Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen

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Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
FACHBERICHTE Erdgas

        Zur Frage der Strömungsge-
        schwindigkeiten in Gasleitungen
        Jens Mischner

        Erdgas, Methan, Wasserstoff, Gemische, Zusatzgas, Austauschgas, Druckverlustberechnung,
        ­Strömungsgeschwindigkeit, Grenzgeschwindigkeit, Wandschubspannung

        Im vorliegenden Beitrag werden Fragen der analytischen Berechnung von zulässigen Strömungsgeschwindigkeiten in
        Gasleitungen erörtert. Hintergrund der Fragestellung ist die anstehende Umstellung von Gasversorgungssystemen
        von Erdgas auf Wasserstoff. Es wird gezeigt, dass beim Betrieb von Gasleitungen mit Wasserstoff deutlich höhere Strö-
        mungsgeschwindigkeiten zulässig sind als beim Betrieb mit Erdgas. Als Kriterium wird eine maximal zulässige Wand-
        schubspannung vorgeschlagen und quantitativ abgeschätzt. Vorschläge zur analytischen Berechnung der maximal
        zulässigen Strömungsgeschwindigkeiten werden unterbreitet. Diese berücksichtigen sowohl die Gasbeschaffenheit
        als auch spezifische Betriebsbedingungen der Rohrleitungen. Fragen des Mitreißens von Staubpartikeln und Flüssig-
        keitstropfen werden diskutiert.

        On the flow velocities in gas pipelines
        In this paper questions regarding the analytical calculation of permissible flow velocities in gas pipelines are discussed.
        The background for these posed questions is the upcoming conversion of gas supply systems from natural gas to hy-
        drogen. It will be demonstrated, that significantly higher flow velocities are permissible for the operation of pipelines
        with hydrogen than for the operation with natural gas. As a criterion, a maximum permissible wall shear stress is pro-
        posed and quantitatively estimated. Proposals for the analytical calculation of the maximum permissible flow velocities
        are presented. These proposals consider both the gas characteristics as well as specific operating conditions of the
        pipelines. Issues of entrainment of dust particles and liquid droplets are discussed.

        1. Einführung                                                  ben um erste Anhaltswerte für Strömungsgeschwindig-
        Im Zusammenhang mit dem Problem der Netzberech-                keiten handelt, also um Werte, an denen man sich übli-
        nung und des (künftigen) Netzbetriebs von Gasleitungen,        cherweise bei der Netzdimensionierung orientieren kann,
        die anstelle von Erdgas mit Wasserstoff bzw. Erdgas-Was-       nicht jedoch um strenge Grenzgeschwindigkeiten, die es
        serstoff-Gemischen beaufschlagt werden, stellt sich die        unter allen Umständen einzuhalten gilt. Außerdem wur-
        Frage nach zulässigen Strömungsgeschwindigkeiten neu.          de darauf hingewiesen, dass Staubpartikel schon ab Strö-
            Der Verfasser will zunächst versuchen, sich auf der        mungsgeschwindigkeiten wG ≥ 3 m/s mitgerissen wer-
        Grundlage einer kurzen Literaturrecherche einen Über-
        blick über gängige Richt- bzw. maximal zulässige Strö-
        mungsgeschwindigkeiten in Gasrohrleitungssystemen zu
        verschaffen. Im Bereich des Erdgastransports- bzw. -ver-
        teilung finden sich enstprechende Angaben im „Cerbe“;
        dort ab der 3. Auflage, praktisch unverändert fortge-
        schrieben bis zur aktuellen Ausgabe des bewährten Lehr-
        buchs; siehe Tabelle 1 gemäß [1-6], ebenso zitiert in [7;         Bild 1: Situationsskizze Strömungsgeschwindigkeit in der
        S. 619]. Es sei darauf verwiesen, dass in [6, S. 172f.] aus-      Rohrleitung
        drücklich angemerkt wird, dass es sich bei diesen Anga-

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Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
Erdgas FACHBERICHTE

   Tabelle 1: Anhaltswerte für hydraulische Kenngrößen und Strömungsgeschwindigkeiten in Gasrohrleitungen gemäß „Cerbe“ [1-6]
      Erdgas
      Druckbereich                                                                        ND                             MD                               HD
      Überdruck                                      pe         bar          ≤ 0,03            > 0,03…0,1             > 0,1 … 1             > 1 … 16              40 … 70
      Nennweiten                                     DN                     50 … 600             50 … 600             100 … 400            300 … 600            400 … 900

      Integrale Rauigkeit                             ki       mm           0,5 … 3,0            0,5 … 3,0            0,1 … 0,5             0,1 … 0,5                0,1
      Verfügbares spezifisches                       ∆p       mbar
                                                      L        km           0,5 … 1,5            1,0 … 1,5                 –                    –                     –
      Druckgefälle

                                                  p12 − p22    bar 2
                                                                                –                     –                 ≤ 0,03                 ≤5                   ≤ 30
                                                      L        km

      Rohrreibungszahl                                λ                 0,050 … 0,020         0,040 … 0,017        0,038 … 0,016 0,021 … 0,015               0,010 … 0,008
      Strömungsgeschwindigkeit                       wG                    0,5 … 3,5              1 … 10               7 … 18                 ≤ 20                  ≤ 20

den können. Die angegebenen Richtgeschwindigkeiten                                Angaben im Bereich 10 m/s werden von vielen Netzbe-
sind tendenziell deutlich höher. Die generelle Situation ist                      treibern als firmeninterne Richt- bzw. Grenzwerte für Erd-
in Bild 1 skizziert worden.                                                       gasleitungen bzw. -netze verwendet. Für den Bereich des
    In [8, S. 131] werden für Fragen der Kapazitätsermitt-                        überregionalen Gastransports sind jedoch auch in der
lung von Erdgasleitungen folgende Grenzgeschwindig-                               Vergangenheit Rohrleitungen für Strömungsgeschwin-
keiten angesetzt:                                                                 digkeiten bis wG ≤ 20 m/s ausgelegt worden. Im Betrieb
■■ 3 ... 6 m/s für Versorgungsleitungen                                           wurden in der Praxis des Netzbetriebs stets maßvolle
■■ 6 ... 10 m/s für Hauptleitungen                                                Überschreitungen dieses Wertes akzeptiert (siehe Fasold

  Tabelle 2: Strömungsgeschwindigkeiten in Gasanlagen2
      DVGW-Regelwerk                          Kontext, Durchflussgeschwindigkeit*)
      DVGW-G 614-1 2014-10 (A)                6.4.2 Strömungsgeschwindigkeiten
                                              Die Strömungsgeschwindigkeit in der Rohrleitung soll 25 m/s nicht überschreiten. Bei höheren Strö-
                                              mungsgeschwindigkeiten sind strömungsabhängige Pulsationsberechnungen durchzuführen sowie
                                              die Möglichkeit von Geräuschentwicklung und Erosion zu berücksichtigen.
                                              Außerdem ist die Arbeitsweise der vorgelagerten Gas-Druckregelgeräte zu berücksichtigen.
      DVGW-G 494 2020-12 (M)                  5.2 Strömungsgeräusche
                                              Die Strömungsgeräusche in einer Gas-Druckregelanlage sind normalerweise vernachlässigbar, wenn in
                                              den Anschlussrohrleitungen die für die Gasfortleitung empfohlene maximale Strömungsgeschwindig-
                                              keit von 20 m/s nicht überschritten wird. Liegen jedoch in der Anlage oder auch in partiellen Anlagen-
                                              bereichen (z. B. in den Sicherheitsarmaturen) höhere Geschwindigkeiten vor, ist der Einfluss des Strö-
                                              mungsgeräusches auf das Gesamtgeräusch zu beachten.
      DVGW-G 492 2004-01 (A)                  6 Anforderungen an Messanlagen
                                              6.1 Allgemeines
                                              …
                                              Die lichte Weite von verbindenden Leitungen und Leitungsteilen – ausgenommen sind Messgeräte –
                                              ist unter Berücksichtigung des gesamten Druckverlustes zu bemessen. In diesen Leitungen sollte eine
                                              Strömungsgeschwindigkeit von etwa 20 m/s nicht überschritten werden.

  *) Alle Hervorhebungen kursiv - der Verfasser
  **) aktuell: DVGW-G 499 August 2015 (A)
  1    Der Verfasser dankt Herrn M.Eng. Björn Kraft (Erfurt) für die aufwendige Recherche und die Überlassung der Ergebnisse [10]. Weitere Hinweise stammen von Herrn B.Eng. Maik
       Hoffmann (DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH, Leipzig) [11], dem an dieser Stelle ebenfalls herzlich für die freundliche Zurverfügungstellung seiner Rechercheergebnisse
       gedankt sei.

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Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
FACHBERICHTE Erdgas

        Tabelle 2: Strömungsgeschwindigkeiten in Gasanlagen2 (Fortsetzung)
         DVGW-Regelwerk                            Kontext, Durchflussgeschwindigkeit*)
         DVGW-G 495 2015-11 (A)                    Tabelle D.1 – Parameter
                                                    Lfd. Nr. Berechnungs­                                          Berechnungs-                          Sollwert
                                                             parameter                                             größe
                                                    1.                 Eingangsnennweite                           Strömungs­                            nach Herstellerangaben;
                                                                                                                   geschwindigkeit                       wenn keine Angaben verfügbar:
                                                                                                                                                         OPu bis 250 mbar: max. 15 m/s
                                                                                                                                                         OPu > 250 mbar bis 1 bar:
                                                                                                                                                         max. 20 m/s
                                                                                                                                                         OPu > 1,0 bar: max. 25 m/s
                                                    2.                 Gasfiltera)                                 Betriebsdurchfluss                    150 (m3/h)/m2
                                                                                                                   pro m2 Filterfläche
                                                    3.                 Gasvorwärmer                                Leistung                              Leistung ausreichend für
                                                                                                                                                         tE = 5 °C; tA = +3 °C
                                                                                                                                                         OPu,max i. d. R. mind. 0,95 · MOPu
                                                    4.                 SAV-Nennweite                               Strömungs­                            bei SAV mit Strömungsumlen-
                                                                                                                   geschwindigkeit                       kung: 50 m/s
                                                                                                                                                         bei SAV mit axialem Durchgang:
                                                                                                                                                         70 m/s
                                                    5.                 Leistungskennwert                           KG-Wert                               ausreichend für Qn,max bei OPu,min
                                                                       Gasdruckregelgerät
                                                    6.                 Leistungskennwert                           Zählergröße                           ausreichend für Qmax
                                                    7.                 Ausgangsnennweite                           Fließgeschwindig­                     nach Herstellerangaben;
                                                                                                                   keit am Messort für                   wenn keine Angaben verfügbar:
                                                                                                                   Gas-Druck­                            OPu bis 250 mbar: max. 15 m/s
                                                                                                                   regelgerät/SAV                        OPu > 250 mbar bis 1 bar:
                                                                                                                                                         max. 20 m/s
                                                                                                                                                         OPu > 1,0 bar: max. 25 m/s
                                                    a) Gilt für Patronenfilter, die bei staubbelastetem Gas eingesetzt werden, nicht für Zellenfilter.

         DVGW-G 499 April 1997                     3.2 Wärmeaustauscher
         (M)**)                                    Die Geschwindigkeit in den Rohren des Rohrbündels soll 40 m/s nicht überschreiten.
         DVGW-GW 303-1 Oktober                     Gasleitungen
         2006 (A)                                  A.I.2 Richtwerte für Fließgeschwindigkeiten
                                                   Richtwerte für Fließgeschwindigkeiten für die Auslegung und den Betrieb von Wasser­
                                                   leitungen enthält DVGW W 400-1 (A).
                                                   Für die Auslegung und den Betrieb von Gasleitungen haben Fließgeschwindigkeiten keine
                                                   den Wasserleitungen entsprechende Bedeutung. Als Richtwerte für maximale Fließge-
                                                   schwindigkeiten staubbelasteter Leitungen können 4-8 m/s herangezogen werden. Darüber
                                                   hinaus ist auf mögliche Lämrbelästigungen bei hohen Geschwindigkeiten zu achten.

        *) Alle Hervorhebungen kursiv - der Verfasser
        **) aktuell: DVGW-G 499 August 2015 (A)

        [9]). Offensichtlich handelt es sich bei diesen Strömungs-                                          de Limitierungen scheint nicht zu existieren. Interessan-
        geschwindigkeiten um Angaben, die „aus Erfahrung“ für                                               terweise enthält auch das gasfachliche Regelwerk nur
        Erdgasleitungen allgemein akzeptiert sind. Eine theoreti-                                           wenige explizite Angaben zu Strömungsgeschwindigkei-
        sche Fundierung, insbesondere für strenger einzuhalten-                                             ten, die in Gasleitungen einzuhalten wären. Im techni-

46                                                                                                                                                                    gwf Gas + Energie   5/2021
Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
Erdgas FACHBERICHTE

Tabelle 3: Durchflussgeschwindigkeiten (TGL 163-12000, Ausgabe 8.64); siehe [12, 13]
 Fluid/Leitungsart                                                       Durchflussgeschwindigkeit in m/s
 Stadtgas
 Haushaltanschlüsse bis 0,02 kp/cm2                                      bis 1
 Niederdruckleitung bis 0,05    kp/cm2                                   3 ... 8
 Mitteldruckleitung bis 1 kp/cm2                                         5 ... 10
 Hochdruckleitung größer 1     kp/cm2                                    10 ... 25

 Wasserstoff
 bis 20 kp/cm2                                                           12 ... 15

 Industriegas
 Niederdruckleitung bis 1,05 kp/cm2                                      3 ... 20
 Mitteldruckleitung bis 2    kp/cm2                                      5 ... 25
 Hochdruckleitung über 2      kp/cm2                                     20 ... 60

schen Regelwerk fixierte Anhaltswerte für Strömungsge-              tungen mit Wasserstoff gelten würde, so dass auch
schwindigkeiten in Gasanlagen wurden in Tabelle 2 zu-               dieselben Restriktionen in Bezug auf die Strömungsge-
sammengestellt.                                                     schwindigkeiten maßgebend seien. Der Verfasser hatte
    Diese Angaben beziehen sich in aller Regel auf Anla-            das bereits früher, siehe [15], infrage gestellt, da die Argu-
gen bzw. deren Bauteile und weniger auf Transport- bzw.             mentation via Strömungsgeschwindigkeiten eher forma-
Verteilleitungen. Es ist zu beachten, dass zulässige Strö-          len Charakter hat und nicht auf physikalisch begründeten
mungsgeschwindigkeiten häufig als Funktion des Be-                  Zusammenhängen basiert. Abweichende fluidmechani-
triebsdrucks ausgewiesen werden (wG,zul. = f(pG)). Das ist          sche Eigenschaften der strömenden Fluide wie deren
physikalisch de facto gleichbedeutend mit einer Abhän-              Dichte, ggf. Viskosität o. ä. werden an dieser Stelle nämlich
gigkeit der zulässigen Fließgeschwindigkeit von der Dich-           nicht bedacht. In einer kürzlich erschienenen Arbeit von
te des Gases, also wG,zul. = f(ρG).                                 Steiner [16] wird eine sehr detaillierte und überaus lehrrei-
    Sucht man nach Angaben für Strömungsgeschwin-                   che Analyse in puncto „historischer“ Strömungsge-
digkeiten in Netzen mit Wasserstoff, so kann pragmatisch            schwindigkeiten in Anlagen und Netzen, Erfahrungswer-
zunächst auf Daten für Stadtgasleitungen zurückgegrif-              ten, Angaben in Regelwerken etc. vorgelegt. Steiner
fen werden; siehe Tabelle 3 gemäß [12, 13]. In TGL 163-             kommt dezidiert zu dem Schluss, dass „der Wert von
12000 [13] finden sich auch Angaben für Wasserstofflei-             20 m/s deshalb auch einen Richtwert für die Integration
tungen, die in Tabelle 3 aufgenommen worden sind.                   von regenerativ erzeugten Gasen wie Wasserstoff darstel-
    Schmidt [14, S. 313] gibt für Wasserstoffleitungen expli-       len (wird). 20 m/s bleibt - eine neue Empfehlung für
zit eine Grenzgeschwindigkeit von w ≤ 10 m/s an, um ei-             Durchschnittsgeschwindigkeiten in Gasanlagen und
ne Beschädigung von Einbauten durch mitgerissene                    Rohrleitungen ist deshalb nicht erforderlich.“ [16]. Ob-
Festpartikel und Tropfen zu verhindern und um in oberir-            wohl die Argumentation in [16] außerordentlich kenntnis-
disch geführten Zuleitungen zu gastechnischen Anlagen               reich und differenziert geführt wird, fehlt auch dort eine
die durch Strömungsgeräusche verursachten Lärmemis-                 grundhafte physikalisch abgestützte, kritisch reproduzier-
sionen zu begrenzen. Die Bedingung, die aus Erfahrung               bare Methodik zur Bestimmung der maximal zulässigen
für Erdgasnetze angewandt wird, soll nach [14] ganz aus-            Strömungsgeschwindigkeiten in Gasleitungen, die so-
drücklich auch für Wasserstoffnetze uneingeschränkt                 wohl auf Erdgase als auch auf Erdgas-Wasserstoff-Gemi-
Gültigkeit haben. Das Übertragen der Grenzgeschwindig-              sche bis hin zu Wasserstoff universell anwendbar wäre.
keiten für Erdgasnetze auf Wasserstoffleitungen wird in             Zudem chargieren die Autoren letztlich doch zwischen
[14] damit begründet, dass das o. a. Schutzziel für den             maximal zulässigen Strömungsgeschwindigkeiten, wirt-
Betrieb der Leitungen mit Erdgas (Verhinderung der Be-              schaftlich optimierten und allgemein üblichen, d. h. aus
schädigung der Leitungsanlage infolge Mitriss von Parti-            Erfahrung sinnvollen Durchschnittsgeschwindigkeiten im
keln/Tropfen, Verhinderung unzulässiger Schallemissio-              Leitungsbetrieb. „Echte“ Grenzgeschwindigkeiten wer-
nen etc.) in gleicher Weise auch für den Betrieb der Lei-           den typischerweise nicht postuliert. Aus dieser „Gemen-

gwf Gas + Energie   5/2021                                                                                                           47
Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
FACHBERICHTE Erdgas

        gelage“ leitet sich letztlich die Problemstellung für diesen   tropfen in der Leitung analysiert und diskutiert werden.
        Beitrag ab.                                                    Das schließt den Versuch ein, vorhandene und allgemein
                                                                       anerkannte Erfahrungswerte aus dem Betrieb von Erd-
                                                                       gasnetzen einzuordnen und diese ggf. zu verifizieren. Auf
        2. Problemstellung                                             dieser Grundlage sollen dann in einem zweiten Schritt
        Bei der Umstellung von Erdgasnetzen auf den Betrieb mit        fluidmechanisch begründete Geschwindigkeitsgrenzen
        Wasserstoff sind systematisch höhere Mengenströme zu           für den Betrieb der Gasnetze mit Wasserstoff angegeben
        transportieren als beim Betrieb der Netze mit Erdgas, da       und zur Diskussion gestellt werden.
        der Brennwert von Wasserstoff bzw. Wasserstoff-Erdgas-             Fragen der Schallemissionen durch Strömungsvor-
        Gemischen geringer ist als der von Erdgas. Zugleich ist        gänge in Leitungen werden in diesem Beitrag nicht be-
        die Dichte von solchen Gemischen substanziell niedriger        handelt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich bei
        als die von Erdgas. In Summe stellen sich in Gasnetzen,        energiestromäquivalenter Belastung der Leitungen ähnli-
        die von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden, bei          che schalltechnische Parameter ergeben werden wie
        energiestromgleichen Lastverhältnissen, unveränderten          beim Betrieb der Leitungen mit Erdgas [11]. Die in diesem
        Durchmessern und gleichen Betriebsdrücken daher                Beitrag diskutierten Problemstellungen und abgeleiteten
        zwangsläufig deutlich höhere Strömungsgeschwindig-             Größen gelten daher formal zunächst in erster Linie für
        keiten ein; siehe hierzu [17-19]. Das wird bei der netzpla-    erdverlegte Rohrleitungen.
        nerischen Analyse der Leitungssysteme schnell offenkun-            Stoffdaten für Erdgase, Wasserstoff bzw. Erdgas-Was-
        dig, wenn man sich an bislang geltenden Grenzwerten            serstoff-Gemische finden sich in [6, 14, 15–19] bzw. in
        für die Strömungsgeschwindigkeiten orientiert. Hydrauli-       [21–23].
        sche Probleme, wie beispielsweise das Nichteinhalten
        von Druckwerten an wichtigen Netzknoten- bzw. An-
        schlusspunkten lassen sich i. d. R. durch Druckanhebun-        3. Grenzgeschwindigkeiten
        gen o. ä. Maßnahmen beheben. Diese wirken sich jedoch
        praktisch nicht auf die Strömungsgeschwindigkeiten im          3.1 Mitriss Staub
        Netz aus, so dass ein Beibehalten der bislang verwende-        Bei der Fixierung von Grenzgeschwindigkeiten für den
        ten Grenzgeschwindigkeiten häufig kapitalintensive             Betrieb von Gasleitungen wird häufig die Problematik des
        Netzumbauten nach sich ziehen würde. Es ist daher ein          Mitrisses von in den Leitungen vorhandenem Staub the-
        Gebot wirtschaftlicher Vernunft, bislang geltende Restrik-     matisiert. Es ist also erforderlich, sich mit der Frage aus-
        tionen kritisch infrage zu stellen und ggf. physikalisch ab-   einanderzusetzen, unter welchen Bedingungen Staub-
        gesichert neu zu formulieren. Sollte es sich erweisen, dass    partikel in Gasleitungen mitgerissen und durch den Gas-
        in Wasserstoffnetzen höhere Strömungsgeschwindigkei-           strom in Strömungsrichtung verfrachtet werden. Hierzu
        ten zulässig wären als in Erdgasnetzen, wäre das sowohl        liegen aus der Vergangenheit empirische Untersuchun-
        volkswirtschaftlich als auch für Netzbetreiber betriebs-       gen von Bolzinger vor, die u. a. in [24] zitiert werden. Dem-
        wirtschaftlich bedeutsam.                                      gemäß müssen als Ursachen für den im Erdgas transpor-
            Es stellt sich daher fast zwangsläufig die Frage, welche   tierten Staub folgende Faktoren bedacht werden:
        Grenzgeschwindigkeiten beim Betrieb der Netze mit              ■■ Rost, der sich von der Innenwand nicht beschichteter

        Wasserstoff zwingend einzuhalten sind. Es sei darauf ver-          Rohre „von selbst“ ablöst oder durch die Einwirkung
        wiesen, dass ähnlich gelagerte Probleme für die Ausle-             der Gasströmung abgelöst wird,
        gung und den Betrieb von Gasdruckregelanlagen kürz-            ■■ Verunreinigungen, z. B. Sand, die beim Bau der Rohr-

        lich intensiv untersucht worden sind [20]; die dort ange-          leitung in die Segmente gelangt und auch nach dem
        wandte Vorgehensweise lässt sich auf die hier zu                   Molchen der fertiggestellten Leitung nicht vollständig
        behandelnde Problemstellung nicht übertragen, so dass              entfernt worden sind.
        eine eigene Untersuchungsmethodik entwickelt werden
        muss.                                                          Feststoffteilchen dieser Art setzen sich in der Rohrsohle
            Ziel des Beitrags ist es daher, den Versuch zu unter-      ab und werden beim Erreichen einer unteren Grenzge-
        nehmen, auf der Basis fluidmechanischer Überlegungen           schwindigkeit vom strömenden Medium Erdgas aufge-
        ein physikalisch begründetes, daher nachvollziehbares          wirbelt und im Rohr transportiert. Lubenau [25] weist de-
        (reproduzierbares) Kriterium zu formulieren, auf dessen        zidiert darauf hin, dass die Staubbelastung in modernen
        Grundlage sich hydraulisch fundierte Limitierungen für         Gasleitungen im Vergleich zu früheren Verhältnissen
        die Strömungsgeschwindigkeiten in Gasnetzen ableiten           recht gering ist. Die früher analysierten Stoffdaten der
        lassen. Zudem sollen Grenzgeschwindigkeiten im Hin-            Stäube (Partikelgrößen, Partikelgrößenverteilungen, Be-
        blick auf den Mitriss von Staubpartikeln und Flüssigkeits-     standteile und darauf basierende Stoffeigenschaften)

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Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
Erdgas FACHBERICHTE

Tabelle 4: Grenzgeschwindigkeiten Staubtransport nach Bolzinger gemäß [24]
                                                         Aufwirbelungsgeschwindigkeit                           Transportgeschwindigkeit
    Korngröße
                                                                              m/s                                           m/s
    μm                                               pG = 1 bar              5 bar          70 bar        pG = 1 bar       5 bar          70 bar
    > 20                                                  6,0                 3,0            0,92             2,8           1,4            0,43
    > 50                                                  9,9                 4,9            1,02             4,6           2,25           0,47
    > 100                                               12,55                 5,3            1,08             5,8           2,45           0,50
    > 200                                               15,15                 5,6            1,08             7,0           2,65           0,50

dürften jedoch weiter Gültigkeit haben, so dass auf diese                                   Bild 2: Situationsskizze
Erkenntnisse gemäß [24] auch weiterhin zurückgegriffen                                  ­Staubaufwirbelung/Mitriss
werden darf.                                                                              von Staubpartikeln an der
   Diese o. a. Grenzgeschwindigkeit wird nach Bolzinger                                                   Rohrsohle
bestimmt von
   −− der Korngröße des Staubes und
   −− dem Druck, unter dem das Gas fortgeleitet wird.

Die von Bolzinger ermittelten und in [24]2, 3 zitierten em-
pirischen Daten zum Staubtransport in Erdgasleitungen
sind hier auf der Grundlage von [24] in Tabelle 4 wieder-
gegeben worden.
    Es zeigt sich, dass die zum Aufwirbeln abgelagerten
Staubes erforderlichen Gasgeschwindigkeiten etwa dop-
pelt so hoch sind, wie die für das Transportieren des auf-
gewirbelten Staubes. Diese Angabe enthält indirekt Infor-
mationen zu den ablaufenden Vorgängen: In Gasleitun-
gen ­befindet sich in der Rohrsohle Staub. Über diese
Staub­ablagerungen strömt Gas. Ab einer bestimmten
Fließ­­geschwindigkeit des Gases werden aus der Staubab-
lagerung Partikel „herausgerissen“ und von der Gasströ-                                    Bild 3: Staubaufwirbelungsgeschwindigkeiten in Erdgasleitungen
mung „mitgenommen“. Unter den Bedingungen in                                              ­gemäß Bolzinger in Abhängigkeit vom Betriebsdruck; Parameter: Parti-
Gastransportleitungen darf davon ausgegangen werden,                                       kelgröße
dass die Staubbeladung der Gasströmung verhältnismä-

2    Leider konnte der Verfasser die Orignalquelle [Bolzinger] nicht beschaffen.       ßig gering ist. Die für den Mitriss des Staubes nötige Ener-
     In [24] wird diese Arbeit auf das Jahr 1971 datiert und der Titel mit „Zur Fra-
     ge des Staubtransports in Gasfortleitungs- und -verteilungsanlagen“ ange-         gie wird vom strömenden Gas aufgebracht.
     geben. Eine deutschsprachige Veröffentlichung dieses Titels im genannten             Diese Situation wurde in Bild 2 skizziert. Demgemäß
     Zeitraum konnte in der einschlägigen Fachliteratur nicht nachgewiesen
                                                                                       werden durch Einwirkung des Gasstroms auf den in der
     werden. Bei „Bolzinger, A.: On the Entrainment of Dust in Transmission and
     Distribution Pipelines. In: Institution of Gas Engineers, Journal, 1971, Band     Rohrsohle abgelagerten Staub einzelne Staubpartikel an
     11“ handelt es sich wohl lediglich um einen Verweis/Kurzinhaltsangabe auf         der Oberfläche in Bewegung gebracht, infolge des Auf-
     die relevante Originalarbeit. Hierbei dürfte es sich um „Bolzinger, A.: Gaz d‘
     Aufourd’hui, Jan. 1971, 95 (1), 3-17“ handeln. Leider konnte diese Quelle         einanderabrollens der Partikel bilden sich wellenförmige
     durch den Verfasser trotz intensiver Bemühungen nicht eingesehen wer-             Kämme, aus denen sich dann Partikel lösen und mit dem
     den. Der Verfasser zitiert Bolzinger daher notgedrungen stets nach [24];
     aber auch dieser Projektbericht liegt nur in kurzen Auszügen vor, so dass
                                                                                       Gasstrom fortgetragen werden.
     die näheren Bedingungen der Untersuchungen von Bolzinger nicht exakt                 Die Angaben gemäß Tabelle 4 bieten in dieser Form
     recherchiert werden konnten. Es wird davon ausgegangen, dass die                  wAufw. = f(pG) einen sehr praxisbezogenen Überblick über
     Druckangaben als Überdrücke zu verstehen sind.
                                                                                       die Grenzgeschwindigkeiten zum Staubtransport in Erd-
3    Der Verfasser dankt Herrn Dipl.-Ing. A. Bilsing (DBI Gas- und Umwelttechnik
     GmbH, Leipzig) für die freundliche Unterstützung bei der Quellenrecher-
                                                                                       gasleitungen. Die Daten gemäß Tabelle 4 wurden zu-
     che.                                                                              sätzlich grafisch in Bild 3 aufgetragen. Diese Art der Auf-

    gwf Gas + Energie     5/2021                                                                                                                                  49
Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
FACHBERICHTE Erdgas

                                                                                                                    Tabelle 5: Wert des Parameters Dpu gemäß Gl. (4) als Funktion
                                                                                                                    der Partikelgröße
                                                                                                                      Partikelgröße                                   Dpu
                                                                                                                      μm (= 10-6 m)

                                                                                                                      > 20                                            0,00250
                                                                                                                      > 50                                            0,00400
                                                                                                                      > 100                                           0,00600
                                                                                                                      > 200                                           0,00850
                                                                                                                      > 300                                           0,01000

Bild 4: Staubaufwirbelungsgeschwindigkeiten in Erdgasleitungen gemäß
­Bolzinger in Abhängigkeit von der Dichte des Gases; Parameter: Partikelgröße

               bereitung bietet jedoch noch keinerlei analytischen Zu- in Rohrleitungen zu analysieren. Hier helfen die Erkennt-
               gang zu den zugrunde liegenden physikalischen nisse aus dem Bereich des pneumatischen Transports,
               Gesetzmäßigkeiten des Staubtransports in Gasleitungen, siehe [26–35], weiter. Die sog. Pickup-Geschwindigkeit
               der eine Übertragung dieser Grenzgeschwindigkeiten wG,pu lässt sich gemäß [35, S. 149ff.] wie folgt abschätzen:
                                                                                                                                                                                                                       1
               von Erdgasleitungen auf die Verhältnisse in wasserstoff-                                                                                   0 ,175               0 , 25         0 ,75
                                                                                                                                                                                                                
                                                                                                                                            d ⋅ρ                   D                ρ 
                                                                                                                                                                                                                   0 , 825

               führenden Gasleitungen zulassen würde.                                                         w G,pu = 0, 0428 ⋅  S ,50 G                      ⋅  R  ⋅  P  ⋅ g ⋅ dS ,50 
                                                                                                                                           η                     S ,50 
                                                                                                                                                                     d                   ρG                   
                   Das Destabilisieren der Staubformationen und das                                                                                G
                                                                                                                                  1
               nachfolgende Mitreißen    von Staubpartikeln         0 ,175 ist auf direkte
                                                                                       0 , 25           0 ,75
                                                                                                                              0 ,825
                                                      dS ,50 ⋅ ρG            DR              ρP 
                                G ,pu =
               mechanischewEinwirkungen  0 , 0428 ⋅
                                                  der    Strömung
                                                      η                 ⋅
                                                                           auf  die
                                                                              d     Staub-  ⋅  ρ        ⋅  g ⋅ dS , 50
                                                                                                                              (3)
               partikel zurückzuführen.  Die hierfür       G aufgewendete    S ,50  Ener-       G                        
               gie stammt aus der sog. Strömungsenergie des Fluid-
               stroms und ist proportional sowohl zur Fließgeschwin- Die Pickup-Geschwindigkeit und die Aufwirbelungsge-
               digkeit als auch zur Dichte des Fluids. Es bietet sich daher schwindigkeit nach Bolzinger sind physikalisch analoge
               an, zu versuchen, die Abhängigkeiten gemäß Bild 3 phy- und daher einigermaßen direkt vergleichbare Größen.
               sikalisch korrekter in der Form wAufw. = f(ρG) aufzuberei-                                      Der Korndurchmesser von Stäuben ist stets ein statis-
               ten, da ein direkter Zusammenhang zwischen Druck und tischer Mittelwert, der die Gesamtheit der Partikeldurch-
               Dichte besteht (ρG = f(pG)). Wenn man die Normdichte messer repräsentiert. Häufig wird hierfür der sog.
               des Gases als bekannt voraussetzt, gilt bekanntermaßen:                                  Medianwert der Korngrößenverteilung dS,50 verwendet;
                                                                                                        siehe beispielsweise [30, 34, 35]. Dieser soll nachfolgend
                             pG Tn Zn                 pG Tn 1                  (1)                     einfach als Partikeldurchmesser dP (also: dP = dS,50) be-
                  ρG = ρn,G ⋅ ⋅ ⋅ = ρn,G ⋅ ⋅ ⋅
                             pn TG ZG                  pn TG K G                                        zeichnet werden.
               Unter Berücksichtigung aller Unwägbarkeiten in den ver-                                         Vergleicht man diese Beziehung mit den Abhängig-
               wendeten Daten nach Bolzinger lässt sich die Abhängig- keiten nach Bolzinger und will versuchen, diese vergleich-
               keit ρG = f(pG) gemäß Bild 4 recht gut in der Form                                       bar in eine gemeinsame Struktur zu bringen, dann gilt es
                                                                                                        in erster Linie, die Geometrieparameter (Rohrleitungs-
                             1
                  w Aufw. ~     (2) durchmesser DR, Partikeldurchmesser dP) aus Gl. (3) zu
                             ρG
                                                                                                        eliminieren, resp. zusammenfassend zu mitteln. Hierfür
               darstellen.                                                                              wird Gl. (3) wie folgt neu angeschrieben:
                   Das ist ein deutlicher Fingerzeig auf die tatsächlichen
               Mechanismen und Abhängigkeiten. Es lohnt sich daher,                                                                                                        0 , 25                    0 ,175              0 , 25
                                                                                                                                                  1       0 ,175
                                                                                                                                                                    DR  0.825 00,825   , 50
                                                                                                                                                                                               ρG  0 ,825  ρP  0 ,825
               an dieser Stelle nochmals zu versuchen, theoretisch                                                              (
                                                                                                              w G,pu = 0, 0428 ⋅ g
                                                                                                                           
                                                                                                                                                    )
                                                                                                                                              0 , 825
                                                                                                                                                      ⋅ dP ⋅  
                                                                                                                                                          0 , 825

                                                                                                                                                                    dP 
                                                                                                                                                                                     ⋅ dP ⋅  
                                                                                                                                                                                               ηG 
                                                                                                                                                                                                            ⋅ 
                                                                                                                                                                                                              ρG 
               tiefergehende Zusammenhänge für den Staubtransport                                                                    0 , 0875           
                                                                                                                                                                           Dpu

50                                                                                                                                                                       gwf Gas + Energie         5/2021
Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
Erdgas FACHBERICHTE

               Bild 5: Abhängigkeit des Parame-
               ters Dpu gemäß Gl. (4) von der Parti-
               kelgröße

      0 , 25               0 ,175               0 , 25
                                                                                       Gl. (5) enthält neben der Dichte der Staubpartikel (ρP) nur
DR  0.825 0 ,825  ρG  0 ,825  ρP  0 ,825
              0 , 50

          ⋅ d        ⋅       ⋅                                                     noch Stoffwerte des transportierten Gases (Dichte ρG,
d 
             P
                       ηG      ρG 
P                                                                                dynamische Viskosität ηG), so dass mit Hilfe von Gl. (5) die
  Dpu
                 mit                                                                   Pickup-Geschwindigkeit von Staubpartikeln direkt be-
                                                 0 , 25
                                                                                       rechnet werden kann. Das ist sowohl für Erdgas aber
                              0 ,175
                                          D  0.825 00,825
                                                         , 50

                  Dpu = d     0 , 825
                              P         ⋅ R       ⋅ dP                               gleichermaßen auch für Wasserstoff möglich. Die Ergeb-
                                          dP 
                                                                                       nisse entsprechender Berechnungen sind in Tabelle 6
               oder                                                                    ausgewiesen worden.
                                                       1                                    Es erweist sich, dass mit Hilfe von Gl. (5) die empirisch
                          (
                  Dpu = dP0 , 425 ⋅ DR0 ,25    )   0 , 825      (4)                   ermittelten Daten für die Aufwirbelungsgeschwindigkeit
                                                                                       von Stäuben in Erdgasleitungen nach Bolzinger recht gut
               Schätzt man den Wert der Größe Dpu für Partikelgrößen                   reproduziert werden können. Das gilt sowohl für die qua-
               in Anlehnung an Bolzinger für den üblichen Durchmes-                    litativen Abhängigkeiten als auch für die quantativen Wer-
               serbereich von Gastransport- und -verteilleitungen                      te der Grenzgeschwindigkeiten für den Staubmitriss. Die
               (DN 100 bis DN 1000) in SI-Einheiten ab und mittelt „nach               Angaben in [6] liegen in eben dieser Größenordnung.
               Augenmaß“, dann lassen sich Zahlenwerte gemäß Tabel-                    Gl. (5) gestattet es aber auch, die Grenzgeschwindigkeiten
               le 5 angeben.                                                           für Leitungen, die mit Wasserstoff betrieben werden, ab-
                   Für die Abschätzung der partikelgrößenabhängigen                    zuschätzen. Es zeigt sich, dass die diskutierten Grenzwerte
               Pickup-Geschwindigkeit von Stäuben in Gasleitungen                      für den Staubmitriss aufgrund veränderter Stoffeigen-
               lässt sich also letztlich auf Gl. (5) zurückgreifen:                    schaften des strömenden Fluids bei Wasserstoff deutlich
                                                                                       höher liegen als bei Erdgas, d. h. es gilt systematisch:
                                                                          1
                                            ρ  0 ,175  ρ  0 ,25  0 ,825
                  w G,pu = 0, 0875 ⋅ Dpu ⋅  G        ⋅ P                  (5)     w G,pu,H2 >> w G,pu,EG
                                            ηG        ρG  
                                                                                       Aus Gl. (5) ist außerdem zu erkennen, dass hierfür in erster
               Der oben eingeführte Parameter Dpu ist lediglich von der                Linie die bei gleichem Druck deutlich niedrigere Dichte
               Partikelgröße abhängig. Eine entsprechende Aufberei-                    von Wasserstoff verantwortlich ist. Daher ist bei gleicher
               tung der Daten aus Tabelle 5 findet sich in Bild 5.                     Strömungsgeschwindigkeit auch die Strömungsenergie
                  Es gilt demgemäß folgende Approximationsglei-                        des Fluidstroms entsprechend geringer, so dass für das
               chung (beachte: [dP] = μm):                                             Mitreißen der Staubpartikel bei sonst gleichen Bedingun-
                                                                                       gen eine höhere Fließgeschwindigkeit erforderlich ist. In
                  Dpu = 0, 0028 ⋅ ln (dP ) − 0, 0065            (6)                   diesem Sinne ist das Ergebnis gemäß Tabelle 6 schlüssig.

                gwf Gas + Energie           5/2021                                                                                                      51
Zur Frage der Strömungsge-schwindigkeiten in Gasleitungen
FACHBERICHTE Erdgas

                Tabelle 6: Aufwirbelungsgeschwindigkeit nach Bolzinger gemäß [24] vs. Pickup-Geschwindigkeiten gemäß Gl. (5) für Erdgas (­Methan)
                und Wasserstoff; Annahme: ρP = 3600 kg/m3
                 Korngröße dP                                        Erdgas                                                          Wasserstoff
                                       Aufwirbelungsgeschwindigkeit                      Pickup-Geschwindigkeit wG,pu gemäß Gl. (5)
                                       wAufw. nach Bolzinger (gerundet)
                                                            m/s                                m/s                                         m/s
                 μm                       1 bar         5 bar     70 bar      1 bar           5 bar         70 bar          1 bar         5 bar          70 bar
                 > 20                      6,0              3,0    0,9         3,2              1,5           0,3           14,5            6,8           1,3
                 > 50                      9,9              4,9    1,0         5,4              2,5           0,4           24,2           11,3           2,1
                 > 100                    12,6              5,3    1,1         7,7              3,6           0,6           34,5           16,1           3,0
                 > 200                    15,2              5,6    1,1        11,5              5,3           0,9           51,4           24,0           4,4

     Bild 6: Situationsskizze Tropfenmitriss aus Flüssig-
     keitslachen an der Rohrsohle

                   Bild 7: Kritische Geschwindigkeit Mitriss
                    Flüssigkeitstropfen (C14H30) aus Flüssig-
                                keitslachen an der Rohrsohle

                3.2 Mitriss von Flüssigkeitstropfen                                  len schaukeln sich auf, bis sich aus den Wellenkämmen
                Nunmehr soll versucht werden, die Grenzgeschwindig-                  Flüssigkeitstropfen lösen und mit dem Gasstrom fortge-
                keiten abzuschätzen, die erforderlich sind, Tropfen aus              tragen werden. Dieser Vorgang ähnelt phänomenolo-
                Flüssigkeitslachen an der Rohrsohle mitzureißen. Es wird             gisch durchaus dem „Pickup“ von Staubpartikeln. Der
                also auch hier davon ausgegangen, dass sich an der                   Mitriss von Flüssigkeitstropfen aus Flüssigkeitslachen
                Rohrsohle Flüssigkeitslachen befinden, aus deren Ober-               wurde ausführlich in Arbeiten von Kutateladže et al. ([36-
                fläche durch die Gasströmung Tropfen herausgelöst und                39]) untersucht und analytisch aufbereitet. Die kritische
                mitgerissen werden können; siehe Bild 6.                             Geschwindigkeit des Mitreißens von Flüssigkeitstropfen
                    Die Mechanismen des Mitreißens von Flüssigkeits-                 aus einer von Gas überströmten Flüssigkeitslache wG,kr.
                tropfen aus einer Lache heraus dürften denen des Mitris-             lässt sich demgemäß nach Gl. (7) 4 abschätzen:
                ses von Staub aus einer Partikelablagerung an der
                                                                                                         4 ⋅ g ⋅σL ⋅ (ρL − ρG ) ρL + ρG
                Rohrsohle ähneln: An der Rohrsohle hat sich Flüssigkeit                  w G,kr. =   4                         ⋅        (7)
                                                                                                                   ρ2G             ρL
                angesammelt. Das war früher häufig Wasser, heute trifft
                man eher Kohlenwasserstoffe als Flüssigkeitsablagerung               Die für die Auswertung von Gl. (7) erforderlichen Stoffda-
                in Gasleitungen an [25]. Lubenau [25] schätzt ein, dass              ten der Flüssigkeiten (Dichte ρL und Oberflächenspan-
                C14-Kohlenwasserstoffe als repräsentativ für die in Gaslei-          nung σL) finden sich beispielsweise in [40] (Kohlenwasser-
                tungen anzutreffenden Kohlenwasserstoffgemische an-
                gesehen werden können. Gas strömt also über die zu-
                                                                                     4   Gl. (7) wurde gemäß [38] bzw. [39] angegeben. Leider wird dieser Zusam-
                nächst glatte Flüssigkeitsoberfläche hinweg, bringt diese                menhang in beiden zitierten Literaturstellen mit unterschiedlichen (Druck-)
                in eine wellenförmige Bewegung; diese Oberflächenwel-                    fehlern angeführt, die hier - hoffentlich - korrigiert worden sind.

52                                                                                                                                   gwf Gas + Energie     5/2021
Erdgas FACHBERICHTE

Bild 8: Grenzgeschwindigkeit Mitriss Flüssig-
keitstropfen (C14H30) vs. Pickup-Geschwindig-
keit Staub für Erdgas

Bild 9: Grenzgeschwindigkeit Mitriss Flüssig-
keitstropfen (C14H30) vs. Pickup-Geschwindig-
keit Staub für Wasserstoff

stoffe) bzw. [41] (Wasser). Der Verlauf des Graphen für die    3.3 Synopse Grenzgeschwindigkeiten
kritische Gasgeschwindigkeit für das Mitreißen von Trop-       Staub- und Tropfenmitriss
fen über einer Flüssigkeitsoberfläche (berechnet für           Es soll versucht werden, die bisher gewonnen Analyseer-
C14H30) ist in Bild 7 aufgetragen worden. Dabei wurde          gebnisse zur Frage Staub- und Tropfenmitriss in Gaslei-
bewusst die durch Gl. (7) „vorgegebene“ funktionelle Ab-       tungen zusammenzufassen und zu bewerten. Hierzu
hängigkeit wG,kr. = f(ρG) beibehalten, die für beliebige       wurden die maßgeblichen Größen in je einer grafischen
Gase Gültigkeit hat.                                           Darstellung für Erdgas (Bild 8) und Wasserstoff (Bild 9)
    Es sei darauf hingewiesen, dass sowohl für den Mitriss     aufgetragen. Der einheitliche Maßstab der jeweiligen Or-
von Flüssigkeitstropfen als auch für das Aufwirbeln von        dinatenachse wurde bewusst gewählt, um die sehr ver-
Staub (siehe Gl. (2)), qualitativ folgende Proportionalität    schiedenen Größenordnungen der Grenzgeschwindig-
besteht:                                                       keiten für Erdgas und Wasserstoff klar sichtbar zu ma-
                                                               chen.
              1
  w G,kr. ~      (8)                                              Zunächst erweist sich, dass die maximal zulässigen
              ρG                                               Strömungsgeschwindigkeiten zur Verhinderung des Mit-
Auch das muss als Hinweis darauf gewertet werden, dass         reißens von Staubpartikeln und Tropfen für Erdgas und
nicht die Strömungsgeschwindigkeit eines Fluidstroms           Wasserstoff jeweils in derselben Größenordnung liegen
allein das Kriterium für das Mitreißen von Flüssigkeitstrop-   und für einen großen Druckbereich deutlich unterhalb
fen darstellt, sondern auch hier die Strömungsenergie          der gängigen, streng genommen nur für Erdgas gültigen
(Fließgeschwindgkeit und Dichte des Gases) bestimmend          Grenzwerte (10 m/s ≤ wG ≤ 20 m/s) liegen. Die in [6] ge-
sind.                                                          nannte Grenzgeschwindigkeit von ca. 3 m/s gibt die hier

gwf Gas + Energie   5/2021                                                                                                53
FACHBERICHTE Erdgas

        analytisch dargestellten maximal zulässigen Fließge-          Die Wandschubspannung lässt sich mit den aus der
        schwindigkeiten pauschal gut wieder. Das lässt die            Druckverlustberechnung bekannten Größen (Rohrrei-
        Schlussfolgerung zu, dass die üblichen maximal zulässi-       bungsbeiwert, Staudruck) wie folgt ermitteln [50, S. 260]:
        gen Strömungsgeschwindigkeiten in Erdgasleitungen
                                                                                 λ  ρG 2 
        nicht darauf abstellen, den Mitriss von Staub oder Flüssig-     τW =      ⋅  ⋅ w G  (10)
                                                                                 4  2      
        keiten beim Netzbetrieb zu verhindern, sondern auf an-
        deren Kriterien basieren müssen. Dieser Frage soll im fol-
                                                                                 λ
        genden Abschnitt nachgegangen werden. Aus dem Ver-              τW =
                                                                                 8
                                                                                    (
                                                                                   ⋅ ρG ⋅ w2G   )       (11)
        gleich der Abbildungen gemäß Bild 8 und Bild 9 ergibt
        sich eine weitere wichtige Folgerung: Die Grenzge-            Gemäß Gl. (10)/(11) hängt die mechanische Wirkung der
        schwindigkeiten zur Verhinderung des Mitreißens von           Fluidströmung auf die Rohrwandung sowohl von der
        Staub bzw. Flüssigkeitstropfen sind beim Betrieb der Lei-     Strömungsgeschwindigkeit als auch von der Fluiddich-
        tungen mit Wasserstoff deutlich höher als beim Betrieb        te ab.
        mit Erdgas. Ursache hierfür ist die geringere Fluiddichte         In diesem Kontext soll eine weitere Überlegung an-
        bei gleichem Druck.                                           gestellt werden: Die größte mechanische Wirkung wird
                                                                      vom strömenden Fluid auf die Rohrwandung bei hoher
        3.4 Maximal zulässige Wandschubspannung                       Strömungsgeschwindigkeit und hohen Drücken, resp.
        Geht man der Frage nach, welches physikalische Kriteri-       hohen Dichten entfaltet. Das entspricht den Bedingun-
        um für die Fixierung von maximal zulässigen Strömungs-        gen der Fortleitung von Gasen im Hochdruckbereich bei
        geschwindigkeiten herangezogen werden kann, dann              hoher Netzlast. Unter diesen Bedingungen stellt sich der
        soll von folgender Überlegung ausgegangen werden:             Strömungszustand typischerweise im hydraulisch rauen
            Ein strömendes Fluid wirkt hydraulisch auf die Rohr-      Bereich ein (rechte Seite des Moody-Diagramms). Unter
        wandung ein und setzt diese einer mechanischen Bean-          diesen Maßgaben ist der Rohrreibungsbeiwert lediglich
        spruchung aus. Es geht hier ausdrücklich nicht um die         von der relativen Rauigkeit der Leitung (k/DR) und nicht
        Einwirkung von mit dem Gasstrom mitgeführten Parti-           mehr von der Re-Zahl abhängig, so dass der Rohrrei-
        keln auf die Rohrwand, sondern um die erosive Wirkung         bungsbeiwert für den Betrieb der Leitung mit Erdgas
        des Fluidstroms, d. h. der Moleküle des strömenden Flu-       und der Rohrreibungsbeiwert für den Betrieb der Lei-
        ids selbst, auf die Rohrwandung. Diese mechanische Be-        tung mit Erdgas-Wasserstoff-Gemisch identisch sind und
        anspruchung der Leitungswandung durch das strömen-            somit stets gilt:
        de Fluid gilt es zu begrenzen. Hierzu dient letztlich die
        Festlegung einer Grenzgeschwindigkeit für den Leitungs-         λ EG ≈ λ EG/H2 (12)
        betrieb. Die vom strömenden Fluid auf die Leitungswan-
        dung ausgeübte mechanische Beanspruchung ist für              Formuliert man als Bemessungsbedingung in Anlehnung
        Erdgas bei Strömungsgeschwindigkeiten zwischen                an Gl. (9) nunmehr formal das Kriterium „gleiche Wand-
        (10 ... 20) m/s aus Erfahrung offenbar akzeptabel.            schubspannung beim Leitungsbetrieb“, dann ist folgen-
            Hieraus ergibt sich dann sofort der Lösungsansatz für     der Grundansatz zu wählen:
        die Beantwortung der Frage, welche Strömungsge-
        schwindigkeiten in Gasleitungen, die mit Wasserstoff            τ W ,EG = τ W ,EG/H2        (13)
        oder beliebigen anderen Gasen betrieben werden, einzu-
        halten wären: Eine physikalische Größe, die als Maß für die   Dieser Ansatz kann wie folgt entwickelt werden:
        mechanische Beanspruchung der Rohrwandung durch
        das strömende Fluid herangezogen werden kann, ist die
                                                                        λ          2     λ         2 
        sog. Wandschubspannung (τW); siehe hierzu die Stan-                  (          )           (
                                                                         8 ⋅ ρ ⋅ w  =  8 ⋅ ρ ⋅ w    )
        dardliteratur zur Strömungsmechanik bzw. -lehre, z. B.                          EG                EG / H2

        [42–60]. Um die hydraulische Wirkung des Stoffstroms auf
                                                                        λ EG               λ EG/H2
        die Rohrwandung zu limitieren, dürfen die Wandschub-
                                                                         8
                                                                              (
                                                                             ⋅ ρEG ⋅ wEG
                                                                                      2
                                                                                         =  ) 8
                                                                                                        (
                                                                                                   ⋅ ρEG/H2 ⋅ wEG
                                                                                                               2
                                                                                                                  / H2   )
        spannungen beim gegenwärtigen Betrieb der Leitung
        mit Erdgas (τW,EG) und beim künftigen Betrieb mit Erdgas-       ρEG ⋅ wEG
                                                                               2
                                                                                  = ρEG/H2 ⋅ wEG
                                                                                              2
                                                                                                 / H2
        Wasserstoff-Gemischen bzw. Wasserstoff (τW,EG/H2) maxi-
        mal gleich sein:                                              Nunmehr lässt sich für das Verhältnis der Strömungsge-
                                                                      schwindigkeiten bei gleicher Wandschubspannung, also
          τW,EG/H2 ≤ τW,EG                                            bei gleicher mechanischer Wirkung der Fluidströmung
                                                                      auf die Rohrwandung, schreiben:

54                                                                                                                  gwf Gas + Energie   5/2021
Erdgas FACHBERICHTE

      Bild 10: Verhältnis der Grenzgeschwindig-
       keiten in Gasleitungen für den Betrieb mit
      Erdgas-Wasserstoff-Gemischen; Parameter:
                                   Betriebsdruck

   wEG/H2  ρEG
                     2                                                      Es gilt natürlich auch:
                                                                                                                             ρn,EG      K EG/H2 
   w  = ρ                                                                  w Grenz .,EG/H2 = fwGrenz . ⋅ w Grenz .,EG =           ⋅          ⋅ w Grenz .,EG
                                                                                                                             ρn,EG/H2
      EG     EG / H2
                                                                                                                                          K EG 
                                                                                                 ρn,EG      K EG/H2 
  wEG/H2         ρEG                               w Grenz .,EG/H2 = fwGrenz . ⋅ w Grenz .,EG =           ⋅          ⋅ w Grenz .,EG(20)
              =                                                                                  ρn,EG/H2    K EG 
      wEG       ρEG/H2

Will man dieses Verhältnis nun für die zulässigen Grenz-                    Demgemäß kann von der für Erdgas geltenden maximal
geschwindigkeiten notieren, gilt Gl. (14) bzw. Gl. (15):                    zulässigen Strömungsgeschwindigkeit auf die – bei glei-
  w Grenz .,EG/H2                                                           cher mechanischer Wirkung auf die Rohrwandung – zu-
                               ρEG
                         =           (14)                                  lässige Strömungsgeschwindigkeit bei Betrieb der Lei-
      w Grenz .,EG            ρEG/H2
                                                                            tung mit Erdgas-Wasserstoff-Gemischen geschlossen
                                                                            werden. Der Betrag des Umrechnungsfaktors f WGrenz. ist
                                             ρEG
  w Grenz .,EG/H2 = w Grenz .,EG ⋅                 (15)                    primär abhängig vom Wasserstoffanteil; den Einfluss des
                                            ρEG/H2
                                                                            Druckes gilt es zusätzlich zu berücksichtigen. Die entspre-
Diese Beziehung lässt sich etwas praktikabler und verall-                   chende Abhängigkeit ist in Bild 10 grafisch aufbereitet
gemeinerbarer aufbereiten, indem anstelle der Dichten                       worden. Die Werte des Korrektur- bzw. Anpassungsfak-
im Betriebszustand die Normdichten verwendet werden:                        tors werden zusätzlich in Tabelle 7 angegeben.
                                                                                Geht man konservativ von einer zulässigen Strö-
                         pG Tn 1
  ρEG = ρn,EG ⋅            ⋅ ⋅      (16)                                   mungsgeschwindigkeit von 10 m/s in Erdgasleitungen
                         pn TG K EG
                                                                            aus, dann ergeben sich auf der Grundlage des oben aus-
                                                                            geführten Gedankenganges für Erdgas-Wasserstoff-Ge-
                               pG Tn    1
  ρEG/H2 = ρn,EG/H2 ⋅            ⋅ ⋅         (17)                          mische angepasste zulässige Strömungsgeschwindigkei-
                               pn TG K EG/H2
                                                                            ten gemäß Bild 11. Würde man in Erdgasnetzen zulässige
Nach Einsetzen der Beziehungen gemäß Gl. (16) und                           Strömungsgeschwindigkeiten druckabhängig fixiert ha-
Gl. (17) in Gl. (14)/(15) erhält man abschließend:                          ben, so dass bei niedrigeren Betriebsdrücken (ca. 5 bar)
                                                                            10 m/s gelten, bei höheren Betriebsdrücken (bis 100 bar)
  w Grenz .,EG/H2              ρn,EG     K EG/H2
                         =             ⋅             (18)                  hingegen 25 m/s, dann würden sich bei einer etwa linea-
      w Grenz .,EG            ρn,EG/H2    K EG
                                                                  ren Abhängigkeit der zulässigen Strömungsgeschwindig-
                                    fwGrenz .
                                                                            keit vom Betriebsdruck Verhältnisse gemäß Bild 12 erge-
mit                                                                         ben.
                                                                                Die Diskussion möglicher Grenzgeschwindigkeiten für
                      ρn,EG     K EG/H2
  fwGrenz . =                 ⋅         (19)                               den Betrieb von Gasleitungen auf der Basis einer maximal
                     ρn,EG/H2    K EG
                                                                            zulässigen Wandschubspannung, die bislang interessan-

gwf Gas + Energie             5/2021                                                                                                                                55
FACHBERICHTE Erdgas

        Tabelle 7: Faktor zur Umrechnung der Grenzgeschwindigkeiten „Erdgas“ auf „Erdgas-Wasserstoff-Gemische“; Parameter: Betriebs-
        druck, Erdgas = Methan

                            H2-Anteil                                                 fwGrenz.
                              Vol.-%           1 bar          10 bar         25 bar              50 bar          80 bar           100 bar
         CH4                     0              1               1               1                  1                1                   1
                                 5            1,023           1,024           1,026              1,030            1,035            1,038
                                10            1,047           1,049           1,053              1,061            1,071            1,077
                                20            1,101           1,105           1,113              1,128            1,147            1,159
                                30            1,164           1,171           1,182              1,204            1,232            1,249
                                40            1,240           1,249           1,264              1,293            1,328            1,351
                                50            1,333           1,344           1,364              1,399            1,443            1,470
                                60            1,450           1,464           1,488              1,531            1,583            1,616
                                70            1,606           1,622           1,651              1,703            1,765            1,804
                                80            1,824           1,845           1,880              1,942            2,017            2,063
                                90            2,167           2,193           2,237              2,313            2,405            2,462
         H2                    100            2,823           2,858           2,917              3,019            3,143            3,219

                                                                                                  Bild 11: Maximal zulässige Strömungsge-
                                                                                                  schwindigkeiten in Leitungen für Erdgas-
                                                                                                  Wasserstoff-Gemische bei
                                                                                                  wGrenz.,EG = 10 m/s; Parameter: Betriebs-
                                                                                                  druck

                                                                                                  Bild 12: Maximal zulässige Strömungsge-
                                                                                                  schwindigkeiten in Leitungen für Erdgas-
                                                                                                  Wasserstoff-Gemische bei wGrenz.,EG = f(pG);
                                                                                                  Parameter: Betriebsdruck; Parameter: Be-
                                                                                                  triebsdruck

56                                                                                                                  gwf Gas + Energie       5/2021
Erdgas FACHBERICHTE

terweise nicht beziffert werden musste, führt zu folgen-      soll auf die im Bereich des Gastransports etablierte Glei-
den Schlussfolgerungen:                                       chung von Chodanowitsch-Odischarija (siehe [66] bzw.
■■ Die „maximal zulässige Wandschubspannung“ stellt           ggf. auch [7, 21, 67–69]) zurückgegriffen werden:
   eine geeignete physikalische Größe zur Charakterisie-                                        0 , 20
                                                                              158 2 ⋅ k 
   rung der mechanischen Einwirkung einer Fluidströ-            λ = 0, 067 ⋅     +                  (21)
                                                                              Re DR 
   mung auf die Rohrwandung dar.
■■ Als mögliches Auslegungskriterium kann formuliert          Für die Abschätzung des Rohrreibungsbeiwertes kann
   werden: Die mechanische Einwirkung, die von einem          vom hydraulisch rauen Betriebsfall (siehe Abschnitt 3.4)
   Erdgasstrom auf die Rohrwandung ausgeübt wird,             ausgegangen werden. Der betreffende Rohrreibungsbei-
   darf auch von einer Erdgas-Wasserstoff-Gemisch-Strö-       wert ergibt sich dann als Grenzwert für hohe Re-Zahlen
   mung auf die Rohrwandung ausgehen. In beiden Be-           aus
   triebsfällen soll zwischen Fluidstrom und Rohrwan-                             k 
   dung dieselbe Wandschubspannung zulässig sein.               λ rau = lim λ  Re, 
                                                                        Re→∞      DR 
■■ Auf dieser Grundlage können Grenzgeschwindigkei-

   ten für Erdgas-Wasserstoff-Gemische in Gasleitungen        letztlich nach Gl. (22):
   basierend auf bekannten Grenzgeschwindigkeiten für                                           0 , 20
                                                                                      2 ⋅k 
   Erdgas gemäß Gl.(20)/(19) „umgerechnet“ werden. Die          λ = λ rau = 0, 067 ⋅                    (22)
                                                                                      DR 
   dafür maßgebenden physikalischen Zusammenhän-
   ge wurden dargelegt.                                       Nimmt man eine Rauigkeit k = 0,1 mm gemäß DVGW-G
■■ In Wasserstoffnetzen sind somit deutlich höhere Strö-      303-1 [70] an und variiert den Rohrleitungsdurchmesser
   mungsgeschwindigkeiten „zulässig“ als in Erdgasnet-        im Bereich 100 mm ≤ DR ≤ 1000, dann ergeben sich Rohr-
   zen, wenn man von derselben mechanischen bzw.              reibungsbeiwerte in der Größenordnung 0,012 ≤ λ ≤ 0,019.
   hydraulischen Einwirkung (resp. Wandschubspan-             Zur Abschätzung der maximal zulässigen Wandschub-
   nung) des Wasserstoffstroms auf die Rohrwandung            spannung für Erdgas soll zudem von einer Dichte von
   ausgeht wie in erdgasführenden Leitungen.                  ρG = ρCH4(90 bar, 10 °C) ≈ 80 kg/m3 ausgegangen werden.
                                                              Unterstellt man nunmehr Strömungsgeschwindigkeiten
Es muss betont werden, dass alle in diesem Abschnitt          im Bereich wG = (10 ... 15) m/s, dann ergeben sich für diese
angegebenen Grenzwerte der Strömungsgeschwindig-              Verhältnisse Wandschubspannungen gemäß Gl. (11) im
keiten für Erdgas-Wasserstoff-Gemische lediglich auf der      Bereich 15 N/m2 ≤ τW ≤ 45 N/m2. Der Verfasser schlägt vor,
Grundlage empirisch gesicherter Werte für Erdgas „hoch-       einen Wert in der Größenordnung von
gerechnet“ bzw. „umgerechnet“ worden sind. Diese                                N
                                                                 τW , zul. = 35 2
„Hoch- bzw. Umrechnung“ erfolgt zweifelsfrei physika-                          m (23)
lisch korrekt. Basis aller Überlegungen waren jedoch stets
die Angaben für erdgasbasierte Grenzwerte. Diese wur-         als repräsentativen Mittelwert für die weitere Rechnung
den nicht theoretisch abgesichert bzw. belegt. Es liegt       zu verwenden. Nunmehr kann durch Umstellen von
somit noch kein theoretisch fundiertes Verfahren für eine     Gl. (11) die zulässige Strömungsgeschwindigkeit direkt
wirkliche gasbeschaffenheitsabhängige echte Vorausbe-         berechnet werden:
rechnung von maximal zulässigen Strömungsgeschwin-
                                                                              8 ⋅ τW , zul.
digkeiten in Gasleitungen vor.
                                                                w G, zul. =        λ        (24)
                                                                                  ρG
3.5 Maximal zulässige Strömungsgeschwindig-
keit ≈ „Erosional Velocity“                                   Gl. (24) lässt sich weiter bearbeiten:
Die hier entwickelten Überlegungen können weiterge-
                                                                              8 ⋅ τW , zul.
führt und recht zwanglos hin zur sog. „Erosional Velocity“
entwickelt werden, die in der englischsprachigen Litera-        w G, zul. =        λ
tur (siehe beispielsweise [60-64]) eingeführt ist. Die hier                       ρG
gewählte Vorgehensweise geht in der Grundidee auf [65]        Mit
zurück.
                                                                        8 ⋅ τW , zul.
    Für die Wandschubspannung gilt weiter Gl. (11). Es soll     C=                    (25)
                                                                             λ
versucht werden, die grobe Größenordnung der bislang
gängigen, demgemäß „zulässigen“ Wandschubspan-                ergibt sich als Gebrauchsgleichung für die Berechnung
nung abzuschätzen. Das lässt sich über den Rohrrei-           der zulässigen Strömungsgeschwindigkeit in Gasleitun-
bungsbeiwert bewerkstelligen. Für dessen Berechnung           gen die einfache Beziehung

gwf Gas + Energie   5/2021                                                                                                   57
FACHBERICHTE Erdgas

                                                                     sen, dann wären die Mittelwerte für die zulässigen Wand-
        Tabelle 8: Konstante C zur Berechnung der maximal zulässi-
                                                                     schubspannungen neu mit
        gen Strömungsgeschwindigkeiten in Gasleitungen
         Leitungstyp                                     C                              N
                                                                       τW , zul. = 80      (29)
         Gastransport- und -verteilleitungen:                                           m2
                                                         125
         Stahl                                                       anzusetzen. Daraus ergibt sich hier für die oben bereits
         Gastransport- und -verteilleitungen:                        eingeführte Konstante C ein mittlerer Wert von
                                                         200
         Stahl innenbeschichtet, Kunststoff
                                                                       C = 200(30)

                                                                     Die hier analysierte Situation mit höheren Fließgeschwin-
                        C
          w G, zul.   =    (26)                                     digkeiten (resp. höheren zulässigen Wandschubspannun-
                        ρG                                           gen) für Erdgasbetrieb der Leitung ist physikalisch einer
                                                                     Betriebssituation mit geringerer Wandrauigkeit, also glat-
        In Gl. (26) ist lediglich die Betriebsdichte des Gases und   terem Rohr äquivalent.
        eine noch zu bestimmende Kontante C enthalten. Ver-              Gl. (26) ist de facto identisch mit der Bestimmungs-
        wendet man zur Abschätzung der Konstanten C wieder           gleichung für die sog. „erosional velocity“ ([60] bis [64]).
        die oben angegebenen Werte für den Rohrreibungsbei-          Über den Betrag der Konstanten C wird in der Literatur
        wert, dann erhält man Werte im Bereich 118 ≤ C ≤ 132.        z. T. lebhaft diskutiert; Überlegungen zur Festlegung die-
        Der Verfasser verwendet in diesem Falle als repräsentati-    ses Wertes finden sich beispielsweise in [71], [72]. Der
        ven Mittelwert für C                                         Verfasser schlägt vor, zunächst von C-Werten gemäß Ta-
                                                                     belle 8 auszugehen. Diese Angaben lassen sich unter
          C = 125(27)                                               Berücksichtigung von Erfahrungen der künftigen be-
                                                                     trieblichen Praxis weiter spezifizieren und differenzieren.
        Die hier getroffen Annahmen treffen als Mittelwerte          Möglicherweise kann dieser Grundansatz nicht nur für
        recht gut auf typische Stahlleitungen für den Gastrans-      Gastransport- und -verteilleitungen, sondern auch für
        port und die Gasverteilung zu. Auf dieser Grundlage folgt    Rohrleitungen in Gasanlagen, z. B. in Gasdruckregelanla-
        pragmatisch:                                                 gen, verwendet werden. Künftige Anpassungen bzw.
                                                                     Präzisierungen erfolgen dann aber auf einer transparent
                        125
          w G, zul. =       (28)                                    formulierten Ausgangsbasis, physikalisch abgesichert
                         ρG                                          und jederzeit (kritisch) reproduzier-, resp. revidierbar.
        Wiederholt man die oben angestellten Überlegungen für            Der abgeleitete Berechnungsansatz gemäß Gl. (26) ist
        höhere zulässige Strömungsgeschwindigkeiten im Be-           sowohl auf Erdgase als auch auf Erdgas-Wasserstoff-Ge-
        reich wG = (20 ... 25) m/s und bei sonst gleichen Prämis-    mische bzw. reinen Wasserstoff anwendbar, da die Bezie-

                                                                                         Bild 13: Maximal zulässige Strömungsge-
                                                                                         schwindigkeiten in Leitungen für Erdgas-
                                                                                         Wasserstoff-Gemische bei wG,max. gemäß
                                                                                         Gl. (31) mit C = 125; Parameter: Betriebs-
                                                                                         druck

58                                                                                                         gwf Gas + Energie   5/2021
Erdgas FACHBERICHTE

hung nur die Gasdichte enthält und in der Konstanten C                     1 C
                                                              w G,max.,EG = ⋅
keinerlei Limitierungen bezüglich der Gasbeschaffenheit                    2 ρEG
fixiert sind.
                                                                              1  C
    Hält man diese maximal zulässige Grenzgeschwindig-        w G,max.,EG/H2 = ⋅
                                                                              2 ρEG/H2
keit ein, sind gemeinhin keine unzulässigen strömungs-
technischen Belastungen der Leitung, keine unerwünsch-      Setzt man beide Gleichungen ins Verhältnis, folgt Gl. (33):
ten Schallemissionen usw. zu erwarten. Gemäß [60-64]
                                                              w G,max.,EG/H2        ρEG          ρEG
wird als Richtwert für die maximale Strömungsgeschwin-                         =            =          (33)
                                                                w G,max.,EG        ρEG/H2       ρEG/H2
digkeit im Leitungsbetrieb die Hälfte des Grenzwertes
empfohlen:
                                                            Gl. (33) ist interessanterweise identisch mit Gl. (15).
              1
  w G,max.   = ⋅ w G, zul.      (31)                           Es sei darauf verwiesen, dass in Bild 13/14 kein Graph
              2
                                                            für Niederdruckleitungen eingetragen wurde. Dieser läge
Gl. (31) wurde in Bild 13 für Erdgas-Wasserstoff-Gemische   deutlich oberhalb des 10 bar-Kurvenzuges, also bei Strö-
und verschiedene Betriebsdrücke mit C = 125 und in          mungsgeschwindigkeiten, die so hoch ausfallen, dass
Bild 14 entsprechend mit C = 200 grafisch aufbereitet. Es   diese aus hydraulischen Restriktionen (z. B. Einhaltung
ist zu beachten, dass in die bisherige Rechnung diverse     zulässiger Druckverluste) wohl kaum praktikabel wären.
Mittelungen und stets konservativ vorgenommene Grö-         Für Wasserstoff würden dann formal Strömungsge-
ßenabschätzungen eingegangen sind, so dass in den ab-       schwindigkeiten wG,max.,H2 > 40 m/s vorstellbar sein. Das
geleiteten Gleichungen gewisse Unsicherheiten enthal-       geht durchaus konform mit Daten aus [73].
ten sind. Der Verfasser würde diese in der Größenord-
nung von (2 ... 3) m/s schätzen, was in der Notation
gemäß Gl. (32) berücksichtigt werden soll:                  4. Zusammenfassung
                                                            Im vorliegenden Beitrag wurden Fragen der analytischen
            1                        m
  w G,max. = ⋅ w G, zul. + (2 ... 3)   (32)                Berechnung von zulässigen Strömungsgeschwindigkei-
            2                        s
                                                            ten in Gasleitungen erörtert. Hintergrund der Fragestel-
Aus Bild 13/Bild 14 wird erkennbar, dass die maximal        lung ist die anstehende Umstellung von Gasversorgungs-
zulässigen Strömungsgeschwindigkeiten beim Betrieb          systemen von Erdgas auf Wasserstoff. Es konnte heraus-
der Netze bzw. Leitungen mit Wasserstoff deutlich höher     gearbeitet werden, dass beim Betrieb von Gasleitungen
liegen als beim Betrieb mit Erdgas. Die maximal zulässi-    mit Wasserstoff deutlich höhere Strömungsgeschwindig-
gen Strömungsgeschwindigkeiten sind auch druckab-           keiten zulässig sind als beim Betrieb mit Erdgas. Als Krite-
hängig. Schreibt man die zulässigen Strömungsge-            rium wurde eine „maximal zulässige Wandschubspan-
schwindigkeiten gemäß Gl. (31)/(28) nochmals explizit für   nung“ vorgeschlagen. Diese wurde abgeschätzt. Vor-
Erdgas bzw. Erdgas-Wasserstoff-Gemische an, erhält man:     schläge zur analytischen Berechnung der maximal

  Bild 14: Maximal zulässige Strömungsge-
  schwindigkeiten in Leitungen für Erdgas-
  Wasserstoff-Gemische bei wG,max. gemäß
   Gl. (31) mit C = 200; Parameter: Betriebs-
                                       druck

gwf Gas + Energie      5/2021                                                                                              59
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