SÜDWESTGRÜN - Agnieszka Brugger
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SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 1 NR. 10 / 18. WP • April 2017 SÜDWESTGRÜN RUNDBRIEF DER BADEN-WÜRTTEMBERGISCHEN GRÜNEN IM BUNDESTAG LIEBE LESERINNEN UND LESER, die Landesgruppe ist voller Elan und Tatendrang ins Wahljahr gestartet. In den verbliebenen Monaten dieser Legislaturperiode wollen wir nochmal zeigen, dass Grün den Unterschied macht. In parlamentarischen Debatten, durch Anträge und Gesetzesinitiativen werden wir die Bundes- KERSTIN ANDREAE regierung weiterhin stellen. Es geht um Fairness und Gerechtigkeitsempfinden 2 Unser Wahlprogramm steht unter dem Motto „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Deswegen wol- len wir uns weiterhin mutig für unser Leib- und Magenthema Ökologie, für eine weltoffene Ge- FRANZISKA BRANTNER sellschaft ein buntes und vielfältiges Europa und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Wir werden Europas Pulsschlag 4 nicht aufhören, für den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu kämpfen und hier auch parlamen- tarisch den Finger in die Wunde zu legen. Die die Auswirkungen der Klimakrise werden immer AGNIESZKA BRUGGER Auf sicherheitspolitischen Irrwegen 6 HARALD EBNER Mehr Öko auf dem Land gibt’s nur mit Grün 8 MATTHIAS GASTEL Neue Ideen für eine nachhaltige Mobilität 10 SYLVIA KOTTING-UHL deutlicher: Starkregenfälle wie im letzten Sommer in Baden-Württemberg treten vermehrt auf 60 Jahre Euratom und das und lange Hitzeperioden machen auch den heimischen Landwirten zu schaffen. Wir Grüne sind Desaster an unseren Grenzen 12 die einzige Partei, die die Auswirkungen der Klimakrise im Blick hat und im politischen Betrieb für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen kämpft. Das zeigt: Ohne Grün geht es nicht. Wir erle- CHRIS KÜHN ben derzeit zu viele Umwelt- und Naturkatastrophen, als dass wir es uns leisten könnten, Um- Landchaft und Klima welt-, Natur- und Klimaschutz nicht ins Zentrum unseres politischen Handelns und Denkens zu schützen 14 stellen. BEATE MÜLLER-GEMMEKE Ebenso sehr liegt es uns am Herzen, für mehr soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu Das Ein-Prozent-Gesetz und die sorgen. Wir wollen alle fair am erwirtschafteten Wohlstand beteiligen und sicherstellen, dass simulierte Lohngerechtigkeit 16 jede und jeder die gleiche Chancen und Möglichkeiten hat. Damit stärken wir den gesellschaft- lichen Zusammenhalt und die Akzeptanz unserer Demokratie, die durch Ungerechtigkeiten ge- CEM ÖZDEMIR fährdet sind. Wenn es den europäischen Nach- barn gut geht, geht es uns gut18 Wir Grüne stellen uns Populismus und Hass offensiv entgegen. Alexander van der Bellen in Österreich und Jesse Klaver in den Niederlanden haben gezeigt, dass man mit einer weltoffenen GERHARD SCHICK und proeuropäischen Haltung viele Menschen überzeugen kann. Seit ein paar Wochen erhält die Wer hat, dem wird gegeben 20 proeuropäische Bewegung „pulse of europe“ viel Zulauf. Auch in Baden-Württemberg gehen viele tausend Menschen auf die Straße um für ein starkes und einiges Europa zu demonstrie- SERVICE ren.Deswegen gehen wir voller Mut und Zuversicht in den Wahlkampf. Die Große Koalition des Betreuungswahlkreise, Stillstands muss abgelöst werden. Veränderung gibt es nur mit Grün. Auf uns Grüne kommt es Impressum 22 mehr denn je an. Herzlich
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 2 KERSTIN ANDREAE stellvertretende Fraktionsvorsitzende WWW.KERSTIN-ANDREAE.DE Tel. 030 / 227- 71480, Fax 030 / 227- 76481, kerstin.andreae@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Rehlingstraße 16a, 79100 Freiburg Tel. 0761 / 8886713, Fax 0761 / 8886714, kerstin.andreae@wk.bundestag.de MANAGERGEHÄLTER: ES GEHT UM FAIRNESS künftigen operativen Arbeitsstrukturen“ ihren UND GERECHTIGKEITSEMPFINDEN Posten wieder räumte, dabei eine Abfindung von knapp zwei Jahresgehältern, mindestens 12 Mil- P lötzlich wollen es alle. Sogar die Union möchte sich vom Saulus zum Paulus wandeln lionen Euro, kassierte und für ihren Einsatz eine monatliche Rente von bis zu 8000 Euro bezieht. und den Steuerabzug für hohe Managergehälter Der Spiegel schrieb daraufhin von VW als einem begrenzen. Nur ein Wahlkampfmanöver? Ein Selbstbedienungsladen. Vermutlich gilt das aber Schelm, wer Böses dabei denkt. Zumal Union und weder für die Facharbeiter noch für die ungelern- SPD es ja noch nicht einmal geschafft haben, die ten Arbeiter am Band. Vorhaben aus ihrem Koalitionsvertrag umzuset- Solche Exzesse betreffen nicht nur VW. Josef zen. Darin war vorgesehen, dass künftig die Ackermann bei der Deutschen Bank, Karl-Gerhard Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft und Eick bei Arcandor, Karl-Thomas Neumann bei nicht wie bisher der Aufsichtsrat die Gehälter Continental und Helmut Mehdorn bei der Deut- ihrer Spitzenmanager absegnen sollte. So hätten schen Bahn, einem Staatsunternehmen!, kassier- die Eigentümer den Bezügen zustimmen müssen. ten Millionen, obwohl ihre Unternehmen Umgesetzt wurde das leider nie. Natürlich dürfen teilweise tausende Menschen entlassen oder, wie Managerinnen und Manager gutes Geld verdie- im Fall von Arcandor, sogar Insolvenz anmelden nen, sehr gutes Geld sogar. Genau im „Verdienen“ mussten. liegt der Knackpunkt: Einige Unternehmen zahlen ihren Vorstandsmitgliedern das mehr als 100- Keine Neiddebatte Fache des durchschnittlichen Lohns eines Fachar- beiters. Kann die Management-Tätigkeit dieses Einigen Managern ist im Zweifelsfall der kurzfris- Verhältnis rechtfertigen? In diesen Fällen ist tige Gewinn wichtiger als die langfristige Aus- etwas aus den Fugen geraten. richtung des Unternehmens. Skandale wie die eben erwähnten haben gezeigt, dass manch ein Viele Exzesse Spitzenmanager es auf das schnelle Geld abgese- hen hat. Und wenn am Ende das Unternehmen Das beliebteste Beispiel für überzogene Ver- Schaden nimmt, winkt immer noch eine Spitzen- dienste ist Martin Winterkorn, der als Vorstands- abfindung. Das alles geschieht, während die ein- chef von VW in Spitzenzeiten 17,5 Millionen Euro fachen Beschäftigten nicht wissen, ob sie am im Jahr bezog, und sich trotz eines ruhmlosen Ende des Jahres ihre Jobs noch haben: die Fach- Abgangs im Zusammenhang mit dem Diesel- arbeiterin am Band, der Verkäufer im Kaufhaus Skandal noch über einen zusätzlichen Bonus von und die Angestellte in der Bankfiliale, die für den 1,7 Millionen Euro und eine „Goldene Betriebs- Erfolg ihrer Unternehmen arbeiten. rente“ von mehr als 3000 Euro freuen kann – am Es ist also keine Neiddebatte, wenn wir eine Be- Tag! Ebenfalls in aller Munde Christine Hoh- grenzung von Managergehältern fordern. Es geht mann-Dennhardt, die nach 13 (gut bezahlten) um Fairness und darum, welche Grundwerte eine Monaten als Vorstand im Ressort Integrität und Führungskraft verkörpern soll. Was nach den Recht vermeintlich wegen „unterschiedlicher Buchstaben des Gesetzes legal ist, ist noch lange Auffassung über Verantwortlichkeiten und die nicht legitim. Und es geht um Gerechtigkeits- 2 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 3 Es GEht um FaiRNEss uNd GEREchtiGkEitsEmpFiNdEN empfinden. Als gerecht wird legitimerweise emp- diesen Höchstbetrag umfassend einbezogen wer- funden, wenn die Einkommen in einer Gesellschaft den. Außerdem soll die steuerliche Abzugsfähigkeit nicht extrem auseinanderdriften. von Versorgungszusagen auf die gesetzlichen Ren- tenversicherungsbeiträge (Höchstsatz) von aktuell Staat finanziert Ungerechtigkeit mit 76.200 Euro jährlich begrenzt werden. Ich kenne keinen mittelständischen Unternehmer, der seine Firma so verantwortungslos und kurz- Fehlanreize in den Vergütungssystemen sichtig führt, wie wir es zuletzt bei einigen DAX- Vorständen erleben mussten – weil sie Ein weiteres ungelöstes Problem sind die Fehlan- Verantwortung zeigen, für das Unternehmen, das reize in den Vergütungssystemen. Wenn Erfolge sie selbst oder ihre Eltern aufgebaut haben. Sie mit hohen Boni belohnt, Misserfolge aber auf die stehen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Allgemeinheit verlagert werden können, dann för- nahe, kennen deren privates Umfeld. dert dies kurzfristiges, risikoreiches Denken und Dass einige Spitzenmanager trotz schlechten Ma- Handeln in den Führungsetagen der Unternehmen. nagements neben ihren hohen Gehältern Millio- Denn für die Risiken zahlt auch hier am Ende der nen-Abfindungen und Boni einstreichen, belegt ein Steuerzahler. Deshalb besteht ein hohes gesell- vollkommen anderes Verhältnis zum Unternehmen schaftliches Interesse, Chancen und Risiken wieder und seinen Beschäftigten. Unternehmen setzen stärker zusammenzubringen. Die Anreize in den diese Kosten von der Steuer ab. Letzendlich finan- Vergütungssystemen müssen so ausgerichtet wer- zieren die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sie den, dass sie die nachhaltige Wertsteigerung des also mit – auch die Beschäftigten der betroffenen Unternehmens und nicht kurzfristige Aktienkurs- Unternehmen. Das ist Geld, das der öffentlichen entwicklungen belohnen. Das Gesamtgehalt sollte Hand für Investitionen in Kitas und Schulen, be- deshalb höchstens zu einem Viertel variabel, also zahlbaren Wohnraum oder eine moderne Verkehrs- an den Erfolg geknüpft, sein. Derzeit ist immer infrastruktur fehlt. noch fast die Hälfte der Bezüge deutscher Vor- Eine Begrenzung des Steuerabzugs bietet eine aus- standsvorsitzender erfolgsabhängig. gewogene Lösung. Eine absolute Obergrenze wäre Zudem sollten Erfolgsbeteiligungen an den lang- ein viel zu weitgehender Eingriff in die Vertrags- fristigen Erfolg des Unternehmens anknüpfen. Das freiheit, während mehr Rechte für die Hauptver- bedeutet z. B., dass Aktienoptionen erst nach fünf sammlung zu kurz greifen würden. Die Grüne Jahren ausgeübt werden dürfen und dass der Be- Fraktion hat deshalb gerade einen Antrag in den zugswert nicht unter dem Aktienkurs zum Zeit- Bundestag eingebracht, der den Betriebsausgaben- punkt der Ausgabe der Aktienoptionen liegen darf. abzug von Gehältern auf 500.000 Euro jährlich pro Last but not least fordern wir eine Bonus-Malus- Kopf deckelt. Darunter fallen das Festgehalt, aber Regelung, d.h. Erfolgsbeteiligungen soll eine Betei- auch variable Bestandteile wie Boni. Für einmalige ligung an den Verlusten des Unternehmens Zahlungen und Abfindungen soll der Betriebsaus- gegenüberstehen. So könnten Erfolgsbeteiligungen gabenabzug auf 1 Mio. Euro pro Kopf begrenzt erst nach z.B. fünf Jahren ausgeschüttet werden werden. Verschiedenste Gestaltungsmöglichkeiten und mit Abzügen aus eventuellen Verlustjahren wie Übergangsgelder oder Aktienoptionen sollen in verrechnet werden. SÜDWESTGRÜN 10/18 3
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 4 DR. FRANZISKA BRANTNER sprecherin Für kinder- und Familienpolitik WWW.FRANZISKA-BRANTNER.EU Tel. 030 / 227-73096, Fax.030 / 227-76094, franziska.brantner@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Bergheimerstr. 147, 69115 Heidelberg Tel. 06221 / 9146620, franziska.brantner.ma04@bundestag.de EUROPAS PULSSCHLAG auf deren Einhaltung die Menschen bauen können. Jedes verbriefte Recht darin muss europäisch einklag- S eit Wochen gehen sonntags deutschlandweit Tausende auf die Straße. „Pulse of Europe“ steht bar sein. Die Einhaltung dieser Charta ist die Bedin- gung zum Beitritt. In letzter Konsequenz muss auch auf für ein lebendiges Europa, das für die Menschen da das Ausscheiden eines Mitglieds möglich sein. Wer ist und gemeinsame Werte hat. Sie fordern, die Freiheit sich nicht an Grundrechte hält, muss gehen. der Einzelnen, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit in ganz Europa zu gewährleisten. In diesem Europa sind die Mitgliedstaaten in der Ver- Wir wünschen uns genau dieses Europa; es sollte allen antwortung und Pflicht, diese Grundrechte zu gewäh- Europäer*innen fundamentale Grundrechte sowie das ren. Darüber hinaus können sich Staaten für die Leben in einer liberalen Demokratie garantieren. Realisierung und Durchsetzung der verbrieften Rechte Die Basis dafür ist die – großartige – Grundrechte- in einzelnen Bereichen – wie der Fiskal- oder Sicher- charta der Europäischen Union aus dem Jahr 2000. heitspolitik - zusammenschließen und vorangehen, an- Leider gilt sie nur für EU-Gesetze und -Institutionen, dere später dazu stoßen. Ein Beispiel: Wir brauchen nicht für nationale. Daher kann in Ungarn die Presse- EU-weit mehr Geld für Bildung, Ökologie und Gesund- freiheit beschnitten werden, und kein Ungar kann da- heit. Mitgliedstaaten könnten kooperieren, um mehr gegen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Einnahmen zu schaffen: etwa durch ein entschlosse- nes, gemeinsames Vorgehen gegen Steuervermeidung Unter der Federführung von Roman Herzog erarbeitet, und Steueroasen. Denn diese zwacken unseren Bud- definiert die Charta klassische individuelle Rechte und gets Milliarden ab; Geld, das dringend gebraucht wird, Freiheiten sowie ein weitreichendes Diskriminierungs- um Europa lebenswerter und gerechter für alle zu ma- verbot. So steht allen aber auch das Recht auf Bildung chen. sowie auf Zugang zu beruflicher Ausbildung und Wei- terbildung zu, ebenso ein hohes Gesundheits-, Ver- Oder: Frieden und Freiheit. Hier wäre gemeinsames braucher- und Umweltschutzniveau sowie soziale Handeln nach Innen und Außen notwendig. Zunächst Absicherung. Artikel 6 ist aktueller denn je: „Jeder eine Friedenspolitik für unsere Nachbarschaft. Kein Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“ Nationalstaat wird im Alleingang Erfolg haben. Aber es Und nicht zuletzt gibt sie allen das Recht auf eine gute müssen auch nicht alle alles tun. Für die dringend not- Verwaltung. Über individuelle Rechte hinaus sichert sie wendige langfristige politische Begleitung von Trans- die Vielfalt und Freiheit der Medien ebenso wie unpar- formationsprozessen nach Krisen oder Konflikten und teiische, unabhängige Gerichte. eine tatsächlich präventive Außenpolitik ist eine Auf- gabenteilung zwischen den Mitgliedstaaten durchaus In Zeiten von Trump und Putin, die die Unabhängigkeit hilfreich – arbeitsteilige Kontinuität statt allgemeinem, von Justiz und Medien mit Füßen treten, müssen wir kaum abgestimmtem Taumeln von Krise zu Krise. Europäer*innen diese Charta und die darin definierten Grundrechte zum zentralen Fundament unseres euro- Wenn einzelne Staaten meinen, die in der Grundrech- päischen Hauses machen! Wir brauchen eine Charta, techarta festgelegten Rechte auch ohne europäische 4 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 5 EuRopas pulsschlaG Unterstützung gewähren zu können, sollen sie dies Die Elternrechte sind aber explizit verankert. So heißt tun. Keiner muss mitmachen, aber allen steht die Teil- es: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli- nahme offen. Ob sich ein EU-Mitglied an gemeinsa- che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen oblie- men Schritten beteiligt oder nicht, die Rechte der gende Pflicht.“ Grundrechtecharta sind immer für alle Menschen in Europa auch europäisch einklagbar. Nationale Ge- Entgegen der UN-Kinderrechtskonvention hat das setze, die zum Beispiel die Medienvielfalt begrenzen, Bundesverfassungsgericht bisher auch noch keinen hätten keinen Bestand mehr. Korruption und Mau- bereichsübergreifenden Kindeswohlvorrang formuliert. scheleien kämen europaweit unter die Lupe. Es ist also derzeit nicht gewährleistet, dass bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, deren Wohl Dafür brauchen wir eine ständige, unabhängige und auch vorrangig berücksichtigt werden. So führte zum faktengestützte Überprüfung der Rechtssituation in Beispiel ein Urteil des Bundesgerichtshofs dazu, dass allen Mitgliedstaaten. Nationale Parlamente würden einem Kind zugemutet wurde, mit dem verurteilten Verfassungsexperten entsenden, das EU-Parlament zu- pädophilen Lebensgefährten der Mutter in einer Woh- sätzliche Experten. Auch sollen Bürger*Innen Gehör nung zusammenzuleben. Die Entscheidung hatte nur finden – dadurch, dass Stellungnahmen der Zivilge- das Elternrecht aus Art 6 Absatz 2 Satz 1 im Blick. sellschaft berücksichtigt werden. Über die Ergebnisse Auch mit Blick auf die Abwägung zwischen Kindes- würden regelmäßig Europäisches Parlament, Rat und wohl und anderen Interessen leidet häufig vor Gericht Kommission diskutieren. Bei erwiesenen Verstößen das Kindeswohl. könnten im äußersten Fall Sanktionen drohen; aller- Wenn es uns aber ernst ist mit dem Schutz von Kin- dings Sanktionen, die nicht die Bevölkerung des je- dern und wir nach 25 Jahren endlich die UN-Kinder- weiligen Staates treffen dürfen, sondern die rechtskonvention umsetzen wollen, kommen wir nicht Regierung. umhin, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Dies fordern deswegen Katja Dörner und ich und Das wäre ein starkes Signal, um die Menschen haben eine entsprechende Initiative auf den Weg ge- Europas endlich ins Zentrum zu rücken, ihre Rechte bracht. Darüber werden wir im Bundestag noch in die- und Freiheiten. Ein Europa der gemeinsamen Verant- ser Wahlperiode abstimmen. Unser Vorhaben ist, in wortung. Ein neuer Pulsschlag für Europa. Artikel 6 einen neuen Absatz einzufügen, der Kinder explizit als Rechtssubjekte nennt und die Vorrangig- Kinderrechte gehören ins Grundgesetz keit des Kindeswohls festlegt. 25 Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Kinderrechts- Wir wollen, dass die Wünsche und Bedürfnisse von konvention besteht in Deutschland Nachholbedarf, Kindern bei allen sie betreffenden gesetzgeberischen, denn die Rechte der Kleinen sind immer noch nicht politischen und gerichtlichen Entscheidungen stärker entsprechend der Konvention im Grundgesetz veran- als bisher berücksichtigt werden. Damit würde kert. Bisher finden Kinder im Grundgesetz lediglich als Deutschland kinderfreundlicher! Regelungsgegenstand, also als Objekte, Erwähnung. SÜDWESTGRÜN 10/18 5
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 6 AGNIESZKA BRUGGER sprecherin Für sicherheitspolitik und abrüstung WWW.AGNIESZKA-BRUGGER.DE Tel. 030 / 227-71570, Fax 030 / 227-76195, agnieszka.brugger@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Rosenstraße 39, 88212 Ravensburg, Tel. 0751 / 3593966, Fax 0751 / 3593967 agnieszka.brugger@wk.bundestag.de AUF SICHERHEITSPOLITISCHEN IRRWEGEN: DAS oder andere wichtige Investitionen zur Verfügung. NATO-2%-ZIEL BRINGT NICHT MEHR FRIEDEN Chaos im Beschaffungsbereich – viel hilft nicht auto- U rsula von der Leyen und Angela Merkel können gar nicht mehr aufhören, Richtung Donald matisch viel Trump zu beteuern, dass sie 2% der deutschen Wirt- Dabei schafft es Ursula von der Leyen schon heute schaftsleistung für den Verteidigungshaushalt ver- nicht, vorhandene Gelder sinnvoll und vernünftig aus- wenden wollen. Gleichzeitig leidet Sigmar Gabriel zugeben. Nach wie vor werden bei zahlreichen Rüs- offensichtlich unter Gedächtnisverlust und behauptet, tungsprojekten Steuergelder verschwendet. Immer dass die SPD dagegen sei, obwohl der (nun ehema- wieder sind nicht sicherheitspolitische Notwendigkei- lige) Außenminister Frank-Walter Steinmeier diesem ten ausschlaggebend, sondern Wahlkreiswünsche der Ziel mehrfach in der NATO zugestimmt hat. Der gan- Koalitionsabgeordneten und Lobbyinteressen von zen Diskussion um einen noch höheren Verteidi- Rüstungsschmieden. Die jüngsten Negativbeispiele gungshaushalt liegt aber vor allem ein großer sind das Raketenabwehrsystem MEADS und die Auf- Irrglaube zugrunde: Die falsche Vorstellung, dass klärungsdrohne Triton. Bei ihrem milliardenschweren mehr Verantwortung und mehr Sicherheit einfach Lieblingsprojekt MEADS hat Ursula von der Leyen alle durch mehr Geld für Rüstung erkauft werden können. Bedenken und Risiken einfach ignoriert und muss nun Diese Annahme ist nicht nur ein Trugschluss, sondern nach Monaten der Verzögerungen plötzlich einräu- sie birgt auch große Risiken und Gefahren. men, dass die favorisierte Firma das vier Milliarden Projekt alleine gar nicht stemmen kann. MEADS Das sogenannte 2%-Ziel der NATO gibt es seit 2002. wurde schon einmal aus guten Gründen beerdigt, Bis 2024 sollen die Mitgliedstaaten ihre Verteidi- schlimmer kann man den Start zur Wiederbelebung gungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlands- gar nicht verstolpern. Um noch vor Ende der Legisla- produktes anheben. Zwar hat sich die turperiode wenigstens irgendeine relevante Entschei- Bundesregierung immer zu diesem Ziel bekannt, doch dung zu treffen, will Frau von der Leyen jetzt die ganz im Gegenteil zu den Bekundungen der letzten Aufklärungsdrohne Triton beschaffen. Schon beim Monate hat sie in den vergangenen Jahren immer Debakel um die Vorgängerdrohne Euro Hawk wurden wieder deutlich gemacht, dass sie diese Vorgabe ei- Millionen verpulvert. Ist nun alles besser und anders gentlich für wenig zielführend hält. Wenn die Bun- bei Triton? Wohl kaum: Die notwendige Aufklärungs- desregierung diese illusorische Zielmarke erreichen technik ist auch heute noch nicht so richtig zu Ende will, muss der mit 37 Milliarden Euro schon heute im- erprobt und bei der Zulassung der Drohne drohen mens hohe Verteidigungsetat in den nächsten Jahren genau wieder die altbekannten Probleme. Woher die auf mehr als 60 Milliarden Euro ansteigen. Das be- Verteidigungsministerin da ihren naiven Optimismus deutet, die gigantische Summe von über 25 Milliar- nimmt, weiß wohl auch nur sie selbst. den Euro steht dann Jahr für Jahr eben nicht für Bildung, Klimaschutz, Entwicklungszusammenarbeit 6 SÜDWESTGRÜN 09/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 7 auF sichERhEitspolitischEN iRRwEGEN Bessere europäische Zusammenarbeit statt Aufrüstung der Fokus in der Sicherheitspolitik auf die rein militäri- sche Option verengt. Dabei lehren uns die großen Mi- Mehr Geld wird dieses seit Jahrzehnten herrschende litärinterventionen der letzten Jahre doch ganz Chaos im Beschaffungsbereich nicht wie von Zauber- deutlich, dass sich Konflikte nicht mit militärischen hand lösen. Denn die wahren Ursachen für die Pro- Mitteln lösen lassen. Der Einsatz kann im besten Fall bleme werden damit nicht behoben. Was es wirklich und nur unter eng begrenzten Bedingungen einen Bei- braucht, ist eine sinnvolle Planung und Priorisierung trag zur Stabilisierung, zum Schutz der Zivilbevölke- der Aufgaben in Abstimmung mit den Partnern in rung oder zur Überwachung eines Waffenstillstandes Europa und der Nato. Nur auf dieser Basis kann eine leisten. Vor diesem Hintergrund fehlt es vielmehr an bessere, kluge und funktionierende Sicherheitspolitik nachhaltigen politischen und zivilen Antworten, die entstehen. Allein im europäischen Beschaffungsbe- gezielt und effektiv die oft komplizierten Ursachen reich liegen nach einer aktuellen Studie von McKinsey hinter den Konflikten bearbeiten. gemeinsame Einsparpotentiale von bis zu 31 Prozent. Der Verteidigungsetat ist in den letzten Jahren bereits Doch hier mangelt es an Geld, an Strukturen, an Per- deutlich erhöht worden. Die zusätzlichen Gelder die- sonal und an Engagement. Statt über die völlig unsin- nen dazu hundert alte Panzer in den nächsten sieben nige Erhöhung des Verteidigungsetats zu streiten, Jahren wieder zurückzukaufen. Auf die Trumps, Putins sollten vielmehr die Mittel für Diplomatie, zivile Kri- und Erdogans dieser Welt wird diese Maßnahme wohl senprävention, Konfliktbearbeitung und Entwicklungs- nicht viel Eindruck machen. Was diese Herren wirklich zusammenarbeit gestärkt werden. Eine wirkliche beeindrucken würde, wäre doch ein politisch starkes Offensive für das Zivile kann und wird deutlich mehr und geeintes, ein handlungsfähiges Europa, das für bewirken als noch mehr verschwendetes Geld im Ver- das Völkerrecht, die Menschenrechte und unsere ge- teidigungsetat. Wenn die Bundesregierung aber den meinsame Weltordnung eintritt. Willen hat, internationale Versprechen zu erfüllen, dann erinnern wir Grüne mit Nachdruck an die ODA- Offensive für das Zivile – mehr Mittel für Diplomatie, Quote. Bis heute erfüllt Deutschland nicht den Be- Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit schluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 0,7% des Bruttoinlandsproduktes für die Diese Scheindebatte lenkt nicht nur völlig von den Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Die Gel- wirklichen Lösungen für die Probleme der Bundeswehr der wären hier weitaus sinnvoller und nachhaltiger ab, sie blendet vor allem auch die Gefahren und Risi- eingesetzt als bei der verantwortungslosen Erhöhung ken einer Aufrüstungsoffensive komplett aus. Noch des Verteidigungsetats. höhere Verteidigungsausgaben bergen die Gefahr, eine Aufrüstungsspirale zu befeuern, die am Ende nicht mehr Sicherheit für uns, sondern weniger Sicherheit für alle bedeuten würde. Nicht zuletzt wird durch diese Debatte wieder einmal SÜDWESTGRÜN 09/18 7
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 8 HARALD EBNER sprecher Für gentechnik- und bioökonomiepolitik WWW.HARALD-EBNER.DE Tel. 030 / 227-73025, Fax 030 / 227-76025, harald.ebner@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Gelbinger Gasse 87, 74523 Schwäbisch Hall Tel. 0791 / 97823731, Fax 0791 / 97823733, harald.ebner@wk.bundestag.de MEHR ÖKO AUF DEM LAND GIBT’S NUR MIT GRÜN Unter dem Druck unserer Kritik will die SPD-Bundes- tagsfraktion Schmidts Gentechnik-Comeback-Gesetz Z um Ende der Wahlperiode geht es noch einmal hoch her in Sachen gesundes Essen ohne Gift nun doch nicht mehr mittragen. Aber immer noch be- steht die Gefahr eines faulen Deals, bei dem die SPD und Gentechnik und damit auch: nachhaltiger Agrar- die Gentechnikfreiheit für irgendetwas anderes aufge- politik für eine gesunde Umwelt. ben könnte. Schreibt deshalb an Eure SPD-Abgeordne- Minister Schmidt und die Große Koalition haben ver- ten und macht klar, dass sie unter Beobachtung sucht, mit dem Gentechnikgesetz ein Gentechnik- stehen! Comeback durch die Hintertür einzuläuten. Die SPD Ein groteskes Schauspiel war die viermalige sture hatte der Gesetz-Trickserei im Kabinett schon zuge- Weigerung von Union und SPD, über unseren Antrag stimmt. Aber zusammen mit den Bundesländern, Um- gegen neue Genmais-Zulassungen abzustimmen. welt- und Bioverbänden und sogar dem Deutschen Ohne Parlamentsvotum hat Schmidt sich in Brüssel Bauernverband haben wir es geschafft, öffentlich klar am 27. März wieder enthalten, so dass es keine Mehr- zu machen, dass es bei diesem Gesetz nur darum geht, heit für ein Genmais-Verbot gab. Die Bundesregierung nationale Genmais-Anbauverbote zu erschweren und wird die Schuld an den Zulassungen wieder „der EU“ Gentechnik-Pflanzen den Weg zu ebnen, statt den zuschieben. Wählerwillen nach Gentechnikfreiheit umzusetzen. ROTE KARTE FÜR GLYPHOSAT ÜBERFÄLLIG AUCH NEUE GENTECHNIK IST GENTECHNIK Bei Glyphosat kam schon früher als erwartet, im März, Klammheimlich hatte die Union in letzter Minute eine die Bewertung der Europäischen Chemikalienagentur gefährliche Passage ins Gesetz geschmuggelt, die ECHA. Insidern zufolge wohl auch, um der erfolgrei- Ausnahmen für neue Gentechnik-Verfahren wie chen europäischen Bürgerinitiative (EBI) für ein Gly- CRSIPR/Cas vorsah. Die Gentech-Lobbyisten wollten phosat-Verbot zu begegnen, die schon ein halbe an der EU vorbei Tatsachen schaffen. Dabei handelt es Million UnterstützerInnen gewinnen konnte. Leider sich bei solchen gezielten Eingriffen ins Erbgut ganz hat auch die ECHA die eindeutigen Hinweise auf die unzweifelhaft um Gentechnik. Und was Gentechnik Krebsgefahr unter den Tisch fallen lassen und sich ist, muss auch wie Gentechnik reguliert und gekenn- nicht zu einer entsprechenden Einstufung durchringen zeichnet werden, egal ob alt oder neu. Die Lobby will können. Das ist aber alles andere als ein Freibrief für das verhindern und führt derzeit eine massive Propa- Glyphosat, denn die Warnungen wurden nicht wider- gandaschlacht für die von ihr sogenannten „neuen legt. Die negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt Züchtungstechniken (NZT)“. Es werden wieder genau sind ohnehin unbestritten, und weltweit gibt es etli- dieselben leeren Versprechungen in Richtung „Welter- che Berichte über Gesundheitsgefahren durch Glypho- nährung“ gemacht, die schon die klassische Gentech- sat. nik nicht halten konnte. Wir halten parlamentarisch, Zugleich werfen neue Enthüllungen ein zweifelhaftes auf Podiumsdiskussionen, mit Interviews und Presse- Licht auf das Zustandekommen vermeintlich „unab- arbeit dagegen. hängiger“ Glyphosat-Studien. Damit ist die gesamte 8 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 9 mEhR Öko auF dEm laNd Gibt’s NuR mit GRÜN Risikobewertung auch der europäischen Behörden in ausgerufen. Bis wann Schmidt das erreichen will? Mal Frage gestellt. Sie muss jetzt unabhängig neu aufge- sehen. Gerade mal 10 Millionen Euro mehr will er rollt werden. Dafür muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen. Selbst der Bauernverband fordert ein einsetzen, insbesondere Umweltministerin Barbara Vielfaches. Unser Ausbauplan Ökolandbau sieht eine Hendricks. Sobald neue Abstimmungen in Brüssel an- Milliarde in den nächsten Jahren vor. Zusätzlich müs- stehen, werden wir wieder Anträge dazu einbringen. sen wir in der EU-Agrarförderung eine weitere Milli- Und schon mal vormerken: am 13. Mai ist europawei- arde weg von den Direktzahlungen hin zu ter Glyphosat-Aktionstag! umweltbezogenen Maßnahmen umschichten. Sein ganz eigenes verqueres Bild vom Öko-Landbau offen- DER FRÜHLING MUSS SUMMEN UND ZWITSCHERN barte kürzlich Baden-Württembergs CDU-Agrarminis- ter Peter Hauk, der es für nötig hielt zu verkünden, Äußerst problematisch sind auch Pestizide aus der man wolle natürlich niemanden zwingen, Bio-Pro- Gruppe der sogenannten Neonikotinoide. Diese Insek- dukte zu kaufen. Dazu muss man allerdings nieman- tengifte sind klar mitverantwortlich für das Bienen- den zwingen, die Nachfrage steigt ohnehin rasant! und Insektensterben, wie bei unserem Fachgespräch Sogar die konventionelle Deutsche Landwirtschafts- „Stummer Frühling ante Portas“ Anfang März im Bun- Gesellschaft (DLG) hat erkannt, dass es mit immer destag deutlich wurde. Jetzt gibt es Hoffnung: Die EU- mehr Chemie auf unseren Äckern nicht mehr weiter- Kommission plant ein Totalverbot für die gehen kann. Nur Agrarchemie-Schmidt und die Bun- meistverwendeten Neonikotinoide. Möchtegern-Bie- desregierung halten blind weiter den Agrarkonzernen nenminister Schmidt tut jetzt so, als habe er das die Stange, statt diesen Hilferuf aus der Branche an schon immer gewollt. In Wirklichkeit haben er und die Politik aufgreifen. Wir Grüne dagegen greifen den sein Ministerium in den letzten Jahren bei den Bie- Ball auf und machen am 24. April ein öffentliches nengiften eine unrühmliche Rolle gespielt. Wenn er Fachgespräch zum Thema Pestizidreduktion im Bun- seine Umkehr ernst meint, muss er jetzt endlich Politik destag. für Bienen statt für Bayer machen und das geplante Wir müssen im bevorstehenden Wahlkampf deutlich EU-Totalverbot unterstützen. Und er muss dafür sor- machen, dass es ganz entscheidend auf starke Grüne gen, dass es für alle Neonikotinoide gilt, auch für neue im nächsten Bundestag ankommt. Denn: Wer auch Wirkstoffe, sonst bleibt es wirkungslos. immer Kanzlerin oder Kanzler wird – ohne uns Grüne gibt es keine nachhaltige, ökologische Politik. Ohne ÖKOLANDBAU: GENUG IST NICHT GENUG uns gibt es keine Agrarwende, ohne uns geht die Ar- tenvielfalt weiter den Bach runter. Und das ist beileibe Dreieinhalb Jahre hat Minister Schmidt in Gesprächs- kein Randthema. Nur eine nachhaltige und ökologi- zirkeln über Ökolandbau reden lassen. So brauchte er sche Welt kann auf Dauer auch eine friedliche und so- sonst nichts dazu tun. Zum Ende seiner Amtszeit hat zial gerechte Welt sein! Diesen ungemein wichtigen er eine so genannte „Zukunftsstrategie Ökologischer Wahlkampf möchte ich gerne mit euch zusammen be- Landbau“ vorgelegt. Zentrales Ziel: 20 Prozent Öko- streiten. landbau! Das hat Renate Künast schon vor 15 Jahren SÜDWESTGRÜN 10/18 9
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 10 MATTHIAS GASTEL sprecher Für bahnpolitik WWW.MATTHIAS-GASTEL.DE Tel. 030 / 227-74150, Fax 030 / 227-70150, matthias.gastel@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Aicher Straße 2 (Zugang über Rosenstraße), 70794 Filderstadt Tel. 0711 / 99726140, matthias.gastel.ma04@bundestag.de SCHNELLE WEGE FÜR DAS RAD langem für eine Vereinfachung beim Rechtsabbiegen ein, um schwere Unfälle an befahrenen Kreuzungen R adschnellwege können einen wichtigen Beitrag zur Stauvermeidung und damit zur Erhöhung der sowie unnötiges Warten an freien Kreuzungen zu vermeiden. Kommunen sollten die Möglichkeit erhal- Lebensqualität in Städten leisten. Viele Regionen sind ten, Radfahrenden durch einen Grünpfeil das Rechts- bereits in die Planung oder den Bau von Radschnell- abbiegen an geeigneten Kreuzungen auch bei Rot zu wegen eingestiegen. Insgesamt haben die Bundeslän- erlauben. Selbstverständlich muss dabei feststehen, der bei einer aktuellen Gesamtaufstellung einen dass Fußgänger und Querverkehr immer Vorrang Bedarf von mindestens 80 Radschnellwegen in haben. Eine solche Regelung hat sich in unseren Deutschland mit einer Gesamtlänge von mehr als Nachbarländern Frankreich, Niederlande, Belgien und 1600 Kilometern ermittelt. Die Große Koalition hat Schweiz bereits bewährt. Während die Bundesregie- im Bundeshaushalt 2017 erstmals Geld für den Bau rung die Idee lange Zeit strikt abgelehnt hat, zeigt sie von Radschnellwegen eingestellt. Das klingt auf den sich nun erstmals etwas beweglicher. So will sie die ersten Blick prima. Bei genauerem Hinsehen wird die Bundesanstalt für Straßenwesen untersuchen lassen, Freude darüber jedoch ausgebremst. Erstens kann ob der grüne Pfeil für RadfahrerInnen unter Verkehrs- 2017 wohl kein einziger Euro abfließen, weil es die sicherheitsgesichtspunkten sinnvoll ist. Wir Grüne Bundesregierung verschlafen hat, rechtzeitig eine werden hier weiter Druck machen, damit der Ankün- notwendige Verwaltungsvorschrift vorzulegen. So digung auch rasche Taten folgen. müssen Länder, die, wie Baden-Württemberg, bei Radschnellwegen bereits aktiv sind, erstmal alleine Mobilität für alle – für ein barrierefreies Verkehrsnetz weiter machen. Zweitens sind die im Haushalt einge- stellten Mittel von 25 Millionen Euro ein Tropfen auf Bus und Bahn sind häufig nicht barrierefrei nutzbar – den heißen Stein. Die Aufstellung der Länder hat er- das wissen alle, die im Rollstuhl oder E-Scooter, mit geben, dass ein Radschnellweg durchschnittlich 15 Rollator oder Kinderwagen unterwegs sind. Auch wer Millionen Euro kostet. Somit reichen die Bundesmit- blind oder gehörlos ist, kann öffentliche Verkehrsmit- tel nicht mal aus, um zwei Projekte pro Jahr alleine tel häufig nicht ohne Probleme nutzen. Fehlende zu finanzieren. Die Finanzierung von 80 Projekten Leitsysteme und Signaltöne erschweren blinden Men- würde so Jahrzehnte dauern. Um Radschnellwegen in schen die Orientierung. Gehörlose Menschen werden Deutschland einen echten Schub zu verleihen, for- von wichtigen Informationen ausgeschlossen, wenn dern wir Grüne im Bundestag eine Vervierfachung der diese nur durchgesagt werden. Mit komplizierten Mittel auf mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr. Fahrscheinautomaten sind nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten überfordert. Bewegung bei Grünpfeil für Radfahrende Das Personenbeförderungsgesetz schreibt die voll- ständige Barrierefreiheit im ÖPNV bis zum 1.1.2022 Eine lebhafte Debatte dreht sich auch um einen vor. Dass dieses Ziel nicht erreicht wird, musste die Grünpfeil für Radfahrende. Wir Grüne setzen uns seit Bundesregierung nun eingestehen. Was gedenkt sie 10 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 11 idEEN NEuE FÜR EiNE NachhaltiGE mobilität dagegen zu unternehmen? Nichts – denn mehr Geld Es gibt also noch viel zu tun für ein Verkehrsnetz für sei nicht sinnvoll. Stattdessen setzt man auf Appelle. alle. Wir bleiben dran! Nicht nur aus unserer Sicht eine völlig inakzeptable Aussicht für die betroffenen BürgerInnen. In einem Bundesregierung will Bahn-Engpass zwischen Stutt- gemeinsam mit meiner Kollegin Corinna Rüffer aus- gart-Zuffenhausen und Feuerbach nicht sehen gerichteten öffentlichen Fachgespräch am 20.3.2017 haben wir mit Vertretern von Fahrgastverbänden, Einer der bedeutendsten Engpässe im deutschen Verkehrsunternehmen, den gesetzlichen Krankenkas- Schienennetz ist der Abschnitt zwischen Stuttgart- sen und den Kommunalen Spitzenverbänden die Pro- Feuerbach und Zuffenhausen, also die nördliche Zu- bleme und mögliche Lösungsansätze diskutiert. laufstrecke für S-Bahnen sowie die Regional- und Ein häufiges Problem für den Umbau von Haltestellen Fernverkehrszüge zum alten und zum künftigen ist neben den fehlenden Finanz- und Planungskapa- Hauptbahnhof. Die Landesregierung hatte diesen Ab- zitäten, dass die Zuständigkeiten unterschiedlich schnitt zum Ausbau angemeldet. Doch im Bundesver- sind. Oftmals fehlt auch die Übersicht über den Zu- kehrswegeplan spielt die Engpassbehebung (bislang) stand und Prioritäten. Planverfahren für den Umbau keine Rolle. Auf meine Nachfrage hat der Bund sogar einer Haltestelle in Städten dauern häufig mehrere das Bestehen einer Streckenüberlastung geleugnet. Jahre. Das hat Methode: Bei den Schienenwegen wird – an- Für den Fernbus stellt sich die absurde Situation dar, ders als bei den Straßen – die Auslastung immer über dass barrierefreie Haltestellen des ÖPNV in Sicht- mehrere Stunden betrachtet und dann gemittelt. So weite der Fernbushaltestellen nicht mitgenutzt wer- werden bei den Straßen die Belastungen hoch- und den dürfen, selbst wenn diese noch freie Kapazitäten bei den Schienenwegen runtergerechnet. Das Ergeb- hätten. Dennoch kann der Fernbusmarkt ab 2020 nis: Viele Straßenaus-/Neubauten, wenig für die eine Vorreiterrolle für barrierefreies Reisen einneh- Schienenwege. Die Auslastung für den nördlichen men. Zulauf liegt in einzelnen Stunden bei 133 Prozent. Auch bei der Bahn stand der Umbau der Stationen im Um keinen Engpass einräumen zu müssen, greift der Zentrum der Debatte. Hier wurde deutlich, dass feh- Bund zu einem weiteren Trick: Er verschiebt einen lende Finanzmittel, zu wenig Personal und unter- Teil der Züge, die im Auftrag des Landes fahren und schiedliche Bahnsteighöhen ein Problem sind. mit den Metropolexpress-Zügen noch neu dazu kom- Die Ausstattung von Menschen mit Behinderungen men, in seinen Betrachtungen einfach in die Nacht- erfolgt derzeit oftmals nicht mit sinnvollen Hilfsmit- stunden. Nachts wird mit einem Zuwachs von 200 teln, weil jede Versorgungstelle nur für den ihr zuste- Prozent gerechnet, während am Tag die Zugzahlen henden Bereich entscheiden darf. Besonders der um 15 Prozent abnehmen sollen. Das dürfen wir der „Nahbereich der Wohnung“, welcher durch die Kran- Bundesregierung nicht durchgehen lassen! Der Eng- kenkassen abgedeckt wird, ist so eng gefasst, dass pass muss als solcher anerkannt und durch den Bau ein sicherer Transport in Fahrzeugen oder dem ÖPNV eines fünften und sechsten Gleises beseitigt werden! nicht möglich ist. Daher haben wir eine neue Anfrage eingebracht. SÜDWESTGRÜN 10/18 11
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 12 SyLVIA KoTTING-UHL sprecherin Für atompolitik WWW.KOTTING-UHL.DE Tel. 030 / 227-74740, Fax 030 / 227-76742, sylvia.kotting-uhl@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Sophienstraße 58, 76133 Karlsruhe Tel. 0721 / 1518687, Fax 0721 / 1518690, sylvia.kotting-uhl@wk.bundestag.de 60 jAHRE EURATOM UND DAS DESASTER AN am 8. Oktober 2014 staatliche Beihilfen für den briti- UNSEREN GRENZEN schen AKW-Neubau Hinkley Point C. Die Kommission stützte sich dabei auf das Förderungsziel, das dem Eu- D as Geburtstagsständchen „Wie schön, dass du ge- boren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst…“ ratom-Vertrag zu Grunde liegt. Dort heißt es, Mit- gliedstaaten müssten Investitionen erleichtern und die singen wir dem antiquierten Euratom-Vertrag nicht. Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherstellen, die Ist das bei seiner Gründung im Jahr 1957 schon ab- für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemein- surde Ziel „die Voraussetzungen für die Entwicklung schaft notwendig seien. Mehrere Energieunternehmen einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die klagen nun wegen der wettbewerbsverzerrenden Wir- Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert kung auf dem europäischen Strombinnenmarkt und und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand der Benachteiligung anderer Stromerzeuger gegen die ihrer Völker beiträgt“ doch unverändert geblieben. Entscheidung. Von staatlicher Seite wurde eine Nich- tigkeitsklage von Österreich und Luxemburg beim Ge- Atomkraft ist gescheitert – vor allem an sich selbst richtshof der Europäischen Union eingebracht. Die Die Vorstellung von der Atomkraft als einer sauberen Bundesregierung lehnte 2014 zweimal die Grüne For- und sicheren Energiequelle ist längst gescheitert - am derung ab, sich diesem Klageverfahren anzuschließen Widerstand der Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht oder eine eigene Klage zu erheben. Immerhin hat das für dumm verkaufen ließen, an besseren Alternativen Espoo-Komitee meiner Beschwerde wegen fehlender wie den Erneuerbaren Energien, vor allem aber an sich grenzüberschreitender UVP stattgegeben. Das muss selbst. Die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Großbritannien nun nachholen. Die Bundesregierung Fukushima, Berge von hochradioaktivem und über vertut leider die Chance, zum Atomausstieg in Europa Millionen Jahre strahlendem Müll, und schließlich beizutragen. Anfang dieses Monats ging es entspre- auch die schlechte wirtschaftliche Rentabilität haben chend weiter: Die EU-Kommission bewilligte staatliche es jedem, der sehen will, gezeigt: Atomkraft ist vor Beihilfen für den Bau zweier Reaktoren im ungari- allem eine teure, unbeherrschbare Hochrisikotechno- schen Paks und bezog sich erneut auf den Eura-tom- logie, die Mensch und Umwelt krank macht, über Vertrag. Auch die Entscheidung der Kommission, Jahrtausende nachwirkt und damit der wahrscheinlich staatliche Beihilfen für den Langzeitbetrieb der belgi- größte Irrtum in der Geschichte der Menschheit. Der schen Reaktoren Tihange 1 sowie Doel 1 und 2 gut zu Deutsche Bundestag hat daraus fraktionsübergreifend finden, fiel in diesen Monat. Hier zeigt sich eine am 30. Juni 2011 die richtige Konsequenz gezogen Grundhaltung der Kommission, die uns ein nachhalti- und diesmal auch mit den Stimmen von CDU/CSU und ges Problem bescheren wird, denn viele Länder planen FDP den Atomausstieg beschlossen. Laufzeitverlängerungen ihrer Atomkraftwerke. Die Störanfälligkeit und damit Gefährlichkeit von AKW Euratom fördert den Ausbau von Atomkraft... steigt aber nach circa 30 Jahren mit jedem weiteren Noch kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit bewilligte die Jahr steil an. letzte EU-Kommission mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen Energiekommissars Günther Oettinger 12 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 13 60 JahRE EuRatom uNd das dEsastER aN uNsEREN GRENzEN ... und verhindert Mitsprache weile rund 20 Milliarden gestiegen. Zeitliche Verzöge- rungen, Missmanagement und mangelnde Transparenz Euratom begründet die souveräne Entscheidungsge- sind an der Tagesordnung. Wenn überhaupt, dann wird walt der Staaten bei der Nutzung der Atomkraft. Doch diese Technologie frühestens im Jahr 2050 einsatzreif anders als die Atomaufsicht stoppt die radioaktive sein. Bis dahin werden wir unsere Energieerzeugung Wolke an der Grenze nicht. An Deutschlands Grenzen längst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt stehen besonders viele Schrottreaktoren wie die belgi- haben müssen. Wind- und Sonnenstrom werden dann schen Rissemeiler Tihange 2 und Doel 3, das weltweit unschlagbar günstig sein. Die zentrale, schlecht regel- älteste Schweizer AKW Beznau mit ähnlichen Befun- bare Großstromerzeugung von Fusionsreaktoren ist den und die französischen Altmeiler Fessenheim und schon heute nicht mehr zeitgemäß. Die Bundesregie- Cattenom, die weder gegen Überflutung noch Erdbe- rung erklärt in ihrem Bundesbericht Energieforschung ben ausreichend geschützt sind. Anrainerstaaten 2016 trotzdem: „Die Bundesregierung setzt zur lang- wären zwar vom GAU betroffen, dürfen bei Sicher- fristigen Sicherung der Energieversorgung in Deutsch- heitsfragen aber nicht mitreden. Das ist schon seit der land auch auf die Fusionsforschung.“ Erfahrung der über Europa ziehenden Wolke aus Tschernobyl nicht mehr akzeptabel. Euratom endlich erneuerbar ausrichten Energieforschung: Wiedereinstieg ins Atomzeitalter via Klimakrise, Wirtschaftskrise und die Abhängigkeit von Euratom Energieimporten stellen Europa vor gewaltige Heraus- forderungen. Ein großer Schritt zu deren Bewälti-gung Euratom ist undemokratisch und intransparent. Das wäre eine gemeinsame Energiewende auf der Basis von Europäische Parlament verfügt über keinerlei Entschei- Erneuerbaren und Effizienz. Die EU hat sich mit der dungsrecht beim Euratom-Budget. Die Ausrich-tung Roadmap 2050 zum Ziel gesetzt, ihre Emissionen bis der europäischen Energieforschung wird von Euratom 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu gesteuert, ohne Beteiligung des Parlaments. Schließlich senken. Das Schielen auf Atomkraft zum Erreichen des muss das Ziel von Euratom - die "mächtige Kernindus- Ziels verstellt dabei den Blick auf das tatsächlich Not- trie" - am Leben gehalten werden. Auch das Ausstiegs- wendige. land Deutschland beteiligt sich über seine Eine Atom-Rolle rückwärts führt ins ökologische und Euratom-Beiträge daran, immense Summen an Steuer- ökonomische Desaster! Die Hochrisikotechnolgie darf geld für Forschung an Kernfusion, Transmutation und nicht weiter privilegiert und hofiert werden. Deswegen Reaktoren der IV. Generation auszugeben – Technolo- muss der Euratom-Vertrag endlich grundlegend refor- gien, deren Anwendung in Deutsch-land den Wieder- miert werden. Der Brexit, für die EU ein historischer einstieg in die Atomkraft bedeuten würde. Das Rückschlag und tief zu bedauern, birgt durch den mit gefräßigste dieser Projekte ist ITER. Ein Kernfusionsre- ihm verbundenen Austritt Großbritanniens aus Eura- aktor, der gemeinsam von der EU, den USA, Russland, tom aber immerhin eine Gelegenheit für Neuausrich- China, Indien, Japan und Südkorea im französischen tung und Verbesserung des Vertrags. Die Geburtsstunde Cadarache gebaut werden soll. Die Kostenschätzungen eines zeitgemäßen Energievertrags für die EU wäre sind von 4,6 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf mittler- dann tatsächlich Anlass für ein fröhliches Lied. SÜDWESTGRÜN 10/18 13
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 14 CHRIS KüHN sprecher Für bau- und Wohnungspolitik WWW.CHRISKUEHN.DE Tel. 030 / 227-73097, Fax 030 / 227-76097, christian.kuehn@bundestag.de WAHLKREISBÜRO Poststraße 2-4, 72072 Tübingen Tel. 07071 / 9997958, christian.kuehn.ma04@bundestag.de LANDSCHAFT UND KLIMA SCHÜTZEN geschrieben wurde, ermöglicht neue Baugebiete im Außenbereich. Ab sofort können Gemeinden Bauge- A nfang März hat die Große Koalition eine No- velle des Baugesetzbuches beschlossen, die un- sere Städte nachhaltig verändern wird. Mit der biete bis zu einer Größe von einem Hektar bebauter Grundfläche in ihrem Außenbereich im erleichterten Verfahren ausweisen. Damit entfällt die frühzeitige Novelle geht eine neue Gebietskategorie einher, das Unterrichtung der Öffentlichkeit genauso wie die obli- „urbane Gebiet“. Damit kommen die schwarz-rote gatorische Umweltprüfung. Ausgleichsmaßnahmen Stadtentwicklung und auch das BauGB endlich in der für Eingriffe in die Natur sind nicht mehr nötig. Die Gegenwart an und sind sogar für eine Zukunft der Ur- Bundesregierung spricht damit eine Einladung zur banisierung und des Trends zum Leben in der Groß- planlosen Zersiedlung aus. Gerade in ländlichen Räu- stadt gerüstet. Ins urbane Gebiet sind auch viele men ohne Wohnraummangel droht die Neuauswei- Grüne Ideen eingeflossen: Der Vorrang von Innen- vor sung von Baugebieten auf Äckern am Ortsrand. Denn Außenentwicklung, die Vision der Stadt der kurzen der Paragraph 13b gilt überall, nicht nur dort, wo Wege und die enge Verzahnung von Arbeiten und Wohnraummangel herrscht. Das zieht noch mehr In- Leben. Eigentlich ein Grüner Erfolg. frastrukturmaßnahmen nach sich, die ebenfalls Fläche verbrauchen und die Kommunen zusätzlich finanziell Ein Gesetz mit Pferdefüßen belasten. Statt für lebenswerte Städte und starke Leider hat das Gesetz jedoch zwei große Pferdefüße. Kommunen zu kämpfen, gibt die Bundesregierung die Zum einen erhöht es den zulässigen Lärmpegel im ur- Innenstädte und Dorfkerne verloren. Mit einem sol- banen Gebiet um 3 Dezibel. Das ist eine Verdoppelung chen Flächenfraßparagraphen ist das 30-Hektar-Ziel des Schallschlags und wird bereits als gesundheits- nicht mehr zu halten. Im Gegenteil: Umweltschützer schädlich eingestuft. Lärm in dieser Größenordnung schätzen, dass der Flächenverbrauch auf bis zu 120 wirkt sich aufs Herz-Kreislauf-System und kann zu Hektar pro Tag ansteigen könnte, wenn nur die Hälfte Schlaf- und Konzentrationsproblemen führen. Es ist der Gemeinden in Deutschland von dem neuen Bau- gesundheitspolitisch verantwortungslos, Menschen recht Gebrauch machen und zusätzliche Bauflächen ungeschützt diesem Schallschlag auszusetzen. Wir ausweisen würden. Aktuell liegt der Flächenverbrauch Grüne haben deshalb einen guten Vorschlag gemacht, bei rund 75 Hektar. Damit würden das bisher Erreichte wie urbanes Gebiet und Lärmschutz zusammen passen Null und Nichtig werden.Bei der Abstimmung im Bun- können. Wir setzen auf den technischen Lärmschutz, destag haben wir Grüne deshalb zwar dem urbanen das sogenannte Hamburger Fenster. Diese Art von Gebiet zugestimmt, den 13b in einer gesonderten Ab- passivem Lärmschutz wird bereits angewendet und stimmung aber abgelehnt. Zersiedelung durch die hat sich als praktikable Lösung erwiesen. Hintertür und Zubetonierung wertvollen Bodens und Ackerlandes sind mit uns nicht zu machen. Der Flächenfraßparagraph Gebäudeenergiegesetz – Potenziale für den Klima- Den viel größeren Einschnitt macht die BauGB-No- schutz ausschöpfen velle aber beim Flächenverbrauch. Der Paragraph 13b, der auf Druck des Bundeslands Bayern in das Gesetz Das Weltklima macht gerade Negativschlagzeilen. Starkwetterereignisse auf der ganzen Welt nehmen 14 SÜDWESTGRÜN 10/18
SWG 10_18:Südwestrgrün 03.04.17 08:19 Seite 15 LANDSCHAFT UND kLIMA SCHÜTzEN zu, aktuell leidet Peru unter heftigen Überschwem- Energieeinsparung für Gebäude sind nicht am Klima- mungen und Erdrutschen. In einem Drittel des Landes schutz ausgerichtet. Sie unterscheiden viel zu wenig, wurde der Notstand ausgerufen, 12 000 Hektar Ern- wie klimaschädlich die Energien sind. So werden bei- teflächen sind vernichtet, über 175 000 Häuser be- spielsweise Öl- und Gasheizungen nahezu gleich be- schädigt oder zerstört. Das Pazifikwasser vor der handelt. Wir Grüne wollen einen ergänzenden Küste ist 5,5 Grad zu warm. Unter unnatürlicher Hitze Klimaschutzfaktor, der die tatsächlichen CO2-Emis- litt diesen Winter auch die Arktis. Die Temperaturen sionen bei der Bemessung berücksichtigt. sind zwischenzeitlich bis fast auf den Schmelzpunkt Der Gesetzentwurf ist mittlerweile aufgrund interner gestiegen, die Eisdecke ist so dünn wie nie. Streitigkeiten gescheitert. Die Union hat das Gesetz Was uns alarmiert, scheint bei der Bundesregierung u.a. deshalb zerschossen, weil bei Nichtwohngebäu- aber noch längst nicht angekommen zu sein. Die Ko- den künftig der KfW-55 Standard gelten soll. Uns alitionsfraktionen schaffen es nicht, sich auf eine Ge- Grünen geht das aber noch nicht weit genug: Wir bäudeengeriespargesetz zu einigen. Dabei werden wollen den KfW-40 Standard für alle Neubauten, noch immer 40 Prozent der Energie im Gebäudebe- auch für Privateigentümer. Anders ist ein nahezu kli- reich verbraucht. Hier gibt es gewaltige Einspar- und maneutraler Gebäudebestand bis 2050 nicht zu errei- Klimaschutzpotenziale. Das Bundeswirtschaftsminis- chen. terium und das Bundesumweltministerium hatten Pflicht für erneuerbare im Bestand kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Ener- giesparrecht vereinfachen sollte. Der Gesetzentwurf Baden-Württemberg ist in Sachen Gebäudeenergieef- bündelt EnEG, EnEV und EEWärmeG in einem neuen fizienz bereits mit gutem Beispiel voran gegangen. Gesetz. So weit so gut. Leider belässt die Bundesre- Als einziges Bundesland gibt eine Pflicht für erneuer- gierung es bei der bloßen Zusammenlegung der be- bare Energien auch im Bestand. Wer seine alte Hei- stehenden Regeln. Damit verpasst sie die Chance, zung austauscht, muss 15 Prozent erneuerbare endlich auf den aktuellen Stand der Diskussion über Energien beim Heizen nachweisen. Einen solchen eine moderne und klimaschonende Wärmeversorgung Mindestanteil an erneuerbaren Energien im Bestand aufzuschließen. Der Gesetzentwurf bringt weder eine gibt es bisher nur bei uns im Ländle. Wir Grüne haben erhebliche Vereinfachung der bestehenden Regelun- schon vor einigen Monaten einen entsprechenden gen, wie sie von vielen Akteuren gefordert wird, noch Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der setzt er neue Impulse für Klimaschutz und Erneuer- sich am baden-württembergischen Vorbild orientiert, bare Energien in der Wärmeversorgung. Damit lässt damit endlich mehr erneuerbare Energien bei der die Bundesregierung die großen Potenziale der Wär- Wärme eingesetzt werden. Wir fordern von der Bun- mewende für Innovation und Arbeitsmarkt ungenutzt desregierung, den Entwurf für ein Gebäudeenergiege- liegen. setz grundlegend zu überarbeiten und diese große Chance für einen Aufbruch im Wärmebereich nicht Klimaschutzfaktor als Bemessungsgröße leichtfertig zu verspielen. Besonders problematisch ist, dass der Gesetzentwurf noch immer nicht die CO2-Emissionen als Bemes- sungsgrößen festlegt. Die bisherigen Vorgaben für die SÜDWESTGRÜN 10/18 15
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