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www.ssoar.info Migration und Integration: Anstoß zur sozio- kulturellen Veränderung ländlicher Regionen durch internationale Migration Machold, Ingrid; Dax, Thomas Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Machold, I., & Dax, T. (2017). Migration und Integration: Anstoß zur sozio-kulturellen Veränderung ländlicher Regionen durch internationale Migration. Europa Regional, 24.2016(3-4), 62-76. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168- ssoar-57360-7 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine This document is made available under Deposit Licence (No Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, non- Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, transferable, individual and limited right to using this document. persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses This document is solely intended for your personal, non- Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für commercial use. All of the copies of this documents must retain den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. all copyright information and other information regarding legal Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle protection. You are not allowed to alter this document in any Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument document in public, to perform, distribute or otherwise use the nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie document in public. dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke By using this particular document, you accept the above-stated vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder conditions of use. anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.
Europa Regional 24, 2016 (2017) I 1-2 Migration und Integration: Anstoß zur sozio-kulturellen Veränderung ländlicher Regionen durch internationale Migration Ingrid Machold und Thomas Dax Zusammenfassung Abstract Viele ländliche Gebiete Westeuropas sind in den beiden letz- Migration and integration: driving socio-cultural ten Jahrzehnten nicht mehr allein von Abwanderung, sondern change of rural regions through international migra- verstärkt von internationaler Zuwanderung geprägt. Da diese tion processes Veränderungen weitreichende Auswirkungen auf das Selbst- Many rural areas of Western Europe are not any more regions verständnis der BewohnerInnen haben und eine Auseinan- of out-migration, but show increasing levels of international dersetzung mit „fremden“ Lebensentwürfen und kulturellen in-migration. As the underlying changes bear wide-ranging Zugängen beinhalten, ist eine angepasste Integrationsarbeit in effects on the identity of rural inhabitants, encouraging shifts der regionalen Entwicklungsarbeit von zentraler Bedeutung. towards new life-styles and cultural approaches, and adapta- War der Diskurs über Ländlichkeit bisher vor allem durch „Ho- tions of integration measures in regional development are of mogenität“ und „Tradition“ geprägt, so werden diese Vorstel- prime relevance. lungen von ländlicher Homogenität und Tradition durch die While the discourse on the concept of rural development was stetig positiven Zuwanderungsraten in die ländlichen Regionen shaped so far mainly by “traditional” approaches and reflected Österreichs, aber auch in anderen westeuropäischen Ländern a homogenous perspective, these views are challenged by the wie z. B. Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien recent development of rising immigration towards rural re- herausgefordert. Die zunehmende soziale Vielfalt an Menschen gions in Austria, and to other West-European countries like mit unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Kultur wird auch Italy, France, Germany and the UK. As this led to an increase in im dörflichen Leben sichtbar und beginnt die anerkannten Wer- social diversity, particularly with regard to the greater diver- te der lokalen Gesellschaft zu beeinflussen. gence of origin, languages used and cultural backgrounds of Die Ausweitung der internationalen Zuwanderung auf nahezu rural population, differences become visible in community life alle ländlichen Regionen Österreichs unterstreicht, dass dieses and strongly influence the norms and values of the local society. Wanderungsverhalten auch zu Änderungen in der sozio-kultu- The high relevance of international immigration for almost all rellen Struktur der ländlichen Gemeinschaften führt. Aus der rural regions of Austria underpins the impact on changes in the steigenden Zahl von Projektbeispielen aus Österreich, die sich socio-cultural structure of rural communities. Out of the rising um die regionale Integrationsarbeit bemühen, werden Initiati- number of project initiatives in the country which focus on in- ven mit ihren Wirkungen auf die lokale Kultur präsentiert. Die- tegration at the regional level, some examples that particularly se werden in jüngster Zeit bewusst im Rahmen des Programms enhance local cultural adaptation are presented in this paper. zur ländlichen Entwicklung über die kleinregional fokussierten In recent years, such initiatives are explicitly supported by the Maßnahmen der LEADER-Aktivitäten unterstützt. Darin geht small-scale instrument of LEADER within the Rural Develop- es vor allem darum, wie in Auseinandersetzung mit der zuneh- ment Programme. The core aspect is the reflection of the in- menden Internationalisierung der ländlichen Regionen neue creasing internationalization of rural regions and its effects on Repräsentationen des Ländlichen entstehen können, die sich new representations of the “rural” which manifest themselves vor allem der (Weiter)Entwicklung der interkulturellen Kom- in turning towards regional activities, actively supporting the petenz in einer Region im Rahmen einer proaktiven Regional continuous shaping of inter-cultural expertise and capacity. entwicklung widmen. International in-migration; social diversity; regional develop- Internationale Zuwanderung; soziale Vielfalt; Regionalentwick- ment; rural regions; intercultural competence lung; ländliche Regionen; interkulturelle Kompetenz 62
Ingrid Machold und Thomas Dax: Migration und Integration Einleitung Fassmann 2011; Hillmann 2016). Mit Repräsentationen ländlicher Regionen Obwohl es in den vergangenen Jahr- dem Ansatz, internationale Zuwanderer hat. Die zunehmende Auseinanderset- zehnten in weiten Teilen der ländlichen und insbesondere AsylwerberInnen auf zung mit „fremden“ Lebensentwürfen Regionen Europas zu massiven Verände- die verschiedenen Gebiete eines Landes und anderen kulturellen Zugängen als rungen der wirtschaftlichen Aktivitäten, gleichmäßiger aufzuteilen, werden länd- den vertrauten erscheint unumgänglich. der sozialen Zusammensetzung und der liche Gebiete direkt angesprochen, in Damit erlangt eine Integrationsarbeit in Umwelteffekte gekommen ist, werden diesem Prozess mitzuwirken. Im Rahmen der regionalen Entwicklungsarbeit, die ländliche Gebiete noch immer häufig als des Durchgriffsrechts1, das 2015 in Öster- auf Bedrohungsaspekte aber auch Po- traditionelle, ursprüngliche Räume aufge- reich erlassen wurde, wurde beabsichtigt, tenziale der Integration eingeht, zentrale fasst. Es wird von „dem ländlichen Raum“ auch in jenen Bundesländern Unterkünfte Bedeutung. gesprochen und die ländliche Gesellschaft zu schaffen, die sich nicht an die mit dem Der Beitrag beruht auf einer räum- wird mit den Aspekten der Nähe, hohem Innenministerium vereinbarte Quote hiel- lich differenzierten Analyse des Wande- gegenseitigen Vertrauen und Solidarität ten (Puschautz 2015). rungsverhaltens in den österreichischen verbunden. Dabei werden langanhaltende Schon vor dieser Diskussion, die durch Regionen, welche den Aspekt der Zunah- kulturelle Anpassungen an Werthaltun- die Zunahme der Anzahl der Flüchtlinge me der internationalen Zuwanderung in gen, Lebensentwürfe und Lifestyles, die in Europa seit dem Jahr 2015 zu einer ländliche Regionen zentral behandelt. Die weitgehend von außen beeinflusst sind, zentralen europäischen Auseinanderset- grundlegende Datenanalyse dazu wurde nur allzu oft ausgeblendet (vgl. Diskus- zung geworden ist, haben einige lokale in einer Studie für das Bundeskanzleramt sion in Copus u. Dax 2010). Ein wesent- Behörden und Gemeinden bereitwillig erarbeitet (Machold et al. 2013) und in licher Einflussfaktor, der in den beiden Zuwanderer aufgenommen und Wege einer anschließenden nationalen Arbeits- letzten Jahrzehnten in den westeuropäi- für das Zusammenleben der verschie- gruppe mit regionalen und nationalen In- schen ländlichen Regionen erheblich an denen Bevölkerungsgruppen gesucht. stitutionen und Stakeholdern diskutiert Bedeutung gewonnen hat, ist die Zuwan- Andere Gemeinden sehen in der oft noch (ÖROK 2014). Darüber hinaus wird dar- derung aus dem Ausland (internationale bevorstehenden Zuwanderung eine Be- auf eingegangen, wie der Themenbereich Zuwanderung; Woods 2016; Ni Laoire u. drohung für die seit langem etablierten Migration und Integration in der Umset- Stockdale 2016). Lebensweisen und lokalen Institutionen. zung von LEADER, einem Programm zur Obwohl der Anteil der ausländischen Gemeinden, welche die Ansicht vertreten, Förderung kleinregionaler Entwicklungs- Bevölkerung in den ländlichen Regionen dass die Integration der zugewanderten initiativen im ländlichen Raum, einbezo- Österreichs in den 1980er und 1990er Bevölkerung eine Chance darstellt, nei- gen werden kann (Machold u. Dax 2014). Jahren besonders stark zugenommen hat, gen dazu hervorzuheben, dass Zuwan- Es werden Beispiele solcher Projekte blieb das allgemeine Bewusstsein bis vor derer neue Ideen und Kulturen mit sich aus der Startphase des Österreichischen kurzem dem Bild der „Abwanderungsge- bringen und über erhebliche Fähigkeiten Programms zur Ländlichen Entwicklung biete“ verhaftet. Einer der wesentlichen verfügen, die in Gebieten, welche zuvor 2014–2020 und anderer nationaler Pro- Gründe dafür war das relativ niedrige von Abwanderung geprägt oder bedroht gramme präsentiert (Fahrner 2016; absolute Niveau des ausländischen Bevöl- waren, äußerst erwünscht sind (Machold ENRD 2016b; Fachhochschule Kärnten kerungsanteils und das Hauptaugenmerk et al. 2013). Insbesondere der Zuzug jun- 2017). auf die Zuwanderung in die Städte auch ger Personen erscheint eine Chance für Die Ausweitung der internationalen seitens der Wissenschaft. So ist der Anteil Gebiete, die von Abwanderung und Al- Zuwanderung hat in nahezu allen ländli- der im Ausland geborenen Bevölkerung terung der Bevölkerung zunehmend ge- chen Regionen Österreichs Veränderun- mit etwa 25 % in Wien der zweithöchste prägt sind. gen in der sozio-kulturellen Struktur der unter den großen Städten der EU (nach Dieser Beitrag konzentriert sich auf die ländlichen Gemeinschaften in Gang ge- London; EC 2016). Während die Attrakti- Bedeutung internationaler Zuwanderung setzt. Der dadurch implizierte Perspek- vität der Arbeitsmärkte in Städten und die in ländliche Regionen und zeigt, dass das tivenwechsel (vgl. Gamper u. Dabernig Anonymität großer Städte wesentliche geänderte Wanderungsverhalten massive 2012) eröffnet eine neue Sicht auf länd- Pull-Faktoren darstellen, erschweren die Auswirkungen auf die vorherrschenden liche Regionen und ihre Raumbeziehun- Entwicklungen am Wohnungsmarkt mit gen. Im ersten Teil des Beitrags werden überdurchschnittlichen Steigerungsra- die damit implizierten Veränderungen ten der Wohnungskosten sowie Aspekte 1 Im Rahmen des Durchgriffsrechts, das im Oktober 2015 der Stereotype des ländlichen Raums aufgrund der für die damals steigende Zahl an Asylbewer- zunehmender Ungleichheit und sozialer berInnen benötigten Quartiere beschlossen wurde, kann besprochen. Danach wird auf den erhöh- der „Bund künftig auf eigenen bzw. ihm zur Verfügung Probleme in den Städten die Integrati- stehenden Grundstücken Quartiere für hilfs- und schutz- ten Bedarf an Integrationsmaßnahmen bedürftige Fremde bereitstellen, ohne dass dafür eine on von zugewanderten Personen (zur gesonderte Widmung vorliegen muss. Voraussetzung dafür in der Regionalentwicklung eingegan- Diskussion einer geographischen Migra- ist, dass das betroffene Bundesland seine Flüchtlingsquote gen. Angesichts der in den letzten Jahren nicht erfüllt und in einem Bezirk weniger Asylwerber tions- und Integrationsforschung siehe untergebracht sind, als es dem im Gesetz verankerten steigenden Zahl von Projektbeispielen Richtwert von 1,5 Prozent entspricht“ (ORF 2015). 63
Europa Regional 24, 2016 (2017) I 3-4 in ländlichen Regionen Österreichs, die und den jeweiligen Macht- und Besitz- wird hingegen der dynamische Prozess in sich um die regionale Integrationsarbeit strukturen erörtert (Kondo et al. 2012). den Vordergrund gerückt und damit die bemühen, können beispielhafte regiona- In der gegenwärtigen Literatur zur schicksalshafte Bestimmung als Randlage le Initiativen mit ihren Wirkungen auf Entwicklung und Veränderung des länd- relativiert. „Anstatt Peripherie als stati- die lokale Kultur präsentiert werden. lichen Raums werden zusehends die sche Realität und unabhängig vom Han- Die Fallstudie der interkulturellen Kom- Komplexität der ländlichen Regionen und deln der Subjekte zu definieren und zu petenzentwicklung (RIKK) aus Oberös- ihre unterschiedlichen Entwicklungspfa- analysieren, bezeichnet Peripherisierung terreich unterstreicht die Bemühungen de und -perspektiven hervorgehoben den Prozess, in dem Räume zu periphe- dazu. Integrationsprojekte werden in (Dax et al. 2009; Dax 2014; Shucksmith ren Räumen „gemacht“ werden“ (Kühn jüngster Zeit auch bewusst im Rahmen u. Brown 2016). Es wird auch deutlich, u. Weck 2012, S. 4; Keim 2006). Um ei- des Programms zur ländlichen Entwick- dass es „den“ ländlichen Raum“ mit all- ner Peripherisierung entgegenzuwirken lung über die kleinregional fokussierten gemein gleichwertigen Lebensbedingun- werden dementsprechend AkteurInnen Maßnahmen der LEADER-Aktivitäten gen nicht gibt. Eine Abgrenzung zum „ur- und ihr Handeln als wichtig erachtet, die unterstützt. Darin geht es vor allem da- banen Raum“ ist daher mit erheblichen Gestaltungsmacht liegt damit viel stär- rum, wie in Auseinandersetzung mit der Kompromissen in der Definition und dem ker im Handlungskontext der AkteurIn- zunehmenden Internationalisierung der Bewusstsein von weitreichenden dyna- nen in ländlichen Regionen, wobei gut ländlichen Regionen neue Repräsenta- mischen Übergangsbereichen verknüpft entwickelten Akteursnetzwerken (nach tionen des Ländlichen entstehen kön- (Copus et al. 2011). innen und außen) eine große Bedeutung nen, die sich der (Weiter)Entwicklung Die Diversität ländlicher Räume lässt beigemessen wird. der interkulturellen Kompetenz in einer sich jedoch nicht durch einen einzigen Allerdings stehen nach wie vor Stereo- Region im Rahmen einer proaktiven Re- Einflussfaktor (gemeinhin die wirtschaft- type ländlicher Entwicklung im Vorder- gionalentwicklung widmen. Die Zusam- liche Struktur) darstellen, vielmehr wird grund, die vor allem negativ besetzt sind menfassung stellt eine Synthese dieser zunehmend erkannt, dass v.a. auch soge- und eine defensive Haltung im Hinblick Praxisbeispiele und der quantitativen nannte „weiche“ Faktoren maßgeblichen auf ländliche Regionen zum Ausdruck Bedeutung der internationalen Zuwande- Einfluss auf die Entwicklung ländlicher bringen. Die Unterschiede ländlicher Re- rung in ländlichen Regionen Österreichs Regionen haben. Als wichtige Einfluss gionen und ihre möglichen unterschied- dar. Dies soll dazu beitragen Regional faktoren werden dabei neben der Wirt- lichen Entwicklungspfade, die durch Auf- entwicklung als Motor zur Stärkung des schaftsstruktur und Organisation natür- und Abstiegsprozesse gekennzeichnet Zusammenlebens in diesen Regionen zu liche Ressourcen und Umweltqualität, sind, kommen damit in keiner Weise zum konzipieren. Erreichbarkeit und Infrastruktur, Zugang Ausdruck. zu leistungsfähigen IKT-Technologien, Die noch immer am weitesten verbrei- Veränderungen der Stereotype kulturelle Werte, soziale Trends und teten Stereotype, die insbesondere eine und der Begrifflichkeiten des Humankapital bis hin zu institutionelle defizitäre ländliche Entwicklung kenn- „Ländlichen Raums“ Entwicklungen und Veränderungen im zeichnen, können wie folgt beschrieben Die Auseinandersetzung mit dem länd- Politikumfeld genannt und je nach Bedarf werden (Copus 2010; Shucksmith u. lichen Raum und den Inhalten von und Zielrichtung unterschiedlich betont Brown 2016): „Ländlichkeit“ an sich ist oft stark durch (Bryden u. Hart 2001; OECD 2006; Dax • In der am stärksten verbreiteten Sicht- Vorstellungen von Tradition und Homo- et al. 2009). weise wird der „ländliche Raum“ noch genität hinsichtlich der (defizitären) Ent- Im Diskurs zu Politikmaßnahmen, die weitgehend mit der landwirtschaft- wicklung und der ländlichen Lebenszu- sich mit der Entwicklung des ländlichen lichen Aktivität gleichgesetzt. Damit sammenhänge geprägt. Idealisierungen Raums auseinandersetzen, wird „der“ wird die Rolle der Landwirtschaft zu der Lebenswelt ländlicher Gesellschaften ländliche Raum jedoch häufig noch mit Ei- Lasten anderer Wirtschaftsaktivitäten und ihrer Umweltbedingungen lassen genschaften wie „gering entwickelt“ und überschätzt, welche mittlerweile auch sich bereits auf die Antike zurückführen strukturschwach und peripher gleichge- in diesen Gebieten einen wesentlich (Baumann 2016) und werden auch heute setzt und im Gegensatz zu den entwick- höheren Umfang in der Produktion in Form einer „ländlichen Idylle“ herauf- lungsstarken und progressiven Städten und Beschäftigung erlangt haben und beschworen (Short 2006; Neu 2016). gesehen. In dieser statischen Sichtweise von zunehmender Bedeutung für die Während die Mystifizierung ländlicher befindet sich eine periphere Region in sozio-ökonomische Entwicklung der Kulturen schon Jahrhunderte zurück- einer „Randlage“ und ist durch die Dis- ländlichen Regionen sind. reicht (vgl. McLaughlin 1986), wird die- tanz zum Zentrum definiert. Peripherie • Mit der Kennzeichnung ländlicher ses verträumte Bild in jüngster Zeit stär- ist strukturell determiniert und wird als Regionen als Abwanderungsgebiete ker kritisch diskutiert und insbesondere „Schicksal“ wahrgenommen (Kühn et al. werden die im Begriff „Landflucht“ in seiner Abhängigkeit von Zuwanderung 2016). Im Ansatz der Peripherisierung enthaltenen negativen Assoziationen 64
Ingrid Machold und Thomas Dax: Migration und Integration hervorgehoben und Rückzugstenden- Gestaltungschancen steht die Ideali- Dieses Bild eines auch in der Bevölke- zen psychologisch verstärkt. Dabei sierung des Landlebens gegenüber, ei- rungszusammensetzung homogenen wird ignoriert, dass viele ländliche ner Ländlichkeit, die „das vermeintlich ländlichen Raums missachtet die aktu- Gebiete in Europa seit einigen Jahr- authentisch Intakte des ländlichen Le- ellen demographischen Entwicklungen, zehnten durch Zuwanderung, Bevölke- bens und die damit verbundene Vorstel- die sich an der Trendwende in der Be- rungswachstum und vergleichsweise lung einer zu bewahrenden Homogenität völkerungsentwicklung vieler ländlicher relativ junge Altersstrukturen charak- von Lebensentwürfen“ (Fritz 2010, S. 23) Regionen ausgehend von einer zuneh- terisiert sind (zum Landfluchtdiskurs in den Vordergrund rückt. Die Imaginatio- menden sozialen Vielfalt an Menschen siehe Beetz 2016). nen einer solchen Ländlichkeit haben al- mit unterschiedlicher Herkunft, Sprache • Mit dem Hervorheben der ländlichen lerdings mit dem realen Leben wenig zu und Kultur und dementsprechend ver- „Abhängigkeitskultur“ wird darauf tun, sie beschreiben eine ländliche Idylle, änderten demographischen Parametern verwiesen, dass sich AkteurInnen in wie sie bereits in der Antike in idealisier- (wie Wanderungsverhalten, Fertilität, ländlichen Regionen auf politische ten Naturschilderungen der Landschaf- Altersstruktur, Heiratsverhalten, Haus- Unterstützung und Kompensationen ten Arkadiens zu finden sind (Baumann haltsbildung, etc.) ablesen lässt. Drei für Benachteiligungen verlassen. Viele 2016). Das Dorf, im Gegensatz zur tem- Aspekte der Bevölkerungsveränderung ländliche, auch periphere Räume zei- poreichen, flexiblen offenen und moder- erscheinen dabei besonders maßgebend gen jedoch auch ohne Unterstützungs- nen Stadt, wird als „Ort des guten Lebens“ (Brown 2010): maßnahmen Anzeichen einer dynami- (Bätzing 2007) dargestellt, wo „Mensch, • Die Binnenmigration als größte Ein- schen Entwicklung, in der Innovation Tier und Natur im Einklang miteinander flusskomponente auf Veränderung und Wachstum stattfinden können. (leben). (…) Die ländliche Gesellschaft der räumlichen Verteilung der Bevöl- • Der ländliche Arbeitsmarkt wird im gilt (dabei) als eine wenig differenzierte kerung; Allgemeinen mit starker Segmen- Gesellschaft, die sich bei allem Unbill des • die damit einhergehenden Verände- tierung und geringer Qualifizierung Lebens selbstlos beisteht, und das Dorf rungen in der Altersstruktur und ihre gleichgesetzt. Der vielfach dominante als geschlossene Gesellschaft, die autark langfristigen Wirkungen; sowie sekundäre Sektor ist durch ein niedri- lebt und sich selbst genügt. Das Frem- • Zuwanderung und deren Auswirkun- ges Niveau des Humankapitals, durch de stört und bedroht die Gemeinschaft“ gen auf die soziale Vielfalt ländlicher Unsicherheit, niedrige Beteiligung an (Neu 2016, S. 5). Dieses romantisierende Gesellschaften (insbesondere auf die der Erwerbstätigkeit (besonders der und vereinheitlichende Bild eines ländli- „ethnische Zusammensetzung“). Frauen), „versteckte“ Arbeitslosigkeit chen Lebens, das die Unterschiede in den und einen hohen Anteil an Selbstän- Werthaltungen, Lebensstilen, Entwick- Dieser Beitrag fokussiert auf den dritten digkeit gekennzeichnet. Diese Cha- lungsansätzen und Strategien innerhalb Aspekt, da er im aktuellen Ausmaß in his- rakterisierung des ländlichen Arbeits- der ländlichen Regionen übersieht, wird torischer Hinsicht ein Novum darstellt marktes trifft zwar auf manche, jedoch nicht nur von außen an die ländlichen und das grundlegende Erscheinungsbild nicht auf alle ländlichen Regionen zu. Lebenszusammenhänge herangetragen, und sozio-kulturelle Charakteristika länd- • Die geringe Bevölkerungsdichte wird sondern gehört in vielen Bereichen auch licher Regionen erheblich beeinflusst. oft als grundlegende Barriere für zum Teil des dörflichen Selbstverständ- Unternehmen gesehen, denen die nisses und wird für die Schaffung lokaler Internationale Zuwanderung be- Nähe zu Wirtschaftsagglomerationen Identitätsmuster und die Tourismuswer- schleunigt soziale Veränderungen in fehlt. Informations- und Kommuni- bung eifrig benutzt. Personen abseits des ländlichen Regionen kationstechnologien (verbunden mit politischen Mainstreams haben damit Während ländliche Regionen Österreichs angemessenen Bedingungen für Hu- wenig Chancen, in ihren Ansprüchen und in der Vergangenheit in der Regel mit mankapital) können hier neue For- Potenzialen anerkannt und unterstützt Abwanderung und daraus resultierend men von wirtschaftlichen Aktivitäten zu werden (Shucksmith 2010). Laut einer Tendenz zur „Alterung“ der Wohn- erleichtern. Fritz (2010) gibt es „(i)n den Selbst- und bevölkerung in Verbindung gebracht Fremdbildern des ländlichen Raums (…) wurden, wurde internationale Zuwan- Durch diese Stereotype wird ein homo- eine riesige Lücke, in der fast alles unter- derung, aber auch die Zuwanderung aus genes Bild ländlicher Regionen verfestigt, geht, was den Alltag tatsächlich prägt, in der Binnenmigration stets mit Städten das durch negative Trends geprägt ist und der alternative Lebens- und Kulturformen bzw. städtischen Regionen in Zusammen- nur sehr eingeschränkt auf mögliche Ent- verschwinden, die man mittlerweile gera- hang gebracht. Demgegenüber ist jedoch wicklungschancen und kulturelle Verän- de am Land häufig antrifft und deren Ex- seit einigen Jahrzehnten in den meisten derungen reagieren kann. ponentInnen in ihren Orten unermüdlich ländlichen Regionen Europas (aber ge- Dieser Wahrnehmung der ungünsti- an der Aktivierung der Potenziale arbei- nerell auch in allen Industrieländern) gen Zukunftsperspektiven und fehlender ten“ (ebd. S. 23). eine positive Wanderungsbilanz aus den 65
Europa Regional 24, 2016 (2017) I 3-4 internationalen Wanderungsbewegungen in ländliche Regionen bzw. im Falle Öster- die kriegerischen Auseinandersetzungen festzustellen, die zusehends zu einer po- reichs und der Alpenländer in Bergregio- anlässlich des Zerfalls des ehemaligen sitiven Bevölkerungsentwicklung in vie- nen ziehen. Ergänzend zu diesem Typus Jugoslawiens bzw. der Sowjetunion be- len ländlichen Regionen geführt hat (z. B. der Wanderung, der auch als „amenity dingt, aber ebenso durch die Öffnung der Bender u. Kanitscheider 2012; Collan- migration“ bezeichnet wird (Moss 2006; ehemaligen COMECON-Staaten im Osten tes et al. 2014; Woods 2016). Auch für Löffler et al. 2016), nehmen je nach Re- Österreichs und die EU-Osterweiterung Österreich (Abb. 1) konnte diese Trend- gion in Österreich auch die temporäre (ab 2004) ausgelöst worden. Im Jahr wende in der demographischen Entwick- Ansiedlung von Zweit- bzw. Mehrwohn- 2015 machen sich auch die stark gestie- lung konstatiert werden (Machold u. Dax besitzerInnen (Bender u. Kanitscheider genen Flüchtlingsbewegungen aus Syrien 2015). Saisonale Arbeitsplätze und die 2012), das Ausmaß der Rückwanderung und Afghanistan in der Statistik bemerk- Beschäftigung in zentralen ökonomischen (Nadler 2016), aber auch die Aufnahme bar (vgl. Abb. 1). Sektoren wie Tourismus, Landwirtschaft, von Flüchtlingen in ländlichen Regionen Der steigende Anteil der in Österreich Bergbau, Produktion und Fertigung wa- zu (Häfele 2015). wohnhaften ausländischen Bevölkerung ren bisher die entscheidenden Pull-Fak- Die zunehmende internationale Zuwan- ist dabei vor allem auf einen Zuwachs der toren, die hier internationale Arbeitskräf- derung bzw. der positive Wanderungssal- ausländischen Bevölkerung aus den EU- te auch in ländliche Regionen angezogen do haben auch zu einer stetigen Bevölke- Beitrittsländern (EU nach 2004) zurück- haben. Diese werden ergänzt durch den rungszunahme Österreichs geführt und zuführen (vgl. Abb. 2). Zuzug von Personen, die insbesondere die Bevölkerungsentwicklung nahezu Die räumliche Zuordnung der Wan- wegen der landschaftlichen Attraktivität aller Regionen Österreichs positiv beein- derungsbilanz auf die Regionen Ös- sowie ihren Vorstellungen eines guten flusst. Diese Zuwanderung ist vor allem terreichs ermöglicht eine verglei- Lebens bzw. Faktoren der Lebensqualität in den beiden letzten Jahrzehnten durch chende Analyse der internationalen Österreich Wanderungssaldo 1961–2015 nach Staatsangehörigkeit Wanderungssaldo in 1000 140 ausländische Staatsangehörige 120 Gesamtwanderungssaldo 100 österreichische Staatsangehörige 80 60 40 20 0 -20 -40 1961 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Jahr IfL 2017 Inhalt: I. Machold, T. Dax Quellen: Statistik Austria 2016, Bevölkerungsfortsachreibung 1961–1995, ab 1996 Wanderungsstatistik Grafik: R. Schwarz Abb. 1: Wanderungssaldo Österreichs 1961–2015 nach Staatsangehörigkeit 66
Ingrid Machold und Thomas Dax: Migration und Integration Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der Österreich österreichischen Wohnbevölkerung 1982–2016 Bilanz der Außen- und Binnen- nach Gruppen von Herkunftsländern wanderung 2002–2015 nach Regionstypen der OECD Anteil an der Bevölkerung in ‰ in % 7,8 8 16 Herkunft ausländischer Staatsangehöriger Drittländer (inklusive unbekannte Herkunft) 6 14 4,8 EU ab 2004* 12 Anteil EU vor 2004** inklusive 4 EWR/CH/assoz. Kleinstaaten 3,0 Binnen- 2,4 wanderung 10 Anteil ausländischer Staats- 2 1,5 angehöriger insgesamt 0,3 8 0 Außen- wanderung -0,9 6 -2 4 -3,2 -4 überwiegend städtisch 2 Zwischengebiete überwiegend ländlich, stadtnah 0 überwiegend ländlich, peripher 1982 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2016 IfL 2017 Quelle: MACHOLD und DAX Inhalt: I. Machold, T. Dax Jahr 2015, aktualisiert Grafik: R. Schwarz * EU15 + 10 neue Mitgliedsstaaten: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern ** EU15: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien; EWR: EU15 + Island, Liechtenstein, Norwegen IfL 2017 Inhalt: I. Machold, T. Dax Abb. 3: Bilanz der Außen- und Binnenwan- Quellen: Statistik Austria, Auswertung der Datenbank STATcube Grafik: R. Schwarz derung 2002–2015 nach Regionstypen der OECD Abb. 2: Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der österreichischen Wohnbevölkerung 1982–2016 nach Gruppen von Herkunftsländern AkteurInnen werden durch die unmit- telbare Betroffenheit und die alltägliche Wanderungsbewegungen in die jeweili- auf 7,4 % im Jahr 2015 geführt. Meistens Herausforderung des Zusammenlebens gen Regionstypen. Die in Abbildung 3 be- wird jedoch in der öffentlichen Diskus- mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich nutzte regionale Klassifizierung verwen- sion auf den Aspekt der Binnenwande- mit der Thematik intensiver auseinander- det die OECD-Typologie der ländlichen rung Bezug genommen, die ein weniger zusetzen. Inwiefern diese Entwicklungen bzw. städtischen Regionen und bietet günstiges Bild zeigt. Insbesondere in von der lokalen Bevölkerung als Bedro- damit eine Übersicht über die Verteilung den peripheren ländlichen Regionen ist hung der traditionellen Lebensweise und die Wirkung der Wanderungsbewe- der Saldo der Binnenwanderung stark oder als Chance gesehen werden, hängt gung für ländliche und städtische Gebie- negativ. Es erscheint jedoch wichtig, die von vielen Faktoren ab. Soziale Innovatio- te. Sehr deutlich ist der positive Einfluss unterschiedlichen Wanderungsarten aus- nen sind gefragt, die die verschiedensten aus der Bilanz der Außenwanderung in einanderzuhalten, da sie auch zu einer AkteurInnen aus Wirtschaft, Umwelt und allen Regionstypen erkennbar. Wenn- bedeutenden Veränderung in der Struk- dem Sozialbereich einbeziehen, um durch gleich in den ländlichen Gebietstypen tur der Wohnbevölkerung beitragen. neue Organisationsformen und Prakti- dieser Saldo weniger hoch ist, so ergab ken neue Wege und Ziele zu erreichen sich doch in der Summe über alle länd- Erhöhter Bedarf an Integrations (Christmann 2017; Zapf 1989). Zentral lichen Gebiete Österreichs im gesamten maßnahmen in der Regional dabei ist es, den Fokus stärker auf die Zeitraum 2002–2015 eine positive Bilanz politik Möglichkeiten und Potenziale zu richten der Außenwanderung. Insgesamt hat das Durch die verstärkte Zuwanderung aus und damit neue „Realitäten“ zu schaffen, Überwiegen der positiven Saldi aus der dem Ausland werden Veränderungen der die den Weg zu einer sozialen Verände- internationalen Wanderung zu einem sozialen und kulturellen Zusammenset- rung der Gesellschaft bereiten (zu einer Anstieg des Anteils der ausländischen zung in vielen ländlichen Gemeinden ra- kritischen Auseinandersetzung mit sozi- Staatsangehörigen in peripheren ländli- scher sichtbar. Die BewohnerInnen länd- aler Innovation siehe Moulaert u. Van chen Regionen von 5,6 % im Jahr 2002 licher Regionen und ihre institutionellen Dyck 2013; Novy 2017). 67
Europa Regional 24, 2016 (2017) I 3-4 Tatsache ist, dass nicht zuletzt aufgrund wurde dem Thema „Vielfalt und Integra- 2017). Im Sinne einer sozio-kulturellen der starken Flüchtlingsbewegungen seit tion im Raum“ ein zweijähriger Prozess Veränderung ländlicher Regionen durch 2015 die Aufmerksamkeit für die Thema- (von 2011 bis 2013) gewidmet, der das internationale Zuwanderung wird es für tik massiv gewachsen ist und auch in vie- Bewusstsein für räumliche Auswirkun- die Regionalentwicklung wichtig werden, len ländlichen Regionen die Auseinander- gen von Zuwanderungs- und Integrati- sich den verschiedenen Aspekten einer setzung damit unvermeidlich geworden onsprozessen schärfen sollte. Auf einer „migration-led regeneration“ (ebd.) zu ist. So hat eine Gruppe von engagierten konzeptiven Ebene wurden einerseits stellen und die Auswirkungen von auf BürgermeisterInnen österreichischer Ge- Handlungsansätze, Instrumente sowie Zuwanderung ausgerichteten Regional meinden eine Arbeitsgruppe zum Erfah- Gestaltungsmöglichkeiten einer diversi- entwicklungsmaßnahmen ebenso zu ana- rungsaustausch gebildet, die sich mit der tätsorientieren Raumentwicklung er- lysieren wie die Veränderungen, welche Aufnahme von Flüchtlingen und Migran- forscht und andererseits wurde mithilfe durch Migration und zugewanderte Per- tInnen beschäftigt (Europäische Forum der Darstellung von Beispielen versucht, sonen angeregt und ausgelöst werden. Alpbach 2016), und vermittelt damit, das Lernen an und von Projekten anzure- dass die Aufnahme zusätzlicher Zuwan- gen (ÖROK 2014). Wirkung auf aktuelle Lebenszu- derer möglich ist, auf der lokalen Ebene In Auseinandersetzung mit den Flücht- sammenhänge ländlicher Gebiete aber bewusst reflektiert und gestaltet lingsbewegungen der letzten beiden Der LEADER Ansatz des Programms für werden muss. Jahre mehren sich nun auch stärker Ländliche Entwicklung, der durch den Bisher wurde jedoch die Bedeutung umsetzungsorientierte Programme und Europäischen Landwirtschaftsfonds für der Migrationsströme und der sozialen Projektinitiativen, die internationale die Entwicklung des ländlichen Raums Vielfalt für die Entwicklung ländlicher Zuwanderung als wichtigen Faktor und (ELER) finanziert wird, verfolgt bereits Regionen nur sporadisch als Thema der zunehmend auch als Chance für ländli- seit der Gründung der Maßnahme im Jahr Regionalpolitik erkannt. In einer Ausein che Regionen wahrnehmen. Der Fokus 1991 das Ziel, ländliche Regionen durch andersetzung mit der Entwicklung peri- liegt dabei darauf, sowohl Zuwanderern lokale und regionale (bottom-up) Initia- pherer ländlicher Räume hat eine für die als auch schon länger ansässigen Mi tiven zu stärken und sowohl Innovations- Österreichische Raumordnungskonferenz grantInnen die Teilhabe an der dörflichen kraft als auch die Lebensqualität zu ver- (ÖROK) erstellte Studie (Dax et al. 2009) und regionalen Gesellschaft (in Hinblick bessern (Dax et al. 2016). Im Folgenden herausgearbeitet, dass neben dem Aus- auf Spracherwerb, Arbeitsmöglichkeiten, soll für die letzte (2007–2013) und die bau der interkommunalen Zusammenar- Eingebundensein in das soziale Leben, aktuell laufende (2014–2020) Programm- beit und der Gestaltung der Landschafts- etc.) zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, periode des Ländlichen Entwicklungspro- vielfalt der Stärkung der sozialen Vielfalt die Potenziale der ZuwandererInnen zu gramms untersucht werden, inwiefern eine zentrale Rolle bei der Gestaltung nutzen und damit insgesamt ländliche im Rahmen der LEADER Maßnahmen neuer Handlungsmöglichkeiten in pe- Regionen zu stärken (z. B. FH Kärnten Migration und Integration als Thema und ripheren ländlichen Räumen zukommt. 2017; BLE 2017). Damit werden zwei Handlungsansatz in den Lokalen Entwick- Die Integration von verschiedenen Be- bisher unabhängige Diskurse zu den He- lungsstrategien der Lokalen Aktionsgrup- völkerungs- und Interessensgruppen, rausforderungen und Möglichkeiten der pen (LAGs) aufgegriffen wurde und in so- „die bewusste Einbeziehung aller sozialer demographischen Entwicklung in länd- zio-kulturellen Projekten bearbeitet wird. Gruppen in den Gemeinden und Regionen lichen Regionen – auf der einen Seite Zu Beginn der Periode 2007–2013 in Entwicklungs- und Entscheidungspro- Arbeitskräftemangel, Alterung und Ent- wurde im Rahmen von Netzwerk Land, zesse“ (ebd. S. 37) stellt dabei eine gute, leerung der ländlichen Regionen, auf der der Servicestelle des Bundesministeri- wenn nicht grundlegende Voraussetzung anderen Seite Zunahme von MigrantIn- ums für Land- und Forstwirtschaft, Um- für eine nachhaltig gelingende Regional nen und AsylwerberInnen in ländlichen welt und Wasserwirtschaft (BMLFUW), entwicklung dar. Allerdings dürfen die Regionen – zusammengeführt und Ent- die sich der Vernetzung der AkteurInnen damit verbundenen Bedrohungen und wicklungsmöglichkeiten aufgezeigt, die der ländlichen Entwicklung verpflichtet, Gefahren nicht übersehen werden. So bisher in diesem Zusammenhang nicht dem Thema „Gesellschaftliche Vielfalt“ heißt es dann weiter unten, dass sich die wahrgenommen worden sind. eine eigene Werkstattreihe (Netzwerk Heterogenität (der Bevölkerung) „nur Da auch ländliche Regionen primär Land 2013) gewidmet. Ausgehend von selten in den politischen Strukturen und durch internationale Zuwanderung einer deutlichen Überrepräsentanz von in den Entscheidungsgremien regionaler wachsen, wird es immer wichtiger in der Männern in den relevanten Gremien der Entwicklungsorganisationen“ widerspie- Zuwanderung ein Potenzial zu sehen, Regional- und Gemeindepolitik sollte der gelt (ebd.). Auch in einer thematischen wodurch ländliche Regionen, die durch Frage nachgegangen werden, wie „margi- Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Öster- Bevölkerungsabwanderung, wirtschaftli- nalisierte“ Personengruppen in die länd- reichischen Raumentwicklungskonzepts, che Stagnation und Abhängigkeit gekenn- liche Entwicklung und in Regionalent- einer sogenannten ÖREK-Partnerschaft, zeichnet sind, regenerieren können (IRS wicklungsprozesse besser eingebunden 68
Ingrid Machold und Thomas Dax: Migration und Integration werden können. Neben Frauen, Jugend- lichen und kreativen Persönlichkeiten außerhalb der etablierten Institutio- nen wurden MigrantInnen ebenfalls als (neue) Zielgruppe genannt. In insgesamt drei Workshops, die 2009 und 2010 im Rahmen dieses Formats durchgeführt wurden, sollte insbesondere den Verant- wortlichen der Umsetzung der LEADER Maßnahmen (in der Regel sogenannte LEADER ManagerInnen) die Möglichkeit geboten werden, sich mit dem Thema der wachsenden sozialen und kulturel- len Diversität in den ländlichen Regionen auseinanderzusetzen und die vorhande- ne Vielfalt der AkteurInnen nicht bloß als Bedrohung, sondern auch als Chance und Ressource für ihre regionale Entwick- Foto: RIKK-Arbeitstreffen 2014 (Regionalmanagement Oberösterreich GmbH) lungsarbeit wahrnehmen zu können. Eine systematische Verankerung des Projekte dem Themenbereich Migrati- Die Situation in der Region war zu Pro- Schwerpunktbereichs soziale Vielfalt on und Integration (Netzwerk Land jektbeginn, und ist nach wie vor, durch und insbesondere des Themenbereichs 2013). Einem davon, dem Projekt RIKK, überdurchschnittliche Zuwanderung Migration, Integration und interkultu- das als Vorzeigeprojekt dieser Phase gilt, und sehr hohe Anteile von MigrantInnen relle Kompetenz blieb in den lokalen wurde im Rahmen der Jahrestagung von an der Wohnbevölkerung geprägt und Entwicklungsprogrammen der Periode Netzwerk Land der Innovationspreis für zusätzlich durch die Lage eines Erstauf- 2007–2013 allerdings aus. Aufgrund Chancengleichheit (2012) verliehen. Die- nahmezentrums für Flüchtlinge in der restriktiver administrativer Vorgaben ses Projekt wird vom Europäischen Netz Region (in Thalham in St. Georgen im der Programmumsetzung, die insbeson- werk für Ländliche Entwicklung (ENRD Attergau, Oberösterreich) stark konflikt- dere mit der Integration der innovativen 2016a) als wichtiges good practice Bei- geladen. Mit der Stärkung der Interkultu- LEADER-Maßnahmen in den generellen spiel für Maßnahmen zur Stärkung der rellen Kompetenz sollte das Gelingende Rahmen der Ländlichen Entwicklungs- „sozialen, interkulturellen Kompetenz“ und Positive stärker in den Vordergrund programme verknüpft waren, wurde die im ländlichen Raum und positives Bei- rücken und insbesondere die Möglich- Auseinandersetzung mit innovativen Pro- spiel der Regionalentwicklung im Be- keiten des sozialen Austauschs erweitert jektansätzen eher erschwert als proaktiv reich der Migration genannt. Die Kon- werden. Interkulturelle Kompetenz wur- unterstützt (Dax et al. 2016). Die forma- zeption und wichtige handlungsleitende de in diesem Zusammenhang als Fähig- le Einbindung von LEADER in das Länd- Überlegungen der Projektarbeiten sol- keit beschrieben, erfolgreich mit anderen liche Entwicklungsprogramm, in der len hier im nächsten Punkt vorgestellt Personen bzw. mit Personen aus anderen Hoffnung auf erhöhte Wirksamkeit der werden. Kulturen umzugehen sowie sich in einem Maßnahmenumsetzung als „Mainstrea anderen kulturellen Umfeld zurechtzu- ming“ bezeichnet, hat Grundbedingun- Fallbeispiel RIKK – regional.interkul- finden (Stelzer et al. 2012; Traubeneck gen der Qualitätsansprüche der LEADER turell.kompetent u. Fahrner 2012). Das Projekt war eine Umsetzung (wieder) ins Bewusstsein Mit RIKK wird ein Projekt vorgestellt, das Kooperation des Regionalmanagements der Akteure gerufen. So konnten ange- den Fokus nicht allein auf die zu integrie- Vöcklabruck-Gmunden, der RegionalCa- sichts der zunehmenden Betroffenheit renden MigrantInnen in einem spezifi- ritas Vöcklabruck-Gmunden, den LEADER ländlicher Gebiete und des wachsenden schen regionalen Umfeld lenkt, sondern Regionen Vöckla-Ager und Traunsteinre- Bewusstseins, die Prozesse des Zusam- die regionale Gesellschaft als Ganzes im gion sowie des Bildungszentrums Maxi- menlebens in ländlichen Gemeinden und Blickfeld hat. Ziel des dreijährigen Projek- milianhaus und wurde über die LEADER Regionen aktiv gestalten zu müssen, ein- tes war es, die sozialen, interkulturellen Förderschiene „Lernende Regionen“ fi- zelne Projektvorhaben in dieser Periode Kompetenzen in der oberösterreichi- nanziert. Dementsprechend standen die gestartet werden. Von 26 beispielhaften schen Region Vöcklabruck-Gmunden Möglichkeiten des regionalen Lernens, Projekten, die im Rahmen des Innova- sichtbar zu machen, zu entwickeln und des Wissensaustausches und der -ver- tionspreises Chancengleichheit 2012 auszubauen und damit das soziale Kli- mittlung im Zentrum des Projekts (Fle- eingereicht wurden, widmeten sich fünf ma in der Region positiv zu beeinflussen. ming 2013; Stix 2012). 69
Europa Regional 24, 2016 (2017) I 3-4 Neben der Bildung und Pflege eines regio- Verstärkte Ausrichtung der LEADER Thema soziale Vielfalt deutlich gestiegen nalen Netzwerks von regionalen Akteu- Maßnahmen auf Integration ist. Es ist aber anzumerken, dass soziale rInnen wurden im Rahmen des Projekts In der aktuellen Periode des Programms Fragen immer noch den ökonomischen verschiedene Kompetenzteams aufge- für ländliche Entwicklung (2014–2020) Interessen einer Region nachgereiht baut, die bestimmte Schwerpunktthemen konnte in LEADER, basierend auf den Er- werden. Die Befassung mit der Situation im Hinblick auf ihre jeweilige Zielgruppe fahrungen der vorangegangen Periode, und den Entwicklungsoptionen von Mi vertieft bearbeiteten. Im Projektverlauf der Fokus wieder stärker auf Strategien grantInnen wird unter die Kategorie der wurden drei Kompetenzteams (Lehre- zur Förderung einer „integrierten“ Regio- „benachteiligten Gruppen“ (neben Frau- rInnen, Personalverantwortliche von Un- nalentwicklung gelegt werden, in der die en, Jugendlichen, älteren Personen sowie ternehmen aus der Region, AnbieterInnen grundlegenden LEADER Prinzipien wie Menschen mit Behinderungen) subsu- von Schule am Bauernhof) gebildet, in de- bottom-up Ansatz, Partizipation breiter miert. Zuwanderung und die Integration nen es vor allem darum ging, vom Erfah- Bevölkerungsgruppen, der Aufbau von von MigrantInnen wird dabei hauptsäch- rungswissen der anderen Teilnehmenden sozialem Kapital und die Erarbeitung lich im Zusammenhang mit „Schwächen“ des Teams zu profitieren, voneinander zu innovativer und sektorübergreifender und „Herausforderungen“ genannt. Nur lernen sowie gemeinsam bedarfsgerech- Projektinitiativen einen wichtigen Stel- für eine kleine Anzahl von Lokalen Akti- te regionale Bildungsangebote für die lenwert einnehmen (Dax et al. 2016; Dax onsgruppen stellen sie auch eine Chance jeweilige Berufsgruppe zu entwickeln. u. Oedl-Wieser 2016). Damit sind wie- für die regionale Entwicklung dar, wobei Durch den Erfahrungsaustausch, die ge- der günstigere Voraussetzungen dafür Fragen zur Integration der MigrantInnen meinsame Entwicklung von Fortbildungs- geschaffen, dass Themen, die sich mit der das wichtigste Thema sind. Verglichen angeboten, Exkursionen, Workshops etc. gesellschaftlichen Teilhabe, mit Fragen mit den vorherigen Förderperioden ha- entstand die Möglichkeit, den eigenen des „guten Lebens“ und der Lebensqua- ben sich jedoch in der laufenden Periode kulturellen Hintergrund zu reflektieren lität in ländlichen Regionen auseinan- die Möglichkeiten für integrative Projekte und Kontakte in Bereichen zu knüpfen, dersetzen, ihren Platz in den Lokalen mit Gemeinwohlorientierung wesentlich die vorher nicht als relevante Handlungs- Entwicklungsstrategien haben. In den na- verbessert sowie das Bewusstsein der option gesehen wurden (Fahrner 2016). tionalen Richtlinien für die Entwicklung Dringlichkeit in diesem Bereich in länd- Zwei der drei Kompetenzteams konnten der Lokalen Entwicklungsstrategien für lichen Regionen Aktivitäten zu setzen er- in der bestehenden institutionellen Struk- die Periode 2014–2020 wurde festgelegt, heblich erweitert. Soziale Vielfalt und der tur als Querschnittsthemen verankert dass neben den beiden Aktionsfeldern Einfluss unterschiedlicher Bevölkerungs- werden und sind nach wie vor aktiv, was „Wertschöpfung“ und „Natürliche Res- gruppen, die durch die internationale ohne die Einbeziehung von Multiplika- sourcen und kulturelles Erbe“ das Akti- Zuwanderung stark verändert werden, torInnen und EntscheidungsträgerInnen onsfeld „Gemeinwohlorientierung“ einen werden dementsprechend als wichtiger nicht möglich gewesen wäre. wichtigen Stellenwert einnimmt. Die The- Bestandteil der Ländlichen Entwicklung Als wichtige Lektion hat sich im Verlauf matik der Reflexion der sozialen Vielfalt wahrgenommen. des Projekts herausgestellt, dass interkul- und der Nutzung ihrer Chancen zur Ver- Tatsächlich wurden in der laufenden turelle Kompetenz nicht beim eindimen- änderung und kulturellen Entwicklung in Periode bereits mehrere Projekte im Zu- sionalen, wissensbasierten Verstehen an- ländlichen Regionen wird damit als Prio- sammenhang mit Migration und Integra- derer Kulturen bzw. Menschen aus anderen rität und unterstützungswürdige Strate- tion in verschiedenen LEADER Regionen Kulturen stehen bleiben darf, sondern sich gie seitens der Programmgestalter positiv konzipiert. Drei sich in Umsetzung befin- vielmehr in die Richtung einer gelebten In- bewertet. Im Auswahlverfahren der 77 dende Projektbeispiele mit unterschied- klusion weiter entwickeln muss. Dafür sind Lokalen Aktionsgruppen konzentrier- lichem Blickwinkel und Schwerpunkten Offenheit, Mut und Innovation notwendig ten sich fünf der 25 Bewertungsfragen sollen hier kurz vorgestellt werden. (Fahrner 2016). Das Projekt RIKK zeigt darauf, ob und inwiefern soziale Vielfalt In der LEADER Region Traunviertler damit Möglichkeiten auf, wie die Bilder in den strategischen Überlegungen der Alpenvorland (Oberösterreich) wird das einer homogenen, abgeschiedenen und Lokalen Aktionsgruppen thematisiert traditionelle Thema „Heimatforschung“ bewahrenden Ländlichkeit, deren regio- wird (Dax u. Oedl-Wieser 2016, S. 32f). mit Migrantinnen aufgearbeitet und da- nale Entwicklungschancen im besten Falle Eine Analyse der Ergebnisse der Stärken, mit ein völlig neuer Zugang zum Thema begrenzt sind, aufgebrochen werden kön- Schwächen, Chancen und Herausforde- Integration von in- und ausländischen nen und neue Repräsentationen des Länd- rungen (SWOT-Analysen) für die lokale Zugewanderten in der Gemeinde ge- lichen möglich sind. Dies schließt Aktionen Entwicklung in den LEADER Gebieten, die schaffen. Dieses Projekt mit kulturellem ein, die sich offen, mutig und innovativ mit im Rahmen der Lokalen Entwicklungs Schwerpunkt und dem bezeichnenden den Chancen und Herausforderungen ei- strategien von den Lokalen Aktionsgrup- Titel „Heimat.sharing“ (ENRD 2016b) ner zunehmenden Internationalisierung pen durchgeführt werden mussten, macht soll durch nachbarschaftlichen Dialog, der ländlichen Räume auseinandersetzen. deutlich, dass das Bewusstsein für das Begegnung und kulturellen Austausch 70
Ingrid Machold und Thomas Dax: Migration und Integration das gegenseitige Kennenlernen erleich- der Lernprozess zu höherer Sozialkom- neuer Erfahrungen anzuerkennen. Diese tern und ein besseres Verständnis für petenz, werden bereits bestehende Er- Erkenntnis entspricht auch allgemeinen den jeweils anderen entwickeln. Im Vor- fahrungen im zivilgesellschaftlichen En- Beobachtungen zur Förderung von Regio- dergrund stehen die Interessen an be- gagement für Flüchtlinge als besonders nalentwicklung in ländlichen Regionen, stimmten Kulturthemen und Tätigkeiten wichtig erachtetet und beim Ausbau der die eine Abwendung von traditionellen und das Zusammenspiel der spezifischen Strukturen für gesellschaftliches Enga- Bildern und eingefahrenen Programm- Fähigkeiten unterschiedlicher Gruppen gement berücksichtigt. Bisherige Tätig- förderungen hin zu einer weitaus stär- der Bevölkerung, einschließlich der Mi keiten konzentrierten sich vor allem da- keren Experimentierfreudigkeit fordern grantInnen (z. B. in einer Näherwerkstatt, rauf, unterstützende Strukturen wie zum (Marchner 2015). Mit der Verbreiterung bei der Organisation einer Ausstellung, Beispiel Treffpunkte für gesellschaftliche der kulturellen Hintergründe und einer etc.). Dieser Ansatz, der die persönlichen Gruppen zu organisieren. Unter anderem erhöhten gesellschaftlichen Vielfalt, wie Fähigkeiten bewusst anspricht, soll den wurde in diesem Zusammenhang eine sie durch Zuwanderung in vielen ländli- interpersonellen Austausch aktiv unter- Koordinationsstelle für Berufsintegration chen Regionen verstärkt wird, könnte sich stützen und zum Abbau von Vorurteilen von Flüchtlingen, ein Begegnungscafé für diese Perspektive in manchen ländlichen beitragen. Migrantenfrauen mit ihren Kindern sowie Regionen bei einem zunehmenden Anteil In dem transnationalen Projekt von ins- regelmäßige Vernetzungstreffen von Ver- der Bevölkerung durchsetzen. gesamt 16 LAGs aus Finnland, Schweden einen aufgebaut und die Zusammenarbeit und Österreich soll ausgehend von den von verschiedenen Bereichen der Zivilge- Zusammenfassung und verstärkten Flüchtlingswanderungen die sellschaft (Ehrenamtliche, Handwerker, Diskussion Integration von Zuwanderern in ländli- Schülergruppen, Gemeinden, etc.) in ge- Die internationale Zuwanderung ist in chen Regionen („Immigrant Integration meindeübergreifenden Projekten unter- den letzten Jahrzehnten zu einem auch to Rural Areas“) anhand von Best-Practice stützt (Regionalentwicklung Vorarl- quantitativ wichtigen Phänomen für länd- Beispielen untersucht werden. In Öster- berg 2017). liche Regionen geworden. Dies betrifft reich sind eine oberösterreichische und Der Themenbereich Integration und weite Bereiche Westeuropas, einschließ- sechs Tiroler LEADER Regionen beteiligt. Migration und im Speziellen die Ausei- lich der ländlichen Gebiete Österreichs. Wichtige Pfeiler des Projekts sind der nandersetzung mit Flüchtlingsunterbrin- Durch diese Wanderungsbewegungen Austausch und das gegenseitige Lernen gung, -betreuung und Integration sind konnten in Österreich die Bevölkerungs- zwischen beteiligten Stakeholdern sowie nach diesen beispielhaften Initiativen zu verluste, die auf Grund der Binnenwande- die Übertragbarkeit funktionierender re- einem einflussreichen Thema in der Re- rung in vielen Regionen zu verzeichnen gionaler Initiativen als Modelle für ande- gionalentwicklung geworden, wie auch sind, oft kompensiert bzw. sogar über- re ländliche Regionen. Daraus sollen eine die 2016 ins Leben gerufene Arbeits- troffen werden, sodass daraus häufig ein sogenannte „Werkzeug-Box“ und eine Da- gruppe „Betreuung und Integration von positiver Gesamt-Wanderungssaldo (für tenbank entstehen, in denen übertragba- Flüchtlingen“ des Netzwerks Zukunfts- Außen- und Binnenmigration gemein- re Maßnahmen sowie Methoden für länd- raum Land illustriert (Fischer 2017). sam) resultiert. liche Regionen anderen interessierten Dass eine Willkommenskultur für Zuge- Wanderungsbewegungen haben aber Regionen zur Verfügung gestellt werden wanderte (aus welchen Motiven auch im- nicht nur Auswirkungen auf die demo- (ENRD 2017). mer) auch für die Aufnahmegesellschaft graphische Entwicklung, sie führen zu Mit dem Projekt „engagiert sein“ wird positive Auswirkungen haben kann und weit rascheren Veränderungen der so- ein Projekt hervorgehoben, das sich auf sogar eine Chance für eine zukunfts- zialen Gruppen und Kulturen als durch die Unterstützung des bürgerschaftli- orientierte Region darstellt, wird in Pro- trans-regionalen Austausch und Medien chen Engagements in fünf Pilotregionen jekten und Projektanträgen zunehmend einflüsse zu beobachten sind. In Bezug in Vorarlberg konzentriert. Ziel ist es, thematisiert. Neben einer Stabilisierung auf ländliche Gebiete werden die vielfa- fünf Freiwillige KoordinatorInnen aus- der Bevölkerungszahlen und damit von chen Herausforderungen und Entwick- zubilden und in den Pilotregionen zu wichtigen sozialen Dienstleistungen wie lungsmöglichkeiten in der Regionalent- implementieren. Die KoordinatorInnen Schule, Nahversorgung, medizinische wicklung davon unmittelbar berührt. haben die Aufgabe, in ihren Regionen Versorgung etc. wirkt sich eine offene Insbesondere trägt die Konfrontation mit Entwicklungsbedarfe festzustellen und Diskussion auch auf das soziale Klima in anderen Werthaltungen und Normen, mit dementsprechend in den betroffenen ländlichen Gemeinden und das kulturelle denen die Gesellschaft ländlicher Gebie- Gemeinden Personen für bürgerschaft- Leben in den Regionen aus. Die Gegen- te durch (internationale) Zuwanderung liches Engagement zu gewinnen und zu überstellung mit dem „Fremden“ erfor- konfrontiert wird, dazu bei, das Selbst- unterstützen. Obwohl der Themenbereich dert es auch, die „eigene“ Kultur zu über- verständnis der regionalen Identität zu Migration und Integration inhaltlich nicht denken, Neues in Erwägung zu ziehen prüfen und Reflexionsprozesse in Gang im Vordergrund steht, sondern allgemein und den Austausch als mögliche Quelle zu setzen. 71
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