Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband

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Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband
Mieten + Wohnen   Nr. 1, Februar 2022   www.mieterverband.ch

Die gigantische,
gesetzeswidrige
Umverteilung
Seite 5–7
Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband
Editorial                                                Inhaltsverzeichnis

Liebe Leser*innen                                        Politik Wohnpolitische Abstim-
                                                           mungen in Bern und Genf         3
                                                         Aktuell Neue Zahlen zur
                                                           Umverteilung bei den Mieten 5
                                                         Interview Grosse finanzielle
                                                           Ungleichheit im Alter           8
Welchen Anteil Ihres Einkommens geben Sie für die
Miete aus – 20 Prozent, oder 30? Je nachdem, wie
                                                         Zürich Der MV spannt mit
hoch Ihr Einkommen ist, könnte der Anteil sogar bei        der Urban Equipe zusammen 11
über 40 Prozent liegen. Die Wohnkosten sind für
die meisten Menschen in der Schweiz der mit              Österreich Wohnpolitischer
Abstand grösste fixe Budgetposten. Ein Grund dafür
ist, dass viele Mietzinse höher sind, als das Gesetz
                                                           Reformstau im Nachbarland 15
es erlaubt. Das zeigt eine aktuelle Studie des Miete-    Haushalt Besser als die Pfanne –
rinnen- und Mieterverbands, die wir für Sie zu­­
sammengefasst haben (Seite 5 – 7). Im letzten Jahr         Wasserkocher im Test           16
summierten sich die zu viel bezahlten Mietzinse
auf über 10 Milliarden Franken. Dieses Geld fliesst zu
                                                         Verlosung Gewinnen Sie das
Unrecht von den Taschen der Mieter*innen in die            neue Buch von Milena Moser 17
Taschen der Ver­mieter*innen. Zu Unrecht deshalb,
weil unser Mietrecht eine Begrenzung der Rendite         Miettipp So klappt es
vorsieht, die Letztere mit ihren Wohnungen erzielen
dürfen.
                                                           bei der «Züglete»              18
     Weil aber diese Begrenzung von niemandem            Hotline Mein Backofen wird
kontrolliert wird, wird sie auch nicht eingehalten.
Die Folge davon: Die Mieten sind viel höher, als           nicht repariert                21
es das Gesetz erlaubt, und sie steigen stetig weiter.
Der MV fordert darum dringend die Einführung
einer Kontrolle der Renditen. Es darf nicht sein, dass
unser Mietrecht – und unsere Verfassung –, welche
die Mietenden vor überrissenen Mieten schützen
sollten, derart missachtet werden.
     Das Geld, das die Mietenden zu viel für ihre
Mieten zahlen, fehlt ihnen anderswo. Zum Beispiel
in der Altersvorsorge: Wenn mit der Pensionierung        Herausgeber                                Druck
                                                         Mieterinnen- und Mieterverband             Stämpfli AG, Bern
plötzlich das Einkommen sinkt, fallen die Wohn-          Deutschschweiz                             Beglaubigte Auflage
kosten noch mehr ins Gewicht als vorher. Und wer                                                    127 679 Exemplare
                                                         Redaktion                                  Erscheinen
während des Arbeitslebens kein grosses Vermögen          Andrea Bauer                               6-mal pro Jahr
aufbauen konnte oder geerbt hat, kommt allein            m+w@mieterverband.ch                       Abonnementspreis
mit der Rente bald einmal nicht mehr über die            www.mietenundwohnen.ch                     Fr. 40.–/Jahr
                                                         Administration und ­Adressverwaltung       Inserate und Beilagen
Runden. Die Belastung ist jedoch sehr unterschied-       Mieterinnen- und Mieterverband             Katanja Schwander
lich gross, wie in einer kürzlich erschienenen           Deutschschweiz                             katanja.schwander@mieterverband.ch
Publikation nachzulesen ist: Während vor allem           Bäckerstrasse 52, 8004 Zürich              T 043 243 40 40
                                                         T 043 243 40 40
alleinstehende Rentner*innen über 40 Prozent für         info@mieterverband.ch
die Miete ausgeben, sind es bei Ehepaaren mit            www.mieterverband.ch
hohem Einkommen im Schnitt nur 10 Prozent. Wir           Mitarbeit
                                                         Walter Angst, Esther Banz, Ernst Feurer,
haben mit der Co-Autorin Nora Meuli über ihr Buch        Manuela Gallati, Urs Geiser, Fabian
«Ungleichheit im Alter» gesprochen (Seite 8 – 10).       Gloor, Stefan Hartmann, Natalie
                                                         Imboden, Patric Sandri, Reto Schlatter,
                                                         Carlo Sommaruga                            www.facebook.com/Mieterverband
   Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!                  Gestaltungskonzept                         twitter.com/Mieterverband
   Andrea Bauer                                          Hubertus Design GmbH, Zürich               www.instagram.com/mieterinnenverband
                                                         Layout
                                                         Atelier Bläuer, Joel Kaiser, Bern
                                                         Titelbild
                                                         Patric Sandri                              Gedruckt in der Schweiz

Mieten + Wohnen                  Nr. 1, Februar 2022                                                                                     2
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Aktuell                              Text von Andrea Bauer

                                Einmal haushoch,
                                einmal hauchdünn
                        Am 13. Februar stimmten Bern und Genf über
                       wohnpolitische Vorlagen ab. Während diejenige
                         in Bern haushoch gewonnen wurde, ging
                              die in Genf hauchdünn verloren.

Für die Vermietung über Plattformen wie Airbnb gelten in der Berner Altstadt künftig bestimmte Regeln.

                                                                                                             Foto: Wikimedia Commons

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Zuerst die gute Nachricht: Mit fast 82 Prozent der Stimmen haben
die Stimmberechtigten der Stadt Bern am 13. Februar klar Ja gesagt
zu einer Regulierung der Nutzung von Zweitwohnungen in der
Altstadt. Der Mieterinnen- und Mieterverband Bern hatte die Vor-
lage begrüsst. Künftig dürfen Zweitwohnungen in jenen Stock­
werken der Berner Altstadt, die dem Wohnen zugeteilt sind, nicht
wiederholt für kurze Zeit und nicht mehr als 90 Nächte pro
Kalenderjahr vermietet werden. Weiterhin erlaubt ist es, die selber
bewohnte Wohnung für einzelne Tage oder Wochen – ebenfalls
während maximal 90 Tagen pro Jahr – über eine Buchungsplatt-
form unterzuvermieten.
   Die neue Regelung ist vergleichsweise mild, so gilt etwa eine
Besitzstandsgarantie: Wer bereits heute seine Zweitwohnung auf
diese Weise vermietet, kann dies weiterhin tun. Trotzdem ist die
hohe Zustimmung an der Urne ein klares Zeichen gegen die zu-
letzt zunehmende Tendenz, Wohnungen in der Unesco-Altstadt
aus kommerziellen Gründen nur noch kurzzeitig an Tourist*innen
zu vermieten. «Durch diese Praxis geht Wohnraum für die lokalen
Bewohner*innen verloren. So wird das Angebot an Wohnungen
in der Stadt Bern noch knapper, als es ohnehin schon ist», sagt die
Präsidentin des MV Bern, Edith Siegenthaler. Gleichzeitig schade
es dem Zusammenhalt und der Lebensqualität im Quartier, wenn
Wohnungen zunehmend nur noch an Tourist*innen vermietet
würden.

   Unsoziales und diskriminierendes Gesetz
   Wenig erfreulich ist der Ausgang der Abstimmung über das ge-
änderte Wohngesetz in der Stadt Genf. Mit einem hauchdünnen Ja
von 50,69 Prozent ging das Referendum verloren, das der lokale
Mieterinnen- und Mieterverband (Asloca) zusammen mit der
Caritas und dem Centre Social Protestant ergriffen hatte. Konkret
ging es bei der Änderung um eine Verschärfung der Kriterien,
gemäss denen Einwohner*innen der Stadt Genf Zugang zu einer
Sozialwohnung erhalten. Neu muss eine Person seit mindestens
vier Jahren ohne Unterbruch ihren Wohnsitz in Genf haben. Bisher
reichten zwei Jahre als Voraussetzung. Zurzeit sind im Kanton fast
8000 Gesuche um eine subventionierte Wohnung hängig. Die
Wartezeit beträgt zwei bis vier Jahre.
   Der systematische Kampf der Rechten und der Immobilien-
branche gegen die Schaffung von ausreichend günstigem und so­
zialem Wohnraum werde zur Folge haben, dass die Zahl der
unerledigten Gesuche weiter steigt, schreibt die Asloca in einer
Mitteilung. Die Genfer Regierung, die sich ebenfalls gegen die
Verschärfung ausgesprochen hatte, bedauert den Entscheid der
Stimmbevölkerung. Während die Rechte sich damit brüste, die
Wartelisten zu verkleinern, werde durch das Gesetz keine einzige
zusätzliche Sozialwohnung entstehen, sagte der zuständige Regie-
rungsrat Antonio Hodgers gegenüber der Zeitung «Le Temps».

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Aktuell            Text von Andrea Bauer

      Höher als
      vom Gesetz erlaubt

      Mieter*innen zahlen Monat für
      Monat zu viel für ihre Wohnungen.
      Jetzt gibt es neue Zahlen dazu.

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Wer in einer durchschnittlichen Miet-                          erhöhen, und zwar selbst dann, wenn die                    Verstoss gegen Verfassung und Gesetz
wohnung lebt, hat letztes Jahr pro Monat                       Kosten gesunken sind. Zweitens wurden                       Mit solchen Renditen werden seit
fast 370 Franken zu viel Miete bezahlt.                        die fünf Senkungen des Referenzzins-                    Jahren sowohl unsere Verfassung als auch
Auf das gesamte Jahr gerechnet sind das                        satzes zwischen 2006 und 2021 nur in                    unser Mietrecht verletzt. Die Bundes­
4440 Franken. Auf alle Wohnungen                               einem von sechs Mietverhältnissen von                   verfassung besagt, Bund und Kantone
hochgerechnet ergibt das insgesamt über                        den Vermieter*innen in Form einer                       müssten sich dafür einsetzen, «dass Woh-
10 Milliarden Franken, die 2021 zu                             Mietzinssenkung an die Mieter*innen                     nungssuchende für sich und ihre Familie
Unrecht von den Mieter*innen an die                            weitergegeben.                                          eine angemessene Wohnung zu tragbaren
Vermieter*innen flossen.                                           Die so ständig steigenden Mietzinse                 Bedingungen finden können». Das Miet-
    Diese Zahlen liefert eine aktuelle                         bescheren vielen Eigentümer*innen mitt-                 recht konkretisiert diesen Grundsatz mit
Studie, die das Büro für arbeits- und so­                      lerweile satte Renditen in der Höhe von                 dem Prinzip der Kostenmiete plus: Ver-
zialpolitische Studien (BASS) im Auftrag                       6 oder 7 Prozent, bei den grossen Immo-                 mieter*innen sollen mit den Mietein-
des Mieterinnen- und Mieterverbands                            biliengesellschaften erreichen die Ren-                 nahmen ihre Kosten decken und eine be-
erstellt hat. Untersucht wurde, um wie                         diten sogar den zweistelligen Bereich.                  schränkte Rendite machen können. Die
viel die Mieten zwischen 2006 und 2021                         Gemäss der BASS-Studie betrug die                       Mieter*innen sind durch die Beschrän-
gemäss Mietrecht hätten ansteigen                              durchschnittliche Nettorendite im unter-                kung der Rendite vor zu hohen Mieten
dürfen und wie stark die Aufschläge tat-                       suchten Zeitraum 6,2 Prozent. Im Ver-                   geschützt. Das Bundesgericht, das im
sächlich waren.                                                gleich mit anderen Anlagen ist das sehr                 Streitfall die konkrete Höhe dieses Ren-
    Dass die Mieten stärker angestiegen                        hoch – und höher, als das Gesetz es                     ditedeckels bestimmen muss, setzte die
sind, als eigentlich zulässig wäre, vermag                     erlaubt.                                                maximal zulässige Rendite lange Zeit bei
nicht mehr gross zu erstaunen. Gigan-                                                                                  0,5 Prozentpunkten über dem gültigen
tisch sind hingegen die konkreten Zahlen,                                                                              Referenzzinssatz fest. 2020 erhöhte es sie
welche die Studie liefert: In den letzten                                                                              in einem Leiturteil auf maximal 2 Pro-
16 Jahren haben sich die zu viel bezahlten                                                                             zentpunkte über dem Referenzzinssatz.
Mieten auf 78 Milliarden Franken sum-                                                                                  Aktuell darf eine Rendite gemäss Gesetz
miert. Und die Tendenz zeigt nach oben.                                                                                also maximal 3,25 Prozent betragen.
                                                                                                                       Das bedeutet: Die oben erwähnte Durch-
    Die Gründe für den Anstieg                                                                                         schnittsrendite von 6,2 Prozent ist um
   Dabei hätten die Mietzinsen während                                                                                 fast 3 Prozentpunkte zu hoch. Viele Ren-
des untersuchten Zeitraums um gut                                                                                      diten sind demzufolge also gesetzes­-
10 Prozent sinken müssen. Für den                                     Der Mietwohnungsmarkt gilt als                   widrig.
krassen Unterschied zwischen den ei-                                  grösster Markt der Schweiz. Ende
gentlich zulässigen und den tatsächlich                               2021 umfasste er 2,3 Millionen                      Warum wird das Gesetz nicht durchgesetzt?
bezahlten Mieten gibt es gemäss der                                   Wohnungen im Wert von 1000 Mil­                      Nun gibt es in der Schweiz leider
BASS-Studie vor allem zwei Gründe:                                    liar­den Franken. Die jährlich be-               kaum ein Gesetz, das so wenig durchge-
   Erstens werden Wechsel der Mieter-                                 zahlten Mietzinse betragen                       setzt wird wie das Mietrecht in Bezug
schaft oft dafür genutzt, die Mieten zu                               40 Milliarden Franken.                           auf den Renditedeckel. Bis heute gibt es
                                                                                                                       keinen Mechanismus, mit dem seine
Entwicklung der jährlichen Umverteilung zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen:                                     Einhaltung kontrolliert werden könnte.
Die Summe der zu viel bezahlten Mietzinse nimmt jedes Jahr zu, 2021 waren es schon über                                Vielmehr beruht das Mietrecht in seiner
10 Milliarden Franken.                                                                                                 heutigen Ausgestaltung auf der Bekämp-
                                                                                                                       fung von Missbräuchen durch die Mie-
in Millionen Franken
                                                                                                                       ter*innen selber. Oder anders gesagt:
11 000                                                                                                        10 421   Es liegt an den Einzelnen, ihre zu hohe
10 000                                                                                                 9720            Miete einzuklagen oder die Weitergabe
 9000                                                                                      8714 8845                   der Referenzzinssenkungen einzufordern.
 8000                                                                        7367
                                                                                    7723                               Nur tun sie dies sehr selten. Und zwar
 7000                                                                 6480
                                                                                                                       weil sie entweder gar nichts davon wissen
 6000
                                                               6033                                                    (wer kennt schon das Mietrecht im Detail
                                                        4895                                                           respektive die Praxis des Bundesgerichts?)
 5000
                                                                                                                       oder Angst haben, die Wohnung zu
 4000                                            3674
                                                                                                                       verlieren, wenn sie sich mit der Vermie-
 3000                                     2554                                                                         terschaft anlegen. Fechten die einzelnen
 2000                              1467                                                                                Mietenden zu hohe Mieten aber nicht
 1000
         311
               775                                                                                                     an, erhöht sich das generelle Mietzins­
                       –292   11                                                                                       niveau mehr und mehr, wie es auch
     0
–1000
                                                                                                                       die vorliegenden Zahlen der BASS-Studie
         2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021                               zeigen.

Mieten + Wohnen                              Nr. 1, Februar 2022                                                                                                  6
Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband
Die finanzielle Umverteilung von den                  Kommentar
Mieter*innen zu den Vermieter*innen
wird so zunehmend grösser. Das ist na-
türlich einerseits für die Mietenden selber
                                                         Stopp dem
schlecht. Denn die Wohnkosten sind mit
Abstand der grösste Ausgabeposten in
                                                         Raubzug!
den Schweizer Haushaltsbudgets, und die
Ärmsten müssen mittlerweile mehr als
40 Prozent ihres Einkommens dafür aus-
geben (siehe Interview S. 8). Daneben
bleibt kaum mehr etwas zum Sparen
übrig, etwa für die Altersvorsorge. Die
Umverteilung ist aber auch aus volkswirt-
schaftlicher Sicht katastrophal. Denn
wenn den Menschen immer mehr Geld                        Es ist ein echter Skandal: Die gleichen
im Portemonnaie fehlt, sinkt auch ihre                   Leute, die sich heftigst gegen finanzielle
Kaufkraft.                                               Massnahmen zugunsten der besonders
                                                         von der Covid-Krise betroffenen Menschen
   Eine Kontrolle muss her!                              wehrten, praktizieren seit Jahren einen per-
    Die Mieten sind viel zu hoch und der                 manenten, gigantischen Raubzug auf die
Grundsatz im Mietrecht, wonach die                       Mieter*innen dieses Landes. Mehr als
einzelnen Mietenden selber gegen zu                      78 Milliarden Franken flossen zwischen
hohe Mieten vorgehen müssen, funktio-                    2006 und 2021 zu Unrecht aus den Taschen
niert ganz offensichtlich nicht. Wenn                    der Mietenden in die Taschen der Vermie-
wir die gigantische Umverteilung stoppen                 ter*innen, weil diese sich weigerten, die
wollen, müssen wir darum das Mietrecht                   gesetzlich vorgeschriebenen Mietzinssen-
anpassen. Denkbar sind einerseits eine                   kungen zu gewähren, und beim Abschluss
Pflicht, wonach Mietzinsänderungen bei                   neuer Mietverträge die Mieten missbräuch-
einem Wechsel der Mieterschaft be-                       lich erhöhten.
gründet werden müssen, anderseits eine                       Allein im Jahr 2021, während sich die
regelmässige Überprüfung der Mieten.                     Immo-Lobby im Parlament darauf ver-
    Letzteres fordert eine parlamentari-                 steifte, den Schutz der Mietenden weiter zu
sche Initiative, die letztes Jahr von Carlo              verringern, kassierte die Vermieterseite in
Sommaruga im Ständerat sowie von                         diesem Land 10 Milliarden Franken zu viel.
Jacqueline Badran im Nationalrat einge-                      Während bei den einkommens-
reicht wurde. Die beiden fordern eine                    schwächs­ten Haushalten hierzulande
periodische Revisionspflicht für Vermie-                 bereits fast jeder zweite Franken des
ter*innen mit mehreren Wohnungen.                        Ein­kommens in die Miete fliesst, lehnen
Ihre Renditen sollen regelmässig von                     Guy Parmelin, unser Minister für Woh-
einer unabhängigen Stelle überprüft                      nungswesen, die Mehrheit des Bundesrates
werden. Dieses unbürokratische Konzept                   und die Mehrheit von SVP, FDP und der
ist von der AHV sowie der Mehrwert-                      «Mitte» jegliche gesetzliche Änderung ab,
steuer her bereits bekannt und anerkannt.                die diesem massiven unrechtmässigen
Die Verantwortung für die Umsetzung                      Ver­mögenstransfer von den Mietenden
könnte dem Bundesamt für Wohnungs-                       zum Immobilienkapital ein Ende setzen
wesen übertragen werden.                                 oder ihn zumindest bremsen könnte.
                                                             Es gäbe bereits heute einfache Mittel,
  Mehr zur Studie:                                       um die Mieten zu kontrollieren. Zum Bei-
  www.mieterverband.ch/wir-mieter-innen                  spiel mittels der Buchprüfung bei Unter-
                                                         nehmen, wie sie das Obligationenrecht vor-
                                                         sieht. Die Nicht-Einführung einer Kontrolle
                                                         der Renditen und damit der Mieten ist
                                                         darum umso mehr Ausdruck der sozialen
                                                         Unverantwortlichkeit der Investoren und
                                                         der bürgerlichen Mehrheit in unserem
                                                         Land.
                                                                                    Carlo Sommaruga,
                                                                                 Präsident MV Schweiz

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Gespräch                              Interview von Andrea Bauer

«Bei den Mieten ist
die Ungleichheit gross»
Die Wohnkosten sind der grösste fixe Budgetposten der
meisten Menschen in der Schweiz. Wenn nach der Pen­
sionierung das Einkommen sinkt, fällt er entsprechend
mehr ins Gewicht. Aber nicht bei allen. Ein Gespräch mit
Nora Meuli über Ungleichheit im Alter.

Frauen sind viel häufiger als Männer von Altersarmut betroffen, weil sie sich mehr um die Hausarbeit, die Kinderbetreuung und die Betreuung
von fragilen Angehörigen kümmern.

                                                                                                                                                  Foto: Reto Schlatter

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bezahlten Jobs über die Pensionierung         einen Viertel des Einkommens ausmachen.
                                                            hinaus weiter. Fast die Hälfte ihres          Bei vielen Rentner*innen liegen sie also
                                                            Einkommens sind keine Renten.                 weit darüber. Wo machen sie Abstriche?
                                                                                                             Das wissen wir nicht. Wir wissen aber,
                                                            Wie verändern sich die Ausgaben der           dass 16 % der Bezugsberechtigten keine
                                                            Menschen mit der Pensionierung?               Ergänzungsleistungen (EL) beziehen und
                                                Foto: zVg

                                                               Die grossen Ausgabeposten verändern        damit zum Beispiel auch keine Unter-
Nora Meuli ist Ökonomin und Sozialwissen-                   sich kaum. Miete und Krankenkassen­           stützung für die Miete erhalten. Aber
schaftlerin und forscht an der Hochschule                   prämien fallen aber deutlich mehr ins Ge-     auch die EL decken nur das Existenz­
für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nord-                 wicht: Wenn man plötzlich 40 Prozent          minimum. Wenn man mit noch weniger
westschweiz (FHNW). Sie beschäftigt sich                    weniger einnimmt, machen sie einen viel       lebt, ist der finanzielle Spielraum sehr,
hauptsächlich mit gesellschaftspolitischen
                                                            grösseren Teil des Budgets aus. Die           sehr klein.
Fragen rund um das System der sozialen
Sicherheit in der Schweiz. Sie ist Co-Autorin               Steuern sind zwar abhängig vom Ein-
des Buches «Ungleichheit im Alter. Eine                     kommen, aber unter Umständen kann             Den Ärmsten 20 Prozent bleiben gemäss
Analyse der finanziellen Spielräume älterer                 man im Alter auch weniger Abzüge              Ihren Berechnungen gerade noch
Menschen in der Schweiz», erschienen 2021                   machen. Als Rentner*in zahlt man des-         500 Franken pro Monat für Essen, Kleider
bei Seismo.                                                 halb relativ viel Steuern, dessen sind        oder Freizeit. Wie ist das überhaupt zu
                                                            sich viele nicht bewusst.                     schaffen?
                                                                                                              Als wir diese Zahlen erstmals be-
                                                            Apropos Miete: Stimmt es, dass vor allem      rechnet hatten, konnten wir es selber
                                                            Rentner*innen Wohneigentum besitzen           kaum glauben. Dabei handelt es sich
                                                            und kaum Hypothekarzinsen zahlen?             notabene noch um einen Durchschnitt,
Frau Meuli, Sie haben sich mit der finan­                        Das ist so. Über 60 % der Rentner*in-    es gibt also Menschen, die mit noch
ziellen Lage von älteren Menschen befasst:                  ­nen besitzen Wohneigentum, gegenüber         weniger auskommen müssen.
Stimmt das Bild von den «reichen Alten»,                     27 % der 34- bis 45-Jährigen. Bei den
das aktuell grad in der Rentenreform                         aktuell tiefen Zinsen lebt man so entspre-
wieder bemüht wird?                                          chend günstig. Aber auch bei den Mieten
    Was stimmt an diesem Klischee, ist,                      gilt: Die Ungleichheit ist gross. Die
dass Rentner*innen im Schnitt über                           einen leben seit 30 Jahren in derselben
viel mehr Vermögen verfügen als die                          Wohnung mit entsprechend tiefem
Jungen. Der Grund dafür ist, dass Ver-                       Mietzins, die anderen müssen mit 70
mögen vor allem ab fünfzig aufgebaut                         eine neue Wohnung suchen und bezahlen
und vor allem unter älteren Menschen                         dann entsprechend viel mehr.
vererbt und verschenkt werden. Das
heisst aber nicht, dass alle Rentner*innen                  Was bedeutet das konkret fürs Budget
reich sind. Reich sind nur die obersten                     der älteren Menschen?
20 Prozent, ganz besonders das oberste                          Die Wohnkosten sind der grösste fixe
1 Prozent.                                                  Budgetposten für die älteren Menschen.                  Nora Meuli, Carlo Knöpfel:
                                                            Die Belastung ist aber sehr unterschied-                Ungleichheit im Alter. Eine Analyse
Dafür haben Rentner*innen im Schnitt                        lich. Die ärmsten Mietenden müssen über                 der finanziellen Spielräume älterer
weniger Einkommen als die Jüngeren.                         40 % des Einkommens für die Miete auf-                  Menschen in der Schweiz.
    Genau. Es besteht aber auch hier eine                   wenden, Ehepaare mit hohem Ein-                         Seismo, 2021.
grosse Ungleichheit zwischen den oberen                     kommen dagegen nur 10 %.                                Das Buch kann auch als PDF
20 Prozent und dem Rest. Erstere gene-                                                                              heruntergeladen werden unter:
rieren sehr viel Einkommen aus ihrem                        Das Bundesamt für Wohnungswesen sagt,                   www.seismoverlag.ch/de/daten/
Vermögen und arbeiten oft in sehr gut                       die Ausgaben fürs Wohnen sollten maximal                ungleichheit-im-alter/

Mieten + Wohnen                        Nr. 1, Februar 2022                                                                                                9
Seite 5-7 Die gigantische, gesetzeswidrige Umverteilung - Mieterverband
Unser Steuersystem sollte ausgleichend                     Irgendwann kommen viele Rentner*innen          Wer mehr hat, erhält keine EL mehr. Das
wirken. Sie zeigen in Ihrer Studie aber, dass              nicht mehr ohne Betreuung und Pflege aus,      trifft vor allem Menschen im Pflegeheim,
die Ungleichheit nach Abzug von Miete,                     manche ziehen in ein Pflegeheim. Die           die der Mittelschicht angehören. Neu
Prämien und Steuern sogar noch grösser ist                 Kosten dafür sind regional sehr unter-         müssen sie bis auf 100 000 Franken alles
als vorher – warum ist das so?                             schiedlich, gibt es keine nationale Regelung   aufbrauchen. Mit den verbleibenden
    Die umverteilende Wirkung von Miete                    für die Tarifsetzung?                          100 000 Franken muss immer noch ein
und Krankenkassenprämien ist offen-                            Nur für die Pflegetaxen, für die Be-       relativ grosser Teil der Pflegekosten selber
sichtlich so gross, dass unser Steuer-                     treuung und Unterbringung im Pflege-           bezahlt werden. Und falls irgendwann
system dies nicht mehr kompensieren                        heim dagegen nicht. Und der Födera-            etwas zum Vererben übrig bleibt, müssen
kann.                                                      lismus kennt bei diesem Thema keine            die Erben davon die EL zurückzahlen.
                                                           Grenzen. In Zürich etwa kostet der Auf-
Was können wir gegen die grosse Ungleich-                  enthalt in einem städtischen Pflege-           Die EL müssen zurückbezahlt werden?
heit im Alter tun?                                         heim die Bewohner*innen rund 92 000                Ja. Mit der EL-Revision wurde quasi
    Gegen die Altersarmut hilft nur eine                   Franken pro Jahr, in Bellinzona zahlt die-     durch die Hintertür eine Erbschaftssteuer
Erhöhung der AHV-Renten. Heute sind                        selbe Person dagegen nur 38 000 Franken.       für eine ganz spezifische Gruppe einge-
diese alles andere als existenzsichernd,                                                                  führt: für Angehörige der Mittelschicht
was vor allem alleinstehenden Frauen, die                  Wie können diese Unterschiede erklärt          mit einem kleinen bis mittleren Ver-
viel häufiger als Männer nur von der AHV                   werden?                                        mögen, die das Pech haben, ins Pflege-
leben, zum Verhängnis wird. Armuts­                            Sie sind das Ergebnis politischer Ent-     heim zu müssen. Gleichzeitig ist es hier-
betroffene ältere Menschen können zwar                     scheide. In Bellinzona etwa sind die Pfle-     zulande undenkbar, eine Erbschaftssteuer
Ergänzungsleistungen beantragen, aber                      geheimtarife vermögensabhängig, ent-           für wirklich vermögende Personen
viele von ihnen tun dies nicht und leben                   sprechend zahlen Bewohner*innen mit            einzuführen.
entsprechend mit sehr wenig finanziellem                   kleinem Einkommen sehr wenig. In Zü-
Spielraum. Gleichzeitig müsste man die                                                   Steigert die Politik durch diese hohe Kos-
                                                           rich zahlen dagegen alle gleich viel. Ein
grossen Vermögen der älteren Menschen                                                    tenbeteiligung den Anreiz, so lange wie
                                                           Mittelschichtseinkommen reicht in den
stärker besteuern, insbesondere Erb-                                                     möglich zuhause zu wohnen und sich am
                                                           meisten Kantonen nicht, um die lau-
schaften. Zudem müsste in der berufli-                                                   besten noch von den Angehörigen betreuen
                                                           fenden Pflegeheimkosten zu bezahlen.
chen Vorsorge endlich auch aus der unbe-                                                 zu lassen?
zahlten Care-Arbeit ein Rentenanspruch         Werden diese Kosten über die Ergänzungs-      Ja. Diese Strategie – ambulant vor
entstehen. Dass Frauen viel häufiger als       leistungen bezahlt?                       stationär – ist sogar explizit formuliert.
Männer von Altersarmut betroffen sind,             Ja, sobald jemand auf Anspruch auf EL Man bedient sich dabei relativ freimütig
ist vor allem darauf zurückzuführen,           hat. Mit der Revision, die Anfang Jahr    an der freiwilligen Care-Arbeit und vor
dass Frauen sich mehr um die Hausarbeit,       in Kraft trat, können aber nur noch Per-  allem an den Kapazitäten von Frauen.
die Kinderbetreuung und die Betreuung          sonen EL beziehen, die über weniger       Diese können dadurch weniger Erwerbs-
von fragilen Angehörigen kümmern.              als 100 000 Franken Vermögen verfügen. arbeit leisten und weniger in die Alters-
                                                                                         vorsorge einzahlen, was wiederum zu
                                                                                         mehr Armut im Alter führt. Ich zweifle je-
                                                                                         doch daran, dass die heute 30- bis 45-Jäh-
Unterschiedliche Belastung: Während die unterste Einkommensgruppe für Miete und          rigen dereinst noch bereit sein werden,
Krankenkasse 60 Prozent des Einkommens ausgibt, sind es bei der obersten Gruppe          diese Gratisarbeit zu leisten. Wir werden
gerade einmal 15 Prozent.                                                                uns deshalb in den nächsten Jahren noch
                                                                                         vermehrt mit dem Thema auseinander-
                                                                                         setzen müssen.
                 Alleinstehende                             Paarhaushalte
100 %
         40      54    61     70     81              54     68    73     77     84                        Müssten in der Konsequenz nicht auch die
80 %
                                                                                       Übriges Budget     Wohnbedingungen für ältere Menschen
                                                                                       Krankenkasse
                                                                                                          verbessert werden?
                                                                                                              Der häufigste Grund für einen Eintritt
60 %                                                                                    Wohnen
         17                                                                                               in ein Pflegeheim ist, dass jemand stürzt
                 13
                                                                                                          und nicht mehr ohne Betreuung zuhause
40 %                                                 19
         43
                        11                                                                                bleiben kann. Auf Bundesebene wird
                 33
                       28     8                             13
                                                                   11
                                                                                                          zurzeit ein politischer Vorstoss diskutiert,
20 %                                                 26
                              22      5                     19
                                                                          9
                                                                                  5
                                                                                                          der verlangt, dass Ergänzungsleistungen
                                                                  16
                                     14                                  14
                                                                                 10                       unabhängig von der Wohnform geleistet
  0%                                                                                                      werden. Damit könnten sich nicht mehr
        1. Q    2. Q   3. Q   4. Q   5. Q           1. Q   2. Q   3. Q   4. Q   5. Q
                                                                                                          nur Vermögende betreutes Wohnen
               Einkommensquintil                           Einkommensquintil
                                                                                                          leisten, sondern auch Armutsbetroffene.
Quelle: Meuli/Knöpfel (2021), BFS

Mieten + Wohnen                             Nr. 1, Februar 2022                                                                                     10
Zürich                Text von Manuela Gallati

                   Gemeinsam im Einsatz
                  für eine solidarische Stadt

Um gegen Leerkündigungen anzutreten,
spannt der MV Zürich seit vergangenem
Jahr mit der Urban Equipe zusammen.
Der Zürcher Verein für zivilgesellschaftli-
ches Engagement in der Stadtentwick-             Antonia Steger (links)

lung zieht eine erste Bilanz.
                                                 und Sabeth Tödtli von
                                                 der Urban Equipe.

Mieten + Wohnen       Nr. 1, Februar 2022                             11
Leerkündigungen nehmen zu – in der              plexe städtische Planungsinstrumente,        Von Wohnung zu Wohnung weitergereicht
Stadt Zürich in besorgniserregendem             machen Wissen zugänglich – und vieles         Die Urban Equipe nimmt seither zu-
Ausmass. Und die Entwicklung steht erst         mehr. Das Handbuch mit dem Titel          sammen mit dem MV Zürich Kontakt mit
an ihrem Anfang, denn noch stehen die           «Organisiert euch!», das die Urban        betroffenen Mieter*innen auf, die sich
grossen Verdichtungen bevor. Findet die         Equipe 2021 zusammen mit dem Wiener       melden. «Wir befassen uns mit jeder ein-
Verdrängung in den zentraleren Quar-            Kollektiv Raumstation herausgegeben       zelnen Meldung. Es ist hart, die Einzel-
tieren mit einst kleinen, günstigen Woh-        hat (siehe Kasten), wurde von der Fach-   schicksale dahinter zu erleben», sagt
nungen aufgrund von Gentrifizierungs-           zeitschrift «Hochparterre» jüngst mit     Antonia Steger. Manche «Verdrängungs-
prozessen schon länger statt, ist es jetzt      dem «Silbernen Hasen» gewürdigt.          orte» seien gross, andere klein, erzählt sie.
auch in den Aussenquartieren so weit.                                                     An manchen Orten seien privilegiertere
Also genau dort, wo in Siedlungen aus der              Einsatz für bezahlbaren Wohnraum   Menschen betroffen, aber oft auch sehr
Nachkriegszeit besonders viele vulnerable       Seit letztem Jahr verbringen Antonia      vulnerable. Viele Betroffene fänden
Menschen leben, insbesondere auch           Steger und Sabeth Tödtli auch viel Zeit       schlichtweg keine Wohnung in derselben
ältere. Das zeigt das sozialräumliche       mit Mieter*innen. Denn der MV Zürich          Grösse zu einem ähnlichen Mietpreis
                                            und die Urban Equipe sind 2021 eine           und müssten aus der Stadt wegziehen,
                                            Kooperation eingegangen, um gegen die         obwohl sie das nicht wollten. Nicht we-
    «Es wird in diesen Quartieren           zunehmenden Leerkündigungen anzu-             nige müssten zum wiederholten Mal
    kein Stein auf dem anderen              treten. Walter Angst vom MV Zürich            wegen Sanierung oder Abriss umziehen:
    bleiben.»                               erzählt: «Die Urban Equipe bringt viel Er-    «Meistens sagt die Verwaltung bei der
                                            fahrung in städtebaulichen Fragen und         Vertragsunterzeichnung nichts, auch
                                            der Initiierung von Partizipationspro-        wenn bereits klar ist, dass in absehbarer
Monitoring, mit dem die Stadtentwick-       jekten mit. Mit diesem Wissen ergänzen        Zeit saniert oder abgerissen wird. So ist es
lung die Bevölkerungsdaten mit der aktu- sie unsere Expertise im Mietrecht und der        mehreren ergangen, die sich bei uns ge-
ellen Bau- und Zonenordnung (BZO            Wohnpolitik ideal, um das Thema Leer-         meldet haben.» So zum Beispiel auch
2016) überlagert. «Es wird in diesen Quar- kündigungen und Verdrängung mehr in            einer jungen Frau mit Beistand. Bevor sie
tieren kein Stein auf dem anderen           die öffentliche Wahrnehmung zu rücken.»       vergangenen Herbst eine neue Wohnung
bleiben», fasst Antonia Steger von der      Die Zusammenarbeit mit der Urban              bezog, sei sie wiederholt von Wohnung
Urban Equipe die zu erwartende Ent-         Equipe ermöglicht es dem MV Zürich,           zu Wohnung weitergereicht worden – im
wicklung zusammen.                          mehr Betroffenen zu zeigen, wie sie sich      wahrsten Sinne des Wortes. «Und nur
    Steger hat Kulturanalyse und Lingu-     für ihre Rechte einsetzen können. Aus-        zwei Monate nach Einzug», erzählt
istik studiert. Sie und Sabeth Tödtli,      löser für die «Partnersuche» des MV           Steger, «erhielt sie erneut die Kündigung
Architektin und Urbanistin, haben ge-       Zürich war ein Aufruf Ende 2020 an Mie-       – zwei Tage vor Silvester. Die Verwaltung
meinsam mit anderen den Verein Urban        ter*innen, die von einer Leerkündigung        hatte bei der Vertragsunterzeichnung
Equipe gegründet, mit dem sie sich be-      bedroht waren oder fürchteten, damit          längst gewusst, dass eine Sanierung
reits seit einigen Jahren für vielstimmige, konfrontiert zu werden. Es meldeten sich      ansteht.»
solidarische Städte einsetzen. Aktuell      viele. Walter Angst: «Wir wurden regel-           Dabei gäbe es viele gute Alternativen
sind sie im Kernteam zu viert und ar-       recht geflutet mit Nachrichten und haben      zur gängigen Praxis der Leerkündigung:
beiten alle hundert Prozent. Von einem      schnell gemerkt, dass wir eine starke         zum Beispiel ein vorübergehender
kleinen Büro in einem zwischenge-           Partnerin brauchen.» Für die Urban            Auszug, ein etappierter Umbau oder ein
nutzten ehemaligen Kinderheim im Zür- Equipe kam die Anfrage zur rechten Zeit:            Wiedereinzugsrecht. «Neben der Mo­
cher Sihlfeld-Quartier aus initiieren       «Wir hatten schon länger den Wunsch,          bilisierungsarbeit bei den Mieter*innen
sie partizipative Prozesse für Quartier­    uns konkreter für bezahlbaren Wohnraum        suchen wir darum auch das Gespräch
entwicklungen, vertiefen sich in kom-       einzusetzen», sagt Sabeth Tödtli.             mit den Eigentümer*innen. Es sind zwar

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bisher nur die wenigsten bereit, sich mit       an den Verhandlungstischen. Da, wo Ent-
uns an den Tisch zu setzen. An den lau-         scheidungen getroffen werden. Auch
fenden Gesprächen bleiben wir jedoch            Architekt*innen müssen neue Praktiken
weiter dran und sind gespannt, wo diese         entwickeln – zum Beispiel mutiger darin
uns hinführen», berichtet Antonia Steger.
«Nebst der Verhinderung unnötiger
Kündigungen ist es uns auch ein Anlie-                 «Wir brauchen ein breites
­gen, dass die Bewohner*innen bei Sanie-               Bekenntnis dafür, nicht mehr
 rungs- oder Neubauprojekten von Anfang                einfach alles abzureissen und
 an durch die Eigentümerschaft offen
 und transparent informiert werden. Es ist
                                                       Neues hinzustellen.»
 einfach ein ungutes Gefühl, wenn man
 nicht weiss, was wann geschehen wird.     werden, bestehende Bausubstanz zu
 Es geht für die Menschen um einschnei-    transformieren und ihre eigene Berufs-
 dende Veränderungen.»                     rolle neu zu fassen. Wir brauchen ein
                                           breites Bekenntnis dafür, nicht mehr ein-
    Gesellschaftliches Umdenken anstossen  fach alles abzureissen und Neues hinzu-
    Dieser für die ganze Gesellschaft ge-  stellen, sondern an einer solidarischen
fährlichen Entwicklung der zuneh-          Stadt mit Wohnraum für alle weiterzu-
menden Verdrängung durch Leerkündi-        bauen.» Und Antonia Steger ergänzt:
gungen will die Urban Equipe entgegen­-    «Das Bedürfnis der Menschen, mit denen
wirken. Das ist eines der dringenden Ziele wir in Kontakt sind, ist eigentlich sehr
des Vereins, nachdem Antonia Steger        einfach verständlich: Sie möchten in einer
und Sabeth Tödtli in den vergangenen       für sie bezahlbaren Wohnung wohnen,
Monaten an vielen Orten direkt gesehen     die ihnen Freiheit für verschiedene Nut-
haben, was läuft. Und nachdem sie jetzt    zungsmöglichkeiten gibt und wo sie nicht
«noch besser verstehen, wie die Immo­      ständig Angst haben müssen, dass ihnen
bilienbranche funktioniert», so die        gekündigt wird.»
beiden Frauen. Denn: «Ja», ergänzt Sa-         Die direkte Zusammenarbeit zwi-
beth Tödtli, «ich bin in Zürich geboren,   schen dem MV Zürich und der Urban
aber diese Stadt befremdet mich zuse-      Equipe soll denn auch weitergehen.
hends – ich will nicht an einem Ort leben, Und auch wenn ein erstes Finanzierungs­
an dem so viele und immer mehr Aus-        gesuch dafür kürzlich gescheitert ist –
schlüsse produziert werden. Abgesehen      die Urban Equipe bleibt dran an der Idee       Buch «Organisiert euch!»
davon können wir uns das Leben in          eines «Mieten-Mobils», mit dem sie die         Herausgegeben von der Urban Equipe und
Zürich eh bald selbst nicht mehr leisten,  Mieter*innen dort kontaktiert und in           dem Wiener Kollektiv Raumstation, ver-
ganz ehrlich gesagt.»                      ihren Rechten unterstützen kann, wo sie        sammelt das Handbuch «Organisiert
    Die Urban Equipe erhofft sich, dass    sind: bei sich zu Hause.                       euch!» auf 350 Seiten Tipps und Anleitun-
mit den zahlreichen aufkeimenden                                Mitarbeit: Esther Banz    gen zu partizipativen Prozessen. Konkrete
                                                                                          Anleitungen und Vorlagen zum Herunter-
Diskussionen ein gesellschaftliches Um-                                                   laden helfen bei der Arbeit als engagierte
denken angestossen wird. Sabeth Tödtli:      www.mieterverband.ch/mv-zh/mieteraktionen
                                                                                          Gruppe – für Anfänger*innen und Fort­
«Es braucht ein neues Bewusstsein, bei                                                    geschrittene. Erhältlich unter www.urban-
allen Beteiligten, auch in den Ämtern und                                                 equipe.ch/equipment/handbuch

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Mieten + Wohnen                               Nr. 1, Februar 2022                                                                         14
Österreich                      Text von Andrea Bauer

                                              Eine Mitgliederumfrage des Mietervereins
                                              Österreich zeigt den wohnpolitischen Reform-
                                              stau, unter dem unser Nachbarland leidet.

Explodierende Wohnkosten
Fast gleichzeitig mit dem MV Schweiz           Gemäss Statistik Austria waren 2019 be-       Alleinerziehende oft schon deutlich über-
haben der Mieterverein Österreich              reits 22 Prozent aller bestehenden Miet-      schritten, erklärt der MVÖ-Präsident
(MVÖ) und die Gewerkschaft vida letzten        verträge in Österreich befristet (inklusive   Georg Niedermühlbichler in «Fair
Herbst ihre Mitglieder zu aktuellen            der in aller Regel unbefristet vermieteten    Wohnen»: «Wenn heute selbst ein durch-
Aspekten rund um die Themen Mieten             Gemeinde- und Genossenschaftswoh-             schnittliches Einkommen für einen
und Wohnen befragt. Ende Jahr präsen-          nungen), 2010 waren es erst 14,5 Prozent.     grossen Anteil der Wohnungen am pri-
tierte der österreichische Schwester­          Im privaten Segment ist bei einem             vaten Mietsektor nicht mehr ausreicht,
verband des MV Schweiz in seiner Mit-          Neuabschluss eine Befristung gemäss           während auf der anderen Seite die Immo-
gliederzeitung «Fair Wohnen» die               MVÖ heute sogar die Regel.                    bilienwirtschaft satte Gewinne feiert,
Resultate der Umfrage. Die Antworten                                                         dann ist der sogenannte freie Wohnungs-
zeigen die grossen Probleme und den                   Recht auf Wohnen                       markt ganz offenbar aus den Fugen
Reformstau der österreichischen Wohn-          MVÖ und vida fordern angesichts               geraten.»
politik auf.                               dieser Resultate von der Bundesregierung              Das österreichische Mietrecht kennt
                                           ein Entlastungspaket für die unteren und          zwar Obergrenzen für Mieten und einen
    Mehrheit von Preisanstieg betroffen    mittleren Einkommensklassen. Das                  Kündigungsschutz, aber nur für einen Teil
    Am meisten springt ins Auge, dass      Paket müsse gesetzliche Massnahmen                der privaten Wohnungen. So entscheiden
58 Prozent der Befragten angaben, persön- zur Eindämmung der Spekulation, Preis­             historisch entstandene Stichtage, ob ein
lich von den Preissteigerungen der letzten obergrenzen, eine Mietrechtsreform,               Mietverhältnis dem Mietrechtsgesetz
Jahre «sehr betroffen» oder «ziemlich be-  sozial gerecht gestaltete Massnahmen              unterliegt oder nicht. Konkret gilt die
troffen» zu sein. Dafür verantwortlich ma- gegen den Klimawandel sowie Mass-                 Mieten-Obergrenze dadurch praktisch
chen 67 % der Befragten die «Spekulation nahmen gegen Armut durch zu hohe                    nur für Altbauten, die vor 1945 errichtet
mit Immobilien», die Hälfte sieht die      Energiekosten umfassen.                           wurden. Das betrifft in Österreich nur
Verantwortung dafür auch in der Politik.       Im Kampf gegen die ausufernde Im-             rund 40 Prozent aller privaten Mieten.
    Tatsächlich sind die Mieten in Öster-  mobilienspekulation fordern die Ver-              Und da sich der Zeitpunkt nicht ver-
reich gemäss dem wirtschaftsnahen          bände dringende Massnahmen gegen die              schiebt, nimmt die Anzahl der betrof-
Thinktank Agenda Austria zwischen 2010 steigenden Grundstückspreise. Wohnen                  fenen Liegenschaften wegen Abbrüchen
und 2020 um satte 44 Prozent ange-         müsse in der österreichischen Verfassung          stetig ab – gemäss einer von der Arbeiter-
stiegen. Dabei sind sowohl Wohnungen       als Grundrecht verankert werden, und              kammer durchgeführten Studie waren
in Privatbesitz berücksichtigt als auch    soziale sowie gesellschaftspolitische As-         es im Jahr 2009 noch 54 Prozent, aktuell
Genossenschaften und Gemeindewoh-          pekte im Bereich Wohnen müssten ge-               wie erwähnt noch 40. Für die restlichen
nungen, welche den Durchschnitt nach       genüber der Wettbewerbsfreiheit und               60 Prozent der Wohnungen gibt es weder
unten ziehen dürften. Dieser Anstieg ist   Profitgier eindeutigen Vorrang erhalten.          eine Mietzins-Obergrenze noch andere
mehr als doppelt so hoch wie die Teue-                                                       Regelungen etwa zu Ablösen, Neben-
rung im gleichen Zeitraum (19,8 Prozent).      MVÖ fordert «Mietrecht für alle»              kosten oder zur Behebung von Schäden.
Ein grosses Problem sind die zuneh-            Die Belastungsgrenzen seien längst
menden Befristungen bei Mietverträgen. erreicht und für junge Familien und

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Haushalt           Text von Stefan Hartmann, Topten

                                                                                       Foto: 123RF
                    Energie sparen
                  beim Wasserkochen

                                  Wasserkocher haben die Herdpfanne schon
                                  lange abgelöst. Sie sind schneller und hand­
                                  licher – und senken den Energieverbrauch
                                  um bis zu 50 Prozent. Aber nicht alle Modelle
                                  sind gleich gut.

Mieten + Wohnen    Nr. 1, Februar 2022                                            16
Die Hauptbotschaft zum Kauf eines Wasserkochers ist einfach:
Immer nur so viel Wasser erhitzen wie nötig. So lässt sich am        Gewinnen
                                                                     Sie ein Buch!
meisten Energie sparen. Darum sollte man zuerst die Menge
Wasser abmessen, die es für eine Tasse Tee, Kaffee oder Suppe
braucht. Das sind meist nur etwa zwei Deziliter. Wichtig ist,
dass das Gerät eine kleine Minimalfüllmenge hat und auch bloss
zwei Deziliter Wasser erhitzen kann. Erwärmt man in der Regel        In Kooperation mit dem Verlag
nur kleine Mengen Wasser, reicht ein Gerät mit der Gesamt­           Kein & Aber verlosen wir
füllmenge von einem halben Liter.
    Ein Wasserkocher kann aber nicht nur für das Kochen von          drei Exemplare des Romans
Tee- oder Kaffeewasser verwendet werden. Wer häufig Pasta            «Mehr als ein Leben» von
kocht, braucht regelmässig eine grosse Menge kochendes               Milena Moser.
Wasser. Am effizientesten erhitzt man das Spaghettiwasser im
Wasserkocher und schüttet es dann in den Topf um. Einen Liter        Schreiben Sie uns bis zum 31. März 2022 ein
Wasser zu erhitzen dauert in der Regel 3 bis 4 Minuten.              Mail mit dem Betreff «Buchverlosung» an:
                                                                     verlosung@mieterverband.ch
   Oft reichen 80 Grad
   Oft muss das Wasser gar nicht kochend heiss sein. Für
Grüntee etwa oder für eine Bettflasche reichen schon 80 Grad.
Dafür ist es ideal, wenn man die Temperatur beim Wasserkocher
individuell einstellen und auf die gewünschte Wassertemperatur
absenken kann. Weitere Tipps: Eine Warmhaltefunktion im Was-
serkocher ist wenig sinnvoll, denn das braucht unnötig Energie.
Besser, man erhitzt die noch warme Restmenge von neuem.

   Gut zu wissen
     Topten empfiehlt zwei Dutzend Wasserkocher, die getestet
wurden. Es handelt sich durchwegs um energieeffiziente Ge-
räte. Ist der Wasserkocher in Betrieb, sollten andere leistungs-
starke Geräte wie Kaffeemaschine oder Staubsauger nicht
eingeschaltet werden, da der Kocher viel Leistung beansprucht,
in der Regel 2000 Watt bei 10 Ampere. Die von Topten ge-             Milena Moser: Mehr als ein Leben.
prüften Geräte verfügen über eine einstellbare Temperaturwahl        Hardcover, 560 Seiten, CHF 35.—
und über eine gut sichtbare Wasserstandsanzeige. Ob die Öff-
nung genügend gross zum problemlosen Befüllen und Reinigen           Helens Kindheit ist keine unbeschwerte. Ihre Mutter
ist, wurde beim Test ebenfalls berücksichtigt.                       verarbeitet die Trennung von Helens Vater Luc vor-
                                                                     nehmlich mit Alkohol, während sich dieser eher seinem
   Hülle: Verbrennungsgefahr                                         Reporter-Job und seinen wechselnden Freundinnen
    Beim Kauf des Wasserkochers sollte man ein Modell mit            widmet, als sich seiner Verantwortung zu stellen. So
wärmeisolierter Hülle bevorzugen, was den Wärmeverlust,              lernt Helen früher, als ihr lieb ist, wie man sich allein
letztlich aber auch die Verbrennungsgefahr senkt. Beim Auf-          für den Kindergarten bereit macht und die Ausbrüche
heizen sind zwar alle Geräte top, doch bei den meisten wird          der Mutter vor den schaulustigen Nachbarinnen ver-
gleichzeitig das Gehäuse heiss, und zwar bis zu 70 Grad. Dieser      tuscht. Glücklicherweise wohnt da auch die Familie
Sicherheitsmangel kann, gerade wenn Kinder im Haushalt sind,         Esposito mit Sohn Frank, der Helens Hand hält und
eine Gefahr darstellen. Es genügt nicht, wenn die Bedienungs-        sein Lunchpaket mit ihr teilt. Als Luc eines Tages
anleitungen nur vor heissen Stellen warnen.                          das Sorgerecht beansprucht, steht Helen vor einer
                                                                     grundlegenden Entscheidung. Welchen Lauf wird ihr
   Material: Kein Plastik                                            Leben nehmen? Wird sie erfolgreich sein, verheiratet
   Ein weiterer Punkt, auf den es zu achten gilt, ist die Beschaf-   mit ihrer Sandkastenliebe, aber belastet mit einer
fenheit des Materials bei der Innenverkleidung des Wasser­           Schuld, die das Familienglück trübt? Oder will sie nur
kochers. «Kassensturz» und «Saldo» haben kürzlich acht Was-          weit weg, endlich unabhängig sein, sich ausprobieren
serkocher mit Temperatureinstellungen zwischen 40 und                und neu erfinden? Man lebt schliesslich nur einmal –
100 Grad getestet. Die Modelle waren innen ausschliesslich aus       oder?
Glas oder Metall, denn bei Geräten aus Plastik können sich
beim Erhitzen kleinste Kunststoffteilchen lösen.                     Milena Moser liest im März an verschiedenen
                                                                     Orten in der Schweiz aus «Mehr als ein Leben»:
   Link zur Produkteliste von Topten (samt Angaben der Preise        www.keinundaber.ch/veranstaltungen
   und Verkaufsstellen): www.topten.ch/wasserkocher

Mieten + Wohnen                     Nr. 1, Februar 2022                                                                     17
Miettipp   Text von Fabian Gloor

                                        Illustration: Patric Sandri

                                   18
Gut vorbereitet
ist halb umgezogen
                      Am offiziellen Umzugstermin Ende März werden viele
                      Mieter*innen zügeln. Nach Kistenschleppen und Boden-
                      schrubben folgt mit der Rückgabe der Wohnung die
                      Kür einer erfolgreichen «Züglete». Mit der richtigen
                      Vorbereitung meistern Sie auch diese souverän.

Hugo Hugentobler lässt einen letzten             gründlich reinigen. Gefordert ist ein                Storen sowie das Schamponieren der
prüfenden Blick durch das leere Wohn-            Grossputz. Das gilt notabene auch dann,              Teppichböden.
zimmer seiner ehemaligen Wohnung                 wenn der Vertrag keine Details zur Rei­
gleiten. Alles blitzt und glänzt und der         nigung enthält.                                         Der kleine Unterhalt
Geruch von Putzmittel steigt ihm in die                                                         Weil Hugentobler nichts dem Zufall
Nase. Hugentobler ist zufrieden. Er hat                                                     überlassen will, hat er auch an den
                                                        «Besenrein» ist nicht wörtlich zu verstehen
sämtliche Böden und Kacheln in Küche,                Einige Mietverträge – vorwiegend in    «kleinen Unterhalt» gedacht. Als Mieter
Badezimmer und Toilette feucht auf­              der Nordwestschweiz – verlangen nur        muss er diesen nämlich vor der Woh-
genommen, Schränke, Kühlschrank,                 eine «besenreine» Abgabe. Die Vermieter- nungsabgabe erledigt haben. Zum
Kochherd, Backofen und sämtliche sani-           schaft hat in solchen Fällen aber das      kleinen Unterhalt gehören Kleinrepara-
tären Anlagen gründlich gereinigt und            Recht, eine sogenannte Reinigungspau-      turen, die handwerklich normal begabte
entkalkt, Poster und Selbstklebeetiketten        schale zu verlangen. Diese beträgt in der  Mieter*innen ohne spezielles Fachwissen
entfernt, alle Wohnräume gestaubsaugt,           Regel sechs Franken pro Quadratmeter.      selbst ausführen können. Dass Hugen­
sämtliche Spannteppiche schamponiert             Klingt fair, doch Putzmuffel freuen sich   tobler als ausgebildeter Schreiner über-
und den Keller sowie den Balkon nass             jetzt zu früh: Die Formulierung «besen-    durchschnittliche handwerkliche Fähig-
aufgewischt.                                     rein» ist nicht wörtlich zu verstehen.     keiten besitzt, spielt deshalb keine Rolle.
    Zu dieser Putzaktion hat sich Hugen-         Rasch mit dem Besen durch die Woh-         Unter den kleinen Unterhalt fallen bei-
tobler nicht freiwillig hinreissen lassen.       nung zu wirbeln reicht nicht aus. Selbst   spielsweise das Auswechseln von Glüh-
Als Mieter ist er verpflichtet, am Ende der      wenn im Mietvertrag nur eine «besen-       birnen oder Sicherungen, der Austausch
Mietdauer die Wohnung in einem gerei-            reine» Abgabe vereinbart wurde, wird von eines Duschschlauchs oder das Ent-
nigten Zustand seinem Vermieter zurück-          Mieter*innen verlangt, dass sie Küche      stopfen des Siphons beim Lavabo, sofern
zugeben. Wie sauber die Wohnung vor              und Bad gründlich reinigen, die Teppiche sich dieser mit einfachen Handgriffen
dem Auszug zu sein hat, richtet sich zu-         saugen und die Böden nass aufnehmen.       abschrauben lässt.
nächst nach dem Mietvertrag. Darin               Streng rechtlich könnte man diese Anfor-       Besonderes Fachwissen ist dagegen in
werden oft Formulierungen wie «sorg-             derungen an eine «besenreine» Abgabe       der Regel bei Reparaturen technischer
fältig gereinigt» oder «in einem sauber          als zu hoch einstufen und hinterfragen, in Geräte erforderlich, insbesondere wenn
gereinigten Zustand» verwendet. Das              der mietrechtlichen Praxis jedoch sind sie sicherheitsrelevante Aspekte zu beachten
heisst: Mieter*innen müssen Wohnung              leider anerkannt. Immerhin spart man       sind, wie zum Beispiel bei einer elektrisch
und Nebenräume (z. B. Keller und Garage)         sich das Fensterputzen, die Reinigung der betriebenen Anlage. Ob eine Fachperson

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beizuziehen ist, kann sich auch aus der           muss hier die Altersentwertung berück-
Bedienungsanleitung des Geräts ergeben.           sichtigt werden.
Beim Wechseln der Backofenglühlampe
etwa wird oft dazu geraten. Auch das                     Die Altersentwertung berechnen
Streichen von Wänden und Decken ge-            Beim Würzen eines Spiegeleis ist Hu-
hört nicht zum kleinen Unterhalt.          gentobler vor einiger Zeit der Salzstreuer
                                           aus der Hand gefallen und auf dem Glas-
    Verwirrende Kostengrenze               keramikkochfeld gelandet. Dieses weist
    Früher ging man davon aus, dass Re-    seither einen Spalt auf – ein Klassiker.
paraturkosten von bis zu 150 Franken zum Wie viel schuldet Hugentobler beim
kleinen Unterhalt gehören und deshalb      Auszug seinem Vermieter für dieses Miss-
von der Mieterschaft zu berappen sind.     geschick? Hier lohnt sich ein Blick in die          Paritätische Lebensdauertabelle
Diese Faustregel gilt heute nicht mehr.    «paritätische Lebensdauertabelle», die              Die paritätische Lebensdauertabelle
Die Kostengrenze ist nur noch beim Er-     auch online verfügbar ist (siehe rechte             von Mieterinnen- und Mieterver-
                                                                                               band und Haus­eigentümerverband
satz von Bestandteilen wie zum Beispiel    Spalte). Gemäss dieser Tabelle hat ein              ist online verfügbar und kann als
einem fehlenden Backblech oder einer       Keramikkochfeld eine Lebensdauer von 15             Broschüre bestellt werden unter
kaputten Kühlschrankschublade relevant. Jahren. Pro Jahr vermindert sich die von               www.mieterverband.ch/url/
Rechnungen von Handwerker*innen            den Mietenden zu entrichtende Entschädi-            lebensdauer
können dagegen nicht auf dieser Basis be- gung um 6,66 Prozent: Nach 15 Jahren ist
urteilt werden. Denn wenn eine Fach-       es durch die monatlichen Mietzins-
person notwendig ist, liegt ja per se kein zahlungen der Mieterschaft bereits voll-
kleiner Unterhalt mehr vor, selbst dann    ständig abbezahlt und abgeschrieben.
nicht, wenn die Rechnung weniger als       Hugentobler ist vor 12 Jahren in die Woh-
150 Franken beträgt.                       nung eingezogen. Das Glaskeramik-
    Was ist mit der Altersentwertung –     kochfeld war damals nicht neu, sondern
muss Hugentobler die Kosten für den        bereits 2 Jahre alt. Insgesamt hat das
Ersatz des alten Duschschlauchs von        Kochfeld demnach bereits 14 Jahre auf
anno 2010 vollumfänglich selber tragen?    dem Buckel. Massgebend ist das effektive
Ja, denn im Bereich des kleinen Unter-     Alter des Einrichtungsgegenstands. Wie
halts spielt die Altersentwertung keine    lange die Mieterschaft in der Wohnung
Rolle. Doch keine Regel ohne Ausnahme: gelebt hat, ist dagegen unerheblich. Das                Auszug und Einzug
Muss der Vermieter nach Hugentoblers       Glaskeramikkochfeld hätte also noch ein             «Antworten auf alle mietrechtlichen
Auszug beispielsweise den Kühlschrank      Jahr lang seinen Dienst verrichten                  Fragen rund um den Ein- und Aus-
                                                                                               zug» (32 Seiten mit Mängelliste),
altershalber komplett auswechseln, so      müssen. Folglich schuldet Hugentobler               herunterladen oder bestellen unter
muss Hugentobler die gespaltene Gemü- nach Adam Riese nur noch 6,66 Prozent                    www.mieterverband.ch/shop
seschublade nicht selber ersetzen.         des Preises eines neuen Glaskeramikfeldes.

   Für welche Schäden haften Mieter*innen?               Cool bleiben
    Das Leben hinterlässt Spuren. So auch            Nun kann nicht mehr viel schiefgehen.
in Hugentoblers Wohnung. Dass diese am            Die letzte Stolperfalle könnte allenfalls
Ende der Mietdauer gewisse Gebrauchs-             das Wohnungsabgabeprotokoll sein.
spuren aufweist, ist darum völlig normal.         Hugentobler weiss, dass er dieses nicht
Für normale Abnutzungsschäden wie                 unterschreiben muss, sollte er mit dem
beispielsweise die «Schatten» von Möbeln          Inhalt nicht vollkommen einverstanden
und Bildern an den Wänden, abgetretene            sein. Versucht ihn die Vermieterschaft
Spannteppiche oder den kleinen Kratzer            dazu zu drängen, indem sie sich beispiels-
im Parkett haftet Hugentober nicht. An-           weise weigert, die Schlüssel entgegenzu-
ders sieht es hingegen bei Schäden aus,           nehmen, weil er das Protokoll nicht
die wegen eines Missgeschicks oder auf-           unterschreiben will, kennt Hugentobler
grund exzessiven Gebrauchs entstanden             einen altbewährten Trick: die Schlüssel
sind. Dazu zählen zum Beispiel Wasser-            mit eingeschriebenem Brief an den
schäden auf dem Parkett, zerrissene               Vermieter zurückschicken.
Tapeten, ein Sprung im Lavabo, aber auch
Nikotinablagerungen an den Wänden
infolge Rauchens. Für solche Schäden
sind Mieter*innen entschädigungs-
pflichtig, jedoch nur anteilsmässig. Denn
im Gegensatz zum kleinen Unterhalt

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Hotline

                   Die Vermieterin Darf ich die Wohnung meiner
                   reagiert nicht Tochter zur Verfügung stellen?
                   Mein Backofen hat den Geist auf­       Ich miete seit 2 Jahren eine           Untermieterin. Entsprechend
                   gegeben. Sofort habe ich meine Ver-    2-Zimmer-Wohnung. Meine                kommt die Regel, wonach die
Fabian Gloor
beantwortet Ihre
                   mieterin mit eingeschriebenem          19-jährige Tochter hat bisher in       Vermieterschaft der Untermiete
Fragen             Brief darüber informiert und sie       einer WG gelebt. Nun beginnt sie       zustimmen muss, hier nicht
                   aufgefordert, ihn zu reparieren. Sie   mit dem Studium. Deshalb               zum Tragen. Ob es sich um eine
                   hat bisher nicht reagiert und ich      möchte ich ihr meine Wohnung           unentgeltliche Gebrauchsleihe
                   muss seit zwei Monaten auf meine       unentgeltlich zur Verfügung            handelt, welche die Vermie­
                   geliebten Tiefkühlpizzas verzichten.   stellen und mir eine andere Woh-       terschaft unter bestimmten
                   Wie weiter?                            nung suchen. Als meine Vermie-         Umständen tatsächlich verbieten
                                                          terin davon erfuhr, drohte sie mir     könnte, spielt im vorliegenden
                   Ihr Unmut ist nachvollziehbar.         mit einer ausserordentlichen Kün-      Fall ebenfalls keine Rolle. Denn
                   Leider gibt es auch in der Gilde der   digung. Sie stellt sich auf den        Sie haben die Wohnung nicht
                   Vermieter*innen schwarze Schafe.       Standpunkt, ich hätte den Miet-        irgendjemandem überlassen,
                   Ein defekter Backofen ist ein klas­    vertrag verletzt. Zu Recht?            sondern Ihrer Tochter in Ausbil-
                   sischer Mietmangel. Gemäss Artikel                                            dung. Deshalb kommt hier
                   256 OR ist die Vermieterschaft         Vermieterschaft und Mieter-            nicht das Mietrecht, sondern das
                   verpflichtet, Ihnen das Mietobjekt     schaft können vereinbaren, wie         Kindsrecht zur Anwendung.
                   in einem «zum vorausgesetzten          das Mietobjekt zu gebrauchen           Gemäss Art. 276 ZGB müssen die
                   Gebrauch tauglichen Zustand» zu        ist. Die Vertragsparteien können       Eltern für den Unterhalt des
                   übergeben und in diesem zu er-         also definieren, ob die Räum­          Kindes sorgen. Dazu gehören
                   halten. Da der Backofen zum Miet-      lichkeiten beispielsweise als          neben den Kosten für Erziehung,
                   objekt gehört, muss er einwandfrei     Wohnung, Lager, Büro oder Ate-         Ausbildung und Nahrung auch
                   funktionieren. Um Ihre Vermieterin     lier ge­braucht werden dürfen.         diejenigen für die Unterkunft.
                   zum Handeln zu motivieren, rate        Vertraglich können sogar weitere       Und zwar auch über den Zeit-
                   ich Ihnen, den Mietzins bei der        Modalitäten des Gebrauchs fest-        punkt der Mündigkeit des Kindes
                   Mietschlichtungsbehörde zu hin-        legt werden, etwa dass die Woh-        hinaus, sofern dieses noch keine
                   terlegen. Vorab sollten Sie unbe-      nung persönlich bewohnt                angemessene Ausbildung abge-
                   dingt einige Formalitäten beachten.    werden muss. Wurde im Miet­            schlossen hat und es für die
                   In einem eingeschriebenen Brief        vertrag hingegen nichts Der­           Eltern finanziell zumutbar ist.
                   müssen Sie der Vermieterin den         artiges vereinbart, so gilt der        Wenn Sie also Ihrer Tochter Ihre
                   Mangel noch einmal melden und          «übliche» Gebrauch. Zum übli-          gemietete Wohnung unentgelt-
                   Ihr eine angemessene Frist zur         chen Gebrauch einer Wohnung            lich zur Verfügung stellen, gehört
                   Behebung setzen. Im selben Brief       gehört es, Partner*innen, Kinder       dies zum normalen Gebrauch
                   müssen Sie die Hinterlegung            oder andere nahestehende Per-          der Wohnung. Eine ausserord-
                   androhen, sollte der Mangel nicht      sonen wie etwa Freunde bei sich        entliche Kündigung des Mietver-
                   innerhalb der Frist behoben sein.      zu beherbergen. Da Ihnen Ihre          trags mangels persönlichen­
                   Bleibt die Vermieterin untätig,        Tochter nichts für die Wohnung         Gebrauchs wäre daher unwirk-
                   können Sie den Mietzins auf ein        bezahlen muss, ist sie nicht           sam.
                   Sperrkonto bei der Schlichtungsbe-
                   hörde einzahlen. Machen Sie das        Der Backofen gehört zum Mietobjekt und muss deshalb einwandfrei funktio­
                   unbedingt fristgerecht. Als            nieren, andernfalls liegt ein klassischer Mietmangel vor.
                   Nächstes müssen Sie die Vermie-
                   terin über die Hinterlegung infor-
                   mieren. Nach der Einzahlung haben
                   Sie 30 Tage Zeit, ein Schlichtungs-
                   verfahren einzuleiten. Im Rahmen
                   der Schlichtungsverhandlung ge-
                   lingt es in der Regel, Vermieter*in-
                   ­nen in die Pflicht zu nehmen. Neben
                   dem Recht auf Mängelbehebung
                   haben Sie auch das Recht auf eine
                                                                                                                                          ©123RF

                   angemessene Mietzinsreduktion.

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