Wie wir lernten, die Pandemie zu stoppen Die Welt im Jahre 2035: Ein neuartiges Virus bricht aus, doch nach wenigen Mo- naten ist es eingedämmt ...
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Titelthema Gute Besserung Wie wir lernten, die Pandemie zu stoppen Die Welt im Jahre 2035: Ein neuartiges Virus bricht aus, doch nach wenigen Mo- naten ist es eingedämmt. Wie das? Weil man die Lehren aus 2020 gezogen hat. Von Daniela Braun E s begann mit einem Patienten in Ja- Dass bereits nach zehn Monaten das Ende karta. Der Mann wurde im April 2035 der Krise erklärt werden konnte, zeigte, mit Grippesymptomen in ein Kran- dass seit 2020 große Fortschritte bei der kenhaus in der indonesischen Hauptstadt Pandemiebekämpfung gemacht wurden. eingeliefert. Innerhalb weniger Wochen verbreitete sich der neuartige Erreger, den Eindämmung dank Früherkennung die WHO Flu-35 nannte, zunächst in wei- Rückblick: Nachdem es im besagten Ap- teren Teilen Asiens und dann in Europa, ril 2035 in Jakarta zu einer Häufung der Afrika sowie in Nord- und Südamerika. neuartigen Grippeerkrankung gekommen Angeführt durch die WHO reagierte die war, meldeten die örtlichen Gesundheits- internationale Gemeinschaft schnell mit behörden die Vorfälle rasch an die WHO. Gegenmaßnahmen. Die Krankheit weckte Diese entsandte innerhalb weniger Tage Erinnerungen an die Covid-19-Pandemie ein Team aus Virologen, Ärzten und Epi- aus den Jahren 2020/21. Nachdem man demiologen nach Indonesien, um ge- dieses Virus ab Herbst 2021 durch einen meinsam mit den Behörden vor Ort erste Impfstoff sukzessive kontrolliert hatte, lei- Erkenntnisse über das neuartige Grippevi- tete man umfangreiche Reformen ein und rus zu sammeln, auszuwerten und darauf investierte massiv in Prävention, Früher- basierend Maßnahmen für alle Mitglied- kennung und Krisenreaktion. Im Zentrum staaten zu empfehlen. der Reformen stand der Umbau der WHO In der Vergangenheit war es oft zu Daniela Braun zu einer schlagkräftigeren und unabhän- Vertuschungsversuchen von Krankheits- ist Referentin für gigen Global Public Health Organisation. ausbrüchen durch örtliche Behörden oder Außen- und Sicher- heitspolitik bei Von den Lehren aus der Covid-19-Pan- nationale Regierungen gekommen, auch der Konrad-Ade- demie konnte die Weltgemeinschaft nun weil die betroffenen Länder wirtschaftli- nauer-Stiftung profitieren und Flu-35 rasch eindämmen che Schäden durch Reise- und Handels- und promoviert zum Thema Health – ohne dass sich der Krankheitsausbruch beschränkungen befürchteten. Je früher Security. zu einer globalen Krise entwickeln konnte. aber Ausbrüche entdeckt und gemeldet 38 | IP • Juli / August 2020
Wie wir lernten, die Pandemie zu stoppen Titelthema werden, desto größer ist die Chance, epidemiologische Lage- und Risikobewer- schwere Gesundheitskrisen zu vermei- tung gesteckt. Die WHO hatte die Epidemic den. Deshalb hat sich die internationale Intelligence from Open Sources-Initiative Gemeinschaft intensiv mit der Verbesse- ausgebaut und die Methoden der Informa- rung von Frühwarnung beschäftigt. tionssammlung über Ausbrüche und die Zum einen hatte man nach Corona Risikobewertung von Krankheitsgesche- vermehrt Anreize zur raschen Meldung hen optimiert. Hier werden auch Daten von Ausbrüchen sowie zur verbesserten aus informellen Quellen – wie sozialen Kooperation mit der WHO geschaffen. So Netzwerken und Medien – ausgewertet steht ein schlagkräftiger Fonds bereit, und bewertet. Auch dadurch wird die aus dem betroffene Länder rasch und un- Bereitschaft zur raschen Meldung von kompliziert Gelder für die Bekämpfung Krankheitsausbrüchen gesteigert, denn der Krankheit erhalten können, wenn sie die Länder müssen befürchten, dass die Ausbrüche melden. Außerdem stellt die Ausbrüche auch auf anderen Wegen ent- WHO vermehrt Notfallteams zur Verfü- deckt und öffentlich gemacht werden. gung, um die Länder bei der Bewältigung der Krankheit zu unterstützen. Unabhängige und wirkungsvolle WHO Neben Anreizen zur frühen Meldung Im Zentrum der erfolgreichen Reaktion auf von Ausbrüchen hatte die internationale Flu-35 steht eine wirkungsmächtige und Gemeinschaft Mechanismen geschaffen, führungsstarke WHO. Ihre Empfehlungen um Vertuschungsversuche aufzudecken werden von den Mitgliedern rasch umge- und von den Regierungen Rechenschaft setzt und nicht – wie in früheren Fällen zu verlangen. Die Sorge vor massiven – belächelt und missachtet. Reputationsverlusten trieb den Preis für Die Corona-Krise hatte gezeigt, dass Vertuschungsversuche in die Höhe. die Welt eine stärkere WHO braucht, um Daneben war es gelungen, bestehen- Pandemien besser zu begegnen. Die Or- de Frühwarnsysteme entscheidend zu ganisation hatte zwar nach Einschätzung verbessern. Zum einen durch die ver- vieler Experten 2020/21 gute Arbeit geleis- stärkte Überwachung von Erregern bei tet, allerdings waren ihre Möglichkeiten Tieren in „Disease Hotspots“: Virologen als Sekretariat von 194 Mitgliedstaaten, und Experten können dadurch mehr dar- ohne Weisungsbefugnisse und mit einem über erfahren, welche Pathogene sich im zu geringen Budget, stark eingeschränkt. Tierreich verbreiten und möglicherwei- Wie nach der SARS-Epidemie 2002/03 se auf Menschen überspringen und die wurde deshalb 2022 eine Reform der In- nächste Epidemie auslösen könnten. ternationalen Gesundheitsvorschriften – Zum anderen hatte man nach der Co- dem zentralen, rechtlich verbindlichen rona-Krise erhebliche Ressourcen in die Instrument der WHO bei der Ausbruchsbe- kämpfung – eingeleitet. Diese wurde 2025 abgeschlossen und stärkte das Mandat der WHO deutlich. So konnte die WHO nun Die rasche Meldung von bei Nichtbefolgung ihrer Empfehlungen Ausbrüchen wurde belohnt, und bei Verweigerung der Kooperation öffentlich Rechenschaft von den Mit- Vertuschungsversuche gliedstaaten verlangen und nicht wie in wurden streng geahndet der Vergangenheit nur tatenlos zusehen, IP • Juli /August 2020 | 39
Titelthema Gute Besserung wenn die Länder die Organisation igno- die an der Aufrechterhaltung der Versor- rierten. Darüber hinaus konnte sie Sank- gung beteiligt sind. Neben dem Aufbau von tionen verhängen, etwa Geldbußen oder Strukturen und Maßnahmen zur Präven- vorübergehende Stimmrechtsverluste in tion von Krankheiten enthalten die Pläne den UN-Institutionen. umfangreiche Handlungsanweisungen Die WHO konnte auch deshalb schlag- für die konkrete Pandemiebewältigung, kräftig auftreten, weil ihre dramatische die auf die jeweiligen Gegebenheiten in Unterfinanzierung nach der Covid-19-Pan- den Staaten abgestimmt sind. demie beendet wurde. Es war zwar ein Während der Flu-35-Pandemie began- schwerer Schlag, als der größte Geldge- nen die Länder weltweit zunächst rasch, ber, die USA, die Organisation 2020 ver- ihre Testkapazitäten hochzufahren sowie ließen. Durch eine breite Koalition von die Ein- und Ausreise an den Flughäfen Mittelmächten und privaten Geldgebern stärker zu überwachen und Passagiere unter Führung der EU konnte die dadurch zu tracken – wie in den Pandemieplänen entstandene Finanzierungslücke aber auf- vorgesehen. Da man in den vergangenen gefangen werden. Zudem hatten sich die Gesundheitskrisen gelernt hatte, dass Mitglieder darauf verständigt, die Pflicht- Reise- und Handelsbeschränkungen zur beiträge deutlich zu erhöhen. So konnten Eindämmung wenig effektiv sind, war operative Kräfte auf- und ausgebaut sowie man verstärkt zur Nachverfolgung Infi- Frühwarnung und Prävention verbessert zierter und ihrer Kontakte sowie zu Qua- werden. Die WHO war nun in der Lage, rantänemaßnahmen übergegangen. Die wesentlich unabhängiger von Einzelinter- Gesundheitssektoren konnten durch den essen der Mitglieder oder privater Akteure zeitlichen Vorsprung ihre Kapazitäten zu agieren. hochfahren, um einem eventuellen An- sturm von Erkrankten standzuhalten. Pandemic Playbook Durch die Bevorratung mit großen Als die Generaldirektorin der WHO im Mengen an Schutzkleidung sowie von an- Frühjahr 2035 vor dem neuen Grippevi- tiviralen Medikamenten, die regelmäßig rus warnte, konnten Regierungen weltweit durch die WHO überprüft wurde, konnte auf ihre nationalen Pandemic Playbooks das Personal in Krankenhäusern und den zurückgreifen. Unter Anleitung der WHO Arztpraxen effektiv vor Flu-35 geschützt hatte 2022 die Pandemic Playbook-Initiati- und den Erkrankten eine bessere Therapie ve begonnen, bei der alle Mitgliedstaaten geboten werden. Zudem lieferten die Play- ihre teilweise stark veralteten nationalen books Orientierungshilfen für Entschei- Pandemiepläne einer Evaluierung unter- dungsträger bei der Verordnung von Qua- zogen und diese überarbeiteten. Eine re- rantäne- und Schutzmaßnahmen wie der gelmäßige Anpassung dieser Pläne war im Schließung von Kindergärten und Schulen Turnus von drei Jahren angesetzt worden; Übungen zur Pandemiebewältigung fan- den ebenfalls auf nationaler und interna- tionaler Ebene regelmäßig statt. Regelmäßig fanden Übungen Die Pandemic Playbooks umfassen den zur Pandemiebewältigung Gesundheitssektor, den Katastrophen- schutz sowie weite Teile der Privatwirt- auf nationaler und internati- schaft – insbesondere die Unternehmen, onaler Ebene statt 40 | IP • Juli / August 2020
Wie wir lernten, die Pandemie zu stoppen Titelthema Daumen hoch: Ausreichend Schutzkleidung und Medikamente, regelmäßige Übungen und eine rasche, ge- meinsame Reaktion – wenn genug investiert wird, könnte die nächste Pandemie besser bewältigt werden. und dem Herunterfahren des wirtschaft- „Die internationale Reaktion auf Flu- lichen Lebens. 35 hat gezeigt: Pandemien können erfolg- Die Pandemic Playbook-Initiative wur- reich bekämpft werden“, so die WHO-Ge- de durch umfangreiche Mittel der WHO neraldirektorin in ihrer Erklärung zum sowie privater Stiftungen und Geldgeber Ende der Krise im Februar 2036. Seit 2020 und einzelner Mitgliedstaaten unterstützt. wurden enorme Fortschritte in der Aus- Die Erkenntnis, dass Investitionen in Prä- bruchsbekämpfung erzielt, erzielt, so wur- vention und Pandemiebewältigung kos- den die Früherkennung ausgebaut, die tengünstiger sind als die Beseitigung der WHO gestärkt und nationale Pandemie- enormen Schäden einer Pandemie, hatte pläne verbessert. Flu-35 hat die Welt nicht nach Covid-19 zu einer erhöhten Investi- in eine schwere Krise mit langfristigen und tionsbereitschaft geführt. Insbesondere schweren sozioökonomischen Folgen ge- ärmere, instabile oder durch Krieg und stürzt. Langfristig muss es zwar das Ziel Konflikt zerrüttete Regionen, die sich sein, Erreger so frühzeitig zu entdecken kaum auf Krankheitsausbrüche vorberei- und zu kontrollieren, dass es gar nicht erst ten können, werden so beim Aufbau von zu größeren Ausbrüchen kommt. Doch in Strukturen und Kapazitäten unterstützt. einer hypervernetzten Welt mit steigender Auch deshalb konnte Flu-35 sich nicht Weltbevölkerung, Zunahme von Megaci- zu einer schweren globalen Krise entwi- ties und voranschreitender Umweltzerstö- ckeln, da auch Regionen der Welt, die bei rung bleiben Epidemien auch weiterhin früheren Krankheitsausbrüchen diesen ein realistisches Szenario, auf das es sich nahezu schutzlos ausgeliefert waren, vorzubereiten gilt. Auch im Jahr 2036 und Maßnahmen ergreifen konnten. darüber hinaus. IP • Juli /August 2020 | 41
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