Hessischer Konjunkturspiegel
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Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Hessischer Konjunkturspiegel 3. Quartal 2021 Konjunkturdaten Tabellen Kurzbericht Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der hessischen Wirtschaft Schwerpunktthemen Ausblick auf das Jahr 2022 anhand aktueller Konjunkturprognosen Monitoring der Energiewende in Hessen
Inhalt Vorwort 1 Kurzbericht Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der hessischen Wirtschaft 3 Schwerpunktthemen Ausblick auf das Jahr 2022 anhand aktueller Konjunkturprognosen 5 Monitoring der Energiewende in Hessen 11 Die hessische Konjunktur Die hessische Konjunktur in Zahlen 17 Die hessische Konjunktur im Überblick 18 Arbeitsmarkt und Beschäftigung 19 Außenhandel, Einzelhandel, Gastgewerbe 22 Verarbeitendes Gewerbe 25 Bauhauptgewerbe 27 Indikatoren im Detail 28 Konjunkturumfragen anderer Institutionen Konjunkturbericht Hessischer Industrie- und Handelskammertag 31 Konjunkturbericht Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Handwerkskammern 33 IMPRESSUM HERAUSGEBER Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen BEARBEITUNG HA Hessen Agentur GmbH • Konradinerallee 9 • 65189 Wiesbaden Tel +49 611 95017-80 • Fax +49 611 95017-80 • info@hessen-agentur.de VERFASSER Dr. Claus Bauer STAND Dezember 2021 UMSCHLAG Hessisches Statistisches Landesamt HINWEISE ZUR VERWENDUNG Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Hessischen Landesregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunalwahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlkampfveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Die genannten Beschränkungen gelten unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl die Druckschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung von Funktions- bzw. personenbezogenen Bezeichnungen, wie zum Beispiel Teilnehmer / Innen, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter. Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe gestattet. Belegexemplar erbeten. DOWNLOAD Download unter www.hessen-agentur.de/publikationen DATENQUELLEN Hessisches Statistisches Landesamt statistik.hessen.de Statistisches Bundesamt www.destatis.de Statistik der Bundesagentur für Arbeit statistik.arbeitsagentur.de Deutsche Bundesbank www.bundesbank.de
VORWORT Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, der Ausblick auf das Jahr 2022 anhand aktueller Konjunkturprognosen steht weiterhin unter dem Einfluss der Auswirkungen der Corona-Pandemie. Hessen als national und international stark verfloch- tener Wirtschaftsstandort ist naturgemäß in die weltweite Konjunktur und die Entwicklung seiner Handelspartner eingebunden. So sind der größte deutsche Flughafen, das Messe- und Kongresswe- sen und die bedeutende Chemische und Pharma- zeutische Industrie in Hessen – um nur einige Branchen zu nennen – sehr unterschiedlich betrof- aufgrund der Knappheit von Rohstoffen und Vorleis- fen. Auf der Grundlage der prognostizierten welt- tungsprodukten beim Umsatz verhalten positiv. Die weiten Erholung wird für Hessen im nächsten Jahr weiterhin steigenden Auftragseingänge bestätigen ein überdurchschnittliches Wachstum erwartet. den Aufwärtstrend. Die Lage im Bauhauptgewerbe ist vergleichbar, auch hier lassen die hohen Auf- Der siebte Energie-Monitoringbericht belegt, dass tragseingänge eine deutlich positive Entwicklung in die Energiewende in Hessen weiter Fahrt auf- den nächsten Monaten erwarten. Der Einzelhandel nimmt. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Ener- konnte seinen Umsatz verstetigen. Einzig das Gast- gieträgern ist weiter angestiegen und trägt nun mit gewerbe ist vom Vorkrisenniveau noch weit ent- mehr als der Hälfte zur Bruttostromerzeugung in fernt, konnte seinem Umsatz gegenüber dem Vor- Hessen bei. Insbesondere der Energieträger Photo- jahr jedoch deutlich steigern. voltaik setzt seinen Wachstumstrend fort. Dabei sind die Modernisierung und der bedarfsgerechte Der Arbeitsmarkt in Hessen bleibt auch zum Ende Ausbau der Stromnetze wichtige Voraussetzungen des Jahres stabil. Die Arbeitslosenquote nähert sich für die Versorgungssicherheit. dem Vorkrisenniveau an, zeigt aber noch Auswir- kungen der Pandemie. Die Zahl der sozialversiche- Der Kurzbericht zu den internen Aufwendungen für rungspflichtig Beschäftigten steigt in allen Bran- Forschung und Entwicklung (FuE) in der hessi- chen, mit Ausnahme des Verarbeitenden und des schen Wirtschaft belegt die Innovationsbereitschaft Gastgewerbes. Der Stellenbestand und die Stellen- der hiesigen Unternehmen, die ihre FuE- Ausgaben zugänge liegen über dem Vorjahresniveau. Die im Jahr 2019 auf 6,9 Mrd. Euro gesteigert haben. Kurzarbeit sinkt, ist aber für einige Branchen wei- Gemessen am Bruttoinlandsprodukt belegt Hessen terhin wichtig. damit den dritten Platz unter den Bundesländern. Die Kfz-Branche leistet dazu den größten Beitrag, Die Wirtschaft hat sich in den vergangenen Mona- gefolgt von der Pharma- und der Elektroindustrie. ten in vielen Branchen erfreulich schnell erholt. Da- zu haben auch die umfangreichen Wirtschaftshilfen Der Überblick über die hessische Konjunktur von Bund und Land beigetragen. Mit der Verlänge- fasst das aktuelle Wirtschaftsgeschehen zusam- rung des Darlehensprogramms Hessen-Mikroliqui- men: Der Außenhandel hat den pandemiebedingten dität bis zum 31. März 2022 sorgen wir dafür, dass Einbruch bereits hinter sich gelassen, sowohl der Selbstständige und Freiberufler in vielen kleinen Export als auch der Import konnten gesteigert wer- Betrieben durch den bevorstehenden wirtschaftlich den. Das Verarbeitende Gewerbe entwickelt sich schwierigen Winter kommen. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 1
VORWORT Schützen Sie sich selbst und andere, indem Sie sich impfen lassen! Ihr Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen 2 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
KURZBERICHT Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der hessischen Wirtschaft Ein wettbewerbsfähiges Unternehmen bzw. eine und umgekehrt. Externe FuE-Aufwendungen sind wettbewerbsfähige Wirtschaft insgesamt ist ohne demgegenüber Aufwendungen für FuE-Aufträge an fortwährende Innovationstätigkeit kaum vorstellbar. Dritte, die regelmäßig weniger als ein Drittel der in- Forschung und Entwicklung (FuE) stellen eine we- ternen Aufwendungen betragen. sentliche, obgleich nicht die einzige Quelle dar, um neue und innovative Produkte, Dienstleistungen, Gemäß Stifterverband summierten sich die inter- Verfahren und Prozesse zu entwickeln oder diese nen FuE-Aufwendungen der hessischen Wirt- zu optimieren. Deshalb wird nachfolgend ein Blick schaft im Jahr 2019 auf 6,8 Mrd. Euro. Schwer- auf die so genannten internen FuE-Aufwendun- punkt der FuE-Aktivitäten in Hessen ist eindeutig gen der Wirtschaft geworfen – und damit auf einen Südhessen (5,7 Mrd. Euro). Auf den Regierungsbe- wichtigen Ausschnitt der FuE in der hessischen zirk Gießen entfallen 530 Mio. Euro, auf den Regie- Wirtschaft. rungsbezirk Kassel 545 Mio. Euro. Damit sind die FuE-Aufwendungen der hessischen Wirtschaft ge- Den Ausführungen liegen die neuesten, in regionaler genüber dem Jahr 2017 um 9 % (Bund: +10 %) ge- Gliederung verfügbaren Daten der letzten Voller- stiegen. Mit großem Abstand die höchsten FuE- hebung (Berichtsjahr 2019) des Stifterverbandes Aufwendungen weist Baden-Württemberg (25,3 Mrd. Wissenschaftsstatistik zugrunde.1 Bei der Inter- Euro) vor Bayern (16,6 Mrd. Euro) auf. Hessen pretation der Daten ist zu beachten, dass diese den nimmt im Bundesländervergleich den fünften Rang Stand vor der Pandemie abbilden. Darüber, in wel- ein. chem Ausmaß sich die seit Frühjahr 2020 herr- schende Ausnahmesituation auf den Umfang der Interne FuE-Aufwendungen 2017 und 2019 im Bundesländervergleich Forschungsaktivitäten in Hessen auswirkt, kann der- zeit noch keine Aussage getroffen werden. Interne FuE-Aufwendungen in Mio. Euro Anteil am Brutto- Bundesland Unter FuE-Aufwendungen werden alle im Rahmen inlandsprodukt 2017 2019 2019 in % des FuE-Prozesses anfallenden Ausgaben verstan- den. Dies können Personal- und Sachkosten sein, Baden-Württemberg 23.330 25.272 4,8 Bayern 14.178 16.601 2,6 aber auch einmal getätigte Investitionen in länger- Berlin 1.908 2.084 1,3 fristige FuE-Güter (z.B. Labore). Investitionen wer- Brandenburg 405 486 0,7 den einmal erfasst, da die FuE-Statistik keine Ab- Bremen 291 331 1,0 schreibungen berücksichtigt. Die Aufwendungen Hamburg 1.438 1.512 1,2 werden je nach Verwendungszweck in interne und HESSEN 6.176 6.752 2,3 externe FuE-Aktivitäten unterschieden. Unter inter- Mecklenburg-Vorpommern 253 239 0,5 ner FuE versteht man alle FuE-Aktivitäten, die Niedersachsen 6.329 6.860 2,2 eine statistische Einheit (hier: Unternehmen, da Nordrhein-Westfalen 8.433 9.041 1,3 Hochschulen usw. in diesem Beitrag nicht berück- Rheinland-Pfalz 2.556 2.877 2,0 sichtigt sind) in den eigenen Räumlichkeiten Saarland 304 314 0,9 durchführt. Diese internen FuE-Aufwendungen bil- Sachsen 1.477 1.687 1,3 den den Kernindikator für die FuE-Aktivität. Die Re- Sachsen-Anhalt 253 260 0,4 gionalisierung erfolgt nach dem Sitz der For- Schleswig-Holstein 774 783 0,8 schungsstätte, womit eine etwa in Rheinland-Pfalz T hüringen 682 733 1,2 ansässige Forschungsstätte eines hessischen Un- Deutschland 68.787 75.830 2,2 ternehmens dem Nachbarland zugerechnet wird – Quelle: Stifterverband Wissenschaftsstatistik (2021). _____________________ 1) Vgl. Stifterverband Wissenschaftsstatistik GmbH (Hrsg.): arendi-Zahlenwerk 2021 – Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, Essen, 2021. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 3
KURZBERICHT Angesichts der erheblichen Größenunterschiede von Aktivitäten widerspiegelt: Auf 1,3 Mrd. Euro (+18 % Bundesland zu Bundesland ist das Verhältnis der gegenüber dem Jahr 2017) werden die internen FuE-Aufwendungen zur jeweiligen Wirtschafts- FuE-Aufwendungen beziffert. Dies entspricht einem leistung – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – Anteil der pharmazeutischen Industrie an allen in- aussagekräftiger. Auch bei dieser Kenngröße führt ternen FuE-Aufwendungen in Hessen von 20 % Baden-Württemberg (4,8 %) eindeutig die Rangliste (Deutschland: 7 %) – Rang zwei unter den Bran- an – wiederum vor Bayern (2,6 %) auf dem zweiten chen. Jeder vierte Euro für FuE der Pharmaindus- Platz. Hessen rangiert mit 2,3 % etwas über dem trie bundesweit wird damit in Hessen ausgegeben. Bundesdurchschnitt von 2,2 % auf Position drei. Auf dem dritten Rang der Wirtschaftszweige folgt Die entsprechenden Werte für die drei Regierungs- die Elektroindustrie mit 740 Mio. Euro, womit de- bezirke lauten: Darmstadt 2,7 %, Gießen 1,4 % und ren Anteil – ungeachtet des Zuwachses gegenüber Kassel 1,2 %. Nordrhein-Westfalen (1,3 %) als größ- 2017 um 15 % – mit 11 % merklich niedriger als auf tes Bundesland bleibt im Gegensatz zu Hessen klar Bundesebene (15 %) ist. unter dem Wert für Deutschland insgesamt. Obwohl der Schwerpunkt der FuE-Aktivitäten ein- Wie verteilen sich die FuE-Aufwendungen auf die deutig in der Industrie zu verorten ist, wird selbst- einzelnen hessischen Wirtschaftszweige? 2,0 Mrd. verständlich auch im Dienstleistungssektor ge- Euro bzw. 29 % aller internen FuE-Aufwendungen forscht und etwa neue Dienstleistungen entwickelt. der hessischen Wirtschaft des Jahres 2019 wurden Vor allem ein Bereich ist anzuführen – und zwar die vom Wirtschaftsbereich „Herstellung von Kraftwa- freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen gen und Kraftwagenteilen“ getätigt – in etwa ge- Dienstleistungen (2019: 540 Mio. Euro interne FuE- nau so viel wie zwei Jahre zuvor. Damit vereint die- Aufwendungen, 2017: 530 Mio. Euro). Hierzu zäh- se Branche der hessischen Wirtschaft den größten len z.B. Ingenieurbüros, die sich u.a. mit dem Ent- Anteil an den internen FuE-Aufwendungen auf wurf von Maschinen und Anlagen befassen und sich. Für Deutschland insgesamt liegt der Anteil der Projekte etwa im Bereich des Maschinenbaus oder Kfz-Branche an allen internen FuE-Aufwendungen der Elektrotechnik bearbeiten. Der Anteil dieses bei 37 %, in Baden-Württemberg (51 %) und in Nie- Dienstleistungsbereichs an der internen FuE der dersachsen (54 %) sogar noch höher. Insofern ist hessischen Wirtschaft entspricht mit 8 % weitge- die hessische Wirtschaft im Hinblick auf die Bran- hend dem Wert auf Bundesebene (7 %) und fällt chenstruktur der FuE deutlich breiter aufgestellt als damit höher aus als für so manchen Industriezweig. so manch anderes Bundesland. Dr. Claus Bauer Erheblich fällt der Unterschied zwischen Hessen und dem Bund bei der Pharmaindustrie aus, deren starke Stellung in Hessen sich auch in den FuE- Interne FuE-Anwendungen 2019 nach Branchen Hessen Deutschland Kraftwagen und Kraftwagenteile 4% 3% 6% 6% 2% Pharmaindustrie 29% 10% 7% Sonstiges Verarbeitendes Gewerbe 37% Elektroindustrie 6% 8% Freiberufl., wissenschaftl. u. techn. Dienstl. 7% Chemische Industrie 11% Maschinenbau 20% Sonstige Branchen 15% 12% 7% Information und Kommunikation 10% Quelle: Stifterverband Wissenschaftstatistik (2021). 4 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN Ausblick auf das Jahr 2022 anhand aktueller Konjunktur- prognosen Unsicherheit aufgrund der Corona-Pandemie hält auf die wirtschaftliche Aktivität abzuschätzen. weiter an Die in der Übersicht aufgeführten Prognosen wur- Ob die Wirtschaft „brummt“ oder sich in einer Krise den zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember befindet – hinsichtlich der Veröffentlichung von Kon- 2021 veröffentlicht, d.h. in einem Zeitraum ausge- junkturausblicken herrscht in den letzten Monaten sprochen hoher Unsicherheit und einem sich dyna- eines Jahres immer Hochkonjunktur. Anhand von misch ändernden Umfeld. Dies sei beispielhaft an- Prognosen renommierter Institutionen aus dem In- hand der 7-Tage-Inzidenz verdeutlicht, die als Zahl und Ausland wird nachfolgend überblicksartig auf- der bestätigten COVID-19-Fälle der vorangegange- gezeigt, welches Wirtschaftswachstum, d.h. welche nen sieben Tage pro 100.000 Einwohner definiert Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist. Zwar ist dieser Indikator nicht mehr der Indikator gegenüber dem Vorjahr, für das Jahr 2022 erwartet zur Bestimmung des Pandemiegeschehens, vermit- wird. Dabei wird auch ein Blick auf 2021 geworfen. telt jedoch einen plakativen Eindruck von der Ent- Der Schwerpunkt des Beitrags liegt jedoch auf dem wicklung der Fallzahlen in der mittlerweile vierten Ausblick für 2022. Infektionswelle. Wie bereits im Jahr 2020, so gilt es auch in diesem Zum Veröffentlichungszeitpunkt der ersten Progno- Jahr bei der Erstellung von Konjunkturprognosen se (Internationaler Währungsfonds, 12.10.2021) lag nicht nur die große Bandbreite der „üblichen“ Fakto- die 7-Tage-Inzidenz in Hessen bei 61,2. Bundes- ren (Privater Konsum, Investitionsgeschehen, Au- weit wurde ein vergleichbar hoher Wert von 65,8 ßenhandel, Wechselkurse, geld- und wirtschaftspo- ausgewiesen. Nur einen Monat später, am Tag der litische Maßnahmen u.v.a.m.) zu berücksichtigen, Veröffentlichung der Prognose der EU-Kommission sondern zudem das Corona-Virus als weitere Be- (11.11.2021), betrug die 7-Tage-Inzidenz in Hessen stimmungsgröße einzubeziehen. Es sind also zu- bereits 164,3 und für Deutschland insgesamt 249,1. sätzlich Erwartungen über die weitere Entwicklung Am 01.12.2021, als die Prognose der OECD er- der Pandemie zu bilden und deren Auswirkungen schien, lauteten die entsprechenden Werte 268,3 Konjunkturprognosen im Überblick* Welt Euroraum Deutschland Datum der Institution Veränderung gegenüber dem jeweiligen Vorjahr in % Veröffentlichung 2021 2022 2021 2022 2021 2022** Internationaler Währungsfonds 12.10.2021 5,9 4,9 5,0 4,3 3,1 4,6 Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 14.10.2021 5,7 4,2 5,0 4,6 2,4 4,8 (4,9) Bundesregierung 27.10.2021 x x x x 2,6 4,1 DIHK 28.10.2021 x x x x 2,3 3,6 Sachverständigenrat 10.11.2021 5,7 4,4 5,2 4,3 2,7 4,6 (4,7) EU-Kommission 11.11.2021 5,7 4,5 5,0 4,3 2,7 4,6 Helaba 23.11.2021 5,9 4,3 5,1 3,9 2,8 3,9 (4,0) IW Köln 29.11.2021 5,8 4,5 5,0 4,3 2,5 4,0 OECD 01.12.2021 5,6 4,5 5,2 4,3 2,9 4,1 IW Halle 14.12.2021 5,7 4,1 5,2 4,1 2,7 3,5 Ifo 14.12.2021 6,0 4,4 5,0 3,9 2,5 3,7 * Auswahl ** Werte in Klammern kalenderbereinigt. Da die Kalendereffekte 2022 sehr gering sind, wird in der Mehrzahl der Prognosen auf die Angabe von zwei getrennten, nur geringfügig abweichenden Wachstumsraten verzichtet. Quelle: Recherchen der Hessen Agentur. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 5
SCHWERPUNKTTHEMEN (Hessen) bzw. 442,9 (Deutschland) und waren da- kommende Jahr 2022 – wie auch für das fast abge- mit deutlich höher als am bisherigen Höhepunkt der schlossene Jahr 2021 – ausschließlich Zuwächse Pandemie im Dezember 2020. Erfreulicherweise lag des BIP ausweist. In keiner der aufgeführten Prog- die 7-Tage-Inzidenz am 14.12.2021, dem Veröffent- nosen wird eine erneute Abnahme der Wirtschafts- lichungszeitpunkt der Konjunkturprognosen des Ifo leistung weltweit, der Eurozone oder Deutschlands Instituts und des IW Halle, mit 375,0 (Deutschland) erwartet. bzw. 247,6 (Hessen) wieder etwas niedriger. Das Tableau weist für die Welt wie auch den Euro- Somit sind die aufgelisteten Prognosen im Kontext raum für das Jahr 2022 durchweg niedrigere Prog- einer vierten Infektionswelle zu sehen. Dabei gilt es nosen aus als für 2021, d.h. die Dynamik schwächt jedoch zu beachten, dass Deutschland zwar kei- sich ab. Für Deutschland sieht das Bild anders aus: neswegs das einzige Land ist, welches zurzeit mas- Selbst in Anbetracht des unterdurchschnittlich star- siv von einer solchen vierten Welle erfasst wird, ken Einbruchs in 2020, wird den Prognosen zufolge doch verallgemeinern lässt sich die Lage in Deutsch- das Wachstum 2021 recht schwach ausfallen, aber land wiederum auch nicht. So ist die 7-Tage-Inzi- dann im Jahr 2022 an Schwung gewinnen. denz in den USA sowohl niedriger als am Höhe- punkt der dortigen Entwicklung zu Beginn des Jah- Welt res 2021 als auch niedriger als in Deutschland. Und aus der VR China werden bereits seit dem Juni Hinsichtlich der Weltkonjunktur reicht die Spanne der 2021 nur noch wenige Hundert Fälle pro Woche ge- Prognosen für das Jahr 2022 von 4,1 % (IW Halle) meldet – um beispielhaft die beiden größten Volks- bis hin zu 4,9 % (Internationaler Währungsfonds). wirtschaften der Welt zu nennen. Vor dem Hintergrund des höheren Wachstums im Jahr 2021 stellt der IWF fest: „The global recovery Wenn auch die Situation in Deutschland an die La- continues but the momentum has weakened, hobb- ge vom Herbst 2020 erinnert, so besteht doch ein led by the pandemic.“1 Aber auch die vergleichswei- wesentlicher Unterschied: War vor gut einem Jahr se skeptische Projektgruppe Gemeinschaftsdiagno- die Aussicht auf einen Impfstoff noch recht vage, se kommt in ihrem Herbstgutachten letztlich zu dem sind seit Jahresanfang 2021 mehrere Impfstoffe zu- Schluss: „Der Aufschwung setzt sich durch.“ gelassen und mittlerweile mehr als 70 % der Bevöl- kerung geimpft. Seit Kurzem stehen auch Impfstoffe Wie die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, so für Fünf- bis Elfjährige zur Verfügung, was die Impf- liegt auch die Helaba in ihrem „Aufschwung all in- quote weiter erhöhen wird. Das Voranschreiten der clusive“ benannten Hauptszenario2 (Eintrittswahr- Impfkampagne (einschließlich „Booster“-Impfungen) scheinlichkeit: 75 %) am unteren Ende des Korri- sozusagen als Fundament der Pandemieeindäm- dors. Die Helaba spielt mit diesem Titel auf die un- mung verleiht Zuversicht in ein baldiges Ende der terstützenden „all inclusive-Pakete“ der Notenban- Pandemie und damit auch auf eine Normalisierung ken und Regierungen – sprich die expansive Geld- der Lage für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft. und Fiskalpolitik – an, die den Aufschwung noch bis weit in das Jahr 2022 tragen werden. Für 2022 Fortsetzung der weltweiten Erholung der Wirtschaft erwartet Naturgemäß stehen bei der Betrachtung der Welt- konjunktur mit den USA und der VR China die bei- Durch die Pandemie ist die Weltwirtschaft im Jahr den bedeutendsten Volkswirtschaften – sie stellen 2020 so stark geschrumpft wie seit dem zweiten zusammen gut ein Drittel (!) des weltweiten BIP – im Weltkrieg nicht mehr. Trotz weiterer Infektionswel- Mittelpunkt des Interesses. Dies gilt erst recht an- len in 2020 und 2021 in zahlreichen Staaten der gesichts der zumindest angespannt zu nennenden Welt befindet sich die Weltwirtschaft auf Erholungs- Beziehungen zwischen beiden Staaten, woran sich kurs. Diese Entwicklung veranschaulicht die umsei- auch unter der Ägide von US-Präsident Biden bis- tige Prognoseübersicht, die erfreulicherweise für das her nichts geändert hat. _____________________ 1) Übersetzung des Verfassers: Die globale Erholung hält an, aber die Dynamik hat sich aufgrund der Pandemie abgeschwächt. 2) Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der beiden Alternativszenarien „Horrortrip“ (negativ) und „Traumreise“ (positiv) werden von der Helaba mit 10 % bzw. 15 % angegeben. Alternative Wachstumsraten für das BIP in diesen beiden Szenarien werden nicht beziffert. 6 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN Die Wirtschaft der USA wurde in geringerem Aus- Tests sowie Elektronik (Ausrüstung für Homeoffice, maß als viele andere Staaten von der Corona-Krise Videokonferenzen etc.). Dies unterstreicht die zent- getroffen: Aufgrund des nur moderaten BIP-Rück- rale Funktion Chinas in den weltweiten Lieferketten. gangs in 2020 in Verbindung mit einer kräftigen Ge- Mit Verweis auf die noch unklaren weiteren Entwick- genbewegung in 2021 ist das Vorkrisenniveau be- lungen beim hochverschuldeten Immobilienkonzern reits wieder überschritten – mit dem Privaten Kon- Evergrande und die damit möglicherweise einher- sum als wesentlicher Triebkraft. Unterstützt wurde gehenden Verwerfungen auf den chinesischen Im- diese Entwicklung durch eine „superexpansive Fis- mobilienmärkten, sehen die Institutionen durchaus kal- und Geldpolitik“ (Helaba). Und die US-Wirtschaft auch Abwärtsrisiken für ihre China-Prognosen. befindet sich weiterhin auf Expansionskurs, wobei sich jedoch die fiskalpolitischen Impulse der auf- Apropos USA und VR China: Aufgrund der Pande- grund der Pandemie aufgelegten Konjunkturpro- mie ist der Handelskonflikt zwischen den beiden gramme weiter abschwächen. Zwar stehen weitere größten Volkswirtschaften der Welt in den Hinter- Programme (Infrastrukturpaket, Sozial- und Klima- grund gerückt – er schwelt jedoch weiter. Denn das schutzpaket) sozusagen vor der Tür, doch sind die- zu Jahresbeginn 2020 geschlossene „Phase-One“- se längerfristiger angelegt, sodass deren Wirkung Abkommen kann nicht darüber hinwegtäuschen, zum größten Teil erst nach dem Jahr 2022 eintreten dass viele der verhängten Einfuhrzölle weiterhin er- dürfte. Nicht nur die Fiskalpolitik wird im Jahr 2022 hoben werden. Zudem bleibt abzuwarten, ob China kontraktiv wirken, sondern in den Prognosen wird der Verpflichtung, mehr Waren aus den USA zu be- auch ein Anziehen der geldpolitischen Zügel er- ziehen, im vereinbarten Umfang nachkommt. Und wartet, um den Preisauftrieb in den USA zu dämp- ein „Phase-Two-Deal“, mit dem über weitere stritti- fen. Summa summarum sehen die Prognosen das ge Aspekte der Beziehungen eine Einigung erzielt Wirtschaftswachstum in den USA im Jahr 2022 zwi- werden sollte, scheint noch in weiter Ferne zu lie- schen knapp 4 % und gut 5 %. gen. An der Tatsache, dass sich die USA und China im Wettbewerb befinden, wer zukünftig die Wirt- Die VR China war das erste Land, welches von der schaftsmacht Nummer eins ist, dürfte im Grundsatz Corona-Pandemie betroffen war. Zur Eindämmung allerdings auch kein Abkommen etwas ändern. In- des Virus wurden sehr restriktive Maßnahmen be- sofern wird es sich derzeit eher um eine Atempause schlossen, sodass es bereits zu Beginn des Jahres in einem Handelskonflikt handeln, der jederzeit wie- 2020 zu einem Einbruch der chinesischen Wirt- der aufflammen kann – mit entsprechend negativen schaftsleistung kam. Die rigorose Eindämmungspoli- Auswirkungen auf Welthandel und Weltkonjunktur. tik brachte das Infektionsgeschehen zügig unter Kon- trolle und flankiert durch geld- und fiskalpolitische Euroraum Maßnahmen erholte sich die chinesische Wirtschaft sehr schnell und kräftig. Das Vorkrisenniveau wurde Die Wachstumsprognosen für 2022 für den Euro- bereits im Laufe des Jahres 2020 wieder erreicht. raum liegen recht nahe beieinander (+3,9 % bis Die Konjunktur gehorchte damit einem idealtypi- +4,6 %) und fallen insgesamt gesehen etwas gerin- schen v-förmigen Verlauf – einem massiven Rück- ger aus als die für die Welt insgesamt. In Verbin- gang folgt zügig ein ebenso kräftiger Erholungspro- dung mit der überdurchschnittlich starken Rezessi- zess. Die Einschätzungen für 2022 sehen China on im Jahr 2020 bleibt die Eurozone damit etwas weiter auf Wachstumskurs. Jedoch liegen die Prog- hinter der weltwirtschaftlichen Entwicklung zurück. nosen mit einem erwarteten Plus von rund 5 % klar Nichtsdestotrotz kann die EU-Kommission in ihrer niedriger als das Wachstum in 2021 und auch nied- Prognose konstatieren, dass die Wirtschaft das Vor- riger als das von der chinesischen Regierung für krisenniveau erreicht und von Erholung auf Wachs- 2022 angestrebte Wachstum in Höhe von 6 %. Als tum umgeschaltet habe. Flankiert wird dieser Pro- ein Grund wird das Auslaufen der pandemiebeding- zess durch eine weiterhin expansive Geldpolitik der ten Sonderkonjunktur genannt, denn die chinesische EZB und durch fiskalpolitische Maßnahmen der EU Wirtschaft exportierte in außergewöhnlichem Um- sowie der Länder selbst. So hat die EU Mitte 2020 fang u.a. Schutzmasken und -kleidung, COVID-19- das „Next Generation EU-Programm“ (NGEU) ver- HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 7
SCHWERPUNKTTHEMEN abschiedet, welches den Haushalt um rund 800 Mrd. Deutschland Euro ergänzt. Die Mittel, die zum Teil aus Zuschüs- sen und zum Teil aus Darlehen bestehen, sollen bis Das Wirtschaftswachstum in Deutschland wird 2021 zum Jahr 2026 ausgezahlt werden. Erklärtes Ziel ist aller Voraussicht nach nicht so kräftig ausfallen wie es, durch Investitionen (z.B. in die Digitalisierung) die noch vor einigen Monaten erwartet. Im Durchschnitt negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pan- gehen die Prognosen von einem BIP-Plus im Jahr demie zu bekämpfen. 2021 von 2,7 % aus, während im Frühjahr noch bis zu 4 % für möglich gehalten wurde. Als Grund für Da die Pandemie die 19 Staaten der Eurozone un- diese zurückhaltendere Einschätzung ist zum einen terschiedlich stark getroffen hat, fallen entsprechend die Pandemie zu nennen, die den Erholungsprozess differenziert auch die Wachstums- bzw. Erholungs- stärker als erwartet belastet. Dafür stehen auch die perspektiven für das Jahr 2022 aus. Wird etwa das nach wie vor umfangreichen fiskalpolitischen Maß- Herbstgutachten der Projektgruppe Gemeinschafts- nahmen von Bund und Ländern, um die wirtschaftli- diagnose als Grundlage herangezogen, so reicht die chen Auswirkungen der Pandemie für Unternehmen Spannweite von Luxemburg (+2,5 %) und Finnland und Beschäftigte möglichst gering zu halten. So wur- (+2,6 %) bis hin zu Portugal (+5,7 %) und Spanien den beispielsweise die Corona-Wirtschaftshilfen (+6,5 %). In den beiden erstgenannten Staaten hielt verlängert. Aktuell gilt bis Ende 2021 die Überbrü- sich der Rückgang der Wirtschaftsleistung im Jahr ckungshilfe III Plus und für Selbständige die Neu- 2020 in engen Grenzen, während hingegen Portu- starthilfe Plus. Die bisherige Überbrückungshilfe III gal und Spanien zu den Mitgliedern der Eurozone Plus wird nun im Wesentlichen als Überbrückungs- zählen, in denen die pandemiebedingte Rezession hilfe IV neben der Neustarthilfe bis Ende März 2022 ausgesprochen kräftig ausfiel. fortgeführt. Zum anderen wurde das Ausmaß der Knappheit von Rohstoffen und Vorleistungsproduk- Dies trifft auch für Frankreich, die zweitgrößte Volks- ten unterschätzt, das sich vor allem negativ auf die wirtschaft der Eurozone, zu. Dem massiven Einbruch Industrieproduktion auswirkt. folgte jedoch – nach langem und striktem Lockdown – ein ebenso kräftiger Aufholprozess, der durch ein Und wie werden die Konjunkturperspektiven 2022 Konjunkturpaket („France Relance“) im Umfang von für Deutschland, die größte Volkswirtschaft der Eu- 100 Mrd. Euro zusätzlich stimuliert wurde. Somit rozone, eingeschätzt? Die Bandbreite der für 2022 wurde in Frankreich das Vorkrisenlevel bereits ge- erstellten Prognosen ist relativ groß ist, denn sie gen Jahressende 2021 in etwa wieder erreicht. Für reicht von 3,5 % (IW Halle) bis hin zu 4,8 % bzw. das Jahr 2022 wird ein Wirtschaftswachstum von 4,9 % (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose). Dies knapp 4 % prognostiziert. ist nicht zuletzt Ausdruck der pandemischen Lage, die mehr Raum für abweichende Einschätzungen Auch die Nummer drei der Eurozone – nämlich Ita- und Szenarien lässt als etwa in Zeiten des „busi- lien – wird 2022 weiter auf Wachstumskurs gese- ness as usual“. hen. Relativ niedrige Inzidenzen und eine hohe Impf- quote sorgen für Zuversicht in puncto COVID-19 bei Vergleichsweise skeptisch fallen die Prognosen für Bevölkerung und Wirtschaft. Und die sehr expansi- 2022 des IW Halle (3,5 %), des DIHK (3,6 %) und ve Fiskalpolitik der Regierung stimuliert das öko- des Ifo Instituts (3,7 %) aus. Das Ifo Institut benennt nomische Geschehen im Land. Darüber hinaus un- bereits im Titel seiner Konjunkturprognose – „Lie- terstützen die Mittel aus dem europäischen Aufbau- ferengpässe und Coronawelle bremsen deutsche plan NGEU Italien bei der Bewältigung der Krise. Wirtschaft aus“ – die beiden wesentlichen Faktoren, Das Land wird absolut betrachtet die höchsten Zu- die der Einschätzung zugrunde liegen. Die Konjunk- schüsse aller EU-Mitglieder erhalten. Die Progno- turprognosen von Ifo und IW Halle sind die neues- sen für Italien für das Jahr 2022 liegen im Durch- ten (erschienen Mitte Dezember) der in der Über- schnitt bei rund 4 %, womit die EU-Kommission für sicht aufgeführten Prognosen. Dementsprechend die italienische Wirtschaft etwa Mitte nächsten Jah- sind sie stärker unter dem Eindruck eines wieder res das Vorkrisenniveau wieder erreicht sieht. zunehmenden Infektionsgeschehens entstanden als 8 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN zu einem früheren Zeitpunkt erstellte Prognosen. Vier der angeführten Institutionen – und zwar die Aber auch Ifo und IW Halle erwarten für das Jahr Bundesregierung, die Helaba, das IW Köln und die 2022 in Deutschland ein kräftigeres Wirtschafts- OECD – prognostizieren für Deutschland für 2022 wachstum als noch im Jahr 2021. So schreibt das ein Wirtschaftswachstum von rund 4 %. Dabei ist IW Halle: „Die Konjunktur wird [….] wieder kräftig in die durch das Wirtschaftsministerium veröffentlichte Schwung kommen.“ Herbstprojektion der Bundesregierung gewisserma- ßen die offizielle Konjunkturprognose für Deutsch- Die Prognose des DIHK unterscheidet sich insofern land. Die Herbstprojektion sieht Deutschland „wie- von den anderen in der Übersicht aufgeführten der auf dem Wachstumspfad“ und geht für 2022 Prognosen, als sie auf den Ergebnissen der regel- von einem Anstieg des BIP um 4,1 % gegenüber mäßig durchgeführten Konjunkturbefragung der dem Vorjahr aus. Nach Einschätzung der Bundes- Mitgliedsunternehmen der Industrie- und Handels- regierung leide die Wirtschaft unter einer „historisch kammern fußt. Hierbei werden die Unternehmerin- einmaligen Knappheit an Vorleistungsgütern“, was nen und Unternehmer u.a. nach der Geschäftslage die Industriekonjunktur insbesondere im 2. Halbjahr und nach den Geschäftserwartungen für die nächs- 2021 ausbremse. Unter der Annahme, dass sich ten Monate gefragt. 43 % der Unternehmen be- diese Lieferengpässe sukzessive auflösen, komme zeichneten in der Herbstbefragung ihre Lage als es im Jahr 2022 entsprechend zu deutlichen Auf- gut, während nur 14 % von einer schlechten Ge- holeffekten. Die OECD verweist in ihrer Prognose schäftslage sprachen. Damit erreicht der Saldo aus ebenfalls darauf, dass „a large stock of unfilled or- guten und schlechten Erwartungen erstmals wieder ders signals a strong potential rebound as supply einen Wert wie vor der Pandemie, d.h. in der Um- constraints ease“.3 Auch die Helaba setzt auf das frage zum Jahresbeginn 2020. Die Geschäftserwar- Jahr 2022 und ist der Meinung, die deutsche Wirt- tungen der Unternehmen fallen im Vergleich zur schaft werde das Vorkrisenniveau bereits im 1. Vier- Lagebeurteilung jedoch deutlich verhaltener aus. teljahr 2022 überschreiten. Der Grund wird darin gesehen, dass zu den unmit- telbaren Risiken der Pandemie (bspw. Krankheits- Am zuversichtlichsten blickt die Projektgruppe Ge- fälle in der Belegschaft, eine erneute Verschärfung meinschaftsdiagnose auf die deutsche Konjunktur der Maßnahmen zum Gesundheitsschutz) weitere des kommenden Jahres. In ihrem Herbstgutachten Risiken für die konjunkturelle Entwicklung getreten wird für 2022 ein Wachstum von 4,8 % bzw. 4,9 % sind. Zuvorderst werden hier die (massiv gestiege- prognostiziert. Ähnlich optimistisch fallen die Ein- nen) Energie- und Rohstoffpreise genannt, die mit schätzungen des Internationalen Währungsfonds Knappheiten bei so manchen Vorleistungsgütern (+4,6 %), des Sachverständigenrates (+4,6 % bzw. (z.B. Mikrochips) einhergehen, was sich bspw. ne- +4,7 %) und der EU-Kommission (+4,6 %) aus – gativ auf die für Deutschland so wichtige Automobil- obwohl die Prognosen der beiden letztgenannten industrie auswirkt. So heißt der Titel der aktuellen Institutionen einen Monat jünger sind, d.h. die Zu- DIHK-Konjunkturumfrage Herbst 2021 denn auch: nahme des Infektionsgeschehens in Deutschland „Aufschwung droht ausgebremst zu werden“. zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich an Fahrt auf- genommen hatte. Apropos Preiseffekte: Der DIHK rechnet mit einem Rückgang der Inflationsrate von rund 3 % im Jahr Und wie werden die Konjunkturperspektiven für 2021 auf 2,5 % im Jahr 2022. Die anderen Instituti- die hessische Wirtschaft gesehen? onen teilen die Einschätzung, dass die Inflation zwar abnehme, die Teuerungsrate aber auch 2022 über- Aufgrund der national wie international ausgepräg- durchschnittlich hoch bleiben werde. Denn die infla- ten Verflechtungen der hessischen Wirtschaft ste- tionstreibenden Faktoren (z.B. gestiegene Erzeu- cken die o.g. Prognosen auch den groben Rahmen ger- und Importpreise) dürften noch weit bis in das für die Konjunkturerwartungen in Hessen ab. So- Jahr 2022 ihre Wirkung entfalten. wohl nach oben als auch nach unten besteht zumeist nur wenig Spielraum, obgleich es naturgemäß spe- _____________________ 3) Übersetzung des Verfassers: … der große Auftragsbestand für einen kräftigen Aufholprozess spricht, sobald die Angebotsengpässe nachlassen. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 9
SCHWERPUNKTTHEMEN zifische Charakteristika der hessischen Wirtschaft tendsten Metropolregionen Deutschlands, von ei- zu berücksichtigen gilt. Vor dem Hintergrund des nem Wachstum des BIP um kräftige 5,2 % aus. Pandemiegeschehens ist vor allem an den Bereich PERFORM verweist dabei auf die verbesserten Er- Luftverkehr (Flughafen Frankfurt und Fluggesell- wartungsindikatoren und auf für 2022 zu erwarten- schaften), an das Messe- und Kongresswesen so- de Nachholeffekte in den von der Pandemie beson- wie an die Chemische und Pharmazeutische Indus- ders betroffenen Teilen der Wirtschaft. trie zu denken. Die PERFORM-Initiative prognostiziert nicht nur das Die letzte veröffentlichte Angabe zum Wirtschafts- Wirtschaftswachstum, sondern gibt auch eine Ein- wachstum in Hessen bezieht sich auf das 1. Halb- schätzung zur Beschäftigungsentwicklung ab. Für jahr 2021, für das ein Zuwachs des BIP um 2,8 % das Jahr 2022 wird eine Zunahme der sozialversi- ausgewiesen wurde – nahezu exakt der Wert für cherungspflichtigen Beschäftigung um 2,2 % bzw. Deutschland insgesamt (+2,9 %). Allerdings handelt rund 54.000 Personen prognostiziert, nachdem die es sich hierbei um vorläufige Berechnungen: Da für Hochrechnung für 2021, d.h. für das zweite Corona- etliche Branchen noch keine länderspezifischen Da- Jahr, Konstanz (+0,1 %) signalisiert. Tritt dies ein, ten vorliegen, wird in diesen Fällen die Entwicklung wäre damit das Niveau von vor der Krise leicht über- der Wertschöpfung auf Basis der Deutschlanddaten schritten. „Das Beschäftigungswachstum der ver- geschätzt. gangenen Jahre wird demnach durch die Corona- Pandemie nur kurz unterbrochen.“ – so PERFORM. Für Hessen insgesamt liegt lediglich eine Einschät- Überdurchschnittlich starke Impulse auf die Beschäf- zung zum Wirtschaftswachstum 2021 und 2022 vor tigung gehen gemäß der Prognose von den Dienst- – und zwar die der Helaba. Im Einklang mit der im leistungen (+2,6 %) und dem Baugewerbe (+2,4 %) 2. Halbjahr 2021 abnehmenden Dynamik bundes- in der Metropolregion aus, während die Industrie weit, geht die Helaba für 2021 für Hessen von einer (+1,4 %) aufgrund von Lieferengpässen und Roh- ähnlichen Wachstumsrate wie in Deutschland ins- stoffknappheit abfällt. gesamt (+2,8 %) aus. Allerdings war der pandemie- bedingte Einbruch der Wirtschaftsleistung im Jahr Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2020 in Hessen (-5,6 %) ausgeprägter als im Bun- (IAB) erwartet in seinen regionalen Arbeitsmarkt- desdurchschnitt (-4,9 %). prognosen vom Oktober für das Jahr 2022 ebenfalls eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. In- Die Prognose der Helaba für das kommende Jahr folgedessen werde im Jahr 2022 die sozialversiche- 2022 ist optimistischer – „Hessen: Überdurchschnitt- rungspflichtige Beschäftigung in allen Bundeslän- liches Wachstum 2022“ – so lautet die Überschrift dern wieder – unterschiedlich stark – zunehmen. des Passus zu Hessen im Rahmen des Hauptsze- Für Hessen wird ein Beschäftigungsplus von 1,7 %, narios der Helaba. Die Helaba sieht für 2022 u.a. ei- bundesweit ein Zuwachs um 1,6 % erwartet, wobei ne Erholung von Messebetrieb, Luftverkehr und Ho- es sich bei den angegebenen Prognosen um die tellerie, allesamt von der Pandemie überdurch- Mittelwerte von Prognoseintervallen handelt – im schnittlich stark betroffene Bereiche der hessischen Falle Hessens reicht dieses von +0,8 % bis +2,6 %. Wirtschaft. Summa summarum konstatiert die Hela- Gemäß der IAB-Prognose werde damit in allen west- ba in Relation zu Deutschland insgesamt: „Für Hes- deutschen Bundesländern das Beschäftigungsniveau sen sollte der Aufschwung mit 4,2 % noch etwas von vor der Corona-Krise, d.h. des Jahres 2019, kräftiger ausfallen.“ nicht nur wieder erreicht, sondern sogar überschrit- ten. Das IAB verweist allerdings explizit darauf, Noch zuversichtlicher fällt die Prognose der „Initiati- dass diese Arbeitsmarktprognosen aufgrund der Un- ve PERFORM Zukunftsregion FrankfurtRheinMain“ sicherheiten im Hinblick auf die weitere Entwicklung ebenfalls vom November aus. Die Gemeinschafts- der Covid-19-Pandemie mit großen Unsicherheiten initiative der Kammern geht auf der Grundlage ihrer behaftet seien. Befragung unter den Mitgliedsunternehmen für das Jahr 2022 für FrankfurtRheinMain, eine der bedeu- Dr. Claus Bauer 10 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN Monitoring der Energiewende in Hessen Im siebten Monitoringbericht zur Energiewende in 7,7 bzw. 5,2 %. Demgegenüber ist der Endenergie- Hessen1 – vorgelegt im Dezember 2021 – werden verbrauch der privaten Haushalte leicht gestiegen wieder eine Vielzahl von Indikatoren zu den The- (+0,3 %). Ursächlich hierfür sind Auswirkungen der menbereichen Energieverbrauch und Energieeffizi- Corona-Pandemie wie z.B. eine Zunahme von so- enz, erneuerbare Energien, Wärme und gebäudere- wohl Kurzarbeit als auch der Nutzung von Home- levanter Energieverbrauch, Netzausbau und Ver- office und dezentralem Arbeiten sowie von Internet- sorgungssicherheit, Verkehr und Elektromobilität, und Streamingangeboten. Treibhausgasemissionen sowie gesamtwirtschaftli- che Effekte der Energiewende betrachtet. Der Be- … und Primär- bzw. Endenergieproduktivität richtszeitraum umfasst bei Verfügbarkeit der ent- deutlich gestiegen sprechenden Daten den Zeitraum von 2000 bis 2020 und zum Teil bis zum ersten Halbjahr 2021. Aufgrund der massiven Auswirkungen der Corona- Die Hessen Agentur hat den Bericht in enger Ab- Pandemie, die in nahezu allen ökonomischen und stimmung mit dem Auftraggeber, dem Hessischen sozialen Bereichen festzustellen sind, fielen im Jahr Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und 2020 der Anstieg der Primärenergieproduktivität Wohnen, sowie dem Hessischen Statistischen Lan- gegenüber dem Vorjahr mit 9,7 % und der Anstieg desamt erstellt. Im vorliegenden Beitrag werden der Endenergieproduktivität mit 10,8 % deutlich hö- ausgewählte Ergebnisse vorgestellt. her als im langfristigen Mittel (+1,8 % bzw. +1,1 %) aus.3 Rückläufig war hingegen die Entwicklung der Energieverbrauch pandemiebedingt erheblich gesamtwirtschaftlichen Stromproduktivität (-3,0 %), abgenommen … da die Abnahme des temperaturbereinigten Brutto- stromverbrauchs (-2,7 %) geringer ausfiel als der Die Pandemie hat zu einem starken wirtschaftlichen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (-5,6 %). Einbruch und zu einem erheblichen Rückgang des Ursächlich dafür war der gestiegene Stromverbrauch Energieverbrauchs geführt. So schätzt das Leipziger der privaten Haushalte, da z.B. durch Homeoffice Institut für Energie (IE-Leipzig) für Hessen für das Teile des Stromverbrauchs aus dem gewerblichen Jahr 2020 einen Primärenergieverbrauch in Höhe Bereich in die privaten Haushalte verlagert wurde. von 736,6 Petajoule (PJ). Das sind 135,9 PJ bzw. 15,6 % weniger als im Vorjahr und damit der stärks- Anteil der erneuerbaren Energien am Endener- te Rückgang, seit Energiebilanzen für Hessen er- gieverbrauch höher als im Vorjahr stellt werden. Der Endenergieverbrauch2 wird auf 675,8 PJ geschätzt, und damit auf 133,1 PJ bzw. Der Beitrag der erneuerbaren Energien zum End- 16,5 % weniger als im Vorjahr. energieverbrauch lag in Hessen im Jahr 2020 bei 22,84 Terawattstunden (TWh). Der Anstieg gegen- Differenziert nach Verbrauchssektoren hat die Pan- über dem Vorjahr beläuft sich auf 1,28 TWh bzw. demie am stärksten den Endenergieverbrauch im 5,9 %. Die erneuerbare Stromerzeugung stieg dabei Verkehr zurückgehen lassen – und zwar um 30,3 %. von 8,3 auf 9,1 TWh. Dies war absolut die höchste In der Industrie sowie im Sektor „Gewerbe, Handel, Zunahme (+0,8 TWh bzw. +9,3 %), gefolgt von den Dienstleistungen und übrige Verbraucher“ waren es erneuerbaren Kraftstoffen (+0,7 TWh), die sich auf- _____________________ 1) Vgl. Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (Hrsg., 2021): Energiewende in Hessen – Monitoring- bericht 2021, Wiesbaden. Der Bericht steht als Download unter wirtschaft.hessen.de und hessen-agentur.de zur Verfügung. 2) Der Unterschied zwischen Primär- und Endenergieverbrauch besteht in den Bilanzpositionen Umwandlungs- und Übertragungsver- luste, die nicht zum Endenergieverbrauch gerechnet werden. 3) Die Produktivität wird als Quotient aus realem Bruttoinlandsprodukt und temperaturbereinigtem Primär- bzw. Endenergieverbrauch gebildet. Die Temperaturbereinigung dient der Eliminierung von Witterungseinflüssen, da ansonsten z.B. in einem besonders milden Winter ausschließlich witterungsbedingte rückläufige Energieverbräuche als Effizienzsteigerungen interpretiert werden könnten und umgekehrt bei kälterer Witterung Effizienzverluste konstatiert werden müssten. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 11
SCHWERPUNKTTHEMEN Entwicklung des Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien für Strom, in TWh Wärme und Kraftstoffe 2003 bis 2020* (in Terawattstunden) 25 22,8 21,3 21,6 18,4 19,3 17,6 2,6 3,3 20 16,5 16,0 2,7 14,7 14,9 15,3 2,6 2,6 2,6 15 2,7 2,6 10,5 2,9 2,8 2,9 10,6 10,6 8,6 9,6 9,4 10 6,8 8,9 8,1 9,0 8,1 1,8 8,6 8,3 0,7 5 5,2 8,0 8,3 9,1 5,0 5,3 6,1 6,3 7,3 3,2 3,8 4,3 4,8 0 1,1 1,5 2003 2005 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 (v) 2020 (p) Strom Wärme Kraftstoffe * Die dargestellten Daten zu erneuerbaren Energien werden nach dem Energiestatistikgesetz vollständig erst ab dem Jahr 2003 erhoben. Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, IE-Leipzig; 2019 (v) = vorläufig, 2020 (p) = Prognose grund der Anhebung der Treibhausgasminderungs- auch der infolge der Corona-Pandemie rückläufige quote besonders dynamisch (+24,9 %) entwickelt Stromverbrauch (-2,9 %) hat dazu beigetragen. haben. Hingegen verlief die erneuerbare Wärmeer- zeugung aufgrund der etwas milderen Witterung als Seit dem Jahr 2018 schätzt das IE-Leipzig auch die im Vorjahr leicht rückläufig (-0,1 TWh bzw. -1,4 %). von Photovoltaik-Anlagenbetreibern selbst erzeugte und selbst verbrauchte Strommenge, die weder von Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostrom- den Netzbetreibern noch von der Bundesnetzagen- verbrauch ebenfalls zugenommen tur erfasst wird. Mit Selbstverbrauch sind die selbst genutzten Strommengen der Endverbraucher ge- Wird die im Jahr 2020 in Hessen erzeugte und ein- meint – und nicht der Eigenverbrauch der Erzeu- gespeiste erneuerbare Strommenge von 9,1 TWh gungsanlagen selbst. Für 2020 beziffert sich diese auf den Bruttostromverbrauch in Höhe von 36,3 TWh selbstverbrauchte Strommenge auf 240 GWh und bezogen, so konnten etwas mehr als ein Viertel entspricht etwa 0,7 % am hessischen Bruttostrom- (25,1 %) des gesamten Stromverbrauchs erneuer- verbrauch. Unter Berücksichtigung dieses nicht er- bar gedeckt werden. Unberücksichtigt bei dieser fassten Selbstverbrauchs erhöht sich der Anteilswert Anteilsbetrachtung bleiben die erneuerbar erzeug- erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch ten Stromimporte aus anderen Bundesländern. Die- von 25,1 % auf 25,8 %. se positive Anteilsentwicklung (2019: 22,3 %) ist zum einen auf die deutlich gestiegene erneuerbare Stromerzeugung (+9,3 %) zurückzuführen. Aber Anteilsentwicklung erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch 2000 bis 2020* (in %) 30% geschätzter Photovoltaik-Selbstverbrauch 25,8% 25% 22,7% 23,0% 19,5% 20% 16,9% 16,4% 14,2% 15% 12,5% 25,1% 11,1% 22,3% 22,0% 9,8% 10% 7,9% 3,8% 5% 2,2% 0% 2000 2005 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 (v) 2020 (p) * Seit 2018 wird der Wert einschließlich des zugeschätzten Photovoltaik-Selbstverbrauchs ausgewiesen. Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, IE-Leipzig; 2019 (v) = vorläufig, 2020 (p) = Prognose. 12 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN Zubau erneuerbarer Energien zur Stromerzeu- Strom eingespeist – nämlich in Höhe von insgesamt gung: Weiterhin Boom bei Photovoltaik 1.156 GWh. Das entspricht 15 % der hessenweit durch erneuerbare Energieanlagen eingespeisten Im Jahr 2020 waren in Hessen erstmals mehr als Strommenge, womit der Vogelsbergkreis heraus- 5 Gigawatt (GW) elektrische Leistung von erneuer- sticht. Weitere Landkreise (LK), die eine hohe baren Energieanlagen installiert. Der Netto-Zubau Stromeinspeisung vorweisen, sind der LK Waldeck- hat sich nach dem Einbruch im Jahr 2019 wieder Frankenberg (737 GWh), der LK Kassel (726 GWh), erhöht und erreichte im Jahr 2020 einen Wert in der Main-Kinzig-Kreis (707 GWh) und der LK Mar- Höhe von 309,9 Megawatt (MW). Davon entfallen burg-Biedenkopf (664 GWh). In diesen fünf Land- 221,9 MW auf den Energieträger Photovoltaik und kreisen wird zusammen knapp die Hälfte des ein- 83,9 MW auf den Energieträger Windenergie. Bei gespeisten Stroms erzeugt, wobei die Windenergie den Energieträgern Biomasse und Wasserkraft war jeweils den überwiegenden Anteil stellt. In den dicht mit einem Plus von 4,1 MW bzw. 0,1 MW nur ein besiedelten Regionen Hessens wird weniger Strom geringer Netto-Zubau im Jahr 2020 zu verzeichnen. aus erneuerbaren Energien eingespeist und es do- Hervorzuheben ist besonders der ungebrochen posi- minieren Biomasse (u.a. im Main-Taunus-Kreis) tive Trend beim Energieträger Photovoltaik. Im Jahr oder Photovoltaik (z.B. im LK Offenbach). 2020 wurde bei diesem Energieträger der bereits hohe Zubauwert des Vorjahres nochmals um rund Endenergieverbrauch für Wärme deutlich gerin- 65 % übertroffen. Die Entwicklung im ersten Halb- ger als im Jahr 2020 jahr 2021 mit einem Netto-Zubau von 117,6 MW lässt darauf schließen, dass sich der Wachstums- Mit einem Endenergieverbrauch für Wärme in Höhe trend fortsetzt. Beim Energieträger Windenergie von 285 PJ ist gegenüber dem Vorjahr eine deutli- wurden im Jahr 2020 wieder deutlich mehr Anlagen che Abnahme in Höhe von 10,5 PJ bzw. 3,5 % fest- als im Krisenjahr 2019 hinzugebaut. Die guten Zu- stellbar, was zum einen auf die mildere Witterung, bauwerte der Jahre 2017 und 2018 konnten aber zum anderen aber auch auf den coronabedingten nicht erreicht werden. Im ersten Halbjahr 2021 sind Rückgang von Prozesswärme in der Industrie zu- neun Windenergieanlagen mit einer Leistung von rückzuführen ist. Speziell auf den gebäuderelevan- 32 MW in Betrieb gegangen. ten Endenergieverbrauch entfielen im Jahr 2020 insgesamt 240 PJ, was rund einem Drittel des ge- Regionale Verteilung der erneuerbaren Energie- samten Endenergieverbrauchs entspricht. Der größ- anlagen: Vogelsbergkreis mit Abstand vorn te Teil des gebäuderelevanten Endenergiever- brauchs entfällt wiederum mit 182 PJ auf die Bereit- Erneuerbare Energieanlagen sind in großer Zahl in stellung von Raumwärme. ganz Hessen vorhanden. Obwohl diese Eigenschaft der dezentralen Verteilung typisch für erneuerbare Verkehrssektor: Endenergieverbrauch vor allem Energieanlagen ist, sind regionale Schwerpunkte er- aufgrund der Krise im Luftverkehr erheblich ge- kennbar. Dies veranschaulicht die umseitige karto- ringer als im Vorjahr grafische Darstellung der eingespeisten Strommen- ge von EEG-geförderten Anlagen nach Landkreisen Für den Verkehrssektor wird für 2020 ein Endener- und kreisfreien Städten in Hessen im Jahr 2020.4 gieverbrauch in Höhe von 273 PJ geschätzt, 119 PJ Diese Schwerpunkte resultieren z.B. daraus, dass bzw. 30,3 % weniger als im Vorjahr. Innerhalb des aufgrund unterschiedlicher Windhöffigkeiten5, Sied- Verkehrssektors konzentriert sich der Rückgang auf lungsstrukturen und naturräumlicher Ausstattung den Luftverkehr, der 53 % weniger Energie ver- nicht alle Teilräume in gleicher Weise für den Auf- brauchte als ein Jahr zuvor. Im Jahr 2020 wurden bau der Windenergie geeignet sind. knapp 18,8 Mio. Passagiere befördert, ein Rück- gang gegenüber dem Vorjahr von 73,4 %. Und die Im Vogelsbergkreis wurde von erneuerbaren Ener- Zahl der Flugzeugbewegungen hat sich mehr als gieanlagen im Jahr 2020 mit Abstand der meiste halbiert und sank von 514.000 auf 212.000 (-58,7 %). _____________________ 4) Interaktive Karten mit Daten zur installierten elektrischen Leistung und Stromeinspeisung für die hessischen Gemeinden sind unter wirtschaft.hessen.de/Energie/Daten-Fakten abrufbar. 5) Die Windhöffigkeit ist definiert als durchschnittliches Windaufkommen an einem Standort. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 13
SCHWERPUNKTTHEMEN Erzeugte und eingespeiste Strommenge von nach EEG geförderten erneuerbaren Energieanlagen in den hessischen Landkreisen und kreisfreien Städten nach Energieträgern im Jahr 2020 (in GWh) 14 HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021
SCHWERPUNKTTHEMEN Vom Luftverkehr zum Straßenverkehr: Der Bestand Die Investitionen der Netzbetreiber in die deutschen an reinen Elektro-Pkw lag zum Jahresbeginn 2021 Stromnetze lagen im Jahr 2019 mit insgesamt bei 24.300 Fahrzeugen, hinzu kommen 89.614 Hy- knapp 7,1 Mrd. Euro zwar leicht über dem Vorjah- bridfahrzeuge. Damit hat sich bei beiden Antriebsar- reswert, blieben aber um knapp 700 Mio. Euro unter ten die bereits im Vorjahr zu beobachtende hohe dem Planwert. Für das Jahr 2020 war eine Investiti- Wachstumsdynamik weiter beschleunigt. Der Be- onssumme von 9,6 Mrd. Euro geplant, das bedeutet stand an reinen Elektro-Pkw hat um 13.630 Fahr- eine kräftige Steigerung um 2,5 Mrd. Euro bzw. zeuge (+128 %), der Bestand an Hybrid-Pkw um rund 35 % gegenüber 2019. 41.369 Fahrzeuge (+86 %) zugenommen. Ebenfalls deutlich angestiegen ist die Zahl der öffentlich zu- Auch im Jahr 2019 war die Stromversorgungsquali- gänglichen Ladepunkte für Elektrofahrzeuge auf ins- tät gewährleistet. Der SAIDI-Wert („System Average gesamt 2.844 zum 30. April 2021. Gegenüber April Interruption Duration Index“), ein Index zur Messung 2020 bedeutet dies eine Zunahme um 978 Lade- von Versorgungsunterbrechungen, ging in Hessen punkte bzw. 52 %. auf 10,31 Minuten zurück und lag damit wieder un- ter dem Bundesdurchschnitt. Die Gesamtdauer der Stromnetze – vom Ausbau bis zur Versorgungs- strombedingten Redispatchmaßnahmen6 für in Hes- sicherheit sen liegende Netzelemente war im Jahr 2020 mit 675 Stunden halb so hoch wie im Vorjahr. Bei den Die Modernisierung und der bedarfsgerechte Aus- spannungsbedingten Redispatchmaßnahmen zähl- bau der Stromnetze sind wichtige Voraussetzungen te das Netzgebiet Dipperz – Großkrotzenburg mit für das Gelingen der Energiewende. Der Ausbau 1.247 Stunden wie auch in den Vorjahren zu den der Übertragungsnetze wird im Bundesbedarfsplan- bundesweit am stärksten betroffenen Gebieten. gesetz (BBPlG) geregelt. Übertragungsnetze sind Netze, in denen der Strom über große Entfernun- Kurzer Blick auf gesamtwirtschaftliche Effekte gen mit Höchstspannung transportiert wird. und Treibhausgasemissionen Bei den Vorhaben aus dem BBPlG befindet sich bei Die Preisentwicklung ist für einzelne Energieträger den SuedLink-Leitungsvorhaben – zwei Übertra- im Jahr 2020 sehr unterschiedlich verlaufen. Infolge gungsleitungen zwischen Schleswig-Holstein und der gravierenden Corona-Folgen erfuhren Mineral- Baden-Württemberg bzw. Bayern – der einzige noch ölprodukte weltweit und national einen regelrechten durch Hessen verlaufende Abschnitt nun im Plan- Preiseinbruch. Am stärksten fiel mit fast 26 % der feststellungsverfahren. Beantragt wurde die Plan- Preis von leichtem Heizöl, gefolgt von Dieselkraft- feststellung für den Abschnitt der Regelzonengren- stoff (-12,2 %) und Superbenzin (-9,8 %). Der Preis- ze in der Nähe von Eisenach bis nach Mecklar rückgang für Fernwärme war mit 1,6 % deutlich (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) des Vorhabens 12. moderater. Leicht verteuert hat sich Erdgas (+0,3 %). Abschnitt A von Mecklar bis Dipperz (Landkreis Demgegenüber erhöhte sich der Strompreis um Fulda) des Vorhabens 17 befindet sich in Bundes- 3,0 % und lag damit abermals deutlich über dem fachplanung. Bei den Vorhaben 43 (Borken – Meck- Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten lar) und 45 (Borken – Twistetal) wurden im Jahr (+0,5 %). 2020 bereits einzelne Teilmaßnahmen begonnen. Neuer Bestandteil des Bundesbedarfsplans sind In Hessen haben besonders stromintensiv produ- das Vorhaben 65 Borken – Gießen Nord – Karben, zierende Unternehmen im Jahr 2020 für insgesamt das Vorhaben 66 Großkrotzenburg – Dettingen – 129 Abnahmestellen eine Begrenzung der EEG- Urberach, das Vorhaben 67 Bürstadt – BASF (Lud- Umlage mit einer privilegierten Strommenge von wigshafen) und das Vorhaben 76 Kriftel – Farbwer- insgesamt 9,4 TWh beantragt. ke Höchst Süd. Im Jahr 2020 wurden in Hessen Investitionen in An- lagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Höhe _____________________ 6) Unter Redispatch sind Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken zu verstehen, um Leitungsabschnitte vor einer Überlas- tung zu schützen. HESSISCHER KONJUNKTURSPIEGEL 3. QUARTAL • 2021 15
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