Wie die Saat, so die Ernte: über das Suchen und Finden samen fester Gemüsesorten - am - Beispiel eines echten Klassikers. B
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BODENSCHÄTZE Wandel Wie die Saat, so die Ernte: über das Suchen und Finden samenfester Gemüsesorten – am Beispiel eines echten Klassikers. 16
Wandel G old, Diamanten, Edelsteine? Nein, Sinne. Zum einen gibt es unzählige Sorten, die danke. Der wahre Schatz von sich im Geschmack zum Teil deutlich unterschei- Dieter Bauer heißt ’Rodelika‘. Das den. Europaweit sind es rund 470. Zum anderen Beste ist, man kann diesen Schatz gibt es auch Sorten, die speziell für unterschied- essen. Vorsichtig zieht der biody- liche Verwendungen gezüchtet wurden, z. B. als namische Gärtner und Züchter die Bio-Karotte Carotin-Lieferant oder TK-Rohstoff, Bundmöhre, aus dem Boden, streift die Erde ab und: „Knack!“ Waschmöhre, Lagermöhre oder Saftmöhre. Und Wertvolles im Gemüseregal „Die ’Rodelika‘ ist eine Rohkostmöhre, wie man nicht zuletzt gibt es individuelle Unterschiede, sie sich wünscht: Sie ist groß, hat gesundes, schließlich erwächst jede Möhre aus einem ein- kräftiges Laub und einen hervorragenden, süß zelnen Samenkorn. Jeder kennt wohl die Erfah- aromatischen Möhrengeschmack“, schwärmt rung: Man hat eine Möhre gegessen. Sie war süß Bauer. „Außerdem hat sie im ökologischen Anbau und lecker und man greift zur nächsten und die einen hohen Anteil sekundärer Pflanzenstoffe und ist plötzlich bitter, fast sauer, stumpf. Keine Spur Vom 12.2. das kann man schmecken.“ „Knack, knack“ – als der Süße, die eben noch die Geschmacksrezep- bis 10.3.2020 wäre jeder Biss ein Statement. Eine frische Möhre toren im Mund verwöhnte. Wie kann das sein? laden wir zu essen, ist eben keine leise Angelegenheit – Dazu später mehr. Sie ein zu dafür aber eine sehr sinnliche. Geschmack und Bekömmlichkeit sind Bio-Züch- unseren ter Dieter Bauer besonders wichtig: „Sie sind ein Reinbeißen, kauen – erst dann Hinweis auf die innere Qualität, auf das, was den Gemüse- zeigt die Möhre, was in ihr steckt Menschen nährt“, ist er sich sicher. Und er muss wochen im es wissen, denn schließlich ist sein Bodenschatz BioMarkt Eine Möhre ist mehr als eine gesunde Mahlzeit. ’Rodelika‘ eine der bekanntesten Sorten aus dem und im denn’s Sie ist ein haptisches Erlebnis. Schön handlich, Sortiment von Kultursaat e. V.. Der gemeinnüt- Biomarkt. man weiß sofort, wo oben und wo unten ist. Üb- zige Verein widmet sich bereits seit 25 Jahren rigens: Wirtschaftlicher wäre es, wenn die Möhre der Ökozüchtung von Gemüsesorten. Praktisch Entdecken Sie von oben bis unten schön zylindrisch wäre. So alle im hiesigen Bio-Gemüseanbau relevanten spannende könnte man pro Fläche mehr Ertrag erzielen. Arten von Aubergine über Blumenkohl, Chicorée, Infos zur Öko- Doch die Erfahrungen zeigen: Wenn wir nicht wis- Möhre bis Zucchini und Zwiebel werden auf rund züchtung des sen, wo bei der Möhre oben und unten ist, greifen 35 Kultursaat-Projektstandorten züchterisch gemeinnützi- wir seltener zu. Also darf sich die Rübe nach unten bearbeitet. ’Rodelika‘ wurde auf dem Dotten- hübsch verjüngen. Schnell noch die Wurzelspitze felderhof in Bad Vilbel bei Frankfurt am Main gen Vereins abknipsen und schon kann man hineinbeißen. entwickelt. Inzwischen ist sie bereits seit über „Kultursaat“ Das Erlebnis Möhre setzt sich im Mund fort, denn 20 Jahren auf dem Markt und hat sich in dieser Zeit und zur die feste Rübe will ordentlich gekaut werden. einen Namen gemacht. Bei der Wahl des besten Initiative Sobald sie geknackt ist, füllt sich der Mund mit Demeter-Produkts auf der BIOFACH 2019 be- „Kernkraft? diesem wunderbaren Aroma. Dieses zu beschrei- legte sie den 2. Platz – nach dem feldfrischen ben, ist gar nicht so leicht. Züchter und Köche Möhrensaft von Voelkel. Eine solche Sorte zu Ja, bitte!“ sprechen von fruchtig, wurzelhaft, möhrentypisch züchten, ist eine ganz besondere Leistung: Es oder auch süß, haselnussig und rund. Die Süße braucht Mut und Kenntnis. Und das Wissen um spielt bei der biologisch-dynamischen Möhren- die Ahnen der Möhre. Die Vorfahren und Wild- züchtung eine wichtige Rolle. Sie kann übrigens formen unserer heutigen Kulturpflanze finden in der Einheit „Brix“ gemessen werden. Möhre ist sich in Europa und in Asien. Bis heute wächst die nicht gleich Möhre – und das gleich im doppelten Wilde Möhre ( Daucus carota) – einer der Vor- fahren unserer Gartenmöhre – in artenreichen Feldrainen und Wiesen. Übrigens: Die Raupe des Schwalbenschwanzes – eine der schöns- ten europäischen Tagfalterarten – ernährt sich 17
Wandel Kultursaat-Züchter tauschen sich in gemüsekulturspe- zifischen Fachgruppen aus und geben sich kollegiales Feedback. Selektionserfolg wird gemeinsam am Feld begutachtet. schönen Eigenschaften wie die Ausgangs- pflanze. In der Züchtungsarbeit spielt dieser zweijährige Zyklus eine wichtige Rolle. Ziel der Ökozüchtung, wie schon in der KREO 1.2019 beschrieben, ist die Züchtung von nachbaufähigen, samenfesten Sorten, die sich für den ökologischen Anbau beson- ders gut eignen – sich also ohne die Gabe von synthetischen Düngern und Spritz- von den Blättern und Blüten der Wilden mitteln gesund und ertragreich zeigen. Möhre, frisst aber auch gerne am Laub von Michael Fleck, Geschäftsführer von Gartenmöhren. Rund zwei Wochen nach der Saat erschei- Kultursaat e. V., erläutert den besonderen nen die ersten Blättchen, die zarten, läng- Züchtungsprozess: „Unsere biologisch- Von einjährigen und zweijährigen lichen, ungefiederten Keimblätter. Im Laufe dynamische Züchtung findet auf Demeter- Kulturen im Gemüsegarten des Jahres entwickelt sich eine kräftige zertifizierten Betrieben im deutschspra- Blattrosette. Was die Pflanze in den Blät- chigen Raum statt. Die Züchtungspraxis Die Möhre zählt zu den ältesten Gemü- tern durch Photosynthese bildet, wird in die besteht ganz klassisch aus Kreuzung und sekulturpflanzen. So erklärt sich auch die Pfahlwurzel – die Mohrrübe - transportiert Selektion – selbstverständlich ohne Einsatz Vielzahl an Trivialnamen. Manch einer kennt und in Form energiereicher Verbindungen gentechnischer Verfahren.“ Zunächst wer- sie als Rübe, Mohrrübe, Karotte, Möhrchen, wie Glucose und Saccharose eingelagert. den geeignete Elternpflanzen ausgewählt. Wutteln oder als Rübli. Erste schriftliche Er- An dieser Stelle unterbrechen wir zumeist Das sind zum Teil alte Sorten, aber auch wähnungen finden sich bereits im antiken den natürlichen Zyklus der Pflanze und ern- moderne Züchtungen. Diese werden ge- Griechenland und in der römischen Zeit. ten die Möhre. Schade eigentlich, dient die kreuzt, indem die Blüte der Mutterpflanze Damals sah sie noch ganz anders aus. So Pflanze doch neben dem schönen Schwal- einer Sorte mit dem Pollen der zweiten waren die Möhren im Mittelmeerraum meist benschwanz-Falter noch zahlreichen ande- Sorte bestäubt wird. In den Fruchtknoten weiß, in Afghanistan gelb oder auch rotvio- ren Insekten als Nahrung. Wer einen Garten der so bestäubten Blüten reifen dann die lett. Diese Farben waren bis zum 15. Jahr- sein Eigen nennt, kann im Herbst einige Samen der ersten Kreuzungsgeneration hundert bestimmend. Die orange Färbung Möhren in der Erde lassen und sich an den heran. Im ersten Folgejahr werden diese der Möhren, die heute den Anbau dominiert, Blüten im Folgejahr erfreuen. Denn über- ausgesät. „Die daraus erwachsenen Möh- geht – wie sollte es auch anders sein – auf dauert die Wurzel im Boden und fällt dort ren werden geerntet und sowohl optisch als die Züchtungsarbeit von Niederländern nicht Mäusen, Hasen oder Frost zum Opfer, auch geschmacklich genau begutachtet“, zurück. Doch die Farbe Orange (niederlän- schiebt sie im zweiten Jahr einen Spross, erklärt Fleck. disch: Oranje) – die Farbe des Königshau- der eine Höhe von bis zu 150 Zentimeter er- ses der Niederländer Oranje-Nassau – hat reichen kann. Die Rübe treibt Seitenwurzeln Farbstark, glatt und süß soll die bei der Vorliebe der Züchter tatsächlich und verliert ihre Form. An dem Spross bilden neue Möhre sein noch keine Rolle gespielt. Der Name Oranje sich dann zahlreiche weiße Doldenblüten. geht auf den Namen der provenzalischen Und dann entsteht der wahre Schatz der Bei der Selektion wird insbesondere auf Grafschaft Oranien (französisch: Orange), Pflanze: Die Samen reifen heran und bilden Gesundheit, Ertrag, eine gleichmäßig dem späteren Fürstentum Orange in der den Ausgangspunkt für die nächste Gene- intensive Durchfärbung, Glattschaligkeit Rhone-Ebene im Süden Frankreichs zurück. ration. Vorausgesetzt, es handelt sich nicht und einen typisch möhrenartigen süßen Im Jahr 1530 ging die Region Orange an um eine Hybride, sondern eine samenfeste Geschmack geachtet. Zur Begutachtung das Haus Nassau. Es waren daher wohl eher Sorte, denn nur ihre Samen lassen sich des Geschmacks wird die Spitze der geern- Orangen als Möhren, die den Namen gaben. weiter kultivieren und zeigen die gleichen teten Rübe abgeschnitten und verkostet. Die Kulturmöhre ist – egal ob orange, gelb Ist das Ergebnis positiv und zeigen die oder rotviolett – eine zweijährige Pflanze. Möhren keine Verzweigungen der Wurzel 18
Wandel Bis zur Fertigstellung Schatzsuche einer neuen sortenfesten Möhrensorte braucht es sieben bis Dieter Bauer, Ökolandwirt und acht Möhren- Kultursaat-Züchter, mit seiner Erfolgsmöhre ’Rodelika‘. generationen züchterischer Arbeit aus Suchen, Finden, Testen, Verwerfen und neuem Suchen und Finden.
Wandel Goldgräberstimmung Im September ist es so weit: Im Züchtungs garten werden die Möhren der neuen Kreuzung geerntet. Jetzt entscheidet sich, ob echte Schätze darunter sind. Jede Möhre wird sorgfältig auf Glattschaligkeit, Gesundheit, Durchfärbung und Geschmack getestet. Möhrenernte in einem Züchtungs- betrieb von Kultursaat e. V.. 20
Wandel Mehr wissen: Der Verein Kultursaat (die Experten sprechen von „beinigen“ Möhren) oder grüne „Schultern“, wird die Möhre bis ins nächste Frühjahr frostfrei Proben wurden bereits im Backofen gegart und dunkel gelagert und dann erneut und verkostet. Beide verband das Streben ausgepflanzt. Im zweiten Jahr treiben nach geschmacklicher Vorzüglichkeit und „Wir beantragen aus den Rüben lange Sprosse, an denen die inhaltliche wie finanzielle Einbindung in bewusst keinen die Möhre handtellergroße, schirmförmi- Kultursaat. Nach zweijähriger Sortenprü- Sortenschutz ge Blüten entwickelt, die von zahlreichen fung erhielten 1998 beide Möhren, ’Rodelika‘ bestäubenden Insekten besucht werden und ’Robila‘, die behördliche Zulassung. für unsere und mit fortschreitender Reife immer mehr Der Verein hat die Sorte dann auch zur Züchtungen, einem kleinen Vogelnest gleichen. Mit den zweijährigen Sortenprüfung angemeldet. da unsere Sorten angesetzten Samen können wiederum ein 1998 erhielten beide Möhren, ’Rodelika‘ und Gemeingut sein Jahr später Möhren der nächsten Genera- ’Robilia‘, die Zulassung. Ein Doppelsieg. „Wir tion gesät und kultiviert werden. „Von der beantragen bei der Anmeldung bewusst sollen.“ Kreuzung bis zur markteinführungsreifen keinen gesetzlichen Sortenschutz“, so Michael Fleck, Neuzüchtung vergehen meist sieben oder Fleck, „da es unsere Überzeugung ist, dass Geschäftsführer K ultursaat e. V. acht Generationen. Das sind bei der bian- die Sorten echtes Kulturgut sind und somit nuellen – also zwei Jahre von der Saat bis jedem zum Anbau und zum Nachbau zur zur Samenernte benötigenden – Möhre Verfügung stehen sollen.“ 14 bis 16 Jahre“, sagt Michael Fleck. Die Kann man sich auf so einem Erfolg ausru- Kontakt neuen Sorten werden anschließend vom hen? Kaum, denn mit der züchterischen Verein der behördlichen Zulassung zu- Arbeit ist auch nach der Sortenzulassung Kultursaat e. V., Kronstraße 24, geführt und dann von Vertriebspartnern nicht Schluss. Die Sorten müssen erhal- 61209 Echzell, wie Bingenheimer Saatgut, Reinsaat oder tungszüchterisch aktiv gepflegt werden, Tel. 06035 208097 Sativa vermehrt und in den Handel ge- damit die Kombination der wertvollen Ei- www.kultursaat.org bracht. genschaften bleibt. Auch kann es in der Saatgutvermehrung durch Mutationen zu Ursprünge und Ziele 'Rodelika': Ihre Erfolgsgeschichte Veränderungen bei einzelnen Pflanzenex- ein echter Meilenstein in der emplaren kommen. So erklärt sich nämlich Kultursaat e. V. wurde 1994 Ökozüchtung auch, dass hin und wieder eine Möhre deut- gegründet. Ziel ist die lich bitterer schmeckt, als es für die Sorte Züchtung von qualitativ hoch- Auch ’Rodelika‘ wurde auf diese aufwendi- typisch ist. Umso wichtiger ist eine sorg- wertigen Sorten für den viel- ge Weise gezüchtet. „Die Ökozüchter Die- fältige und aufwendige Erhaltungszüch- fältigen biologischen Anbau. ter Bauer und Thomas Heinze arbeiteten tung der einzelnen Sorten – insbesondere Die p raktische Züchtung erfolgt damals parallel an der Züchtung neuer beim Geschmack. Alle zehn Jahre werden von Demeter-Gärtnern an Möhrensorten“, erzählt Michael Fleck. die zugelassenen Sorten vom Bundessor- rund 35 Standorten. „Dieter Bauer züchtete ’Rodelika‘, Thomas tenamt geprüft, denn diese dürfen sich Heinze ’Robila‘, zwischenzeitlich war es ein im Aufwuchs nicht wesentlich von der zur Der Verein Kultursaat e. V. widmet regelrechter Wettstreit: Wer hat als Erster Zeit der Anmeldung beschriebenen Sorte sich der Züchtung von Gemüse- eine neue Bio-Möhrensorte?“ Dabei lag entfernen. Die Verantwortung für diese sorten. Mehr als 90 Neuzüchtun- der Fokus der züchterischen Schatzsuche erhaltungszüchterische Pflege übernimmt gen sind bereits entstanden und auf unterschiedlichen Anwendungen. Wäh- ebenfalls Kultursaat e. V.. Mit ihren Partner- werden von Saatgutvertriebspart- rend Dietrich Bauer eine Rohkostmöhre betrieben wie dem Dottenfelderhof werden nern wie Bingenheimer Saatgut, mit hoher Süße zum Ziel hatte, war das Dieter Bauer und seine Kollegen also wei- Sativa und Reinsaat vermehrt und Züchtungsziel bei Thomas Heinze eine terhin kräftig in die Möhre beißen. „Knack!“ in den Handel gebracht. perfekte Koch- und Backmöhre. Seine – ein Statement für echte Bio-Qualität. 21
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