Parkinson ein ratgeber für patienten - Mediclin
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INHALT 01 Einführung I 03 02 Bewegungsstörungen – die Grundlagen I 04 Der essenzielle Tremor I 06 Das Restless-Legs-Syndrom I 07 Weitere Bewegungserkrankungen I 07 03 Ursachen, Anzeichen und Diagnose der Parkinson-Krankheit l 07 04 Wie lässt sich die Parkinson-Krankheit behandeln? l 08 Behandlung der Bewegungsstörungen I 09 Behandlung von nicht-motorischen Symptomen der Parkinson-Krankheit I 12 Krankengymnastik I 13 Ergotherapie I 14 Schmerzen und Schmerztherapie I 16 Schluckstörungen I 12 Sprechstörungen I 13 Geistige Leistungsfähigkeit I 14 Symptome, die Verhalten und Psyche betreffen I 16 © MediClin Stand: Oktober 2020 Z / Unternehmenskommunikation, Offenburg Autor: Dr. med. Jürgen Bonnert, Chefarzt Neurologie MEDICLIN Klinik Reichshof Fotos: MediClin, AdobeStock Satz und Layout: Tine Klußmann, www.TineK.net 02
01 Einführung 01 Liebe Patientinnen und Patienten, während Ihres Rehabilitationsaufenthaltes bei uns haben Sie bereits viel Wissenswertes und Nützliches über die Parkinson-Krankheit sowie andere Bewegungsstörungen erfahren. Uns ist es ein besonderes Anliegen, Sie anhand dieser Broschüre zusätzlich mit Informationen zum Nachlesen und für zu Hause zu unterstützen. Die Broschüre klärt Sie über Ursachen, Anzeichen und Behandlungsmöglichkeiten auf. Unter Bewegungsstörungen verstehen wir in der Nervenheilkunde (Neurologie) eine Gruppe von Erkrankun- gen, bei denen es vermehrt zu unwillkürlichen Bewegungen (Überbewegung) oder zu einer Verarmung an Be- wegungen (Unterbewegung) kommt. Es gibt unterschiedliche Auslöser dafür, die in bestimmten Hirnregionen sitzen. Meist sind Regelkreisläufe des Gehirns gestört. Die häufigste und bekannteste Bewegungsstörung ist die Parkinson-Erkrankung – eine Erkrankung bestimmter Hirnregionen. Als Folge verlangsamen sich bei den Patienten Bewegungs- und Denkabläufe. Die Parkinson- Krankheit hat in der Neurologie eine große Bedeutung: Sie ist etwa so häufig wie die Multiple Sklerose und wird zu den degenerativen Erkrankungen gezählt, also zu den Leiden, bei denen Gewebe oder Funktionen verlorengehen. Die Erkrankung wurde erstmals 1817 von dem englischen Arzt James Parkinson beschrieben. Im deutschsprachigen Raum bezeichnet man sie auch als Schüttellähmung. Mit dieser Broschüre möchten wir anhand der Parkinson-Krankheit – als Beispiel für die Gruppe der Bewe- gungsstörungen – erklären, wie Sie sich Störungen des Regelkreislaufes vorstellen können. Zusätzlich wollen wir Ihnen Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Darüber hinaus thematisiert die Broschüre aber auch andere weit verbreitete Bewegungsstörungen. 03
02 Bewegungsstörungen – die Grundlagen Neben der Parkinson-Krankheit, die im Rahmen dieser Broschüre ausführlich beschrieben wird, zählen das Restless-Legs-Syndrom und der essenzielle Tremor zu den häufigsten Bewegungsstörungen. Der essenzielle Tremor Der essenzielle Tremor ist die häufigste Form des krankheitsbedingten Zitterns, das medizinisch als Tremor bezeichnet wird. Er stellt im Gegensatz zu vielen anderen Tremor-Formen nicht nur ein Begleitsymptom, sondern eine eigene Erkrankung dar. Er tritt als weitgehend eigenständiges (also essenzielles) Symptom auf und kann gut von anderen Erkrankungen abgegrenzt werden. Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt im höheren Lebensalter (ab etwa 65 Jahren) deutlich zu. Dabei betrifft der essenzielle Tremor Männer und Frauen in gleichem Maße. Mitunter kann er im Laufe der Erkrankung in eine Parkinson-Krankheit übergehen. Ob zwischen der Parkinson-Krankheit und dem essenziellen Tremor ein Zusammenhang besteht, lässt sich heute noch nicht beantworten. Bei der Entstehung des essenziellen Tremors spielen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren (beispiels- weise das Umweltgift Blei) eine Rolle, wobei deren Bedeutung noch nicht abschließend beurteilt werden kann. 04
Das Restless-Legs-Syndrom Das Restless-Legs-Syndrom (RLS), auf deutsch Syndrom der ruhelosen Beine, wurde 1672 erstmals beschrieben. 1945 veröffentlichte der schwedische Neurologe Karl-Axel Ekbom eine ausführliche wissen- schaftliche Darstellung der Erkrankung mit fast allen uns heute be- kannten Aspekten des Krankheitsbildes. Das Restless-Legs-Syndrom ist durch vier Kriterien charakterisiert: Typisch ist ein nahezu unwiderstehlicher Drang, die Beine, selten auch die Arme, zu bewegen (Bewegungsdrang). Dieses Phänomen ist meistens, aber nicht notwendigerweise, von unangenehmen Gefühlsstörungen unterschiedlicher Art oder Schmerzen in den Beinen begleitet. Die Anzeichen treten fast ausschließlich in Ruhe auf, etwa im Liegen oder Sitzen. Die Symptome pausieren oder verringern sich, wenn man die betroffenen Glieder bewegt. Sie verstärken sich am Abend und zur Nacht. Damit umfasst das Restless-Legs-Syndrom in der Regel drei Komponenten, nämlich Bewegungsdrang, Schmerzen und Schlafstörungen. Wenn es deutlich ausgeprägt ist, beeinträchtigt es den Schlaf, den Tagesablauf und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Das Restless-Legs-Syndrom ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen und gilt als die häufigste Schlafstörung, die neurologisch, also durch eine Erkrankung der Nerven, verursacht wird. Man geht davon aus, dass das Restless-Legs-Syndrom eine komplex-genetische Erkrankung ist. Das heißt, dass mehrere Gene an der Entstehung beteiligt sind. Daneben spielen auch nicht-genetische Faktoren eine Rolle. Eine Reihe von äu- ßeren Faktoren, wie beispielsweise Eisenmangel und bestimmte Medikamente sowie Nierenversagen, das eine Dialyse notwendig macht, können die Krankheit auslösen oder verstärken. Das Gleiche gilt für Erkrankungen des peripheren Nervensystems – des Nervensystems außerhalb von Gehirn und Rückenmark – oder des Rückenmarks selbst. Weitere Bewegungserkrankungen In die Gruppe der Bewegungserkrankungen gehören aber auch seltenere Störungen wie Ataxien (Störun- gen der Bewegungs-Koordination), die Huntington-Krankheit, Dystonien (krankhaft veränderte Muskelspannung), die Wilson-Krankheit, Myoklonus (unkontrollierte kurze Bewegungen), das Tourette-Syndrom oder Tics (unwillkürliche Zuckungen). Die überwiegende Zahl der Bewegungsstörungen beruht auf Fehlfunktionen verschiedener Hirnregionen wie der Basalganglien (Ansammlungen von Nervenzellen im Gehirn), von Bereichen im Kleinhirn, des Hirnstamms und des Rückenmarks. 05
03 Ursachen, Anzeichen und Diagnose der Parkinson-Krankheit Die Parkinson-Krankheit ist eine der wichtigsten Bewegungserkrankungen. Als Ursache gilt, dass im Gehirn Nervenzel- len geschädigt werden, die den Botenstoff Dopamin ausschütten. Es kommt zu einem Dopamin-Mangel. Dieser Boten- stoff ist an der Steuerung von Bewegungen beteiligt: Er überträgt Signale aus dem Gehirn auf andere Nervenzellen, die Bewegungen aktivieren oder hemmen. Die Erkrankung zeigt ein deutlich altersabhängiges Auftreten: So beginnt sie bei nur etwa vier Prozent der Patienten vor dem 51. Lebensjahr. In der Altersgruppe über 65 Jahren leiden dagegen etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung daran. Wie entscheidend der Risikofaktor Alter ist, lässt sich daran zeigen, dass bei Menschen über 50 Jahren das Risiko, an Parkinson zu erkranken, mit jedem Jahr um neun Prozent wächst. Bis zu 30 Prozent des Parkinson-Risikos sind durch erbliche Faktoren zu erklären. Die wesentlichen Ursachen für die Zellschädigung im Gehirn bei der größten Gruppe der Parkinson-Erkrankten sind jedoch letztlich unbekannt. Die charakteristischen Symptome der Parkinson-Krankheit Muskelstarre (Rigor) verlangsamte Bewegungen (Bradykinese), welche bis zur Bewegungslosigkeit (Akinese) führen können Muskelzittern (Tremor) instabile Haltung mit Neigung zu Stürzen (posturale Instabilität). 06
Neben den sichtbaren Anzeichen treten normalerweise auch nicht sichtbare und dennoch typische Symptome auf, die in vier Gruppen zusammengefasst werden: 01 sogenannte neuropsychiatrische Störungen mit Antriebsarmut, Störung der Stimmung (Depression), der Impuls- kontrolle, des Denkens (etwa eine Verlangsamung) und der Gedanken (beispielsweise inhaltliche Einschränkun- gen, quälendes Grübeln), 02 Schlafstörungen mit häufigem Erwachen oft als Folge erhöhter Müdigkeit während des Tages, 03 sogenannte autonome Funktionsstörungen. Dadurch kann der Blutdruck schwanken oder die Patienten verlieren die Kontrolle über ihre Blase und den Darm. 04 Sinnesstörungen, etwa eine verminderte Fähigkeit, zu riechen und Farben wahrzunehmen, sowie Schmerzen. Daher muss der Arzt neben den sichtbaren Anzeichen auch die nicht sichtbaren Symptome im Blick haben, um die Diagnose Parkinson zu stellen. Dies ist sehr wichtig, da einige dieser Anzeichen häufig als erste Symptome auftreten, noch bevor die Bewegungsstörungen zu sehen sind. Zu den Erstsymptomen zählen Geruchsstörungen, Stimmungs- Probleme, gestörtes Farbensehen und ein verändertes Schlafverhalten. Andere Anzeichen wie Stürze, Denk- und Gedankenstörungen zeigen sich hingegen eher im späteren Verlauf der Erkrankung vermehrt. Der Weg zur Diagnose Die Diagnose stützt sich im Wesentlichen auf die klassischen erkennbaren Symptome. Weitere Merkmale sind der lang- sam schleichende Verlauf und dass die Erkrankung zu Beginn nur auf einer Körperseite auftritt. Verschiedene Untersuchungen können jedoch bereits in der frühen Phase der Erkrankung dazu beitragen, die Diagnose zu sichern. Dazu zählt insbesondere ein bildgebendes Verfahren namens DAT-Scan. Damit lassen sich Störungen im Dopamin-Stoffwechsel zeigen. Ebenfalls hilfreich sind ein Geruchstest, der sich in der Praxis durchführen lässt, sowie ergänzende neuropsychologische Untersuchungen wie Hirnleistungstests. Weiterführende Untersuchungen sind eine Schlafdiagnostik, elektrophysiologische Messungen, mit denen die Nerven- funktion getestet wird und Laboruntersuchungen sowie zusätzliche bildgebende Verfahren. Dazu kommt der L-Dopa- Test, bei dem der Patient versuchsweise das Medikament L-Dopa erhält, das den Botenstoff Dopamin ersetzt. Für die Behandlung, die eingeleitet wird, sobald die Diagnose feststeht, ist immer der Therapiewunsch des Patienten entscheidend. 07
04 Wie lässt sich die Parkinson-Krankheit behandeln? Eine Therapie, mit der sich die Parkinson-Krankheit grundsätzlich heilen lässt, kennen wir bisher leider nicht. Dennoch gibt es ein breites Spektrum verschiedener Behandlungsmöglichkeiten, die den Krankheitsverlauf mehr oder weniger deutlich beeinflussen können. Dabei unterscheidet man zwischen der Behandlung der motorischen Symptome, also der Anzeichen, welche die Bewegung betreffen, und der nicht-motorischen Symptome. Die Therapie sollte rechtzeitig beginnen, altersgerecht und effektiv sein. Behandlung der BewegungsStörungen Die motorischen Symptome lassen sich vor allem mit Medikamenten beeinflussen. Im Vordergrund steht dabei die Behandlung des Dopaminmangels im Gehirn. Dazu setzt man fünf Substanzgruppen ein: Levodopa (kurz L-Dopa) (ersetzt den Botenstoff Dopamin) COMT-Hemmer (hemmen das Enzym Catechol-O-Methyl-Transferase und damit den Abbau von Dopamin) MAO-Hemmer (hemmen das Enzym Monoamin-Oxidase und verlangsamen damit den Abbau von Dopamin) NMDA-Antagonisten (blockieren sogenannte NMDA-Rezeptoren und beeinflussen so die Beweglichkeit) Dopamin-Agonisten (wirken wie Dopamin) Man verwendet sie meist kombiniert, abhängig von ihren gewünschten Wirkungen und unerwünschten Begleitwirkungen. Sie müssen die Medikamente zu festgelegten Uhrzeiten einnehmen, damit diese richtig wirken können. Dabei ist es wichtig, dass Sie die Einnahme zusammen mit Ihrem Arzt auf die tageszeitliche Ausprägung der Symptome abstimmen. Man spricht dabei von Chronotherapie, einer Behandlung, die an die innere Uhr angepasst ist. Die medikamentöse Behandlung kann ambulant oder stationär erfolgen. Wenn Sie stationär auf die Medika- mente eingestellt werden, hat dies den Vorteil, dass sich der Therapieerfolg durch den täglichen Kontakt mit Ärzten, Therapeuten und Pflegern kontrollieren und anpassen lässt. Häufige Nebenwirkungen der Parkinson- Therapie sind Unverträglichkeiten im Magen-Darm-Trakt, mit Appetitlosigkeit und Übelkeit bis hin zum Erbre- chen, sowie psychische Begleiterscheinungen wie Unruhe, erhöhte Traumaktivität und Sinnestäuschungen. 08
In den letzten Jahren wird neben der medikamentösen Behandlung immer häufiger ein operatives Therapie- verfahren namens Tiefe Hirnstimulation eingesetzt. Hierbei regt man drei ausgewählte Hirnregionen über Elektroden an. Dazu kommt ein Schrittmacher, der unter der Haut implantiert wird und den der Patient von außen steuern kann. Das Verfahren zeigt eine gute bis sehr gute Wirksamkeit mit vertretbaren Nebenwirkun- gen (neben den typischen Begleiterscheinungen eines chirurgischen Eingriffs). Die Tiefe Hirnstimulation eignet sich für Parkinson-Patienten, die bereits längere Zeit behandelt werden und bei denen die Therapie Komplikationen hervorruft, die sich nicht ausreichend mit Medikamenten bessern lassen. Behandlung von nicht-motorischen Symptomen der Parkinson-Krankheit Neben den Bewegungsstörungen behandelt der Arzt auch Symptome, die nicht die Beweglichkeit betreffen. Dabei stehen neuropsychiatrische Funktionsstörungen, welche die Psyche und das Verhalten beeinträchtigen, sowie Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit (kognitive Symptome) im Vordergrund. Diese Symptome können bereits zurückgehen, wenn man die Wirkung Ihrer Parkinson-Medikamente sorgfältig kontrolliert und die Dosis gegebenenfalls anpasst. Zusätzlich lassen sich einzelne Symptome, etwa Stimmungs-, Schlaf-, Denk- und Impulskontroll-Störungen, mit entsprechenden Arzneimitteln behandeln. Neben den motorischen und den nicht-motorischen Symptomen weisen viele Parkinson-Patienten Störungen der autonomen Funktionen auf. Es kommt vor allem zu Blutdruckschwankungen, Störungen der Blasen- und Darmfunktion sowie der Sexualfunktionen. Auch hier können jeweils gezielte Medikamente eingesetzt werden. 09
Krankengymnastik Ergänzend zur medikamentösen Therapie ist Krankengymnastik oder auch Physiotherapie der wichtigste Bestandteil der Parkinson-Behandlung. Sie bietet sich bei Steifheit (Rigor), Zittern (Tremor) oder Bewegungs- armut (Hypokinese) an, die das Bewegungsverhalten und die Haltung des Betroffenen beeinträchtigen. Die Hauptaufgabe der Physiotherapie ist es, die Haltungskontrolle (posturale Kontrolle) zu verbessern, um das Gleichgewicht zu stabilisieren und das Sturzrisiko zu vermindern. Charakteristisch für die Parkinson-Krankheit ist eine Haltung, bei der die Betroffenen den Oberkörper stark nach vorne neigen. Mit der Zeit lässt zudem die Beweglichkeit der Hüfte immer mehr nach, was kleine Trip- pelschritte verursacht. Um weiterhin geradeaus schauen zu können, ist der Betroffene gezwungen, den Kopf in den Nacken zu nehmen und das Kinn nach vorne zu schieben. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Gehen, sondern kann sich auch negativ auf die Sprach- und Schluckfunktionen auswirken. Als Folge dieser Ausgleichshaltung verspannt und verkürzt sich die Muskulatur deutlich. Deshalb ist es besonders wichtig, dass der Physiotherapeut dies sorgfältig untersucht, um gezielt Bauch- und Rückenmuskulatur zu kräftigen. Zusätzlich ist es nötig, verkürzte Muskeln zu dehnen und Schmerzen mit bestimmten Techniken zu lindern. Die geschilderten Veränderungen erschweren nicht nur die alltäglichen Bewegungen, sie wirken sich auch auf das Gleichgewicht aus und erhöhen die Gefahr, zu stürzen. Um das Sturzrisiko zu verkleinern, muss vor allem die Beweglichkeit der Füße und der Hüften erhalten werden, da kleine Unsicherheiten zunächst über die Füße und dann über die Hüften ausgeglichen werden. Erst danach erfolgt ein Schutzschritt (Stellreflexe). Wichtig ist auch, die Angehörigen zu beraten. Sie sollten auf häusliche Risikofaktoren – beispielsweise Stol- perfallen wie Teppiche – aufmerksam gemacht werden, um diese abzubauen (s.u.). Zusammen mit dem Er- gotherapeuten können Sie auch geeignete Hilfsmittel auswählen. Dazu zählen Rollatoren, Gehstöcke, Hüft- gelenksprotektoren, Greifzangen und anderes. 10
Mitunter kommt es zu einem Phänomen namens „Freezing“. Das be- deutet, dass Bewegungen „einfrieren“, sodass der Betroffene diese nur sehr schlecht oder gar nicht fortsetzen kann. Dieses Phänomen tritt häufig bei räumlichen Verengungen auf, beispielsweise im Tür- rahmen oder bei Veränderungen des Untergrunds. Oft hilft es, dem Betroffenen ein lautes Kommando zu geben, etwa „Und los!“ oder „Linker Fuß vor!“. Manche Patienten überwinden die Situation, in- dem sie über etwas hinübersteigen, beispielsweise über den Fuß einer anderen Person. Auch hierfür gibt es speziell entwickelte Hilfsmittel wie einen Gehstock, bei dem auf Knopfdruck ein Querstock aus- geklappt werden kann. Einige Patienten sind durch die Bewegungsstörungen verunsichert und neigen dazu, sich zu isolieren und aus dem sozialen Leben zurückzuziehen. Die Physiotherapie soll helfen, den Spaß an der Be- wegung wiederzufinden. Mit einer geeigneten Sportart wie Nordic Walking kann dieser Effekt weiter verstärkt werden. Gleichzeitig trainiert dies Herz und Kreislauf. 11
Ergotherapie Die Ergotherapie ist eine medizinische Behandlungsmethode, mit der die Alltagsfunktionen erhalten und verbessert werden. Sie widmet sich Menschen, die in der Bewegung oder der Wahrnehmung sämtlicher Sinnessysteme einge- schränkt sind. Indem Ihre Bewegungsfunktion verbessert oder wiederhergestellt wird, gewinnen Sie eine möglichst große Selbstständigkeit und Unabhängigkeit im Alltag zurück. Falls sich Ihre krankheitsbedingten Einschränkungen der Bewegung und/oder der Sinnesleistungen nicht bessern las- sen, können Sie bei der ergotherapeutischen Therapie verschiedene Hilfsmittel erproben und trainieren, wie man damit in alltäglichen Situationen umgeht. Ergotherapeuten beraten Sie auch in Bezug auf Ihr Wohn- und Arbeitsumfeld und überdenken zusammen mit Ihnen Arbeitsabläufe neu. Dann müssen gegebenenfalls Schränke umgeräumt, Stolperfallen wie Teppiche und Schwellen entfernt sowie Haltegriffe im Bad, bei der Toilette oder vor Türen angebracht werden. Stabile Sitzmöbel und ein Bett in der richtigen Höhe erhöhen Ihre Lebensqualität ebenfalls. Selbst eine Unterstützung im Freizeitbereich zählt dazu. So können Sie mit dem Ergotherapeuten abklären, welche Hilfen für ein bestehendes Hobby nötig sind, oder aber, wie Sie Ihre Freizeit neu gestalten können. 12
Schmerzen und Schmerztherapie Viele Parkinson-Patienten suchen als Erstes wegen Schmerzen oder Missempfindungen, häufig des Rückens und der oberen Extremitäten, einen Arzt auf. Schmerzen bei der Parkinson-Krankheit werden häufig als krampfartig-ziehender Muskelschmerz wahrgenommen, aber auch als schmerz- haftes Hitzegefühl oder Kribbeln, das sich nicht immer genau verorten lässt. 37 Prozent der Patien- ten leiden auch im Verlauf der Erkrankung unter chronischen Schmerzen, die nicht durch andere Ursachen zu erklären sind. In sogenannten „Off-Phasen“, in denen sich die Krankheitssymptome vorübergehend schlagartig verschlechtern, verstärken sich auch die Schmerzen. Als Ursache wird wissenschaftlich diskutiert, ob durch den gestörten Dopamin-Stoffwechsel auch die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem verändert ist. Eine Reihe von Untersuchungen sprechen dafür, dass die Schmerzschwelle bei Parkinson-Patienten herabgesetzt ist, sie also bei entsprechenden Reizen eher Schmerz empfinden als Gesunde. Die Behandlung hat das Ziel, die Anzahl Ihrer „Off-Phasen“ zu reduzieren und Ihre motorischen Symptome durch die physiotherapeutische Behandlung und Arzneimittel zu mindern. 13
Schluckstörungen Die Bewegungsstörungen durch die Parkinson-Erkrankung können auch das Schlucken betreffen. Der Schluckakt, eine angeborene Fähigkeit, erfolgt unbewusst und automatisch. Er erscheint uns selbstverständlich, ist aber in Wirklichkeit ein hochkomplexes Zusammenspiel – denn er muss im richtigen Moment ausgelöst werden und erfordert den Einsatz von zahlreichen Muskeln, deren Bewegung genau aufeinander abgestimmt ist. Er findet zwischen 600- und 2.000-mal in 24 Stunden statt. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie viele Strukturen am Schlucken beteiligt sind? die Lippen, die Wangen, der harte und der weiche Gaumen, die Zunge, der Kehldeckel, die Stimmlippen, die Taschenfalten neben dem Kehlkopf, die Luftröhre, die Speiseröhre und der Rachen! Der nur wenige Sekunden andauernde Schluckakt lässt sich sogar in verschiedene Phasen aufteilen. Fühlen Sie doch mal nach, ob Sie die Kauphase, den Transport durch den Mundraum und den Transport durch den Rachenraum unter- scheiden können. Vielleicht wird Ihnen die Wichtigkeit einiger der oben genannten Mitspieler dadurch etwas deutlicher. Wenn sich die Bewegungsfähigkeit bei der Parkinson-Erkrankung durch Steifheit, Zittern oder Bewegungsarmut sowie durch eine suboptimale Haltung verändert, kann dies auch beim Schlucken Schwierigkeiten hervorrufen. So schlucken die Patienten unbemerkt zu selten. Sie spüren nur, dass sich viel Speichel im Mund gesammelt hat, was sie fälschlicher- weise auf die Medikamente zurückführen. 14
Solche Schluckstörungen, medizinisch als Dysphagie bezeichnet, können die Patienten im Alltag sehr beeinträchtigen. Aber was genau können mögliche Schwierigkeiten beim Schluckvorgang sein? Zu den Symptomen zählt, dass die Dreh- und Mahlbewegungen des Kiefers abnehmen, die Beweglichkeit und die Kraft der Zunge sich verringern oder der Schluckreflex zu spät ausgelöst wird. Auch kann die Koordination beim Transport durch den Mundraum gestört sein, sodass Nahrung frühzeitig in den Rachen rutscht und der Patient sich verschluckt. Mitunter ist die Rachenmuskulatur zu kraftlos und zu langsam, um die Nahrung nach unten zu befördern oder die Kehlkopfbewegung ist reduziert, wodurch der Eingang zur Luftröhre nicht vollständig verschlossen wird. Und schließlich kann sich die Speiseröhre verzögert oder zu kurz öffnen. Bei der Parkinson-Erkrankung können sich solche Schluckstörungen entwickeln; dies ist aber nicht bei allen Patienten der Fall. Es ist daher wichtig, Experte für seine eigene Erkrankung zu werden. Sie sollten wissen, welche Schwierigkeiten auftreten könnten. Dadurch sind Sie besser vorbereitet und können nötigenfalls schneller und effektiver handeln. Die Therapie von Schluckstörungen erfolgt beim Logopäden. Er arbeitet mit verschiedenen Behandlungsverfahren, abhängig von der Schwere und Ausprägung der Schluckstörung. Sie können Übungen machen, um die Restfunktion zu verbessern (restituierende Verfahren). Hat etwa die Zungenkraft nachgelassen, können Übungen für mehr Kraft und Beweglichkeit der Zunge sorgen. Sie erhalten Tipps und erlernen Tricks (kompensatorische Verfahren), um das Schlucken beispielsweise durch eine Haltungsänderung zu fördern. Zusätzlich kann Ihnen eine individuell angepasste Kost das Schlucken erleichtern und es sicherer machen. Dazu zählen weiche und gut gleitfähige oder breiige Speisen sowie angedickte Flüssigkeiten. Treten Problemen auf, sollten Sie sich in Absprache mit Ihrem Arzt so schnell wie möglich in eine logopädische Therapie begeben. Damit lassen sich Folgen wie eine Lungenentzündung oder Mangelernährung häufig verhindern. Denken Sie daran, dass das sichere Schlucken und die Nahrungsaufnahme auch einen starken Einfluss auf Ihre Lebensqualität haben! schluckvorgang Nasenhöhle Mundhöhle Rachenhöhle Zunge Kehldeckel Stimmlippen Speiseröhre Luftröhre 15
Sprechstörungen Genauso wie das Schlucken hängt auch das Sprechen von Bewegungsfähigkeiten ab. Sprechen ist ebenfalls viel kom- plexer, als viele Leute annehmen. Rund 120 Muskeln sind dafür verantwortlich, wie man etwas sagt. Die Sprech- weise setzt sich zusammen aus der Atmung, der Stimme, der Aussprache und der Prosodie (Sprechrhythmus, Beto- nung, Sprechpausen). Unterstützt und verstärkt wird die verbale Botschaft von Haltung, Mimik und Gestik. Weil das Sprechen und die nonverbale Kommunikation von der optimalen Mobilität und der Koordination aller beteiligten Mus- keln abhängen, entwickeln etwa zwei Drittel der Parkinson-Patienten im Laufe ihrer Erkrankung eine Sprechstörung, eine sogenannte Dysarthrie. 16
Folgende Merkmale der Bewegungsstörung können sich auch in den Sprechbewegungen zeigen: Steifheit, Zittern und Bewegungsarmut. Dabei muss nicht jedes Merkmal bei jedem Patienten auftreten. Es kann beispielsweise lediglich die Stimme zittern (isolierter Stimmtremor). Dann bestünde ausschließlich eine Stimmstörung, eine sogenannte Dysphonie. Die Ausprägung einer Dysarthrie und / oder einer Dysphonie ist individuell verschieden. Die Bewegungsstörungen, die das Sprechen beeinträchtigen, sind folgendermaßen hörbar: Fehlendes bis nicht aus- reichendes Luftholen vor dem Sprechen führen dazu, dass Sie schnell außer Atem kommen und für das Sprechen die Restluft benötigen. Dadurch ist die Stimme leise und hat Schwierigkeiten, ihre Lautstärke situationsabhängig anzupas- sen. Die Stimme kann sich durch veränderte Stimmlippen-Bewegungen rau, heiser oder knarrend anhören. Durch Zit- tern können sich die Stimmlippen viel schneller bewegen und somit Nebengeräusche erzeugen. Produzieren sie keine unterschiedlichen Tonhöhen mehr, klingt das Sprechen monoton und die Melodie fehlt. Wird der Kiefer nur wenig geöffnet oder ist die Beweglichkeit von Lippen, Wangen, Gaumensegel und Zunge eingeschränkt, kann auch die Aussprache unverständlicher sein. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Sie deutlich längere oder veränderte Pausen beim Sprechen machen und dadurch einen veränderten Sprechrhythmus bekommen. Ein zusätzlich häufig vorkommendes Problem ist das „Lautstärke-Dilemma”: Aufgrund der Bewegungsarmut und Steif- heit muss der Parkinson-Erkrankte viel mehr Kraft aufwenden, um seine Stimme einzusetzen. Durch diese Kraftanstren- gung wird die eigene Wahrnehmung verändert. Die Patienten sprechen für die Zuhörer zu leise, sie selber bekommen aber von ihrem Gehirn die Information, bereits laut genug zu sprechen. Mit der logopädischen Therapie wird diese Wahrnehmungsveränderung relativiert und die Körperwahrnehmung ver- bessert. Ziel ist auch, die Körperhaltung zu optimieren, ausreichend tief zu atmen und die Atemräume im Körper mit Hilfe der Lunge und des Zwerchfells zu erweitern. Mit Übungen versucht man, die Stimme zu kräftigen, den Stimmum- fang und die Lautstärke zu erweitern, die Aussprache (Artikulation) zu verbessern, die Sprechmelodie zu optimieren. Außerdem helfen die Übungen, das Erlernte in den Alltag zu übertragen. Sollten Sie selber eine veränderte Sprechweise bemerken oder diesbezüglich eine Rückmeldung von Angehörigen er- halten, sollten Sie sich in Absprache mit Ihrem Arzt für eine logopädische Therapie entscheiden. Damit lässt sich eine signifikante Verbesserung für Sie erreichen – denn vergessen Sie nicht: Verständliches Sprechen und somit eine erfolg- reiche Kommunikation mit Ihrer Umgebung bedeuten Lebensqualität. stimmbänder Zunge Kehldeckel Falsche Stimmbänder Stimmlippen Luftröhre Kehlkopfknorpel 17
04 Geistige Leistungsfähigkeit Vielleicht stellen Sie neben der Bewegungsstörung auch fest, dass Sie sich nicht immer gut konzentrie- ren können. Möglicherweise haben Sie das Gefühl, dass „alles nicht mehr so schnell geht“ und Ihr Kopf langsamer arbeitet (Bradyphrenie). Einige Betroffene fühlen sich unsicher, wenn sie ein Fahrzeug steu- ern. Vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass automatisierte Routinehandlungen im Alltag gut gelin- gen, während sich das Handeln und Planen in neuen, ungewohnten Situationen schwierig gestaltet. So mancher findet sich in einer neuen Umgebung schwer zurecht. Vielleicht stellen Sie auch fest, dass Ihr Gedächtnis nachgelassen hat. Alle diese Symptome können bei einer Parkinson-Erkrankung auftreten. Sie verursachen nicht selten Schwierigkeiten im Alltag und rufen zwischenmenschliche Konflikte hervor. Dies stellt für viele Patienten eine große Belastung im Alltag dar. Und doch haben viele Probleme, darüber zu sprechen und um Hilfe zu bitten. Hier möchte die Neuropsychologie Abhilfe schaffen, indem sie einen Raum bietet, in dem Patienten ihre Schwierigkeiten nennen und Sorgen äußern können. Wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihren Arzt! 18
Symptome, die Verhalten und Psyche betreffen Empfinden Sie Ihr Verhalten als verändert? Erleben Sie sich als seltener spontan? Sind Sie weniger motiviert? Zeigen Sie ein verringertes Interesse und Eigenleistung? Sind Sie tagsüber häufig müde? Auch Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungsschwankungen einschließlich depressiver Symptome und Angst können zu einer Parkinson-Erkrankung gehören. Manchmal kommt es auch zu Halluzinationen und / oder Wahnerleben. Angstsymptome und Stress können bestimmte Bewegungsstörungen deutlich verstärken. Dann kann es zu Bewegungsblockaden und einer Fallneigung kommen. Deshalb sind sie von besonderer Bedeutung. Die De- pression ist mit einer Häufigkeit von etwa 35 bis 45 Prozent ein weiteres wichtiges neuropsychiatrisches Symptom der Parkinson-Krankheit. Diese verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie häufig hartnäckig ist und das subjektive Erleben der eigenen Befindlichkeit wesentlich verschlechtern kann. In Umfragen zur Le- bensqualität von Parkinson-Patienten gehören Depressionen unabhängig von der motorischen Behinderung zu den Faktoren, die sie am stärksten beeinträchtigen. Das Vorhandensein einer Depression ist häufig weder dem Patienten noch seinen Angehörigen bewusst, sodass Stimmungsschwankungen insbesondere bei jün- geren Patienten zu erheblichen familiären Konflikten führen können. Erschwert wird die Diagnosestellung auch dadurch, dass sich Symptome der Depression mit denen der Parkinson-Erkrankung überschneiden. Es ist daher für eine erfolgreiche Therapie besonders wichtig, die Anzeichen sicher zu erkennen, zuzuordnen und zu behandeln. Dafür stehen verschiedene Therapien wie Medikamente, psychologische und psychothera- peutische Verfahren zur Verfügung. Wir hoffen, dass wir Ihnen mit dieser Broschüre einen Überblick zum Thema Parkinson, Bewegungsstörungen und weiterer begleitender Symptome vermitteln konnten. Sollten Sie noch Fragen haben, sprechen Sie uns bitte während Ihres Aufenthaltes an. Wir helfen lhnen gerne weiter! 19
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