Widerstände gegen den Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG
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Aufsatz Widerstände gegen den Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG heute bewertet werden, je nachdem, um welches Gleichstellungspolitik war nie widerstandsfrei. gleichstellungspolitische Ziel es geht. Kaum jemand Schon der Wortlaut des Artikels 3 (2) Grundge- würde z.B. in betrieblichen Kontexten noch ernsthaft setz (GG) „Männer und Frauen sind gleichberech- behaupten wollen, es sei gerechtfertigt, Personen al- tigt“ konnte nur nach Überwindung erheblicher lein aufgrund ihrer sexuellen oder transsexuellen Gegenwehr in unsere Verfassung aufgenommen Identität zu benachteiligen. „Diversity“ ist das Zau- werden1. Zu viele Befürchtungen knüpften sich of- berwort moderner Unternehmenskulturen und ge- fenbar an die Vorstellung der rechtlichen Gleich- nießt inzwischen für Personalentwicklungsprozesse stellung von Frauen mit Männern. Dass dies kein zumindest offiziell eine hohe Akzeptanz. neuzeitliches Phänomen ist, zeigt sich an der be- reits Sokrates zugeordneten Aussage: „Wenn Frau- Anders ist es, wenn es um die Gleichstellung von en gleichgestellt werden, dann sind sie überle- Frauen mit Männern geht. Hier wird häufig schon gen.“2 Auch die darin zum Ausdruck kommende bestritten, dass es überhaupt noch gesellschaftlichen Befürchtung, bei Gleichstellung dem Vergleich Handlungsbedarf gibt, auch wenn dies aktuelle Sta- nicht standzuhalten, ist bemerkenswert. Gleich- tistiken immer wieder belegen.4 stellung der Geschlechter war und ist also von der Antike an ein gesellschaftliches Konfliktthema. Die Widerstände dagegen beschäftigen uns bis I. Gleichstellung als Verfassungsauftrag heute und sind jetzt von neuer Aktualität. 1. Neue Widerstände und das dritte Geschlecht Beseitigung von ungerechtfertigter Benachteili- gung ist grundsätzlich ein Prinzip aufgeklärter Widerstände gegen diese Zielsetzung werden neuer- Gesellschaften und gilt als bleibende Aufgabe im dings gerne mit einem Urteil des BVerfG zum sog. demokratischen Prozess. Dies beinhaltet aber im- „dritten Geschlecht“ begründet (BVerfG, Beschluss mer auch den Abbau von Privilegien derjenigen, v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16). Danach ist auch die von ihrer Bevorzugung bisher profitiert haben, Menschen, die sich nicht den beiden Geschlechter- und ist deshalb quasi ursächlich mit Widerstand gruppen männlich oder weiblich zuordnen, die Mög- verbunden.3 lichkeit gegeben worden, sich in ihrer geschlechtlich diversen Identität (d) sichtbar zu machen und dies im Auffällig ist nun, wie unterschiedlich die Bemühun- Personenstandsregister eintragen zu lassen (Gesetz gen um Gleichstellung bezogen auf das Geschlecht zur Änderung der in das Geburtenregister einzutra- genden Angaben v. 18.12.2018). Dieses Gesetz wird nun häufig benutzt, um die Not- wendigkeit der Gleichstellung von Frauen mit Män- nern als überholt zu diskreditieren. Schon wird aus einigen Behörden berichtet, dass Ausschreibungstex- te nun wieder ausschließlich männlich formuliert werden und die Bezeichnung m/w/d – und zwar in dieser Reihenfolge! – ausreichen soll, um Gleichstel- lungsziele zu erreichen. Hier wird einmal mehr Gleichstellung mit Gleichmacherei verwechselt und mit einer fortschrittlichen Zielsetzung – nämlich der Sensibilisierung für Diversität von Geschlechtern – Silke Martini, Rechtsanwältin, ein gleichstellungspolitischer Rückschritt für Frauen Genderconsultings Hamburg eingeläutet, dem es zu begegnen gilt. 24 GiP
Martini, Widerstände und strukturelle Ursachen für Gleichstellungspolitik 2. Die sozio-strukturelle Bedeutung von nachweisbare Nachteile für Frauen gibt. Um diese Zweigeschlechtlichkeit auszugleichen und/oder zu beseitigen, soll der Staat Fördermaßnahmen entwickeln. Das Merkmal Geschlecht ist weltweit ein wichtiges gesellschaftliches Strukturmerkmal, dessen Bedeu- Jedes Jahr belegen die Statistiken zum Erwerbsein- tung den meisten Menschen allenfalls in fremden kommen, den beruflichen Aufstiegschancen und der Kulturen erkennbar ist.5 Dann wird deutlich, dass gesellschaftlichen Arbeitsteilung aufs Neue, dass sich der Unterschied in der Zuordnung von Rechten Frauen trotz besserer Qualifikation in dieser Gesell- und Verhaltensweisen hauptsächlich und gezielt an schaft benachteiligt werden.10 dem Merkmal weiblich oder männlich orientiert. Für diese beiden Geschlechtergruppen werden soziale Um diese Nachteile auszugleichen, gibt es Gleich- Rollen konstruiert, an denen sich gesellschaftliche stellungspolitik, Gleichstellungsgesetze und instituti- Strukturen orientieren, und die bis heute auch in un- onalisierte Gleichstellungsarbeit. Die Arbeit von serer Gesellschaft für Chancenungleichheit zwischen Gleichstellungsbeauftragten müsste demnach eine den Geschlechtern sorgen. Dies insbesondere des- hoch angesehene Zielsetzung haben, die wertschät- halb, weil die männliche Rolle gegenüber der weibli- zend und selbstverständlich in alle Entscheidungen chen privilegiert ist.6 Das ist dann zwar nicht mehr so einbezogen wird. auffällig wie ein öffentliches Autofahrverbot, sorgt aber immer noch für Benachteiligung von Frauen.7 II. Gleichstellungspolitik Da sich die allermeisten Menschen männlich oder weiblich zuordnen – auch diejenigen mit Transiden- 1. Wertschätzungsdefizit titäten – entwickeln die daran orientierten Rollen- muster entsprechend auch die größte Bedeutung für Das ist aber offenbar nicht (mehr) der Fall. Gleich- strukturelle Unterschiede.8 stellungspolitische Akteurinnen und Akteure sehen sich vielfältigen und zunehmenden Anfeindungen Die Probleme der Menschen, die sich geschlechtlich ausgesetzt. Ihre Arbeit wird diskreditiert und die als „divers“ einordnen, entstehen im Gegensatz dazu Zielsetzung von Gleichstellungspolitik gleich mit. eher daraus, dass für sie keine Rollenbilder ausgebil- Dabei wird auch vor persönlichen Angriffen nicht det wurden und sie entsprechend in der strukturellen Halt gemacht und zumindest billigend in Kauf ge- Ordnung unserer Gesellschaft nicht stattfinden (vgl. nommen, dass einzelne Personen diesen Anfein- Personenstandsrecht bis 2013). dungen nichts mehr entgegensetzen können und Auch das ist ein Thema von Gleichstellungspolitik – entweder krank werden, oder sich gezwungen se- nur eben ein ganz anderes. Der Geschlechtereintrag hen, das Amt niederzulegen, um ihre Gesundheit zu „divers“ hat mit dem Ziel der Gleichstellung von schützen.11 Frauen mit Männern grundsätzlich nichts zu tun, sondern bedient eine andere wichtige Baustelle der 2. Mangelnde Akzeptanz von Gleichstellungs Gleichstellungspolitik mit unterschiedlicher gesell- politik schaftspolitischer Relevanz. Die Angriffe speisen sich dabei u.a. aus einer offenbar sinkenden Akzeptanz für Gleichstellungspolitik in 3. Gleichberechtigung garantiert noch keine der Gesellschaft. Gleichstellung wird immer öfter mit Chancengleichheit Gleichmacherei verwechselt. Nicht selten wird be- Um das Verfassungsziel aus Art. 3 Abs. 2 GG zu er- hauptet, dass jetzt „endlich mal was für Männer ge- reichen, geht es deshalb immer noch vornehmlich tan werden muss“, um vermeintliche Nachteile durch um die Gleichstellung von Frauen mit Männern und die Frauenpolitik der letzten Jahre auszugleichen. damit um die Gleichstellung der Mehrheit der Bevöl- Nach mehreren Jahrzehnten, in denen ein gesell- kerung mit der größten zahlenmäßigen Minderheit.9 schaftlicher Konsens darüber zu bestehen schien, dass Dies wird durch den Zusatz in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG: es eine gebotene demokratische Aufgabe ist, für mehr „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen zu sorgen, ist die Ge Gleichberechtigung von Frauen und Männern und fahr, bereits Erreichtes wieder zu verlieren, heute wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin,“ groß. Nicht nur im deutschen Bundestag sitzen inzwi- betont. Auch wenn die formale Gleichstellung im schen Vertreter/innen von Parteien, die ausdrücklich Grundgesetz verankert ist, bleibt sie doch ein „Soll- die Auseinandersetzung mit dem Gleichstellungsthe- Satz“, solange keine Chancengleichheit besteht und es ma ablehnen und offen erklären, bei entsprechenden 1/2020 25
Aufsatz Mehrheiten den „Gender-Wahnsinn“ wieder abzu- auf strukturelle Diskriminierung bezogen, sondern schaffen.12 In vielen Print-Medien wurde in der jünge- auf oberflächliche Betrachtung zahlenmäßiger Re- ren Vergangenheit zudem eine regelrechte Kampagne präsentanz reduziert.19 gegen die Forderung nach einer geschlechtergerech- ten Anwendung unserer Sprache geführt13 und Fern- 1.2 Vereinfachung trifft den Zeitgeist sehsendungen, die die Berechtigung von Frauenpoli- tik in den Bereich der Lächerlichkeit rückten, sind Von den Kräften, die Gleichstellungspolitik als obsolet noch in schlechter Erinnerung.14 darstellen wollen, wird gerne auf weiße, gesunde, pri- vilegierte Frauen verwiesen, die in hohen Positionen Damit sinkt gleichzeitig auch die gesellschaftliche arbeiten, um zu belegen, dass eine Gleichstellung der Akzeptanz der Zielsetzung des Art. 3 Abs. 2 GG. Of- Geschlechter bereits vorhanden sei. In Deutschland fenbar ist es kein selbstverständlicher gesellschaftli- finden nach einer Umfrage des Allenbach-Institutes cher Konsens mehr, dass diese immer noch nicht er- 64 Prozent der Männer, dass es jetzt „reicht“ mit der füllt ist, und es formiert sich Widerstand gegen Gleichstellungspolitik für Frauen. 28 Prozent von ih- gleichstellungspolitische Maßnahmen. nen sehen sogar Männer als benachteiligt an.20 Sie wer- den in ihrer Wahrnehmung unterstützt von sog. Dabei lassen sich drei Ebenen von Widerständen „Männerforen“ im Internet, die sich der Verbreitung ausmachen: dieser „Wahrheit“ verschrieben haben und mit immer 1. die kognitive Ebene (Überzeugungen und Mei- neuen Behauptungen und Verdrehungen geschlech- nungen), terpolitischer Handlungsansätze für Konfusion derje- 2. die intentionale Ebene (das Verhalten), nigen sorgen, die sich mit den strukturellen Ursachen 3. die emotionale Ebene (die Befürchtungen).15 von Gleichstellungspolitik noch nie befasst haben. 2. Intentionale Ebene III. Widerstände gegen Gleichstellung 2.1 Maskulinisten 1. Die kognitive Ebene Seit einigen Jahren schon verbreiten sog. „Maskuli- 1.1 Komplexe strukturelle Diskriminierung nisten“ Lügen über gleichstellungspolitische Ziele im Netz und stören z.B. gezielt politische Veranstaltun- Das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein über struk- gen, indem sie sich dort ständig mit Interventionen turelle Diskriminierung hat in den letzten Jahren zu Wort melden, um eine fruchtbare Diskussion zu nachgelassen. Strukturen zu verändern bedeutet da- verhindern.21 bei, die „Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Elementen eines (hier gesellschaftlichen) Systems“16 auf den Prüfstand zu stellen und nach gleichstel- lungspolitischen Prinzipien ggf. neu zu ordnen. Die Politikstrategie des Gender Mainstreaming17 ist da- für ein geeignetes Instrument. Ein solcher Ansatz er- fordert allerdings eine interdisziplinäre Verknüpfung unterschiedlichster Themenfelder und die Entwick- lung von differenzierten Handlungsansätzen zur Be- seitigung von Diskriminierung und ist damit ent- sprechend anspruchsvoll. Durch neoliberale Theorien und die Entwicklung sog „mikropolitischer“18 Handlungsstrategien sind die Erkenntnisse über strukturelle Diskriminierung von Frauen verdrängt und die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg individualisiert worden. Entspre- © Paulwip, pixelio.de chend wird die Notwendigkeit institutionalisierter 2.2 Organisationaler Zynismus und Personali Gleichstellungspolitik von Teilen der Gesellschaft in- sierung des Themas zwischen in Frage gestellt. Sogar Gleichstellungsge- setze, die die Gleichstellung der Frauen mit Männern Auch in Bezug auf notwendige betriebliche Hand- fördern sollen, werden verwässert und nicht mehr lungsfelder ist festzustellen, dass zunehmend ver- 26 GiP
Martini, Widerstände und strukturelle Ursachen für Gleichstellungspolitik sucht wird, gleichstellungspolitischen Themen die henen Privilegien erklären. Die Vorstellung, dass Berechtigung abzusprechen. Aus der Diskrepanz von auch die Männerrolle ein Konstrukt ist, mit dem gesetzlichen Vorgaben und sinkender Akzeptanz der Männer jahrtausendelang ihre soziale Vorrangstel- politischen Zielsetzung von Gleichstellung ergibt lung abgesichert haben, erscheint für viele zudem so sich häufig ein sog. „organisationaler Zynismus“, abstrakt, dass sie allein diese Erkenntnis als Angriff der sich in zunehmenden Blockadehaltungen von auf ihre Person verstehen. Dabei verteidigen sie im Entscheidungstragenden ausdrückt. Zweifel auch hierarchische Muster, die ihnen so all- täglich erscheinen, dass keine Bereitschaft entsteht, Dabei wird offiziell die gesetzliche Zielsetzung – diese auf ihre soziale Wirkung im Geschlechterver- Frauen mit Männern gleichzustellen – akzeptiert, hältnis hin zu überprüfen. Dies ist u.a. an der zuneh- aber die betriebliche Notwendigkeit dafür, Struktu- menden Verweigerungshaltung im Rahmen der ren zu verändern, bestritten: „Hier kann jede/r wer- #metoo-Debatte deutlich geworden. 22 den was er/sie will – es geht lediglich um Qualifikati- on und Frauen können eben nicht gezwungen wer- 3.2 Rollenbilder den, sich auf Führungspositionen zu bewerben“. Eine solche Haltung überträgt dann die neoliberale Über- Eine Tendenz zum „Roll Back“ in alte Muster ist aber zeugung (kognitiv) auf die betriebliche Handlungs- auch bei sehr jungen Frauen23 zu verzeichnen. Sie ebene (intentional). sind in dem Bewusstsein von Gleichstellung aufge- wachsen, die ihnen überall suggeriert wurde. Diese Gleichstellungsbeauftragten wird damit die organi Vorstellung sehen sie nun durch gleichstellungspoli- satorische Unterstützung für ihre Arbeit entzogen. tische Forderungen infrage gestellt und lehnen diese Auch werden Sachinformationen zum Ist-Zustand schon deshalb ab.24 der Benachteiligung von Frauen gerne als „übertrie- ben, parteiisch, ideologisch oder irrational“ bezeich- Erst im Laufe des (Berufs) Lebens werden dann die net. Es werden „bessere“ Daten eingefordert und sta- strukturellen Bedingungen unserer Gesellschaft als tistisches Material angezweifelt. Dazu kommt nicht Hinderungsgrund für chancengleiche Teilhabe – ins- selten eine Personalisierung des Themas. Diskrimi- besondere im Erwerbsleben – zumindest erfahren, nierung wird als individuelles Problem der persönli- wenn auch nicht immer erkannt.25 Die Konsequenz chen Wahrnehmung von Gleichstellungsbeauftrag- ist aber auch dann häufig eher ein Rückzug in alte ten dargestellt „… das ist mir viel zu undifferen- Rollenmuster als das Eintreten dafür, die Ursachen ziert … Es gibt aber auch andere Beispiele … Sie stel- zu bekämpfen. Dieser Rückzug erlaubt es dann, den len das aber einseitig dar … Ich habe da eine ganz Ansatz für Veränderung weiterhin im individuellen andere Wahrnehmung …“ etc. Verhalten zu sehen und die Entscheidung freiwillig erscheinen zu lassen. Dazu passt, dass nach den neu- So werden die Akteurinnen und Akteure der Gleich- esten Erhebungen zum Jugendverhalten die meisten stellung ständig beschäftigt gehalten, ohne dass sich jungen Frauen sich wieder einen Mann wünschen, etwas bewegt, und zudem noch als „chronisch Kla- der als Hauptverdiener für das Familieneinkommen gende“ entwertet. Strukturelle Diskriminierung wird verantwortlich ist.26 verneint oder ausgeblendet, „heute können Frauen doch alles erreichen … Jetzt muss langsam mal was 3.3 Identität und verinnerlichte Rollenmuster für Männer getan werden …“. Geschlechterrollen schaffen zudem Identität und Damit wird gleichzeitig die Verantwortungsüber auch dadurch entstehen Blockaden für Verhaltensän- nahme in der Organisation verweigert und das derungen. Ein Beispiel dafür ist die „Selbstverzwer Thema Chancengleichheit (sowie die Person, die es gung“ vieler Frauen durch Abschwächen von Fähig- befördern soll, gleich mit) zum lästigen Übel erklärt keiten oder Leistungen, das Zurücknehmen in Dis- – Credo: Es gibt Wichtigeres zu tun! kussionen oder Auseinandersetzungen oder die Ab- hängigkeit davon, „gemocht“ zu werden. Das führt 3. Emotionale Ebene von Widerständen nicht selten in ein persönliches Dilemma und er- schwert zusätzlich die Interessendurchsetzung. Frau- 3.1 Verlustängste en, die selbstbewusst auftreten und klare Ziele for- Die emotionalen Blockaden vieler Männer gegen das mulieren, werden im Gegensatz zu Männern, die Thema Gleichstellungspolitik lässt sich im Zweifel dasselbe Verhalten zeigen, nicht als führungsstark noch aus den eingangs dargestellten diffusen Verlu oder durchsetzungsfähig angesehen, sondern als Be- stängsten von vormals als selbstverständlich angese- drohung und unweiblich wahrgenommen. Keine 1/2020 27
Aufsatz Frau möchte aber ständig mit Themen verbunden Trotzdem ist es geboten, in diesen Zeiten wachsam zu werden, die ihr die Weiblichkeit absprechen oder sein und dafür zu sorgen, dass das Thema der Gleich- Verhaltensmuster imitieren, die nicht ihre eigenen stellung von Frauen mit Männern nicht in den Hinter- sind, nur um in einer männlich geprägten Organisa- grund gedrängt oder populistisch umgedeutet wird. tion/Gesellschaft akzeptiert zu werden. Dafür ist es sinnvoll und notwendig, bestehende frau- en- und geschlechterpolitische Netzwerke zu pflegen Auch Gleichstellungsbeauftragte haben mit diesem und weitere aufzubauen. Gleichstellungsbeauftragte Problem zu kämpfen und nicht selten ist dies der sind aufgerufen, auf Tagungen, Symposien oder Semi- Grund, das Amt nur für eine bestimmte Zeit auszu- naren, sich und andere über das Thema und die Wi- üben, oder es nach jahrelangen Kämpfen niederzu derstände dagegen zu informieren, Gegenstrategien legen. zu entwerfen und Handlungsansätze zu entwickeln. III. Ausblick IV. Fazit 1. Der Silberstreif am Horizont Wie bereits eingangs erwähnt, sind Widerstände ge- Trotz aller Gefahr, das Erreichte in Frage zu stellen gen Gleichstellungspolitik dem Thema immanent. und einen geschlechterpolitischen Backlash zu erle- Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Pha- ben, gibt es aber auch erfreuliche Entwicklungen, die sen, in denen das Ziel der Gleichstellung von Frauen Hoffnung machen. mit Männern in Frage gestellt oder sogar bekämpft wurde.29 Trotzdem sollten wir wachsam sein und In beiden Geschlechtergruppen gibt es fortschrittli dem Versuch, Gleichmacherei von Unterschiedlich- che Tendenzen: Männer, die die Zeichen der Zeit er- keit zu betreiben und damit die strukturelle Diskri- kannt haben und sich von alten Rollenbildern lösen minierung von Frauen in dieser Gesellschaft zu ver- wollen und gemeinsam mit Frauen für Veränderun- wischen, konsequent begegnen. gen eintreten27, und Frauen aus allen Generationen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen für Feminis- Auch wenn es nicht einfacher geworden ist, gleich- mus und Gleichstellungspolitik einsetzen.28 stellungspolitische Themen zu platzieren, bleibt die Gleichstellung von Frauen mit Männern doch ein 2. Die Vision nicht aus dem Auge verlieren Verfassungsauftrag, der nichts an seiner Aktualität Dabei ist die stärkste Motivation aus einer gemeinsa eingebüßt hat und es verdient, weiter aktiv voran ge- men Vision zu ziehen. Es lohnt sich nach wie vor, für trieben zu werden. Geschlechtergerechtigkeit zu kämpfen, geht es doch Dazu sind insbesondere Gleichstellungsbeauftragte immerhin um die Mehrheit der Bevölkerung in unse- aufgerufen, denen alle erdenkliche gesellschaftliche rer Gesellschaft. Im frauenpolitischen Rückblick und betriebliche Unterstützung zukommen sollte, wurde dafür schon viel erreicht, auch wenn es immer um diesen wichtigen Verfassungsauftrag zu erfüllen. schwer erkämpft werden musste. Das lässt sich ein- drucksvoll am Frauenwahlrecht belegen, dessen Anmerkungen 1 Vgl. Protokolle des parlamentarischen Rates zur Diskussion um die hundertjähriges Bestehen wir in diesem Jahr feiern. Verankerung der Gleichstellung der Geschlechter im Grundgesetz. 2 Sokrates, griechischer Philosoph 470 – 399 v. Chr. 3 Von der ungleichen Stellung der Geschlechter haben bisher Männer profitiert. Entsprechend verteidigen sie häufig ihre über Jahrtausende gewachsene „patriarchale Dividende“ – insbesondere dann, wenn sie diese zeit ihres Lebens gewohnt waren und als selbstverständlich erle- ben. Deshalb die Stigmatisierung der „alten, weißen Männer“ in der öffentlichen Diskussion um gleichstellungspolitische Maßnahmen. 4 Der aktuelle Gleichstellungsbericht der Bundesregierung belegt ein- deutig, dass Frauen in Bezug auf Einkommen, Karrierechancen und Arbeitsteilung gegenüber Männern benachteiligt sind. 2. Gleichstel- lungsbericht der Bundesregierung, BMFSFJ v. 24.1.2019. 5 Vgl. u. a. Aulenbacher, Brigitte (1994): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand von Ungleichheitsforschung. In: Görg, Christoph (Hrsg.): Gesellschaft im Übergang. Perspektiven kritischer Soziologie. Darm- stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Seite 141 – 156. 6 Die Rollenmuster variieren je nach kulturellem und religiösem Hin- tergrund einer Gesellschaft. Entsprechend werden Rollenzuschrei- © Andreas Hermstorf, pixelio.de bungen in anderen Kulturen eher wahrgenommen als in der eigenen. 28 GiP
Martini, Widerstände und strukturelle Ursachen für Gleichstellungspolitik 7 Vgl. 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung a. a. O. 2019 Beruf und Karriere, Universität Hamburg am 7.4.2016, www.wiso. v. 24.1.2019, BMFSFJ und die #metoo Debatte. uni-hamburg.de, Doris Cornils, Mikropolitik und Aufstiegskompe- 8 Von 82 Mio. deutschen Einwohnenden trifft die Kategorie „divers“ tenz von Frauen, CEWS-Journal, Center of Exellence Woman and auf ca. 0,2 Prozent der Bevölkerung zu. Alle anderen ordnen sich den Science, 14.6.2012, Nr. 48, S. 23 – 24. Kategorien weiblich oder männlich zu (auch transidente Menschen). 19 Vgl. Hamburger Gleichstellungsgesetz. Die Zahl der Menschen mit drittem Geschlecht ist offenbar viel ge- 20 Ebenda. ringer als angenommen, vgl. www.aerzteblatt.de, 9.5.2019; die ZEIT 21 Vgl. Uni Göttingen, Übliche Widerstände oder neue Infragestellun- v. 10.5.2019. gen, Gleichstellungsfeindlichkeit und Angriffe auf Gleichstellungsar- 9 51 Prozent Frauen, 49 Prozent Männer, https://countrymeters.info › beit an Hochschulen in Niedersachsen, Dezember 2017. Germany. 22 Dies ist z. B. an der Reaktion auf eine Werbesendung (Gilette) deut- 10 Vgl. 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung a. a. O., siehe Fuß- lich geworden, die sich mit den sog. „toxischen“ – also das soziale note 7. Miteinander vergiftenden – Anteilen von traditioneller Männlichkeit 11 Vgl. Hassmails im Netz gegen Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen auseinandergesetzt hat. oder feministische Akteur/innen. 23 Vgl. Shell-Jugend-Studie 2019. 12 Vgl. AFD-Wahlprogramm oder die Wahl der PiS Partei in Polen. 24 Vgl. Diskussionsbeiträge von Frauen auf dem CSU Parteitag am 13 Z. B.: „Hört auf mit dem Quatsch“, im Hamburger Abendblatt 19./20.10.2019 zur Einführung einer Frauenquote für Parteiämter. v. 17.4.2018. 25 Vgl. Sonja Bischoff, Universität Hamburg: Was hindert Frauen am 14 Nieder mit den Ampelmännchen, ZDF, „Hart aber fair“ am 3.3.2015. Aufstieg? Verlaufsstudie zur sog. „gläsernen Decke“. 15 Vgl. Philine Erfurt a. a. O. 26 Vgl. Shell-Studie 2019. 16 Systemtheorie nach Niklas Luhmann. 27 Vgl. die Bewegung „He for She“ im Zusammenhang mit #metoo. 17 Europarechtlich verbindliche Politikstrategie für mehr Chancen- 28 Vgl. Autorinnen wie Margarete Stokowski oder Laury Penny, die Ini- gleichheit der Geschlechter, vgl. Amsterdamer Vertrag von 1999. tiative „Pink Stinks“ und neue Formen des Feminismus u.a. im Netz 18 Darunter werden individuelle Handlungsstrategien verstanden, die wie: Missy Magazin, Mädchen-Mannschaft etc. im Wissen um Geschlechterrollenkonstruktionen eingesetzt werden, 29 Schon Olymp des Gouges sah sich 1789 dem Widerstand der National- um persönliche Ziele zu erreichen vgl. Rastetter Selbstvermarktung versammlung ausgesetzt, als sie die Menschenrechte auch für Frauen im Beruf (Mikropolitik) – das Geheimnis des Erfolges?, Treffpunkt einforderte. Vorschau Ausgabe 2/2020 Erscheint im April 2020 Themen: Diskriminierungspotenziale von Algorithmen Die eigene Haltung der Gleichstellungsbeauftragten, Teil II 1/2020 29
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