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46                      FORSCHUNG

Susanne Schriber, Carlo Wolfisberg, Mariama Kaba und Viviane Blatter

Zwischen Anerkennung und Missachtung
Sozialisationserfahrungen von Menschen mit Körperbehinderungen
in Institutionen der Körperbehindertenpädagogik

Zusammenfassung
Im partizipativen Forschungsprojekt «Zwischen Anerkennung und Missachtung/Entre reconnaissance et déconsidéra-
tion» (erd-zam) stehen Menschen mit Körperbehinderungen im Zentrum, die ihre Kindheit und Jugendzeit in Institu-
tionen der Körperbehindertenpädagogik verbracht haben. Mit narrativen Interviews werden Betroffene aus der
Deutsch- und Westschweiz zu ihren Erfahrungen befragt. Das Ziel ist, die Spannungsfelder zwischen Fürsorge und
Zwang, Fremd- und Selbstbestimmung sowie Anerkennung und Missachtung aufzuzeigen. Vor diesem historischen
Hintergrund sollen anerkennungsfördernde Strukturen und Unterstützungsangebote für die Gegenwart und die Zu-
kunft herausgearbeitet werden.

Résumé
Le projet de recherche participatif « Zwischen Anerkennung und Missachtung/Entre reconnaissance et déconsidéra-
tion » (erd-zam) s'intéresse aux personnes avec un handicap physique qui ont passé leur enfance et adolescence dans
des institutions spécialisées dans le handicap physique. Par le moyen d'interviews narratives, des personnes touchées
venues de Suisse alémanique et de Suisse romande ont été interrogées sur leurs expériences. L’objectif étant de mettre
en lumière les zones de tension entre assistance et contrainte, détermination extérieure et autodétermination, mais
aussi reconnaissance et déconsidération. Sur cette toile de fond à caractère historique, le projet se propose d’élabo-
rer, pour le présent et pour l’avenir, des structures et des offres d’assistance encourageant la reconnaissance.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-01-07

                        Körperbehindertenpädagogik in der                Ende der 1950er Jahre etablierten sich in al-
                        zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts              len Regionen der Schweiz Tages- und Heim-
                        Die Körperbehindertenpädagogik in Euro-          sonderschulen spezifisch für Kinder mit Kör-
                        pa hat ihre Ursprünge am Anfang des 20.          per- und Mehrfachbehinderungen. Dies ist
                        Jahrhunderts. Ihre Geschichte ist auch ei-       nicht zuletzt auch auf die Finanzierung von
                        ne Institutionsgeschichte: Kinder und Ju-        Institutionen durch die 1960 eingeführte In-
                        gendliche wurden in «Anstalten der Krüp-         validenversicherung zurückzuführen (Wehr-
                        pelpädagogik» therapeutisch, medizinisch         li, 1968). Kinder und Jugendliche wurden
                        und pädagogisch «versorgt» und «be-              fortan zwar immer noch separativ, jedoch
                        treut» (Kaba, 2007, 2011; Stadler & Wil-         vermehrt wohnortsnah beschult und thera-
                        ken, 2004). Nicht selten erfolgte die Sozi-      piert (Kaba, 2015). Ungefähr seit dem Jahr
                        alisation der Kinder mit Körper- und/oder        2000 besuchen Kinder mit Körper- und
                        Mehrfachbehinderungen über mehrere               Mehrfachbehinderungen zunehmend die
                        Jahre oder über die gesamte Kindheit und         Regelschule (Schriber & Schwere, 2012).
                        Jugendzeit geografisch und kulturell abge-             Die Besonderheit von Institutionen für
                        spalten vom Familiensystem.                      Kinder und Jugendliche mit Körper- und

                                                                      Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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                                                                                                         sozialisiert und rehabilitiert wurden, je-
© FREUNDE DER SCHLUMPER E. V. HAMBURG

                                                                                                         doch kaum aufgearbeitet. Es liegen nur
                                                                                                         wenige Studien aus Deutschland vor, zum
                                                                                                         Beispiel diejenige von Schmuhl und Wink-
                                                                                                         ler (2013). In der Schweiz fehlen bis heute
                                                                                                         eine institutionsübergreifende Untersuch­
                                                                                                         ung und ein entsprechender Diskurs über
                                                                                                         Zwangsmassnahmen, Fremdbestimmun-
                                                                                                         gen, Gewalt und Abhängigkeitserleben,
                                                                                                         aber auch zu Schutz und Fürsorge in Insti-
                                                                                                         tutionen der Körperbehindertenfürsorge in
                                                                                                         der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
                                        Ulla Diedrichsen, 2008                                           Eine systematische Aufarbeitung wäre
                                                                                                         wünschenswert.
                                        Mehrfachbehinderungen besteht darin,
                                        dass alle Massnahmen der «Rehabilitation»                        Einbettung in das Nationale
                                        – medizinisch-therapeutische und psycho-                         Forschungsprogramm 76 «Fürsorge
                                        soziale Interventionen – in der Regel unter                      und Zwang»
                                        einem Dach erfolgen (Bergeest et al., 2015,                      Die Ausschreibung des Nationalen For-
                                        S. 22). Damit sind die Institutionen der Kör-                    schungsprogrammes 76 «Fürsorge und
                                        perbehindertenpädagogik eine mehr oder                           Zwang – Geschichte, Gegenwart, Zukunft»
                                        weniger abgeschiedene Sozietät (Goffman,                         im Jahr 2017 ermöglicht es uns, das For-
                                        2016a), ein geschlossener Raum, in wel-                          schungsdesiderat der «systematischen Erfas-
                                        chem die Kontakte zur Aussenwelt mitunter                        sung von Sozialisationserfahrungen von
                                        stark eingeschränkt sind.                                        Menschen mit Körperbehinderungen in Insti-
                                             In diesen relativ geschlossenen Syste-                      tutionen der Körperbehindertenpädagogik»
                                        men kann es gegenüber der Klientel auf-                          im Rahmen einer Studie (Herbst 2018 bis En-
                                        grund ihrer Vulnerabilität, Hilfsbedürftigkeit                   de 2021) der Interkantonalen Hochschule für
                                        und der sozialen, physischen und psychi-                         Heilpädagogik (HfH) anzugehen.
                                        schen Abhängigkeit (Hahn, 1981) zu Ernied-                             Das Nationale Forschungsprogramm
                                        rigungen, Degradierungen, Demütigungen                           zielt darauf ab, «Merkmale, Mechanismen
                                        und Entwürdigungen kommen (Goffman,                              und Wirkungsweisen der schweizerischen
                                        2016b, S. 25). Menschen mit Körperbehin-                         Fürsorgepolitik und -praxis in ihren ver-
                                        derungen berichten immer wieder von star-                        schiedenen Kontexten zu analysieren. Es
                                        ken Spannungsfeldern zwischen Fürsorge                           sollen mögliche Ursachen für integritätsver-
                                        und Zwang, Selbst- und Fremdbestimmung,                          letzende und -fördernde Fürsorgepraxen
                                        Macht und Ohnmacht, zuweilen von trau-                           identifiziert und die Auswirkungen auf die
                                        matischen Erfahrungen in Institutionen der                       Betroffenen untersucht werden.»1
                                        Körperbehindertenpädagogik (Mürner &                                   Im Fachdiskurs innerhalb der Körper-
                                        Sierck, 2011).                                                   behindertenpädagogik ist das Spannungs-
                                             Auf wissenschaftlicher Ebene wurden
                                        Erfahrungen von Menschen, die in Institu-
                                        tionen der Körperbehindertenpädagogik                            1   http://www.nfp76.ch/de/das-nfp [Zugriff am 05.09.2019]

                                        Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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               feld «Fürsorge und Zwang» jedoch kaum                gewürdigt und der Gesellschaft zugäng-
               anzutreffen; viel eher findet man dagegen            lich gemacht werden.
               das Spannungsfeld «Fremd- und Selbstbe-            • Erfahrungsmuster, die durch narrative
               stimmung». Um die Schattierungen darin               Interviews gewonnen werden, sollen im
               einzufangen, entschieden wir uns, die Di-            Kontinuum «Anerkennung und Missach-
               chotomie «Fürsorge und Zwang» in unse-               tung» herausgearbeitet werden.
               rem Projekt als Kontinuum zu verstehen             • Es sollen aus den Erkenntnissen der Ge-
               und legten den Titel «Zwischen Anerken-              schichte Schlussfolgerungen zu mög-
               nung und Missachtung» vor. Wir stützen               lichst anerkennungsfördernden Struktu-
               uns dabei auf die Arbeiten zu «Anerken-              ren und Unterstützungsangeboten für
               nung – Verkennung» von Dederich (2013).              Menschen mit einer Körper- und Mehr-
                                                                    fachbehinderung für die Gegenwart und
                                                                    Zukunft abgeleitet und konkrete Emp-
Die Erfahrungen der Betroffenen sollen                              fehlungen mit Bezug auf die UN-BRK for-
gewürdigt und der Gesellschaft zugänglich                           muliert werden.
gemacht werden.
                                                                  Eine partizipative Studie: Chancen
                                                                  und Herausforderungen
               Der übergeordnete Ansatz bezieht sich auf          Für uns stand von Beginn an fest, dass die
               den sozialethischen Entwurf von Honneth            Studie – ganz im Sinne der UN-Behinderten-
               (2016). Ferdani (2011) entwarf auf dieser Ba-      rechtskonvention – partizipativ sein soll:
               sis ein Reflexionsmodell. Anstelle des von         Die Erfahrungen und das Wissen von Be-
               Dederich verwendeten Terminus «Verken-             troffenen, die in unserem Projekt Co-For-
               nung» spricht er von «Missachtung». Dieses         schende genannt werden, werden in die
               Modell dient der vorliegenden Studie als Re-       Projektsteuerung eingebunden.
               ferenzrahmen, um «Anerkennung und Miss-                  Die partizipative Forschung hat in den
               achtung», «Fürsorge und Zwang», «Integri-          letzten Jahrzehnten auch in der Sonderpä­
               tätsförderung und Integritätsverletzung» als       dagogik an Bedeutung gewonnen. Folgende
               subjektives Erleben im Kontext der Körper-         Studien waren partizipativ angelegt: Buch-
               behindertenpädagogik zu verorten und zu            ner und Koenig (2008), Graf (2015) und Hed-
               deuten. Demnach verfolgen wir mit unserer          derich (2015). Allerdings sind die Begrifflich-
               Studie folgende Hauptziele:                        keit und die Ansätze partizipativer For-
               • Wir untersuchen die historische Entwick-         schung vielschichtig und vielfältig (Lengwi-
                   lung der Institutionen für Kinder und Ju-      ler, 2008; von Unger, 2014). Wir werden im
                   gendliche mit Körperbehinderungen in           Laufe unserer Forschung das Verständnis
                   der Deutsch- und Westschweiz im Zeit-          von partizipativer Forschung bei histori-
                   raum von 1950 bis 2010 mit dem Ziel,           schen Fragestellungen schärfen und den
                   das Spannungsfeld von Fürsorge und             Grad der Partizipation in unserer Studie re-
                   Zwang, Fremd- und Selbstbestimmung             gelmässig klären. Partizipative Forschung
                   bzw. Anerkennung und Missachtung aus           bedeutet Beteiligung von Stakeholdern mit
                   der Sicht der Betroffenen aufzuzeigen.         Entscheidungsmacht in allen Phasen des
               • Die Erfahrungen der Betroffenen sollen           Forschungsprozesses – von der Zielsetzung

                                                               Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
FORSCHUNG         49

über die Datenerhebung bis zur Auswer-                           Fragen zur partizipativen Forschung: Rei-
tung, Verbreitung und Nutzung der Erkennt-                       chen die Roundtables, bei denen die Co-For-
nisse (Bergold & Thomas, 2012, S. 2). Die un-                    schenden an strategischen Entscheidungs-
terschiedlichen Perspektiven der Stakehol-                       punkten im Forschungsprozess beteiligt
der sind unseres Erachtens ein Gewinn für                        sind? Wie partizipativ kann eine Studie sein,
die Wissenschaft, die Praxis und für das                         die im Rahmen der Projektfinanzierung en-
wechselseitige Lernen aller Beteiligten. Un-                     gen Projektvorgaben und -planungen, inklu-
sere Stakeholder sind Betroffene (Co-For-                        sive der Budgetplanung, folgen muss?
schende), akademisch Forschende und – in                              Es ist im Forschungsprozess und ins-
einer zweiten Phase des Forschungsprojek-                        besondere an den Roundtables stets sorg-
tes – Fachpersonen aus der Praxis.                               fältig zu klären und transparent zu ma-
      Ziel der partizipativen Forschung ist es,                  chen, welchen Grad der Entscheidungen
im gängigen Verständnis, die Wirklichkeit                        die Studienteilnehmenden und die Stake-
partnerschaftlich mit Co-Forschenden zu                          holder haben, mit welchen Rechten sie zu
verstehen, zu erforschen und zu beeinflus-                       welchem Zeitpunkt an den Entscheidun-
sen bzw. zu verändern (von Unger, 2014, S.                       gen teilnehmen (von Unger, Narimani &
1). Im Rahmen dieser Studie, in der subjekti-                    M’Bayo, 2014, S. 30).
ve soziale Wahrnehmungen der Vergangen-
heit dargestellt werden, geht es uns jedoch
weder darum, die gegenwärtige Lebens-                            Der partizipative Ansatz
wirklichkeit der Co-Forschenden zu verän-                        der Studie geht mit forschungsethischen
dern, noch die Co-Forschenden im Sinne des                       Überlegungen einher.
Empowerments zu ermächtigen. Es ist auch
nicht das Ziel, gemeinsam mit ihnen ihre Bio-
grafien aufzuarbeiten und zu deuten.                             Die Zweisprachigkeit und der partizipative
      Die Co-Forschenden diskutieren zu-                         Ansatz der Studie gehen mit einem erhöhten
sammen mit den akademisch Forschenden                            Bedarf an zeitlichen und finanziellen Ressour-
Schlüsselfragen zur Datenerhebung, -aus-                         cen einher; der partizipative Ansatz hat zu-
wertung, -interpretation und zur Streuung                        dem einen hohen Differenzierungsbedarf for-
der Forschungsergebnisse. Unsere Co-For-                         schungsethischer Überlegungen zur Folge. Ei-
schenden haben als Expertinnen und Exper-                        nige forschungsethische Aspekte werden
ten in eigener Sache alle Sozialisationser-                      zum Abschluss dieses Beitrages skizziert.
fahrungen in Institutionen der Körperbehin-
dertenpädagogik gemacht und verfügen                             Eine zweisprachige Studie: Chancen
über hohe kommunikative und reflexive                            und Herausforderungen
Kompetenzen, um Entscheidungen im For-                           Um die Institutionen der West- und der
schungsprojekt mitsteuern und mittragen                          Deutschschweiz untersuchen zu können, muss
zu können.                                                       die Studie zweisprachig sein. Dies soll helfen,
      In sechs bis sieben Roundtable-Gesprä-                     übergeordnete Muster wie auch Entwicklun-
chen sollen strategische Entscheide unter                        gen in der Schweiz regional-spezifisch zu un-
den Co-Forschenden und akademisch For-                           tersuchen und zu unterscheiden. Geplant ist
schenden ausgehandelt werden. Im Projekt                         ein Sample von insgesamt 42 Personen: In der
stellen sich uns immer wieder interessante                       Westschweiz sollen 16 und in der Deutsch-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
50             FORSCHUNG

               schweiz 26 Interviews durchgeführt werden.        klären, in einem Interview in Form einer
               Das Sample wird sowohl in der Deutsch-            Stegreiferzählung aus ihrer Kindheit und Ju-
               wie auch in der Westschweiz in drei Kohor-        gendzeit zu berichten.
               ten aufgeteilt: Jahrgang +/– 1950; Jahr-               Wir arbeiteten mit narrativen Inter-
               gang +/– 1970 und Jahrgang +/– 1990. Die          views (zur Methode vgl. z. B. Flick, 2018;
               Kohorten-Einteilung widerspiegelt wichti-         Küsters, 2009; Schütze, 1984). Vorausbli-
               ge Entwicklungsabschnitte der Körperbe-           ckend können wir sagen, dass uns die Zwei-
               hindertenpädagogik in der Schweiz: etwa           sprachigkeit bei der Transkription und Co-
               die zunehmende Institutionalisierung im           dierung der Interviews sicherlich nochmals
               Bereich der medizinischen Versorgung und          vor interessante forschungsmethodische
               Bildung von Kindern mit Körperbehinde-            Herausforderungen stellen wird. Eine zwei-
               rungen als Folge der Polio-Epidemie in den        sprachige Studie erhöht die Komplexität des
               1950er Jahren, der Entwicklungsschub des          Projektes, bringt Spannungsfelder und Be-
               Sonderschulwesens mit dem Einrichten der          reicherung mit sich. In unserem Projekt ist
               Invalidenversicherung 1960, die Selbstbe-         dabei eine Dominanz der Deutschschweiz
               stimmungsbewegung ab 1970 oder die In-            nicht von der Hand zu weisen, da das Projekt
               klusionsbestrebungen ab circa 1990.               an einer Hochschule der Deutschschweiz an-
                                                                 gesiedelt ist und die Mehrheit der akade-
                                                                 misch Forschenden in der Deutschschweiz
Eine zweisprachige Studie                                        sozialisiert und geschult wurde.
erhöht die Komplexität
des Projektes, bringt Spannungsfelder                            Forschungsethische Aspekte
und Bereicherung mit sich.                                       Wir sind verpflichtet, bei der partizipativen
                                                                 Forschung hohe forschungsethische Stan-
                                                                 dards einzuhalten. Ethische Aspekte werden
               Damit soll eine Rekonstruktion der Paradig-       in der partizipativen Forschung detailliert
               mata der Körperbehindertenpädagogik in            betrachtet, so bei Bergold und Thomas
               der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts er-       (2012), von Unger (2014) und von Unger,
               möglicht werden (vgl. Thiele, 2017a; 2017b).      Narimani und M’Bayo (2014). Normen und
               Die Frage der Gewinnung des Sample wur-           Rollen sind während des Forschungsprozes-
               de sorgfältig diskutiert, geht es doch dar-       ses fortwährend zu klären und zu reflektie-
               um, eine absolute Freiwilligkeit der Inter-       ren (Bergold & Thomas, 2012). Huonker
               view-Partnerinnen und -Partner zu sichern.        (2015) verweist insbesondere auf die Gefahr
               Mittels Social Media, Webauftritt und Fly-        der Retraumatisierung durch narrative Inter-
               ern werden diese zu einer Teilnahme am            views. Für unsere Studie halten wir folgende
               Projekt eingeladen.                               ethische Aspekte fest (in Anlehnung an von
                     Gesucht wurden Personen, die auf-           Unger, Narimani & M’Bayo, 2014, S. 40 f.):
               grund einer Körper- und/oder Mehrfachbe-          • Die Freiwilligkeit der Teilnahme an der
               hinderung Sozialisationserfahrungen in Ins-          Studie (informed consent) muss gewähr-
               titutionen der Körperbehindertenpädago-              leistet sein.
               gik in der Deutsch- oder Westschweiz mit-         • Dem geschützten (auch anonymisierten)
               bringen. Sie sollten zudem über narrative            Raum wird besondere Beachtung ge-
               Kompetenzen verfügen und sich bereit er-             schenkt.

                                                              Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
FORSCHUNG         51

• Die stetige Klärung der Rollen im For-                         Literatur
  schungsprozess ist Gegenstand des Pro-                         Bergeest, H., Boenisch, J., Daut, V. & Lüthje,
  jektalltags.                                                      R. (2015). Körperbehindertenpädagogik:
• Die Schadensvermeidung, dem bewuss-                               Grundlagen – Förderung – Inklusion (5.,
  ten Umgang mit möglicher Retraumati-                              überarb. und erw. Aufl.). Bad Heilbrunn:
  sierung, hat höchste Priorität.                                   Klinkhardt.
• Die Transparenz hinsichtlich Daten- und                        Bergold, J. & Thomas, S. (2012). Partizipative
  Persönlichkeitsschutz erfolgt in allen                            Forschungsmethoden: Ein methodischer
  Phasen des Forschungsprojektes.                                   Ansatz in Bewegung. Forum Qualitative
                                                                    Sozialforschung, 13 (1), 1–33, https://doi.
Ausblick                                                            org/10.17169/fqs-13.1.1801
Zurzeit codieren wir die durch die Interviews                    Buchner, T. & Koenig, O. (2008). Methoden
gewonnenen Daten unter Mitwirkung der                               und eingenommene Blickwinkel in der
Co-Forschenden, um sie danach auszuwer-                             sonder- und heilpädagogischen Forschung
ten. Gemäss unserem Forschungsplan kön-                             von 1996–2006 – eine Zeitschriftenanaly-
nen wir in einem halben Jahr erste Ergebnisse                       se. Heilpä­dagogische Forschung, 34 (1),
vorlegen. Diese werden in einer zweiten Pro-                        15–34.
jektphase mit Fachpersonen der Körperbe-                         Dederich, M. (2013). Philosophie in der Heil-
hindertenpädagogik diskutiert, um daraus                            und Sonderpädagogik. Stuttgart: Kohl-
Erkenntnisse über möglichst anerkennungs-                           hammer.
fördernde Strukturen und Unterstützungsan-                       Ferdani, S. (2011). Behinderung als Missach-
gebote im institutionellen Bereich der Päda-                        tungserfahrung: Reflexion der Lebenssi-
gogik für Kinder und Jugendliche mit Körper-                        tuation von behinderten Menschen. Ham-
behinderungen abzuleiten. Die Schlussergeb-                         burg: Diplomica.
nisse dieses Forschungsprojekts publizieren                      Flick, U. (2018). An introduction to qualitati-
wir voraussichtlich ab Ende 2021.                                   ve research (6th ed.). Thousand Oaks, CA:
                                                                    SAGE Publications.
                                                                 Goffman, E. (2016a). Asyle: über die soziale
                                                                    Situation psychiatrischer Patienten und
                                                                    anderer Insassen (20. Aufl.). Frankfurt a.
                                                                    M.: Suhrkamp.
                                                                 Goffman, E. (2016b). Stigma: über Techniken
                                                                    der Bewältigung beschädigter Identität
                                                                    (23. Aufl.). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
                                                                 Graf, E. O. (2015). Partizipative Forschung ist
                                                                    gleich-berechtige Forschung. In B. Egloff,
                                                                    I. Hedderich & R. Zahnd (Hrsg.), Biografie
                                                                    – Partizipation – Behinderung: theoreti-
                                                                    sche Grundlagen und eine partizipative
                                                                    Forschungsstudie (S. 28–42). Bad Heil-
                                                                    brunn: Klinkhardt.
                                                                 Graf, E. O., Renggli, C. & Weisser, J. (Hrsg.)
                                                                    (2011). PULS – DruckSache aus der Behin-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
52   FORSCHUNG

        dertenbewegung: Materialien für die Wie-               lagen und Anwendungen (2. Aufl.). Wies-
        deraneignung einer Geschichte. Zürich:                 baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
        Chronos.                                           Lengwiler, M. (2008). Participatory Approa-
     Hahn, M. (1981). Behinderung als soziale Ab-              ches in Science and Technology: Historical
        hängigkeit: zur Situation schwerbehinder-              Origins and Current Practices in Critical
        ter Menschen. München: Reinhardt.                      Perspective. Science, Technology, & Hu-
     Hedderich, I. (2015). Theorie der Biografie:              man Values, 33 (2), 186–200. https://doi.
        Begrifflichkeit und Bedeutung. In B. Eg-               org/10.1177/0162243907311262
        loff, R. Zahnd & I. Hedderich (Hrsg.), Bio-        Mürner, C. & Sierck, U. (Hrsg.) (2011). Behin-
        grafie – Partizipation – Behinderung: theo-            derte Identität? Neu-Ulm: AG-SPAK-Bü-
        retische Grundlagen und eine partizipative             cher.
        Forschungsstudie (S. 17–27). Bad Heil-             Schmuhl, H.-W. & Winkler, U. (2013). Gewalt
        brunn: Klinkhardt.                                     in der Körperbehindertenhilfe: das Johan-
     Honneth, A. (2016). Kampf um Anerken-                     na-Helenen-Heim in Volmarstein von
        nung: zur moralischen Grammatik sozialer               1947 bis 1967 (2. Aufl.). Bielefeld: Verlag
        Konflikte; mit einem neuen Nachwort (9.                für Regionalgeschichte.
        Aufl.). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.                 Schriber, S. & Schwere, A. (Hrsg.) (2012).
     Huonker, T. (2015). Thematisierung und Re-                Spannungsfeld schulische Integration: Im-
        flexion traumatischer Erlebnisse in narrati-           pulse aus der Körperbehindertenpädago-
        ven Interviews ehemaliger Heimkinder.                  gik (2. Aufl.). Bern: Edition SZH/CSPS.
        Referat an der 17. Jahrestagung der                Schütze, F. (1984). Kognitive Struk­turen auto-
        deutschsprachigen Gesellschaft für Psy-                biographischen Stegreiferzählens. In M.
        chotraumatologie in Innsbruck, 28. Febru-              Kohli & G. Robert (Hrsg.), Biographie und
        ar 2015 (schriftliche Fassung), 1–17.                  soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und
     Kaba, M. (2007). Social and health care ac-               Forschungsperspektiven (S. 78–114). Stutt-
        cess for the physically disabled in 19th               gart: Metzler.
        century French-speaking Switzerland. A             Stadler, H. & Wilken, U. (Hrsg.) (2004). Päda-
        double process of exclusion and integrati-             gogik bei Körperbehinderung. Weinheim:
        on. Hygiea Internationalis. An interdisci-             Beltz.
        plinary Journal for the History of Public          Thiele, A. (2017a). Zukunftsperspekti­­ven einer
        Health, 6 (1), 67–77.                                  Pädagogik im Förderschwerpunkt Körper-
     Kaba, M. (2011). Malades incurables, vieil-               lich-motorische Entwicklung in Anbetracht
        lards infirmes et enfants difformes. Histoi-           schulischer Inklusion (Teil II). Zeitschrift für
        re sociale et médicale du corps handicapé              Heilpädagogik, 68 (5), 228–241.
        en Suisse romande (19e-début 20e siècle).          Thiele, A. (2017b). Zukunftsperspektiven einer
        Thèse de Doctorat. Lausanne: Université                Pädagogik im Förderschwerpunkt Körper-
        de Lausanne.                                           lich-motorische Entwicklung in Anbetracht
     Kaba, M. (2015). Clair Bois – 40 ans (1975–               schulischer Inklusion (Teil I). Zeitschrift für
        2015). Genèse et développement de la                   Heilpädagogik, 68 (2), 73–84.
        première fondation en faveur des person-           Unger, H. von. (2014). Partizipative Forschung:
        nes polyhandicapées à Genève. Genève:                  Einführung in die Forschungspraxis. Wies-
        Fondation Clair Bois.                                  baden: Springer VS.
     Küsters, I. (2009). Narrative Interviews: Grund-      Unger, H. von, Narimani, P. & M’Bayo, R.

                                                        Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
FORSCHUNG                         53

    (Hrsg.) (2014). Forschungsethik in der
    qualitativen Forschung: Reflexivität, Pers-
    pektiven, Positionen. Wiesbaden: Sprin-
    ger VS.
Wehrli, R. (1968). Geschichte der schweizeri-
    schen Schulen für körperbehinderte Kin-
    der von 1864–1966. Bern: Huber.

                               Prof. Dr. Carlo Wolfisberg             Prof. Dr. Susanne Schriber
                               Leitung Master Schulische              Leitung Schwerpunkt Pädagogik Körper-
                               Heilpädagogik 11/19                    und Mehrfachbehinderungen (PKM),
                               Leitung Institut für Behinderung und   Institut für Lernen unter erschwerten
                               Partizipation (IBP)                    Bedingungen (ILEB)
                               carlo.wolfisberg@hfh.ch                susanne.schriber@hfh.ch

                               Viviane Blatter, MA                    Mariama Kaba, Ph.D.
                               Wissenschaftliche Assistentin          Wissenschaftliche Mitarbeiterin
                               Institut für Behinderung und           Institut für Behinderung und
                               Partizipation (IBP)                    Partizipation (IBP)
                               viviane.blatter@hfh.ch                 mariama.kaba@hfh.ch

                                                                      Interkantonale Hochschule
                                                                      für Heilpädagogik
                                                                      www.hfh.ch

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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