Wissenschaftskommunikation in der COVID-19-Pandemie - Einblicke und Erfahrungen österreichischer Expert:innen
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Wissenschaftskommunikation in der COVID-19-Pandemie Einblicke und Erfahrungen österreichischer Expert:innen
© Daniel Nölleke, Folker Hanusch, Birte Leonhardt Universität Wien Fakultät für Sozialwissenschaften Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Währinger Straße 29 1090 Wien Kontakt: Daniel Nölleke, daniel.noelleke@univie.ac.at Zitation: Nölleke, D., Hanusch, F., & Leonhardt, B. (2022). Wissenschaftskommunikation in der COVID- 19-Pandemie: Einblicke und Erfahrungen österreichischer Expert:innen. Wien. Universität Wien, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Titelbild: © Adobe Stock - Production Perig
Wissenschaftskommunikation in der COVID-19-Pandemie: Einblicke und Erfahrungen österreichischer Expert:innen Report zur Interviewstudie des Journalism Studies Center Von Daniel Nölleke, Folker Hanusch und Birte Leonhardt Journalism Studies Center Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien Wissenschaftliche Expert:innen aus Bereichen wie Virologie und Epidemiologie haben während der COVID-19-Pandemie durch ihre große Präsenz in der öffen- tlichen Kommunikation einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt und wesentlich dazu beigetragen, wie Medien, Politik und Gesellschaft die Gefahren der Pandemie einordnen und darauf reagieren. Um mehr darüber zu erfahren, wie sie das erste Jahr im Rampenlicht erlebt haben, hat ein Forschungsteam des Journalism Stud- ies Center an der Universität Wien 24 dieser Expert:innen aus Lebens- und Natur- wissenschaften befragt. In diesem Studienbericht schildern wir ihre Erfahrungen, die wichtige Einblicke in die Arbeit von Politik und Medien sowie in die Auswirkun- gen öffentlicher Präsenz auf die Arbeit und das Leben der Expert:innen selbst liefern.
Inhalt Executive Summary 5 Idee und Anlage der Studie 6 1 Der Umgang der Politik mit der Pandemie 8 2 Fokus Fokus aufauf traditionelle traditionelle Anbieter: Anbieter: DieDie Rolle Rolle derder Medien Medien in in 11 der Pandemie der Pandemie xxx 3 Bewertung der Berichterstattung 12 4 Entwertung Entwertung undund Instrumentalisierung: Instrumentalisierung: DerDer Umgang Umgang derder 18 Medien Medien mit Expertise mit Expertise xxx 5 DieDie Kontrolle Kontrolle behalten: behalten: Zufriedenheit Zufriedenheit derder Wissen- 21 schafter:innen Wissenschafter:innen mit ihren Medienauftritten mit ihren Medienauftritten xx 6 eaktionen Reaktionen des Publikums des Publikums auf Medienauftritte auf Medienauftritte der Wis- der 24 senschafter:innen Wissenschafter:innen xx 7 Wissen Wissen undund Meinungen Meinungen derder Bevölkerung Bevölkerung zu wissen- zu 28 schaftlicher wissenschaftlicher Expertise Expertise xx 8 Umgang mit Medienanfragen 31 9 Learning Learning by doing: by doing: Notwendige Notwendige Kompetenzen Kompetenzen als als Medi- 35 enexpert:in Medienexpert:in xx 10 Dank und Verpflichtung: Motive für öffentliche Präsenz 37 11 Eine Eine Riesenchance? Riesenchance?Stellenwert Stellenwert von von Wissenschafts- 40 kommunikation Wissenschaftskommunikation jenseits der Pandemie jenseits der Pandemie xx 12 Fazit oder: eine Kosten-Nutzen-Bilanz 43
Executive Summary 1. Die Expert:innen werfen der Politik einen inkonsistenten Kurs in der Pande- mie vor. Insbesondere kritisieren sie die Regierung für die mangelhafte Kommu- nikation ihrer Politik während der Pandemie. 2. Die Befragten finden, dass wissenschaftliche Expertise im politischen Entschei- dungsprozess oft verwässert worden ist, und beklagen, dass sie vor allem dazu genutzt wurde, bereits getroffene Entscheidungen nachträglich wissenschaft- lich zu legitimieren. 3. Trotzdem sind die Expert:innen zur Kooperation mit der Politik bereit und erkennen dort ein verstärktes Bemühen, sich auf wissenschaftlichen Rat zu verlas- sen. 4. In den Medien zitierte Expert:innen bewerten die Berichterstattung über COVID-19 grundsätzlich positiv. Sie finden, dass die meisten Journalist:innen zumindest versuchen, dem komplexen Thema gerecht zu werden. 5. Insgesamt haben sie allerdings den Eindruck, dass der Begriff „Expert:in“ in österreichischen Medien inflationär verwendet wird und es damit zu einer Entwer- tung tatsächlicher Fachkompetenz kommt. 6. Sie bemängeln, dass einige Medien Expert:innen dazu instrumentalisieren, die Dramaturgie der Berichterstattung zu stützen. Sie verurteilen insbesondere Polari- sierung und False Balancing durch den Einsatz von (Pseudo-)Expert:innen 7. Die Expert:innen wollen durch mediale Präsenz einen fehlgeleiteten Diskurs korrigieren, in dem pseudo-wissenschaftlichen Stimmen zu viel Gewicht beige- messen wird. So möchten sie ihren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beitragen. 8. Den Expert:innen ist es besonders wichtig, dass sie in den Medien korrekt zitiert und nicht mit Fragen jenseits ihrer Fachkompetenz konfrontiert werden. Sie haben Strategien entwickelt, um sich gegen unangenehme Erlebnisse als Medi- enexpert:innen zu schützen. 9. Viele Expert:innen erhalten in erheblichem Ausmaß negative (oft feindselige) Resonanz auf ihre Medienauftritte. Insbesondere in Social Media, per E-Mail, aber auch per Post erreichen sie grobe Beleidigungen und offene Drohungen. 10. Die Expert:innen empfinden diese Resonanz als emotional enorm belastend. Sie reagieren darauf, indem sie Kontaktdaten im Internet löschen. Einige treten als Folge von Drohungen medial weniger in Erscheinung. 11. Viele Expert:innen wünschen sich eine stärkere Institutionalisierung der Ver- mittlung von Kommunikationskompetenzen in wissenschaftlicher Aus- und Weiterbildung. 5
Idee und Anlage der Studie Während der COVID-19-Pandemie ist die Wissenschaft in bislang unbekanntem Ausmaß in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit getreten. In Zeiten enormer Unsicherheit waren und sind zahlreiche Anspruchsgruppen in der Gesellschaft auf wissenschaftliches Wissen angew- iesen. Wissenschaftliche Expertise ist in den vergangenen 24 Monaten so zu einer (potenziell) bedeutenden Ressource politischer Entscheidungen und einer wichtigen Quelle medialer Berichterstattung geworden. Die Kommunikation von wissenschaftlichem Wissen an Politik, Medien und Öffentlichkeit war offenbar noch nie so wichtig wie derzeit; aber es war wohl auch noch nie so herausfordernd, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Denn das wissenschaftliche Wissen zum Virus selbst ist höchst fragil und kann der Nachfrage nach sich- erer Information und Handlungsempfehlungen kaum gerecht werden. Zudem sieht sich die Wissenschaft mit einer unübersichtlichen Medienlandschaft und einem offenbar zunehmend wissenschaftsskeptischen Klima konfrontiert. Im Zuge der Pandemie wurde daher auch offen über die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft diskutiert – über ihr Verhältnis zur Politik, ihre Darstellung in den Medien und ihre (fehlende?) Wertschätzung in der Öffentlichkeit. In einem Forschungsprojekt am Journalism Studies Center am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien sind wir der Frage nachgegangen, wie Wissenschafter:innen ihre öffentliche Rolle während der Pandemie erleben. Was motiviert sie dazu, Medien als Expert:innen zur Verfügung zu stehen? Welche Erfahrungen haben sie in der Interaktion mit Medien gemacht? Und welches Zwischenzeugnis stellen sie der Berichterstat- tung über COVID-19 aus? Vor dem Hintergrund einer offenbar wachsenden Wissenschafts- skepsis in der Bevölkerung fragen wir: Wie nehmen die Wissenschafter:innen selbst das öffentliche Klima gegenüber der Wissenschaft wahr? Welche Resonanz erhalten sie auf ihre öffentlichen Auftritte als Expert:innen? Und: Was macht das mit ihnen und ihrer Bereitschaft, ihre Expertise öffentlich zu kommunizieren? Eine wichtige Rolle spielen Wissenschafter:innen während der Pandemie nicht nur in den Medien und damit im öffentlichen Diskurs; auch die Politik profitiert bei ihren Entscheidungen potenziell von evidenzbasiertem Expert:innenwis- sen. Wie haben nun Wissenschafter:innen an österreichischen (Forschungs-)Einrichtungen den politischen Umgang mit wissenschaftlicher Expertise während der Pandemie erlebt? Und wie bewerten sie generell den politischen Umgang mit der Pandemie? Die Vermittlung wissenschaftlicher Expertise an Medien und Politik, so wird sich zeigen, ist zeitaufwändig und kann emotional aufwühlend sein. Das führt zu den Fragen: Welchen Stellenwert messen Wissenschafter:innen Wissenschaftskommunikation generell bei? Und welche Formen von Unterstützung und Anreizen wünschen sie sich für ihr Engagement bei der öffentlichen Kom- munikation ihrer Expertise? All diesen Fragen sind wir in unserem Projekt nachgegangen, in dem wir Wissenschafter:in- nen an österreichischen (Forschungs-)Einrichtungen gebeten haben, ihre Erfahrungen mit 6
der öffentlichen Kommunikation ihrer Expertise während der Pandemie zu reflektieren. Wir haben dazu Interviews mit 24 Wissenschafter:innen aus lebens- und naturwissenschaftlichen Disziplinen (wie Virologie, Epidemiologi und, Komplexitätsforschung) geführt, die im ersten Jahr der Pandemie mindestens einen Auftritt als Expert:in in einem österreichischen Medi- enangebot hatten. Viele der Interviewten hatten zum Zeitpunkt der Gespräche aber deutlich mehr Medienpräsenz und damit bereits den Status prominenter Medienexpert:innen, den die meisten auch bei Veröffentlichung dieses Reports noch innehaben. Unter den insgesamt befragten 24 Wissenschafter:innen waren 7 Frauen und 17 Männer. Damit spiegelt die Stich- probe in etwa das Verhältnis der in den Medien präsentierten Expert:innen wider; so haben Frauen in den Medien eine deutlich geringere Sichtbarkeit als Expertinnen erzielt als ihre männlichen Kollegen. Die Gespräche haben im April, Mai und Juni 2021 stattgefunden und reflektieren damit die ersten 14 bis 16 Monate der Pandemie. Sie haben durchschnittlich 50 Minuten gedauert und wurden via Zoom (oder andere Videokonferenz-Software) geführt. Den Befragten wurde Anonymität zugesichert. In unserem Bericht verwenden wir zur Zuordnung von Zitaten für jede/n Wissenschafter:in einen individuellen Code, der sich aus dem Kürzel für Expert:in („Exp“), einem Kürzel für das Geschlecht („w“ für weiblich, „m“ für männlich) und einer fortlaufenden Nummer (von 01 bis 07 bei weiblichen Expertinnen, von 01 bis 17 bei männlichen Experten) zusammensetzt; beispielsweise „Exp_w_06“. Um die Stichprobe kohärent zu halten, haben wir uns bewusst dafür entschieden, die Er- fahrungen und Einschätzungen lebens- und naturwissenschaftlicher Expert:innen zu erheben. Wie auch in den Antworten der Befragten deutlich wird, bedeutet dies nicht, dass nur solche Wissenschafter:innen über COVID-19-relevante Expertise verfügen. Zwar wurde die Berich- terstattung zu COVID-19 zunächst von Virolog:innen und Epidemiolog:innen dominiert; die Medien haben sich aber im Laufe der Zeit auch anderer Facetten der Pandemie angenommen und dabei u. a. auch wirtschafts-, geistes- und sozialwissenschaftliche Expertise nachgefragt. Diese Studie fokussiert also auf einen Ausschnitt der medial präsentierten Expertise und reflektiert dabei die ersten 14 bis 16 Monate der Pandemie. 7
1. Der Umgang der Politik mit der Pandemie 1.1 Zickzackkurs und Pressekonferen- und wissenschaftlichen Interessen ge- zen: Allgemeiner Eindruck von Maß- kommen; vielmehr habe man in Phasen nahmen und Kommunikation der Entspannung wirtschaftliche Bedürf- nisse priorisiert, um dann in angespann- In ihrer Bewertung des politischen Um- ten Phasen wieder mit wissenschaftli- gangs mit COVID-19 unterscheiden die chen Erkenntnissen zu argumentieren. befragten Expert:innen verschiedene Phasen der Pandemie. Während sie in ih- „Wenn es schlimm ist, dann hört die Poli- rer Beurteilung der Maßnahmen noch tik auf einen, und wenn es weniger differenzieren, halten sie deren Kommu- schlimm ist, dann ist es nicht der Fall.“ nikation grundsätzlich für misslungen. (Exp_w_01) Für die erste Phase der Pandemie ge- So sei eine nachhaltige Politik zur Über- währen die Befragten der Politik eine Art windung der Krise nicht möglich. Trotz Welpenschutz. Man hält politischen Ent- dieser Kritik begegnen die Expert:innen scheidungsträger:innen zu- den politischen Entschei- gute, dass sie von der „Wenn es schlimm ist, dungsträger:innen durch- Wucht der Krise überrascht dann hört die Politik auf aus mit Sympathie und worden seien und beschei- einen; und wenn es weni- bescheinigen ihnen gro- nigt ihnen, hier die grund- ger schlimm ist, dann ist ßes Bemühen beim Über- sätzlich richtigen Maßnah- es nicht der Fall.“ winden der Krise und men ergriffen zu haben. Die beim Vereinbaren von au- Befragten machen auch deutlich, dass genscheinlich unvereinbaren Interessen. sie Politiker:innen um ihre Rolle wäh- Sie beklagen jedoch den unsteten Kurs rend der Pandemie nicht beneiden. Sie und die fehlende Konsequenz in der Be- haben großen Respekt vor der Aufgabe, zugnahme auf wissenschaftliche Exper- unterschiedliche Interessen gegeneinan- tise. Fast durchweg kritisch wird die poli- der abwägen und ständig einen Kompro- tische Kommunikation rund um die Pan- miss finden zu müssen. demie bewertet. „Da sind halt so viele Aspekte zu berück- „Ich glaube, dass sich die Regierung auf sichtigen, wo man froh ist, kein Politiker der inhaltlichen Seite gar kein so schlech- zu sein.“ (Exp_m_02) tes Zeugnis abholen würde. Auf der kom- munikativen Seite halte ich es für beschei- Während sie der Politik attestieren, dass den.“ (Exp_m_07) sie das in der ersten Phase der Pandemie gut gelöst hat, wird ihr für die Folgezeit So kritisieren die Expert:innen zum ei- ein oftmals wenig konsistenter Zickzack- nen die Vielzahl an Pressekonferenzen, kurs vorgeworfen. So sei es nicht zu ei- mit denen sich die Regierung an die Öf- nem Abwägen von z.B. wirtschaftlichen fentlichkeit gewendet hat, zum anderen 8
sind sie der Überzeugung, dass mitunter „Vieles, was wir in den Beraterstabssit- verheerende Botschaften ausgesendet zungen besprochen haben, wurde zwar wurden. All dies habe die Bevölkerung vom Gesundheitsminister als wichtig und nicht adäquat informiert. sinnvoll erkannt, wurde aber dann, auf dem Weg durch die politischen Ebenen, entweder verwässert oder es wurde über- haupt fallen gelassen.“ (Exp_m_04) 1.2 Verwässerung und Instrumentali- Die befragten Expert:innen haben außer- sierung: Umgang der Politik mit wis- dem den Eindruck, dass sie im Sinne ei- senschaftlicher Expertise ner politischen Agenda instrumentali- siert wurden: Gerade in den späteren In diesem Zusammenhang kritisieren die Phasen der Pandemie seien Expert:innen Expert:innen auch die fehlende Bezug- vorgeschoben worden, um politische nahme auf wissenschaftliche Expertise Entscheidungen im Nachhinein zu legiti- seitens der Politik. Dabei halten sie es mieren und ihnen den Anstrich von Wis- grundsätzlich für durchaus legitim, dass senschaftlichkeit zu geben. politische Entscheidungsträ- ger:innen nicht nur die medi- „Andererseits hat man schon auch ein bisschen das Gefühl, dass zin- bzw. gesundheitswissen- sich natürlich auch die Politik die Experten so aussucht, dass sie schaftlichen Facetten der Pan- das vertreten, was sie hören wollen.“ demie berücksichtigen, son- dern auch Expert:innen und Interessen „Das Normale ist: Ich habe eine politische aus anderen Bereichen Gehör schenken. Entscheidung getroffen, wie auch immer sie zustande gekommen ist, und brauche „Der Politiker [...] muss die Zusammen- jetzt eine rationale Untermauerung. Oder hänge beurteilen. Er muss es nicht nur ich möchte im Nachhinein wissen, ob von der wissenschaftlichen Seite, die sehr diese Entscheidung auch evidenzbasiert oft geneigt ist, einen Tunnelblick zu ha- ist. Und dann frage ich mal an, [...] wer ben. Er muss viel weiter denken. Er muss der richtige Ansprechpartner ist.“ sich überlegen: Was hat das für gesamt- (Exp_m_08) staatliche Auswirkungen etc.? Dabei kann ihm die Expertenmeinung helfen, aber sie Die Auswahl von Expert:innen durch die sollte nicht seine ausschließliche Ent- Politik erfolgt laut den Befragten also scheidungsgrundlage sein.“ (Exp_m_04) vor allem aufgrund von politischem Op- portunismus: Es wurden Expert:innen Als problematischer empfinden sie es, eingesetzt, von denen erwartet wurde, dass die Politik wissenschaftliche Ex- beabsichtigte Entscheidungen zu stüt- pert:innen zwar angehört, aber deren Ex- zen. pertise in ihren Entscheidungen nicht angemessen berücksichtigt habe. Im „Andererseits hat man schon auch ein Zug durch politische Instanzen und im bisschen das Gefühl, dass sich natürlich Abwägen verschiedener Interessen sei auch die Politik die Experten so aussucht, Expertise verwässert worden. dass sie das vertreten, was sie hören wol- len.“ (Exp_m_05) 9
Einen solch politstrategisch motivierten Nutzen gehabt, auf den politische Ent- Einsatz von wissenschaftlicher Expertise scheidungsträger:innen gesetzt haben. empfinden viele Befragte als unange- Obwohl die Bezugnahme der österreichi- messen. Andere wie- schen Regierung auf derum haben dafür „Die Bemühung ist auf jeden Fall da, wissenschaftliche Ex- Verständnis. So dass sie [die Politiker:innen] versu- pertise vom überwie- funktioniere halt Po- chen, Wissenschaftler zu hören. Das genden Teil der Be- litik. ist ja schon mal positiv.“ fragten kritisiert wird, sind sie weiter- „Was ihnen [den Politiker:innen; Verf.] hin bereit dazu, Politik mit der Bereit- passt, das wird vor den Vorhang genom- stellung wissenschaftlicher Expertise zu men. Und was nicht passt, halt nicht. Also, unterstützen. Schließlich habe man sich das ist so. Das würde ich ja auch so ma- mit der Bekämpfung der Pandemie ja chen.“ (Exp_m_17) der gleichen Sache verschrieben. Und die befragten Wissenschafter:innen er- Und so betonen einige Befragte ganz kennen durchaus das Bemühen der Poli- grundsätzlich die Inkompatibilität von tik, wissenschaftliche Expertise verstärkt wissenschaftlichem Wissen und politi- zu berücksichtigen und im Politikpro- schen Bedürfnissen. Demnach hat die zess mit Wissenschafter:innen zu koope- Politik in der Krise zwar wissenschaftli- rieren. che Expertise nachgefragt, habe sich da- von aber mehr versprochen, als es die „Die Bemühung ist auf jeden Fall da, dass Wissenschaft aufgrund fehlender Evi- sie [die Politiker:innen; Verf.] versuchen, denz einlösen konnte. Wissenschaftliche Wissenschaftler zu hören. Das ist ja schon Expertise habe also nicht den direkten mal positiv.“ (Exp_m_15) 10
2. Fokus auf traditionelle Anbieter: Die Rolle der Medien in der Pandemie Grundsätzlich schreiben die befragten Traditionelle Medien gelten daher unter Expert:innen den Medien in der Pande- den befragten Expert:innen als wichtigs- mie eine zentrale Rolle als wichtigste In- ter Kanal der Wissenschaftskommunika- formationsquelle für eine verunsicherte tion allgemein. Folgerichtig sind sie auch Bevölkerung zu. grundsätzlich bereit, diesen Medien als Expert:innen zur Verfügung zu stehen. Dabei beziehen sie sich vor allem auf etablierte Qualitätsmedien wie den ORF Allerdings sind sich die Befragten auch sowie Tageszeitungen wie den Standard der Grenzen ihrer Expert:innentätigkeit und Die Presse mit ihren jeweiligen On- in traditionellen Medien bewusst. Sie line-Ablegern. vermuten, dass sich Menschen selektiv solchen Medien zuwenden, die ihre Mei- Auch Boulevardmedien wie die Kronen nung stützen. Daher glauben sie, dass Zeitung vermuten sie als wichtige Quel- bestimmte Teile der Bevölkerung über len für COVID-bezogene Informationen. traditionelle Medien nicht zu erreichen sind. Einzelne nennen zudem Gratiszeitungen, die sie aufgrund ihrer hohen Reichweite Hier macht sich unter den Expert:innen für wichtig halten. Wegen der großen Be- Resignation breit; denn diese Menschen deutung dieser Medien liegt es den Be- halten sie für weitgehend verloren für fragten besonders am Herzen, dass hier wissenschaftliche Argumente und Evi- angemessen über die Pandemie infor- denzen. Wenn die Expert:innen in unse- miert und das relevante Expert:innen- ren Interviews über die Rolle von Medien wissen vermittelt wird. in der Pandemie sprechen, fokussieren sie daher zuvorderst traditionelle Nach- richtenmedien. 11
3. Bewertung der Berichterstattung 3.1 Wertvolle Aufklärungsarbeit: 3.2 Faktentreue und Polarisierung: Allgemeiner Eindruck der Berichter- Stärken und Schwächen der Berichter- stattung stattung Die Befragten stellen der Berichterstat- Als besonders positiv beurteilen die Ex- tung über die Pandemie überwiegend pert:innen, dass sich Medien – entgegen ein gutes Zeugnis aus. Zwar sind ihnen ihrer wahrgenommenen Natur – auf die im Detail Qualitätsunterschiede aufge- sachliche Vermittlung von Fakten kon- fallen; insgesamt halten die meisten die zentriert und weitgehend auf Skandali- mediale Aufbereitung der Pandemie je- sierung verzichtet haben. Ihnen wird doch für gelungen und sind der Ansicht, (der Versuch zu) objektiver Berichter- dass Medien wertvolle Aufklärungsarbeit stattung attestiert. In dem Zusammen- geleistet haben. hang begrüßen es die Befragten, dass sich die Journalist:innen selbst zurück- „Also ich denke, dass die mediale Bericht- genommen und auf die Kompetenz rele- erstattung eigentlich von Anfang an bis vanter Expert:innen verlassen haben. heute [...] recht gut war. Ich denke, sie war objektiv, und es sind [...] auch durch- „Das war auch anfangs [...] tatsächlich aus verschiedene Aspekte beleuchtet wor- der Fall. Hier haben sich die Medien sehr den, so dass sich die Leute ihr eigenes stark zurückgenommen, um nicht Stim- Bild machen konnten.“ (Exp_m_01) mungen in der Bevölkerung zu erzeugen. Sondern sie haben versucht, tatsächlich „Wenn wir von den klassischen Medien re- Dates and Facts zu liefern.“ (Exp_m_04) den, ja, dann muss ich sagen, ist es denen im Großen und Ganzen sehr gut gelun- Mehrere Expert:innen betonen, dass es gen, wissenschaftliche Tatsachen einiger- den Medien gut gelungen sei, die ver- maßen verständlich [...] darzustellen – bis schiedenen Facetten der Pandemie her- runter zur Kronen Zeitung. Also muss ich auszuarbeiten und somit deren gesamte sagen: Hut ab.“ (Exp_w_03) gesellschaftliche Tragweite darzustellen. Für besonders bemerkenswert halten sie es, dass selbst viele der Journalist:innen, „Also ich denke, dass die me- die normalerweise nicht zu Wissen- diale Berichterstattung ei- schaftsthemen arbeiten, kompetent auf- gentlich von Anfang an bis getreten sind. Hier beobachten sie insge- heute [...] recht gut war.“ samt enorme Lernbereitschaft. Sie ha- ben daher den Eindruck, dass wissen- schaftsbezogener Journalismus wäh- rend der Pandemie besser geworden sei. 12
Allerdings fällt das Gesamtfazit nicht bei Berichterstattung eigene (politische) allen Befragten derart positiv aus. Einige Standpunkte vertreten und dabei wer- bemängeln, dass es Journalismus – trotz tend über bestimmte Teile der Bevölke- aller möglicher Bemühungen – eben rung berichten. Diese Agenda werde ins- nicht gelungen sei, wissenschaftliches „Was zum Beispiel nicht so gut funktioniert hat, war das Kommunizieren Wissen adäquat zu von Zahlen. Lange Zeit hat man absolute Zahlen präsentiert, die man vermitteln. halt irgendwie nicht vergleichen kann.“ „Nichtsdestotrotz sind gelegentlich auch besondere dadurch gestützt, dass man Dinge publiziert worden, die einfach hin- eine eigene Bubble aus Inter- ten und vorn nicht stimmen; aber das war viewpartner:innen etabliert, die diese wirklich die ganz große Ausnahme.“ Tendenz durch ihre Aussagen stützt. (Exp_m_01) „November [2020] war die Zeit, in der die Mehrfach wird beklagt, dass gerade der Medien angefangen haben zu polarisie- so wichtige Umgang mit Zahlen nicht gut ren. Da waren diese sehr diffamierenden gelungen sei. Außerdem weisen einige Berichterstattungen über diese Demos. Befragte auf illegitime Vergleiche hin, die Man darf Demos kritisieren – darum geht zur Illustration komplexer Sachverhalte es mir gar nicht – aber man muss es in ei- zwar gut gemeint seien, aber schlicht- nem Ton machen, der immer nur sachlich weg in die Irre führen. bleibt [...]. Und dann hat halt eben dieser quasi wertende Journalismus angefan- „Was zum Beispiel nicht so gut funktio- gen.“ (Exp_m_03) niert hat, war das Kommunizieren von Zahlen. Lange Zeit hat man absolute Zah- „Es ist alles ausgerichtet auf Negativ- len präsentiert, die man halt irgendwie schlagzeilen, auf Panikmache, auf Angst- nicht vergleichen kann.“ (Exp_w_05) mache. Es ist jeder Versuch, differenziert Zusammenhänge zu erklären, geschei- Während einige das mit der fehlenden tert.“ (Exp_w_05) wissenschaftlichen Kompetenz der Jour- nalist:innen erklären, erkennen andere Solche Fundamentalkritik an einer ten- hier manipulative Absichten. Tatsächlich denziösen oder gänzlich inadäquaten findet sich unter den Befragten ein:e Ex- Berichterstattung bleibt unter den Be- pert:in, der/die die Be- fragten jedoch die Aus- richterstattung grund- „Egal welche Sau durchs nahme. Dennoch werden ei- sätzlich für tendenziös Dorf getrieben wird, die nige Aspekte des medialen hält und gerade dem ORF Medien rennen hinter- Umgangs als unzureichend vorwirft, durch eine ein- her.“ eingestuft: Neben dem oft seitige Auswahl an Ex- als nicht gelungen wahrgenommenen pert:innenstimmen Panikmache zu be- Umgang mit Zahlen bezieht sich die Kri- treiben. Einige (wenige) weitere Befragte tik darauf, dass es den Medien nicht ge- stoßen in ein ähnliches Horn – wenn lungen sei, ein Verständnis für den wis- auch nicht in dieser Intensität. Die haben senschaftlichen Prozess zu schaffen. In beobachtet, dass Medien mit ihrer dem Zusammenhang beklagen einige 13
Befragte den Fokus auf die attraktive womit ich mich wissenschaftlich ausei- Schlagzeile, die die Komplexität wissen- nandersetze, ist eindeutig.“ (Exp_m_12) schaftlicher Informationen nicht wider- spiegele. Außerdem werde es dem wis- Der am häufigsten geäußerte Kritikpunkt senschaftlichen Prozess nicht gerecht, bezieht sich auf die Quantität der Be- wenn sich Medien immer wieder auf richterstattung über die Pandemie. Ei- neue Aspekte beziehen, ohne sie ent- nige Expert:innen fürchten, dass der sprechend zu kontextualisieren und als große Umfang der Corona-Berichterstat- Einzelschritte eines größeren Prozesses tung beim Publikum zu Ermüdung und zu verorten. langfristig auch einer Abwehrhaltung ge- genüber wissenschaftlichen Informatio- „Also, egal welche Sau durchs Dorf getrie- nen zur Pandemie führe. ben wird, die Medien rennen hinterher. Wir haben Phasen gehabt, wo die Masken „Man kann sich natürlich die Frage stel- was bedeutet haben, dann haben sie len, ob‘s nicht gelegentlich ganz günstig nichts bedeutet. Dann mussten sie dichter gewesen wäre, eine gewisse Abstinenz für sein, dann durften sie weniger dicht sein. einige Tage einzulegen – und dafür eher Und die Medien sind jedem Blödsinn hin- eine qualifiziertere Berichterstattung zu terhergerannt, weil sie es natürlich auch geben als eine kontinuierliche jeden Tag, nicht besser wissen. Also, was die [...] In- die nur ermüdet.“ (Exp_m_11) halte angeht: Kann man „Journalisten brauchen einfache vergessen.“ (Exp_m_12) Aber auch hier zei- Wahrheiten: ja/nein, links/rechts, gen die Befragten hoch/runter, mehr oder weniger. durchaus Verständ- Allerdings ist den Be- Nix von alle dem, womit ich mich nis für die Prinzipien fragten bewusst, dass wissenschaftlich auseinander- des Journalismus: Medien anders funktio- setze, ist eindeutig.“ Sie wissen, dass die nieren als die Wissen- schaft. Daher stellen sie an Journalist:in- Reichweite des Themas Medien quasi nen auch nicht den Anspruch, die wis- dazu zwingt, dauerhaft zu berichten. Mit senschaftliche Qualität von Studien er- dieser Quantität erklären sich die befrag- fassen zu können. Die meisten Befragten ten Expert:innen auch die inhaltlichen rechnen es den Journalist:innen hoch Fehler der Berichterstattung, die sie an, dass sie sich während der Pandemie zwar bemängeln, für die sie aber inso- immerhin darum bemühen, die mit wis- fern Verständnis haben, als Journa- senschaftlichen Erkenntnissen einherge- list:innen aufgrund des großen Publika- hende Unsicherheit zu transportieren. tionsdrucks gar nicht die Möglichkeit Sie verstehen allerdings, dass dies von hätten, tiefer in die komplexe Materie Medien kaum erwartet werden kann, da einzusteigen sie anderen Prinzipien folgen als die Wis- senschaft. „Da ist die Ursache in meinen Augen die- ser Demand, jeden Tag permanent irgen- „Journalisten brauchen einfache Wahr- detwas davon berichten zu wollen. Und heiten. Ja/nein, links/rechts, hoch/runter, da geht einfach Quantität über Qualität, mehr oder weniger. Nix von alle dem, und man braucht einfach jeden Tag eine neue Meldung [...]. Hauptsache es ist 14
reißerisch und neu und für den Laien ver- Insbesondere in Facebook ist das ja wirk- ständlich. Es ist, glaube ich, auch eine lo- lich prominent-bescheuert.“ (Exp_w_03) gische Folge, dass hier einfach Fehler ge- macht [...] wurden.“ (Exp_m_02) Allerdings ist den Befragten auch be- wusst, dass Kanäle abseits der etablier- Auch wenn die Expert:innen überwie- ten Informationsangebote nicht auto- gend zu dem Urteil kommen, dass es Me- matisch schlecht sein müssen. Als Posi- dien gut gelungen ist, die verschiedenen tivbeispiel beziehen sich einige Befragte Perspektiven der Pandemie zu verdeutli- auf die YouTube-Videos des als Science chen, gibt es unter den Befragten Einzel- Buster populären Molekularbiologen stimmen, die glauben, dass der medizi- Martin Moder. nisch-virologische Aspekt gerade zu Be- ginn der Pandemie zu stark im Vorder- Doch auch innerhalb des Spektrums grund gestanden habe. etablierter Informationsmedien in Print, TV und Hörfunk erkennen die befragten Expert:innen relevante Unterschiede. Zwar ist ihnen wohltuend aufgefallen, dass sich selbst Boulevardmedien in der 3.3 Alternative Medien und False Ba- Krise tendenziell mit Skandalisierung zu- lancing: Differenzierte Bewertung der rückhalten – doch der Hang zur spekta- Berichterstattung kulären Schlagzeile wird in solchen po- pulären Medien weiterhin erkannt und Ihren grundsätzlich positiven Gesamt- mitunter auch beklagt. eindruck relativieren die Expert:innen durch einige Differenzierungen. „Ich glaube, das muss man differenziert sehen. Es gibt Medien, die meines Erach- Zunächst einmal unterscheiden sie etab- tens sehr objektiv berichtet haben, die lierte Medien von alternativen Medien- auch wirklich informiert haben. Und es angeboten, die sie online und hier vor al- gibt andere Medien, die versucht haben, lem in Social Media zu polarisieren und nicht zu in- verorten. Solchen „Aber nur, weil es ein paar formieren, sondern ganz ein- Formaten wird vor- Querköpfe gibt, heißt es noch fach bestimmte Messages zu geworfen, nicht an lange nicht, dass sich die schicken, die natürlich in die- sachlicher Informa- Wissenschaft nicht einig ist.“ ser Situation in meinen Augen tion, sondern an extrem ungünstig und eigent- der Vermittlung von Meinungen interes- lich kontraproduktiv waren.“ (Exp_w_02) siert zu sein. Hier erkennen die Befrag- ten die Tendenz zur Manipulation. Insbe- Ansonsten sind es insbesondere TV-Sen- sondere die Diskussionen auf Facebook der und -Formate, die für ihren Umgang werden enorm negativ bewertet. mit der Pandemie kritisiert werden. Meh- rere Expert:innen halten etwa Talkfor- „Und diese ganzen Social Media haben mate für problematisch, da hier Stim- natürlich den größten Blödsinn erzählt! men, die in der Wissenschaft kaum eine Also wirklich, ich habe noch nie so viel Rolle spielen, zu viel Gewicht beigemes- wirres Zeug gelesen wie zu Corona. sen werde. Die Befragten beklagen hier 15
eine falsche Ausgewogenheit von Stim- In diesem Zusammenhang richtet sich men, die in der Wissenschaft völlig un- die Kritik der Befragten insbesondere an terschiedliche Relevanz haben. den Fernsehsender Servus TV, dessen Berichterstattung über die Pandemie Dieses Phänomen des False Balancing, von vielen als unangemessen empfun- das hier kritisiert wird, kennt die For- den wird. schung zum Wissenschaftsjournalismus bislang vor allem aus der Klimabericht- „Es gibt einen Ausreißer bei den Medien, erstattung. Hier wird Klimawandelleug- das ist das Servus-TV. Da bin ich sehr ent- ner:innen oft ähnliches Gewicht beige- täuscht über die Berichterstattung, die ei- messen wie Wissenschafter:innen, die gentlich nur den Sinn hat, die Maßnah- den wissenschaftlichen Konsens vom men zu hinterfragen und […] in ein eigen- menschengemachten Klimawandel ver- artiges Licht zu ziehen.“ (Exp_m_16) treten. Durch dieses Prinzip kommt es zu einer Aufwertung von Außenseiter:innen Doch auch hier gibt es unter den Ex- und einer Abwertung tatsächlicher wis- pert:innen wenige Ausnahmen, die ge- senschaftlicher Evidenz. rade Servus TV einen gelungenen Um- gang mit der Pandemie attestieren. „Viele Sender glauben ja, sie müssen jetzt die eine Seite beleuchten UND die andere „Der einzige, zumindest von den Fern- Seite beleuchten. Aber die andere Seite ist sehformaten und Sendern, war ServusTV, ein Minimum von vielleicht drei bis fünf o- die immer bemüht sind, in irgendeiner der zehn Prozent der Bevölkerung, und Form die verschiedenen Sichtweisen auch die andere Seite sind 90 Prozent. Und da einzubringen.“ (Exp_w_06) stelle ich eine Diskussionsrunde 50 zu 50 Prozent gegenüber und vermittle dann Differenzierungen hinsichtlich der Quali- ein komplett falsches Bild.“ (Exp_w_01) tät der Berichterstattung über die Pan- demie werden auch unabhängig von den „Eine andere Sache, die in den Medien Grenzen einzelner Medienangebote vor- sehr problematisch war, ist [...] dieses genommen. Viel wird dabei an der Kom- Phänomen: Wenn sich die Wissenschaft zu petenz individueller Journalist:innen 90 Prozent einig ist, wird trotzdem zu je- festgemacht. Während sie den Journa- dem, der das eine sagt, ein Gegenpart ge- list:innen überwiegend Lernbereitschaft funden. Und das verzerrt total die Wahr- attestieren und bescheinigen, sich gut in nehmung in der Öffentlichkeit, weil man die komplexe Thematik eingearbeitet zu glaubt, dass die Wissenschaft sich nicht haben, ist den Befragten auch aufgefal- einig ist. Aber nur, weil es ein paar Quer- len, dass sich Vorbereitung und Kompe- köpfe gibt, heißt es noch lange nicht, dass tenz von Journalist:in zu Journalist:in sich die Wissenschaft nicht einig ist.“ unterscheiden. Einige hätten verstan- (Exp_m_06) den, wie man relevante Expert:innen finde, andere würden auf Scharlatane Insgesamt haben die Befragten den Ein- hereinfallen. Einige hätten die Kompe- druck, dass sich einige Medien für Grau- tenz, Studien kritisch gegenzulesen, an- stufen interessieren, dass andere aber dere nähmen alles für bare Münze. Ei- durch Schwarzweißmalerei politisieren. nige kennen sich aus und könne die 16
richtigen Fragen stellen; andere seien Pandemie unterstrichen. Die Befragten unvorbereitet und fragen Dinge, die zu halten es für bemerkenswert, mit welch keinem Erkenntnisgewinn führen. großer Kompetenz spezialisierter Wis- senschaftsjournalismus die Pandemie „Das ist ein bisschen zweigeteilt: Es gibt medial aufbereitet hat. Journalistinnen und Journalisten, die sehr gut vorbereitet sind, die sich sehr gut „Ich glaube schon, dass gerade der Wis- auskennen. Aber im Zuge der Pandemie senschaftsjournalismus eine gute und hat es auch viele Leute gegeben, die dar- wichtige Rolle gespielt hat. Auch, um über geschrieben haben, die sehr wenig nicht nur die Erkenntnisse an sich zu kom- Wissen mitgebracht haben.“ (Exp_m_06) munizieren, sondern auch die Einordnung der Erkenntnisse. Also die Tatsache, dass Insgesamt wird in den Interviews immer extrem viel Wissen und mit anfangs zwei- wieder die herausragende Position des felhafter wissenschaftlicher Qualität pro- Wissenschaftsjournalismus in der duziert wurde.“ (Exp_m_08) 17
4. Entwertung und Instrumentalisierung: Der Umgang der Medien mit Expertise Wenn die Befragten die Qualität der Be- Trotz dieser grundsätzlichen Zufrieden- richterstattung bewerten sollen, bezie- heit werden die Fragen nach Auswahl hen sie sich immer wieder auf die Legiti- und Einsatz von Expert:innen in den Me- mität und Relevanz der zu Wort kom- dien stark problematisiert und unein- menden Expert:innen – zu denen sie heitlich diskutiert. Ausgangspunkt dieser während der Pan- Diskussion ist die Be- demie ja selbst „Und wenn das die ganze Zeit läuft, obachtung, dass Me- gehören. In den brauchen sie 20, 30 Leute pro Woche, dien in Zeiten enor- Interviews haben die quasi in irgendeine Kamera immer mer Ungewissheit in wir diesem As- dasselbe sagen; das schafft das Sys- hohem Maße auf Ex- pekt daher be- tem nicht mehr.“ pert:innen angewie- sondere Aufmerk- sen sind, dass es in samkeit geschenkt und danach gefragt, Österreich aber gar nicht so viele Wis- wie die Wissenschafter:innen den media- senschafter:innen gibt, die über die rele- len Umgang mit Expertise während der vante Expertise verfügen, und zudem Pandemie bewerten und wie sie sich die- nicht alle relevanten Expert:innen dazu sen Umgang erklären. bereit sind, ihr Wissen medial zu kom- munizieren. Hinsichtlich des Spektrums der zu Wort kommenden Expert:innen erkennen die „Schauen sie, die Fallzahl geht hoch; wir Befragten eine Verbesserung über die wissen jetzt alle nach diesem Jahr, was Zeit. Zu Beginn der Pandemie wurde be- die Ursachen sind, wenn die Fallzahl obachtet, dass sich die Medien zu sehr steigt – trotzdem muss jede Zeitung, jeder an Virolog:innen und nicht an Fachleute Radiosender, jeder Fernsehsender wieder anderer Disziplinen gewendet hätten. einen Experten haben, der erklärt, warum Für die Zeit nach der anfänglichen Orien- die Fallzahl hoch geht. Und wenn das die tierungsphase beurteilen die Befragten ganze Zeit läuft, brauchen sie 20, 30 Leute das Spektrum der eingesetzten Ex- pro Woche, die quasi in irgendeine Ka- pert:innen jedoch als gelungen. mera immer dasselbe sagen; das schafft das System nicht mehr.“ (Exp_m_02) „Am Beginn war es eindeutig zu Virologin- nen- und Virologen-lastig. Das hat sich Das hat nach Ansicht der Befragten dazu dann ein bisschen ausgeglichen, weil die geführt, dass es zu einer Inflation an als Pandemie doch breiter ist als nur virolo- Expert:innen präsentierten Personen ge- gisch. Also, es sind dann zunehmend auch kommen ist und damit letztlich zu einer Epidemiologen und Public Health Exper- Entwertung der überlegenen Kompetenz ten und Intensivmediziner dazu gekom- von Wissenschafter:innen, die sich tat- men. Ich glaube, mittlerweile ist es schon sächlich intensiv mit dem Spezialgebiet deutlich ausgewogener.“ (Exp_m_09) auseinandergesetzt haben. In dieser Si- tuation haben Medien auch solchen 18
Personen den Expert:innenstatus zuge- wusste, wie gut diese Experten sind.“ sprochen, die zu dem fraglichen Thema (Exp_w_02) noch nicht wissenschaftlich gearbeitet haben und damit aus Sicht der Befragten Das geht auf Kosten der inhaltlichen Bot- keine legitimen Expert:innen sind. schaft und entwertet wissenschaftliche Expertise weiter. Die Befragten bemän- „In Österreich ist generell der Expertenbe- geln zudem, dass einige Medien mit der griff ein gewisses Problem, weil man sehr Zeit eigene „Hausexpert:innen“ etabliert rasch Experte ist, auch von den Medien ti- hätten; mit der Konsequenz, dass diese tuliert wird als Experte, nur weil man ein- Medien in einer Blase verharren und mal irgendwo was dazu gesagt hat oder nicht mehr offen für andere, neue und einmal einen Gastartikel dazu geschrie- ggf. konkurrierende wissenschaftliche ben hat.“ (Exp_m_06) Perspektiven sind. Eine Auswechslung dieser etablierten Expert:innen, so be- Diese Situation, in der die Medien auf- „In Österreich ist generell der Expertenbegriff ein gewisses Problem, weil man grund des großen sehr rasch Experte ist, auch von den Medien tituliert wird als Experte, nur weil Bedarfs an Exper- man einmal irgendwo was dazu gesagt hat.“ tise eine eigene klagen die Befragten, geschieht dann (zahlenmäßig große) Riege an Expert:in- nicht aufgrund inhaltlicher Erwägungen, nen geschaffen haben, führt aus Sicht sondern nur um dem Publikum mal ein der Befragten nun nicht nur dazu, dass neues Gesicht zu präsentieren. Dieses tatsächliche Expertise entwertet, son- Festhalten einiger Medienorganisatio- dern dass wissenschaftliches Wissen öf- nen an wenigen Expert:innen führt nach fentlich auch generell als nicht kohärent Einschätzung der Befragten auch dazu, und verwirrend wahrgenommen wird. dass sich diese Expert:innen verstärkt zu Aspekten jenseits ihrer Kernkompetenz Die Befragten bemängeln außerdem, äußern sollen. In einem schleichenden dass Expertise von den Medien instru- Prozess werden die präsentierten Ex- mentalisiert werde. Demnach werden pert:innen nach und nach zu Universal- Expert:innen zum einen dazu genutzt, expert:innen gemacht. den inhaltlichen Tenor des entsprechen- den Beitrags zu stützen; zum anderen „Man hat den Eindruck [...], dass manche würden sie schlicht eingesetzt, um Sen- Experten dann zu Aussagen gedrängt dezeit zu füllen. werden, wo sie gar nicht mehr Experten sind.“ (Exp_w_02) „Man hat auch den Eindruck gehabt, dass manche Sachen politisch motiviert sind, Die Befragten erklären sich diese inhalt- dass manche Experten vielleicht gewisse lichen Auffälligkeiten mit den Routinen, nahe Verhältnisse haben zu gewissen po- anhand derer Journalist:innen Expert:in- litischen Gruppierungen und dass die nen auswählen. Es spielt demnach eben dann halt auch vorgezogen werden. Den nicht nur das überlegene Spezialwissen Eindruck konnte man teilweise schon ge- eine Rolle (das Journalist:innen oft ja gar winnen, vor allem wenn man auch nicht einschätzen können), sondern die 19
Auswahl wird nach Erfahrung der Ex- Insgesamt haben die Befragten also den pert:innen maßgeblich durch andere Kri- Eindruck, dass in der Berichterstattung terien beeinflusst. Journalist:innen die relevanten Expert:innen zu Wort scheinen solche Expert:innen zu bevor- kommen. Sie beobachten aber auch, zugen, denen sie aufgrund vorheriger dass es eine enorme Konkurrenz um die Kontakte vertrauen. Außerdem tendie- „besten“ Expert:innen gebe, die dazu ren sie nach Beobachtung der Befragten führt, dass sich diese Expert:innen in ih- dazu, Expert:innen anzufragen, die in ei- ren Aussagen immer weiter von ihrem nem anderen Medi- Spezialgebiet entfer- enangebot promi- „Man hat den Eindruck, dass man- nen. Da die Nachfrage nent zu Wort gekom- che Experten dann zu Aussagen nach Expert:innen men sind. Das führt gedrängt werden, wo sie gar nicht gleichzeitig so groß dazu, dass eine ge- mehr Experten sind.“ ist, dass immer wei- ringe Zahl an Ex- tere Personen medial pert:innen besonders nachgefragt wird Expert:innenstatus erhalten, kommt es und dass man von diesen so etablierten zu einer Entwertung von Expertise. Zu ei- Expert:innen auf Dauer auch Antworten ner Entwertung trägt nach Auffassung auf Fragen erwarte, die nicht mehr in de- der Befragten zudem bei, dass die Aus- ren Spezialgebiet fallen. wahl von Expert:innen oft nicht vom In- teresses an deren Wissen geleitet sei, Eine Rolle spielt in der Wahrnehmung sondern von dem strategischen Kalkül, der Befragten auch, ob Expert:innen in durch ihre Statements die Dramaturgie die Dramaturgie/Argumentation eines und inhaltliche Argumentation von Bei- Beitrags passen; sie werden hier eher zu trägen zu stützen. Stichwortgeber:innen degradiert. Die Befragten äußern Zweifel, ob es in sol- Hinsichtlich des medialen Umgangs mit chen Fällen (die ihres Erachtens oft vor- Expert:innen beobachten die Befragten kommen) überhaupt eines/r Expert:in außerdem, dass Expertisefähigkeit in der bedurft hätte. Schließlich haben die Be- Pandemie verstärkt zum Gegenstand öf- fragten die Erfahrung gemacht, dass fentlicher Debatten geworden ist. In den Journalist:innen bei der Auswahl von Ex- Medien selbst sei plötzlich Gericht über pert:innen nach weiteren wissenschafts- gute und schlechte Expert:innen gehal- fernen Kriterien vorgehen – etwa um Ge- ten worden; diese Schwarz-weiß- schlechterdiversität in der Berichterstat- Schema werde aber den differenzierte- tung herzustellen. ren Qualitätsurteilen in der Wissenschaft nicht gerecht. 20
5. Die Kontrolle behalten: Zufriedenheit der Wissen- schafter:innen mit ihren Medienauftritten Die Befragten bewerten ihre Kontakte Viele Medien hätten den Eindruck ver- mit Medien während der Pandemie mittelt, dass man an einem Strang zieht überwiegend als positiv. Unangenehme und gemeinsam das Ziel verfolgt, dem Erinnerungen haben sie an Situationen, Publikum komplexe Informationen an- in denen sie falsch und verkürzt zitiert gemessen zu vermitteln. worden sind, in denen sie als Zeug:innen für eine politische Botschaft herhalten Wenn man die Befragten darum bittet, sollten, in denen ihnen argwöhnisch be- ihre Erfahrungen als Medienexpert:innen gegnet wurde und in denen man sie im Nachhinein zu bewerten, dann ma- dazu verführt hat, ihren eigenen Experti- chen sie diese Bewertung insbesondere sebereich zu verlassen. davon abhängig, inwiefern sie in der Be- richterstattung korrekt zitiert worden Dass die meisten Interaktionen mit Jour- sind. Hier schildern sie vor allem Zufrie- nalist:innen harmonisch abgelaufen denheit mit längeren Interviewformaten sind, erklären sich die in Printmedien, in de- Befragten damit, dass „Es war stets so, dass die Print- nen sie vergleichsweise diese während der medien die Artikel vorher zur ausführlich antworten Pandemie auf die Ko- Freigabe geschickt haben. Ich können und dabei weit- operationsbereit- finde, das ist eine Kultur, die ab- gehend die Deutungs- schaft der Expert:in- solut notwendig ist.“ hoheit über das Ge- nen angewiesen sind. sagte behalten. Daher hätten die meisten Journalist:in- nen versucht, mögliche Reibungspunkte „Ich kann nur sagen, dass es in Zeitungs- zu vermeiden, und seien den Expert:in- interviews z.B. leichter ist, tatsächliche nen freundlich, fair und respektvoll be- Sachverhalte zu vermitteln, weil man ja gegnet. Der Großteil habe tatsächlich typischerweise das Geschriebene noch echtes Interesse am Spezialwissen der einmal bekommt, korrigieren kann, re- Expert:innen gehabt und sei in der Inter- zensieren kann. Man hat Zeit darüber ab- aktion meist kompetent und gut vorbe- zuwägen, wie man jetzt etwas abbildet.“ reitet aufgetreten. (Exp_m_02) „In der COVID-Zeit waren etliche Journa- Die Erfahrungen mit Beiträgen, zu denen listen, die mich gefragt haben, sehr gut sie O-Töne beigesteuert haben, fallen vorbereitet. Man konnte auf hohem Ni- ambivalenter aus. Einige der Befragten veau reden. Das ist in anderen Bereichen, haben sich darüber geärgert, dass State- wo ich Interviews gebe, oft nicht der Fall.“ ments aus dem Zusammenhang gerissen (Exp_m_06) oder grob verkürzt verwendet worden sind. Um böse Überraschungen hinsicht- lich missverständlicher oder falscher 21
Zitation zu vermeiden, haben so gut wie auch für unangemessen, wenn man ihrer alle Befragten darauf bestanden, Bei- Expertise eher vorwurfs- als respektvoll träge erst gegenzulesen, um die verwen- begegnet. Eine solche negative Grund- deten Zitate dann freizugeben. Sie fin- einstellung gegenüber wissenschaftli- den es fair, dass die Journalist:innen die- chem Wissen haben sie insbesondere in sem Wunsch in der Regel nachgekom- ihren Kontakten mit alternativen Medi- men sind. enangeboten wahrgenommen. „Das war auch eine Qualität, die ich sehr „Die Erfahrung mit den alternativen Me- geschätzt habe. Es war stets so, mit einer dien, die dann immer so vorwurfsvoll [...] einzigen Ausnahme, [...] dass die Print- sind, sind auch nicht unbedingt gute Er- medien die Artikel vorher zur Freigabe ge- fahrungen. Aber bei den meisten, gerade schickt haben. Ich finde, das ist eine Kul- bei den Printmedien, und auch beim Fern- tur, die absolut notwendig ist. Denn wenn sehen und Radio, hatte man das Gefühl, ich jemandem etwas in der Diskussion dass das meistens eine gute Kommunika- sage und er schreibt es womöglich falsch, tion mit den Journalisten ist.“ (Exp_m_05) dann fällt das auf mich zurück. Das hätte ich auch nicht so gern. Ich muss sagen, Als besonders herausfordernd und anfäl- das hat sehr gut geklappt.“ (Exp_m_04) lig für negative Erlebnisse bezeichnen die Befragten Live-Gespräche im Fernse- Eine solche Praxis des Gegenlesens ist in hen und Hörfunk. Hier hatten einige das audiovisuellen Formaten nicht möglich; Gefühl, von Journalist:innen vorgeführt aber auch hier haben die Expert:innen worden zu sein; insbesondere dadurch, sich darum bemüht, böse Überraschun- dass ihnen Aussagen in den Mund gelegt gen möglichst zu vermeiden. Sie haben wurden, die sie so nicht treffen wollten. darauf bestanden, dass man ihnen im Unwohl fühlen sich die Expert:innen Vorfeld möglichst präzise erläutert, um aber auch bereits dann, wenn sie gebe- was es in dem Gespräch gehen wird. ten werden, zu Dingen Auskunft zu ge- Grundsätzlich waren die Expert:innen ben, die nicht in ihren speziellen Kompe- also bestrebt, die Kontrolle nicht kom- tenzbereich fallen. Das bewerten sie als plett an die Journa- „Also prinzipiell habe ich durch- unfaires und übergriffi- list:innen abzugeben. ges Verhalten der gehend gute Erfahrungen ge- Dass sich die meisten Journalist:innen – und macht. Ich hatte kein einziges Journalist:innen darauf um genau dies mög- Interview oder sonst etwas, wo eingelassen haben, be- lichst gut zu vermei- ich das Gefühl gehabt hätte, werten sie als positiv. den, sind ihnen detail- man will mich in eine be- Allerdings berichten die lierte Briefings im Vor- stimmte Richtung drängen.“ Befragten auch von Si- feld so wichtig. tuationen, in denen die Interaktionen nicht so harmonisch abge- Auch wenn sich jede:r der Befragten an laufen sind. Hier unterscheiden sie zwi- Medienkontakte erinnert, mit denen schen verschiedenen Medienangeboten: sie/er nicht ganz glücklich war, über- So stößt es ihnen etwa unangenehm auf, wiegt der Tenor, dass sich die Medien wenn sie in eine bestimmte politische tendenziell zurückgenommen hätten Richtung gedrängt werden. Sie halten es 22
und den Wissenschaftler:innen entge- die Wahrscheinlichkeit, dass man als Ex- gengekommen sind. pert:in Auskunft gibt. „Also prinzipiell habe ich durchgehend „Nicht gut finde ich, dass die Medien teil- gute Erfahrungen gemacht. Ich hatte kein weise völlig distanzlos sind, was Zeit, Ort einziges Interview oder sonst etwas, wo und Art des Ansprechens betrifft. Ich habe ich das Gefühl gehabt hätte, man will Anrufe um 22:45 Uhr in der Nacht bekom- mich in eine bestimmte Richtung drän- men. Ich habe Anrufe am Sonntag um gen.“ (Exp_w_02) 7:45 Uhr bekommen. [...] So nach dem Motto, das ist quasi meine innere Ver- Übrigens machen die Befragten ihre Be- pflichtung, dass ich da zur Verfügung wertung von Medienkontakten nicht nur stehe.“ (Exp_m_04) an den Interaktionen mit den Journa- list:innen sowie der Verwendung der Außerdem fragen sich einige, inwiefern Aussagen im Medienangebot fest. Einige das oftmals schmale Ergebnis in Form ei- von ihnen beziehen sich auch auf die Pe- nes kurzen O-Tons den Aufwand, der mit netranz einiger Journalist:innen beim der Bearbeitung einer Medienanfrage Versuch, Kontakt herzustellen. Sie hal- einhergeht, rechtfertigt. Die Effizienz ei- ten es etwa für unangemessen, wenn sie ner solchen Form von Wissenschafts- zu quasi jeder Tages- und Nachtzeit kon- kommunikation beurteilen sie also taktiert werden. Ein solch (gefühlt) über- durchaus skeptisch. griffiges Verhalten verringert dann auch 23
6. Reaktionen des Publikums auf Medienauftritte der Wissenschafter:innen 6.1 Beleidigungen und (Mord-)Drohun- Drohbotschaften, die sie als die prä- gen: Formen der Publikumsresonanz gendste und aufwühlendste Erfahrung im Zuge ihrer Auftritte als Medienex- Alle Expert:innen sind überrascht und pert:innen beschreiben. besorgt über die Wucht der negativen und feindseligen Reaktionen, die sie „Sie kriegen schon noch teilweise positive selbst und ihre Kolleg:innen auf Medien- Rückmeldungen. Aber es gibt eine un- auftritte erhalten haben. Wie sehr sie glaubliche Flut von Morddrohungen, von dieses Thema beschäftigt, zeigt sich al- [Nachrichten; Verf.], in denen man Ihnen leine daran, dass es den Strick und viele von ihnen in „Es gibt eine unglaubliche Flut von die Henkers- den Interviews an- Morddrohungen, von Nachrichten, in de- mahlzeit sprechen, bevor wir nen man Ihnen den Strick und die Hen- schickt, die Fa- es selbst zum kersmahlzeit schickt, die Familie bedroht milie bedroht Thema des Ge- und was weiß ich was alles.“ und was weiß sprächs machen. ich was alles. Das ist natürlich der Fall. Auch der Ver- „Experten [wurden] sehr unqualifiziert such, die Ansehensbasis anzugreifen.“ und teilweise beleidigend und auch sogar (Exp_m_13) bedrohend vonseiten der Bevölkerung an- gegriffen, wenn sie ihre Meinung oder ihre Der Großteil der Befragten hat bereits Expertise in den Medien vertreten haben. selbst Erfahrung mit negativen Reaktio- Das ist auch eine Qualität der Kommuni- nen machen müssen. Meist erreichen sie kation, die ich bis jetzt, und ich bin über solche Drohnachrichten als Kommen- XX Jahre dabei, noch nie erlebt habe.“ tare in Social Media oder per E-Mail. Als (Exp_m_04) besonders beunruhigend empfinden es die Expert:innen, wenn sie diese Drohun- Zwar schildern die Befragten auch gute gen nicht nur digital, sondern auch ana- Erfahrungen mit Publikumsfeedback log per Post nach Hause erhalten, was und berichten davon, wie sehr sie sich einige der Befragten erleben mussten. über Nachrichten gefreut haben, in de- nen sich Menschen für verständliche Er- „Einmal habe ich dann sogar persönliche klärungen und konkrete Empfehlungen Post zu mir nach Hause bekommen, was bedanken. Sie sagen auch, dass sie aus mich doch beunruhigt hat – nachdem dem Kolleg:innenkreis, von Freunden meine Adresse an sich nicht bekannt ist.“ und Verwandten fast ausschließlich po- (Exp_m_10) sitive Resonanz auf Medienauftritte er- halten. Aber es ist die große Zahl an ne- Auch diejenigen, die bislang keine oder gativen Nachrichten und wenige Drohbotschaften erhalten 24
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