grundstücke. nach Abzug aller Kosten sogar Quelle: Deutsche Bundesbank, eigene Berechnungen. Datenstand 2017. mehr als acht Prozent.
Einkommensschwache wohnen Familien, Auszubildende, Studie- Die soziale Spaltung des Woh- 5 in der Regel zur Miete. Ihre Eigen- rende, Migrantinnen und ältere nungsmarktes ist Ausdruck eines tümerquote liegt bei nur 17 Pro- Menschen. sozialpolitischen Versagens der zent. Haushalte mit niedrigem Ein- Im schlimmsten Fall droht die Wohnungspolitik. Eigentlich sollten kommen leben in schlechter aus- Obdachlosigkeit. 2016 hatten der soziale Wohnungsbau, die gestatteten Wohnungen, wohnen 860.000 Menschen keine Wohnung. Mietpreisbindung und das Wohn- auf kleinerer Fläche und haben Die Hälfte davon sind Flüchtlinge, geld dazu beitragen, dass sich eine deutlich höhere Mietbelastung. die überwiegend in Gemeinschafts- auch einkommensschwache Haus- Die reichsten zehn Prozent haben unterkünften wohnen. Rund halte eine Wohnung leisten können. die dreifache Wohnfläche des 50.000 Wohnungslose leben auf Die Praxis ist eine Andere. ärmsten Zehntels. der Straße. Arme zahlen nur geringfügig kleinere Mieten als Reiche. Wohl- habende Haushalte müssen ledig- lich 13 Prozent mehr Miete zahlen als arme Haushalte. Bezogen auf Armutsrisiko von Mieterinnen und Mietern steigt Anteil der von Armut bedrohten Menschen, 1991–2015 den Quadratmeterpreis (Brutto kaltkosten) zahlen einkommens- 30 % schwache Haushalte im Schnitt 25% etwa 7,20 Euro pro Quadratmeter. Mieter Die Quadratmeterpreise der Besser- 20 % verdienenden liegen bei 8,10 Euro. 15 % Folglich beläuft sich die Mietbelas- 10 % tungsquote kleiner Einkommens Wohnungseigentümer bezieher (60 Prozent des mittleren 5% Einkommens) auf rund 40 Prozent 0% ihres Nettohaushaltseinkommens. 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Wohlhabende (140 Prozent des mittleren Einkommens) müssen Mieterinnen und Mieter sind von Armut sehr viel häufiger betroffen als die Eigentümer von Wohnungen – lediglich 17 Prozent ihres Einkom- und das Risiko, arm zu sein, steigt für Mieter auch noch weiter an. mens für die Miete aufbringen. Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Bevölkerungsanteil der Personen mit weniger als 60 Prozent des Median der ! verfügbaren Einkommen; Population: Personen in Privathaushalten; bedarfsgewichtete Jahreseinkommen. Steigende Mieten treiben immer mehr Menschen in die Armut. Fast 30 Pro- Überbelastung durch Wohnkosten zent der Mieterinnen und nach Wohnstatus, Anteil an jeweiliger Gruppe, 2016 Mieter sind heute von Armut bedroht. Mieter mit Marktpreismiete 23% Deswegen drohen immer mehr Mieterinnen und Mieter in den Mieter mit ermäßigter Miete oder unentgeltlich 19 % Armutskeller zu stürzen. Etwa 1,3 Millionen Haushalte haben nach Abzug der Miete ein Resteinkom- Eigentümer mit Hypothek oder Darlehen 10% men unterhalb der Hartz-IV-Regel- sätze. Die Armutsrisikoquote von Eigentümer ohne Hyperthek oder Darlehen 9% Mieterinnen und Mietern stieg zwischen 1991 und 2015 von 16 auf 29 Prozent. Besonders stark Wer zur Miete lebt, hat ein deutlich größeres Risiko, durch Wohnkosten überbelastet zu werden. betroffen sind junge Erwachsene Quelle: Statistisches Bundesamt, als überbelastet gilt hier ein Haushalt, der mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens unter 35 Jahren, Alleinerziehende, für Wohnkosten aufwendet.
Gutes Wohnen für alle Wohnungsmarkt: Bedarf und Wirklichkeit D ! 6 er Wohnungsmarkt ist unein- len fast 1,5 Millionen Wohnungen In Deutschland fehlen heitlich: In manchen Städten mit bezahlbaren Mieten. Mehr als mehr als zwei Millionen und Regionen gibt es Wegzug, bezahlbare Wohnungen. die Hälfte dieser Haushalte findet niedrige Mieten, leerstehende und also nur eine für sie eigentlich verfallende Häuser. Insbesondere in nicht bezahlbare Wohnung – wenn vielen Groß- und Universitätsstädten kosten) nicht mehr als 30 Prozent überhaupt. steigen hingegen die Mieten, und des jeweiligen Haushaltseinkommens Ein Mangel an bezahlbarem bezahlbare Wohnungen für Haus- ausmachen. Wohnraum herrscht einerseits in halte mit geringem oder auch Hinzu kommt, dass nicht wenige Städten mit vielen einkommens- mittlerem Einkommen fehlen. Die- Haushalte dadurch Kosten sparen, schwachen Haushalten, etwa in se Lücke kann ohne mehr Neubau dass sie eine für ihre haushalts Berlin, Leipzig, Bremen, Dortmund. nicht geschlossen werden. größe zu kleine Wohnung mieten, Andererseits fehlen bezahlbare wie eine Studie des Sozialverbands Wohnungen in Großstädten mit Großer Bedarf an bezahlbarem Deutschland ergeben hat. Vor die- allgemein hohen Mieten wie etwa Wohnraum sem Hintergrund fehlen in Deutsch- München, Hamburg, Frankfurt am Eine Studie der Hans-Böckler- land sogar mehr als zwei Millionen Main, Stuttgart, Düsseldorf. Trauri- Stiftung hat ergeben, dass 2014 in Wohnungen. ger Spitzenreiter ist Berlin mit einer deutschen Großstädten fast zwei Arme Haushalte sind davon Lücke von über 310.000 Wohnun- Millionen bezahlbare Wohnungen besonders betroffen. In den deut- gen. Im Ergebnis werden einkom- fehlten. Als „bezahlbar“ gelten schen Großstädten gibt es über mensschwächere Haushalte zuneh- dabei Mieten, die (inklusive Neben- 2,6 Millionen Haushalte, deren Ein- mend aus den Innenstädten kommen unterhalb der Armutsrisiko verdrängt. grenze liegt. Für diese Gruppe feh- Versorgungslücke Wohnen für Studierende und Auszubildende Großstadt (Anzahl Wohnungen) Besondere Wohnbedürfnisse haben auch Studierende und Auszubil- Berlin 310.255 dende. Studierende können auf Wohnheime der Studierendenwerke zurückgreifen. Immerhin 12 Prozent nutzen dieses Angebot – vor al- Hamburg 150.323 lem Studierende mit kleinem Geldbeutel. Allerdings herrscht auch hier Köln 86.008 ein zunehmender Mangel an Wohnraum. Für Auszubildende fehlt ein München 78.882 solches Angebot dagegen fast vollständig. Aufgrund ihrer geringen Vergütung haben sie zugleich kaum die Möglichkeit, eine preisgünsti- Bremen 53.873 ge Wohnung in der Nähe ihrer Ausbildungsstätte zu mieten. Sinnvoll Hannover 48.684 wären deshalb Auszubildendenwerke, die – ähnlich wie Studierenden- Dresden 46.213 werke – unter anderem günstigen Wohnraum für Azubis anbieten. Dafür gibt es schon gute Beispiele, etwa in Hamburg und Düsseldorf: Leipzig 46.101 Dort stellen verschiedene Akteure unter Beteiligung kommunaler Düsseldorf 43.521 Wohnungsgesellschaften kleinräumige Wohnungen für Azubis preis- Nürnberg 42.597 günstig zur Verfügung. Stuttgart 42.551 Frankfurt am Main 42.058 Essen 39.428 Münster 33.292 Dortmund 32.561 Bochum 30.637 Aachen 29.330 Duisburg 29.160 Datenstand 2014. Quelle: Holm, Andrej / Lebuhn, Henrik et al. (2018): Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten? In: HBS Working Paper Forschungsförderung 63 (2018).
Die Lücke schließen! Ein höherer Investitionspfad ist sollte jetzt ein dauerhaft höherer 7 Das Pestel-Institut hat 2015 notwendig und stetigerer Investitions- und berechnet, dass bis 2020 jährlich Die Gründe dafür sind vielfältig: Ausgabenpfad eingeschlagen wer- 400.000 Wohnungen neu gebaut So reichen die derzeitigen öffentli- den. Dann wird auch die Bauwirt- werden müssen. Dies ist notwendig, chen Investitionsmittel und Zu- schaft ihre Kapazitäten wieder um zum einen den zusätzlichen schüsse für den Wohnungsbau erweitern. Bedarf zu decken, der aufgrund schlicht nicht aus. Hier sind Steige- Um einen höheren Investitions- der wachsenden Nachfrage in Zu- rungen dringend notwendig. Auch pfad zu erreichen, muss aber auch kunft anfallen wird. Zum anderen wäre zu prüfen, welche Auflagen eine weitere Lücke geschlossen kann nur so der in den letzten und technischen Anforderungen werden: der Mangel an Personal in Jahren aufgelaufene Mangel an tatsächlich notwendig und zielfüh- den öffentlichen Bauverwaltungen. Wohnraum ausgeglichen werden. rend sind. Kurzum: Die allgemeinen Zwischen 1991 und 2010 wurde in Mindestens 80.000 dieser 400.000 Bedingungen des Wohnungsneu- den Kommunalverwaltungen jede neuen Wohnungen sollten Sozial- baus müssen verbessert werden. dritte Stelle abgebaut, die sich mit wohnungen sein. Weitere 60.000 Ein weiteres Problem ist, dass der Planung und Durchführung sollten im bezahlbaren Bereich die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten von Infrastrukturmaßnahmen be- etwas oberhalb der Angemessen- verringert hat, weil schon seit langer fasst. Bis 2015 ging die Beschäftig- heitsgrenzen der Jobcenter liegen Zeit zu wenig in Wohnraum inves- tenzahl dann erneut um knapp – denn vielerorts haben inzwischen tiert wird – ein Hochlaufen der neun Prozent zurück. Das rächt selbst Haushalte mit mittlerem Ein- Bautätigkeit ist daher kurzfristig sich heute bitterlich. kommen Schwierigkeiten, sich eine gar nicht möglich. Gerade deshalb Wohnung zu leisten. Vermutlich liegt der tatsächliche Bedarf an neuen Sozialwohnungen inzwi- schen allerdings noch weit höher: Er dürfte mindestens 100.000 pro Jahr betragen. Zu wenig neue Wohnungen ! Fertiggestellte Neubauten und Bedarf in Deutschland Es wird zu wenig 700.000 Neu gebaute Wohnungen und zu teuer gebaut. Zusätzlicher Neubau-Bedarf (2015–2017) 600.000 Die Neubautätigkeit in Deutsch- 500.000 land bleibt allerdings weit hinter diesen Bedarfen zurück – und da 400.000 ran wird sich vermutlich auch in nächster Zukunft nichts ändern. 300.000 Zwar steigt die Zahl fertiggestellter Wohnungen seit einem Tiefstand 2009 wieder an. Damals wurden 200.000 weniger als 160.000 Wohnungen gebaut. 2017 aber lag die Zahl neu 100.000 gebauter Wohnungen mit 285.000 immer noch weit hinter den not- 0 wendigen 400.000. 19 1 19 2 19 3 19 4 19 5 19 6 19 7 19 8 20 9 20 0 20 1 20 2 20 3 20 4 20 5 20 6 20 7 20 8 20 9 20 0 20 1 20 2 20 3 20 4 20 5 20 6 17 9 9 9 9 9 9 9 9 9 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 19 In Deutschland steigt seit einigen Jahren die Zahl der jährlich neu gebauten Wohnungen wieder an. Dennoch wird der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum nach wie vor nicht gedeckt. Quelle: Statistisches Bundesamt, Pestel-Institut.
Gutes Wohnen für alle Betongold E ! 8 ine Wohnung ist ein Grund nehmen und die Investoren setzen Explodierende Immobilien- bedürfnis der Menschen. Man darauf, dass die Wohnungspreise preise und Mieten treiben braucht eine Wohnung, um darin in den kommenden Jahren erheblich sich wechselseitig nach zu wohnen, ob sie nun gemietet steigen und dann ein schneller hoher oben. oder selbstgenutztes Eigentum ist. Gewinn durch Weiterverkauf von Doch zugleich sind Wohnungen Wohnungsbeständen möglich ist. auch eine Kapitalanlage und Ein- Seit der Finanzkrise ist die In- kommensquelle für Vermögende, Miet- und Wohnungspreis vestition in Wohnungsbestände in für gewinnorientierte Wohnungs- steigerung seit 2010 Deutschland für Kapitalanleger aus unternehmen und für Finanzfonds. Seit etwa 2010 steigen die dem In- und Ausland zunehmend Besonders die großen und meist als Mieten und Wohnungspreise in interessant geworden. Niedrige Aktiengesellschaften an der Börse Deutschland erheblich schneller als Zinsen treiben die Wohnungspreise notierten Wohnungskonzerne sowie das allgemeine Preisniveau. Norma- nach oben, weil die stabilen Rendi- international tätige Immobilien- lerweise beträgt der Marktwert einer ten aus Wohnungsvermietung rela- und Investmentfonds wollen mit Wohnung etwa das Zwanzigfache tiv attraktiver werden und deshalb ihren Wohnungsbeständen mög- der jährlichen Nettokaltmiete, in die Nachfrage nach Immobilien als lichst hohe und sichere Renditen Gegenden mit Überangebot auch Kapitalanlage steigt. Zugleich kos- erzielen. deutlich weniger. Steigerungen des tet die Finanzierung von Wohnungs- Deswegen versuchen sie, Kosten Mietniveaus in einer Gegend erhö- käufen durch Kredite nur geringe etwa für Instandhaltung und Be- hen damit auch die Wohnungspreise. Zinsen. Zudem wuchs die Wirt- wirtschaftung der Wohnanlagen so In Boomregionen treibt die Speku- schaft in Deutschland seit 2010 gering wie möglich zu halten und lation die Wohnungspreise aber stärker als in vielen anderen zugleich die Mieten so weit zu auch auf das mehr als Dreißigfache EU-Ländern. erhöhen, wie es der örtliche Woh- der Jahresmiete. Da Investoren Auch die Bevölkerung nahm nungsmarkt und die gesetzlichen dennoch Renditen wollen, versuchen insbesondere in Metropolen wie Vorschriften zulassen. Gleichzeitig sie, die Mieten noch weiter zu Berlin, München, Hamburg oder geht es um Spekulation: Die Unter- erhöhen. Frankfurt am Main wieder zu. Da- durch entwickelte sich in vielen Ballungsgebieten ein zunehmender Wohnungsmangel, der die Durch- setzung von immer höheren Mieten ermöglichte. Da Wohnungen in deutschen Metropolen im Vergleich zu Städten wie London, Paris oder Verkaufte Wohnungsbestände in Deutschland 2008–2017 Madrid immer noch als preisgünstig Wert in Milliarden Euro gelten, fließt auch viel ausländi- 23,5 sches Kapital hierhin. Auch der Neubau von zumeist hochpreisigen Wohnungen wurde in diesen Re 15,6 13,7 gionen zunehmend ökonomisch 12,8 13,2 11,0 interessant. 6,0 4,8 3,3 3,8 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Wohnimmobilien werden immer häufiger und in immer größeren Paketen gekauft und verkauft. Das Motiv dahinter ist nicht selten Spekulation. Quelle: EY-Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2018.
! „Betongold mit 40 % Aufwärtspotenzial! Eine Erfolgsstory, 9 Auch Schwarzgeld und die noch lange nicht zu Ende gehe, sei das DAX-Unternehmen Geld aus kriminellen Vonovia. Seit dem Börsengang in 2013 habe die Bochumer Immo- Geschäften wird bevorzugt biliengesellschaft den Börsenwert von 3,7 Mrd. Euro auf rund in Immobilien in Deutsch- 20 Mrd. Euro steigern können.“ (Aktien-Magazin, Mai 2018) land angelegt. Es geht um Milliardenbeträge. Was für das Kapital im Immo Das Ergebnis sind explosionsartig bilienbereich günstige Bedingun- steigende Mieten insbesondere bei gen sind, stellt sich aus Sicht der Neuvermietungen, zunehmender Experten warnen, dass Deutsch- Bevölkerung ganz anders dar. Die Mangel an bezahlbaren Mietwoh- land zu einem „Eldorado für Geld- Menschen wollen möglichst gut, nungen und Preise für Wohneigen- wäscher und organisierte Kriminali- sicher und preisgünstig wohnen. tum, die sich nur noch Millionäre tät“ geworden sei. Denn der wahre Konzerne und Investoren kennen leisten können. So stieg die ver- Eigentümer muss hierzulande im dagegen wenig Skrupel und nutzen langte Miete bei Wohnungsange- Grundbuch gar nicht verzeichnet jede Möglichkeit, höhere Mietein- boten in Berlin zwischen 2010 und sein. Es reicht auch eine Briefkasten- nahmen und Preise zu erzielen – zu 2017 um fast 70 Prozent, im ohne- firma, deren Hintermänner anonym lasten der Menschen, die die höhe- hin schon teuren München um bleiben. Es gibt auch keine Möglich- ren Mieten zahlen müssen oder für 46 Prozent. Die Zweckentfremdung keit zentral abzufragen, welcher die der Kauf einer eigenen Wohnung von Mietwohnungen als Ferien- Eigentümer zu welcher Immobilie zunehmend unbezahlbar wird. wohnungen und der Leerstand von gehört. Deshalb wäre es wichtig, Wohnungen als Kapitalanlage und dass jeder Staat ein nationales Die Methoden der Miethaie Spekulationsobjekt verschärfen die Immobilienregister aufbaut, wie es Es werden alle Methoden ge- Probleme. die Hälfte der EU-Staaten schon nutzt. Die gesetzlichen Spielräume haben. Doch das Bundesfinanz für Mietsteigerungen werden aus- ministerium sträubt sich. gereizt. Bis zur Höchstgrenze wer- den die Kosten teurer Modernisie- rungsmaßnahmen auf die Miete geschlagen. Jede Neuvermietung erfolgt zu massiv erhöhten Mieten. Eigenbedarf wird angemeldet und teilweise vorgetäuscht, um damit Kündigungen begründen zu können. Altbauten werden abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die ent- weder als teure Eigentumswoh- nungen verkauft oder zu vielfach höheren Mieten als vorher vermietet werden. Entscheidend ist dabei die Lage, der örtliche Bodenwert, nicht nur die Baukosten.
Gutes Wohnen für alle Neubau ist nicht alles E ! 10 in Wohnungsmarkt ist kein Markt Wohnungspolitischer Teufels- Der Markt versagt: Speku- wie jeder andere. Schließlich kreis verhindert bezahlbaren lation mit Wohnungen und sind Grundstücke und Gebäude – Neubau Grundstücken verhindern erstens – nicht beliebig vermehrbar. Einfach auf den Markt zu ver- den Neubau bezahlbarer Sie eignen sich daher besonders trauen und nur die gesetzlichen Wohnungen. für Anleger, die einzig auf steigende und privatwirtschaftlichen Rahmen Boden- und Gebäudepreise (und bedingungen für den Neubau von damit auf leistungslose Einkommen) Mietwohnungen verbessern zu In Städten und Vierteln, in denen spekulieren. Zweitens sind Woh- wollen, greift vor diesem Hinter- Spekulation und Nachfrage die Im- nungen sowohl unverzichtbar als grund viel zu kurz. Wir brauchen mobilienpreise und Mieten treiben, auch unbeweglich. Wohnraum vielmehr eine aktive Wohnungs fehlt der Anreiz zur Schaffung be- suchende benötigen eine für sie politik, die dort eingreift, wo der zahlbaren Wohnraums. Gerade die bezahlbare, in Größe und Ausstat- Markt zu unsozialen und proble- steigenden Bodenpreise machen tung passende Wohnung in der matischen Ergebnissen führt. den Neubau immer teurer. Höhere Nähe ihrer Arbeitsstätte bzw. in Mieten im Neubau führen aber der Nähe von Kita und Schule ihrer zu einem allgemein höheren Miet Kinder. Damit sind sie finanziell niveau, was wiederum Miet und räumlich wenig flexibel. erhöhungen im Bestand erleichtert. Zudem kann bei jeder durch Um- zug in einen Neubau frei werden- den Wohnung die Miete einfacher erhöht werden – und Umzüge in Neubau werden wahrscheinlicher, je stärker die Bestandsmieten stei- gen. Ein Teufelskreis. Wenn auf diese Weise aber auch die Bestands mieten von Jahr zu Jahr steigen, Immobilienpreise explodieren werden Investitionen in bezahlbaren Index der Immobilien- und Baulandpreise, 2000–2017 neuen Wohnraum noch unrentabler. 170% Der Erwerb eines bestehenden Bauland Wohnhauses ist dann für Investoren 160% Neu erstellte Wohnimmobilien attraktiver, weil mit weniger Risiken Bestehende Wohnimmobilien bei vergleichbaren Renditen 150% verbunden. 140% Abbildung 7 130% 120% 110% 100% 90% 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Die Preise für Immobilien in Deutschland steigen seit einigen Jahren immer stärker an. Besonders stark ist der Anstieg der Baulandpreise. Quelle : Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen, 2000 = 100 %.
! Von entscheidender Bedeutung vertraglich vereinbarte Rückkauf- 11 Die steigenden Preise für ist nicht zuletzt eine zielgerichtete rechte. Schon heute können Grund und Boden müssen ausgebremst werden. Bodenpolitik der Kommunen. Sinn- Kommunen unter bestimmten Um- voll sind Konzepte, bei denen ständen Vorkaufsrechte nutzen, Städte und Gemeinden Grundstü- was sie – nicht zuletzt aufgrund cke ankaufen und anschließend für bestehender Hürden und Rechts- Um den Mietwohnungsbau im Wohnbebauung zur Verfügung unsicherheiten – viel zu selten tun. bezahlbaren Segment anzukurbeln, stellen, ohne die Kontrolle gänzlich Hier wären rechtliche Erleichterun- gilt es daher, Spekulation und aus der Hand geben. Zu denken gen sinnvoll. Grundstückspreisentwicklung zu- wäre dabei etwa an Erbpacht oder rückzudrängen. Solange Spekulati- onsgewinne nicht vollständig ab- geschöpft werden, wird es weiter Bodenpolitisches Vorbild Ulm Spekulation geben. Solange Kom- Schon seit über 125 Jahren wird Bauland im württembergischen Ulm munen den Investoren keine oder vor Spekulation geschützt. Die Stadt kauft Grundstücke auf, die sie kaum soziale Vorgaben machen, später als Tauschflächen, für eigene Bauvorhaben oder zur Entwick- werden diese sich weiter im rendi- lung von Gewerbe- bzw. Wohngebieten einsetzt. Ein Bebauungsplan teträchtigen, hochpreisigen Seg- wird erst rechtskräftig, wenn die Stadt alle Grundstücke besitzt. Damit ment bewegen. Und solange Bund, kann faktisch nur von der Stadt selbst Bauland erworben werden, und Länder und Kommunen Grundstü- zwar zu vorab festgelegten Preisen. Erwerben Investoren nun Grund- cke an die Meistbietenden verkau- stücke von der Stadt, so müssen sie soziale Bedingungen erfüllen, fen, wird es keinen preisgünstigen beispielsweise preisgünstigen Wohnraum schaffen. Verwenden sie das Neubau geben können. Grundstück nicht für den vereinbarten Zweck, so müssen sie es an die Stadt zurückverkaufen. Der Weiterverkauf zu höheren Preisen an Bodenpolitik gegen Private ist ihnen untersagt. Auf diese Weise hat die Stadt die Kontrolle Bodenspekulation über alle Neubaugebiete. Ein zentrales Hindernis für be- zahlbaren Neubau sind steigende Preise für Grund und Boden, die nicht zuletzt auf Spekulation grün- den. Das Bundesverfassungsgericht urteilte schon 1967, dass das All- gemeinwohl höher zu gewichten ist als das Eigentumsrecht an Grundstücken: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehr- bar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unüberseh- baren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen. Eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interes- sen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermö- gensgütern.“
Gutes Wohnen für alle Wohnungspolitik: Öffentlich ist wesentlich! G ! 12 erade, weil Wohnen eine exis- Öffentliche, genossenschaftliche Ohne mehr öffentlichen tenzielle Notwendigkeit ist, ist und privatwirtschaftliche Woh- Mietwohnungsbau ist die Wohnraum keine Ware wie jede nungsunternehmen sind hingegen Versorgung mit bezahl andere. Eine ausreichende Versor- in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg barem Wohnraum vielerorts gung zu sichern, ist daher eine und Bremen sowie in städtischen nicht zu gewährleisten. grundlegende öffentliche und poli- Regionen überdurchschnittlich tische Aufgabe. Die Wohnungs stark vertreten – etwa im Ruhrge- politik der letzten Jahrzehnte aber biet, im Rhein-Main-Gebiet, in den Der politische und demokrati- war von anderen Zielen und Regionen Stuttgart, Leipzig-Halle sche Einfluss auf öffentliche Woh- Grundsätzen geprägt: Öffentliche und in München. In Städten oder nungsunternehmen ist weitaus Unternehmen verloren an Bedeu- Stadtvierteln, deren öffentliche größer als der auf private. Öffentli- tung. Und die Orientierung am Wohnungsbestände in den letzten che Wohnungsunternehmen inves- Gemeinwohl wurde zunehmend Jahrzehnten in großen Teilen priva- tieren mehr in den Neubau von durch Orientierung am Profit tisiert wurden, haben mittlerweile Mietwohnungen als private, sie verdrängt. private Wohnungsunternehmen halten gekaufte oder gebaute eine enorme Marktmacht. Die Wohnungen länger im eigenen Gemeinwohl oder Profit? Möglichkeiten, mit öffentlichen Bestand, sie nutzen bestehende In den verschiedenen Regionen Wohnungsunternehmen etwas Mieterhöhungsmöglichkeiten in Deutschlands unterscheidet sich gegen den Mangel an bezahlbarem geringerem Umfang aus und sie die Zusammensetzung des jeweili- Wohnraum zu tun, sind dann oft berücksichtigen dabei stärker als gen Mietwohnungsmarktes be- gerade dort besonders einge- private die individuelle Situation trächtlich: In Kleinstädten und schränkt, wo es am dringendsten ihrer Mieterinnen und Mieter. ländlichen Räumen bestimmen die wäre. Daher sind öffentliche Wohnungs privaten Kleinvermieter den Markt. gesellschaften gerade für jene Wohnungssuchenden besonders wichtig, die es am freien Markt schwerer haben – also einkom- Ausverkauf des öffentlichen Wohnungsbestandes mensschwache und stigmatisierte Anzahl verkaufter Wohnungen durch die öffentliche Hand, 2004–2017 Menschen und Familien. Es gibt daher viele gute Gründe, den öf- 200.000 Kommunen fentlichen Wohnungsbau zu stärken. Bund/Land 180.000 Soziale Wohnungspolitik 160.000 statt Haushaltspolitik Die Unterschiede zwischen 140.000 öffentlichen und privaten Woh- 120.000 nungsunternehmen haben sich seit etwa den 1980er-Jahren abge- 100.000 schwächt. Viele Städte, Gemeinden 80.000 und Kreise haben ihren Wohnungs- unternehmen zunehmend abver- 60.000 langt, möglichst hohe Gewinne in 40.000 die jeweiligen kommunalen Haus- halte abzuführen. Wenn das Profit- 20.000 motiv auf diese Weise in den Vor- 0 dergrund tritt, nähert sich das 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Handeln eines öffentlichen Woh- nungsunternehmens dem eines Bund, Länder und Kommunen haben beträchtliche Wohnungsbestände privatisiert. privaten an. Gleichwohl ist hier seit Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. einigen Jahren ein Umdenken zu
Förderrichtlinien sind Höchstbeträge 13 Arbeitsbedingungen in der privaten Wohnungswirtschaft für die Mieten festgelegt, und ein- Die Wohnungswirtschaft ist Arbeitgeber für etwa 250.000 Menschen. ziehen dürfen nur Haushalte mit Bis in die 1990er-Jahre waren für sie Mitbestimmung, Tarifverträge und geringem Einkommen. Mit Men- Tarifbindung Standard. Im Zusammenhang mit den zurückliegenden schen, die nur niedrige Mieten be- Privatisierungen, Liberalisierungen und Börsengängen sind seither aber zahlen, lässt sich aber nur begrenzt immer mehr tariffreie und mitbestimmungsfreie Zonen insbesondere in Geld verdienen. den großen börsennotierten Konzernen entstanden. Es gibt hierdurch eine deutliche Leistungsverdichtung und eine Zunahme des Arbeitsdrucks Wohnungspolitisches in diesen Unternehmen. Hinzu kommt, dass Zukäufe von Wohnungs- Vorbild Wien beständen und Wohnungsunternehmen nach wie vor an der Tages In den Jahrzehnten vor dem ordnung sind, für den Prozess des Zusammenwachsens verschiedener Ersten Weltkrieg wuchs Wien, wie Belegschaften aber weder ausreichend Zeit noch ausreichend Geld zur andere Städte auch, geradezu ex- Verfügung steht. plosionsartig. Auf den daraus re- sultierenden Mangel an Wohnraum beobachten: Zumindest in Städten Seit einigen Jahrzehnten wird reagierte die Stadtverwaltung mit und Regionen mit angespanntem dieses Modell zunehmend kritisiert. dem Aufbau eines großen öffentli- Mietwohnungsmarkt treten woh- Insbesondere der privaten Woh- chen Wohnungssektors. Noch nungspolitische Motive gegenüber nungswirtschaft ist es ein Dorn im heute gehört in Wien eine von vier haushaltspolitischen endlich wieder Auge, unter anderem weil es mit Wohnungen der Stadt, und weitere stärker in den Vordergrund. Das ist Auflagen einhergeht. Kritisiert werden ständig gebaut. Hinzu sinnvoll: Nicht die Sanierung des werden insbesondere die soge- kommen öffentlich geförderte Haushalts, sondern ein breites und nannten Mietpreis- und Belegungs- Wohnungen von Genossenschaften gutes Angebot an bezahlbarem bindungen: In den entsprechenden und Privatunternehmen, die strikten Wohnraum muss Ziel öffentlicher Wohnungspolitik sein. Der Wohnungsmarkt in Deutschland Insgesamt 22,3 Mio. Mietwohnungen, 2011 Sozialer Mietwohnungsbau: öffentliche Förderung bezahl 1% baren Wohnraums 9% 0,3 Mio. Private Kleinanbieter 2,1 Mio. Auf dem „freien“ Wohnungs- 1% häufig in ländlichen Räumen, Kleinstädten, westdeutschen Flächenländern markt könnte sich ein beträchtlicher 0,3 Mio. Teil der Bevölkerung keine Woh- 10 % Privatwirtschaftliche nung leisten. Deshalb gibt es die 2,3 Mio. Unternehmen Förderprogramme des sozialen häufig in städtischen Räumen, Ballungszentren, Berlin, Bremen, Mietwohnungsbaus, für die seit Schleswig-Holstein, 2006 in Deutschland die Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg zuständig sind. Kommunale, ge- 65 % 13 % 14,5 Mio. Kommunen, nossenschaftliche und private 2,9 Mio. kommunale Unternehmen Wohnungsunternehmen können Bund, Länder öffentliche Gelder nutzen, um Wohnungsgenossenschaften preisgünstigen Wohnraum für be- Andere dürftige Bevölkerungsgruppen zu Kommunen, kommunale Unter- bauen und bereitzustellen. nehmen, Bund, Länder, Wohnungs- genossenschaften, Andere häufig in städtischen Räumen, Ballungszentren, ostdeutschen Ländern Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist vielfältig. Private und öffentliche Wohnungsunternehmen sowie Wohnungsgenossenschaften sind besonders stark in städtischen Räumen sowie in Ballungszentren vertreten. Quelle: Bundesregierung, Dritter Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland, 2017, eigene Zusammenstellung. Abweichungen in den Summen ergeben sich aus Rundungsdifferenzen.
Gutes Wohnen für alle 14 sozialen Vorgaben unterliegen. Sozialer Mietwohnungsbau Dass das Soziale im sozialen Fast zwei Drittel der Menschen in als soziale Zwischennutzung Wohnungsbau nur eine Zwischen- Wien leben in kommunalen oder Angesichts steigender Mieten nutzung darstellt, ist heute zum geförderten Wohnungen. Und bei und niedriger Zinsen gelten diese enormen Problem geworden. Denn etwa der Hälfte dieser Wohnungen sozialen Auflagen nicht nur den immer mehr Wohnungen fallen aus ist der Bezug an Einkommensgren- privaten „Investoren“ daher zu- der Bindung heraus – jährlich etwa zen gebunden – und zwar dauer- nehmend als unwirtschaftliche 60.000 bis 80.000. Und neu ge- haft: Anders als im deutschen sozi- Profitbremsen. Und das, obwohl baut werden zu wenig Sozialwoh- alen Mietwohnungsbau läuft diese die sozialen Verpflichtungen in nungen: 2016 bundesweit gerade Sozialbindung nicht nach 15 oder Deutschland – anders als in vielen einmal 24.500, 2017 mit 26.200 20 Jahren aus. Dabei sind die Ein- anderen Ländern – zeitlich be- kaum mehr. Im Ergebnis sinkt die kommensgrenzen bewusst hoch. grenzt sind. Nach meist etwa 15 Zahl mietpreis- und belegungsge- Theoretisch hätten in Wien drei bis 25 Jahren können Sozialwoh- bundener Wohnungen drastisch: Viertel der Menschen Zugang zum nungen frei vermietet oder verkauft in Bayern zwischen 1988 und 2014 geförderten Mietwohnungsbau. werden. Der österreichische Woh- beispielsweise von 495.000 auf Über die tatsächliche Vergabe der nungswissenschaftler Christian 147.000, in Berlin zwischen 1989 Wohnungen entscheiden dann Donner hat dieses System zu Recht und 2016 von 339.000 auf weitere Kriterien wie etwa Bedürf- als „Förderung privater Mietwoh- 116.000, in Nordrhein-Westfalen tigkeit, Kinderzahl und Gesund- nungsinvestitionen mit sozialer zwischen 1988 und 2015 von heitszustand. Dieses System drückt Zwischennutzung“ bezeichnet. 1,4 Mio. auf 477.000. Alleine von die Mieten am gesamten Markt 2016 auf 2017 ist die Zahl der ! deutlich. Im Ergebnis hat Wien im Sozialwohnungen in Deutschland Immer mehr Wohnungen Vergleich mit anderen europäi- fallen aus der Sozial um 46.000 zurückgegangen. schen Metropolen die niedrigsten bindung – und viel zu Kritik am sozialen Wohnungs- Wohnkosten. wenige kommen nach. bau ist also berechtigt. Aber nicht, weil er zu teuer oder zu wenig ren- tabel sei – sondern weil das Soziale bislang dort nur Nebensache ist. Neue Wohnungsgemein nützigkeit Bis 1990 war der Wohnungs- markt in (West-)Deutschland von Immer weniger Wohnraum für einkommensarme Haushalte gemeinnützigen Gesellschaften Anzahl der Sozialwohnungen in Deutschland geprägt – das waren öffentliche, 3,4 Mio. private und genossenschaftliche 3,0 Mio. Unternehmen gleichermaßen. Die Idee hinter dieser Gemeinnützig- 2,1 Mio. keit: Wohnungsgesellschaften 1,7 Mio. erfüllen weitreichende soziale Vor- 1,2 Mio. gaben insbesondere beim Miet- preis, sie akzeptieren eine Begren- zung ihrer Gewinne und inves- tieren Erträge wieder in den Wohn- raum. Im Gegenzug erhalten sie 1986 1990 2006 2010 2017 Förderungen und beträchtliche steuerliche Vorteile. Dies führte Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland sinkt seit Jahren, seit 1986 hat sie sich mehr als halbiert. nach dem Zweiten Weltkrieg zum Und dieser Trend ist ungebrochen: Immer mehr Wohnungen fallen aus der Preis- und Belegungsbindung heraus, und viel zu wenige Sozialwohnungen werden neu gebaut. raschen Bau einer ausreichenden Quelle : Bundestags-Drucksachen 12/2883, 18/11403, 19/749. Zahl an Wohnungen, galt aber
irgendwann als zu schwerfällig, Mietwohnungsbau: Nicht selten mit negativen Kon- 15 marktfern und teuer. Die Abschaf- Auch Arbeitgeber gefragt! sequenzen auch für die Verkäufer: fung dieses Systems 1990 führte Nicht nur Bund, Länder und Längst ist in vielen Städten und allerdings keineswegs zu sinken- Kommunen, sondern auch große Regionen die Verfügbarkeit bezahl- den, sondern sogar zu steigenden und mittlere Industrie- sowie baren Wohnraums zu einem Plus Zahlungen öffentlicher Gelder an Dienstleistungsunternehmen besa- beim Anwerben und Halten von die Immobilienwirtschaft. Zugleich ßen einst Wohnungen in großem Fachkräften geworden. Auch des- verschlechterte sich vielerorts das Umfang. Vermietet wurden sie vor- halb bauen immer mehr Unterneh- Wohnungsangebot, die Mieten rangig an eigene Mitarbeiterinnen men wieder eigene Wohnungen, explodierten. und Mitarbeiter – diese profitierten nicht zuletzt auch für ihre Beschäf- Vor diesem Hintergrund disku- von der Nähe zum Arbeitsplatz und tigten. Das bekannteste Beispiel tieren wohnungspolitische Initiati- von günstigen Mieten. Analog zu dafür sind die Stadtwerke München ven, manche Verbände und Parteien den Privatisierungen öffentlicher mit 9.000 Beschäftigten. Das Un- seit einigen Jahren eine neue Woh- Wohnungen sind ab den 1990er- ternehmen verfügt über inner nungsgemeinnützigkeit. Und zwar Jahren auch große Teile dieser be- städtische Flächen, die es für sein mit guten Gründen: Anstatt Eigen- trieblichen Wohnungsbestände Kerngeschäft (im Wesentlichen heime zu fördern, die sich weite verkauft worden. Energie- und Wasserversorgung) Teile der Bevölkerung sowieso nicht mehr benötigt. Sie werden nicht leisten können, und anstatt nun unter Rückgriff auf öffentliche im „freien“ Mietwohnungsbau Fördermittel für den Wohnungsbau immer höhere Profite privater In- genutzt. vestoren zu gewährleisten, sollten mit öffentlichen Mitteln dauerhaft bezahlbare Mietwohnungen für breite Bevölkerungsschichten geschaffen werden. Ausgaben des Bundes für die Wohnungsförderung steuerliche Begünstigung 1980–2014, in Mrd. € Subjektförderung Ein gutes Beispiel dafür ist ein- Objektförderung mal mehr Österreich. Dort hat man 12 die Wohnungs-Gemeinnützigkeit vor Abschaffung der nach Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit Wohngemeinnützigkeit nie aufgegeben – mit der Folge, 10 dass der Umfang an öffentlichen Wohnbeihilfen im internationalen Vergleich auf niedrigem Niveau 8 liegt. ! 6 Eine neue Wohnungs-Ge- meinnützigkeit würde hel- fen, dauerhaft bezahlbaren 4 Wohnraum zu schaffen. 2 0 19 0 19 1 19 2 19 3 19 4 19 5 19 6 19 7 19 8 19 9 19 0 19 1 19 2 19 3 19 4 19 5 96 19 7 19 8 99 20 0 20 1 20 2 20 3 20 4 20 5 06 20 7 20 8 20 9 20 0 20 1 20 2 20 3 14 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 9 9 9 9 9 9 9 9 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 19 19 20 20 Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit kam die öffentlichen Haushalte teuer zu stehen: Subjektförderung (die direkte Finanzierung von Wohnkosten durch Wohngeld und durch die Übernahme der Kosten der Unterkunft im Rahmen des Arbeitslosengelds II und der Sozialhilfe) ist auf Dauer teurer als Objektförderung (die Finanzierung des Baus von Wohnungen). Quelle: Holm u. a. (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit.
Gutes Wohnen für alle Die Mieten bremsen 16 N icht nur die finanziellen Mög- lichkeiten von Mieterinnen und Mietern sind begrenzt, sondern Ein politisches Eingreifen in die (Miet-)Preisbildung ist daher nicht nur aus sozialen, sondern auch aus Rendite erwirtschaften. Können Mieterinnen und Mieter da finanzi- ell nicht mithalten, müssen sie aus- auch ihre Flexibilität: Sie brauchen ökonomischen Gründen sinnvoll. und wegziehen. In vielen Städten Wohnraum, den sie sich leisten Die dazu bestehenden Instrumente haben ganze Viertel in den letzten können, und müssen beispielsweise sind aber unzureichend. Jahren auf diese Weise ihr Erschei- ihre Arbeitsplätze und Schulen nungsbild verändert. Das liegt auch zeitnah erreichen können. Sie be- Modernisierungen als Geld daran, dass gerade die aktuelle finden sich daher in einer schwä- anlage und zum „Entmieten“ Niedrigzinsphase entsprechende cheren Position als ihre Vermieter, Investitionen in die Modernisie- Investitionen besonders lukrativ weshalb das Mietrecht sie beson- rung von Wohnraum können sinn- macht. Zudem sind deutsche Städte ders schützen muss. Hinzu kommt: voll sein: etwa um den Wohnstan- bei Luxus-Modernisierungen aus Wenn die Mieten (und damit die dard anzuheben oder um den Sicht der Renditejäger Nachzügler: Preise) von Bestandswohnungen Energieverbrauch einer Wohnung Hier besteht, anders als in vielen überdurchschnittlich ansteigen, zu senken. Modernisierungen kön- Städten im Ausland, noch „Spiel- dann werden Investitionen in den nen aber auch wie Anlageobjekte raum“ nach oben. Neubau von Wohnungen weniger funktionieren. Denn wer moderni- ! attraktiv. Bezahlbarer Wohnraum siert, kann die Mieten anschließend Mit Modernisierungen kann in einer solchen Situation – teils deutlich – anheben und lassen sich Profite machen nicht entstehen. damit oft genug eine erkleckliche – auf Kosten der Mieter innen und Mieter. Die Kosten einer Modernisierung können in einem gesetzlich fest gelegten Umfang auf die jährliche Miete umgelegt werden. Da dieser Aufschlag zeitlich nicht begrenzt ist, verdient ein Vermieter dauer- haft daran. Lange Zeit betrug die Umlage elf Prozent der Modernisie- rungskosten. Damit war nach knapp neun Jahren die Investition wieder reingeholt, von da an wurde Geld verdient – mindestens so lange, bis die modernisierten Woh- nungsbestandteile erneuert werden mussten. 2018 hat die Bundes regierung die Umlage auf acht Pro- zent gesenkt und auf drei Euro pro Quadratmeter binnen sechs Jahren begrenzt. Bei Wohnungen mit Mie- ten unter sieben Euro pro Quadrat- meter dürfen es maximal zwei Euro sein. Dies ist noch immer genug, um mit Modernisierungen gute Renditen zu erwirtschaften: Die in- vestierten Mittel sind dort fortan nach 12 Jahren und sechs Monaten wieder zurückgeflossen.
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