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www.ssoar.info Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie - Ergebnisse der COPSY- Studie Ravens-Sieberer, Ulrike; Kaman, Anne; Otto, Christiane; Adedeji, Adekunle; Napp, Ann-Kathrin; Becker, Marcia; Blanck-Stellmacher, Ulrike; Löffler, Constanze; Schlack, Robert; Hölling, Heike; Devine, Janine; Erhart, Michael; Hurrelmann, Klaus Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Ravens-Sieberer, U., Kaman, A., Otto, C., Adedeji, A., Napp, A.-K., Becker, M., ... Hurrelmann, K. (2021). Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie - Ergebnisse der COPSY-Studie. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 64(12), 1512-1521. https://doi.org/10.1007/s00103-021-03291-3 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer CC BY Lizenz (Namensnennung) zur This document is made available under a CC BY Licence Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden (Attribution). For more Information see: Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de Diese Version ist zitierbar unter / This version is citable under: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-77826-0
Leitthema Bundesgesundheitsbl 2021 · 64:1512–1521 Ulrike Ravens-Sieberer1 · Anne Kaman1 · Christiane Otto1 · Adekunle Adedeji1 · https://doi.org/10.1007/s00103-021-03291-3 Ann-Kathrin Napp1 · Marcia Becker1 · Ulrike Blanck-Stellmacher1 · Eingegangen: 26. Oktober 2020 Constanze Löffler1 · Robert Schlack2 · Heike Hölling2 · Janine Devine1 · Angenommen: 28. Januar 2021 Online publiziert: 1. März 2021 Michael Erhart1,3,4 · Klaus Hurrelmann5 1 © Der/die Autor(en) 2021 Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland 2 Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Fachgebiet Psychische Gesundheit, Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland 3 Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland 4 Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft, Bremen, Deutschland 5 Hertie School, Berlin, Deutschland Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19- Pandemie – Ergebnisse der COPSY-Studie Einleitung schen Problemen bei Kindern und Ju- Angst (62 %) bei Kindern während des gendlichen führen können [1, 2]. Ein Lockdowns [7]. Zusammenhänge zwi- Durch die Coronavirus-Krankheit- Rapid-Review (schnelle Evidenzsynthe- schen Angst und der COVID-19-Pan- 2019(COVID-19)-Pandemie und die se) fand 7 präpandemische Studien, demie fanden sich auch in einer aktuel- damit einhergehende Implementierung die beschreiben, dass Quarantäne zu len Studie aus Brasilien [8]. In Studien von Infektionsschutzmaßnahmen wie Isolationsgefühlen, Stigmatisierung und aus den USA berichten Eltern von einer Quarantäne und Kontaktbeschränkun- Angst führen kann. Als häufigste in dem schlechteren psychischen Gesundheit ih- gen kam es zu massiven Veränderungen Zusammenhang auftretende psychische rer Kinder [9, 10] und in einer deutsch- des täglichen Lebens. Innerhalb weni- Störungen wurden die akute Belastungs- landweiten Studie gaben 18 % der Eltern ger Tage hatte sich seit März 2020 das reaktion, Anpassungsstörungen, Trauer an, dass sich ihre Kinder häufig Sor- Leben von 13 Mio. Kindern und Ju- und posttraumatische Belastungsstörun- gen wegen der Coronakrise machen [11]. gendlichen in Deutschland schlagartig gen gefunden. Zwei Studien, die während Nichtrepräsentative Studien aus Spani- verändert. Schulen und Kitas wurden der COVID-19-Pandemie durchgeführt en und Italien weisen ebenfalls darauf geschlossen, Spielplätze waren gesperrt, wurden, berichten von Unruhe, Gereizt- hin, dass Verhaltensprobleme, Reizbar- der Kontakt zu Freunden und Angehö- heit, Anhänglichkeit und Unaufmerk- keit und Einsamkeit bei Kindern und Ju- rigen war eingeschränkt und die Kinder samkeit sowie von einem zunehmenden gendlichen während der Pandemie zuge- und Jugendlichen konnten ihren ge- Medienkonsum bei Kindern und Ju- nommen haben [3, 12]. Die nach unseren wohnten Freizeitaktivitäten nicht mehr gendlichen während der Quarantäne [3, Recherchen erste längsschnittliche Studie nachgehen. 4]. stammt aus England und belegt, dass de- Diese abrupten Veränderungen kön- Nichtrepräsentative Studien aus Chi- pressive Symptome unter Kindern und nen für Kinder und Jugendliche kri- na zeigen, dass die COVID-19-beding- Jugendlichen während des Lockdowns tische Lebensereignisse sein. Aus der ten Isolations- und Lockdownmaßnah- deutlich zugenommen haben [13]. Forschungsliteratur ist bekannt, dass men mit depressiven Symptomen (23 % Während Kinder und Jugendliche ver- kritische Lebensereignisse zu psychi- bis 44 %) und Angstsymptomen (19 % gleichsweise selten an COVID-19 erkran- bis 37 %) bei Kindern einhergehen [5, ken und meist einen milden oder asym- DieAutorinnenU.Ravens-SiebererundA.Kaman 6]. Eine Studie aus Indien berichtet über ptomatischen Krankheitsverlauf aufwei- teilen sich die Erstautorenschaft. Sorgen (69 %), Hilflosigkeit (66 %) und sen [14], legen die oben genannten Stu- 1512 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021
dien nahe, dass deren psychische Ge- 19-Pandemie zum Vergleich mit der naire, SDQ [21]), generalisierte Ängst- sundheit während der Pandemie deut- COPSY-Stichprobe genutzt. lichkeit (Screen for Child Anxiety Re- lich gefährdet ist. Kinder und Jugend- Die COPSY-Studie wurde vom 26.05. lated Emotional Disorders, SCARED liche stehen vor entwicklungsbedingten bis zum 10.06.2020 vom Universitäts- [22]) und depressive Symptome (Center Herausforderungen wie dem Erwerb von klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) for Epidemiological Studies Depression Bildung und sozialer Kompetenz [15], in Zusammenarbeit mit der Infratest Scale for Children, CES-DC [23] und der während der COVID-19-Pandemie dimap Gesellschaft für Trend- und Patient Health Questionnaire, PHQ [24]) erschwert ist. Wahlforschung mbH bundesweit durch- zu erheben. Um die psychische Gesundheit, Le- geführt. Während dieser Zeit befand Darüber hinaus wurde das Belas- bensqualität und Belastung von Kindern sich Deutschland noch unter einem mo- tungserleben der Kinder und Jugend- und Jugendlichen während der Pande- deraten Lockdown. Erste Schulen und lichen sowie von deren Eltern mithilfe mie zu erfassen, wurde die COPSY- Freizeiteinrichtungen wurden langsam eines selbst entwickelten Items erfasst Studie (Corona und Psyche) initi- wieder geöffnet und Kontaktbeschrän- („Wie belastend waren Veränderungen iert. Sie ist unseres Wissens die erste kungen wurden gelockert. Kinder und im Zusammenhang mit der Corona- deutschlandweite repräsentative Stu- Jugendliche sowie deren Eltern wurden Krise für Sie/dich insgesamt?“; 5-stufige die zur psychischen Gesundheit und zu den Auswirkungen der ersten Welle Antwortskala von 1 = gar nicht belastend Lebensqualität von Kindern und Ju- der COVID-19-Pandemie und der damit bis 5 = äußerst belastend). Des Weiteren gendlichen während der COVID-19- verbundenen Maßnahmen auf die psy- wurden folgende Aspekte des Gesund- Pandemie, in der auch die Kinder und chische Gesundheit und Lebensqualität heitsverhaltens der Kinder und Jugendli- Jugendlichen selbst befragt werden. Die befragt. chen erfasst. Der Medienkonsum wurde COPSY-Studie nutzt dabei das Befra- Insgesamt wurden n = 3597 Familien anhand von 2 selbst entwickelten Items gungsinventar der repräsentativen lon- mit Kindern und Jugendlichen im Al- erfragt („Wie viele Stunden verbringst du gitudinalen BELLA-Studie (Befragung ter von 7 bis 17 Jahren zur Teilnahme zurzeit insgesamt pro Tag mit Compu- zum seelischen Wohlbefinden und an der COPSY-Studie eingeladen. Die ter, Smartphone, Tablets, Spielekonsole Verhalten), wodurch ein Vergleich der Familien wurden kontaktiert, über die (d. h. digitalen Medien) für schulische psychischen Gesundheit vor und wäh- Studie informiert und um ihre Einwilli- Aufgaben/für private Angelegenheiten?“ rend der Pandemie möglich ist. Darüber gung zur Teilnahme gebeten. Insgesamt (Angaben in Stunden) sowie „Und ist das hinaus soll untersucht werden, welche haben n = 1586 Eltern von 7- bis 17-jäh- im Vergleich zur Zeit vor der Corona- Kinder und Jugendlichen besonders rigen Kindern und Jugendlichen sowie Krise . . . ?“ (Antwortoptionen: 1 = viel durch die Auswirkungen der COVID- n = 1040 Kinder und Jugendliche im Al- weniger bis 5 = viel mehr)). Die körperli- 19-Pandemie belastet werden und welche ter von 11 bis 17 Jahren an der Studie teil- che Aktivität wurde unter Nutzung eines Unterstützung nötig ist. genommen und den Fragebogen online Items aus der internationalen HBSC- ausgefüllt. Es wurde ein Gewichtungs- Studie erhoben („An wie vielen Tagen Methoden faktor berechnet, damit die Stichprobe in hast du dich in der letzten Woche für den wesentlichen Merkmalen der Struk- mindestens 60 Minuten körperlich an- Studiendesign und Stichprobe tur der Grundgesamtheit der Eltern von gestrengt?“), welches auf einer 8-stufigen Kindern im Alter von 7 bis 17 Jahren in Skala beantwortet wurde (1 = 0 Tage bis Die COPSY-Studie wurde in Anlehnung Deutschland laut aktuellem Mikrozen- 8 = 7 Tage). Das Ernährungsverhalten an das Design und die Methodik der sus (2018) entspricht. Die COPSY-Studie der Kinder und Jugendlichen wurde repräsentativen longitudinalen BELLA- wurde vorab von der Lokalen Psycholo- mithilfe eines selbst entwickelten Items Kohortenstudie konzipiert. Die BELLA- gischen Ethikkommission am Zentrum erfasst („Wenn du nochmals an die Zeit Studie ist das Modul zur psychischen für Psychosoziale Medizin (LPEK) des vor der Corona-Krise denkst: Hast du Gesundheit der Studie zur Gesund- UKE ethisch und fachrechtlich beraten in der letzten Woche weniger, gleich viel heit von Kindern und Jugendlichen in (LPEK-0151) sowie vom Datenschutzbe- oder mehr Süßigkeiten als vor der Coro- Deutschland (KiGGS), welche seit 2003 auftragten des UKE begleitet. na-Krise gegessen?“; Antwortoptionen: in Kooperation mit dem Robert Koch- 1 = viel weniger bis 5 = viel mehr). Institut durchgeführt wird [16, 17]. In Erhebungsverfahren Des Weiteren wurden die Eltern mit- der BELLA-Studie wurden Kinder und hilfe von 3 selbst entwickelten Items Jugendliche sowie deren Eltern mittels Gemäß den Empfehlungen des Interna- zu ihrem Unterstützungsbedarf befragt international etablierter Instrumente zur tional Consortium for Health Outcomes („Würden Sie sich im Umgang mit Ihrem psychischen Gesundheit und Lebens- Measurement (ICHOM; [19]) wurden Kind während der Corona-Krise Unter- qualität befragt (nähere Informationen international etablierte Fragebögen ein- stützung wünschen?“ (Antwortoptionen: zur BELLA-Studie finden sich bei [17, gesetzt, um die gesundheitsbezogene 1 = nein, nie bis 4 = ja, immer), „In wel- 18]). Die resultierenden umfangreichen Lebensqualität (KIDSCREEN-10-In- chen Bereichen hätten Sie gern Unterstüt- Datensätze wurden als bevölkerungsba- dex [20]), psychische Auffälligkeiten zung?“ (Antwortoptionen siehe . Abb. 4) sierte Referenzdaten vor der COVID- (Strenghts and Difficulties Question- sowie „Wie möchten Sie diese Unter- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021 1513
Zusammenfassung · Abstract Bundesgesundheitsbl 2021 · 64:1512–1521 https://doi.org/10.1007/s00103-021-03291-3 © Der/die Autor(en) 2021 U. Ravens-Sieberer · A. Kaman · C. Otto · A. Adedeji · A.-K. Napp · M. Becker · U. Blanck-Stellmacher · C. Löffler · R. Schlack · H. Hölling · J. Devine · M. Erhart · K. Hurrelmann Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse der COPSY-Studie Zusammenfassung Hintergrund. Die mit der COVID-19- wurden international etablierte Instrumente besonders stark. Zwei Drittel der Eltern Pandemie einhergehenden Veränderungen zur Erfassung von gesundheitsbezogener wünschten sich Unterstützung im Umgang und Kontaktbeschränkungen können das Lebensqualität, psychischen Auffälligkeiten, mit ihrem Kind. psychische Wohlbefinden von Kindern und Ängstlichkeit und depressiven Symptomen Diskussion. Die COVID-19-Pandemie führt zu Jugendlichen beeinflussen. eingesetzt. Die Daten wurden mittels einer psychischen Gesundheitsgefährdung Ziel der Arbeit. COPSY ist die erste deutsch- deskriptiver Statistiken und bivariater Tests der Kinder und Jugendlichen, auf die landweite repräsentative Studie, welche die ausgewertet. präventiv mit niedrigschwelligen und psychische Gesundheit und Lebensqualität Ergebnisse. 71 % der Kinder und Jugendlichen zielgruppenspezifischen Angeboten in der von Kindern und Jugendlichen während der und 75 % der Eltern fühlten sich durch die Schule, in der ärztlichen Praxis und in der Pandemie untersucht. Die Ergebnisse werden erste Welle der Pandemie belastet. Im Gesellschaft im Sinne des Kinderschutzes mit denen der repräsentativen longitudinalen Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie reagiert werden sollte. BELLA-Studie aus der Zeit vor der Pandemie gaben die Kinder und Jugendlichen eine verglichen. geminderte Lebensqualität an, der Anteil von Schlüsselwörter Material und Methoden. Vom 26.05. bis Kindern und Jugendlichen mit psychischen Coronavirus · Psychische Gesundheit · zum 10.06.2020 wurden n = 1586 Eltern mit Auffälligkeiten hat sich in etwa verdoppelt Gesundheitsbezogene Lebensqualität · 7- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen, und ihr Gesundheitsverhalten hat sich Depressive Symptome · Ängstlichkeit von denen n = 1040 11- bis 17-Jährige auch verschlechtert. Sozial benachteiligte Kinder Selbstangaben machten, befragt. Dabei erlebten die Belastungen durch die Pandemie Mental health and psychological burden of children and adolescents during the first wave of the COVID-19 pandemic—results of the COPSY study Abstract Background. The drastic changes during the 7- to 17-year-old children and adolescents, thirds of the parents would like to receive COVID-19 pandemic may have a negative of whom n = 1040 11- to 17-year-olds also support in coping with their child during the impact on the psychological wellbeing of provided self-reports, from 26 May to 10 June pandemic. children and adolescents. 2020. Data were analyzed using descriptive Conclusions. The COVID-19 pandemic Objectives. COPSY is the first national, statistics and bivariate tests. poses a mental health risk to children and representative German study to examine Results. Seventy-one percent of the children adolescents. Schools, doctors, and society are mental health and quality of life of children and adolescents and 75% of the parents felt called to react by providing low-threshold and and adolescents during the pandemic. Results burdened by the first wave of the COVID- target-group-specific prevention and mental are compared with data of the representative 19 pandemic. Compared to the time before health promotion programs. longitudinal BELLA study conducted before the pandemic, the children and adolescents the pandemic. reported a lower health-related quality of life, Keywords Materials and methods. Internationally the percentage of children and adolescents Coronavirus · Mental health problems · Health- established instruments for measuring health- with mental health problems almost doubled, related quality of life · Depressive symptoms · related quality of life and mental health and their health behavior worsened. Socially Anxiety (including anxiety and depressive symptoms) disadvantaged children felt particularly were administered to n = 1586 parents with burdened by the COVID-19 pandemic. Two- stützung bekommen?“ (Antwortoptio- hilfegruppe für Eltern, 12 = Schule/Lehrer, durchgeführt. Signifikante Unterschiede nen: 1 = Schriftliches Online-Material, 13 = Sonstiges)). zwischen Gruppen wurden bei einem 2 = Online-Videos, 3 = Fernsehsendungen, Signifikanzniveau von p < 0,05 ange- 4 = Podcasts, 5 = Telefonische Hotline, Statistische Analysen nommen. Es wurden keine statistischen 6 = Online-Hotline, 7 = Persönliche Un- Adjustierungen für Alter und Geschlecht terstützung von anderen Eltern (online), Die Datenauswertung erfolgte mithilfe vorgenommen, da die Alters- und Ge- 8 = Unterstützung von Freunden, Bekann- deskriptiver Statistiken (absolute und schlechtsstruktur der untersuchten Kol- ten oder der Familie, 9 = Persönliche Un- relative Häufigkeiten, Mittelwerte und lektive aufgrund der Gewichtung auf die terstützung von Experten (online oder Standardabweichungen) sowie biva- Bevölkerungsverhältnisse als vergleich- telefonisch), 10 = Persönliches Gespräch riater Tests (Chi-Quadrat-Tests). Alle bar angesehen werden kann. Auch für mit einem Experten, 11 = Online-Selbst- Analysen wurden mit SPSS Version 26 Subgruppenanalysen (Migrationshinter- 1514 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021
Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe liche Alter der Eltern betrug 43,99 Jah- Eltern von Kindern im Alter von Kinder und Jugendliche im Alter re (SD = 7,36). Die Mehrheit der Kinder 7 bis 17 Jahren von 11 bis 17 Jahren und Jugendlichen hatte keinen Migra- (n = 1586) (n = 1040) tionshintergrund (84,0 %). Die meisten n (%) M (SD) n (%) M (SD) Eltern hatten ein mittleres Bildungsni- Alter des Kindes – 12,25 (3,30) – 14,33 (1,86) veau (55,7 %), waren verheiratet (69,2 %) Geschlecht des Kindes und in Vollzeit angestellt (51,7 %). Weite- Männlich 791 (49,9) – 508 (48,8) – re Charakteristika der Studienpopulation Weiblich 793 (50,0) – 531 (51,1) – sind in . Tab. 1 beschrieben. Divers 1 (0,1) – 1 (0,1) – Keine Angabe 1 (0,1) – – – Belastungserleben in der ersten Alter der Eltern – 43,99 (7,36) – 46,28 (6,74) Welle der COVID-19-Pandemie Migrationshintergrund der Kinder Nein 1332 (84,0) – 879 (84,5) – Insgesamt fühlten sich 70,7 % der Kin- der und Jugendlichen und 75,4 % der El- Ja 254 (16,0) – 161 (15,5) – tern durch die Pandemie und die damit Elterliche Bildunga einhergehendenVeränderungenbelastet. Niedrig 288 (18,2) – 192 (18,5) – Die Kinder und Jugendlichen fühlten sich Mittel 884 (55,7) – 548 (52,7) – vor allem dadurch belastet, dass sie das Hoch 383 (24,1) – 277 (26,6) – Homeschooling als anstrengend empfan- Keine Angabe 31 (2,0) – 23 (2,2) – den (64,4 %), weniger Kontakt zu ihren Familienstand der Eltern Freunden hatten (82,8 %) und es häufiger Ledig 140 (8,8) – 87 (8,4) – Streit in der Familie gab (27,6 %). Drei Verheiratet 1097 (69,2) – 717 (68,9) – Viertel der Eltern (79,0 %) empfanden die In einer festen Bezie- 216 (13,6) – 125 (12,0) – Veränderung ihrer beruflichen Situation hung belastend. In einer eingetragenen 13 (0,8) – 8 (0,8) – Lebenspartnerschaft Lebensqualität in der ersten Welle Geschieden 108 (6,8) – 92 (8,8) – der COVID-19-Pandemie Verwitwet 12 (0,8) – 11 (1,1) – Berufstätigkeit der Eltern Die Lebensqualität der Kinder und Angestellt in Vollzeit 820 (51,7) – 561 (53,9) – Jugendlichen – gemessen mit dem Angestellt in Teilzeit 453 (28,6) – 286 (27,5) – KIDSCREEN-10-Index – hat sich im Selbstständig 67 (4,2) – 49 (4,7) – Vergleich zu der Zeit vor der COVID- Anderes Beschäfti- 32 (2,0) – 22 (2,1) – 19-Pandemie deutlich verschlechtert: So gungsverhältnis gaben 40,2 % (n = 418 [37,1 %; 43,1 %]) Hausfrau/Hausmann 109 (6,9) – 61 (5,9) – der befragten 11- bis 17-jährigen Kinder Rentner/Pensionär 34 (2,1) – 27 (2,6) – und Jugendlichen (n = 1040) während In Elternzeit 29 (1,8) – 7 (0,7) – der Coronakrise selbst eine geminderte Nicht berufstätig 42 (2,6) – 27 (2,6) – gesundheitsbezogene Lebensqualität an, M Mittelwert, SD Standardabweichung in der BELLA-Studie vor der Krise war a Die Differenzierung in Eltern mit niedrigem, mittlerem und hohem Bildungsniveau erfolgte anhand dies nur bei 15,3 % (n = 146 [13,0 %; der international etablierten CASMIN-Klassifikation (Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial 17,6 %]) der Kinder und Jugendlichen Nations) der Fall [25]. Die in der COPSY-Studie befragten Eltern der 7- bis 17-Jährigen (n = 1586) berichteten für 41,9 % (n = 664 grund, Bildungsstatus) erfolgte keine de mithilfe der Intraklassenkorrelation [39,5 %; 44,3 %]) ihrer Kinder eine ge- Adjustierung, da sich diese Gruppen in geprüft (einzelne Rater, absolute Über- minderte Lebensqualität, für 54,9 % A-priori-Analysen nicht nennenswert in einstimmung). (n = 870 [52,5 %; 57,4 %]) eine mittlere ihrer Alters- und Geschlechtsstruktur und für 3,2 % (n = 52 [29,7 %; 34,3 %]) ei- unterschieden (Ergebnisse nicht be- Ergebnisse ne hohe Lebensqualität. Folgend werden richtet). Zum Vergleich der T-Werte, die Verteilungen der Itemantworten zur die aus dem Eltern- und Selbstbericht Insgesamt nahmen n = 1586 Familien mit Lebensqualität aus der COPSY-Studie des KIDSCREEN-10-Index resultieren, Kindern im Alter von 7 bis 17 Jahren dargestellt (. Abb. 1 gemäß Selbstbericht wurde ein gepaarter t-Test durchgeführt. (M = 12,25; SD = 3,30; 50,0 % weiblich) an der 11- bis 17-Jährigen, . Abb. 2 gemäß Die zugehörige Interraterreliabilität wur- derCOPSY-Studie teil. Das durchschnitt- Elternbericht für 7- bis 17-Jährige). Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021 1515
Leitthema Abb. 1 8 Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie. Antworten der 11- bis 17-Jährigen (KIDSCREEN-10-Index, n = 1040), Zeitraum: 26.05.–10.06.2020, Ergebnisse der COPSY-Studie. Anteile jeweils in ganzzahligen Prozentwerten. Sternchen Antwortoptionen: sehr, ziemlich, mittelmäßig, einwenig und überhaupt nicht Abb. 2 8 Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie. Antworten der Eltern von 7- bis 17-Jährigen (KIDSCREEN-10-Index, n = 1568), Zeitraum: 26.05.–10.06.2020, Ergebnisse der COPSY-Studie. Anteile jeweils in ganzzahligen Prozentwerten. Sternchen Antwortoptionen: sehr, ziemlich, mittelmäßig, ein wenig und überhaupt nicht 1516 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021
Tab. 2 Ängstlichkeit vor und während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie aus Sicht der Kinder und Jugendlichen. Daten der BELLA- und COPSY- Studie im Vergleich BELLA Studie (n = 1333) COPSY-Studie (n = 1040) Teststatistik „trifft genau oder häufig „trifft genau oder häufig zu“ zu“ Items zur Erfassung generalisierter n % [95 %-Konfidenzin- n % [95 %-Konfidenzin- Chi2 Df p-Wert Effekt- Ängstlichkeit (SCARED-D) tervall] tervall] stärke φ 1 Ich mache mir Sorgen darüber, ob ande- 70 5,3 % [4,1 %; 6,4 %] 136 13,1 % [11,0 %; 15,2 %] 43,13 1 < 0,001 0,14 re Menschen mich mögen 2 Ich bin nervös 62 4,7 % [3,5 %; 5,8 %] 49 4,7 % [3,4 %; 6,0 %] < 0,01 1 0,945 – 3 Ich mache mir Sorgen, ob ich genauso 54 4,1 % [3 %; 5,1 %] 140 13,5 % [11,4 %; 15,5 %] 68,76 1 < 0,001 0,17 gut bin wie andere Kinder 4 Ich mache mir Sorgen, ob alles gut läuft 114 8,6 % [7,1 %; 10,1 %] 150 14,4 % [12,3 %; 16,6 %] 20,31 1 < 0,001 0,09 5 Ich bin jemand, der sich viele Sorgen 130 9,8 % [8,2 %; 11,3 %] 133 12,8 % [10,8 %; 14,8 %] 5,46 1 0,019 0,05 macht 6 Andere sagen mir, dass ich mir zu viele 61 4,6 % [3,5 %; 5,7 %] 115 11,1 % [9,2 %; 13,0 %] 35,74 1 < 0,001 0,12 Sorgen mache 7 Ich mache mir Sorgen darüber, was in 169 12,7 % [10,9 %; 14,5 %] 140 13,5 % [11,4 %; 15,6 %] 0,32 1 0,574 – der Zukunft geschehen wird 8 Ich bin unsicher, ob ich meine Sache gut 71 5,3 % [4,1 %; 6,5 %] 132 12,7 % [10,7 %; 14,8 %] 40,52 1 < 0,001 0,13 mache 9 Ich mache mir Sorgen über Dinge, die 51 3,8 % [2,8 %; 4,9 %] 92 8,9 % [7,1 %; 10,6 %] 26,00 1 < 0,001 0,10 bereits geschehen sind Angegeben ist jeweils die Anzahl/der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die trifft genau oder häufig zu angegeben haben (Antwortoptionen: 0 = trifft nicht oder fast nie zu, 1 = trifft manchmal oder etwas zu, 2 = trifft genau oder häufig zu). Effektstärken, die auf kleine Effekte hinweisen, sind fett gedruckt (die verbleibenden Effekte für Items 4 und 5 sind aufgrund der geringen Effektstärke zu vernachlässigen). Die Teststatistik zeigt Resultate von Chi2-Tests zum Vergleich der Items über beide Studien (Vierfeldertafel; hierfür wurden je Item und je Studie 2 Gruppen gebildet (Antwortoption 0 versus 1 und 2)) Der Mittelwert der Lebensqualität und Jugendlichen während der COVID- Jugendlichen erlebte beinahe jeden Tag (KIDSCREEN-10-Index) aus dem El- 19-Pandemie Symptome einer generali- bzw. an mehr als der Hälfte der Tage Nie- ternbericht liegt für 7- bis 17-Jährige sierten Angststörung (erhoben mit der dergeschlagenheit, Schwermut oder Hoff- bei 41,17. Betrachtet man ausschließlich entsprechenden Subskala des SCARED), nungslosigkeit, 20,0 % (n = 208 [17,6 %; 11- bis 17-Jährige findet sich ein Wert vor der Krise war dies nur bei 14,9 % 22,4 %]) erlebten dies nur an einzelnen von 42,36 und der entsprechende selbst- (n = 198 [13,0 %; 16,8 %]) der Fall [25]. Tagen (überhaupt nicht: 73,5 % (n = 764 berichtete Wert liegt signifikant höher Die Kinder und Jugendlichen gaben [70,8 %; 76,2 %])). bei 45,38 (p < 0,001). Der zugehörige während der Pandemie für sieben Items Intraklassenkorrelationskoeffizient von signifikant höhere Ängstlichkeitswerte Risiken 0,72 weist laut Cicchetti [26] auf eine als vor der Pandemie an, allerdings war gute Übereinstimmung hin. die Stärke der gefundenen Unterschiede Besonders belastet waren Kinder und klein (. Tab. 2). Jugendliche, deren Eltern einen niedri- Psychische Auffälligkeiten in Im Hinblick auf die Häufigkeit depres- gen Bildungsabschluss haben, die einen der ersten Welle der COVID-19- siver Symptome ergab sich bei der Analy- Migrationshintergrund haben und/oder Pandemie se der Summenwerte über die eingesetz- die auf beengtem Raum leben (< 20 m2 ten Items des CES-DC kein interpretier- Wohnfläche/Person). So berichteten Die Prävalenz für psychische Auffällig- barer Unterschied im Vergleich zum Zeit- beispielsweise Kinder, deren Eltern keiten stieg von 17,6 % (n = 273 [15,7 %; raum vor der Pandemie (p > 0,05 [25]). einen niedrigen Bildungsabschluss ha- 19,5 %]) vor der COVID-19-Pandemie Gemäß dem PHQ-2 berichteten lediglich ben, mehr als doppelt so häufig, dass auf 30,4 % (n = 482 [28,1 %; 32,7 %]) wäh- 11,1 % (n = 115 [9,2 %; 13,0 %]) der 11- bis die Veränderungen durch die COVID- rend der Krise. Damit wurden während 17-Jährigen, beinahe jeden Tag bzw. an 19-Pandemie äußerst belastend seien der Pandemie für fast jedes dritte Kind mehrals derHälfte derTage wenig Interes- (. Abb. 3). Darüber hinaus berichtete psychische Auffälligkeiten (erhoben mit se oder Freude an ihren Tätigkeiten gehabt ein Drittel (33,2 %) der Kinder, deren El- dem SDQ) berichtet, während vor der zu haben; 47,3 % der Befragten gaben tern einen niedrigen Bildungsabschluss Pandemie etwa jedes fünfte Kind betrof- dies für einzelne Tage an (n = 492 [44,3 %; aufweisen, das Lernen sei im Vergleich fen war. 50,3 %]; überhaupt nicht: 41,6 % (n = 433 viel anstrengender, während nur ein Darüber hinaus berichteten 24,1 % [38,6 %; 44,6 %])). Ein Anteil von 6,6 % Fünftel (20,4 %) der Kinder mit Eltern, (n = 255 [21,9 %; 27,1 %]) der Kinder (n = 67 [5,1 %; 8,1 %]) der Kinder und die einen hohen Bildungsabschluss auf- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021 1517
Leitthema Abb. 3 9 Belastungsemp- finden der Kinder und Ju- gendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pan- demie stratifiziert nach Bil- dungsstandderEltern.Zeit- raum: 26.05.–10.06.2020, Ergebnisse der COPSY-Stu- die Abb. 4 9 Bereiche, in de- nen Eltern sich Unterstüt- zung wünschen im Zusam- menhang mit ihrem Kind in der ersten Welle der COVID- 19-Pandemie. Zeitraum: 26.05.–10.06.2020, Ergeb- nisse der COPSY-Studie. (Mehrfachnennungen wa- ren möglich; angegeben ist der Prozentsatz der Eltern mit Unterstützungsbedarf, der sich die jeweils genann- te Unterstützung wünsch- te) weisen, das Lernen viel anstrengender Gesundheitsverhalten in der mit der Nutzung von Medien. Darü- wahrnahmen. Von den Eltern mit Mi- ersten Welle der COVID-19- ber hinaus gab ein Fünftel (19,3 %) an, grationshintergrund berichteten 38,4 %, Pandemie gar keinen Sport zu machen, und ein dass das Lernen für ihre Kinder viel an- Viertel (26,3 %) berichtete, etwas bis viel strengender geworden sei, was nur 30,5 % Das Gesundheitsverhalten der Kinder mehr Süßigkeiten als vor der COVID- der Eltern ohne Migrationshintergrund und Jugendlichen (erfasst mit den oben 19-Pandemie zu essen. so empfanden. beschriebenen Items) hat sich während der Pandemie verschlechtert. So berich- Unterstützungsbedarf teten mehr als 2 Drittel (69,9 %) der Kinder und Jugendlichen eine Zunah- Knapp 2 Drittel (63,0 %) der befragten me ihres Medienkonsums. Ein Drittel Eltern wünschten sich im Umgang mit (33,3 %) der Kinder und Jugendlichen ihrem Kind während der COVID-19- verbrachte pro Tag 4 Stunden oder mehr Pandemie Unterstützung. Am häufigsten 1518 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021
wünschten sich Eltern Unterstützung bei tage treten werden. Diese Vermutung gilt COPSY-Studie ist eventuell auf die wäh- der Bewältigung der schulischen Anfor- es in der COPSY-Folgebefragung, wel- rend der Studiendurchführung geltenden derungen ihres Kindes, bei der Rückkehr che während der zweiten Infektionswelle Maßnahmen und die daraus resultieren- des Kindes aus der Isolation und im Um- durchgeführt wird, zu untersuchen. de ausgeprägte räumliche Nähe in den gang mit dem Verhalten, den Gefühlen Die vorliegende Arbeit aus der bun- Familien zurückzuführen. und Stimmungen des Kindes (. Abb. 4). desweiten COPSY-Studie beschreibt im Die COPSY-Studie zeigt, dass sich Auf die Frage, wie bzw. von wem sich Vergleich zu Vorpublikationen [25, 27] drei Viertel der Eltern durch berufliche die Eltern diese Unterstützung wün- Veränderungen in der Lebensqualität, Veränderungen während der Pandemie schen, wurden am häufigsten Schu- Angst und Depressivität vertiefend (auf belastet fühlen und sich mehr Unterstüt- le/Lehrer (65,2 %), Freunde/Familie der Itemebene). Zudem werden erstmals zung wünschen. Aktuelle Studien aus den (26,6 %), online/telefonische Unterstüt- Daten bezogen auf das zunehmend kri- USA zeigen, dass ein Arbeitsplatzver- zung von Experten (20,2 %), persönli- tische Gesundheitsverhalten der Kinder lust und finanzielle Belastungen sowie ches Gespräch mit Experten (19,2 %) und Jugendlichen sowie zum Unter- Schwierigkeiten, die Kinderbetreuung sowie schriftliche Materialien/Ratgeber stützungsbedarf der Eltern berichtet. In zu gewährleisten, Risikofaktoren für die (19,2 %) genannt. bisherigen Publikationen zur COPSY- psychische Gesundheit der Eltern selbst Studie wurde gezeigt, dass während der als auch ihrer Kinder darstellen [9, 10]. Diskussion ersten Welle der Pandemie auch eine Andere aktuelle Studien beschreiben, Zunahme psychosomatischer Beschwer- dass Eltern besonders gestresst sind und Die COPSY-Studie zeigtals erste deutsch- den und psychischer Auffälligkeiten hohe Neurotizismuswerte haben, wenn landweite repräsentative Studie zur psy- wie Hyperaktivität und Probleme mit sie jüngere bzw. viele Kinder haben, chischen Gesundheit und Lebensqualität Gleichaltrigen zu verzeichnen ist [25, alleinerziehend sind oder wenn ihre von Kindern und Jugendlichen während 27]. Diese Ergebnisse stehen im Ein- Kinder emotionale, behaviorale oder der COVID-19-Pandemie, dass sich die klang mit Ergebnissen von Jiao et al. andere psychische Störungen haben [30, Mehrheit der Kinder und Jugendlichen [4], die bei Schulkindern, die in häusli- 31]. Diese Eltern sind gefährdet, sich in Deutschland durch die Pandemie be- cher Quarantäne waren, auch vermehrt während der Pandemie sehr zu erschöp- lastet fühlt. Im Vergleich zum Zeitraum Hyperaktivität und Probleme mit Gleich- fen und ein „Burn-out“ zu entwickeln vor der Pandemie hat sich die Lebens- altrigen fanden. Erwähnenswert ist, dass [32]. Dies sollte bei zukünftigen po- qualität der Kinder und Jugendlichen körperliche Bewegung bzw. Sport zu litischen Entscheidungen im Rahmen verschlechtert, Ängstlichkeit und die Hause helfen konnten, Hyperaktivität weiterer Infektionswellen berücksichtigt Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten abzumildern. Darüber hinaus fanden werden [33]. haben zugenommen, die Depressivität Jiao et al. [4], dass die Ängstlichkeit Nachunserem Kenntnisstand zeigtdie ist (noch) nicht signifikant nachweisbar der Eltern einen negativen Einfluss auf COPSY-Studie erstmals, dass sich das gestiegen, allerdings könnten die Ergeb- die Emotionalität der Kinder hatte. Das Gesundheitsverhalten der Kinder wäh- nisse auf Itemebene eine entsprechende Wechselspiel zwischen der psychischen rend der Pandemie verschlechtert hat: Tendenz andeuten. Gesundheit der Kinder und der der Der Medienkonsum ist hoch, ein Fünftel Die Resultate der COPSY-Studie be- Eltern wird vielfach diskutiert. der Kinder treibt keinen Sport und ein stätigen die Ergebnisse bisheriger Studi- Zur Einschätzung der Lebensqualität Drittel isst mehr Süßigkeiten als vor der en aus China, Indien, den USA, Spanien durch verschiedene Beurteiler zeigt eine COVID-19-Pandemie. Aktuelle interna- und Italien, in denen eine Zunahme von Übersichtsarbeit von Upton et al. [28], tionale Studien weisen in eine ähnliche Angst, Stress und anderen Belastungsre- dass Eltern von gesunden Kindern die Richtung. Beispielsweise zeigte eine ita- aktionen bei Kindern und Jugendlichen Lebensqualität ihrer Kinder höher ein- lienische Studie, dass der Medienkonsum während der ersten Welle der Pandemie schätzen als die Kinder selbst; hingegen von Kindern und Jugendlichen während festgestellt wurde [3, 5–7, 10–12]. Un- schätzen Eltern von kranken Kindern die der Pandemie um 4 Stunden pro Tag zu- sere Resultate zu depressiven Sympto- Lebensqualität ihrer Kinder geringer ein nahm, während die körperliche Aktivität men bei Kindern und Jugendlichen ste- als diese selbst. Dies konnte auch in Studi- um mehr als 2 Stunden pro Tag abnahm hen in (vermeintlichem) Widerspruch zu en zur Interraterübereinstimmung zwi- [34]. Ein erhöhter Konsum von Compu- den Ergebnissen einer aktuellen briti- schen Kindern mit ADHS (Aufmerksam- terspielen während der Pandemie wurde schen Longitudinalstudie, wonach De- keitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) und von King et al. [35] beschrieben. Eine pressionen bei Kindern und Jugendli- deren Eltern nachgewiesen werden [29]. frühere Studie zeigt, dass ein verstärkter chen während der Pandemie bereits zu- Die Pandemie mit ihren Herausforde- Medienkonsum auch mit Veränderun- genommen haben [13]. Aus klinischer rungen ist eine kritische Situation, in der gen von Essgewohnheiten einhergehen Perspektive kann vermutet werden, dass Eltern scheinbar ähnlich wie bei vorlie- kann und somit das Risiko für Überge- die Pandemie zunächst eher zu Angst- gender Erkrankung ihres Kindes, dessen wicht und zugehörige Folgeerkrankun- reaktionen führte und nun mit einem Lebensqualität tendenziell eher geringer gen steigen kann [36]. Eine weitere Studie monatelangen (sozialen) Verstärkerver- als ihr Kind selbst einschätzen. Die gute zur Mediensucht bei Kindern während lust depressive Entwicklungen stärker zu- Übereinstimmung beider Urteile in der der COVID-19-Pandemie weist darauf Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021 1519
Leitthema hin, dass ein Medienmissbrauch nicht lauf mit festen Schlaf- und Essenszeiten Funding. Open Access funding enabled and organi- nur Schlafgewohnheiten negativ beein- Kindern Halt und Sicherheit vermit- zed by Projekt DEAL. flussen, sondern sich auch negativ auf teln kann und dass Zeit an der frischen die Lebensqualität auswirken kann. Die- Luft und Bewegung helfen können, das se Studien lassen vermuten, dass sich Belastungserleben und Risiken für die Einhaltung ethischer Richtlinien die beschriebenen ungünstigen Gesund- psychische Gesundheit von Kindern und heitsverhaltensweisen und die Entwick- Jugendlichen abzubauen. Diese und wei- Interessenkonflikt. U. Ravens-Sieberer, A. Kaman, lung psychischer Erkrankungen gegen- tere Empfehlungen zur Förderung der C. Otto, A. Adedeji, A.-K. Napp, M. Becker, U. Blanck- seitig bedingen und vermutlich verstär- psychischen Gesundheit von Kindern Stellmacher, C. Löffler, R. Schlack, H. Hölling, J. Devine, M. Erhart und K. Hurrelmann geben an, dass kein ken können. Dieses Wechselspiel stellt und Jugendlichen während der Pandemie Interessenkonflikt besteht. mittel- bis langfristig ein Gesundheitsri- finden sich auch zunehmend in wissen- siko für die Kinder und Jugendlichen dar. schaftlichen Publikationen [43–47]. Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustim- Die Entwicklung entsprechender Präven- Die Stärken der vorliegenden Studie mung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang tionsmaßnahmen zum Einsatz während liegen im Einsatz international etablier- mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration dieser bzw. zukünftiger Pandemien ist ter Fragebögen sowie im Vergleich der von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbei- teten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten daher dringend geboten. Ergebnisse mit der repräsentativen lon- Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor. Darüber hinaus ist das Ergebnis der gitudinalen BELLA-Studie aus der Zeit COPSY-Studie relevant, dass Streitigkei- vor der Pandemie. Aufgrund des Quer- Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz ten in den Familien zunehmen und öfter schnittdesigns konnten jedoch keine kau- veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, eskalieren. In anderen Studien konnte salen Zusammenhänge untersucht wer- Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- bereits gezeigt werden, dass das Risiko den. Zudem wurden psychische Auffäl- chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- von Kindesmissbrauch und Vernachläs- ligkeiten nicht mit klinischen Interviews mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz sigung in Krisenzeiten steigt [37, 38], diagnostiziert, sondern mit Screening- beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- sodass UNICEF und der Deutsche Kin- fragebögen erfasst. men wurden. derschutzbund zu Recht dringende Un- Die Ergebnisse der COPSY-Studie, Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges terstützung vom Erziehungs- und Bil- vor allem auch die Ergebnisse zum Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten dungssystem, von Ärzten und Politikern Unterstützungsbedarf der Eltern, soll- Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- fordern, um Kinder und Jugendliche zu ten Ärzte/Therapeuten, Lehrer/Erzieher, treffende Material nicht unter der genannten Creative schützen. Bei weiteren Entscheidungen Eltern und Politiker anregen, die psy- Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung der Regierung sollten daher familienpo- chische Gesundheit und Belastungen nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- litische sowie kinder- und jugendhilfe- sowie die Bedürfnisse von Kindern und terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers rechtliche Perspektiven stärker berück- Jugendlichen bei zukünftigen Infekti- einzuholen. sichtigt werden [38, 39]. onswellen und Entscheidungen stärker Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Die vorliegende Studie zeigt auch, mit in den Blick zu nehmen. Es ist drin- Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ dass sozial benachteiligte Kinder und Ju- gend zu empfehlen, belastete Kinder, licenses/by/4.0/deed.de. gendliche besonders stark von den Aus- Jugendliche und Eltern zu unterstützen, wirkungen der COVID-19-Pandemie um deren psychische Gesundheit zu betroffen sind. Soziale Ungleichheiten schützen bzw. aufrechtzuerhalten. Literatur in Bezug auf die psychische Gesundheit wurden bereits in zahlreichen Studien 1. Reiss F, Meyrose AK, Otto C et al (2019) Socioeco- Korrespondenzadresse nomic status, stressful life situations and mental belegt [1, 40]. Um diese Ungleichheiten health problems in children and adolescents: Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer zu verringern, werden flächendecken- Results of the German BELLA cohort-study. 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PsyArXiv. und das Bundesamt für Bevölkerungs- Teilnahme an der COPSY-Studie wertvolle Informa- https://doi.org/10.31234/osf.io/5bpfz schutz und Katastrophenhilfe (BBK; tionen gegeben haben. 4. Jiao WY, Wang LN, Liu J et al (2020) Behavioral and [42]) Empfehlungen zur Unterstützung emotional disorders in children during the COVID- Förderung. Die COPSY-Studie wurde von der Uni- 19 epidemic. J Pediatr 221:264–266.e261. https:// von Familien veröffentlicht, wie z. B. versität Hamburg und von der Behörde für Arbeit, doi.org/10.1016/j.jpeds.2020.03.013 dass Eltern mit ihren Kindern über die Gesundheit, Soziales, Familie und Integration Ham- 5. Xie X, Xue Q, Zhou Y et al (2020) Mental burg finanziell unterstützt. health status among children in home confi- Situation und ihre Sorgen offen sprechen nement during the Coronavirus disease 2019 mögen, dass ein strukturierter Tagesab- 1520 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2021
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