100 JAHRE BETRIEBSVERFASSUNG - AUCH EINE GESCHICHTE DER FRAUEN? - Dr. Johanna Wenckebach Jahrestagung Arbeitsrechtsgeschichte 2021 18. Juni 2021 ...

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100 JAHRE BETRIEBSVERFASSUNG –
AUCH EINE GESCHICHTE DER FRAUEN?

Dr. Johanna Wenckebach
Jahrestagung Arbeitsrechtsgeschichte 2021
18. Juni 2021, online
100 JAHRE BETRIEBSVERFASSUNG - AUCH EINE GESCHICHTE DER FRAUEN? - Dr. Johanna Wenckebach Jahrestagung Arbeitsrechtsgeschichte 2021 18. Juni 2021 ...
Gliederung
•   Warum die Frage?
•   Ein offenes Forschungsfeld
•   Gründe für die Unsichtbarkeit von Frauen
•   Pionierinnen der Mitbestimmung – erste Erkenntnisse
•   Einfluss auf die Entstehung des Betriebsrätegesetzes: Akteurinnen,
    Forderungen und Ergebnisse
•   Erste Betriebsrätinnen
•   Das Betriebsrätegesetz in der Rechtswissenschaft – feministische
    Kritik
•   Fazit und: wie geht es weiter? Ideen für die Forschung

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4.2.2020 – 100 Jahre Betriebsrätegesetz

Quellen: Beck-Verlag; Magazin Mitbestimmung / HBS

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Auch eine Geschichte der Frauen?
Warum die Frage
• Aktuelle Analysen beantworten die Frage nicht – stellen sie aber auch
  nicht
• Haben Frauen „keine Rolle gespielt“ ?

   ➢ Ein Verdacht.

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Auch eine Geschichte der Frauen?
Warum die Frage
• Geschlechtergerechte Geschichtsschreibung – „fair share“ der
  historischen Wahrnehmung
• Vorbilder, Inspiration, Würdigung und Erinnerung
• Was hat Frauen damals bewegt, wie haben sie politisch agiert?
• Wie war ihre ökonomische Situation?
• Was lernen wir daraus?

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Ein offenes Forschungsfeld

Kerstin Wolff:

„Von einem Ende der
offenen Fragen kann
nicht gesprochen
werden“

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Ein offenes Forschungsfeld
• Erste Gewerkschafterinnen: Emma Ihrer, Paula Thiede, Wilhelmine
  Kähler
• Geschichte und Bewegung der demokratischen Frauenbewegung
• Frauenpolitik der Gewerkschaften

➢ Frauen in der Rechtsgeschichte der Mitbestimmung?

➢ Warum wird die Geschichte der Betriebsverfassung bisher nicht als
 Geschichte der Frauen erforscht und erzählt?

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Geschlechtergeschichte der Rätebewegung

                                       In: Streichhahn / Jakob (Hrsg.): Geschlecht und
                                       Klassenkampf

                                       − Anja Thuns:
                                       „Alle Macht den Räten! Keine Macht den Frauen?“

                                       − Axel Weipert:
                                       „Frauen für die Räte, die Frauen in die Räte?“

                                       − Marion Röwekamp:
                                       „Von der Klassenkämpferin zur Republikanerin.
                                       Sozialdemokratinnen in der Weimarer Republik.“
                                       (Kapitel zu Arbeitsrecht)

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Geschlechtergeschichte der Rätebewegung

                                       Anja Thuns:

                                       „Alle Macht den Räten! Keine Macht den Frauen?“

                                       −„Geschlecht wurde bislang nicht als ein entscheidender
                                       Faktor bei den Entwicklungen in der Arbeiterschaft
                                       gesehen, die zu der Revolution 1918/19 führten.“ (S.93)

                                       −„Den Forschungsstand zu Frauen in den Räten der
                                       Revolution 1918/19 zu beschreiben, bedeutet zunächst,
                                       auf eine Lücke hinzuweisen.“ (S.94)

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Ein offenes Forschungsfeld

                                        Kerstin Wolff:

                                        − Proletarische Frauenbewegung stand Mitte der
                                          1960er Jahre hoch im Kurs historischer
                                          Forschung, verebbte in den frühen 1980er
                                          Jahren;

                                        − Danach stand die bürgerliche Frauenbewegung
                                          im Fokus.

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Ein offenes Forschungsfeld

                                        Kerstin Wolff:

                                        − Clara Zetkin: „reinliche Scheidung“ zwischen
                                          bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung;

                                        − Fruchtbar wäre, auf Verbindungsfäden zu achten.

                                        ➢ Entstehung des Betriebsrätegesetzes als Beispiel
                                        für Verbindungen der Bewegungen?

                                        ➢ Fattmann stellt interfraktionelle Zusammenarbeit
                                        fest, aber auch eine „weitgehende Leerstelle in der
                                        historischen Forschung“

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Gründe für Unsichtbarkeit von Frauen im Rückblick;
Hemmnisse für politische Beteiligung 1919
Thesen von A. Thuns zu Räten sind übertragbar:
– Patriarchal geprägte Gesellschaft; von Krieg geprägtes Männlichkeitsbild
– Bis 1908 Verbot für Frauen, sich politischen Vereinen anzuschließen (preuß.
  Vereinsrecht);
– Soziale und wirtschaftliche Lebenslage verhinderte umfassende politische
  Betätigung
– Weniger Publikationen, z.B. in Publikationsorganen der Parteien
– Weniger Selbstzeugnisse
– Gender bias in Berichten; „Revolution ist für viele, auch Forschende, rein
  männlich konnotiert“
– Unentgeltliche Sorge- und Hausarbeit.

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Wirtschaftliche Situation von Frauen 1919
Anja Thuns & Axel Weipert:
– Vor dem 1. Weltkrieg war Zahl der Industriearbeiterinnen um 50 % gestiegen;
– Z.B. Maschinenbau Berlin: vor dem Krieg: 29.000 Frauen, danach 100.000;
– Frauen wurden nach dem Krieg aus den Betrieben verdrängt: Fristlose
  Entlassungen nach Kriegsende, Arbeitsplätze für Kriegsrückkehrer;
– Frühjahr 1919: Beschäftigungsstand von Frauen wie vor dem Krieg;
– Konkurrenzsituation unter Arbeitskräften entstand;
– Frauen als Billiglohnkonkurrenz;
– „Arbeitsschutz“ für Frauen eher als Nachteil, da Arbeitskräfte mit „Sonderstatus“
  (Röwekamp).

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Rainer Fattmann, HSI Working Paper Nr.15

                                                     „Pionierinnen der Mitbestimmung
                                                     Annäherung an eine bisher
                                                     vernachlässigte
                                                     Forschungsthematik“

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Betriebsrätegesetz
– Referentenentwurf aus dem Reichsarbeitsministerium vom 15. Mai 1919
– Erste Lesung in der Nationalversammlung 21.8.1919
– 37, später weitere 4 Frauen von 423 Abgeordneten der Nationalversammlung
– Verhandlungen im sozialpolitischen Ausschuss der Nationalversammlung
– darin: von 28 Mitgliedern 8 Frauen;
– 2. Lesung (begleitet von blutigen Protesten) am 13. Januar 1920
– Gesetz mit 106 §§ gegen Widerstand der Linkssozialisten und der
  bürgerlichen Rechtsparteien mit Stimmen von DDP, SPD und Zentrum am
  18.1.1920 verabschiedet
– Ab 4.2.1920 in Kraft
➢Fattmann: Frauen haben auf die Ausarbeitung erheblichen Anteil genommen

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Einflussnahme von Frauen auf Gleichstellungspolitik:
interfraktionelle Kooperation

Wally Zepler (1865-1940, sozialdemokratische Publizistin)

In: Sozialistische Monatshefte vom 26.7.1920, S.590:

„…Die Frauen, die auch hier fürchten müssen, dass die männlichen Arbeitnehmer
ihr Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen und Kündigungen zu einer Verdrängung
der weiblichen ausnutzen könnten, setzten sich interfraktionell energisch und
geschlossen dafür ein, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht
[…] als Grund zu Einstellung oder Kündigung gesetzlich ausgeschlossen wurde.“

➢Forderung nach Diskriminierungsverbot bei Kündigungen und Einstellungen

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Bedenken gegen den Entwurf aus frauenrechtlicher Sicht
Else Theodora Lüders (1872-1948, radikaler Flügel der bürgerlichen
Frauenbewegung)

In: Soziale Praxis, 1919:
„Auch diejenigen Frauenkreise, die dem guten Grundgedanken des
Gesetzes […] durchaus wohlwollend gegenüber stehen, haben dennoch
die Befürchtung, dass das Gesetz trotz scheinbarer Gleichberechtigung
der Geschlechter schwere Schädigungen der arbeitenden Frauen mit sich
bringt.
Die Erfahrungen, die sie mit den Arbeiter- und Angestelltenausschüssen
[…] gemacht haben, rechtfertigen diese Befürchtungen nur allzu sehr.“

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Marie-Elisabeth Lüders, 1878-1966
                                         − Profilierte Sozialpolitikerin der DDP;
                                         − 1921-24 in der Nationalversammlung; 1924-30 im
                                           Reichstag;
                                         − 1953-61 im Deutschen Bundestag (Alterspräsidentin)

                                         ➢ Sah im Betriebsrätegesetz „brauchbare Grundlagen“, hatte
                                           jedoch „schwerwiegende Bedenken“
                                         ➢ Sie forderte gemeinsam mit anderen u.a. im
                                           Gesetzgebungsverfahren: Frauenquote, besseren Schutz
Lüders, Marie-Elisabeth
                                           von Frauen vor Entlassungen und bei Einstellungen
Quelle: https://www.wikitree.
com/photo/jpg/Luders-36

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Marie-Elisabeth Lüders, 1878-1966
                                  − § 42 sah Arbeiter als Vertrauenspersonen vor, die bei der
                                    Einstellung mitbestimmen sollten
                                  − Dazu Lüders bei den Verhandlungen im Reichstag im Oktober
                                    1919:
                                  „Ich nehme ja nicht an, daß nach berühmten Muster wie zB. in der
                                  Schöffenklausel ein Deutscher immer nur ein Mann ist, zunächst ein
                                  Arbeiter auch immer nur ein Mann sein soll.[…]
                                  Aber – und wer die weiblichen Arbeitsverhältnisse kennt, der weiß,
                                  daß das ein großes Aber ist – dieser Arbeiter muss 25 Jahre sein –
Lüders, Marie-Elisabeth           wählen kann er mit 20 – und er muss drei Jahre im Betrieb gewesen
                                  sein. Das sind Voraussetzungen, die bei Hunderttausenden von
Quelle: https://www.wikitree.
com/photo/jpg/Luders-36           Arbeiterinnen nicht zutreffen und durch die sie insofern einfach bei
                                  der Vertretung der Interessen herausfallen.“

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Sorge um Diskriminierungen bei Einstellungen und Entlassungen
                                         − Änderungsantrag zu § 84, unterstützt unter anderem von
                                           Anna v. Gierke
                                         − „hinter Kündigung einfügen: „wegen der Zugehörigkeit zu
                                           einem bestimmtem Geschlechte“
                                         − Antrag hatte Erfolg
                                         − Gleichlautende Formulierung für Mitbestimmung bei
                                           Einstellungen in § 81
                                         − Problematisch jedoch: die Auslegung

Lüders, Marie-Elisabeth

Quelle: https://www.wikitree.
com/photo/jpg/Luders-36

              18. Juni 2021     100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   20
Anna von Gierke, 1874-1943
                                      - Abgeordnete der DNVP (Austritt im Mai 1920)
                                      - Sozialpädagogin
                                      - Gründerin des „Sozialpädagogischen Seminars“ 1911;
                                      - Gründerin der Zeitschrift „Soziale Arbeit“, 1923.
                                      - Beteiligt an der Gründung des Vorläufers des Dt.
                                        Paritätischen Wohlfahrtsverbands, 1925

Gierke, Anna von

Quelle:                               ➢ Sie forderte Frauenquoten im Betriebsrätegesetz
http://www.familiewegener.de/anna.
htm

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HSI Working Paper von Rainer Fattmann
                                      Antrag in 2. Lesung, in § 22 einzufügen:
                                      „Den wahlberechtigten weiblichen Arbeitnehmern ist eine ihrer
                                      Zahl entsprechende Vertretung zu sichern.“

                                      Begründung:
                                      „daß es unbedingt notwendig ist, überall da, wo Frauen in
                                      nennenswerter Zahl beschäftigt sind, ihre Vertretung im
Gierke, Anna von                      Betriebsrat zu sichern.
Quelle:
http://www.familiewegener.de/anna.
                                      […] Wir vertrauen auf die Gewerkschaften, dass überall da, wo
htm                                   Frauen in nennenswerter Zahl beschäftigt sind, sie […] als Frauen
                                      in diesem Betriebsrat ihre Vertretung haben.“

             18. Juni 2021   100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   22
HSI Working Paper von Rainer Fattmann

§ 22 lautete schließlich allerdings
„Bei der Zusammensetzung des Betriebsrats sollen die verschiedenen Berufsgruppen der
im Betriebe beschäftigten männlichen und weiblichen Arbeitnehmer nach Möglichkeit
berücksichtigt werden.“
− Immerhin: Im Regierungsentwurf waren die weiblichen Arbeitnehmerinnen noch garnicht
  erwähnt.
− Johanna Reitze, SPD-Abgeordnete und Gewerkschafterin
− In: Die Gleichheit, 15.5.1920:
„Die Rechte, die das Betriebsrätegesetz den Frauen verliehen hat, werden bei richtiger
Anwendung und Ausnutzung zur schnelleren Erreichung des gesteckten Ziels“
„wirtschaftliche Gleichstellung“ beitragen.
− Die Hoffnung sollte sich nicht bewahrheiten
          18. Juni 2021   100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   23
Das Betriebsrätegesetz in der Praxis
− Analyse der Quellenlage, gewerkschaftspolitische Einordnung und
  Statistiken bei Däubler/Kittner

         18. Juni 2021   100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   24
Das Betriebsrätegesetz in der Praxis
Erste Betriebsrätinnen?
– Datenlage dünn: Frauenanteil bei Betriebsratswahlen wurden – obwohl
  bereits damals umfangreich analysiert – nicht dokumentiert (Fattmann
  mwN)
– Däubler/Kittner: Jahresberichte der Preußischen
  Gewerbeaufsichtsbeamten: deutliche Unterrepräsentation – weniger
  Betriebsratsmitglieder als Anteil an Beschäftigten
– Däubler/Kittner (S.213)
„Als Gründe wurden Desinteresse, Fluktuation durch Heirat und
mangelnde Konfliktfähigkeit genannt. Außerdem wurde darauf verwiesen,
dass unverheiratete Arbeiterinnen oft jünger, also unerfahrener als ihre
männlichen Kollegen waren, während ältere verheiratete Frauen sich
aufgrund ihrer familiären Belastung weniger in Betriebsräten engagierten.“

         18. Juni 2021   100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   25
Das Betriebsrätegesetz in der Praxis
Erste Betriebsrätinnen?
– Gewerkschafterinnen beklagten niedrigen Frauenanteil – auch im
  Verhältnis zum Frauenanteil in Gewerkschaften
– Susanne Suhr (1893-1989, SPD-Politikerin, Schriftstellerin, Publizistin,
  Funktionärin im „Zentralverband der Angestellten“):
– 1933, vor den letzten Betriebsratswahlen vor Zerschlagung der
  Mitbestimmung, zitiert bei Fattmann):
Weibliche Angestellte seien „in den Betriebsvertretungen in einer so
geringen Anzahl vertreten, wie sie weder ihrer zahlenmäßigen Stärke noch
ihrer Bedeutung im Beruf im entferntesten entspricht.“

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Das Betriebsrätegesetz in der Praxis
Erste Betriebsrätinnen?
– In fünf Verbänden stellten Frauen 1928 die Mehrheit der Mitglieder
– Frauenanteil sank in den ADGB-Verbänden ab 1920 insgesamt rapide:
  von 21,7 % 1920 auf 14,3 % 1930
– ADGB Kongress 1928: 2 Frauen unter 282 Delegierten
– Textilarbeiterverband bemühte sich um Frauenpartizipation:
  Textilarbeiterinnenkongress 1926
– Schulungsveranstaltungen: von 17.098 Teilnehmenden im Jahr 1925
  4.590 Betriebsrätinnen

– Wer waren sie? Was hat sie bewegt?
➢Zwei Pionierinnen im Papier von Fattmann:

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Anna Braun-Sittarz, 1892-1945

                                        - Weberin in einer Textilfabrik
                                        - Betriebsrätin, gewählt für den Textilarbeiterverband
                                        - Vertrat 1924-29 die KPD im Stadtrat Aachen
                                        - Betrieb ab 1929 (am heutigen Anna Sittarz-Platz in Aachen)
                                          einen Kiosk, der Anlaufstelle für Verfolgte und Gegner des NS-
                                          Regimes war
                                        - 1937 zu 27 Monaten Zuchthaus wegen Hochverrat verurteilt
Braun-Sittarz, Anna
                                        - Initiatorin und Mitbegründerin des „Freien Deutschen
Quelle: https://archiv.kaz-               Gewerkschaftsbundes“ im März 1945
online.de/pdf/311/311_50.pdf

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Liesel Kapp-Kaule, 1906-1992
                                         - Gelernte Schneiderin
                                         - Akkordarbeiterin der Seidensticker-Werke Bielefeld
                                         - Gewählte Betriebsrätin; setzte sich zB für höhere Löhne
                                           jüngerer Frauen ein
                                         - Anfrage bei Seidensticker ergab, dass keine Dokumente zur
                                           Betriebsratsarbeit erhalten sind
                                         - Nach 1945 Anstellung als Gewerkschaftssekretärin der
                                           Gewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder
Kipp-Kaule, Liesel
                                         - 1946-49 einzige Frau im Geschäftsführenden Hauptvorstand
Quelle: J.H. Darchinger / Friedrich-
Ebert-Stiftung                             der Gewerkschaft Textil und Bekleidung
                                         - 1949-65 SPD-Abgeordnete im Bundestag; maßgeblich am
                                           Mutterschutzgesetz beteiligt
              18. Juni 2021     100 Jahre Betriebsverfassung – auch eine Geschichte der Frauen?, Dr. Johanna Wenckebach   29
Arbeitsrechtswissenschaft zum Betriebsrätegesetz – feministische
Kritik
Susanne Suhr:
1931, „Rundschau der Frau“: Kritik an Kommentar zum Betriebsrätegesetz
von Georg Flatow/Otto Kahn-Freund; (Zu deren Einfluss: Däubler/Kittner)
– Auslegung zum Einspruch gegen Kündigung wegen Zugehörigkeit zu
  einem bestimmten Geschlecht (§ 84 Abs.5 Ziff.1), 13. Aufl. 1931:
„Ziff.1 ist unanwendbar, wenn der Arbeitgeber systematisch Frauen, deren
Mann im gesicherten Erwerb steht und beiden der standesgemäße
Unterhalt schon durch den bloßen Erwerb des Mannes dauernd
gewährleistet ist (Doppelverdienerinnen) entläßt, um anderen sozial
schutzwürdigeren Arbeitnehmern Platz zu machen. …. Ist ein solches
Verfahren geradezu häufig notwendig.

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Arbeitsrechtswissenschaft zum Betriebsrätegesetz – feministische
Kritik
Hier richtet sich die Kündigung nicht gegen die Frau wegen ihrer
Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, sondern wegen ihrer durch die
Erwerbstätigkeit des Mannes günstigeren sozialen Lage.
(…) in erster Linie die Frau zu entlassen, ist in der herrschenden
Sozialanschauung begründet, wonach der Erwerb des Familienunterhalts
in erster Linie Sache des Mannes ist.
Ebenfalls ist Ziff.1 nicht anzuwenden, wenn der Arbeitgeber die Frau nicht
wegen ihrer Doppelverdiener-Eigenschaft, sondern mit Rücksicht auf die
Tatsache der beabsichtigten oder eben vollzogenen Eheschließung
kündigt, da er befürchtet, dass die Frau durch die Haushaltsführung oder
spätere Schwangerschaft und Kindererziehung vom dem Interesse für die
Berufsarbeit abgelenkt wird.“

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Arbeitsrechtswissenschaft zum Betriebsrätegesetz – feministische
Kritik
− Dazu Susanne Suhr:
„Die dieser Erläuterung zugrundeliegende Anschauung mag zwar mit der
augenblicklich „herrschenden Sozialanschauung“ übereinstimmen – aber
doch nur der Sozialanschauung bestimmter Kreise. Es liegt aber doch
sicher im Sinne des Kommentars, gegenüber der „herrschenden“
Sozialanschauung die wahren sozialen Bestimmungen herauszuarbeiten
– umso mehr, da es sich in diesem Falle um zwei Sozialisten handelt.
[…Es] ist eigentlich gefährlich, wenn nun auch schon „im Flatow“ steht,
dass das Verfahren, systematisch erwerbstätige Frauen aus heute
gesichert erscheinender Familie zu entlassen, „häufig geradezu notwendig
ist“.“
− Eine weitere Auflage des Kommentars erschien nach 1931 nicht mehr.
  Flatow wurde 1944 in Ausschwitz ermordet.

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Fazit
➢100 Jahre Mitbestimmung sind auch eine Geschichte der Frauen
➢Nimmt man sie in den Blick, verändert sich die Wahrnehmung auf
 Normen und deren Entstehung
➢Themen und Argumentationen von Bedeutung bis heute
➢Es fehlt allerdings weiterhin Sichtbarkeit
➢Vieles ist unerforscht

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Anstöße zur weiteren Forschung
➢Viele Anregungen zur weiteren Forschung:
• Weitere Akteurinnen, auch in späteren Reformprozessen der
  Betriebsverfassung
• Akteurinnen in Betriebsräten
• Interfraktionelle Zusammenarbeit in Gleichstellungsfragen
• Wie wirkten strukturelle Ausschlussmechanismen der (betriebs-)
  politischen Beteiligung von Frauen?
• Die Veränderungen erweiterter Partizipationsmöglichkeiten können nur
  erfasst werden, wenn Selbstwahrnehmung der Frauen in den Blick
  genommen wird (A. Thuns, S.119)

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VIELEN DANK FÜR IHRE
AUFMERKSAMKEIT

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