2 Weltunordnung - Fak ten, Themen und Hintergründe für institutionelle Anleger - Schweiz
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2 Ausgabe 2 / 2017 2017 Fak ten, T hem en un d Hinterg r ün d e f ür ins ti t u tio nelle A nle g er WELTUNORDNUNG Weltunordnung Union Investment Institutional GmbH w w w. i n s t i t u t i o n a l . u n i o n - i n v e s t m e n t . d e
Vorwort Vorwort Vorschau Vorwort Haben Sie nicht Wohlstand auch manchmal fürdasalle 2.0die Welt Gefühl, spielt verrückt? Lesen Sie mehr dazu im kommenden Weitwinkel. Ob Nordkorea, Persischer Golf, Syrien, Ostukraine, Katalonien, Venezuela: Wohin man blickt, die politischen Krisen scheinen zuzunehmen. Ist das noch der ganz normale Wahnsinn, der uns schon immer begleitete? Oder sind wir nicht viel mehr Zeugen des Beginns einer neuen Weltordnung? Denn eines ist klar: Die Welt befindet sich wieder einmal im Wandel! Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges ordnet sie sich neu. Doch wie werden sich die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen? Europa wartet auf einen neuen Impuls für seine Gemeinschaft. Die USA wollen sich auf sich selbst fokussieren. Das öffnet Räume für andere Mitspieler. Allen voran China. Seite Seite Seite Seit Impressum 2 3 Schon macht das Wort vom Handelskrieg zwischen den USA und China die Runde. Ein fatales Szenario. Bisher jedoch ohne Wirkung auf die Börsen. Im Gegenteil, die Kurse verzeichneten 3 67 HER AUSGEBER sogar neue Rekordwerte. Dabei identifizierte das Weltwirtschaftsforum in seinem Global Risks ALLGEMEINE HINWEISE Union Investment Institutional GmbH Die Inhalte dieses Dokuments wurden von der Union Investment Institutional GmbH nach bestem Urteilsvermögen erstellt und heraus- Weißfrauenstraße 7 Report 2017 den Rückzug gegeben.der Staaten Eigene aus Darstellungen undinternationalen Erläuterungen beruhen aufKooperationsvereinbarungen als ihrer Erstellung, der jeweiligen Einschätzung des Verfassers zum Zeitpunkt 60311 Frankfurt am Main auch im Hinblick auf die gegenwärtige Rechts- und Steuerlage, die sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern kann. Als einen der wichtigen geopolitischen Telefon: 069 2567-3182 Risikofaktoren. Grundlage dienen Informationen aus eigenen oder Länderübergreifende öffentlich zugänglichen Quellen, Abkommen warenwerden. Für deren die für zuverlässig gehalten Fax: 069 2567-1616 die Basis für den Aufstieg E-Mail: institutional@union-investment.de und Wohlstand zahlreicher Volkswirtschaften. Die protektionisti- Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit steht der jeweilige Verfasser jedoch nicht ein. Alle Index- bzw. Produktbezeichnungen anderer Unternehmen als Union Investment werden lediglich beispielhaft genannt und können urheber- und markenrechtlich geschützte Produkte schen Gegenmodelle verheißen Internet: www.union-investment.de/institutionalund Marken dieser nichts Gutes, Unternehmen genauso sein. Alle wenig Inhalte dieses Dokumentswiedienen militärische Drohgebärden. ausschließlich Informationszwecken von professionellen Anlegern im Sinne von § 31a Abs. 2 WpHG. Sie dürfen daher weder ganz noch teilweise verändert oder zusammengefasst werden. Sie C H E F R E D A K T Aus I O N Konfrontationen resultierten nochAnlageempfehlung stellen keine individuelle nie Win-win-Situationen. dar und ersetzen weder Grund genug, die individuelle sich indurch Anlageberatung diesem die Bank noch die individuelle, Thomas Raffel, Union Investment Weitwinkel (V. i. S. d. P.) der neuen qualifizierte Weltordnung Steuerberatung. Für die Eignung von Empfehlungen zu Fondsanteilen oder Einzeltiteln für bestimmte Kunden oder zu widmen. Kundengruppen übernimmt Union Investment daher keine Haftung. Dieses Dokument enthält bezüglich einzelner Finanzinstrumente E-Mail: weitwinkel@union-investment.de ausschließlich beschreibende Aussagen und Produktinformationen zu Fonds der Union Investment Gruppe und ist daher keine Finanzanalyse i.S.d. § 34b WpHG. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn es unverändert weiterverwendet bzw. weitergegeben wird. R E D A K T I O N / K R E AT I O N / Sofern dieses Dokument jedoch geändert wird, kann es diesen Status verlieren. Der Verwender des geänderten Dokuments kann den KO N Z E P T / U M SE T Z U NG Vorschriften des § 34b WpHG und den hierzu ergangenen besonderen Bestimmungen der Aufsichtsbehörde unterliegen. Angaben zur Profilwerkstatt GmbH, Darmstadt WertentwicklungAbei L Fonds E X Abasieren N D E auf R den S CWertentwicklungen H I N D L E R in der Vergangenheit. Damit wird keine Aussage über eine zukünftige Wertentwicklung getroffen. Der Anleger muss darauf hingewiesen werden, dass Wertentwicklung bzw. Wertschwankungsverhalten in der AUTOREN Mitglied des Vorstands Zukunft sowohl höher als auch niedriger ausfallen können. Die Berechnung der Wertentwicklung erfolgt nach der BVI-Methode, sofern nicht José Manuel Barroso, Daniel Bathe, Thomas anders angegeben. Die von Union Darstellung Investment der Wertentwicklungszeiträume entspricht den BVI-WVR-Standards. Ausführliche produktspezifische Benedix, Anna-Maria Borse, Lord Jonathan Informationen und Hinweise zu Chancen und Risiken der hier genannten Fonds von Union Investment entnehmen Sie bitte den aktuellen Evans, Martin Hampel, Michael Herzum, Verkaufsprospekten, den Vertragsbedingungen, den wesentlichen Anlegerinformationen sowie den Jahres- und Halbjahresberichten, die Wolfgang Ischinger, Matthias Kneifl, David F. [ We i t wi nke l ] Milleker, Michael Müller, Felix Schütze, Sie kostenlos in deutscher Sprache über die Union Investment Institutional GmbH erhalten. Diese Dokumente bilden die allein verbindliche Grundlage für den Kauf der Fonds von Union Investment. Dieses Dokument wurde mit Sorgfalt entworfen und hergestellt, dennoch Die Metapher für einen Dirk Stauer, Birga Teske übernimmt Union Investment keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit. Es wird keinerlei Haftung für Nachteile, die direkt oder indirekt aus der Verteilung, der Verwendung oder Veränderung und Zusammenfassung dieses Dokuments oder seiner breiteren Horizont, das DRUCK Inhalte entstehen, übernommen. Kuthal Print GmbH & Co. KG, Mainaschaff Ablegen von Scheuklap- Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen: November 2017, soweit nicht anders angegeben. Das für diese Publikation verwendete Papier pen und eine ganzheit- hat ein Nachhaltigkeitszertifikat. Namensbeiträge geben die Meinung des Autors und nicht unbedingt von Union Investment wieder. lichere Betrachtungs- Materialnummer: 006402 11.17 weise. Damit Sie mehr BILDNACHWE ISE sehen als andere und Union Investment, klikk/Getty Images (S. 1–5, 12–35, 67, 68), STR/Kontributor/Getty Images (S. 6–7), Spencer Platt/Staff/Getty Images (S. 8–9), VCG/Kontributor/Geytty Images (S. 10–11), MANDEL NGAN/Staff/Getty Images (S. 12–13), EMMANUEL DUNAND/Staff/Getty vorausschauend handeln Images (S. 14), DGAP/Dirk Enters (S. 15), MANJUNATH KIRAN/Freier Fotograf/Getty Images (S. 16), Oliver Sebel (S. 18, 23, 29), Kerstin Luttenfeldner (S. 24–25), Infographics Group GmbH (S. 26–27), Melanie Brill (S. 30, 33), Bernd Euring (S. 37–39), Marek Haiduk (S. 42, können. 45, 46), Spencer Platt/Staff/Getty Images (S. 48), ermess/123rf.com (S. 48–53), Christian Beutler/laif.de (S. 51, 53), Cira Moro/laif.de (S. 55, 56, 59), bazza1960/Getty Images (S. 60), PPAMPicture/Getty Images (S. 62), Mike Hill/Getty Images (S. 63, 64), Veronique de Id-Nr. 1768520 Viguerie/Getty Images (S. 66) Ausgabe 2 / 2017
Inhalt Inhalt 24 Öl durch die Brille 2/3 Vorwort 12 der Handelnden 4/5 Inhalt Die Protagonisten und ihre Motive IM WEITWINKEL Aus den 6–11 Weltunordnung in Bildern Fugen 12–17 Aus den Fugen Auftakt Wie ordnet sich die Welt neu? Wie ordnet sich die Welt neu? 18 –21 Die Rolle Europas in der neuen Weltordnung Essay Von José Manuel Barroso 22/23 Nicht den Kopf in den Sand stecken Essay Von Wolfgang Ischinger 24/25 Öl durch die Brille der Handelnden Blickpunkte Die Protagonisten und ihre Motive 26/27 Appetit auf Weltmacht Infografik Überholt China die USA? Seite 28/29 Gefahr aus dem Cyberspace Seite Essay Von Lord Jonathan Evans 4 30–33 Trendbrüche und ihre Folgen 5 54 Analyse Von David F. Milleker 34/35 Ist die Stimmung besser als die Lage? Fazit Querdenker 48 dm-Gründer Götz Werner 36–41 Überfliegerin in der Pharmabranche im Interview Finanzstrategen Simone Menne, Finanzchefin von Boehringer Ingelheim 42–47 Neue Risikoklassen verlangen Umdenken Investmentvordenker Warum ESG immer wichtiger wird Dem Börsenbeben 48–53 Dem Börsenbeben auf der Spur 42 Risikoforscher Ein Physiker sucht nach Warnsignalen auf der Spur 54–59 Querdenker Auf ein Wort dm-Gründer Götz Werner im Interview Ein Physiker sucht nach Warnsignalen 60–65 Von sinkenden Fluten und steigenden Booten Neue Risikoklassen Investmentstandpunkt Ein Essay von Dirk Stauer 66/67 Vorschau verlangen Umdenken Warum ESG immer wichtiger wird 67 Impressum Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Weltunordnung in Bildern Raketenmann am Drücker: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un verfolgt den Test einer Mittelstreckenrakete. Das Kalkül der atomaren Drohgebärden bleibt rätselhaft und verunsi- chert die gesamte Pazifikregion. Seite Seite 6 7 Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Weltunordnung in Bildern Stärker als Stalin und Gagarin: Präsident Wladimir Putin inszeniert sich als starker Mann, der Russland wieder zu einer Großmacht machen will. Die Interventionen in der Ukraine und Syrien unterstreichen diese Ambitionen. Seite Seite 8 9 Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Weltunordnung in Bildern Flottenpolitik am Horn von Afrika: Verabschiedung chinesischer Soldaten, die ihren Dienst auf der neuen Marinebasis in Dschibuti antreten. Der Stützpunkt ist Zeichen von Chinas neuer globalökonomi- scher Stärke. Seite Seite 10 11 Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Auftakt 5 Min. Geopolitik Umbruch Wirtschaft Wir erleben gerade eine Zeit, in der sich internationale Macht- konstellationen verschieben. Viele Gewissheiten der Vergangen heit stehen auf dem Prüfstand. Fast scheint die globale Ordnung aus Seite den Fugen zu geraten. Investoren Seite 12 reagieren in diesem Umfeld bis- 13 lang bemerkenswer t besonnen. TEXT F e l i x S c h ü t z e Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Auftakt ökonomischer und demografischer Hin- China, die neue Macht sicht genauso wie in Bezug auf Finanz- Wie geht es weiter? „An die Stelle der kraft oder militärische Fähigkeiten (sie- globalen Ordnung, wie wir sie kennen, he auch Infografik auf Seite 26–27). könnte eine von Einflusssphären ge- prägte Welt treten“, prognostiziert die In der Folge steigen die Spannungen, etwa Deutsche Gesellschaft für Auswärtige im Südchinesischen Meer. Unabhängig da- Politik (DGAP). „Klar ist, dass es eine von sorgen nicht nur Nordkoreas Atom- geografische Zuordnung, etwa nach dem bomben- und Raketentests bei den un- Motto ‚diese Region gehört zu diesem mittelbaren Nachbarn für Unruhe. Auch Staat’, nicht mehr gibt“, ist Dr. Riecke, andere Regionen sind in Bewegung: In DGAP-Experte für die transatlantische Nordafrika und im Nahen Osten hat der Sicherheitskooperation, überzeugt. So Arabische Frühling nicht den von vielen baue China seinen Einfluss durch wirt- Politikern erhofften Aufstieg demokrati- schaftliche Verflechtung aus. Im Rahmen scher Bewegungen gebracht, sondern in der Initiative „One Belt, One Road“in- DR. HENNING vielen Fällen zu Bürgerkrieg und Terror ge- vestiert es weltweit in Infrastruktur, RIECKE führt. Am Persischen Golf steigt Iran zur Energienetzwerke, Straßen und Häfen. neuen Großmacht auf – argwöhnisch be- „Durch diese Investitionsstrategie ändert Jahrgang 1966, obachtet von Saudi-Arabien, den Verei- China die Bedingungen der Globalisie- Seite Programmleiter USA / nigten Arabischen Emiraten und den USA. rung auf eine Weise, die seinen eigenen N Seite Transatlantische 14 ach dem Ende des Ost-West-Kon- flikts und dem Fall des Eisernen chen und sozialen Gegenmodell. Damit steht der US-Präsident keineswegs allein, Beziehungen am Forschungsinstitut Auch Russland zeigt seit einiger Zeit wie- der an seiner Westgrenze Muskeln durch Handelsinteressen nützt“, so Riecke. 15 Vorhangs in Europa postulierte der wie das Brexit-Votum und die immer noch der DGAP in Berlin. Annektierung der Krim und die Befeue- Riecke sieht dabei auch Vorteile, denn US-amerikanische Politikwissenschaftler starken populistischen Bewegungen in Seine Fachgebiete sind rung der Ukrainekrise. Chinas wirtschaftliche Dynamik schaf- Francis Fukuyama 1992 das „Ende der Mittel- und Osteuropa und neuerdings die transatlantische fe große Chancen für Unternehmen Sicherheitskooperation, Geschichte“. Doch 25 Jahre später bietet auch in Katalonien zeigen. In dieser neuen weltpolitischen Gemen- weltweit. Dem können und wollen amerikanische und sich statt einem goldenen Zeitalter der deutsche Außen- und gelage sieht sich auch die Europäische sich die bestehenden Industriestaaten Stabilität das Bild einer Welt im geopoli- Abkehr von der transatlantischen Verteidigungspolitik Union – selbst von inneren Konflikten nicht entziehen. Er gibt aber auch zu tischen Umbruch. Orientierung? sowie die Verbreitung belastet – genötigt, international eine bedenken: „Peking liefert kein demo- Das westliche Modell steht unter Druck: von Massenvernich- neue Rolle zu spielen. Dies machte Kanz- kratisches Ordnungsmodell als Vorbild tungswaffen. Für viele drängt sich das Gefühl auf, ideell, militärisch und ökonomisch. Oder lerin Angela Merkel kurz nach dem fast zur Veränderung mit.“ Seiner Meinung dass die Krisen weltweit zunehmen. wie es der Historiker Heinrich August ergebnislosen G7-Gipfel im Mai 2017 nach hängt die Weltwirtschaft nach Doch während der Westen in der Ver- Winkler ausdrückte: „Die liberale De- deutlich, als sie sagte: „Die Zeiten, in wie vor auch von der funktionierenden gangenheit oft Hilfe suchend nach Ame- mokratie des Westens ist in der Defen- denen wir uns auf andere völlig verlassen amerikanischen Volkswirtschaft ab. „Ich rika schaute, sind die USA mittlerweile sive.“ Winkler hat diese Situation in konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Sie würde mir wünschen, dass die Demo- immer weniger bereit, internationalen seinem Buch „Zerbricht der Westen?“ schloss daraus: „Wir Europäer müssen kratien ihr Schwergewicht in der Welt Verpflichtungen nachzukommen. Und analysiert. Erst kaum merklich, aber nun unser Schicksal wirklich in unsere eigene behalten. Wenn es gelingt, das westliche das nicht nur in (macht-)politischer Hin- immer stärker verschieben sich paral- Hand nehmen.“ Allerdings machen es die Wertesystem glaubwürdig zu machen, sicht: Statt immer mehr Globalisierung lel dazu die politischen Machtverhältnis- schwierigen Koalitionsverhandlungen der die Leistungsfähigkeit der Demokratien und Integration erhob Donald Trump die se von den transatlantischen Partnern Bundesregierung wahrscheinlich für Mo- zu steigern, dann müssen wir vor einem Rückbesinnung auf Nationalstaatlichkeit hin zu aufstrebenden Volkswirtschaften nate schwer, wichtige Weichenstellungen starken Machtpol China keine Angst und Protektionismus zum wirtschaftli- wie etwa China und Indien. Und das in in der EU stärker zu unterstützen. haben“, resümiert Riecke. › Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Auftakt DA S G ROSS E RÜ ST E N Fehlende Investitionssicherheit ten sind durch das gewachsene Risiko und Handelsbarrieren staatlicher oder terroristisch-krimineller Fest steht: Auch ohne militärische Eska- Cyberattacken verletzlicher geworden 1,572 226 lation erhält das Thema Geopolitik für (siehe Beitrag Seite 28 f.). Investoren eine zunehmende Bedeu- tung. Wenn es aufgrund der politischen Geopolitische Risiken werden Großwetterlage schwieriger wird, Me- weitgehend ausgeblendet gaprojekte wie Klima- oder Freihan- Auffällig ist jedoch, dass dieses tatsächli- Nachlese delsabkommen multilateral zu fixieren, che oder auch nur gefühlte Risikopoten- gewaltsam ausgetragene Billionen fehlt Investitionssicherheit. Daneben ist zial – abgesehen von tagesaktuellen CARLO MASALA, Konflikte WELTUNORDNUNG auch die Gefahr eines Handelskrieges Kursausschlägen – nicht auf die Wirt- C. H. Beck, München Euro zwischen den USA und China gestie- gen. Strafmaßnahmen wie etwa neue schaft und die Kapitalmärkte wirkt. Im Gegenteil: Seit Längerem befindet sich 2016: Afghanistan, Irak, Libyen, Ukraine, Syrien – wir scheinen in einer Zollschranken würden den Welthandel die Wirtschaft in fast allen Teilen der neuen Weltunordnung zu jedoch belasten und damit auch Inves- Welt im Aufschwung. Günstige Energie- leben. Der Politologe Im Jahr 2016 betrugen die weltweiten Weltweit gab es im Jahr 2016 insgesamt toren schaden. preise, niedrige Inflationsraten und ein Prof. Carlo Masala beschreibt in seinem Militärausgaben 1,572 Billionen Euro. 226 gewaltsam ausgetragene Konflikte. schon fast eine Dekade dauerndes Buch „Weltunordnung“, Der Blick in die Geschichte relativiert Niedrigzinsumfeld bieten dafür ideale wie es so weit kommen Das ist im Vergleich zu 2015 ein Plus von Davon waren 18 Auseinandersetzun allerdings die aktuelle Situation. Man Voraussetzungen, auf die nur ab und konnte. Marsalas These: Der Westen trägt eine 0,4 Prozent. Die „Top Five“ bei den gen Kriege der höchsten Eskalati könnte fragen, wann die Welt überhaupt an der Schatten der Weltpolitik fällt. Mitschuld. Seite in Ordnung war. Stellvertreterkriege In vielerlei Hinsicht ist die Welt zudem Seite Rüstungsausgaben sind die USA, China, onsstufe. Einer davon wird in Europa 16 Russland, Saudi-Arabien und Indien. geführt in der ostukrainischen Donbass- und politische Krisen waren seit 1945 im Kalten Krieg und auch danach eine heute stabiler als noch vor wenigen Jahren. Die schwerste Finanzkrise seit HEINRICH 17 fortwährende Begleiterscheinung. War dem Zweiten Weltkrieg wurde Stück für AUGUST WINKLER, Deutschland liegt mit 35,2 Milliar region, wo sich ukrainische Truppen und nicht schon kurz nach dem Ende des Stück abgearbeitet, ein Euro-Break-up ZERBRICHT DER WESTEN? den Euro auf dem neunten Platz. prorussische Separatisten bekämpfen. Ost-West-Konflikts mit dem Ausbruch des ist viel unwahrscheinlicher geworden. C. H. Beck, München Jugoslawienkrieges Fukuyamas Diktum 2017: Europa und Ame- rika haben mit vielen vom „Ende der Geschichte“ überholt? In den folgenden Essays und Beiträgen Herausforderungen betrachten der ehemalige Generaldirek- gleichzeitig zu kämpfen. Allerdings ist in den vergangenen tor des britischen Inlandsgeheimdiens- In der Folge steckt die westliche Welt in ihrer Quellen: Internationales Friedensforschungsinstitut Sipri, Jahren die mediale Aufmerksamkeit tes MI5 Lord Jonathan Evans, der Leiter „Konfliktbarometer 2016“ des Heidelberger Instituts für vielleicht schwersten Internationale Konfliktforschung (HIIK). gewachsen. Die Geschwindigkeit in der der Münchner Sicherheitskonferenz Bot- Krise. Der Historiker digitalisierten Berichterstattung und der schafter Wolfgang Ischinger, der ehe- Heinrich August Winkler analysiert die Ursachen, gewachsene Einfluss der sozialen Me- malige EU-Kommissionspräsident José erklärt die Zusammen- dien machen Orientierung schwieriger Manuel Barroso sowie David F. Milleker, hänge und sagt, was sich und tragen zum Teil sicherlich zur Ver- Chefvolkswirt von Union Investment, dringend ändern muss, wenn der Westen die unsicherung bei. Die Digitalisierung ist die Thematik aus politischer, gesell- Krise überwinden will. auch unter einem anderen Aspekt nicht schaftlicher und makroökonomischer nur ein Segen: Unternehmen und Staa- Perspektive. ‹ Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Essay 6 Min. Europäische Union Die Rolle Europas Werte Globalisierungslabor ESSAY J o s é M a n u e l B a r r o s o ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l in der neuen Wenn man die Rolle Europas in der neuen Weltordnung betrachtet, so muss man sich zunächst die For tschritte Weltordnung der Europäischen Union seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor Augen führen. S JOSÉ MANUEL BARROSO eit Unterzeichnung der Römischen Obwohl die NATO natürlich einen sehr wich- Seite Verträge 1957 hat die Europäische tigen Beitrag zur Gewährleistung unserer Seite 18 Jahrgang 1956, war von 2004 bis 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Gemeinschaft viele Aspekte der globa- len Ordnungspolitik vorangetrieben, indem sie Sicherheit leistet, ist es doch angebracht, die entscheidende Rolle der Europäischen Union 19 Am Anfang seines politischen Werde- beispielsweise Frieden, Wirtschaftswachstum hierbei anzuerkennen. Wie seinerzeit im Schu- gangs stand 1980 der Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Portugals und gemeinsame Werte gefördert hat. Sie ist man-Plan (Mai 1950) gefordert, ist zwischen (Partido Social Democrata, PSD), deren damit zum Vorbild für Zusammenarbeit in ei- den Ländern Europas „der Krieg nicht nur Vorsitzender er 1999 wurde. Von 1992 nem neuen internationalen Gefüge geworden. undenkbar, sondern materiell unmöglich“. bis 1995 war er Außenminister Portugals Die EU gewährt unseren Bürgern also eine und ab April 2002 Premierminister, bis Die Förderung des Friedens grundlegende Sicherheit, die unbezahlbar ist. er im Juli 2004 zum Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt wurde. Die grundlegende strategische Vision der Grün- Heute lehrt Barroso als Gastprofessor dungsväter der Europäischen Union war es Ich persönlich werde nie den Augenblick ver- an der Princeton University in den USA. zunächst, das politische Ziel des Friedens durch gessen, als ich 2012 in Oslo zusammen mit wirtschaftliche Integration zu erreichen. In Kollegen vom Europäischen Rat und vom Eu- dieser Hinsicht blicken wir auf eine einzigartige ropäischen Parlament im Namen der EU den Erfolgsgeschichte zurück: In den vergangenen Friedensnobelpreis für den „Beitrag zur Förde- 60 Jahren gab es keine Kriege zwischen Mit- rung von Frieden und Versöhnung, Demokratie gliedern der Europäischen Gemeinschaft oder und Menschenrechten über sechs Jahrzehnte generell in Westeuropa. hinweg“ entgegennahm. › Ausgabe 21 Ausgabe 2 // 2017 2017
Im Weitwinkel Essay Für mich bestätigt die Verleihung dieses sein, die in Artikel 2 des Vertrags von Lissabon niemandem verübeln könnte, bei der Erwäh- Man hatte allseits die Lektionen der Welt- Preises, einer der renommiertesten Auszeich- dargelegt sind. Diese Werte wurden in Europa nung einer „neuen Weltordnung“ zunächst wirtschaftskrise der 1930er-Jahre gelernt nungen unserer Zeit, die Relevanz der EU zwischen den Mitgliedsstaaten gefestigt und von einmal zu denken, dass eine „Weltordnung“ und im November 2008 trafen wir uns be- als Friedensgarant. dort aus weltweit verbreitet und gefördert. an sich schon eine gute Idee wäre. reits zu unserer ersten Sitzung in Washing- ton. Ein zweites Gipfeltreffen fand schon Wirtschaftswachstum Die zunehmende Rolle der Europäischen Union Durch die jüngsten grundlegenden Änderungen vier Monate später in London statt, und seit- Die Europäische Union hat auch einen enor- in der globalen Ordnungspolitik – die aus gewisser globaler Beziehungen ist die allge- dem hat sich die G20-Gruppe zum führen- men Beitrag zu Wohlstand, nachhaltigem ihrer Bedeutung als internationaler Akteur, meine Unsicherheit auf ein Niveau gestiegen, den Koordinationsforum für die Wirtschafts- Wachstum und wirtschaftlichem Zusammen- beispielsweise im Rahmen der UN, G7 und das beispielsweise weit über dem des Kalten politik ihrer Mitgliedsstaaten entwickelt, in halt geleistet. Das führte in Europa nicht nur G20, ersichtlich ist – zeigt, dass es möglich Krieges liegt. Dieser Eindruck beruht zum Teil dem viele der von der EU eingebrachten Kon- zu bislang ungekannten Ausmaßen wirtschaft- ist, gleichzeitig mit der Vertiefung und Erwei- auf einem fundamentalen Umbruch in unse- zepte konkrete Gestalt annehmen. Die Ent- lichen Wohlergehens – sowie zu sozialem und terung unserer Gemeinschaft auch externe rem Machtverständnis: Akteure in öffentlichen wicklung der G20-Gruppe stellt damit eine kulturellem Fortschritt –, sondern hat auch Fortschritte zu erzielen. Ämtern stehen heutzutage unter einem unver- der bedeutendsten Transformationen des glo- zur wirtschaftlichen Konvergenz der Mitglieds- gleichlichen Druck – hauptsächlich aufgrund balen Systems dar, und ihre Entstehung half, staaten beigetragen. Eine neue globale Ordnung der völlig veränderten Medienlandschaft der weitaus negativere Szenarien abzuwenden, Die EU ist somit offensichtlich das bisher vergangenen Jahre. die ohne diese Kooperation hätten eintreten Unser Wachstumsstreben geht mit unserem zu- fortgeschrittenste Beispiel für die Zusammen- können. kunftsweisenden Engagement für Nachhaltig- arbeit unterschiedlicher Staaten. Man könnte G20 und Klimawandel Seite keit einher. Ich bin stolz darauf, dass die EU, sie daher als eine Art „Globalisierungslabor“ Weiterhin ist erwähnenswert, dass die EU Fazit Seite 20 und insbesondere die EU-Kommission, deren Leitung mein Privileg war, für die Einführung betrachten. Ländern mit sehr unterschiedlichen geschichtlichen Hintergründen, politischen seit ihrer Entstehung stets eine Hochburg zwi- schenstaatlicher Zusammenarbeit und über- In einer immer unberechenbareren Welt brau- chen wir ein Europa mit mehr Selbstsicher- 21 des anspruchsvollsten Projekts zum Kampf ge- Systemen und Sozialmodellen, aber gemein- nationaler Entscheidungsfindung gewesen ist. heit. Europa muss – sowohl politisch als auch gen den Klimawandel verantwortlich war. Das samen Werten bezüglich Demokratie und Die EU sucht bei der Beschlussfassung instinktiv in Bezug auf seine Verteidigung – erwachsen EU-Klima- und -Energiepaket gab beispiellos Rechtsstaatlichkeit gelang es hier schließlich den Kompromiss. Daher ist es nicht überra- werden und seine eigenen Entscheidungen un- strikte Ziele für die Verringerung von Treibhaus- nicht nur, einen gemeinsamen Markt zu schend, dass sie sowohl bei der Gründung abhängig treffen und global einbringen. Wie gasemissionen vor. Dieses Projekt hat sich seit- schaffen, sondern darüber hinaus auch eine der G20 als auch bei der Suche nach einer es Angela Merkel ausdrückte: „Die Zeiten, dem als Inspiration für die Bemühungen der gemeinsame Rechtsordnung und gemeinsame gemeinsamen Antwort auf den Klimawandel in denen wir uns auf andere völlig verlassen Weltgemeinschaft erwiesen, eines der schwie- Institutionen zu akzeptieren. eine Schlüsselrolle spielte. konnten, die sind ein Stück vorbei. Wir Euro- rigsten und bedrohlichsten Probleme abzuwen- päer müssen unser Schicksal wirklich in unsere den, dem wir je gegenüberstanden. Nicht zuletzt durch den Globalisierungsprozess Ich erinnere mich noch lebhaft an ein Treffen eigene Hand nehmen.“ wird zunehmend klarer, dass die Herausforde- im Oktober 2008, als ich mit dem damaligen Eine Gemeinschaft der Werte rungen der heutigen Zeit – vom Klimawandel französischen Präsidenten Sarkozy nach Camp Dabei sollte die EU natürlich jegliche Selbst- Zudem ist wichtig, dass die Europäische Union über internationale Stabilität und Terrorismus- David in den USA reiste, um Präsident George zufriedenheit und Arroganz bezüglich ihrer nicht nur eine Wirtschaftsunion, sondern auch bekämpfung bis hin zur Migration – nicht W. Bush zu überzeugen, sich unserem Appell Errungenschaften vermeiden. Arroganz ist eine Union der Werte ist. Deshalb sollten wir allein durch individuelle Bemühungen einzel- zum Kampf gegen die Finanzkrise anzuschlie- stets ein Ausdruck von Dummheit. Stattdessen stolz auf die Beiträge der EU zur Weiterentwick- ner Regierungen bewältigt werden können. ßen. Trotz gewisser anfänglicher Zurückhaltung ist es die Rolle der EU, Lösungen für eine lung von Werten wie „Achtung der Menschen- Daher lässt sich das Konzept einer globalen wurde die Notwendigkeit globaler Maßnahmen Welt, die fortgeschrittenere Formen der würde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechts- Ordnungspolitik mit einer neuen Weltordnung akzeptiert. So entstand die G20-Gruppe in ihrer Ordnungspolitik benötigt, nicht anzuordnen, staatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte” verbinden, wobei man es auch heute wohl heutigen Form. sondern anzuregen. ‹ Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Essay 3 Min. ESSAY W o l f g a n g I s c h i n g e r ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l Europa Frieden politisches Interesse für Deutschland, als ein stabiles So sehr die Europäer insgesamt also EU-skeptischer Nicht den Kopf Sicherheitspolitik europäisches Umfeld zu schaffen und zu erhalten. geworden sein mögen: Sie spüren sehr genau, dass kleine Nationalstaaten zu unbedeutend und zu Nach der Finanzkrise, dem Brexit-Votum und dem schwach sind, um allein mit den globalen Herausfor- Erstarken rechter Populisten scheint es, als wollten derungen umzugehen. Sie wissen: Nur gemeinsam, in den Sand stecken die europäischen Bürger mehrheitlich nicht mehr, nur durch eine effektive EU-Außen- und -Sicherheits- sondern weniger Europa. Das mag für einige Berei- politik können unsere Interessen in der Welt mit che stimmen – aber nicht für die Außen- und Sicher- Nachdruck vertreten werden. Nur gemeinsam können heitspolitik: Laut einer Umfrage des Pew Research wir „ein Europa, das schützt“ (Macron), stärken. Jetzt, Center befürworten 74 Prozent der Befragten in zehn in der Zeit von Trump und Putin, wollen die Europäer EU-Staaten „eine aktivere Rolle der EU in internatio- an dieser Stelle Taten sehen: Wir müssen in der Es gibt leider kaum gute Nachrichten: Die internationale nalen Angelegenheiten“. Auch in Deutschland waren Außen- und Sicherheitspolitik mehr Europa wagen, es genau 74 Prozent. um uns selbst behaupten zu können. ‹ Sicherheitslage ist heute volatiler als zu irgendeinem Zeit- punkt seit dem Ende des Kalten Krieges. D ie europäische Sicherheitsordnung – Stich- Und trotz ihrer Schwächen hat die liberale Weltord- Seite wörter: Krimannexion und Ukrainekrieg – ist nung im Großen und Ganzen eine bemerkenswerte Seite 22 in eine tiefe Krise gestürzt. Der Krieg in Syrien hat sich zu einem regionalen Flächenbrand entwickelt Ära von Frieden und Prosperität ermöglicht. Sie ist auch prinzipiell in der Lage, sich an aufstrebende WOLFGANG ISCHINGER 23 und die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Ende Mächte und eine veränderte Weltlage anzupassen. des Zweiten Weltkriegs gezeitigt. Terroranschläge des Und doch ist eine zentrale Frage unserer Zeit: Sind die Jahrgang 1946, ist Jurist und Diplomat. „Islamischen Staates“ haben europäische Metropolen Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg nur eine liberale Er war beamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie Botschafter in schwer getroffen. Der US-Präsident stellt offen ameri- Momentaufnahme gewesen, die jetzt einer neuen, Washington, D.C. und London. Seit 2008 kanische Bündnisverpflichtungen infrage und scheint illiberalen Ära weicht? Werden dann auch größere leitet er die Münchner Sicherheitskon- wenig von langfristiger, durchdachter Politik zu hal- Spannungen und gar offene Auseinandersetzungen ferenz. Botschafter Wolfgang Ischinger ten. In Korea droht eine Eskalation der Nuklearkrise. zwischen den Großmächten, nicht zuletzt zwischen ist Gastredner der Risikomanage- Wichtige Grundpfeiler des Westens und der liberalen den USA und China, von der Ausnahme zur Regel? ment-Konferenz von Union Investment im November 2018. internationalen Ordnung, nicht zuletzt die NATO und Zumindest müssen wir davon ausgehen, dass die die EU, sind angeschlagen. Die Gegner offener Ge- Weltordnung unsicherer, komplizierter und komplexer sellschaften sind auf dem Vormarsch. Und viele Bürger wird. Und dass die Länder des Westens um ihren Ein- in Demokratien verlieren zunehmend den Glauben, fluss kämpfen müssen, damit die wichtigen Entschei- dass ihre politischen Systeme für sie positive Verände- dungen nicht künftig anderswo getroffen werden. rungen bewirken können – und setzen auf nationale Lösungen und geschlossene Grenzen. Ohne Europa ist alles nichts. Dieser Grundsatz der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gilt nach Was tun? Zunächst einmal: Nicht den Kopf in den wie vor. Auf die Unsicherheiten der Gegenwart mit Sand stecken! Die EU ist in den vergangenen Mona- einem Rückzug in den Nationalstaat zu antworten ten auf dem Weg der Besserung. Die USA sind weit wäre ein Holzweg, der weder Frieden noch Wohl- mehr als Trump – und werden sich wieder erholen. stand bringen kann. Es gibt kein wichtigeres außen- Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Blickpunkte Öl durch die Brille ILLUSTRATION K e r s t i n L u t t e n f e l d n e r 3 Min. Öl Wirtschaft C h i n a „Ich bin der größte Ölimporteur der Welt. der Handelnden Global Meine Wirtschaft ist energiehungrig, mein Volk auf- stiegswillig. Versorgungssicherheit und billige Prei- se sind daher für mich oberstes Gebot. Ohne be- zahlbares Petroleum wäre mein Wachstumsmodell in Gefahr. Perspektivisch könnte ich mir daher gut vorstellen, meine Fühler noch stärker zu den vom Öl ist der Schmierstof f der Welt wir tschaf t. Doch der Markt ist im Westen verschmähten Förderländern auszustrecken. Bei Metallen hat das in Afrika schon hervorragend Umbruch, die Interessen der Akteure verschieben sich. Unsere Fonds- funktioniert. Mal sehen, ob ich nicht auch auf dem Ölmarkt interessante Partnerländer finde. Vielleicht manager schlüpfen in die Rolle der Protagonisten und erläutern Venezuela? Ein zweites Standbein meiner Strategie ist die Senkung des Verbrauchs. Denn: Auch durch deren Motivation. meinen Öldurst versinken meine Städte im Smog, S a u d i - A ra b i e n „Eigentlich bin ich der König die Einwohner werden krank. Elektroautos und er- auf dem Ölmarkt. Dank der Kombination aus immen- neuerbare Energien helfen mir daher, den sozialen sen Vorkommen und günstigen Förderkosten habe Frieden zu wahren.“ ich über Jahrzehnte das Feld dominiert und dabei U S A „Schieferölunternehmen wie ich sind unge- viel Geld verdient. Dann kam die Schieferölrevoluti- liebte Exoten im Ölmarkt. Ich arbeite nach ökono- MICHAEL MÜLLER on. Neue Spieler griffen meine Wettbewerbsstellung Seite mischen Kriterien, politische Ränke sind mir fremd. Senior Portfolio Manager Commodities an. Zunächst habe ich mit einer Angebotsschwemme Seite 24 Geld verdienen ist mein Ziel. Dafür nutze ich die neueste, wenngleich umstrittene Technologie: Fra- bei Union Investment versucht, sie aus dem Markt zu pumpen – zulasten meiner Staatsfinanzen. Für die Sicherung meiner Dy- 25 cking. Meine Regierung unterstützt mich, denn sie nastie brauche ich aber die Petrodollars. Und damit hat genug von Potentaten jenseits der Meere. Sie einen einträglichen Ölpreis. Außerdem hat mein Plan will Energieunabhängigkeit – und ich kann sie ihr nicht funktioniert, denn Schieferöl ist immer noch geben. Die saudische Pumpoffensive von 2014 hat da. Inzwischen verfolge ich deshalb die umgekehrte mich an den Rand des Ruins gebracht. Meine In- Strategie: weniger Öl durch Förderkürzungen. Damit vestoren wurden mächtig nervös. Aber ich habe den mein Plan aufgeht, muss die OPEC mitmachen, und R u s s l a n d „Öl und Gas sind der Treibstoff Wüstensturm durch Effizienzsteigerungen und Kos- das tut sie auch. Aber wie lange noch?“ meiner Wirtschaft. Auch deshalb haben mich die teneinsparungen überstanden. Heute bin ich wie- fallenden Preise in den vergangenen Jahren in der da, stärker denn je. Meine Grenzkosten sind DANIEL BATHE die Rezession gezogen. Zu allem Überfluss leide gefallen, zudem ist meine Förderung hochflexibel. Senior Portfolio Manager im Team ich auch noch unter den Sanktionen des Westens aus So schnell werden die Saudis mich nicht mehr los.“ Asset Allocation bei Union Investment dem Ukrainekonflikt. Deshalb habe ich nach dem Preisverfall zunächst gefördert, was das Zeug hält. MICHAEL HERZUM Gebracht hat es mir nichts. Heute beteilige ich mich Leiter Multi Asset & Commodities Strategy deshalb an den Produktionskürzungen der OPEC. bei Union Investment UNSERE POSITION Mittelfristig muss wohl auch ich meine Rohstoff- abhängigkeit verringern, doch noch bin ich der Die globale Nachfrage steigt, während das Angebot durch die Förder- größte Ölförderer der Welt.“ kürzungen der OPEC gedeckelt ist. Die US-Produktion reicht allein nicht aus, um den höheren Bedarf zu bedienen. Daher befindet sich der THOMAS BENEDIX Ölmarkt aktuell im Defizit, die Lagerbestände Lagerbestände sinken. Ein anhaltend Senior Portfolio Manager Commodities höheres Preisniveau – bei rund 57 US-Dollar je Fass der Sorte Brent zur bei Union Investment Jahresmitte 2018 − ist die Folge. Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Infografik Appetit auf Weltmacht Wenn es um die globale Führungsrolle geht, dann läuft alles auf ein Duell zwischen den USA und China hinaus. Die Volksrepublik In Mio. kann dabei mit bemerkenswerten Zahlen auf warten. 3 BEVÖLKERUNG Mit dem Schritt vom kommunistischen Agrarstaat Elektromobilität ist das Reich der Mitte schon auf zur sozialistischen Marktwirtschaft entwickelte dem Weg zur Weltspitze. Der Vergleich zeigt, dass 320 1.385 sich China ab den 1990er-Jahren zur Werkbank sich China hervorragend positioniert hat, um die USA Anmeldungen pro Jahr in Tsd. der Welt. Jetzt will die Volksrepublik ihr enormes als führende Volkswirtschaft der Welt abzulösen. Der ELEKTROAUTOS 2 Potenzial nutzen, um immer mehr Hochtechnologie Appetit des bevölkerungsreichsten Landes der Welt zu produzieren. In Zukunftsbranchen wie der dürfte jedenfalls noch lange nicht gestillt sein. 84 409 3 PATENTE 589 1.102 Seite Seite 26 STAATSSCHULDEN 4 27 Pro Kopf, in US-Dollar 68.017 3.022 In Bill. US-Dollar 1 WÄHRUNGSRESERVEN 0,1 3,3 VERFÜGBARES EINKOMMEN 3 39.513 2.993 2 MILITÄRAUSGABEN MILITÄRAUSGABE 0,6 0,2 In Mrd. US-Dollar In Bill. US-Dollar 2 HANDELSBILANZ BRUTTOINLANDSPRODUKT 2 −797 511 18,6 11,2 1 Februar 2017. 2 2016. 3 2015. 4 2017. Quellen: Weltbank, Statista, boerse.de Finanzportal, Visual Capitalist, Sipri, World Intellectual Property Organization, Spiegel Online. Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Essay 3 Min. darauf konzentrieren. Es ist außerdem ratsam, dass Cyberspace Sie die Abwehr eines Cyberangriffs üben. Der Großteil Sicherheit ESSAY L o r d J o n a t h a n E v a n s ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l des von Cyberangriffen verursachten Schadens kann Wirtschaft vermieden werden, wenn ein Unternehmen wirklich Gefahr aus dem weiß, wie es einen Angriff abwehren kann. Hier heißt es also: üben, üben, üben! In Zukunft ist mit einer Zunahme der Häufigkeit und Cyberspace des Umfangs dieser Angriffe zu rechnen, und wir gehen davon aus, dass Hacker zunehmend fortge- schrittene Technologien, etwa künstliche Intelligenz, einsetzen werden. Künstliche Intelligenz wird ande- rerseits auch schon von einigen führenden Netzsi- LO R D J O N AT H A N cherheitsunternehmen eingesetzt, um Angriffe besser E VA N S , B A R O N E VA N S abzuwehren. Es ist durchaus vorstellbar, dass ein O F W E A R DA L E Das Internet führt vielleicht zu Wohlstand, Aufklärung und künftiger Cyberkrieg vom Kampf zwischen Maschinen geprägt sein wird, wobei die leistungsfähigsten Jahrgang 1958, nicht exekutives Effizienz, aber es hat auch seine finsteren Seiten. Wir sollten Technologien die Oberhand gewinnen werden. ‹ Vorstandsmitglied der Großbank HSBC. Lord Evans begann seine Laufbahn in den 1980er-Jahren beim diese Risiken nicht außer Acht lassen. britischen Geheimdienst. Zwischen 2007 und 2013 war er Generaldirek- Seite tor des britischen Inlandsgeheim- Seite 28 29 dienstes MI5. In dieser Funktion D beriet er die Regierung in nationalen ie Risiken im Cyberspace werden uns zwar Wie sollten wir also auf dieses sich dynamisch ent- Sicherheitsfragen wie Terrorismus, zunehmend bewusst, aber es bleibt weiter- wickelnde Szenario reagieren? Es ist natürlich immer Cybersecurity und Spionage. Lord hin eine Herausforderung, sie zu kontrol- noch wichtig, die Software auf dem neuesten Stand Evans verantwortete unter anderem lieren oder sogar auszuschalten. Das liegt unter zu halten, Antivirensoftware zu installieren und das Sicherheitskonzept für die anderem daran, dass das Ausmaß der Bedrohungen sichere Passwörter zu verwenden, aber Unterneh- Olympischen Spiele in London 2012. Lord Evans ist im November 2018 stetig zunimmt. Vor ein paar Jahren noch haben uns men, die sich ganz auf ihre IT-Infrastrukturen verlas- Gastredner der 13. Risikomanage- gelegentlich Hacker beunruhigt, die – womöglich sen wollen, müssen mehr tun. Wichtig ist vor allem ment-Konferenz von Union politisch motiviert – Webseiten veränderten, um mit die Erkenntnis, dass es sich hierbei um ein wirklich Investment. politischen Botschaften Aufmerksamkeit zu erregen. gravierendes Geschäftsrisiko handelt und nicht um Die Hacker von heute sind immer öfter Kriminelle, irgendein technologisches Problem. Fast die Hälf- Spione, Militärs oder Terroristen. Und obwohl auch te aller Verletzungen der Netzsicherheit werden von Webauftritte immer noch attackiert werden, ist es „Insidern“ verursacht, entweder absichtlich oder un- viel wahrscheinlicher, dass Hacker versuchen, wert- absichtlich. Bei der Netzsicherheit ist und bleibt der volle Informationen zu stehlen, per Erpressungs- Mensch eben immer noch ein entscheidender Faktor. software Geld zu fordern oder ganze IT-Systeme lahmzulegen. Mit der Entwicklung des Autos hin zum Es ist aber auch wichtig zu verstehen, welche Berei- „rollenden Computer“ ist die Automobilindustrie che der IT, zum Beispiel die Daten oder die Systeme, besonders anfällig dafür geworden. Aber auch Regie- von größerer Bedeutung für Ihr Unternehmen sind. rungen müssen sich damit befassen, wie sie kritische Es ist nämlich schwierig, alle Bereiche gleich zu Infrastrukturen vor Angriffen durch Terroristen oder schützen. Sie sollten daher die „Kronjuwelen“ Ihres feindlich gesinnte Staaten schützen können. Unternehmens identifizieren und Ihre Ressourcen Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Analyse TEXT D a v i d F . M i l l e k e r ILLUSTRATION M e l a n i e B r i l l 5 Min. S eit 2008 läuft es in der Welt nicht mehr so, wie wir es vorher gewohnt waren. Wachstum und Welthandel laufen schwächer. Der grenzüberschreitende Handel Kapital- und Kreditverkehr ist ins Stocken geraten. Protektionismus, Populismus Brexit und vermehrt auch „illiberale Demokratie“ leben auf. Oder kurz: Der mit dem Fall des Normen „Eisernen Vorhangs“ häufig verbundene beziehungsweise erhoffte Siegeszug von Marktwirtschaft und Demokratie unter dem Stichwort „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) ist nicht erfolgt. Diskontinuitäten im Sinne von Trendbrüchen werden häufig unterschiedlich wahr- genommen. Erfolgen sie abrupt – etwa im Sinne eines Kriegsausbruchs –, werden sie stärker empfunden, als wenn sie sich schleichend vollziehen. Zum Glück befinden wir uns aktuell eher im letzteren Fall. Dennoch wird dies häufig als Unordnung empfunden, weil wir uns eben nicht mehr in den geregelten Bahnen des Prozesses befinden, der seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu gelten schien – stetige Öffnung für internationalen Handel, Intensivierung von Vorleistungsketten über Ländergrenzen hinweg und Hinwen- dung zu immer offenerem Kapitalverkehr. Das ging mal schneller, mal langsamer – aber immer in die gleiche Richtung. Das galt global wie regional. Immerhin ist der EU-Binnen- markt, der 1993 in Kraft trat, das wohl weitreichendste Projekt der Handelsliberalisierung auf regionaler Ebene. Heute dagegen reden wir nicht mehr nur über die Nichtratifizie- rung von Handelsabkommen (etwa TPP, TTIP), sondern mit Brexit und Aufkündigung von NAFTA über Handelsdesintegration. Seite Für den Trendbruch gibt es zyklische wie auch strukturelle Gründe. Zu den zyklischen Seite 30 zählt sicher, dass Globalisierung im Sinne offener Grenzen beidseitig wirkt – man profitiert von besseren Entwicklungen im Ausland, aber importiert auch die Probleme 31 der Welt. Wenn, wie nach der Finanzkrise oder den rollierenden Krisen in verschiede- nen Teilen der Weltwirtschaft zwischen 2011 und 2016, offene Grenzen nicht mehr als Vorteil, sondern vermehrt als Problemimport wahrgenommen werden, schwindet verständlicherweise das Verständnis für sie. Die Sache mit dem Chlorhühnchen Trendbrüche Zu den strukturellen Gründen gehört aus ökonomischer Sicht, dass wir quasi aus rechtlich-historischer Perspektive an gewisse Grenzen stoßen. Das soll im Folgen- den am konkreten Fall des Brexits illustriert werden, wobei dann das inzwischen berühmt-berüchtigte Chlorhühnchen eine wichtige Rolle spielen wird. und ihre Folgen Bekanntermaßen ist eine Wunschvorstellung der Briten, nach dem EU-Austritt zahlrei- che Freihandelsabkommen mit Drittstaaten zu schließen und gleichzeitig weitgehend Teil des Binnenmarktes zu sein (ohne freilich an dessen Regeln gebunden zu sein). Ein wesentliches historisches Erbe Großbritanniens ist dabei die Teilung der irischen Insel in einen überwiegend katholischen Süden (Republik Irland) und einen überwie- gend protestantischen Norden (Provinz Ulster). Beide Teile haben seit dem nordirischen Die unterschiedliche Wahrnehmung von Diskontinuitäten Friedensabkommen und über die noch bestehende EU-Mitgliedschaft Großbritanniens inzwischen eine grüne Grenze ohne die martialisch anmutenden Grenzbefestigungen, und der Umgang mit ihnen. Von David F. Milleker. die bis 1998 bestanden. › Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Analyse Nun aber zur Krux weiterer Handelsliberalisierungen und zum Chlorhühnchen. Etwas vereinfachend gesprochen, spielen Zölle heutzutage (fast) keine Rolle mehr. Dafür be- schränken Produktstandards umso mehr den Marktzugang. Im Extremfall ist ein Pro- dukt oder Produktionsprozess in einem Land zugelassen, im anderen nicht. So ist die DAV I D F. Desinfektion von Lebensmitteln mit Chlordioxid in der EU untersagt und ebenso deren Einfuhr, wie z. B. die des Chlorhühnchens. In Nordamerika gilt das nicht. De facto zwingt MILLEKER dies natürlich US-amerikanische oder kanadische Hersteller solcher Produkte, bei Ex- ist seit November 2006 porten auf den europäischen Markt unterschiedliche Produktionsverfahren einzuset- Chefvolkswirt bei Union Investment. Davor zen, was sich in den meisten Fällen nicht lohnen wird. Dies ist nur ein Beispiel, aber ver- arbeitete er für das mutlich gibt es eine nahezu endlose Reihe weiterer: Abgasgrenzwerte, die Anordnung Frankfurter Institut /den am Armaturenbrett, usw. Kronberger Kreis und Allianz Dresdner Nun stoßen bei Handelsabkommen wie TTIP und CETA vor allem historisch gewachsene Economic Research. Regulierungssysteme aufeinander. In Europa werden Produkte offiziell zugelassen, was die Hersteller außer bei Auflagenverstößen auch aus der Haftung entlässt. In den USA hinge- gen gilt ein Zulassungsgrundsatz bei anschließender, harter Haftung für Produktfehler. Zugang zum Binnenmarkt über die grüne Grenze Im konkreten Fall Großbritanniens und der grünen Grenze in Irland gilt: Es wird schlicht nicht möglich sein, dass man sowohl mit der EU als auch mit den USA parallel Freihandelsabkommen und zusätzlich eine grüne Grenze in Irland hat. Dies setzt eine weitreichende wechselseitige Normenanerkennung voraus, die es nicht gibt. Denn Seite faktisch würde ein Modell nach britischem Gusto darauf hinauslaufen, dass zum Bei- Seite 32 spiel das Chlorhühnchen erst aus den USA nach Großbritannien kommt. Anschließend würde es seinen Weg über die grüne Grenze zwischen Ulster und der Republik Irland 33 nehmen, um so im europäischen Binnenmarkt zu landen. Oder anders formuliert: Wenn wir über weitere Handelsliberalisierung und damit ein Fortschreiben der Globalisierung reden, wird dies im Wesentlichen nicht mehr über die Beseitigung von Zollschranken gehen. Vielmehr liegt der Kern nun darin, Produkt- und Produktionsnormen anderer Länder anzuerkennen. Für die Hersteller eröffnet dies über größere Produktionsmengen nach einheitlichen Verfahren Skaleneffekte. Allerdings um den Preis, dass über die Normenanerkennung auch wesentliche Souve- ränitätsrechte („was ist bei mir zulässig?“) des Nationalstaats aufgegeben werden. Ganz deutlich wird dies wiederum am Beispiel des EU-Binnenmarktes: Hier ist erst einmal alles zugelassen, was in einem einzelnen Mitgliedsstaat zulässig ist. Es sei denn, seitens der EU-Kommission wird ein einheitlicher Mindeststandard gesetzt. Natürlich kann man Normen über Bananenkrümmung und die Brüsseler Bürokratie belächeln. Sie sind aber im Wesentlichen Ausdruck genau dieses Prozesses der Entwicklung von „Zölle spielen heutzutage ( fast ) Einheitsnormen. keine Rolle mehr. Dafür beschränken Auf globaler Ebene würde dies natürlich noch viel, viel komplexer werden – wäre aber genau das, was es bräuchte, um die Welt auf dem Weg zu noch viel tieferer Integration zu Produktstandards umso mehr halten. Und wie geht es mit den Briten weiter? Nun, einfach gesprochen: In London wer- den wohl in nicht allzu ferner Zukunft einige Wunschträume wie Seifenblasen platzen. ‹ den Marktzugang.“ D AV I D F. M I L L E K E R Ausgabe 2 / 2017
Im Weitwinkel Fazit U n s ich er h eit en n eh m en z u : Seit eini- gen Jahren haben weltweit die geopolitischen Risiken zumindest gefühlt zugenommen. Lange bestehende Wirtschafts- und Sicherheitsarrangements werden in- frage gestellt. Und von Nordkorea bis nach Venezuela haben sich Krisenherde entwickelt, deren Eskalation auf andere Länder übergreifen könnte. Ist die Die gu t e Nach r ich t : Bisher ist der Welt trotz vieler Konflikte ein internationaler Flächenbrand erspart geblieben. Es gab bislang keinen unmittel- baren militärischen Konflikt zwischen Großmächten und weder die EU noch die Eurozone sind zusam- Stimmung mengebrochen. Die dem Wortlaut nach radikalen Ankündigungen aus den USA sind in der Regel Drohungen geblieben. Doch die Risiken bestehen natürlich weiter. Seite Seite besser als 34 Gelas s en h eit der A n leger : Ungeachtet der geopolitischen Gefahrenlage haben die globalen 35 Finanzmärkte neue Höhen erreicht. Werden diese Risi- ken von Investoren also einfach ausgeblendet? Ist die Stimmung besser als die Lage? Sind die Investoren gar die Lage? „complacent“? Oder handeln die Anleger trotz wilder Schlagzeilen kühl, rational – und letztlich adäquat? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen wird es zwar nicht geben. Jedoch zeigt die Entwicklung der ver- gangenen Jahre eine Welt, die nach neuen Strukturen und einem neuen Ordnungssystem sucht: Geopolitik ist nicht alles am Kapitalmarkt – aber ihre Bedeutung nimmt eindeutig zu. ‹ Ausgabe 2 / 2017
Finanzstrategen Finanzstrategen 6 Min. Pharma Familienunternehmen Strategie Überfliegerin in der Pharmabranche TEXT A n n a - M a r i a B o r s e FOTOS B e r n d E u r i n g Seite Simone Menne gehör t zu den wenigen Frauen, die es in der deut- Seite 36 schen Wir tschaf t ganz nach oben geschaf f t haben – und dazu noch 37 im männerdominier ten Finanzressor t. Der Wechsel von Luf thansa zu Boehringer Ingelheim hat viele überrascht. S ie war für die Deutsche Lufthansa Medikamente für Mensch und Tier statt im nigerianischen Lagos, hat Fluggesellschaft, Familienunternehmen sich für den Luftfahrtkonzern um statt Aktiengesellschaft, 16 statt 32 den Sanierungsfall British Midland Air- Milliarden Euro Umsatz – der Schritt von ways gekümmert, dessen Abspaltung der Lufthansa zu Boehringer war kein vom Konzern verantwortet und wur- kleiner. „Mir war wichtig, mich noch in de dann Finanzchefin beim „Kranich“. einer anderen Industrie und in einem ganz Doch Simone Menne liebt Neuland und anderen Umfeld zu beweisen“, erklärt Herausforderungen. Mittlerweile ist sie Menne ihren für viele überraschenden Finanzvorständin beim Pharmakonzern Wechsel im September 2016. Bereut hat Boehringer Ingelheim. die 57-Jährige den Schritt nicht: › Ausgabe 2 / 2017
Finanzstrategen Finanzstrategen SIMONE MENNE Jahrgang 1960, ist seit September 2016 Finanzchefin von Boehringer Ingelheim. Ihre Berufslaufbahn begann sie nach einem BWL-Studium in Kiel 1987 in der Revisions- abteilung der ITT Corpora- tion. 1989 wechselte sie zur Lufthansa, ab 1992 leitete sie das Rechnungswesen für Westafrika. Danach folgten weitere Führungspositionen im Konzern, 2012 wurde sie dann – als erste Frau in einem DAX-Konzern – Finanzvorstän- din. Im August 2016 ging sie auf eigenen Wunsch zu Boehringer. Menne lebt jetzt am Rhein, ist aber noch oft in Kiel. Ihr Herz gehört dem Norden – und der guten Luft dort. Weltunordnung ist für mich … … sich nicht die Zeit zu nehmen, Seite über etwas in Ruhe und mit aus- Seite reichender Gelassenheit nachzu- 38 denken, und zu impulsiv und ohne Berücksichtigung der Konsequen- 39 zen zu agieren. „Sehr erfrischend“ sei der Neuanfang ge- Die Finanzvorständin, vom „Handelsblatt“ emotionale Verbundenheit der Familie wesen. Menne ist überzeugt: Umsatz oder einmal als „sehr gradlinig und unab- mit dem Unternehmen und dessen Pro- Mitarbeiterzahl sind nicht die entschei- hängig“ beschrieben, schätzt zudem die dukten führe auch zu einer Langfristigkeit denden Größen für einen interessanten Vorteile eines familiengeführten Unterneh- im Denken. Job. Geradezu fasziniert ist sie von der mens: das Engagement der Eigentümerfa- Wie das Geschäft läuft Materie. „Es ist unglaublich, mit welcher milie, das über Marge, Dividende oder eine Kampf gegen Alzheimer intrinsischen Motivation die Kollegen Aktienkurssteigerung hinausgeht. „Es ist und Parkinson 2016 legte der Umsatz auf insgesamt 15,9 Milliarden Euro zu – währungsberei- nigt ein Plus von 7,3 Prozent. Der Umsatz in der Humanpharmasparte kletterte daran arbeiten, Menschen etwas Gutes zu wesentlich persönlicher: Hier sitze ich Auge Zu Boehringer stieß sie in der Zeit eines um 7,4 Prozent auf rund 12 Milliarden Euro, bei den Tiermedikamenten um tun.“ Außerdem: „Die Luftfahrtbranche in Auge mit einem der Eigentümer, mit großen Umbruchs – wohl des größten in 7,1 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro und bei der biopharmazeutischen gilt wegen der Internationalität als span- dem ich mich austauschen kann. Bei der der 132-jährigen Firmengeschichte. Im Auftragsproduktion um gut 6 Prozent auf 613 Millionen Euro. Der Rest entfiel auf das mittlerweile verkaufte Selbstmedikationsgeschäft. Für das erste nend, doch international ist Boehringer Lufthansa war das nicht möglich: Da ist Juni 2016 vereinbarte der – hinter Bayer – Halbjahr 2017 meldete Boehringer ein Umsatzplus von 24 Prozent, das auch von auch selbst in Ingelheim mit über 60 der Aktienbesitz stark fragmentiert, auch zweitgrößte deutsche Pharmakonzern der Merial-Übernahme geprägt ist, und für das Gesamtjahr stellte der Konzern Nationalitäten auf dem Werksgelände.“ viele Hedgefonds sind investiert.“ Die einen Spartentausch. › einen deutlichen Umsatzanstieg in Aussicht. Ausgabe 2 / 2017
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