Wollen wir die Spaltung? - GEW Hamburg

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Wollen wir die Spaltung? - GEW Hamburg
Wollen wir die Spaltung?
Der Religionsunterricht wurde in der Dezemberausgabe der hlz
in unverdienter Weise in ein schlechtes Licht gerückt
   Kernpunkt der Kritik ist, dass   Religionsgemeinschaften              zukunftsweisend. Die Religi-
aktuell von Klasse 1 bis 6 die      und Staat gestalten das              onsgemeinschaften betonen in
Kinder in dem für alle offenen      Fach gemeinsam                       diesem Konzept gerade nicht
Religionsunterricht nicht ge-       Die verschiedenen Artikel in der     einen konfessionalistischen Cha-
trennt werden und eine Wahl-        letzten hlz (12/2000, S. 38-44)      rakter des Unterrichtes, sondern
möglichkeit nicht aktiv angebo-     führen sachgerecht an, dass das      sehen im Dialog von Religionen
ten wird. Dafür wird von Gerhard    Fach entsprechend Artikel 7,3        und Weltanschauungen ihr zen-
Lein und Kerstin Michalik die       GG eine besondere rechtliche         trales Leitbild. Dafür wurden
Forderung des Angebotes eines       Grundlage hat, die den Religi-       sie vor allem intern jeweils von
Alternativfaches Philosophie er-    onsgemeinschaften ein Mitbe-         konservativ-beharrenden Kräf-
hoben. Für die Vereinigung der      stimmungsrecht bei Inhalten          ten deutschlandweit teilweise
Hamburger Religionslehrerinnen      und Auswahl der Lehrkräfte           sehr stark kritisiert, wie sie auf
und Religionslehrer mit ihren       beimisst. In Hamburg wird            das Recht, ihren eigenen separa-
200 Mitgliedern, von denen sich     Religionsunterricht nunmehr          ten evangelischen, muslimischen
viele bitter über die Verzerrun-    in Kooperation mit mehreren          oder alevitischen Religionsun-
gen und Unsachlichkeiten dieser     Religionsgemeinschaften (früher      terricht in den Schulen einzufor-
Artikel beschwert haben, nimmt      nur in Absprache mit der Evan-       dern, verzichten können. Dafür
hier der Vorstand Stellung.         gelischen Kirche) mit einem di-      bleiben in Hamburg die Kinder
                                    alogischen Konzept angeboten.        bei der Arbeit an zentralen Le-
Die Debatte ist wichtig             Er ist offen für alle Schülerinnen   bensfragen in den ersten sechs
   Wir begrüßen ausdrücklich,       und Schüler, so dass die gesamte     Schuljahren zusammen und
dass die aktuellen Veränderun-      Klasse daran teilnehmen kann.        lernen voneinander. Das ist ein
gen im Fach Religion Gegen-         Die Eltern können ihr Kind           wesentliches Argument, das vie-
stand demokratischer Debatten       gemäß § 7 (3) HmbSG abmel-           le Religionsvertreter und Religi-
sind. Die Frage, wie das zukünf-    den, doch geschieht dies bislang     onsvertreterinnen überzeugt und
tige Miteinander verschiedener      nur selten. Wir kennen viele         die Gemeinschaft der Klassen
Kulturen, Religionen und Welt-      Religionslehrkräfte, die jährlich    zusammenhält. Für die Integrati-
anschauungen gestaltet werden       durch Elternabende ziehen, das       on und das soziale Lernen in den
kann, ist Kernfrage einer zuneh-    Fach vorstellen und auch auf         Klassen ist das in unserer plu-
mend heterogenen Gesellschaft,      die Möglichkeit der Abmeldung        ralen Stadt ein Schatz, der jetzt
wie sie auch unsere Hansestadt      hinweisen.                           durch Initiativen wie der des Sä-
immer stärker prägt. Wo kom-           Bundesweit hat Hamburg hier       kularen Forums in Gefahr gerät.
men wir her? Woran orientieren      eine Pionierfunktion: Wie hier          Von den drei Artikeln sorgt
wir uns? Wie begründen wir un-      die     Religionsgemeinschaften      besonders der Text von Gerhard
sere eigenen und unsere gemein-     miteinander und mit dem Staat        Lein unter unseren Mitgliedern,
samen Entscheidungen? Gerade        kooperieren, ist deutschlandweit     von denen viele auch Mitglied
mit Blick auf die zerstörerischen   einzigartig. Wie hier Schülerin-     in der GEW sind, für sehr viel
Polarisierungen von Populisten      nen und Schüler verschiedener        Unmut. Ein Mitglied schrieb
weltweit müssen wir – und be-       religiöser,     weltanschaulicher    uns: „Zwei starke Meinungsar-
sonders die Kinder – lernen, mit    sowie auch agnostischer Hinter-      tikel zum Religionsunterricht,
diesen Fragen und den vielen        gründe gemeinsam unterschied-        aber kein Artikel, der überhaupt
verschiedenen Antworten dazu        liche Perspektiven kennenlernen      erläutert, was der Religionsun-
umzugehen. Gerade in Zuwan-         und sich im Dialog über zent-        terricht für alle in Hamburg ist.
derungsgesellschaften      gehört   rale Lebensfragen austauschen,       Viel Polemik, wenig Substanz.
dabei auch das Thema Religion       weckt außerhalb Hamburgs             … Hier ging es nicht um ge-
und Schule ins Zentrum der Dis-     sehr großes Interesse und gilt       werkschaftsinterne Diskussion,
kussion.                            vielen als religionspädagogisch      um die Suche nach einer guten

50                                                                   hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021
Lösung für Hamburgs Schulen                 Dass unser ganzer Unterricht       Religionsgemeinschaften      ar-
und Gesellschaft. … Hier wird            als „scheinliberal“ in der Über-      beiten hier zusammen (RUfa
vollkommen unnötig ein Kultur-           schrift gekennzeichnet wird,          2.0). Markiert das etwa eine
kampf gesucht und sich einseitig         deuten wir als eine verletzende       zunehmend konfessionistische
positioniert – gegen die Vielfalt        Unterstellung von Unredlichkeit       Ausrichtung, wie es Michalik
unserer Stadt, gegen die Schüle-         unserer Arbeit. Viele von unse-       schlicht behauptet – ohne jeg-
rinnen und Schüler.“                     ren Kolleginnen und Kollegen          liche Begründung und Nach-
   Konkret möchten wir zu den            können persönlich viele Bei-          weis? Nicht die Konfessio-
Artikeln folgendes anmerken:             spiele dafür nennen, wie säkular      nalität nimmt zu, sondern die
                                         geprägte Kinder bessere Noten         fachliche Ausrichtung. Das ist
Die Stellungnahme von                    geschrieben haben, weil sie die       etwas grundsätzlich Anderes.
Gerhard Lein ist realitätsfern,          anspruchsvolleren Fragen ge-          Religionsunterricht soll nicht
unkollegial und verletzend               stellt haben. Gerade mit Blick        länger zu Klassenlehrerstunden
   Neben vielen sachlichen Un-           auch auf eng religiös geprägte        verkümmern können, wie es
genauigkeiten und Verzerrungen           Kinder betonen wir immer wie-         der ehemalige Schulleiter Lein
sind wir sehr verärgert über die         der die Freiheit der Gedanken         anscheinend als normal erlebt
Art und Weise, wie hier ein ehe-         und die von Glauben und Welt-         hat. Und zwar nicht, weil es
maliger Schulleiter, Kollege und         anschauungen in unserem Unter-        die     Religionsgemeinschaften
Religionslehrer in der Zeitung           richt, verweisen auf den hohen        wollen, sondern weil die Schü-
einer Gewerkschaft über uns und          Wert der negativen Religions-         lerinnen und Schüler jeden Tag
unsere tägliche Arbeit im Fach           freiheit. Nur so können wir echt      Religion(en) in ihrer Lebenswelt
Religion redet. Wir haben allge-         und authentisch sein. Dies ist ein    wahrnehmen und Fragen aus
mein das Gefühl, hier wird über          wesentliches Kriterium unseres        dem religiösen Bereich stellen,
einen missionarisch-konfessio-           Unterrichtes.                         weil Religion(en) ständiges The-
nellen Religionsunterricht von                                                 ma in unserer Gesellschaft und
vor über 50 Jahren geredet, in           Der Religionsunterricht               Welt sind. Alle Schülerinnen
dem sich heute niemand so wie-           wird nicht konfessioneller,           und Schüler sind damit konfron-
derfindet. Die Bestätigung richti-       sondern fachlicher                    tiert und zwar ganz unabhängig
gen oder falschen Glaubens, wie            Der Hamburger Religions-            davon, ob und ggf. welcher Re-
sie von Herrn Lein auf S. 40 z.B.        unterricht für alle wurde in den      ligion sie angehören. Der neue
etwas ironisch als Unterrichts-          vergangenen Jahren wesentlich         Religionsunterricht in Hamburg
thema suggeriert wird, hat in            weiterentwickelt: Immer mehr          nimmt diese Vielfalt der Religi-
unserem dialogischen Religions-
                                                                                                                  Foto: Wikipedia; Flammarions Holzstich - Paris 1888
unterricht nichts zu suchen. Sie
würde klar gegen das Überwäl-
tigungsverbot des auch für unser
Fach geltenden Beutelsbacher
Konsenses verstoßen und wäre
zudem gegen unsere Verfassung,
hinter die wir uns voll und ganz
stellen. Mit Erstaunen nehmen
wir zur Kenntnis, wie Gerhard
Lein seinerseits offensichtlich
weltanschauliche       Positionen
per se als bewertbare schulische
Leistungen ansieht. Wir als Re-
ligionslehrkräfte hingegen beur-
teilen keine weltanschaulichen
Grundorientierungen, sondern
argumentative und dialogische
Kompetenzen, mit denen religi-
öse, weltanschauliche oder auch
agnostische Positionen zum Aus-
druck gebracht werden.                   Durchbrechen des mittelalterlichen Weltbildes

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021                                                                   51
onen und Lebensauffassungen           tergrund haben, sich in Distanz     Bereich des Philosophierens mit
ernst. Er postuliert weder den        oder Widerspruch zu jeglicher       Kindern bewegt, wird jedem
Vor- noch Nachrang einer Reli-        Form von Religion verstehen,        klar, der sich einmal überlegt,
gion oder religionsablehnenden        können ihre kritisch-distanzierte   mit welchen Begriffskategori-
Lebensauffassung.                     Sichtweise in der Sache fundie-     en solche Vergleiche überhaupt
                                      ren und religiöse Hintergründe      möglich werden. Auch wenn es
Zentrale Bedeutung von                anderer besser verstehen.“ (Ent-    nicht überall auf unserem Fach
säkularen Themen im RU                wurf Rahmenplan Stadtteilschu-      draufsteht: ohne philosophische
   Deshalb irrt Lein, wenn er         le 2020, S. 14).                    Grundlagen, die das Begriffsge-
behauptet, säkulare Sichtweisen                                           rüst für einen möglichen Dialog
würden nicht thematisiert und         Nicht-religiöse Lerngegen-          herstellen und die Reflexion dar-
säkulare Schülerinnen und Schü-       stände – verbindlich für            über ist Religionsunterricht heu-
ler ignoriert oder gar missioniert.   alle im neuen Hamburger             te gar nicht möglich. Wenn wir
Den entsprechenden Hinweis            Religionsunterricht für alle        über verschiedene Traditionen
aus der IfbQ-Evaluation referiert        Für jedes Unterrichtsthema ist   ins Gespräch kommen, dann geht
er verkürzt und damit sinnent-        im neuen Rahmenplan nicht nur       es zum Beispiel auch schnell um
stellend: Die Evaluation war die      die Bearbeitung religiöser Quel-    die Frage, wie verschiedene Kul-
Erhebung eines Zwischenstan-          len vorgesehen, sondern auch        turen mit Tieren umgehen und ob
des der Arbeit in einigen ganz        von nicht-religiösen Lernge-        oder welche Tiere man z.B. töten
spezifischen Erprobungsklassen        genständen aus dem kulturellen      darf oder nicht, wie es Michalik
und Teil des Entwicklungspro-         Kontext: Und zwar verbindlich       als Thema wünscht. Soweit wie
zesses. Die Evaluation stand          und für alle! So werden beim        möglich sollen die Themen des
nicht an dessen Ende (vgl. Eva-       Thema Schöpfung nicht nur Bi-       Unterrichtes      schülerzentriert
luation, Kurzfassung, S. 22).         bel, Koran und weitere religiöse    von den Fragen der Kinder aus-
Die Hinweise aus der Zwischen-        Schriften thematisiert, sondern     gehend bearbeitet werden und
evaluation belegen deshalb nicht      gleichfalls Urknall und Evoluti-    damit ein wesentliches Element
Defizite des Endprodukts, son-        on. Diese Texte werden als exis-    des Philosophierens mit Kindern
dern die Gründlichkeit des Vor-       tenzbezogene Deutungsangebote       übernommen werden.
gehens.                               für das eigene Leben und die ei-
   Wie stark der Aspekt des Ein-      gene Weltsicht erkundet; es wer-    Religion und Philosophie ab
bezugs säkularer Schülerinnen         den Unterschiede, Widersprüche      der ersten Klasse als Wahl?
und Schüler inzwischen berück-        und Gemeinsamkeiten herausge-       Legal – aber wahrscheinlich
sichtigt wird, zeigen die inzwi-      arbeitet, damit die Schülerinnen    fatal
schen beschlossenen didakti-          und Schüler ihr eigenes Selbst-        Neben unserem Unverständ-
schen Grundsätze für den RUfa         und Weltbild entwickeln können.     nis gegenüber der Kritik an der
2.0: „Der Religionsunterricht         Am Ende steht nicht die einzig      aktuellen Lage an den Schulen
wendet sich an alle Schülerin-        wahre, richtige Antwort, die die    heute blicken wir mit Sorge auf
nen und Schüler – ungeachtet          Lehrkraft setzt und die Schüle-     die Folgen für die Klassen und
der persönlichen Überzeugun-          rinnen und Schüler übernehmen       unsere Stadtgesellschaft, wenn
gen und religiösen Prägungen,         müssen. RUfa 2.0 ist wie jedes      parallel zum Religionsunterricht
die für sie persönlich bedeutsam      andere Unterrichtsfach der Mul-     flächendeckend Philosophie an-
sind. Er ermöglicht, Religionen       tiperspektivität und dem Beu-       geboten werden müsste. Recht-
und Lebensauffassungen kennen-        telsbacher Konsens verpflichtet.    lich möglich wäre es, aber wäre
zulernen, über sie nachzudenken       Er ist also Mitnichten ein Mis-     es auch gesellschaftlich wün-
und sich ein kenntnisreiches und      sionierungsprogramm oder ein        schenswert? Warum sollte man
differenziertes Urteil zu bilden.     konfessionalistisches Roll-Back.    die Klassen ausgerechnet dann
Wer sich einer Religion verbun-                                           aufteilen, wenn die Kinder über
den fühlt, kann Kenntnisse ver-       Philosophieren mit Kindern –        grundlegende Lebensthemen re-
tiefen, andere Überzeugungen          unverzichtbar für den Dialog        den sollen, über Leben und Tod,
und Lebensweisen kennenlernen,        im Religionsunterricht              Freundschaft, Gerechtigkeit, den
persönliche Auffassungen reflek-        Dass man sich hier vor allem      Ursprung der Welt, über ihre
tieren und so die eigene religiöse    bei vergleichenden Themen sehr      verschiedenen Traditionen, de-
Identität vertiefen. Jene, die kei-   schnell mitten in Fragen der Er-    ren Bedeutungen und die Feste,
nen ausgeprägt religiösen Hin-        kenntnistheorie und damit im        die sie zu Hause feiern. Welch

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ein herber Verlust für die In-           Laizismus oder                        sant sind. Das fördert die gesell-
tegrationschancen gerade der             Kooperationsmodell?                   schaftliche Segregation, nicht
Kinder aus Zuwandererfamilien               Und noch etwas weiterge-           nur entlang von Religionen und
sowie für das Soziale Miteinan-          dacht: Etliche Studien deuten         Ethnien, sondern vor allem auch
der in den Klassen! Häufig ist           darauf hin, dass die freiheitlich-    von Arm und Reich. Man sollte
der Religionsunterricht der Ort,         demokratische Kooperation von         die Entstehung von Art. 7 Abs. 3
wo Kinder besondere Dinge von            Staat und Religion bei uns eine       GG bzw. der Weimarer Vorgän-
zu Hause erzählen. Gerade dann           gute Strategie der Prävention         gerregelung nicht vergessen: Als
würde aber ein Teil ihrer Gruppe         von Fundamentalismus und re-          „Weimarer Schulkompromiss“
fehlen. Wir müssen zudem damit           ligiösem Extremismus ist. West-       wurden die religiösen Schulen
rechnen, dass, sobald eine Wahl-         liche Staaten mit einer strikten      weitgehend aufgelöst im Gegen-
möglichkeit eröffnet wird, ein-          Trennung von Staat und Religi-        zug zur Etablierung des konfes-
zelne Religionsgemeinschaften            on in den Schulen sind unter an-      sionellen Religionsunterrichts
ihr verfassungsgemäßes Recht             derem Frankreich und die USA.         an den staatlichen Schulen. Das
auf einen separaten Religions-           Dort stellt sich nicht nur das Pro-   klingt lange her, die Aufkün-
unterricht einfordern. Wollen wir        blem radikaler Islamisten. Der        digung dieses Kompromisses
das wirklich? Wollen wir Kinder          Blick auf den konservativen Ka-       könnte jedoch unbeabsichtigte
in katholische, evangelische,            tholizismus in Frankreich (Pius-      problematische Folgen haben.
muslimische und alevitische              Bruderschaft) und evangelikale           Gerade vor diesem Hinter-
Lerngruppen aufteilen, wenn es           Fundamentalisten in den USA           grund erscheint die Weiterent-
zum Beispiel in der fünften Klas-        macht deutlich, dass unser Weg        wicklung des Hamburger Religi-
se um das Thema Gerechtigkeit            in Deutschland, wo wir deutlich       onsunterrichts für alle durch die
geht? Das würde nicht nur die            seltener Schwierigkeiten mit          Involvierung von immer mehr
Schulen und Lehrkräfte noch              radikalreligiösen Gruppen ha-         Religionsgemeinschaften eine
mehr belasten, weil sie dann             ben, nicht ganz verkehrt ist. Die     kluge Adaption des Kooperati-
die einzelnen Lerngruppen im             Zusammenarbeit von Staat und          onsmodells des Grundgesetzes.
normalen Stundenplan auf eine            Religionen scheint letztere dia-
Schiene legen müssen. Es würde           logfähiger zu machen. Aber auch       Ein Ärgernis teilen wir
auch einen weiteren Keil in die          andersherum gilt dies. Dass der          Die Neuordnung des Hambur-
Klassen und in unsere Gesell-            Staat sich etwas zurücknimmt          ger Religionsunterrichts für alle
schaft treiben. Auf einmal würde         bei der Frage, ob es einen Gott       machte jedoch einen tatsächlich
es in den Klassen wieder wichtig         gibt, ist ein Ausdruck einer klu-     problematischen Zustand deut-
sein, zu welcher Gruppe man ge-          gen und etwas demütigen Selbst-       lich: Seit vielen Jahrzehnten gab
hört und zu welcher nicht! Was           beschränkung, die alle besonders      es eigentlich zu wenig Lehrkräfte
machen die Kinder von Eltern             zu schätzen wissen, die als reli-     an den Schulen, die für Religion
mit verschiedenen Weltanschau-           giöse Menschen in der DDR das         ausgebildet und zugelassen wa-
ungen? Der seit Jahrzehnten eta-         Fach Staatsbürgerkunde erleben        ren – oder sie wurden nicht oder
blierte gemeinsame Religions-            mussten.                              nur selten im Religionsunterricht
unterricht könnte vielleicht auch           Wer das Kooperative Modell         eingesetzt. Der unmittelbare An-
eine der Ursachen sein, dass bei         zwischen Staat und Religionsge-       lass, dass dies zum Thema wur-
uns in Hamburg ein anderer, of-          meinschaften aufkündigen will,        de, war die Vereinheitlichung
fenerer Wind bläst als in vielen         wer den Religionsunterricht aus       der Regelungen innerhalb der
anderen Städten, die größere             den Schulen faktisch verdrän-         vor einigen Jahren zur Nordkir-
Schwierigkeiten beim Umgang              gen oder ganz abschaffen will,        che fusionierten evangelischen
mit Migrationsfolgen haben.              wie es Lein und Michalik letzt-       Kirche. Die Kirche war sehr un-
   Als Vertreterin von Solidarität       lich indirekt nahelegen, der för-     zufrieden über den extrem hohen
und der Stärkung des gemeinsa-           dert zudem eine Entwicklung,          Anteil meist durch die Klassen-
men Lernens müsste gerade die            die man in anderen Staaten wie        lehrer_innen fachfremd erteil-
GEW eigentlich eine große Ver-           Frankreich, Großbritannien oder       ten Religionsunterrichts (zur
treterin des aktuellen Modells           den USA gut beobachten kann:          Erinnerung: 60-70 Prozent an
des Religionsunterrichtes sein,          Die Entstehung und den Ausbau         den Grundschulen und 40 Pro-
das die Klassen zusammenhält             religiös geprägter Privatschulen,     zent in der Sekundarstufe I der
und den Dialog ins Zentrum               die dann für eine wachsende           Stadtteilschulen) und die daran
stellt.                                  wohlhabende Klientel interes-         oftmals – aber nicht immer! –

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021                                                                     53
geknüpfte faktische Umnutzung          Religion als Fachfremde mit En-     Hamburger Religionsunterricht
zu einer Klassenlehrerstunde.          gagement und wachsender Kom-        heute von innen aussieht, melde
Es sollte keinen verwundern,           petenz unterrichtet hat, Schwie-    sich gern. Wir vermitteln gern
dass vor diesem Hintergrund die        rigkeiten bekommt, weil sie         Kontakte, wo Sie einmal Unter-
evangelische Kirche nach einer         nicht oder nicht mehr Mitglied      richt besuchen können. Lassen
Möglichkeit gesucht hat, der           in einer Religionsgemeinschaft      Sie uns über die Inhalte und über
faktischen Aushöhlung des Re-          sind. Hier setzen wir uns sehr      starke Dialogformate reden und
ligionsunterrichts an den Schu-        gern gemeinsam mit der GEW          nicht darüber, wie wir die Klas-
len entgegenzuwirken, versteht         dafür ein, dass für diese Kolle-    sen und die Gesellschaft weiter
die Kirche sich doch als Garant        gen und Kolleginnen Lösungen        aufteilen können.
des Religionsunterrichts, nicht        gefunden werden, aus denen für                            BIRGIT KORN
nur aus Eigeninteresse, sondern        sie keine Nachteile erwachsen.           GEW-Mitglied und bis Nov. 2020
                                                                                    1. Vorsitzende Vereinigung
gerade auch im Hinblick auf die           Über die Herausforderung,             Hamburger Religionslehrerinnen
Schülerinnen und Schüler und           wie das Fach Religion mit seinen                    und Religionslehrer
ihr Grundrecht auf (religiöse)         besonderen      Voraussetzungen
Bildung.                               an den Schulen unserer so viel-                      BENJAMIN KROHN,
   Hier kommt es nun zu dem            fältigen Stadt weiterentwickelt          GEW-Mitglied und seit Nov. 2020
                                                                                     1. Vorsitzender Vereinigung
Problem, dass eine kleine Grup-        werden kann, so dass es für alle          Hamburger Religionslehrerinnen
pe von erfahrenen Kolleginnen          ein Gewinn ist, müssen und wol-                        und Religionslehrer
und Kollegen, die über viele           len wir gern weiter im Gespräch
Jahre bis Jahrzehnte das Fach          bleiben. Wer sehen will, wie

 Religionsunterricht als demokratiebildende Kraft
 Ein Brief aus Hessen
    Lieber Wolfgang, liebe Re-         gelischen Schüler_innen können      tisches Pfund, dass der Staat in
 daktion!                              somit dem evangelischen RU          Deutschland sagt: Religion ist
    Ich finde es schwierig, dass       zugeordnet werden, dagegen          Sache der Öffentlichkeit, kei-
 ihr zum Thema Religionsun-            gehen bspw. die konfessionslo-      ne reine Privatsache. Natürlich
 terricht (RU) in Schulen aus-         sen Schüler_innen in den Ethik-     ist es Privatsache, zu welcher
 schließlich contra publiziert. So     Unterricht. In Hamburg kennt        Religion sich jede_r Einzelne
 verhindert ihr eine echte Aus-        die Schule die Religionszugehö-     zählen möchte. Aber die Fra-
 einandersetzung.                      rigkeit der Schüler_innen nicht,    gen nach Religion gehören in
    Ich stimme euch völlig zu,         d.h. wenn es ein Alternativan-      eine öffentlich geführte Debatte
 dass es an den Grundschulen           gebot zum RU gäbe, könnte die       und nicht in die Hinterzimmer
 eines Alternativangebots zum          Schule die Zugehörigkeit zu         der Religionsgemeinschaften.
 RU bedarf. Eine prinzipielle          dem Fach nicht feststellen. Es      Frankreich als der laizistische
 Schwierigkeit des Hamburger           wäre ein Gemischtwarenladen,        Staat in Europa zeigt, was pas-
 RU ist allerdings zunächst ver-       in dem die Schüler_innen sich       siert, wenn man dieses „private“
 waltungstechnischer Art: Der          dort frei einwählen würden, wo      Prinzip konsequent umsetzt. In
 Staat erhebt in Hamburg bei           sie möchten, unabhängig von ih-     einer Gesellschaft, die multire-
 der Einschulung nicht die Reli-       rer Religionszugehörigkeit.         ligiös und multikulturell geprägt
 gionszugehörigkeit der Schüle-           Das aber ist zunächst einmal     ist, braucht man den öffentlich
 rinnen und Schüler als persön-        ein rein formales und eher juris-   geführten Diskurs über den Um-
 liches Datenmerkmal. Bei uns          tisches Problem.                    gang mit Religionen und Kul-
 in Hessen und wahrscheinlich             Der entscheidende Grund für      turen und dieser Diskurs muss
 überall sonst ist das anders, d.h.,   einen konfessionsorientierten,      unbedingt auch in der Schule
 bei uns weiß die Schule welche        d.h. von den Religionsgemein-       geführt werden, denn in der
 Schüler_innen evangelisch sind,       schaften mitverantworteten RU       Schule sollen Kinder und Ju-
 welche katholisch, muslimisch         liegt in seiner demokratiebilden-   gendliche lernen, sich in dieser
 oder konfessionsfrei. Die evan-       den Kraft. Es ist es ein demokra-   multireligiösen Gesellschaft zu-

54                                                                     hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021
rechtzufinden.                           müssen. Diese Vielzahl betrifft      zu durchdringen und zu verste-
   Das Problem mit der Religion          sowohl die Vielfalt der Religio-     hen, weil es nur eine Außensicht
ist nun, dass du eine Religion           nen an sich als auch die Vielfalt    bietet. Religionskunde, LER
nur in der Innenansicht ver-             der unterschiedlichen Deutun-        oder wie diese sachorientierten
stehst, nicht in der Draufsicht          gen innerhalb ein und derselben      Fächer heißen, sind wie Ethno-
von außen. Was das christliche           Religion/Konfession. Dies zu         logie. Sie beschreiben und ana-
Glaubensbekenntnis heute be-             lehren, ist Bildungsauftrag der      lysieren Riten und Gebräuche,
deuten kann, wirst du niemals            Schule und ein Beitrag zum de-       ohne sie je tatsächlich verstehen
verstehen (erkennen), indem du           mokratischen Miteinander.            zu können. Es bleibt immer ein
einen Text (wie bspw. das Glau-             Nur kann Schule diesen Lern-      „Draußen vor der Tür“.
bensbekenntnis)       analysierst,       prozess nicht organisieren und          Ihr arbeitet euch in der hlz an
sondern indem du ins Gespräch            auch inhaltlich nicht bestim-        einem Zerrbild des RU ab und
mit einem Menschen trittst, für          men, weil Schule in der Tat          dringt nicht in die eigentlichen
den dieses Glaubensbekenntnis            als Institution religionsfrei ist.   Begründungszusammenhänge
eine lebensprägende Funktion             Der Staat als demokratischer         vor.
hat. Deshalb muss RU heute dia-          und weltanschaulich neutrale            Die Perspektive ist nicht, re-
logisch sein, d.h. von Menschen          Instanz hat inhaltlich zu religi-    ligiös neutrale Angebote in der
gestaltet werden, die                                                                    Schule zu machen,

                                                                                                                      Foto: Michelangelo, Ausschnitt aus
                                                                                                                              „Die Erschaffung Adams“
aus lebensprägender                                                                      sondern religiös viel-
religiöser    Überzeu-                                                                   fältige, multiperspek-
gung miteinander ins                                                                     tivische Angebote, die
Gespräch       kommen                                                                    die Perspektive der
und so mit den Kin-                                                                      Konfessionsneutra-
dern und Jugendli-                                                                       len als einen eigenen
chen in einen Dialog                                                                     Weltzugang       neben
treten. Schüler_innen                                                                    religiösen Weltdeu-
müssen als Gegen-                                                                        tungen auf Augenhöhe
über Personen finden,                                                                    zulässt. Es geht nicht
die sie auf die Bedeu-                                                                   um die verschiedenen
tung religiöser Inhalte                                                                  Religionen auf der
konkret bezogen auf                                                                      einen und die nicht
ihre Handlungen und                                                                      religiöse Sicht auf der
Überzeugungen hin befragen               ösen Fragen keine Kompetenz.         anderen Seite – so wurde im
können.                                  Daher delegiert er diese an die      19. Jahrhundert gedacht. Heute
   Deshalb geht es im RU nicht           Religionsgemeinschaften. Dass        geht es um Diversität und da
um eine Vermittlung eines                die Religionsgemeinschaften          steht eine islamische Perspek-
kirchlichen Dogmas, sondern              dieses Recht laut Artikel 7 GG       tive neben einer katholischen,
um die Begegnung vieler unter-           erhalten, ist also nicht in ers-     einer religionsfreien und einer
schiedlicher Menschen, die un-           ter Linie ein Privileg, sondern      evangelischen. Und jede dieser
terschiedlich von der jeweiligen         ergibt sich aus der demokrati-       Perspektiven gibt es in der Bre-
Religion geprägt sind. Religion          schen Grundverfassung unseres        chung noch einmal in vielerlei
kann heute nur plural bedacht            Staates mit der Trennung von         Varianten. Es gibt weder die ka-
werden. Noch ein Argument ge-            Staat und Kirche, Trennung           tholische noch die religionsfreie
gen die Privatheit der Religion.         von säkular und religiös. Der        Sicht als einheitliche Position.
Guter RU ist daher ein dialo-            Staat darf sich nicht inhaltlich     Die Kinder und Jugendlichen
gischer RU, in dem die Kinder            religiös äußern, auch nicht in       müssen in eine multiperspekti-
und Jugendlichen lernen, dass es         Form von Lehrplänen, wenn er         vische Welt hineinwachsen und
eine Vielfalt und Vielzahl religi-       weltanschaulich neutral bleiben      sich in ihr zurechtfinden. Zu
ösen Lebens und – Weltdeutun-            will. Anstelle des RU könn-          fragen ist: Was hilft ihnen dabei:
gen gibt, die alle wahr sein wol-        te er nur ein weltanschaulich        Ethik oder ein dialogischer RU?
len und dennoch mit gleichem             neutrales Fach anbieten, dieses      Ich denke: Letzteres.
Recht in der Gesellschaft neben-         wäre aber nicht in der Lage, das        Liebe Grüße Uwe
einander bestehen können und             Phänomen Religion tatsächlich                      Der Autor Uwe Martini
                                                                                      lebt und arbeitet in Hessen.

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021                                                                       55
Extrem einseitig                                      ● Es wird behauptet, säkulare Schüler und Schü-
   Ein weiterer Leserbrief zu hlz 12/2020, S. 38ff      lerinnen (SuS) würden teilweise „überfordert“,
   Liebe Kollegen und Kolleginnen,                      ohne konkret zu werden.
   mir ging es wie vielen Religionslehrern und        ● Selbstverständlich werden atheistischen SuS
-lehrerinnen, dass mich die extrem einseitige Dar-      Lernangebote gemacht, die „deren Identität
stellung geärgert hat. Im Folgenden einige Punkte,      stärken“, wie in jedem anderen Unterricht auch
die einmal bedacht werden könnten:                      (z.B. im PGW-Unterricht: Ich hoffe, dass Herr
                                                        Lein sich durchaus in der Lage sieht, nicht nur
Formal                                                  SPD-Politik zu vertreten!).
● Warum wurden ausschließlich gegen den RU            ● Hat Herr Lein verstanden, dass es beim Thema
  ausgerichtete Positionen in die hlz aufgenom-         Religion, vor allem im RU, nicht um „richtig“
  men?                                                  oder „falsch“ geht oder geht er womöglich im-
● Warum wurden suggestive Überschriften wie             mer noch von einem völlig verzerrten Verständ-
  „Scheinliberal“ ausgewählt?                           nis des Phänomens Religion aus?
● Warum unterzeichnet Herr Lein mit „Ehemali-
  ger Schulleiter einer Stadtteilschule“ und nennt    Inhaltlich zum RU
  nicht seine für die Darlegung relevante Mitar-      ● Entgegen einer häufig vertretenen Darstellung,
  beit im Säkularen Forum Hamburg?                      im RU gehe es in erster Linie um Vermittlung
● Stimmt es, dass Hamburg als letztes Bundesland        von Religion, spricht man heute eher von
  mit den Kirchen etc. Verträge geschlossen hat?        Aneignungsprozessen, d.h., die Schüler_innen
  (Ich denke nicht.)                                    werden als eigenständige Personen gesehen, die
● Warum werden 65,2 Prozent (die nicht evange-          ihre eigene Religiosität bzw. Weltanschauung
  lisch oder katholisch sind) zusammengefasst als       weiter entwickeln und verantworten.
  „Konfessionslose und andere“? Soll die Zahl         ● Die eigene Position entwickeln zu können setzt
  schön groß erscheinen? Unter den 65,2 Prozent         Offenheit voraus, weshalb insbesondere der
  werden nicht nur die genannten ca. 8 Prozent          RU für alle in Hamburg, der nicht mono-kon-
  Muslime, sondern auch alle anderen Religions-         fessionell orientiert ist, bereits seit langem die
  gemeinschaften einfach vereinnahmt.                   dialogische Begegnung fördert. Ich denke, dass
● Von meiner GEW erwarte ich vor allem eine             die Schüler_innen so befähigt werden können,
  ausgewogene Darstellung von Themen und                zwischen lebensfreundlichen und lebensfeindli-
  nicht eine einseitige Stellungnahme gegen             chen Angeboten zu unterscheiden.
  einzelne Fächer.                                    ● Die Lehrkraft ist nicht als „Wahrheitsvermitt-
                                                        ler_in“ tätig, sondern wird die Schüler_innen
Inhaltlich zu Herrn Lein                                einladen, sich mit interessanten und aktuellen
● RU ist bekenntnisorientiert, aber kein (wie von       religiösen und ethischen Fragen zu beschäfti-
  Lein suggeriert) mono-konfessioneller RU.             gen. Dabei ist der RU oft die einzige Möglich-
● Der RU für alle ist nicht „neuerdings“ dialo-         keit für SuS, sich einmal kritisch auch mit der
  gisch, sondern seit vielen Jahrzehnten.               eigenen Religion auseinanderzusetzen.
● Die beteiligten Religionen schließen sich nicht
  zu einer „Wagenburg“ (was soll mit dieser           Mein Religionsunterricht jedenfalls
  Fundamentalismus/Tunnelblick suggerierenden         ist gekennzeichnet von:
  Aussage erreicht werden?) zusammen, sondern         ● einer wertschätzenden Herangehensweise an an-
  kooperieren in einem positiven Sinne.                 dere religiöse und nicht-religiöse Auffassungen,
● Warum soll sich Hamburg keine Akademie der            die über Toleranz (als reine Duldung verstan-
  Weltreligionen „leisten“? Sie hat einen großen        den) hinaus geht
  Anteil daran, dass der RU für alle in Richtung      ● demEntdecken möglicher Gemeinsamkeiten und
  auf mehr Kooperation weiter entwickelt werden         dem Aushalten unterschiedlicher Auffassungen
  konnte. (Kleine Anekdote am Rande: Bereits          ● der (selbst)kritischen Auseinandersetzung auch
  bei der Gründungsveranstaltung der AWR an             mit der eigenen Religion/Weltanschauung
  der Uni Hamburg protestierten die Säkularen         ● der Betrachtung von Vielfalt als Normalität und
  beleidigt im Foyer und verteilten ihre Flyer, auf     Bereicherung
  denen sie einforderten, bei der Akademie der        ● dem Lernen, mit der „Wahrheitsfrage“ umzuge-
  WELTRELIGIONEN berücksichtigt zu werden               hen (im RU findet keine Missionierung statt)
  und doch bitte mitarbeiten zu dürfen!)              ● Differenzen, die wertschätzend zum Thema

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gemacht werden                                        Klasse zusammensitzen. Sie lassen sich nicht
● Besuchen außerschulischer Lernorte                    erreichen, wenn die Kinder dafür getrennt werden.
● Besuchen der Langen Nacht der Weltreligionen             Der Ansatz in Hamburg, einen konfessions-
  im Thalia-Theater                                     übergreifenden Religionsunterricht für Alle (!) zu
● der Thematisierung von Einflüssen wie Gender,         praktizieren, enthält genau dieses Potential: Hier
  Kultur, Sprache, etc.                                 sitzen alle Kinder zusammen, hören die Geschich-
● Bildern/Symbolen, die es zu entschlüsseln gilt,       ten aus den unterschiedlichen Religionen, setzen
  um Bildersprache kommunizierbar zu machen             sich mit den Wert- und Moralvorstellungen darin
Folgendes Zitat der Journalistin und Integrations-      auseinander und erzählen sich gegenseitig, wie
beauftragten Güner Balci aus Erziehung und Wis-         und ob sie an einen Gott, göttliche Kräfte oder
senschaft 1/2021 (S.39) bringt es auf den Punkt:        mehrere Götter glauben. Sie hören, wie ihre Klas-
„Die Beschäftigung mit religiösen Fragen kann           senkamerad_innen darüber denken und wie diese
Kindern – unabhängig davon ob sie aus einem             ihre Religionen oder atheistischen Überzeugungen
religiösen Haushalt kommen oder nicht – sehr viel       in ihren Familien leben; und sie reflektieren dabei
mitgeben auf ihrer Suche nach Identität und Sinn.       ihre eigenen Vorstellungen. Das trägt zu der viel
Nur wenn es die Institution Schule schafft, auch        geforderten Ambiguitätstoleranz bei. Eine Tren-
dieses Bedürfnis abzubilden, kann man erreichen,        nung der Klassengemeinschaft tut dies nicht!
dass Kinder und Jugendliche selbstbestimmt ihre            Wir sollten überlegen, wie wir einen echten
Religion entdecken und Dogmen hinterfragen.“            konfessionsübergreifenden Religionsunterricht,
Mit ärgerlichen Grüßen                                  der auch Atheisten und Kritiker mit einschließt
             THOMAS SPÄNHOFF, Lessing-Stadtteilschule   und frei von Missionierungsverdacht ist, hinbe-
                                                        kommen. Vielleicht muss dafür der Name des
                                                        Faches geändert werden, vielleicht müssen die
Sich gegenseitig beflügeln                              Religionsgemeinschaften ihren Kreis auch für
Noch ein Leserinnenbrief zu hlz 12/2020, S.38ff         Atheisten öffnen. Das sollen die Juristen lösen.
   Als Lehrerin, die einige Jahre Religion an der       Ich würde es sehr bedauern, wenn die gemein-
Grundschule unterrichtet und Referendar_innen           samen und gewinnbringenden Gespräche in den
im Fach Religion ausgebildet hat, möchte ich            Klassen im Religionsunterricht wieder abgeschafft
auf den Wert des Religionsunterrichts in seiner         werden würden.
jetzigen Form hinweisen. Die Fragen sind nicht:                                               ANNA LAUTER
Wie können wir das Recht auf Religionsfreiheit                  Sonderpädagogin an der Grundschule Ohrnsweg
in der Schule durchsetzen? Oder: Welche Alter-
nativen muss es in der Schule
geben, damit Eltern ihre Kinder       Arbeitskreis zum Thema –
vom Religionsunterricht abmel-        wer macht mit?
den können? Sondern die Frage
muss lauten: Wie können wir             In der letzten Ausgabe der hlz (12/2020) stand auf den Seiten
unsere Kinder so bilden, dass sie     28-45 eine Artikelreihe zum Religionsunterricht in Hamburg sowie
über die verschiedenen Religio-       eine Grundschul-Alternative Philosophie.
nen Bescheid wissen und immer           Damit es nicht nur bei nachdenklichen Artikeln bleibt und bei
wieder miteinander ins Gespräch       der Aufforderung, dass „die GEW“ Lösungen erarbeiten möge (S.
kommen, um nicht in Vorurteile        40), möchten wir Autoren (und GEW-Mitglieder) Kerstin Michalik
zu verfallen?                         und Gerhard Lein gemeinsam mit Dora Heyenn einen befristeten
                                      Arbeitskreis anbieten, in dem die Hamburger Situation weiter er-
Unsere Ziele für alle Kinder          örtert, Lösungen gesucht und ein Antrag für den Hamburger Ge-
müssen doch sein:                     werkschaftstag erarbeitet werden. Der Gewerkschaftstag wird vo-
   ● gemeinsam ins Gespräch           raussichtlich im Mai stattfinden. Das erste Treffen soll stattfinden
kommen über Gottesvorstellun-         am Donnerstag, 25. Februar 2021 um 17 Uhr. Kolleg_innen, die
gen, Spiritualität und Atheismus;     mitmachen wollen, melden sich bitte bei Gerhard Lein (T. 0162 132
   ● das Kulturgut „Geschichten       33 67 oder post@gerhardlein.de). Da derzeit unklar ist, wann wir
aus den Religionen“ kennenlernen uns wieder physisch im Curio-Haus treffen können, möchten wir
und sich damit auseinandersetzen. Interessen_innen bitten, auch zu virtueller Kommunikation bereit
   Diese Ziele lassen sich nur        zu sein.
erreichen, wenn alle Kinder einer

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 1-2/2021                                                               57
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