Zusammenhang zwischen CMD und dem Schweregrad einer kieferorthopädischen Anomalie
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Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Krenare Agani, Werner Schupp Zusammenhang zwischen CMD und dem Schweregrad einer kieferorthopädischen Anomalie INDIZES Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD), Kiefergelenk, kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG), Zahn- und Kieferfehlstellungen, Funktionsanalyse ZUSAMMENFASSUNG Die craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist eine funktionelle Störung mit Beteiligung der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur, die unterschiedliche Symptome in anderen Körperregionen verursacht. Die Rolle der Okklusion wird als Prädisposition oder als beitragender Faktor bei der Initiierung der Störung angesehen. Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, zu analysieren, ob spezifische CMD-Symptome im Zusammenhang mit der Komplexität der kieferorthopädischen Malokklusion vorliegen und wie Risikopatienten für die Entwicklung von CMD bestimmt werden, bevor eine kieferorthopädische Behandlung begonnen wird. Für die Studie wurden 30 kiefer orthopädische Patienten nach fünf Schweregraden der KIG (kieferorthopädische Indikations gruppen) in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe beinhaltete leichte Malokklusionen (KIG 1 und 2) und die zweite Gruppe ausgeprägte und schwere Malokklusionen (KIG 3, 4 und 5). Es wurden frontale Gesichts-, Profil- und Fernröntgenaufnahmen sowie Modellauswertungen zu- sammen mit manueller und instrumenteller Funktionsanalyse durchgeführt, um latente CMD- Zeichen und Symptome aufzudecken und diese Ergebnisse mit dem Schwergrad der Malokklusion zu vergleichen. 46,67 % unserer untersuchten Patienten zeigten ein positives Screening. Es war in der Gruppe der milden Malokklusionen (KIG 1 und 2) ausgeprägter (26,67 %) als in der Gruppe der schweren Malokklusionen (KIG 3, 4 und 5), bei der das positive Screening nur bei 20 % der Probanden gefunden wurde. Zwischen den Gruppen mit und ohne CMD zeigte sich kein statis- tisch signifikanter Zusammenhang bezüglich der skelettalen Kieferdiskrepanzen in sagittaler und vertikaler Richtung, der Inklination der oberen und unteren Schneidezähne sowie bezüglich der Breite und Länge der Zahnbögen. Die gestörte dynamische Okklusion und die zentrische Rela- tion waren bei Patienten mit schwerer Malokklusion ausgeprägter. Das manuelle CMD-Screening zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen zwei Gruppen (KIG 1 und 2; KIG 3, 4 und 5). Patienten mit leicht ausgeprägten kieferorthopädischen Anomalien haben das gleiche Risiko an CMD zu erkranken, wie Patienten mit stark ausgeprägten Malokklusionen. Manuskripteingang: 15.11.2021, Annahme: 03.12.2021 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 1
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Einleitung • eingeschränkte oder übermäßige Beweglich- keit des Unterkiefers, Das Kiefergelenk ist sowohl in morphologischer • Abweichung oder Verformung des Unter als auch in funktioneller Hinsicht ein ganz beson- kiefers beim Öffnen, deres Gelenk im Vergleich zu den anderen Gelen- • Geräusche aus dem Gelenk während der ken des menschlichen Körpers. Obwohl Muskeln Kieferbewegung, bei den Bewegungen des Kiefergelenks eine Rolle • Schmerzen beim Abtasten der Kaumuskeln spielen, wird seine endgültige Position durch die oder des Gelenks selbst, Okklusion bestimmt1. • Abrasionen der Zähne, Verschiedene strukturelle Komponenten des • Gesichtsasymmetrie. Körpers sind funktionell mit dem Kiefergelenk verknüpft. So geht beispielsweise die Bewegung Die Diagnose der CMD ist eine Herausforderung, des Unterkiefers auch mit der Bewegung der und nicht diagnostizierte Erkrankungen können Halswirbel einher. Bei der Mundöffnung kommt sich bei Kindern im Wachstum negativ auswirken. es zu einer leichten Streckung der Halswirbel- Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die säule bei gleichzeitiger Beugung zwischen Atlas Prävalenz von CMD mit dem Alter zunimmt6,7. und Occiput. Diese Verbindung zwischen den Vor jeder umfassenden zahnärztlichen oder Strukturen erklärt die enge Beziehung zwischen kieferorthopädischen Behandlung sollte der Pa dem Kiefergelenk und den Halswirbeln2. In einer tient kiefergelenkbezüglich untersucht werden, um anderen Studie wurde die Beziehung zwischen mögliche Anzeichen und Symptome einer CMD Angle- Klassifikation und orthopädischen Para festzustellen. Allerdings sei darauf hingewiesen, metern untersucht. Die Ergebnisse deuten auf dass Anzeichen für funktionelle Störungen auch einen möglichen Zusammenhang zwischen Sko- während oder nach einer kieferorthopädischen liose und hypotoner Haltung und Dysgnathie der Behandlung auftreten können. Eine konsekutive Angle-Klasse II hin3. Überprüfung der Befunde ist anzuraten, da sich Eine signifikante Korrelation wurde zwischen eine unentdeckte CMD auch negativ auf den Kieferasymmetrien, Becken- und funktioneller Verlauf der kieferorthopädischen Behandlung Beinlängenverkürzung festgestellt4. auswirken kann8. Alle Strukturen, die am Kauvorgang beteiligt Selbst wenn bei einem Patienten eine Fehlstel- sind und miteinander koordiniert werden, werden lung vorliegt, lässt sich nicht immer vorhersagen, als craniomandibuläres System (CMS) bezeichnet. ob und wann ein pathologischer Zustand oder Störungen, die diese Strukturen betreffen, werden eine Verschlimmerung der Kiefergelenksfunktion als craniomandibuläre Störungen (CMD) oder tem- auftreten kann9. poromandibuläre Störungen (TMD) bezeichnet. Jede zahnärztliche Behandlung, einschließlich Die große Vielfalt der CMD-Anzeichen und der kieferorthopädischen, basiert auf der zen- -Symptome und ihre pathologischen Manifesta- trischen Relation und nicht auf der habituellen tionen im stomatognathen System machen es er- Interkuspidation10. Die funktionelle Okklusion als forderlich, dass Kieferorthopäden über angemes- eigenständige Einheit bestimmt das Wohlergehen sene einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen des Kiefergelenks und der damit verbundenen verfügen, um eine genaue Diagnose stellen und Strukturen wie Bänder, Muskeln und Nerven11. potenziell gefährdete Patienten identifizieren zu Das Ziel jeder kieferorthopädischen Behand- können5. lung ist nicht nur die Korrektur von Zahn- und Wenn das Kiefergelenk überlastet ist und Kieferanomalien, sondern auch das Erreichen sich nicht anpassen kann, treten typische Be- einer funktionellen Stabilität. Eine optimale funde, häufig in Kombinationen, auf. Die häu- Kondylus-Scheiben-Fossa-Relation mit maxima- figsten Anzeichen und Symptome, die einer CMD ler okklusaler Stabilität sollte dabei angestrebt zugeschrieben werden, sind: werden9. 2 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Tab. 1 Kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG) nach der KZBV (Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung). Anomalie Kürzel Grad 1 2 3 4 5 Kraniofaziale Anomalien A LKG-Spalte und -Syndrome Zahnunterzahl U Aplasie oder Zahnverlust Durchbruchsstörungen S Retention Verlagerung Sagittale Stufe – distal D < 3 mm 3–6 mm > 6–9 mm > 9 mm Sagittale Stufe – mesial M 0–3 mm > 3 mm Vertikale Stufe – Offen O < 1 mm > 1–2 mm > 2–4 mm > 4 mm habituell > 4 mm skelettal offen offen Vertikale Stufe – Tief T > 1–3 mm > 3 mm > 3 mm ohne/mit mit traumatischem Gingivakontakt Gingivakontakt Transverale Abweichung B Bukkal-, Lingual- (Bukkal-, Lingualokklusion) okklusion Transverale Abweichung K Kopfbiss Beidseitiger Einseitiger (Kreuzbiss) Kreuzbiss Kreuzbiss Kontaktpunktabweichung E < 1 mm > 1–3 mm > 3–5 mm > 5 mm (Engstand) Platzmangel P < 3 mm > 3–4 mm > 4 mm Kieferorthopädische • KIG 3: Die Fehlstellung ist ausgeprägt und Indikationsgruppen sollte behandelt werden. • KIG 4: Die Malokklusion ist sehr ausgeprägt Die kieferorthopädischen Indikationsgruppen und medizinisch indiziert. (KIG) stellen den Index der kieferorthopädischen • KIG 5: Die Malokklusion ist extrem ausgeprägt Behandlungsindikation in Deutschland dar, der und eine Behandlung ist unbedingt e rforderlich. die Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung bei gesetzlich versicherten Patienten Das Ziel dieser Studie war es zum einen, den mög- regelt. Die Krankenkassen übernehmen kieferor- lichen Zusammenhang spezifischer CMD-Symp thopädische Behandlungen ab Grad 3. Die Schwe- tome mit der Komplexität kieferorthopädischer regrade 1 bis 5 werden nach der Malokklusions Fehlstellungen zu untersuchen. Zum anderen diagnose in allen drei Ebenen (sagittal, vertikal sollte geprüft werden, wie Patienten mit einem und transversal) anhand eines Schwellenwertes Risiko für die Entwicklung einer CMD identifiziert oder nach weiteren Faktoren (kraniofaziale Ano- werden könnten, bevor eine kieferorthopädische malien, fehlende Zähne, Durchbruchsstörungen Behandlung eingeleitet wird. etc.) bestimmt (Tab. 1). Als Hypothese wurde formuliert: Es besteht • KIG 1 steht für leichte Zahnfehlstellungen kein Unterschied zwischen den beiden Studien- und wird nicht von der Krankenkasse über gruppen (KIG 1 und 2 sowie KIG 3, 4 und 5) nommen. als Ergebnis der manuellen und instrumentellen • KIG 2 umfasst leichte Zahnfehlstellungen, bei Funktionsanalyse. denen eine kieferorthopädische Behandlung notwendig ist, die aber nicht von der Kranken- kasse übernommen wird. Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 3
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Material und Methoden Die kephalometrische Analyse nach Bergen- Hasund wurde verwendet, um die Beziehung Datenerhebung der Kiefer zur Schädelbasis, die intermaxilläre Be- ziehung der Kiefer zueinander und die Position Die Stichprobe der Studie bestand aus 30 Patien- der Zähne zum Kiefer sowie zum umgebenden ten (13 männlich, 17 weiblich) im Alter von 12 bis Knochen zu bestimmen. 56 Jahren, die sich in kieferorthopädischer Be- Die sagittale Position von Ober- und Unter- handlung befanden. Alle Patienten, die in die Stu- kiefer sowie die Parameter für die Analyse der die aufgenommen wurden, hatten keine CMD- vertikalen craniofazialen Morphologie wurden für Beschwerden und waren sich keiner bestehenden diese Studie als relevant erachtet. CMD-Symptome bewusst. Die Untersuchung der Patienten wurde in Untersuchung des craniomandibulären zwei Privatpraxen in Zweibrücken und Pirmasens Systems (CMS) durchgeführt. Alle klinischen Untersuchungen der Patienten, die Auswertung der Aufzeichnungen Mithilfe der manuellen Funktionsanalyse wird die und die Montage der Modelle wurden von einem Reaktion bestimmter Strukturen auf Provokatio- Untersucher durchgeführt. nen inspiziert und überprüft. Patienten mit vorangegangenen kieferortho- Es wurde der Diagnosebogen des Kiefer pädischen Behandlungen, prothetischen Ver- gelenks- und Bewegungsapparates nach B oisserée sorgungen, Traumata, Medikamenten und akuten und Schupp 1,12 verwendet (Abb. 1). oder chronischen Erkrankungen wurden von der Dieser Diagnoseschlüssel enthält auch das Studie ausgeschlossen. kurze klinische Screening von Ahlers und Jakstat13 Die Studienstichprobe wurde gemäß den KIG zur schnellen Prüfung des Kausystems, welches in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe von Meyer10 von der Universität Greifswald mo- (Gruppe A) bestand aus Patienten mit KIG 1 difiziert wurde. Der Diagnoseschlüssel beinhaltet und 2, zu denen leichte bis mittelschwere kiefer- sechs einfache Tests, die eine kurze klinische Ja- orthopädische Anomalien gehören. Die zweite oder Nein-Antwort erfordern. Liegen ausschließ- Gruppe (Gruppe B) bestand aus Patienten mit KIG lich negative Angaben oder lediglich eine positive 3, 4 und 5, die ausgeprägte und schwere Zahn- Antwort vor, so besteht keine CMD. Die Wahr- fehlstellungen aufwiesen. scheinlichkeit steigt bei zwei oder mehr positiven Befunden10,13. Aktive Bewegungen wurden mit einem Lineal Untersuchungsverfahren in maximaler Mundöffnung, Protrusion und Die Untersuchungsverfahren und -unterlagen, die Laterotrusion auf der rechten und linken Seite ge- für diese Untersuchung verwendet wurden, wer- messen. Wenn die maximale aktive Mundöffnung den routinemäßig in den Praxen erstellt, wie bei- weniger als 40 mm betrug, wurde die Mund spielsweise: Anamnese, klinische Untersuchung, öffnung als eingeschränkt eingestuft. Verände- Erstaufnahme, Analyse von Frontal- und Profilfo- rungen der Bewegungsbahn, der Durchbiegung tos, Analyse von Modellabformungen, Panorama- oder der Abweichung des Unterkiefers beim Öff- und seitliche Fernröntgenaufnahmen, manuelle nen oder Schließen des Mundes wurden ebenfalls und funktionelle Analyse. dokumentiert. Das zahnmedizinische Softwareprogramm Durch Abtasten der seitlichen Kondylenpole OnyxCeph3 (Version 3.2.51, Fa. Image Instru- wurden die Beweglichkeit der Kondylen und ments, Chemnitz) wurde für die kieferortho- mögliche Kiefergelenkgeräusche (Knacken oder pädische Behandlungsplanung, die Analyse von Krepitation) bei der Mundöffnung überprüft. Die Frontal- und Profilfotos, Modellen und die kephalo Kiefergelenkgeräusche wurden entsprechend dem metrische Analyse verwendet. Stadium, in dem sie auftraten, dokumentiert, das 4 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Abb. 1 Diagnoseschema des Kiefergelenks und des Bewegungsapparats nach Boisserée und Schupp.1 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 5
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie heißt, ob sie zu Beginn, während oder am Ende der Ergebnisse Mundöffnung oder des Mundschlusses auftraten. Muskelschmerzen wurden durch kontinuierlichen Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung der Druck getestet, und jeder Befund über Schmer- Anzeichen und Symptome wurden die Patien- zen, Verspannungen, Muskelverhärtungen oder ten während des manuellen Funktionsscreenings -hypertrophien wurde als positiv markiert. in zwei weitere Gruppen eingeteilt: Die Pro- Der Watterollentest, der zur Entspannung der banden ohne Anzeichen und Symptome oder mit Muskulatur für zwei Minuten zwischen die Zähne bis zu zwei Symptomen wurden in die negative gelegt wird, identifiziert eine mögliche Disharmo- Screening-Gruppe eingeteilt, während diejenigen nie zwischen physiologischer Zentrikrelation (CR) mit drei und mehr CMD-Anzeichen und -Symp und Zentrikokklusion (CO), wenn der Unterkiefer tomen in die positive Screening-Gruppe eingestuft „gleiten“ muss, um die maximale Interkuspidation wurden. zu erreichen. Wenn der Patient berichtet, dass der Kontakt gleichmäßig auf alle Zähne verteilt ist, Frontal- und Profilanalyse und wenn es keine Anzeichen für gleitende Kon- takte beim kräftigen Zusammenbeißen der Zähne Die Analyse der En-Face-Aufnahme zeigte, dass gibt (CO = CR), dann liegt eine physiologische Probanden mit positivem Screening eine Menton- zentrische Position vor, da die Zähne gut okklu- abweichung (23,33 %) aufwiesen, die statistisch dieren, wenn die Muskeln entspannt sind10. signifikant war (p < 0,05). Die Untersuchung der Zahnkontakte in habi Probanden mit positivem CMD-Screening tueller und dynamischer Okklusion erfolgte in wiesen auch eine stärkere anteriore Neigung des aufrechter Position mit einem Artikulationspapier Untergesichts auf (30 %), wobei die Signifikanz von 12 µm und ohne jegliche Manipulation des nicht nachgewiesen werden konnte (Tab. 2). Unterkiefers. Wenn bei dynamischen Bewegun- gen in Protrusion Seitenzahnkontakte und bei Modellanalyse Laterotrusion hyperbalancierte Kontakte auf der mediotrusiven, das heißt, nicht arbeitenden Seite Die Messungen der transversalen Breite und der vorhanden waren, wurde die Okklusion als fehler- Länge der oberen und unteren Zahnbögen wurden haft bezeichnet. mit dem Pont- und dem Korkhaus-Index14 durch- Neben der Erhebung der Zahnbefunde wurden geführt. Die Werte sind in Tabelle 3 aufgeführt. eventuelle Abrasionen des Zahnschmelzes regis Es wurde keine Signifikanz in Bezug auf die Be- triert. ziehung zwischen den anterioren und posterioren Das Vorgehen bei der instrumentellen Funk transversalen Messungen und auch in Bezug auf die tionsanalyse mit Gesichtsbogenaufnahme, zentika- Zahnbogenlänge zwischen den Probanden mit und ler Bissregistrierung und Montage der Modelle im ohne CMD-Anzeichen und -Symptome gefunden. Artikulator erfolgte nach Boisserée und Schupp1. Kephalometrie Statistische Analyse Panoramaröntgenaufnahmen lieferten keine zu- Der Vergleich der qualitativen Variablen zwischen verlässigen Daten für die Bewertung struktureller den Gruppen wurde mit dem exakten Fischer- Veränderungen der Kondylen und wurden daher Test durchgeführt, während für die quantitativen für diese Studie als nicht relevant erachtet. Variablen ein Chi-Quadrat-Test für unabhängige Hinsichtlich der sagittalen und vertikalen Stichproben verwendet wurde. P-Werte, die klei- Kieferrelation und der Inklination der Ober- und ner oder gleich 0,05 waren, wurden als statistisch Unterkieferschneidezähne wurde kein statistisch signifikant angesehen. signifikanter Zusammenhang zwischen den CMD- Anzeichen und -Symptomen festgestellt (Tab. 4). 6 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Tab. 2 Ergebnisse der frontalen Gesichts- und Profilanalyse. Gesichtsanalyse Probanden mit positivem Probanden mit negativem Total p-Wert Screening Screening Schiefe Mundlinie 10 (33,33 %) 6 (20 %) 16 (53,33 %) 0,0813 Menton Deviation 7 (23,33 %) 1 (3,33 %) 8 (26,66 %) 0,0121* Untere Gesichtshöhe_ gerade 1 (3,33 %) 4 (13,33 %) 5 (16,67 %) 0,3359 Untere Gesichtshöhe_ nach vorne schief 9 (30 %) 4 (13,33 %) 13 (43,33 %) 0,0634 Untere Gesichtshöhe_ nach hinten schief 4 (13,33 %) 8 (26,67 %) 12 (40 %) 0,2839 * Statistisch signifikant Tab. 3 Ergebnisse der Modellanalyse. Messungen der Oberkiefer- und Unterkieferbreite und Zahnbogenlänge. Probanden mit positivem Screening Probanden mit negativem Screening p-Wert Transversale Bogendiskrepanz Normal 0 ± 3 7 7 0,63* Reduziert 5 8 Erhöht 2 1 Total 14 16 Bogenlänge Diskrepanz Normal 0 ± 3 10 12 0,83* Reduziert 3 4 Erhöht 1 0 Total 14 16 * Nicht signifikant Tab. 4 Ergebnisse der sagittalen und vertikalen Kieferrelation und der Inklination der Ober- und Unterkieferschneidezähne. Fernröntgen-Analyse Probanden mit positivem Screening Probanden mit negativem Screening p-Wert N = 14 N = 16 Sagittal Neutral 7 (50 %) 7 (43,75 %) 0,638812 Distal 5 (35,71 %) 8 (50 %) Mesial 2 (14,29 %) 1 (6,25 %) Vertikal Neutral 6 (42,86 %) 4 (25 %) 0,342519 Hyperdivergent 3 (21,49 %) 2 (12,5 %) Hypodivergent 5 (35,71 %) 10 (62,5 %) Oberkieferinzisivi Normale Angulation 7 (50 %) 8 (50 %) 0,874653 Protrudiert 1 (7,14 %) 2 (12,5 %) Retrudiert 6 (42,86 %) 6 (37,5 %) Unterkieferinzisivi Normale Angulation 4 (28,58 %) 8 (50 %) 0,425796 Protrudiert 5 (35,71 %) 5 (31,25 %) Retrudiert 5 (35,71 %) 3 (18,75 %) Screenings zur Funktionsanalyse ährend 20 % zur Gruppe der ausgeprägten w und schweren Fehlstellungen (KIG 3, 4 und 5) Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass 14 Pa- zählten. tienten (46,67 %) ein positives Screening auf- Der Chi-Quadrat-Test und Fisher-Test ergaben wiesen, das heißt, drei und mehr CMD-Zeichen keinen statistisch signifikanten Unterschied bei und -Symptome wurden nach der Funktions- den positiven und negativen Screenings zwischen analyse bestätigt. Dabei gehörten 26,67 % zur den Probanden mit KIG 1 und 2 und zwischen den Gruppe der leichten Fehlstellungen (KIG 1 und 2), Probanden mit KIG 3, 4 und 5 (Tab. 5). Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 7
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Tab. 5 Klassifizierung der Probanden nach KIG-Schweregraden und CMD-Screeningergebnissen. KIG-Indikationsgruppen Positives Screening Negatives Screening Total p-Wert Gruppe A KIG 1 2 1 3 Chi-Quadrat-Test = 0,268; KIG 2 6 6 12 P = 0,60; P > 0,05* TOTAL 8 7 15 Gruppe B KIG 3 0 1 1 Exakter Fisher's test; KIG 4 5 6 11 P = 1,0; P > 0,05* KIG 5 1 2 3 TOTAL 6 9 15 TOTAL 14 16 30 – p-Wert Chi-Quadrat-Test = 0,46; P > 0,05* * Statistisch nicht signifikant Die Ergebnisse der Bewertung der CMD- Molaren auf. Wenn während der Laterotrusion Zeichen und -Symptome nach dem Screening hyperbalancierte Kontakte auf der mediotrusi- der manuellen Funktionsanalyse sind in Tabelle 6 ven Seite vorhanden waren, wurde die Okklusion dargestellt. als „inkorrekt“ bezeichnet und trat mehrheitlich Es wurde ein signifikanter Unterschied zwi- bei Probanden mit ausgeprägten und schweren schen den beiden Gruppen hinsichtlich der Ver- Malokklusionen auf (Gruppe B). In unserer Stu- änderungen im Bereich der Unterkiefermobilität diengruppe war der Unterschied jedoch statistisch und der Gelenkgeräusche festgestellt. Sie war nicht signifikant (Tab. 7). in der Gruppe B (KIG 3, 4 und 5) stärker aus geprägt. Instrumentelle Funktionsanalyse – Zentrische Relation (CR) Okklusale Kontakte in habitueller, Die Analyse der im Artikulator positionierten dynamischer und zentrischer Relation Patientenmodelle anhand der Gesichtsbogen- Die Untersuchung der Zahnkontakte in habitu- und Zentrikrelation-Aufzeichnungen ergab unter- eller maximaler Interkuspidation (= zentrische schiedliche Muster der ersten okklusalen Kontakte Okklusion) zeigte, dass eine korrekte Okklusion oder Interferenzen: Kontakte nur im Frontzahn- der Seitenzähne bei den Patienten der Gruppe A bereich (unter Beteiligung von Schneide- und Eck- mit KIG 1 und 2 häufiger war (73,33 %). zähnen), Seitenzahnkontakte nur im Prämolaren- Die Ergebnisse der dynamischen Okklusions- oder Molarenbereich (ein- oder beidseitig) und untersuchung zeigten unterschiedliche Muster zirkuläre Kontakte, die über alle Zahngruppen während der Protrusion wie reine Frontzahn- verteilt sind (ein- oder beidseitige Kontakte bei führung und gemischte Front- und Seitenzahn- Schneide- und Eckzähnen, Prämolaren und Mola- führung. Die Frontzahnführung mit Beteiligung ren) (Tab. 8). Im Allgemeinen war der Unterschied der Seitenzähne wurde als ungünstig bezeichnet zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich der CR und bei 10 Probanden beobachtet, von denen statistisch signifikant (p < 0,05). 3 Probanden (20 %) zur Gruppe A und 7 Pro- banden (46,67 %) zur Gruppe B gehörten. Der Unterschied zwischen den Gruppen war jedoch Diskussion statistisch nicht signifikant. Während der Laterotrusion traten sowohl die Um CMD zu erkennen, zu diagnostizieren und alleinige Eckzahnführung als auch eine Gruppen- zu behandeln, sind komplexe und anspruchsvolle führung von Eckzähnen, Prämolaren und/oder Analysen erforderlich. Die Behandlung umfasst ein 8 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Tab. 6 Anzeichen und Symptome in den KIG-Gruppen. CMD-Zeichen und -Symptome KIG-Indikationsgruppen p-Wert Gruppe A (KIG 1, 2) Gruppe B (KIG 3, 4, 5) Total Total Ohne Zahnverschleiß 9 9 1,00 Mit Zahnverschleiß 6 6 Normale Mundöffnung 15 10 0,042* Eingeschränkte Mundöffnung 0 1 Übermäßige Mundöffnung 0 4 Geradelinige Mundöffnung 8 7 0,914 Deflektion des Unterkiefers 4 5 Deviation des Unterkiefers 3 3 Keine Gelenkgeräusche 8 6 0,0178* Knackgeräusche beim Öffnen des Mundes 6 5 Knackgeräusche beim Schließen des Mundes 0 0 Reibegeräusche beim Öffnen des Mundes 0 3 Reibegeräusche beim Schließen des Mundes 1 1 Keine Schmerzen bei der Palpation 10 12 0,681 Schmerzen bei der Palpation 5 3 CR gleich CO – Watterollentest 8 7 1,00 CR ungleich CO – Watterollentest 7 8 * Signifikant Tab. 7 Zahnkontakte in dynamischer Okklusion: Protrusion und Laterotrusion. Kontakte in dynamischer Okklusion Gruppe A Gruppe B p-Wert Protrusion mit Frontzahnführung 12 (80 %) 8 (53,33 %) 0,2451 Protrusion mit gemischter Front- und Seitenzahnführung 3 (20 %) 7 (46,67 %) 0,2451 Laterotrusion rechts ohne Hyperbalancekontakte 13 (86,67 %) 9 (60 %) 0,2148 Laterotrusion rechts mit Hyperbalancekontakten 2 (13,33 %) 6 (40 %) 0,2148 Laterotrusion links ohne Hyperbalancekontakte 13 (86,67 %) 8 (53,33 %) 0,1086 Laterotrusion links mit Hyperbalancekontakten 2 (13,33 %) 7 (46,67 %) 0,1086 Tab. 8 Zahnkontakte nach Montage der Gipsmodelle im Artikulator. Kontakte in zentrischer Relation KIG-Indikationsgruppen p-Wert Gruppe A Gruppe B Nr % Nr % Frontzähne (Schneide- und Eckzähne) 3 20% 7 46,70% 0,00351* Front- und Seitenzähne – unilateral 1 6,70% 2 13,30% Front- und Seitenzähne – bilateral 1 6,70% 1 6,70% Seitenzähne – unilateral 5 33,30% 4 26,70% Seitenzähne – bilateral 5 33,30% 1 6,70% TOTAL 15 100% 15 100% – * Statistisch signifikant breites Spektrum an v erschiedenen therapeutischen Ziel dieser Studie war es, die Verteilung der Maßnahmen und einen interdisziplinären Ansatz CMD-Anzeichen und -Symptome in den KIG- mit unterschiedlichen Spezialisten. Kategorien zu untersuchen und mithilfe der Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 9
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie anuellen und instrumentellen Funktionsana- m schweren Malokklusionen und bei erwachsenen lyse mögliche CMD-Risikopatienten zu ermit- Patienten ausgeprägter, was einen Zusammen- teln, bevor eine kieferorthopädische Behandlung hang zwischen dem Grad der okklusalen Störun- eingeleitet wird. gen und möglichen degenerativen Schäden in den Obwohl die in diese Studie eingeschlosse- Gelenken zeigen könnte. nen Patienten subjektiv keine CMD-Symptome Die Analyse der En-Face-Aufnahme zeigte, aufwiesen und keine subjektiven Beschwerden dass Patienten mit positivem CMD-Screening hatten, wurde die detaillierte Untersuchung der eine Mentonabweichung (23,33 %) aufwiesen, Okklusion mithilfe einer röntgenologischen und die statistisch signifikant war. Unsere Ergebnisse skelettalen Beurteilung sowie einer manuellen und stimmen mit denen von Lobrezzo-Scholte et al.17 instrumentellen Funktionsanalyse mit der Absicht überein. In ihrer Studie wiesen 33 % der Patienten durchgeführt, Funktionsstörungen des stomato mit CMD eine Gesichtsasymmetrie auf. gnathen Systems frühzeitig zu erkennen. Es wurde kein signifikanter Zusammenhang Nicht jede CMD-Pathologie ist symptoma- zwischen den positiven und negativen Screening- tisch. Die Studie von Wolford et al.15 zeigte, dass Gruppen hinsichtlich der skelettalen Kieferdiskre- 25 % der Patienten mit intrakondylärer Resorp- panzen in den sagittalen und vertikalen Relationen, tion keine Symptome einer CMD aufwiesen. Eine der Inklination der Ober- und Unterkieferschnei- zu spät diagnostizierte CMD kann jedoch in einen dezähne sowie der Breite und Länge der Zahnbö- Zustand mit irreversibler Zerstörung der intrakap- gen, gemessen anhand der Modelle, festgestellt. sulären Kiefergelenkselemente übergehen. Des- Die Ergebnisse dieser Studie stimmen mit de- halb ist eine rechtzeitige und korrekte Diagnose nen von Sabbagh18, Sonnesen et al.19 und Badel von CMD von größter Bedeutung. et al.20 überein, die ebenfalls keinen signifikanten Untersuchungen von Hirsch et al.16 haben ge- Zusammenhang zwischen CMD und Malok- zeigt, dass nicht-symptomatische CMD doppelt klusion oder anderen kraniofazialen Anomalien so häufig (30 %) vorkommen wie symptomati- gefunden haben. sche CMD, und dass die CMD-Prävalenz offenbar Während neuere Studien gezeigt haben, dass als Gesundheitsproblem wahrgenommen wird. Bei statische und dynamische Okklusionsbedingun- der Auswertung der Ergebnisse dieser Studie zeig- gen möglicherweise nicht der wichtigste Aspekt ten 46,6 % der untersuchten Patienten ein posi- bei der Entstehung von CMD sind21, wider tives CMD-Screening, das durch eine Funktions- sprechen andere Studien solchen Aussagen. Laut analyse bestätigt wurde. Solberg et al.22 können einige okklusale Kontakte Es sollte betont werden, dass bei einigen Pa- oder Interferenzen auf der Nicht-Arbeitsseite tienten dieser Studiengruppe das CMD-Screening Zähneknirschen oder Zähnepressen auslösen, die negativ ausfiel, obwohl die Zahn- und Kiefer wiederum CMD verursachen. Cordray23 postu- anomalien sehr schwerwiegend waren. Man lierte, dass der Behandler nicht auf die im Mund könnte annehmen, dass entweder die Kompensa- beobachtete Okklusion vertrauen sollte. tionsmechanismen noch in der Lage waren, das In dieser Studie wurden selbst asymptomati- Gleichgewicht des stomatognathen Systems zu sche okklusale Störungen bei unseren untersuch- gewährleisten, oder dass die meisten der unter- ten Patienten nach der instrumentellen Funktions- suchten Patienten sehr jung waren, sodass die analyse sichtbar. Daher sind ordnungsgemäße Malokklusion noch nicht lange andauerte. interokklusale Registrierungen, die Montage der Nach unseren Erkenntnissen waren Verände- Modelle im Artikulator und die Überwachung aller rungen im Bereich der Unterkieferbeweglichkeit funktionellen Aspekte der Okklusion erforderlich, und Krepitationsgeräusche, die auf degenerative damit eine Diskrepanz erkannt werden kann. Die Veränderungen der Gelenkflächen des Kiefer Feststellung einer Diskrepanz zwischen CR und gelenks hinweisen, sowie Unterschiede im Bereich CO kann den Kieferorthopäden dazu veranlas- der Unterkieferbeweglichkeit in der Gruppe mit sen, zu bestimmen, in welche Richtung die Zähne 10 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie ewegt werden müssen, um eine CR = CO- b Stichprobe aus der Bevölkerung. Es ist auch wichtig Koinzidenz zu erreichen. zu erwähnen, dass in diese Studie nur eine kleine Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die Anzahl von Patienten einbezogen wurde, die zu Patienten der Gruppe B (KIG 3, 4 und 5) eine dem Zeitpunkt für eine kieferorthopädische Be- ausgeprägtere CO ≠ CR-Diskrepanz aufwiesen, handlung verfügbar waren. Für die Zukunft sind die nur mithilfe der instrumentellen Funktionsana- weitere Studien mit größeren Stichproben und lyse festgestellt werden konnte. Der Unterschied längeren Beobachtungszeiträumen erforderlich. zwischen unseren Untersuchungsgruppen erwies Da die Bewertung der morphologischen Ver- sich als statistisch signifikant, sodass die zu Beginn änderungen an den Kondylen in dieser Studie der Studie aufgestellte Nullhypothese abgelehnt mit Standard-Röntgenaufnahmen durchgeführt werden konnte. wurde, die zu Beginn der kieferorthopädischen Das Vorhandensein bestimmter Anzeichen und Behandlung bei jedem Patienten gemacht wer- Symptome bestätigte das Vorhandensein einer den, besteht eine weitere Einschränkung dieser latenten CMD bei einigen Patienten in dieser Stu- Studie darin, dass fortschrittlichere Röntgenunter- die, aber die Vorhersage, ob sich diese Symptome suchungen wie Cone-Beam-Computertomografie in absehbarer Zeit zu einem vollständigen CMD- (CBCT) und Magnetresonanztomografie (MRT) Krankheitsbild entwickelt hätten, ist nur mit pros- nicht verwendet werden konnten, um genauere pektiven Kohortenstudien möglich. Längsschnitt- Informationen über das Kiefergelenk zu erhalten. untersuchungen und größere Stichprobengrößen Die Diagnosekriterien der CMD waren auch könnten mögliche Fehler reduzieren und zuverläs- nur auf die zahnmedizinisch-okklusale Kompo- sigere Ergebnisse liefern. Da alle von uns unter- nente beschränkt. Die Einbeziehung des übrigen suchten Patienten nach der Datenerhebung in skelettalen Systems in die Untersuchung hätte dieser Studie kieferorthopädisch behandelt wur- mehr Informationen über aszendierende oder den, ist es nicht mehr möglich, die unbehandelten deszendierende Wechselwirkungen geliefert. latenten Fälle zu verfolgen und zu überprüfen, ob sich ein CMD-Krankheitsbild entwickelt hätte. Studien in der Literatur bestätigen jedoch, dass Schlussfolgerung Patienten mit unbehandelten CMD-Symptomen eine schwerere CMD entwickeln24,25. Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass die Die instrumentelle Funktionsanalyse ist für methodischen Verfahren zur Erfassung der Mal- eine akkurate kieferorthopädische Behandlung okklusion und der Anzeichen und Symptome der von Patienten hilfreich, um die Relationen zwi- CMD zur Identifizierung asymptomatischer CMD- schen Okklusion und der Kondylenposition zu be- Patienten, unabhängig vom Schweregrad der stimmen. Diese einfache und zuverlässige Technik Malokklusion, eingesetzt werden können. trägt dazu bei, Patienten mit einem Risiko für die Die Funktionsanalyse ist auch bei asympto- Entwicklung einer CMD zu erkennen. matischen Patienten nützlich, da sie Patienten mit Die gesetzlichen Krankenkassen sollten erwä- einem Risiko für die Entwicklung einer CMD iden- gen, die instrumentelle Funktionsanalyse in die tifiziert, bevor eine kieferorthopädische Behand- kieferorthopädische Behandlungsplanung ein- lung eingeleitet wird, und somit ein Eingreifen zur zubeziehen, um Komplikationen während der Vermeidung von Komplikationen ermöglicht. kieferorthopädischen Behandlung zu vermeiden Die CMD-Anzeichen und -Symptome zeigten und den Bedarf an Aufbissschienen in Zukunft zu keinen signifikanten Unterschied zwischen den reduzieren. beiden Studiengruppen (KIG 1,2 und KIG 3,4,5). Eine der Einschränkungen dieser Studie besteht Patienten mit leichten kieferorthopädischen Ano darin, dass die Stichprobe Patienten umfasste, die malien haben das gleiche Risiko, eine CMD zu unsere Kliniken für kieferorthopädische Behandlun- entwickeln, wie Patienten mit schweren Zahnfehl- gen aufsuchten, und nicht eine zufällig ausgewählte stellungen. Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 11
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Eine gestörte dynamische Okklusion und zen- einem vollständigen CMD-Krankheitsbild nicht trische Relation steht in engem Zusammenhang ausgeschlossen werden kann und daher weitere mit dem Schweregrad der Malokklusion, sodass Studien erforderlich sind. die Möglichkeit einer späteren Entwicklung zu Literatur 1. Boisserée W, Schupp W [Hrsg]. Kraniomandibuläres und 15. Wolford LM, Cardenas L. Idiopathic condylar resorption: muskuloskelettales System. Funktionelle Konzepte in Diagnosis, treatment protocol, and outcomes. Am J Orthod der Zahnmedizin, Kieferorthopädie und Manualmedizin. Dentofacial Orthoped 1999;116:667–677. 1st ed. Berlin: Quintessenz Verlags-GmbH 2012. S. 31–32. 16. Hirsch C. Verbreitung und Ätiologie von kraniomandibu 2. Kerlin F. CMD--In wieweit lassen sich Knackphänomene lären Dysfunktionen (CMD) im Kindes- und Jugendalter. differenzieren? [Examensarbeit]. No date available [Last Inf Orthod Kieferorthop 2019;51:40–49. visited 20.03.2021]. Available from: http://www.ganeo. 17. Lobbezoo-Scholte AM, Leeuw JR de, Steenks MH, de/facharbeiten /examensarbeit_von_ Frank_Kerlin.pdf. Bosman F, Buchner R, Olthoff LW. Diagnostic subgroups 3. Klostermann I, Kirschneck C, Lippold C, Chhatwani S. of craniomandibular disorders. Part I: Self-report data and Relationship between back posture and early orthodontic clinical findings. J Orofac Pain 1995;9:24–36. treatment in children. Head Face Med 2021;17:4. doi: 18. Sabbagh A. TMD manual and functional diagnostics and 10.1186/s13005-021-00255-5 [Epub 05.02.2021] Aqua Splint therapy: a novel procedure for simple diag- 4. Lippold C, Ehmer U, van den Bos L. Beziehungen zwischen nosis and effective therapy of the TMJ/TMD [Internet]. kieferorthopädischen und orthopädischen Befunden. Man 2014 [Last visited 09.07.2021]. Available from: https:// Med 2000; 38:346–350. goldberg.lv/wp-content/uploads/2020/01/ publication_ 5. Athanasiou AE, Graber TM. Temporomandibular disorders dental-asia_dental-feature_ sept.oct_.issue-2014.pdf and orthodontics. In: Graber TM, Eliades T, Athanasiou AE 19. Sonnesen L, Bakke M, Solow B. Malocclusion traits and [Hrsg]. Risk Management in Orthodontics: Experts’ Guide symptoms and signs of temporomandibular disorders to Malpractice. 1st ed. Chicago: Quintessence Publ Co, in children with severe malocclusion. Eur J Orthod Inc. 2004. S.145–164. 1998;20:543–559. 6. Yadav S, Yang Y, Dutra EH, Robinson JL, Wadhwa S. 20. Badel T, Marotti M, Krolo I, Kern J, Keros J. Occlusion Temporomandibular joint disorders in older adults. J Am in patients with temporomandibular joint anterior disk Geriatr Soc 2018;66:1213–1237. displacement. Acta Clin Croat 2008;47:129–136. 7. Mathew AL, Sholapurkar AA, Pai KM. Condylar changes 21. Manfredini D, Perinetti G, Stellini E, Di Leonardo B, and its association with age, TMD, and dentition Guarda-Nardini L. Prevalence of static and dynamic d ental status: A cross-sectional study. Int J Dent 2011:413639. malocclusion features in subgroups of temporomandibular doi:10.1155/2011 /413639 [Epub 31.10.2011]. disorder patients: Implications for the epidemiology of 8. Meyer G, Bernhardt O, Küppers A. Der Kopfschmerz – the TMD-occlusion association. Quintessence Int 2015; ein interdisziplinäres Problem – Aspekte der zahnärzt- 46:341–349. lichen Funktionsdiagnostik und -therapie. Quintessenz 22. Solberg WK, Woo MW, Houston JB. Prevalence of 2007;8:1211–1218. mandibular dysfunction in young adults. J Am Dent Assoc 9. Radlanski R. The temporomandibular joint: morphogene- 1979;98:25–34. sis and growth. J Aligner Orthod 2020;4:93–106. 23. Cordray F. Centric relation treatment and articulator 10. Meyer G. Short clinical screening procedure for initial mountings in orthodontics. Angle Orthod 1996;66: diagnosis of temporomandibular disorders. J Aligner 153–158. Orthod 2018;2:91–98. 24. Köhler AA, Hugoson A, Magnusson T. Prevalence of symp- 11. Reddy KPK, Reddy GV, Chaitanya N. Functional o cclusion toms indicative of temporomandibular disorders in adults: and temporomandibular joint. Ann Essences Dent 2014; cross-sectional epidemiological investigations covering 6:51–55. two decades. Acta Odontol Scand 2012;70:213–223. 12. Schupp W. Continuing diagnostics of the temporomandi 25. Egermark I, Magnusson T, Carlsson GE. A 20-year bular and musculoskeletal system (TMS/MSS). J Aligner follow-up of signs and symptoms of temporomandibular Orthod 2018;2:199–213. disorders and malocclusions in subjects with and w ithout 13. Ahlers MO, Jakstat HA. CMD-Screening mit dem CMD- orthodontic treatment in childhood. Angle Orthod Kurzbefund. Quintessenz 2015;66:1399–1409. 2003;73:109–115. 14. Nötzel F, Schultz C [Hrsg]. Leitfaden der kieferortho pädischen Diagnostik. 2nd Ed. Köln: Deutscher Zahnärzte Verlag; 2009. 12 Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13
Agani/Schupp CMD und kieferorthopädische Anomalie Correlation between CMD and complexity of orthodontic malocclusion KEY WORDS Craniomandibular dysfunction (CMD), temporomandibular joint (TMJ), KIG, malocclusion, functional analysis ABSTRACT CMDs (craniomandibular dysfunctions) are functional disorders that involve the temporoman- dibular joint (TMJ) and masticatory muscles, but also cause different symptoms in other regions of the body. The role of occlusion is considered as a predisposition or as a contributing factor by initiating the disorder. This study aimed to analyze if there are specific CMD signs and symp- toms related to the complexity of orthodontic malocclusion and to identify patients with a risk of developing a CMD before orthodontic treatment is initiated. The study sample consisted of 30 or- thodontic patients who were divided in two groups according to KIG (Kieferorthopädische Indika- tionsgruppen), which has five severity grades. The first group included mild malocclusions (KIG 1 and 2), and the second group included pronounced and severe malocclusions (KIG 3, 4, and 5). Frontal face, profile, cephalometric, and study cast model analysis together with manual and instrumental functional analysis were performed to reveal latent CMD signs and symptoms and to compare these findings with the severity of malocclusion. Of the overall examined patients, 46.67% demonstrated a positive screening. It was more pronounced (26.67%) in the group of mild malocclusions (KIG 1 and 2) compared with the group of pronounced and severe malocclu- sions (KIG 3, 4, and 5), in which the positive screening was found in only 20% of subjects. No sta- tistically significant association was found between the groups with and without CMD, regarding skeletal jaw discrepancies in sagittal and vertical, the inclination of the maxillary and mandibular incisors, and also regarding the width and the length of the dental arches. The results of this study showed that pronounced malocclusions have a more deranged dynamic occlusion and centric relation. CMD manual functional screening did not show a significant difference between the two study groups (KIG 1,2 and KIG 3,4,5). Patients with slight orthodontic anomalies have the same risk of developing CMD as the patients with severe malocclusions. Krenare Agani M.D.Sc. Werner Schupp Dr. med. dent. Dr. med. dent. (UMF Prishtina) Privatpraxis Privatpraxis in Hauptstraße 100 Hauptstraße 50 66482 Zweibrücken 50996 Köln und Exerzierplatzstr. 1 66953 Pirmasens Krenare Agani Korrespondenzadresse: Dr. med. dent. Krenare Agani, E-Mail: krenare.agani@gmail.com Kieferorthopädie 2022;36(3):1–13 13
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