20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO

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20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
Bundesarbeitsgemeinschaft
                       für Rehabilitation

Schwerpunkt

20 Jahre SGB IX

     BAR | REHA-INFO
     2/2021
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
Editorial

      4   Schwerpunkt
     		   20 Jahre SGB IX
     		   Gesellschaftlicher Wandel
     		   im Spiegel der Sprache
      6 Vom Programmsatz
     		 zum Leistungsgesetz?                                                                      Prof. Dr. Helga Seel
      7 Ein Meilenstein auf dem                                                                   Geschäftsführerin der BAR

     		 Weg zur Inklusion
      8 Was wird im Hoch-
     		 schulbereich getan?                                            Liebe Leserin und lieber Leser,
     10   Reha-Entwicklung                                             in unruhigen Zeiten, wie wir sie gerade durchleben, treten zurücklie-
     		   AOK Baden-Württemberg:
                                                                       gende Ereignisse eher in den Hintergrund. Es gilt, aktuelle Probleme
     		   Beratung im Rahmen des
                                                                       schnell zu lösen – da bleibt kaum Zeit und Muße für Rückbesinnung.
     		   Bundesteilhabegesetzes
                                                                       Wir haben uns dennoch vorgenommen, ein historisches Thema in
     11 Software Easy Reading:                                         dieser Reha-Info als Schwerpunkthema aufzugreifen.
     		 Digitale Teilhabe von Menschen
     		 mit Lernschwierigkeiten                                        Vor 20 Jahren trat das SGB IX in Kraft. Evolution oder Revolution?
     12   Recht                                                        Nein, eine Revolution war es nicht – dann hätte man einer Umstruktu­
     		   Zuständigkeitsklärung nach                                   rierung des gesamten Systems der Rehabilitation den Vorzug gege-
     		   § 14 SGB IX: Mehrere Anträge                                 ben. Ja, eine Evolution war es schon. Das Prinzip der Selbstverwaltung
     		   bei verschiedenen Reha-Trägern                               als Vorteil des gegliederten Systems der vier Sozialversicherungsträ-
                                                                       ger wurde beibehalten, das Reha-Geschehen selbst und seine Aus-
          Impressum                                                    gestaltung wurden weiterentwickelt.
          Reha-Info der BAR, Heft 2, April 2021                        Einen zentralen Aspekt der Weiterentwicklung haben die Menschen
          Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft für                   mit Behinderungen selbst eingebracht. Mit „Nicht über uns, sondern
          Rehabilitation (BAR) e. V., Solmsstr. 18,
          60 486 Frankfurt am Main                                     mit uns“ haben die Experten in eigener Sache gefordert und durch-
          Verantwortlich für den Inhalt:                               gesetzt, dass sie über Organisationen, die auf Bundesebene die Inter-
          Prof. Dr. Helga Seel
                                                                       essen chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten, Mitbe-
          Redaktion: Günter Thielgen (verantwortlich), Dr. Regina
          Ernst, Franziska Fink, Bernd Giraud, Dr. Teresia Widera      ratungs- und Antragsrechte bekommen. Mit der Verankerung eines
          Rechtsbeitrag: Dr. Christiane Goldbach, Marcus Schian        Rechtsanspruchs auf Förderung ihrer selbstbestimmten Teilhabe
          Telefon: 069/605018–0                                        durch Teilhabeleistungen wurde der immer wieder beklagten Wahr-
          E-Mail: info@bar-frankfurt.de
          Internet: www.bar-frankfurt.de                               nehmung, als Bittsteller behandelt zu werden, entgegengetreten.
          Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V.
          (BAR) ist der Zusammenschluss der Reha-Träger. Seit
          1969 fördert sie im gegliederten Sozialleistungssystem
                                                                       Eine lernende Gesetzgebung akzeptiert gesellschaftlichen Wandel,
          die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die        bindet die Menschen, um die es geht, aktiv ein, nimmt Lebenssituatio-
          BAR koordiniert und unterstützt das Zusammenwirken
          der Reha-Träger, vermittelt Wissen und arbeitet mit an       nen zum Ausgangspunkt der Hilfeleistung und blickt auf den ganzen
          der Weiterentwicklung von Rehabilitation und Teilhabe.       Menschen. Mit dem SGB IX und seinen vielen neuen Regelungen hat
          Ihre Mitglieder sind die Träger der Gesetzlichen Renten-,
          Kranken- und Unfallversicherung, die Bundesagentur           der Gesetzgeber das politische Ziel vorgegeben.
          für Arbeit, die Bundesländer, die Bundesarbeitsgemein-       Es reicht nicht, neue Regeln zu beschließen. Damals wie heute gilt,
          schaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen,
          die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger       dass Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen,
          der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe, die Kassen-
                                                                       Beratungsdienstleistungen bis hin zu finanziellen Unterstützungsmög-
          ärztliche Bundesvereinigung sowie die Sozialpartner.
          Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,         lichkeiten erst dann mit Leben erfüllt werden, wenn sie genutzt werden.
          sind nur mit Genehmigung der BAR gestattet.                  Erfolg und Qualität eines Gesetzes liegen nicht in der 1:1-Umsetzung
          Druck: reha gmbh, Saarbrücken
                                                                       seiner Vorschriften, sondern in ihrer der Teilhabe von Menschen mit
          Druckauflage: 3.000 Exemplare
                                                                       Behinderung dienenden Anwendung.
          Schlussredaktion und Grafik: Perfect Page, Karlsruhe
          Jill Köppe-Ritzenthaler, Clarissa Rosemann
          Titelbild: Talaj (1), reeel (1), adobe stock                 Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre,
          Composing: Clarissa Rosemann
                                                                       Ihre Helga Seel
          Gedruckt auf Umweltpapier Circleoffset Premium White,
          FSC®-zertifiziert, Blauer Umweltengel und EU Ecolabel

2   Reha-Info der BAR | 2-2021
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
Tipps & Tools
Foto: sdecoret, adobe stock

                                                                                      Online-Seminar Reha-Prozess

                                                                           ● Fristen und Zuständigkeiten klären, Bedarfe feststellen,
                                                                             Teilhabe planen
                                                                              In diesem Online-Seminar (29. bis 30. Juni) lernen die Teilnehmenden einzelne
                                                                           Phasen des Reha-Prozesses kennen und in diesem Zusammenhang auch gesetz-
                                                                           liche Regelungen, die für die Praxis wichtig sind. Erörtert und vorgestellt werden trä-
                                         Online-Seminar ICF                gerübergreifende Vereinbarungen zur Umsetzung sowie konkrete Praxis-Werkzeuge
                                                                           und Hilfestellungen, die die Umsetzung der Anforderungen des SGB IX erleichtern.
                              ● Einführung in die ICF                      Die erworbenen Kenntnisse werden anhand von Fallbeispielen im Seminar angewen-
                                 Die Internationale Klassifikation der     det und so für den Arbeitsalltag nutzbar gemacht. Außerdem gibt es in diesem Semi-
                              Funktionsfähigkeit, Behinderung und Ge­-     nar auch genügend Raum zum trägerübergreifenden Praxisaustausch.
                              sundheit (ICF) stellt eine akteursüber­-
                              grei­fende „Sprache“ zur Beschreibung von           www.bar-frankfurt.de > Service > Fort-und-Weiterbildung >
                              Gesundheitszuständen zur Verfügung.                 BAR-Seminare
                              Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG)
                              hat die ICF eine weitere rechtliche Stär-
                              kung erfahren und ist dadurch im Be­-
                              reich der Bedarfsermittlung und für die
                              sozialmedizinische Begutachtung wich-
                              tig. Für die tägliche Arbeit in den Be­
                                                                                      Reha und Teilhabe
                              reichen Rehabilitation und Teilhabe ist
                              die ICF damit unerlässlich. In diesem        ● Verzeichnis der Ansprechstellen
                              Online-Seminar (8. Juli) werden Grund-          Die Ansprechstellen für Rehabilitation und Teilhabe bleiben auch während der
                              lagen vermittelt, um die Klassifikation zu   Corona-Pandemie durch eine telefonische oder auch digitale Informationsvermitt-
                              verstehen und auf die eigene Berufspra-      lung weiterhin erreichbar. Damit diese von Ratsuchenden gefunden und kontaktiert
                              xis beziehen zu können.                      werden können, unterstützt das Ansprechstellenverzeichnis für Reha und Teilha-
                                                                           be mit einer unkomplizierten und regionalen Suchfunktion und ermöglicht so eine
                                    www.bar-frankfurt.de >                 schnelle Kontaktaufnahme.
                                    Service > Fort-und-Weiterbil-
                                    dung > BAR-Seminare                           Das Ansprechstellenverzeichnis finden Sie auf www.ansprechstellen.de

                                         Geschäftsbericht 2020

                              ● Viel geleistet trotz Pandemie              gen Aufgaben der BAR notwendig sind.
                                 Das Jahr 2020 war geprägt von den         Vom neuen e-Learning Angebot über
                              Auswirkungen der Corona-Pandemie.            neue Praxistools wie den Zuständig-                      Geschäftsbericht
                              Man­che Projekte und Vorhaben konnte         keitsnavigator bis hin zu praxisnahen Ar-                2020
                              die BAR deshalb nicht in der geplanten       beitshilfen: Der Geschäftsbericht 2020
                              Art und Weise angehen. Umso erfreuli-        zeigt das breite Spektrum der Arbeit der
                              cher ist es, dass trotz Einschränkungen      BAR.
                              viele Themen und Aufgaben bearbeitet
                                                                                                                                    BAR-Frankfurt.de | 2021

                              werden konnten. Insbesondere über
                              hybride Formate und Videokonferenzen
                              konnten viele Beratungen durchgeführt               www.bar-frankfurt.de > BAR e. V. > Geschäftsbericht
                              werden, die zur Umsetzung der vielfälti-

                                                                                                                                        Reha-Info der BAR | 2-2021   3
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

     Vom Objekt der Fürsorge zum selbstbestimmten Individuum
     Gesellschaftlicher Wandel im Spiegel der Sprache

     W
                   er in den 1970er-Jahren in                                             Viele Jahre blieb das medizinische        die Argumentationskette „behindert –
                   die Schule gegangen ist, erin-      „Defizitmodell“ Normalisierungsziel und                                      arm – hilfsbedürftig“ bedienen mussten,
                   nert sich vielleicht noch: Die      Rehabilitationsparadigma. Behinderung                                        um ihre Ansprüche geltend zu machen.
     Verwendung von diskriminierenden Aus-             wurde als funktionale Einschränkung                                          Von Integration, Gleichstellung oder gar
     drücken wie „Hey, Du Spasti“ war gerade           angesehen und mit „Leid“ gleichgesetzt                                       Inklusion war noch lange keine Rede.
     auf dem Schulhof leider gang und gäbe.            – dem „hilfsbedürftigen“ Menschen
     Auch außerhalb des rüpeligen Schulhofs            mussten seitens der Gesellschaft Hilfe-                                          Erst mit den seit Ende der 1970er-
     blieb der Umgang mit körperlich oder              stellungen geboten werden, die ihn we-                                       Jahre entstandenen Emanzipationsbe-
     geistig eingeschränkten Menschen in               nigstens einigermaßen am produktiven                                         wegungen eingeschränkter Menschen,
     der Regel distanziert und von Überheb-            Leben teilnehmen ließen. Im Sprachge-                                        organisiert oft in den provokant genann-
     lichkeit geprägt. Das lässt sich auch am          brauch der Zeit hieß das dann „beschüt-                                      ten „Krüppelgruppen“, begann sich das
     öffentlichen Sprachgebrauch jener Zeit            zende Werkstätten“ oder „Behinderten-                                        Bild vom Objekt sehr langsam in das
     festmachen, wie das Beispiel der 1964             werkstätten“. Erst 2001 mit dem SGB IX                                       des Individuums zu wandeln. Ziele wa-
     gegründeten „Aktion Sorgenkind“ zeigt.            hat die Bezeichnung „Werkstatt für be-                                       ren der Abbau von Alltagsbarrieren und
     Ein positiver Ansatz sicherlich, der ver-         hinderte Menschen“ Eingang in das So­-                                       gesellschaftliche Integration. 1981 rief
     suchte, das Thema „Behinderung“ in den            zialgesetzbuch gefunden. Lange Zeit wur-                                     die UNO das „Internationale Jahr der Be-
     öffentlich-rechtlichen Medien in den Fo-          de nicht hinterfragt, dass Menschen mit                                      hinderten“ aus, wobei aber aus heutiger
     kus zu stellen. Die Namenswahl spiegel-           Behinderungen wie selbstverständlich                                         Sicht die Betroffenen wiederum zu pas-
     te dabei aber eben auch den Umgang mit
     den betroffenen Menschen wider – näm-
     lich als bekümmerungswürdiges Objekt,
     nicht als eigenständiges Subjekt – und
     prägte damit nachhaltig die Sicht der
     Gesellschaft. Um bei dem Schulbeispiel
     zu bleiben: Was heute als „Förderschule“
     bezeichnet wird, hieß früher noch Son-
                                                       Foto: denys_kuvaiev, adobe stock

     der- oder Hilfsschule.

           Reha-Angleichungsgesetz
                 (RehaAnglG)
       Das RehaAnglG strebt eine verbes­-
        ­serte Zusammenarbeit der Reha­
       Träger sowie ein zügiges und naht­-
         los ablaufendes Reha­-Verfahren
       an. Das Ziel: eine bessere Orientie-
         rung für Menschen mit Behinde-
          rungen im gegliederten System.

                  1974                                              1995                                             2000                                  2001

           Schwerbehindertengesetz                         Soziale                                                GKV-Gesundheits-                    Neuntes Buch Sozial-
                  (SchwbG)                           Pflegeversicherung                                             reformgesetz                      gesetzbuch (SGB IX)
       Das Schwerbeschädigtengesetz aus            Mit dem SGB XI wird die                                  Durch das GKV-­Gesundheitsre­       Mit dem SGB IX, das v.a. das vor-
     dem Jahr 1953 wird durch das Gesetz        Pflegeversicherung als neuer                                 formgesetz werden Gesund-         malige SchwbG und das RehaAnglG
      zur Weiterentwicklung des Schwerbe­     eigenständiger Zweig der Sozial-                                 heitsförderung, Prävention      ablöst, wird erstmals ein Gesetz ge-
     schädigtenrechts vom 24. April 1974 in   versicherung eingeführt. Zugleich                                und Rehabilitation gestärkt,   schaffen, das für alle Reha­Träger ein-
     Schwerbehindertengesetz umbenannt          wird der Grundsatz „Reha vor                                  insbesondere die Förderung       heitlich geltende Rechts­vorschriften
        und mit Änderungen übertragen.                 Pflege“ etabliert.                                      von Selbsthilfegruppen und     zur Rehabilitation und Teilhabe behin-
                                                                                                            Patientenberatungsstellen sowie    derter Menschen enthält. Die Sozial­
                                                                                                            Leistungsverbesserungen in der     und Jugendhilfeträger werden in den
                                                                                                                 Rehabilitation der GKV.      Kreis der Reha­Träger aufgenommen.

4   Reha-Info der BAR | 2-2021
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

siven und dankbaren Hilfsempfängern                      2003 wurde das „Europäische Jahr                    Normaler Umgang findet sich in den
eines fürsorglichen Sozialwesens abge-              der Menschen mit Behinderungen“ aus-                Medien noch wenig wieder und auch in
wertet wurden.                                      gerufen. Auch hier zeigt sich der sprach-           der Sprache hapert es. Ob ein Mensch
                                                    liche Paradigmenwechsel im Vergleich                an seiner Behinderung leidet, können
Diversität im Vordergrund                           zu dem von der UNO 1981 ausgerufenen                wir nicht beurteilen. Das ist anmaßend
In den kommenden zehn Jahren aller-                 „Jahr der Behinderten“ sehr deutlich. Der           und suggeriert die Vorstellung von Leid,
dings begann sich das Bild in Politik,              veränderte Umgang, das sich ändernde                das der betroffene Mensch vielleicht
Medien und Gesellschaft stärker zu                  Bild vom fürsorgebedürftigen, bemitlei-             gar nicht empfindet. Und ein Rollstuhl
wandeln. Seit den 1990er-Jahren löste               denswerten Objekt zum eigenständi-                      ist kein Gefängnis, sondern in erster
Inklusion die Integration ab. An Stel-              gen, befähigten Subjekt hat sich                                Linie ein Fortbewegungsmittel,
le der Integration, mit der etwas nicht             1999 mit der Umbenennung                                           das für den Menschen auch
Gleiches gleich gemacht wurde, der                  von „Aktion Sorgenkind“ in
                                                                                                SGB IX                   Freiheit und Unabhängig-
Zielpunkt also eine einheitliche Defini-            „Aktion Mensch“ sprach-                     fördert                   keit bedeuten kann.
tion von „Normalität“ ist, steht bei der            lich prägend im kollektiven               Politik- und                     Der    Weg      ist    also
Inklusion die Diversität im Vordergrund.            Gedächtnis der bundes-                    Denkwandel                  noch weit, aber die ers-
Statt Menschen auf Biegen und Brechen               deutschen Gesellschaft ver-                                         ten Schritte sind getan. In
in eine Normgesellschaft zu integrieren             ankert.                                                          Politik und Gesellschaft und
wird nun eine von Geburt an bestehende                                                                          hoffentlich auch auf dem Schul-
Zugehörigkeit aufrechterhalten.                          Doch trotz des weiten, zuweilen                hof. Die Fähigkeiten von Menschen mit
Mit diesem Wechsel von einer Defizit-               sicherlich      schwierigen        Paradigmen-      Behinderungen sind nicht „besonders“,
orientierung im Hinblick auf eine ver-              wechsels ist das Ende des Prozesses                 sondern genauso vielfältig wie die von
meintliche Normalität hin zur Förderung             noch lange nicht erreicht. In den Medien            nicht behinderten Menschen. Man kann
individueller Fähigkeiten war dann auch             werden eingeschränkte Menschen noch                 nur hoffen, dass sich der Politik- und
der Paradigmenwechsel vom Objekt zum                immer oft vornehmlich als hilfebedürftig            Denkwandel, der vor mehr als 40 Jah-
Subjekt verbunden. Dies schlug sich auch            dargestellt. Oder sie werden als Ausnah-            ren eingesetzt hat und vor 20 Jahren
politisch nieder: 1994 wurde im Grundge-            metalente aufgrund ihrer Behinderung                mit dem SGB IX einen wichtigen Schub
setz verankert, dass niemand aufgrund               gefeiert. Als „Superkrüppel“ ironisiert der         bekam, auch an der Basis niederschlägt
einer Behinderung benachteiligt werden              Aktivist für Inklusion und Barrierefrei-            und sich als gemeinsamer Dialog in der
darf, 2002 folgte das Gesetz zur Gleich-            heit, Raul Krauthausen, die Darstellung             Gesellschaft verankert.
stellung von Menschen mit Behinderun-               eines Menschen, der nicht mit, sondern
gen des Bundes. Erst 2006 trat das Allge-           trotz seiner Behinderung etwas Beson-
meine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft.             deres geschafft hat.                                        Dieser Text basiert auf dem
                                                                                                                Beitrag von Jürgen Hohnl,
                                                 Allgemeines Gleichbehandlungs-                                 Geschäftsführer Gemeinsame
                                                          gesetz (AGG)                                          Vertretung der Innungskassen
                                             Das AGG wird umgangssprachlich auch
                                            „Antidiskriminierungsgesetz“ genannt. Das
                                                                                                                IKK e. V. in: BAR (Hrsg.): Teilhabe
                                           AGG ist das einheitliche zentrale Regelungs­                         braucht Rehabilitation, Blicke
                                           werk in Deutschland zur Umsetzung von vier
                                           europäischen Antidis­kriminierungsrichtlinien,                       zurück in die Zukunft, Berlin 2019
                                             die seit dem Jahr 2000 erlassen wurden.

         2002                                              2006                                                           2016

     Behindertengleich-                         Verabschiedung UN-Behinderten-                                 Verabschiedung Bundesteilhabe-
   stellungsgesetz (BGG)                           rechtskonvention (UN-BRK)                                           gesetz (BTHG)
  Das BGG regelt die Gleich-         Zur vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von          Mit dem BTHG wird das SGB IX neu gestaltet, u. a.
 stellung von Menschen mit         Men­schen mit Behinderungen („Inklusion als Menschenrecht“)       wird im neuen Teil 2 das Recht der Eingliederungshilfe
  Behinderungen im Bereich        sieht die UN­BRK insbesondere angemessene Vorkehrungen als         aufgenommen. Weitere Neuerungen sind die Stärkung
   des öffentlichen Rechts          spezi­fische auf den Einzelfall bezogene Maßnahmen vor, z. B.     der Kooperation der Leistungsträger und der Koordi-
 (soweit der Bund zuständig       die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und       nierung der Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe.
ist) und ist ein wichtiger Teil   ­barrieren. Als Völkerrecht im Rang einfachen Bundesrechts hat      Zudem soll das Verfahren der Bedarfsermittlung, der
der Umsetzung des Benach-         die UN­BRK unmittelbare Rechtswirkungen auch in Deutschland.        Zuständigkeitsklärung und der Teilhabeplanung ver­
teiligungsverbotes aus Art. 3        Umsetzun­gen erfolgen im Rahmen des Nationalen Aktions-          einheitlicht werden, sodass Leistungen „wie aus einer
   Abs. 3 S. 2 Grundgesetz.        planes (NAP) der Bundesregierung und von Aktionsplänen der        Hand“ erfolgen können. Die Änderungen sollen stufen­
                                    Landesregierungen sowie der Reha-Träger (z. B. DRV, DGUV).            weise bis zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

                                                                                                                         Reha-Info der BAR | 2-2021            5
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

     Vom Programmsatz zum Leistungsgesetz?
     Das Sozialgesetzbuch (SGB) IX im Wandel der Zeit
     Die ersten Jahre des SGB IX                                                                Assistenzhund verweigert werden darf.
     – Ein zahnloser Tiger?                                                                     Der Schutz vor Gewalt, der Frauen und
     Vor 20 Jahren herrschte Aufbruchsstim-                                                     Kinder in Einrichtungen noch viel zu oft
     mung, vor allem bei den Menschen mit                                                       ausgesetzt sind, wird normiert. Die Be-
     Behinderungen und ihren Verbänden.                                                         treuung und die Wiedereingliederung
     Am 1. Juli 2001 trat das SGB IX zur „Re-                                                   von Leistungsberechtigten im Bereich
     habilitation und Teilhabe von Menschen                                                     des SGB II und die Teilhabechancen auf
     mit Behinderungen“ in Kraft. In der Be-                                                    dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt von
     hindertenpolitik vollzog sich damit eine                                                   Beschäftigten in den Werkstätten sollen
     Kehrtwende: Selbstbestimmung und                                                           wirksam verbessert werden.
     Teilhabe anstatt Fürsorge und Bevor-
     mundung. Ein einheitlicher Verfahrens-                                                     Das SGB IX auf dem Weg
     rahmen für alle Reha-Träger, mit moder-       Dr. Annette Tabbara, LL.M ist Leiterin der   zum Leistungsgesetz?
     nen und bürgerorientierten Aspekten,            Abteilung V für Teilhabe, Belange von      Kann der erste Teil des SGB IX werden,
     wie die Beratung durch Servicestellen,         Menschen mit Behinderungen, Soziale         was der zweite Teil des SGB IX bereits
                                                    Entschädigung, Sozialhilfe im Bundes-
     die Einführung des Wunsch- und Wahl-                                                       ist? Ein Leistungsgesetz? Der Ansatz,
                                                  ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
     rechts oder individuelle Formen der                                                        Grundsätze, Leistungen und Regeln
     Leistungserbringung, wie das persön-                                                       im Bereich von Reha und Teilhabe für
     liche Budget. Ähnlich hoch wie die an-       Kooperation der Träger oder zur Koor-         alle Menschen und Träger unter einem
     fänglichen Erwartungen waren in den          dination von Leistungen wurden klarer         Dach zu vereinen, ist und bleibt richtig.
     kommenden Jahren auch die Enttäu-            und vor allem verbindlicher ausgestal-        Teilhabe   braucht   Weiterentwicklung.
     schungen bei der tatsächlichen – als zu      tet. Neben der Stärkung der Partizipa­-       Nur durch die Reduzierung von Spezial-
     langsam empfundenen – Umsetzung.             tion der Leistungsberechtigten stellte die    regelungen außerhalb des SGB IX, den
                                                  Beobachtung des Verwaltungshandelns           Abbau hemmender Divergenzen und die
     Mehr als ein Programm –                      einen weiteren Kern der Reform dar.           Stärkung einheitlicher Leistungen und
     das Bundesteilhabegesetz                     Seitdem macht der Teilhabeverfahrens-         Verfahren können die über 3,2 Millionen
     als neue Chance                              bericht Reha-Prozesse transparent. An-        Antragsteller vom umfangreichen Teil-
     Seitdem hat sich viel verändert. Das         hand von Zahlen, fehlenden Zahlen und         habegedanken des SGB IX profitieren.
     Übereinkommen der Vereinten Natio-           Unterschieden zeigt der zweite Bericht        Wenn es um die umfassende und zügi-
     nen über die Rechte von Menschen mit         bereits erste Optimierungsansätze auf.        ge Leistungsbewilligung für Menschen
     Behinderungen (VN-BRK) trat 2009 in                                                        mit Behinderungen geht, dann braucht
     Deutschland in Kraft. Leitbild der UN-       Aktuelle Entwicklungen –                      es ein SGB IX als gemeinsames Ver-
     BRK ist der Gedanke der Inklusion: Die       das Teilhabestärkungsgesetz                   fahrens- und Leistungsgesetz – und
     Gesellschaft muss sich öffnen, damit         Und es bleibt noch Einiges zu tun, um         hoffentlich in absehbarer Zeit mit einem
     Vielfalt gelebt werden kann. Behindert ist   Selbstbestimmung und Teilhabe im All-         einheitlichen Grundantrag.
     man nicht, behindert wird man. Dadurch       tag und am Arbeitsplatz zu verbessern.
                                                                                                                                        Foto: Halfpoint, adobe stock

     wandelte sich vor allem die Perspektive      Am 3. Februar 2021 wurde das Teilha-
     auf die Menschen mit Behinderungen           bestärkungsgesetz vom Bundeskabi-
     und ihre Rechte. Dies bildete das Fun-       nett beschlossen, mit einer Vielzahl von
     dament für das Bundesteilhabegesetz,         inklusionspolitischen Maßnahmen. Neu
     das seit 2017 stufenweise eingeführt         sind Regelungen zur Begleitung von
     wird. Einen ersten wichtigen Meilenstein     Menschen mit Behinderungen durch
     der Reform stellte die Neufassung des        einen Assistenzhund. Diese stellen si-
     trägerübergreifenden Verfahrensrechts        cher, dass der Zutritt zu öffentlichen
     im ersten Teil des SGB IX dar. Wichtige      Gebäuden, Anlagen und Einrichtungen
     Vorschriften zur Bedarfsermittlung, zur      nicht wegen der Begleitung durch den

6   Reha-Info der BAR | 2-2021
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

Das SGB IX
Ein Meilenstein auf dem Weg zur Inklusion
Das „Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von
Menschen mit Behinderungen“ (SGB IX) hat runden Geburtstag. Es wird
am 1. Juli diesen Jahres 20 Jahre alt. Vorangegangen war die Ratifizie-
rung der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Men-
schen mit Behinderung (UN-BRK), die seit dem 26. März 2009 in Deutsch-
land geltendes Recht ist.

M
          it dem SGB IX begann im Jahr      Menschen mit Behinderungen zu die-
          2001 der Prozess der Umset­       nen. Die in § 1 SGB IX niedergelegte Ziel-
          zung der UN-BRK. Es ging          setzung machte das Neunte Sozialge-
nicht mehr um Fürsorge und Versor-          setzbuch seinerzeit zu einem besonders
gung für und von Menschen mit Beein-        bedeutungsvollen unter den Sozialge-
trächtigungen, sondern um deren volle       setzbüchern. Diese Bedeutung kommt                        Monika Paulat,
Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens     dem SGB IX im Verbund mit nachfolgen-                Präsidentin des Deutschen
                                                                                                  Sozialgerichtstages e. V.
und um volle Teilhabe an allen Aspekten     der Gesetzgebung weiterhin zu.
des Lebens, wie Artikel 26 der UN-BRK
fordert. Das SGB IX setzte sich als Leis-   Kritische Begleitung von
tungsgesetz in § 1 die Förderung der        Umsetzung und Inklusion                      Praxisprobleme interdisziplinär. Vertre­
Selbstbestimmung und der vollen, wirk-      Die Geschäftsführerin der Bundesar­beits­-   ten sind Sozialgerichtsbarkeit, Ärzte-
samen und gleichberechtigten Teilhabe       gemeinschaft für Rehabilitation (BAR),       schaft, Versorgungsverwaltung, Minis-
am Leben in der Gesellschaft ebenso         Dr. Helga Seel, hat auf dem 6. Deutschen     terialverwaltungen des Bundes und der
zum Ziel wie die Vermeidung und die Ab-     Sozialgerichtstag am 17. No­vember           Länder, Sozialverbände. Die Mitglieder
wendung von Benachteiligungen.              2016 in Potsdam die Teilhabe als einen       der Kommission widmen sich auf regel-
                                            fortlaufenden Prozess auf verschiede-        mäßigen internen Sitzungen mit Leiden-
Ein besonders bedeutungs-                   nen Ebenen beschrieben; sie sei nichts       schaft, Kenntnisreichtum und großem
volles Gesetzbuch                           Abgeschlossenes mit einem Anfang A           Erfahrungsschatz einem Gebiet, das zu
Den Paradigmenwechsel der UN-BRK            und einem Ende B. Teilhabe sei als sys-      allen Sozialgesetzbüchern Bezüge hat.
zeichnete das SGB IX nach, indem es         tematischer Prozess zu verstehen, so         Bei Workshops und den Bundestagun-
sich vom rein funktionalen Begriff der      sagte sie, in dem es um unmittelbar          gen des DSGT tritt die Kommission mit
Behinderung des seit 1974 geltenden         auf­einander abgestimmte Maßnahmen           der Diskussion aktueller behinderten-
Gesetzes zur Sicherung der Eingliede-       und Gestaltungsmöglichkeiten gehe.           rechtlicher Themen in Erscheinung.
rung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf     Das ist wahr. Essenziell aber bleibt die        So hat sich die Kommission auf dem
und Gesellschaft (SchwbG) abwandte          normative Verankerung, der politische        7. DSGT am 27. September 2018 im
und eine körperliche, seelische, geistige   und der gesetzgeberische Wille zur Re-       Rahmen einer Podiumsdiskussion mit
oder Sinnesbeeinträchtigung in Bezie-       gelung. Der Wille zur Inklusion von Men-     der Realisierbarkeit individueller Ansprü-
hung setzte zum Maß der Beeinträchti-       schen mit Behinderungen im Sinne der         che im SGB IX auseinandergesetzt.
gung gleichberechtigter Teilhabe an der     UN-BRK hat in § 1 SGB IX seinen Nieder-
Gesellschaft. Das SchwbG wollte zwar        schlag gefunden.                                Das SGB IX, seine Weiterentwick-
auch schon die Gleichstellung von Men-                                                   lung, die Reform der Eingliederungshilfe
schen mit Behinderung und normierte            Eine der Kommissionen des Deut-           und natürlich das Bundesteilhabegesetz
ein eigenständiges Hilfesystem. Das         schen Sozialgerichtstages e.V. (DSGT)        bieten in reichem Maße Stoff für die kri-
SGB IX wollte die Inklusion.                beschäftigt sich seit 2006 neben dem         tische Begleitung der Umsetzung der
                                            Sozialen Entschädigungsrecht intensiv        Gesetzgebung und vor allem der Umset-
   Damit hat das SGB IX im Jahr 2001        mit dem Recht der Menschen mit Behin-        zung der Inklusion, die vor 20 Jahren mit
einen Meilenstein gesetzt. Leistungen       derungen. Die Kommissionsmitglieder          der Schaffung des SGB IX in die deut-
zur Teilhabe haben der Integration von      erörtern rechtliche Fragestellungen und      sche Gesetzgebung Eingang fand.

                                                                                                      Reha-Info der BAR | 2-2021      7
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

     20 Jahre SGB IX – wie geht es weiter
     Was wird im Hochschulbereich getan?
     Zur Welt der Rehabilitation und Teil­-
     habe gehören auch die Systeme der
     Aus- und Weiterbildung. Sie führen
     den Nachwuchs an das Arbeitsfeld
     heran und ermöglichen das berufs-
     begleitende Lernen der Beschäftig-
     ten sowohl in den Verwaltungen und
     Diensten der Rehabilitationsträger
     als auch bei den Leistungserbrin-
     gern. Am Beispiel der Hochschul-
     ausbildung der Bundesagentur für
     Arbeit und der Gesetzlichen Unfall-
     versicherung wird auf das Verhält-                         Prof. Dr. Silvia Keller,                      Prof. Dr. Edwin Toepler,
     nis von SGB IX und Hochschullehre                Hochschule der Bundesagentur für Arbeit ­­­         Hochschule Bonn-Rhein-Sieg

     eingegangen. Mit dem „Arbeitskreis
     Hochschulen – Inklusion und Teil-               Gesetzlichen Unfallversicherung in Bad            An der Hochschule der Bundesagen-
     habe“ wird eine Plattform für den               Hersfeld und an der kooperierenden             tur für Arbeit (HdBA) zeigt sich folgendes
     träger- und hochschulübergreifen-               Hochschule Bonn-Rhein-Sieg am Stand-           Bild: Während der Bereich der Teilhabe
     den Austausch vor­gestellt.                     ort Hennef angeboten wird, ist das per-        von Menschen mit Behinderungen zu-
                                                     sonen- und inklusionsorientierte Ma­-          nächst in verschiedenen Modulen der
     Das reformierte SGB IX aus                      nagement der Rehabilitation und Prä-           Curricula verankert war, wurde im Zuge
     Sicht der Hochschulen                           vention an eine zentrale Stelle des Stu-       der letzten Akkreditierung ein Studien-
     Mit der Forderung, Leistungen wie aus           diums gerückt. Im Bereich Forschung            schwerpunkt „Teilhabe am Arbeitsleben“
     einer Hand zu erbringen, wachsen die            und Transfer unterstützen die genannten        für Studierende des Studiengangs „Beruf-
     Anforderungen an die Kompetenzen der            Hochschulen die Reha-Träger bei der            liche Beratung und Beschäftigung (BBB)“
     Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Re-        operativen Umsetzung von Gesetzesän-           am Standort Mannheim entwickelt. Die
     habilitationsträger. Dies betrifft nicht        derungen und der Implementation neuer          Kernmodule setzen sich seitdem aus ei-
     nur die Fach- und Methodenkompetenz             Verfahren, wie dem Fallmanagement.             nem allgemeinen Grund- und einem Auf-
     im Hinblick auf das Leistungsportfolio,
     die Spezifika und die relevanten Verfah-
     rensabläufe der einzelnen Trägerberei-          Curriculum an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
     che. Es betrifft auch die Vermittlung der       und der Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
     Systemkompetenz, den eigenen Zweig
     der sozialen Sicherung als Teil eines Ge-       ➜ Systeme der sozialen Sicherung/Beziehungen der Leistungsträger
                                                        Finanzierung und Leistungsgewährung andere SL-Träger, Erstattung,
     samtsystems zu verstehen. Die Aufgabe,
                                                     		 Regressmöglichkeiten, ZV Dritter, Widerspruch, Klage
     die Versicherten auch bei trägerübergrei-
                                                     ➜ Methoden (wissenschaftliches Arbeiten, IT, Management),
     fenden Fragen zu beraten und auf dem
                                                        Heilbehandlung, Medizin
     Weg der Rehabilitation zu begleiten, führt
                                                     ➜ Management der Rehabilitation und Prävention
     zu einer Weiterentwicklung des profes-             Inklusion, Teilhabe, Arbeitsschutz, Prävention, Salutogenese, BGM,
     sionellen Selbstverständnisses der zu-          		 Case-/Fall-/Netzwerkmanagement, ICD/Assessment-/Teilhabeplanungs-/
     künftigen und gegenwärtigen Fach- und           		Evaluationsverfahren
     Führungskräfte.                                 ➜ Psychologie, Kommunikation, Compliance
        Dies spiegelt sich auch in den Cur­ri­­cu­      Klinische und Organisationspsychologie, Resilienz, Krankheitsbewältigung,
     la wider. Im Studiengang Sozialver­si­che­-     		 Gesprächsführung, Compliance, Teamarbeit, Moderation
     rung, Schwerpunkt Unfallversiche­rung,          ➜ Ökonomie, Unternehmensbetreuung
     der an der Hochschule der Deut­schen

8   Reha-Info der BAR | 2-2021
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
20 Jahre SGB IX

                                                                                                                            Foto: kasto, adobe stock
baumodul (TA I und TA II) sowie einem      siert, mit dem Ziel, sich in diesem Fachfo-
                                                                                         Beispiele für die konkrete
spezifischen Rechtsmodul zusammen          rum regelmäßig in Lehre und Forschung
                                                                                         Zusammenarbeit:
(siehe Infokasten). Sukzessive erfolgte    auszutauschen. Weitere wichtige Ziele
in den letzten zwei Jahren eine curricu-   sind die Förderung des inklusiven Den-         regelmäßigen Fachaustausch
lare Anpassung durch die Aufnahme der      kens in der Gesellschaft und die Ausrich-       pflegen
Themenfelder Inklusion, Empowerment        tung an den Bedarfen der Menschen.             Forschungsprojekte entwickeln
und Diversity – auf nationaler als auch       Dadurch gewinnt diese hochschul-            gegenseitige Gastvorträge
auf europäischer Ebene.                    übergreifende    Zusammenarbeit       ins-      durchführen
                                           besondere für die Studierenden eine            gemeinsame Ringvorlesung und
Der Arbeitskreis Hochschu-                 Bedeutung, indem sie sich mit anderen           Fachtagung planen und umsetzen
len „Inklusion und Teilhabe“               Trägerbereichen beschäftigen und Stu-          Entwicklung eines gemeinsamen
Im Juni 2019 hat sich der Arbeitskreis     dierende anderer Trägerbereiche ken-            Online-Seminars
Hochschulen mit dem Titel „Inklusion       nenlernen. Der Arbeitskreis steht allen        Entwicklung eines BAR-Seminars
und Teilhabe“ – unter der Federführung     Hochschulen im Bereich der sozialen Si-         für Studierende (ein Tag)
der BAR und dem Forum Sozialversiche-      cherung offen. Derzeit arbeiten deutsch-
rungswissenschaft e. V – institutionali-   landweit rund 12 Hochschulen mit.

Curriculum an der HdBA, Standort Mannheim Im Studienschwerpunkt
Teilhabe am Arbeitsleben im 4. und. 5. Präsenztrimester
➜ Rechtliche Aspekte bei                      ➜ Teilhabe am                               ➜ Teilhabe am
  Teilhabe am Arbeitsleben                      Arbeitsleben I (TA I)                       Arbeitsleben II (TA II)
   Rechtlicher Rahmen und recht-                Beratungskonzept für Menschen              Beratung und Inklusions-
		 liche Grundlagen im SGB IX                 		 mit Behinderungen, Reha-Fall-            		 angebote für ausgewählte
   Leistungen zur Teilhabe am Arbeits-       		management                                		Personengruppen
		 leben im Leistungssystem SGB III und          Maßnahmenträger und                        Aktuelle Forschungsergebnisse
		 SGB II einschließlich Schnittstellen       		 rehaspezifische Maßnahmen,               		 zum inklusiven Arbeitsmarkt
		 wie auch Abgrenzungsfragen zu                 Inklusion: UN-BRK, Nationaler              Interne und externe
		 anderen Leistungsbereichen                 		 Aktionsplan                              		 Netzwerkarbeit
   Verfahren der Teilhabe und Zusam-            Einführung in die medizinische             Sucht und Krankheitsbilder
		 menarbeit der Rehabilitationsträger,       		 Rehabilitation und sozial-                  Empowerment und Diversity
		 insbesondere Koordinierung der Leis-       		 medizinische Gutachten                      Technische Hilfsmittel,
		 tungen einschließlich Teilhabeplan            Grundlagen des Betrieblichen            		 Maßnahmenorganisation
   Rechtsschutz, Erstattungs-                		 Gesundheitsmanagements und
		 ansprüche der Träger                       		Eingliederungsmanagements

                                                                                                    Reha-Info der BAR | 2-2021                         9
20 Jahre SGB IX Schwerpunkt - BAR | REHA-INFO
Reha-Entwicklung

      AOK Baden-Württemberg
      Beratung im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes
      Das Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist es, die Lebenssituation
      von Menschen mit Behinderung durch mehr Teilhabe an der Gesellschaft,
      mehr Selbstbestimmung und mehr Möglichkeiten zur individuellen Lebens-
      führung zu verbessern. Durch den Abbau von bürokratischen Hürden soll
      die leistungsberechtigte Person einfacher und schneller ihren Bedarf an
      Teilhabe decken können. Ein Antrag soll ausreichen, um Rehabilitations-
      leistungen von verschiedenen Trägern zu erhalten, ganz im Sinne von
      „Leistungen aus einer Hand“.
      Bei der AOK Baden-Württemberg findet die Teilhabeberatung und -planung
      bei schwerwiegenden Erkrankungen durch staatlich anerkannte Sozialpä-
      dagog*innen des Sozialen Dienstes statt.

      Wie diese Teilhabeberatung aussehen kann, möchten wir am Beispiel von                          Barbara Glaser, Sozialpädagogin
      Herrn K. aufzeigen:                                                                            bei der AOK Baden-Württemberg

         Herr K. wurde im Rahmen der An-           alten Umfeld. Um nicht erneut rückfällig     zesses kontaktiert und über den Sach-
      tragstellung für eine Langzeitsuchtreha-     zu werden, wünscht sich Herr K., nach        stand informiert. Die Suchtrehabilitation
      bilitation vom Sozialen Dienst der AOK       der stationären Suchtrehabilitation in ein   wurde bewilligt und Herr K. befindet sich
      Baden-Württemberg begleitet. Die Auf-        betreutes Wohnen zu ziehen. Die Sucht-       aktuell in der Rehabilitationsklinik. Derzeit
      gabe des Sozialen Dienstes ist es, durch     beratungsstelle unterstützt dieses Vor-      wird das betreute Wohnen geprüft sowie
      eine individuelle Beratung und Unterstüt-    haben und teilt die Einschätzung, dass       nach einem Wohnplatz gesucht, sodass
      zung, eine stabile Versorgungssituation      ein neues Wohnumfeld für eine bleiben-       Herr K. direkt nach der Maßnahme in
      herzustellen. Hierzu ist neben der Hilfe-    de Abstinenz dringend erforderlich ist.      einem geschützten Umfeld weiter an sei­-
      stellung bezüglich bestehender Leistun-                                                   ner Krankheitsbewältigung arbeiten kann.
      gen und Angebote auch die Einbindung            In der Beratung durch den Sozialen
      weiterer Leistungsträger und -erbringer      Dienst der AOK Baden-Württemberg                 Wir als AOK Baden-Württemberg
      im Rahmen des Case Managements als           wurde mit Herrn K. das weitere Vorge-        möchten unsere Versicherten in ihrer
      Methode Sozialer Arbeit erforderlich.        hen eingehend besprochen und seine           schwierigen Lebenssituation beiseite-
                                                   Motivation für eine erneute Rehabilita-      stehen und bedarfsgerechte Lösungen
         Herr K. wurde über das freiwillige        tion festgestellt. Herr K. konnte seinen     finden. Dafür ist die enge und transpa-
      Angebot der Beratung durch den So-           Leidensdruck glaubhaft schildern. Herr       rente Zusammenarbeit zwischen den
      zialen Dienst informiert und hat dieses      K. wurde im Zusammenhang mit der             Leistungsträgern und -erbringern beson­
      auch in Anspruch genommen. In einem          Teilhabeberatung umfassend über die          ders wichtig. Diese könnte noch bes-
      ausführlichen Gespräch wurde die Ge-         Leistungen nach dem Bundesteilhabe-          ser gelingen! Durch die transparente,
      samtsituation unter Berücksichtigung         gesetz informiert. Die individuelle Unter-   flächendeckende Benennung von An-
      der ICF-Dimensionen beleuchtet und           stützung und die frühzeitige Einbindung      sprechpartner*innen könnte bei allen
      gemeinsam mit ihm wurden seine Ver-          des erforderlichen Leistungserbringers       be­teiligten Leistungsträgern schneller
      änderungswünsche wie ein suchtmittel-        (in diesem Fall die Eingliederungshilfe)     und unbürokratischer auf die Beteiligten
      freies Leben und weitere Ziele zu seiner     standen hierbei im Vordergrund. Die Be-      im Rahmen des gesetzlichen Auftrages
      Lebenssituation besprochen. Herr K. hat­-    teiligung der Eingliederungshilfe wurde      zugegangen werden, damit auch die vor-
      te bereits eine Suchtrehabilitation absol­   mit Herrn K. besprochen, der dafür erfor-    gegebenen Fristen eingehalten werden
      viert und wurde aus der Klinik in sein       derliche Teilhabeplan für die Beteiligung    können. Die AOK Baden-Württemberg
      altes soziales Umfeld entlassen. Nach        gemeinsam ausgefüllt und an die Ein-         wünscht sich eine Intensivierung der pro­
      kurzer Zeit erfolgte ein Rückfall. Herr K.   gliederungshilfe weitergeleitet.             fessionellen, strukturierten Zusammen­
      war zu diesem Zeitpunkt wohnungslos             Im Sinne des Case Managements             arbeit sowohl mit Leistungsträgern als
      und hatte weiterhin Kontakt zu seinem        wurden regelmäßig alle Akteure des Pro-      auch mit Leistungserbringern.

10   Reha-Info der BAR | 2-2021
Reha-Entwicklung

Software Easy Reading
Digitale Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten
Immer mehr Lebensbereiche, wie
Bildung, Arbeit und Freizeit, finden
zunehmend online statt. Wir infor-
mieren uns und kommunizieren
auf vielen verschiedenen Kanälen.
Durch die Corona-Pandemie wird
die fortschreitende Digitalisierung
weiter beschleunigt Aber auch im
digitalen Raum gibt es Barrieren,
die verschiedene Nutzergruppen
von der digitalen Teilhabe aus-
schließen.
                                                  Dr. Susanne Dirks, Rehabilitations-       Prof. Dr. Christian Bühler, Rehabilitations-
                                                       technologie TU Dortmund                       technologie TU Dortmund

V
           or allem Menschen mit Lern-        dabei, Informationen besser zu lesen, zu     Expertinnen und Experten in eigener Sa-
           schwierigkeiten    werden    im    verstehen und zu nutzen. Jede Person         che haben Menschen mit Lernschwierig-
           Internet mit vielen Barrieren      kann selbst und zu jedem Zeitpunkt neu       keiten in allen Phasen der Softwareent-
konfrontiert und haben große Schwierig-       entscheiden, welche Hilfen sie wann wie      wicklung mitgearbeitet, da sie selbst am
keiten, Informationen und Dienstleistun-      verwenden will. Die Hilfen können aber       besten wissen, welche Probleme auftre-
gen zu nutzen. Texte sind oft nicht oder      auch in einem persönlichen Profil gespei-    ten und welche Unterstützung hilfreich
nur teilweise verständlich und das Lay-       chert werden und müssen dann nicht           ist. Das Fachgebiet Rehabilitationstech-
out kann verwirrend und unübersicht-          neu eingestellt werden. Aktuell sind 16      nologie der TU Dortmund und die Uni-
lich sein. Die Einblendung von Werbung        verschiedene Hilfen verfügbar, die in drei   versität Linz planen weitere Projekte, um
oder sich plötzlich öffnende Fenster          Gruppen eingeteilt werden können:            das Programm weiterzuentwickeln und
bilden weitere Barrieren. Für viele dieser                                                 für möglichst viele Menschen zugäng-
Probleme gibt es derzeit keine Lösung,                                                     lich zu machen. Denn Easy Reading ist
                                              1. Lese-Hilfen, beispielsweise das
was zum Teil an fehlenden finanziellen                                                     auch für andere Zielgruppen, wie ältere
                                                 Vorlesen, die Anzeige von vorhan-
Ressourcen, aber auch an mangelndem                                                        Menschen, funktionale Analphabetinnen
                                                 denen Übersetzungen in Leichte
Bewusstsein und an fehlenden Kennt-                                                        und Analphabeten sowie Menschen mit
                                                 Sprache oder das Leselineal
nissen zur Erstellung barrierefreier und                                                   Migrationshintergrund eine Unterstüt-
                                              2. Layout-Hilfen, um das Aussehen
kognitiv    zugänglicher     Internetseiten                                                zung für die digitale Teilhabe.
                                                 der Seite zu ändern, beispielsweise
liegt. Zum Beispiel wird häufig nur eine
                                                 Farben, Schriftgrößen und Zeilen-
Übersichtsseite in leichter Sprache er-                                                        Das Forschungsprojekt Easy Rea-
                                                 abstände, das Entfernen von
stellt. Diese ermöglicht jedoch nur den                                                    ding wurde von der Europäischen Union
                                                 Nebeninhalten
Zugriff auf bestimmte und vorausge-                                                        im Rahmen des Forschungs- und Inno-
                                              3. Erklär-Hilfen, beispielsweise Wort-
wählte Informationen und ermöglicht                                                        vationsprogramms Horizont 2020 geför-
                                                 erklärungen in Form von Text oder
auf diese Weise keine gleichberechtigte                                                    dert (Fördernummer 780529).
                                                 Bildern, Nutzung von Symbolen zur
digitale Teilhabe.
                                                 Erklärung
                                              4. Weitere Hilfen, beispielsweise Über-
   Hier setzt Easy Reading an: die Easy-                                                         Weitere Informationen zur
                                                 setzungshilfen für Fremdsprachen
Reading-Software ermöglicht eine indivi-                                                         Installation von Easy Reading
dualisierte und bedarfsgerechte Verein-                                                          und über das Programm selbst
fachung jeder beliebigen Internetseite.          Easy Reading ist eine Software, die             gibt es auf der Internetseite
Die kostenlosen Hilfen der Easy-Reading-      zusammen mit Menschen mit Lern-                    www.easyreading.eu
Software unterstützen Internetnutzende        schwierigkeiten entwickelt wurde. Als

                                                                                                          Reha-Info der BAR | 2-2021       11
Recht                                                 Durch die Stellung eines einzigen Antrags sollen ein bürger-
                                                      naher Zugang zu den erforderlichen Sozialleistungen geschaf-
                                                      fen und eine eigene gesetzliche Verpflichtung des erst-
                                                      oder zweitangegangenen Trägers begründet werden.

              Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX:
              Mehrere Anträge bei verschiedenen Reha-Trägern

                                                     reits einen gleichlautenden Antrag der            Dabei hebt es u. a. hervor, dass im
       Orientierungssatz*                            Klägerin erhalten und am selben Tag an         Verhältnis zum Menschen mit Behinde-
       Der zuständige Reha-Träger                    das Jugendamt weitergeleitet. Der Klä-         rung allein durch die Stellung eines ein-
       nach § 14 SGB IX bestimmt sich                gerin gegenüber lehnte sie die Kosten-         zigen Antrags ein bürgernaher Zugang
       bei mehreren gleichartigen                    übernahme für die Autismus-Therapie            zu den erforderlichen Sozialleistungen
       Anträgen bei verschiedenen                    ab, weil diese nicht als Leistung zur Teil-    geschaffen und eine eigene gesetzliche
       Reha-Trägern nach dem zeitlich                habe am Arbeitsleben erforderlich sei.         Verpflichtung des erst- oder zweitange-
       zuerst gestellten Antrag.                     Im darauffolgenden Rechtstreit berief          gangenen Trägers begründet werden sol­-
 LSG Niedersachsen-Bremen,                           sie sich u. a. auch darauf, dass sie mit       len. Diese Zuständigkeitsfestlegung wür­
 Urteil v. 17.03.2020, Az.: L 7 AL 81/19             Blick auf die verschiedenen Anträge und        de ohne ersichtlichen Grund geschwächt,
 * Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts   Weiterleitungen im Ergebnis nicht nach         wenn deren Wirksamkeit durch evtl. spä-
 bzw. Orientierungssätze nach JURIS, redaktionell
 abgewandelt und gekürzt                             § 14 SGB IX als zweitangegangener Trä-         ter gestellte Neuanträge über denselben
                                                     ger zuständig geworden sei. Dieser ver-        Rehabilitationsbedarf tangiert würde.
                                                     fahrensrechtlichen Frage folgte das LSG
Sachverhalt und                                      im Berufungsurteil nicht.                         Weiterhin stellt das LSG unter Auf-
Entscheidungsgründe                                                                                 griff der Vorgaben des BSG klar, dass für
                                                        Das LSG stellt fest, dass die Agentur       die Zuordnung einer Leistung zu einer

B
          ei der 1995 geborenen Kläge-               für Arbeit durch die fristgerechte Wei-        Leistungsgruppe (vgl. § 5 SGB IX) vor
          rin besteht seit früher Kindheit           terleitung des Sozialamts gemäß § 14           allem der angestrebte Leistungszweck
          ein Asperger-Syndrom. Bis zum              Abs. 1 Satz 2 SGB IX (a. F.) als zweitan-      entschei­dend ist. Darauf aufbauend ord-
08.06.2017 absolvierte sie erfolgreich               gegangener Reha-Träger zuständig ge-           net es die Autismus-Therapie hier als Leis­-
eine von der Beklagten Agentur für Arbeit            worden ist. Sie hatte somit unter allen        tung zur Teilhabe am Leben der Gemein-
geförderte Berufsausbildung und nahm                 rechtlichen Gesichtspunkten und nicht          schaft (seit 2018: insb. Leistungsgruppe
anschließend eine Teilzeittätigkeit als              beschränkt auf das eigene Leistungsge-         soziale Teilhabe) ein – und nicht als Leis-
Küchenhilfe in einem Integrationsbetrieb             setz über den Antrag zu entscheiden (st.       tung zur Teilhabe am Arbeitsleben.
auf. Der Jugendhilfeträger (Beigeladene)             Rspr. vgl. z. B. BSG, Urt. v. 16.5.2014 014,
gewährte der Klägerin ab 2010 bis 2016               Az.: B 11 AL 6/13 R). Sofern gleichartige         Das rechtskräftige LSG-Urteil bietet
zudem die Kosten für Therapiesitzungen               Anträge bei verschiedenen Trägern zeit-        eine Lösung für die praxisrelevante Kon-
in einem Autismus-Therapie-Zentrum                   nah eingehen, kommt es im Rahmen               stellation, dass mehrere gleichlautende
als Eingliederungshilfe; zunächst nach               des § 14 SGB IX laut LSG darauf an,            Anträge bei verschiedenen Reha-Trägern
§ 35a SGB VIII und anschließend als                  welcher Antrag zuerst gestellt (hier: der      gestellt werden. Die dabei vom LSG als
Hilfe für junge Volljährige gemäß §§ 41,             am 06.05.2016 beim Sozialamt gestellte         maßgeblich herangezogenen Ziele der
35a, 39 SGB VIII.                                    Antrag), und nicht, welcher Antrag zuerst      Regelung des § 14 SGB IX haben sich
    Am 06.05.2016 stellte die Klägerin               weitergeleitet wurde. Das LSG begründet        auch nach dem 1.1.2018 nicht geändert,
beim Sozialamt (Beigeladene) einen An-               seine Ansicht vor allem mit der Entste-        sie sind vielmehr durch das BTHG noch-
trag auf Übernahme der Kosten für die                hungsgeschichte sowie Sinn und Zweck           mals unterstrichen worden..
Autismus-Therapie (ab Vollendung des                 des § 14 SGB IX (a. F.).
21. Lebensjahres). Das Sozialamt ordne-
te den Antrag der Teilhabe am Arbeits-
leben zu und leitete ihn am 12.05.16 an
die Agentur für Arbeit (Beklagte) weiter.                                          Lesen Sie in der nächsten Ausgabe:
Die Beklagte hatte am 11.05.2016 be-                                                Corona und Reha

                                                                                       Erscheinungstermin: 15.6.2021
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