Rechtsextreme Einstellungen in Bayern - Ergebnisse der Mitte-Studie der Universität Leipzig

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Rechtsextreme
Einstellungen in
Bayern
Ergebnisse der Mitte-Studie
der Universität Leipzig

November 2014
                              1
PD Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler                                                          Inhalt
Universität Leipzig
                                                                                                          1. Die stabilisierte Mitte und der sekundäre
                                                                                                          Autoritarismus – Die bisherigen „Mitte“-Studien
Im Auftrag der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag
                                                                                                          im Überblick                                           4

Bisher erschienene „Mitte“-Studien der Universität Leipzig:
                                                                                                          2. Die rechtsextreme Einstellung im Freistaat Bayern
Decker, O., Niedermayer, O. & Brähler, O. (2003). Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Er-
                                                                                                          – Die Ergebnisse der Untersuchung                      6
gebnisse einer repräsentativen Erhebung. Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische
Medizin 1, 65–77.
                                                                                                          2.1 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern –
                                                                                                          Verteilung nach Items und in den Dimensionen           6
Decker, O. & Brähler, O. (2005). Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Aus Politik und
Zeitgeschehen 42, 8–17.
                                                                                                          2.2 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern
                                                                                                          nach soziodemographischen Merkmalen                 10
Decker, O., Geissler, N. & Brähler, E. (2006). Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellung und
ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin: FES.
                                                                                                          3. Politische Zustände: Einstellung zu
                                                                                                          weiteren politischen ­Fragen in Bayern
Decker, O., Rothe, K., Weißmann, M., Geissler, N. & Brähler, E. (2008). Ein Blick in die Mitte. Zur
                                                                                                          2012 und 2014                                       11
Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen. Gruppendiskussionsstudie. Unter
Mitarbeit von Franziska Göpner & Kathleen Pöge. Berlin: FES.
                                                                                                          3.1 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit:
                                                                                                          Der sekundäre Antisemitismus und die Abwertung
Decker, O. & Brähler, E. (2008). Bewegung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland
                                                                                                          von Muslimen                                        12
2008. Unter Mitarbeit von Johannes Kiess. Berlin: FES.

                                                                                                          3.2 Die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma
Decker, O., Kiess, J., Weißmann, M. & Brähler, E. (2010). Die Mitte in der Krise. Springe:
                                                                                                          und Asylbewerbern und die autoritäre Orientierung
zu Klampen (2012).
                                                                                                          der Bevölkerung                                     15

Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen
                                                                                                          4. Zusammenfassung und Diskussion                   16
Deutschland 2012. Bonn: Dietz.

                                                                                                          Literatur                                           19
Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013). Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische
Gegenwartsdiagnose. Gießen: Psychosozial.

Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2014). Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in
Deutschland 2014. Leipzig: Universität Leipzig.

                                                              2                                       3
Einführung                                                        1. Die stabilisierte Mitte und der                                                 Wenn eine große Zahl von Gesellschaftsmitgliedern dem               mit den Arbeitsmarktreformen des letzten Jahrzehnts hat

Diese Studie erfasst die rechtsextreme Einstellung im Frei-       sekundäre Autoritarismus – Die                                                     demokratischen Miteinander den Rücken kehrt, dann hat               sich das Zugriffsrecht der Gesellschaft auf den Einzelnen

staat Bayern, einem der bevölkerungsreichsten Flächen-            bisherigen „Mitte“-Studien im                                                      das auch etwas damit zu tun, warum sie es unter normalen            und seine Lebensführung noch einmal erhöht. Unabhän-

länder der Bundesrepublik Deutschland. Mit ihr werden die         Überblick                                                                          Bedingungen akzeptieren. Die Integration in das politische          gig davon, welche Berechtigung man diesen Maßnahmen
                                                                                                                                                     System der Bundesrepublik Deutschland hat sich zu kei-              im Einzelnen zubilligen kannman, zeigt sich hier, dass die
Zahlen vorgelegt, die den langjährigen Mittelwert auf den
                                                                  Seit 2002 werden die „Mitte“-Studien der Universität Leip-
                                                                                                                                                     nem Zeitpunkt allein über Input- oder Output-Legitimation           übergeordneten Interessen der Allgemeinheit immer häu-
Dimensionen des Leipziger Fragebogens zur rechtsextre-
                                                                  zig im zweijährigen Rhythmus durchgeführt.1 Seitdem ist
                                                                                                                                                     vollzogen, sprich: über Wahlen oder Konsummöglichkeiten.            figer und mit symbolischer Gewalt gegen die individuellen
men Einstellung bilden: In welchem Maß befürworten die
                                                                  es in einmaliger Weise gelungen, auf der Grundlage von
                                                                                                                                                     Zwar spielt die Teilhabe am wirtschaftlichen Reichtum für die       Interessen durchgesetzt werden.
Einwohner und Einwohnerinnen Bayerns eine rechtsauto-
                                                                  repräsentativen Erhebungen ein Barometer der antidemo-
                                                                                                                                                     Integration eine große Rolle, weshalb ökonomische Krisen
ritäre Diktatur? Wie ausgeprägt ist der Chauvinismus und
                                                                  kratischen Einstellung für Deutschland zu erstellen. In den
                                                                                                                                                     zunächst Verteilungskrisen sind und dann erst zu politischen        Am ursprünglichen Konzept des Autoritären Charakters
die Verharmlosung des Nationalsozialismus? Wie stark ist
                                                                  Erhebungen geht es um zweierlei: Erstens – und das ist ein
                                                                                                                                                     Krisen werden (Offe 1972), doch dem Wunsch nach Teilha-             ist demnach die Annahme veraltet, die gesellschaftliche
die auf Menschen bezogene Abwertung – die Ausländer-
                                                                  wichtiges Anliegen der Studienreihe – um das Gefahrenpo-
                                                                                                                                                     be geht die Gewalt voraus, wodurch die Teilhabe erst ihre           Gewalt werde vor allem durch die Eltern vollzogen. Doch
feindlichkeit, der Antisemitismus und der Sozialdarwinis-
                                                                  tential für die demokratische Gesellschaft, das von einer an-
                                                                                                                                                     zentrale Bedeutung für die Legitimation der Gesellschaft er-        auch die Gegenwartsgesellschaft ist in gewisser Hinsicht
mus? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die Erhe-
                                                                  tidemokratischen Einstellung der Menschen ausgeht. Zwei-
                                                                                                                                                     hält. Mit Gewalt ist hier die Unterordnung der Gesellschafts-       veraltet, da sie noch immer das Gemeinschaftsinteresse
bungen, die seit 2002 im Rahmen der „Mitte“-Studien der
                                                                  tens geht es aber auch um ein Verständnis der Gesellschaft,
                                                                                                                                                     mitglieder unter allgemeine herrschende Prinzipien gemeint,         auf Kosten der Interessen Einzelner durchsetzt, denn so-
Universität Leipzig durchgeführt wurden, in Bezug auf den
                                                                  die diese Bedrohung ihres Fundaments selbst hervorbringt.
                                                                                                                                                     mit dem Ziel, dass die Menschen so handeln, dass der All-           bald die Kompensation für den Einzelnen entfällt, entste-
Freistaat ausgewertet (Kap. 2).
                                                                  Mit anderen Worten machen die über die Jahre dokumen-
                                                                                                                                                     gemeinheit und nicht (nur) den jeweils eigenen Wünschen             hen schnell jene autoritären Aggressionen, die sich gegen
                                                                  tierten Schwankungen in der Fieberkurve der antidemokra-
                                                                                                                                                     und Bedürfnissen gedient sei. Doch Menschen müssen erst             andere richten. Diejenigen, die zu schwach sind, sich der
Da in der Erhebungswelle 2012 zusätzliche Fragebögen
                                                                  tischen Einstellung nicht nur sichtbar, wie krisenanfällig die
                                                                                                                                                     dazu gebracht werden, so handeln zu wollen, wie sie han-            herrschenden Rationalität zu entziehen, richten dann ihre
eingesetzt wurden, die die politische Kultur erfassen, kön-
                                                                  Gesellschaft ist, sondern sie geben auch wertvolle Hinweise
                                                                                                                                                     deln sollen. Für diese Disziplin werden sie dann entschädigt        Ressentiments gegen die, die ihnen noch schwächer er-
nen in der hier vorgelegten Studie auch Befunde zu den
                                                                  darauf, aus welchen Gründen sie so anfällig ist.
                                                                                                                                                     (Output-Legitimation). Die Unterordnung vollzieht sich heu-         scheinen. Diesen Befund haben wir im Konzept des se-
politischen Zuständen in Bayern referiert werden. Kapitel
                                                                                                                                                     te nicht mehr über direkte körperliche Gewalt – zumindest           kundären Autoritarismus theoretisch neu gefasst (Decker,
3.1 wird sich den Einstellungen der Bayern gegenüber Ju-
                                                                  Theoretisch sind die „Mitte“-Studien an der Wirkung der
                                                                                                                                                     nicht für diejenigen, die sich noch der Mehrheitsgesellschaft       Kiess & Brähler 2015). Diese aktuelle Ausprägung des Au-
den und Jüdinnen sowie Muslimen und Muslima widmen.
                                                                  Autorität orientiert (Horkheimer 1936), das heißt an der
                                                                                                                                                     zurechnen dürfen – vielmehr ist die Einübung der gesell-            toritarismus tritt immer dann zutage, wenn Krisen die Teil-
Kapitel 3.2 schließlich erfasst die gruppenspezifischen
                                                                  Frage, wie stark die Gesellschaft auf Zwang setzt, um ihr
                                                                                                                                                     schaftlichen Rationalität subtiler geworden (Bröckling, Kras-       habe bedrohen (Decker et al. 2013b).
Abwertungen von Sinti und Roma, Flüchtlingen und wie-
                                                                  Funktionieren sicherzustellen oder, umgekehrt formuliert,
                                                                                                                                                     mann & Lemke 2000). Am Umstand allerdings, dass sich
derum Muslimen, deren Akzeptanz im Jahr 2014 erhoben
                                                                  wie viel Raum sie dem Einzelnen zu seiner Entfaltung zuge-
                                                                                                                                                     die Integration in die Gesellschaft durch Gewalt vollzieht,         Nachdem in den bundesweiten Erhebungen der „Mitte“-
wurde. Aus diesem Jahr stammen auch die Ergebnisse zur
                                                                  stehen kann. Empirisch orientiert sich die Studienreihe folg-
                                                                                                                                                     ändert das nichts. Wie viel die Lebensentwürfe und Bedürf-          Studien ein Anstieg der rechtsextremen Einstellung in den
autoritären Orientierung und zur Akzeptanz der Demokra-
                                                                  lich an den Studien zum Autoritären Charakter der Berkley-
                                                                                                                                                     nisse des Einzelnen zählen, das bekommen sie weiterhin              Krisenjahren 2010 und 2012 zu verzeichnen war, bilden die
tie in Bayern (Kap. 3.2).
                                                                  Gruppe (Adorno et al. 1950). Die Fragebogen-Erhebungen
                                                                                                                                                     zu spüren, wenn sie nach ihren Bedürfnissen leben wollen.           Daten des Jahres 2014 die Insellage Deutschlands ab. Poli-
                                                                  wurden allerdings durch Gruppendiskussionen ergänzt,
                                                                                                                                                                                                                         tisch wie ökonomisch wird die Situation im Kontrast zur glo-
                                                                  um das Stimmungsbild der politischen Lage in Deutsch-
                                                                                                                                                     Wie Kinder in die Gesellschaft hineinwachsen, kann als              balen Politik und zur europäischen Wirtschaft als positiv er-
                                                                  land genauer zu erfassen (Decker et al. 2008). Theoretisch
                                                                                                                                                     Beispiel dienen. Dass Eltern heute ihre Kinder nicht mehr           fahren. Die Anstrengungen, sich dem Primat der Ökonomie
                                                                  wie empirisch geht es jedoch nicht darum, die Vorarbeiten
                                                                                                                                                     körperlich züchtigen, ist ein bedeutsamer zivilisatorischer         unterzurodnen, scheint sich auszuzahlen. Das erhöht die
                                                                  der ursprünglichen Studien zu autoritären Zuständen kri-
                                                                                                                                                     Fortschritt. Die Gewalt findet heute nicht mehr vornehm-            Akzeptanz der demokratisch verfassten Gesellschaft und
                                                                  tiklos zu replizieren. Gerade das Konzept des Autoritären
                                                                                                                                                     lich in der Familie statt – was aber nicht heißt, dass es sie       dämpft sowohl den Chauvinismus als auch den Wunsch
                                                                  Charakters lässt sich mit dem gesellschaftlichen Wandel
                                                                                                                                                     nicht mehr gäbe. In der Schule erfährt noch immer jedes             nach einer Diktatur. Selbst die Abwertung von Ausländern,
                                                                  so nicht mehr bestätigen. Eine Formulierung von Herbert
                                                                                                                                                     Kind, worin die Verkehrsformen der Gesellschaft bestehen            die im Verdacht stehen, den Sozialstaat auszunutzen und
                                                                  Marcuse aufgreifend, stellten wir fest, dass der Autoritäre
                                                                                                                                                     (Jackson 1975). Der Schulbeginn und der Stundentakt                 Deutschland zu überfremden, hat sich deutlich reduziert. Ob
                                                                  Charakter veraltet ist (Decker 2010). Und der Befund gera-
                                                                                                                                                     hat so wenig mit den kindlichen Bedürfnissen zu tun, wie            darauf jedoch langfristig Verlass ist, darf mit Fug und Recht
                                                                  de deshalb von hoher Aktualität.
                                                                                                                                                     die Notengebung unter Konkurrenz. Auch der Erwachse-                bezweifelt werden, denn in der Erhebungswelle 2014 zeigte
                                                                  1   Von 2006 bis 2012 bestand eine Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung.   ne kann sich der Gewalt nicht entziehen, und spätestens             sich auch, dass bestimmte Gruppen von Migrantinnen und

                                                              4                                                                                                                                                      5
Migranten nun verstärkt das Ressentiment auf sich ziehen                                               nehmende Hinweise auf die Existenz einer solchen Latenz                                              Tabelle 2.1: Soziodemographische Merkmale der kumulierten Stichprobe (2002–2014)
– diejenigen, die nicht als Beiträger, sondern als Bedrohung                                           (Heyder & Decker 2011). Mit der kumulierten Stichprobe für                                                                                                                                                                      Westdeutschland ohne
                                                                                                                                                                                                                                            Gesamtgruppe                                                           Bayern                                        Ostdeutschland
der starken deutschen Ökonomie wahrgenommen werden.                                                    Bayern wird auch dieses Potential der rechtsextremen Ein-                                                                                                                                                                              Bayern
                                                                                                                                                                                                                                            (N=19.080)                                                            (N=2652)                                          (N=4504)
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            (N=11.924)
Wer, mit anderen Worten, die Phantasie wachruft, zu tun,                                               stellung schwankungsfrei dokumentiert.
                                                                                                                                                                                                            Alter                           Mittelwert                                                                47,73                     48,76                   51,24
was man sich selbst nicht gestattet, nämlich die auferlegten                                                                                                                                                                                Standardabweichung                                                        17,67                     18,04                   18,36
Regeln zu missachten und das schöne Leben ohne Arbeit                                                  Die den folgenden Ergebnissen und Berechnungen zu-                                                                                                                                                    N                 %          N              %        N              %

zu genießen, zieht die Abwertung verstärkt auf sich. For-                                              grunde liegenden Erhebungen wurden durch das Mei-                                                    Altersgruppen                   14–30 Jahre                                                     521               19,6       2243           18,8     793            17,6

derungen danach, Sinti und Roma, Muslima und Muslimen                                                  nungsforschungsinstitut USUMA (Berlin) im Auftrag der                                                                                31–60 Jahre                                                   1416                53,4       6134           51,4     2049           45,5
                                                                                                                                                                                                                                            über 60 Jahre                                                   715                27        3547           29,7     1662           36,9
sowie Asylsuchenden die Grundrechte abzuerkennen, sind                                                 Universität Leipzig durchgeführt. Um die Repräsentativi-
                                                                                                                                                                                                            Geschlecht                      männlich                                                      1255                1397       5493           6431     2191           2313
weit verbreitet. Das zeigen für die Bundesrepublik Deutsch-                                            tät der Stichprobe zu gewährleisten, wurde die besiedel-
                                                                                                                                                                                                                                            weiblich                                                       47,3               52,7       46,1           53,9     48,6           51,4
land sowohl die „Mitte“-Studien 2014 (Decker, Kiess & Bräh-                                            te Fläche der Bundesrepublik Deutschland zunächst in                                                 Schulabschluss                  ohne Abschluss                                                       37            1,4        203            1,7       59            1,3
ler 2014) als auch die zunehmenden Ausschreitungen ge-                                                 Stichprobenflächen (Sample-Points) aufgeteilt. Räumlich                                                                              Hauptschule/8. Klasse                                         1325                  50       5333           44,7     1312           29,1
gen Flüchtlinge.         2
                                                                                                       überschneidungsfrei definiert, wurden den Sample-Points                                                                              Mittlere Reife/Realschule                                       794               29,9       3766           31,6      593           13,2

                                                                                                       Haushalte und Einwohner zugeordnet, wobei möglichst                                                                                  POS 10. Klasse                                                       16             ,6        182            1,5     1457           32,3

2. Die rechtsextreme Einstellung                                                                       homogene und mengenmäßig gleich große Flächen gebil-                                                                                 Fachschule                                                           76            2,9        270            2,3      260            5,8

im Freistaat Bayern – Die Ergeb-
                                                                                                                                                                                                                                            Abitur/o. abgeschl. Studium                                     176                6,6       1040            8,7      276            6,1
                                                                                                       det wurden. Für dieses Vorgehen standen die Stichproben
                                                                                                                                                                                                                                            abgeschl. Hoch-/FH-Studium                                      148                5,6        722            3,4      486           10,8
nisse der Untersuchung                                                                                 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Meinungsforschungs-
                                                                                                                                                                                                                                            Schüler/in einer allg. Schule                                        80                3      408            3,4      549            2,9
                                                                                                       institute (ADM) zur Verfügung. Das vollständige Verfahren                                            Berufstätigkeit                 Vollzeit mit > 35 h/Woche                                     1149                43,3       4532             38     1447           32,1
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung
                                                                                                       wurde zuletzt in der Studie „Die stabilisierte Mitte“ (Decker,                                                                       Teilzeit mit 15–35 h/Woche                                      266                 10       1156            9,7      232            5,2
zur rechtsextremen Einstellung im Freistaat Bayern darge-
                                                                                                       Kiess & Brähler 2014) im Detail beschrieben.                                                                                         Teilzeit mit < 15 h/Woche                                            55            2,1        295            2,5       55            1,2
stellt. Um eine belastbare Stichprobengröße zu gewähr-                                                                                                                                                                                      Wehr-/Zivildienst oder Mutterschutz-/
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 30            1,1         90            0,8       44                1
                                                                                                                                                                                                                                            Erziehungsurlaub
leisten, wurde ein langjähriger Mittelwert der Zustimmung
                                                                                                       Tabelle 2.1. gibt die soziodemographischen Merkmale in
                                                                                                                                                                                                                                            arbeitslos/0-Kurzarbeit                                              91            3,4        472                4    572           12,7
zu rechtsextremen Aussagen gebildet, der die Repräsen-
                                                                                                       der kumulierten Stichprobe wider. Die Angaben zu den                                                                                 Rentner/Vorruhestand                                            710               26,8       3389           28,4     1757             39
tativbefragungen der Jahre 2002 bis 2014 zu einer Stich-
                                                                                                       Teilstichproben sind den bisherigen Veröffentlichungen zu                                                                            nicht berufstätig                                               166                6,3       1022            8,6       81            1,8
probe zusammenfasst (sog. kumulierte Stichprobe) (Kap.
                                                                                                       entnehmen (Decker, Niedermayer & Brähler 2003; Decker                                                                                in Berufsausbildung                                                  35            1,3        157            1,3       62            1,4
2.1). Aufgrund der Größe der Stichprobe können neben                                                                                                                                                                                        in Schulausbildung                                              149                5,6        806            6,8      251            5,6
                                                                                                       & Brähler 2005; Decker & Brähler 2006; Decker & Brähler
den globalen Ergebnissen für Bayern auch Zustimmungs-                                                                                                                                                       Kirchenzugehörigkeit            evangelisch                                                     649               24,6       5585             47     1165           26,1
                                                                                                       2008; Decker et al. 2010; Decker, Kiess & Brähler 2012;
werte in den einzelnen Dimensionen nach soziodemogra-                                                                                                                                                                                       katholisch                                                    1698                64,2       4356           36,7      168            3,8
                                                                                                       Decker, Kiess & Brähler 2014).
                                                                                                                                                                                                                                            keine Konfession                                                257                9,7       1542             13     3084           69,2
phischen Merkmalen (z.B. Bildung, Alter, Geschlecht) wie-
dergegeben werden (Kap. 2.2).
                                                                                                       2.1 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern – Vertei-
                                                                                                                                                                                                            Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen                                                  chend der Definition wird die rechtsextreme Einstellung
                                                                                                       lung nach Items und in den Dimensionen
Mit den Fragebögen zur rechtsextremen Einstellung werden                                                                                                                                                    verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellun-                                                   darin in sechs Dimensionen erfasst: 1) Befürwortung einer
                                                                                                       Zur Operationalisierung der rechtsextremen Einstellung
Vorurteile und autoritäre Orientierungen gemessen. Doch                                                                                                                                                     gen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich                                                  rechtsautoritären Diktatur, 2) Chauvinismus, 3) Ausländer-
                                                                                                       schließen wir an die Rechtsextremismus-Definition von Wil-
nicht immer geben die Befragten ihre Einstellung preis, be-                                                                                                                                                 in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chau-                                                feindlichkeit, 4) Antisemitismus, 5) Sozialdarwinismus und
                                                                                                       helm Heitmeyer an, der zwischen rechtsextremen Verhalten
sonders, wenn sie vermuten, dass sie sozial nicht erwünscht                                                                                                                                                 vinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw.                                                   6) Verharmlosung des Nationalsozialismus. Den Befrag-
                                                                                                       (insbesondere Gewalt) und rechtsextremer Einstellung dif-
sind. Das bedeutet, dass Vorurteile und antidemokratische                                                                                                                                                   Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Be-                                                   ten werden pro Dimension drei Aussagen rechtsextremen
                                                                                                       ferenziert (Heitmeyer 1987). Auch in dieser Studie wird zwi-
Überzeugungen auch dort vorliegen können, wo sie nicht                                                                                                                                                      reich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, frem-                                                 Inhalts vorgelegt, die sie auf einer fünfstufigen Skala von
                                                                                                       schen der Einstellung und dem tatsächlich gezeigten Ver-
geäußert werden. Diese Kommunikationslatenz ist für den                                                                                                                                                     denfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.                                                     „lehne voll und ganz ab“ bis „stimme voll und ganz zu“ be-
                                                                                                       halten unterschieden (Decker & Brähler 2006), wobei unser
Antisemitismus gut dokumentiert (Bergmann & Erb 1986;                                                                                                                                                                                                                                                                 werten (Decker et al. 2013a). Die folgenden Prozentwerte
                                                                                                       Augenmerk auf der Einstellung liegt. Für die Definition der
Salzborn & Brosig 2007; Beyer & Krumpal 2010), und auch                                                                                                                                                     Für die Erhebung wurde der Fragebogen zur rechtsextre-                                                    geben die Zustimmung zu den einzelnen Aussagen über
                                                                                                       rechtsextremen Einstellung schließen wir uns der Konsen-
für andere Vorurteile und Überzeugungen gibt es ernstzu-                                                                                                                                                    men Einstellung in der Leipziger Form eingesetzt. Entspre-                                                die fünfstufige Skala im langjährigen Mittel wieder.
                                                                                                       susgruppe führender deutscher Politikwissenschaftler3 an:
2    http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hetze/die-brandstifter-rechte-hetze-gegen-fluechtlin-       3   An dieser Konsensuskonferenz waren beteiligt: Elmar Brähler (Leipzig), Michael Edinger (Jena),    (Berlin), Karl Schmitt (Jena), Siegfried Schumann (Mainz), Richard Stöss (Berlin), Bettina Westle
    ge/ (Abruf: 25.10.2014)                                                                                Jürgen Falter (Mainz), Andreas Hallermann (Jena), Joachim Kreis (Berlin), Oskar Niedermayer       (Erlangen) und Jürgen Winkler (Mainz).

                                                                                                   6                                                                                                                                                                                                             7
Zwischen 2002 und 2014 fanden demnach die Aussagen                        Antisemitismus, einen Bruch mit den allgemeinen und be-         folgenden Grafiken zeigen für jede der sechs Dimensionen,          in Ostdeutschland ist dagegen nur jeder Sechste chauvi-
mit ausländerfeindlichem Inhalt bei den Befragten beson-                  kannten Konventionen darstellen. Das Antwortverhalten ist       wie hoch der Anteil der Befragten ist, die allen Aussagen          nistisch eingestellt.
ders große Akzeptanz. Die Antwortverteilung bei den Ein-                  also in die Richtung der sozialen Erwünschtheit modifiziert.    zustimmen. Zu Vergleichszwecken werden die Zustim-
zel-Items ist allerdings sehr heterogen. Bei allen zur Beur-              Den 18 Aussagen des Fragebogens sind die sechs Dimen-           mungswerte der ostdeutschen und der anderen westdeut-              Grafik 2.1.3: Ausländerfeindlichkeit in Bayern in %
teilung vorgelegten Aussagen rechtsextremen Inhalts fällt                 sionen der rechtsextremen Einstellung zugeordnet. Erst          schen Bundesländer (ohne Bayern) mit abgebildet.                   (kumulierte Stichprobe 2002–2014)
                                                                                                                                                                                                              Ausländerfeindlichkeit
zudem die relativ große Gruppe der teils/teils-Antworten                  wenn ein Befragter oder einer Befragte durchschnittlich al-                                                                        35

auf. Wer die „teils/teils“-Möglichkeit nutzt, lehnt die Aussa-            len Aussagen der jeweiligen Dimension zustimmt, nehmen          Grafik 2.1.1: Befürwortung einer rechtsautoritären                  30             33,1
                                                                                                                                                                                                                                                            30,5
                                                                                                                                                                                                             25
ge nicht ab, aber eine Zustimmung würde, wie etwa beim                    wir das Vorliegen einer rechtsextremen Einstellung an. Die      Diktatur in Bayern in %
                                                                                                                                                                                                             20
                                                                                                                                          (kumulierte Stichprobe 2002–2014)                                                               20
                                                                                                                                          Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur                      15
Tabelle 2.1.1: Zustimmung der Befragten in Bayern in % (kumulierte Stichprobe 2002–2014)
                                                                                                                                          8                                                                  10
                                                                     lehne über-      stimme teils zu,   stimme über-   stimme voll und                                                                       5
     Rechtsextremismus                             lehne völlig ab                                                                        7
                                                                     wiegend ab       teils nicht zu     wiegend zu     ganz zu
                                                                                                                                          6                                               6,6                 0
                                                                                                                                                       6,4
     Im nationalen Interesse ist unter be-                                                                                                                                                                                Bayern     Westdeutschland   Ostdeutschland
01   stimmten Umständen eine Diktatur die               54,8               21,2            14,1                7,9            2,1         5                                                                                            ohne Bayern
     bessere Staatsform.                                                                                                                  4
                                                                                                                                                                       3,9                                   Die Ausländerfeindlichkeit ist im gesamten Bundesgebiet
     Ohne Judenvernichtung würde man Hitler                                                                                               3
02                                                        43               21,7            18,6               12,3            4,3
     heute als großen Staatsmann ansehen.                                                                                                                                                                    die Dimension, die die höchsten Zustimmungswerte er-
                                                                                                                                          2
     Was Deutschland jetzt braucht, ist eine
                                                                                                                                          1                                                                  fährt. Im Vergleich zum westlichen Bundesgebiet (jeder
03   einzige starke Partei, die die Volksge-            31,1               20,2            23,5               16,8            8,4
     meinschaft insgesamt verkörpert.                                                                                                     0                                                                  Fünfte) fällt das Ergebnis für Bayern aber noch drastischer
     Wir sollten einen Führer haben, der                                                                                                              Bayern     Westdeutschland    Ostdeutschland
04   Deutschland zum Wohle aller mit starker            45,1               19,4            17,8               13,1            4,6                                  ohne Bayern                               aus: Mit 33,1% stimmt jeder Dritte den Aussagen mit aus-
     Hand regiert.
                                                                                                                                                                                                             länderfeindlichem Inhalt zu. Damit liegt die Ausländerfeind-
     Wie in der Natur sollte sich in der Gesell-                                                                                          Die Ergebnisse zeigen, dass eine rechtsautoritäre Diktatur
05
     schaft immer der Stärkere durchsetzen.
                                                        37,6               22,2              21               14,8            4,4                                                                            lichkeit in Bayern sogar noch höher als in den ostdeut-
                                                                                                                                          im langjährigen Mittel nur von wenigen Probanden befür-
     Die Ausländer kommen nur hierher, um                                                                                                                                                                    schen Bundesländern (30,5%).
06                                                      10,1                17             29,3               25,4           18,1
     unseren Sozialstaat auszunutzen.                                                                                                     wortet wird. Bundesweit finden entsprechende Aussagen
     Auch heute noch ist der Einfluss der
07                                                      24,1               20,9            27,8               19,2              8         bei nicht einmal jedem 14. der Befragten Zustimmung, in
     Juden zu groß.                                                                                                                                                                                          Grafik 2.1.4: Antisemitismus in Bayern in % (kumulier-
     Wir sollten endlich wieder Mut zu einem                                                                                              Westdeutschland (ohne Bayern) sind es sogar weniger als
08                                                      10,2               13,1            29,1               29,7           17,9                                                                            te Stichprobe 2002–2014)
     starken Nationalgefühl haben.
                                                                                                                                          4% der Bevölkerung. In Bayern und in Ostdeutschland                Antisemitismus
     Eigentlich sind die Deutschen anderen
09                                                      33,6               23,9            24,6               13,7            4,2         bevorzugen aber immerhin jeweils 6% der Befragten eine             14
     Völkern von Natur aus überlegen.
                                                                                                                                                                                                             12
     Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte                                                                                              Diktatur als Regierungsform.                                                      12,6
10   man die Ausländer wieder in ihre Heimat            14,3               16,9              27               24,7           17,1                                                                            10
     zurückschicken.
                                                                                                                                                                                                              8
                                                                                                                                                                                                                                          8,4
     Die Verbrechen des Nationalsozialismus                                                                                               Grafik 2.1.2: Chauvinismus in Bayern in %                            6
11   sind in der Geschichtsschreibung weit              45,6                25             19,2                7,5            2,7                                                                                                                           6,1
     übertrieben worden.                                                                                                                  (kumulierte Stichprobe 2002–2014)                                   4
                                                                                                                                          Chauvinismus
     Was unser Land heute braucht, ist ein                                                                                                                                                                    2
     hartes und energisches Durchsetzen                                                                                                   30
12                                                      15,9               15,7            30,5               25,8             12                                                                             0
     deutscher Interessen gegenüber dem                                                                                                   25
     Ausland.                                                                                                                                          26,4                                                               Bayern     Westdeutschland   Ostdeutschland
                                                                                                                                          20                                                                                           ohne Bayern
     Die Juden arbeiten mehr als andere
13   Menschen mit üblen Tricks, um das zu                 31               22,5            24,9               15,3            6,2         15                                            17,2
                                                                                                                                                                      16,2                                   Die antisemitische Einstellung ist ein wesentliches Kenn-
     erreichen, was sie wollen.                                                                                                           10
     Das oberste Ziel der deutschen Politik
                                                                                                                                                                                                             zeichen rechtsextremer Einstellung. Auch wenn sich die
                                                                                                                                           5
14   sollte es sein, Deutschland die Macht und          17,2               17,7            31,6               24,6              9
                                                                                                                                           0                                                                 Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden in allen poli-
     Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.
                                                                                                                                                     Bayern     Westdeutschland    Ostdeutschland
15   Es gibt wertvolles und unwertes Leben.             58,7               17,2              13                7,3            3,7                                 ohne Bayern                                tischen Lagern finden lässt (Ullrich 2012), ist sie integraler
     Die Bundesrepublik ist durch die vielen                                                                                                                                                                 Bestandteil einer rechtsextremen, rassistisch begründeten
16   Ausländer in einem gefährlichen Maß                14,7               14,4            24,7               29,1           17,1         Die chauvinistische Einstellung ist in Bayern deutlich stär-
     überfremdet.                                                                                                                                                                                            Ideologie der Ungleichwertigkeit. Seit der Neuzeit sind Ju-
                                                                                                                                          ker ausgeprägt als die Diktaturbefürwortung. Im Freistaat
     Die Juden haben einfach etwas Beson-                                                                                                                                                                    den und Jüdinnen für Antisemiten eine Projektionsfläche
17   deres und Eigentümliches an sich und               30,2               23,7            26,5               14,6            4,9         findet sich jeder Vierte bereit, allen Aussagen chauvinisti-
     passen nicht so recht zu uns.                                                                                                                                                                           des „Fremden“ schlechthin.
     Der Nationalsozialismus hatte auch seine
                                                                                                                                          schen Inhalts zuzustimmen. Im übrigen Bundesgebiet und
18                                                      35,7               22,7            27,5                9,7            4,4
     guten Seiten.

                                                                      8                                                                                                                                  9
Der Leipziger Fragebogen erfasst den klassischen primä-           2.2 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern nach              Tabelle 2.2.3: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen                      Tabelle 2.2.5: Rechtsextreme Einstellungsdimensio-
ren Antisemitismus. Für Bayern fällt er vergleichsweise           soziodemographischen Merkmalen (kumulierte                    in Bayern in Abhängigkeit vom Alter (in %)                                nen in Bayern in Abhängigkeit von der konfessionel-
hoch aus: 12,6% der Befragten bejahen antisemitische              Stichprobe)                                                                                 14–30        31–60        älter 60
                                                                                                                                                                                                          len Bindung (in %)
Aussagen. Der sekundäre Antisemitismus wird in seiner             Die Größe der Stichprobe für Bayern (N=2652) gestattet es,                                  (N=514)      (N=1406)     (N=712)
                                                                                                                                                                                                                                      evange-   katholisch   ohne kon-
                                                                                                                                Befürwortung Diktatur         4,5          6,8          7,2                                           lisch                  fessionelle
Verbreitung in Kapitel 3 vorgestellt.                             die Häufigkeit der Zustimmung nach Bevölkerungsgrup-
                                                                                                                                                                                                                                                             Bindung
                                                                                                                                Chauvinismus                  20           25,3         33,3
                                                                  pen, entsprechend ihrer soziodemographischen Merkma-
                                                                                                                                Ausländerfeindlichkeit        25,3         32,6         39,7              Befürwortung Diktatur       7,9       5,8          6,3
Grafik 2.1.5: Sozialdarwinismus in Bayern in %                     le, zu trennen. Im Freistaat zeigen sich dadurch ähnliche                                                                               Chauvinismus                28,9      25,4         27,3
                                                                                                                                Antisemitismus                8,5          12,8         15,4
Sozialdarwinismus
(kumulierte Stichprobe 2002–2014)                                 Tendenzen wie im gesamten Bundesgebiet. So gibt es bei-       Sozialdarwinismus             3,5          5,7          4,4               Ausländerfeindlichkeit      36,8      32,1         32,8

                                                                  spielsweise einen deutlichen Unterschied zwischen Frau-       Verharmlosung Nationalsozi-   3,5          4,8          5,8               Antisemitismus              12,7      11,9         18
6
                                                                                                                                alismus                                                                   Sozialdarwinismus           4,2       5,3          2,7
5                                              5,6                en und Männern in der Zustimmung zu allen Dimensionen
             4,9                                                                                                                                                                                          Verharmlosung Nationalso-   5,3       4,6          5,5
4                                                                 rechtsextremer Einstellung. Frauen finden rechtsextreme                                                                                 zialismus
3                            3,7                                                                                                Werden die Zustimmungswerte in Bayern nach Alters-
                                                                  Aussagen durchweg seltener zustimmungsfähig als Män-
2                                                                                                                               gruppen differenziert, zeigt sich ein klarer Anstieg mit dem
                                                                  ner. Diese Differenz ist bei der Ausländerfeindlichkeit am                                                                              Bei den bayerischen Befragten mit konfessioneller Bindung
1
                                                                                                                                Lebensalter der Befragten. Dies gilt für alle sechs Dimen-
0
                                                                  deutlichsten, gefolgt vom Antisemitismus.                                                                                               fallen die Gruppen, die rechtsextremen Aussagen zustim-
                                                                                                                                sionen. Derselbe Zusammenhang ist auch im übrigen
           Bayern      Westdeutschland    Ostdeutschland                                                                                                                                                  men, verschieden groß aus. Unter den Christen kommen
                         ohne Bayern
                                                                                                                                westlichen Bundesgebiet zu beobachten. Anders verhält
                                                                  Tabelle 2.2.1: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen                                                                                    die Protestanten – mal mehr, mal weniger deutlich – fast
Der Sozialdarwinismus spielt in den Einstellungen der Bun-                                                                      es sich nur im Osten, wo die jüngste Altersgruppe zum
                                                                  in Bayern in Abhängigkeit vom Geschlecht (in %)                                                                                         durchgehend auf höhere Werte als die Katholiken. Was
desbürger keine große Rolle. Im Vergleich zu den ostdeut-                                                                       Teil deutlich höhere Zustimmungswerte aufweist. Dieser
                                                                                                       Männer         Frauen
                                                                                                                                                                                                          die Dimension des Antisemitismus betrifft, fällt auf, dass
schen Ländern finden die sozialdarwinistischen Aussagen                                               (N=1250)      (N=1382)    Unterschied zwischen Ost und West verdeutlicht, dass es
                                                                                                                                                                                                          die Gruppe der Konfessionslosen hier mit 18% zu Buche
in Westdeutschland eine noch geringere Zustimmung, al-            Befürwortung Diktatur                  7,4           5,6      sich weniger um einen Alters-, als um einen Kohorteneffekt
                                                                                                                                                                                                          schlägt, im Vergleich zu 12,7% bei den evangelischen und
lerdings liegen wieder die Befragten aus Bayern vor denen         Chauvinismus                          27,4          25,6      handelt (Decker, Kiess & Brähler 2013b, 108ff).
                                                                                                                                                                                                          11,9% bei den katholischen Befragten. Erstaunlicherweise
aus den übrigen westlichen Bundesländern.                         Ausländerfeindlichkeit                35,3            31
                                                                                                                                                                                                          ist unter den Christen – diesmal besonders bei den Katho-
                                                                  Antisemitismus                        14,4            11
                                                                                                                                Tabelle 2.2.4: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen in
                                                                  Sozialdarwinismus                      5,3           4,6
                                                                                                                                                                                                          liken (5,3%) – auch der Sozialdarwinismus zustimmungsfä-
Grafik 2.1.6: Verharmlosung des Nationalsozialismus                                                                              Bayern in Abhängigkeit vom Haushaltseinkommen (in %)
                                                                  Verharmlosung Nationalsozialismus      5,4           4,3                                                                                higer als bei Menschen ohne konfessionelle Bindung.
in Bayern in %                                                                                                                                                   < 1250        1250–       > 2500
Verharmlosung des Nationalsozialismus
(kumulierte Stichprobe 2002–2014)                                                                                                                               (N=427)         2500      (N=866)
                                                                  Tabelle 2.2.2:      Rechtsextreme Einstellungsdimensio-                                                   (N=1263)                      3. Politische Zustände: Einstel-
6                                                                 nen in Bayern in Abhängigkeit von der Bildung (in %)          Befürwortung Diktatur                5,9           6            7         lung zu weiteren politischen
                                                                                                                                                                                                          Fragen in Bayern 2012 und 2014
5                                                                                                                               Chauvinismus                        30,4         26,6         24,1
              4,8                                                                                        Abitur   kein Abitur
4                                                                                                                               Ausländerfeindlichkeit              37,4         33,6         30,4
                                                                                                       (N=322)      (N=2310)
3                            3,8
                                                                  Befürwortung Diktatur                 5,9           6,5       Antisemitismus                      13,1         11,8         13,2        Die überproportional häufigen sozialdarwinistischen Ein-
2
                                               2,2                                                                              Sozialdarwinismus                    5,6          4,6          5,2
                                                                  Chauvinismus                         14,6          28,1                                                                                 stellungen bei Christen weisen auf den besonderen Stellen-
1
                                                                  Ausländerfeindlichkeit               19,3            35       Verharmlosung                        5,9          4,5          4,2
0                                                                                                                               Nationalsozialismus                                                       wert hin, den die religiöse Zugehörigkeit in der modernen
            Bayern      Westdeutschland   Ostdeutschland          Antisemitismus                        7,5          13,4
                          ohne Bayern
                                                                                                                                                                                                          Gesellschaft für die Vorurteilsbildung bekommen hat. Dass
                                                                  Sozialdarwinismus                     3,4           5,1
                                                                                                                                Über die Einkommensgruppen hinweg ist die Zustimmung                      wiederum die Konfessionslosen besonders antisemitisch
Für die bayerischen Befragten ist die Verharmlosung des           Verharmlosung Nationalsozialismus     3,1           5,1
                                                                                                                                zu rechtsextremen Aussagen in Bayern relativ homogen.                     eingestellt sind, legt nahe, dass sich der Antisemitismus
Nationalsozialismus eher zustimmungsfähig als im übrigen
                                                                                                                                Je niedriger das Einkommen ist, desto stärker sind die                    nicht allein aus einer älteren christlichen Judenfeindschaft
Westdeutschland und in Ostdeutschland, wo verharmlo-              Auch der bekannte Effekt des formalen Bildungsgrades ist
                                                                                                                                Befragten ausländerfeindlich eingestellt. Andersherum gilt                schöpft, sondern dass zum christlichen Anti-Judaismus
sende Aussagen nur ein minimales Echo finden.                     in Bayern zu beobachten. Probanden, die die allgemeine
                                                                                                                                aber auch: Je höher das Einkommen, desto eher wird der                    neue Quellen gekommen sind. Die fortschreitende religi-
                                                                  Hochschulreife besitzen, neigen den Aussagen des Frage-
                                                                                                                                Wunsch nach einer Diktatur geäußert.                                      öse Pluralisierung, aber auch die wachsende Bedeutung
                                                                  bogens auf allen Dimensionen weniger zu als Menschen
                                                                                                                                                                                                          des Islam in Deutschland, führt zu der Feststellung, dass
                                                                  mit formal niedrigerem Bildungsgrad. Die größten Unter-
                                                                                                                                                                                                          erneut Menschen als Projektionsfläche gewählt werden,
                                                                  schiede zeigen sich bei der Ausländerfeindlichkeit und
                                                                                                                                                                                                          deren behauptete Andersartigkeit an ihrer religiösen Zuge-
                                                                  dem Chauvinismus.

                                                             10                                                                                                                                      11
hörigkeit festgemacht wird (Decker & Kiess 2013). Die un-           le 2014 wurde die Abwertung spezifischer Gruppen in der         Bayern die islamische Welt für rückwärtsgewandt und den                  zustimmungsfähig. Fast 40% der Bayern schreiben Jüdin-
terstellte Homogenität und Bedrohung, die von Jüdinnen              Bevölkerung durch Zusatzfragebögen bestimmt. Zu diesen          Islam für eine archaische Religion, während die übrigen                  nen und Juden „zu viel“ Einfluss auf die „Wall Street“ zu,
und Juden, Muslima und Muslimen ausgeht, existiert le-              Gruppen gehörten wiederum Muslime und Muslima, darü-            westdeutschen Länder bei dieser Frage auf 54,6% kom-                     womit ein klassisches Motiv des Antisemitismus anklingt:
diglich in den Augen des vorurteilsbehafteten Betrachters.          ber hinaus aber auch Sinti und Roma sowie Asylsuchende.         men. Nur in Ostdeutschland ist die Gruppe der islamfeind-                Es bringt paranoide Phantasien von einer versteckten
Dass sich genau diese Fläche für die Projektion anbietet,           Hierfür wurden die entsprechenden Dimensionen der in            lich Eingestellten noch größer: Fast alle Aussagen können                Macht von Juden mit dem Vorurteil von der jüdischen Do-
sagt wesentlich mehr über die Gegenwartsgesellschaft                der Bielefelder Studie „Deutsche Zustände“ eingesetzten         mit über 60% Zustimmung rechnen.                                         minanz in der Finanzwirtschaft zusammen.
aus, als das Vorurteil über das Objekt des Hasses (Decker,          Fragebatterien verwendet (zuletzt Heitmeyer 2012).
Kiess & Brähler 2013a). Für die Einstellungsforschung ist                                                                           Wird der Antisemitismus getrennt für Bayern betrachtet,                  Jeder Dritte rechnet jüdischen Deutschen die Politik der is-
somit verstärkte Anstrengung geboten, um die Ursachen               Die Islamophobie gerät in den Blick der politischen Ein-        zeigen sich auch hier abweichende Ergebnisse zu den                      raelischen Regierung zu. Die geringste Zustimmung findet
für die Entstehung und Verbreitung von Vorurteilen zu er-           stellungsforschung, weil sie ähnlich wie der Antisemiti-        übrigen Landesteilen. Zwar wiesen bayerische Befragte                    die Behauptung, Jüdinnen und Juden hätten eine Mitver-
fassen – und besonders von jenen Vorurteilen, die unter             mus von einer projektiven Aufladung der Menschen lebt,          bereits im Leipziger Fragebogen für diese Dimension deut-                antwortung an ihrer Verfolgung, doch auch diese Aussage
den Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit              die als „Fremde“ wahrgenommen werden. Wer solcherart            lich höhere Werte auf (vgl. Kap. 2.1), doch vergrößert sich              findet noch bei fast jedemn siebten Befragten Bestätigung.
fallen. Deshalb soll auch hier den islamfeindlichen, den an-        islamfeindlich eingestellt ist, sieht „die Muslime“ als einen   der Abstand zu den anderen Bundesländern noch einmal
tisemitischen und anderen gruppenbezogenen Abwertun-                einheitlichen Block, innerhalb dessen keine Abweichung          durch die Ergebnisse des ergänzend eingesetzten Frage-                   Noch deutlicher fällt die Zustimmung zu den sekundär
gen Aufmerksamkeit geschenkt werden.                                möglich ist. Als Ursache für diese scheinbar wesensgleiche      bogens zum primären und sekundären Antisemitismus.                       antisemitischen Aussagen aus (vgl. Grafik 3.1.3). Die Er-
                                                                    Gruppe werden im Gegensatz zum klassischen Rassismus            Den Grafiken 3.1.2 und 3.1.3 sind die Zustimmungswerte                   gebnisse zeigen, dass der sekundäre Antisemitismus in
Das Kernstück einer jeden Erhebungswelle der „Mitte“-               nicht mehr genetisch Gründe gedacht, sondern aus der            je Aussage zu entnehmen. Die Befragten hatten die Mög-                   Bayern äußerst verbreitet ist. Jede der Aussagen findet
Studien ist der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung           Zugehörigkeit zum Islam hergeleitet. Bestehen bleibt die        lichkeit, die Aussagen „voll und ganz abzulehnen“ oder ih-               bei mindestens 43% der Befragten Zustimmung. Damit
(Kap. 2.1 und 2.2). Neben diesem Fragebogen, der die                projektive Aufladung „des Islam“. Der Islam bringt in dieser    nen – am anderen Ende der fünfstufigen Skala – „voll und                 ist noch immer nahezu jeder Zweite mit der Aussage ein-
gruppenbezogenen und sozialen Einstellungsdimensio-                 Logik eine Weltsicht mit sich, die mit der des Westens nicht    ganz zuzustimmen“. Die Prozentangaben geben jenen Teil                   verstanden, dass der Holocaust heute von Jüdinnen und
nen der rechtsextremen, antidemokratischen Einstellung              kompatibel ist und von der sich die Muslime nicht emanzi-       der Befragten wieder, die den Aussagen „zustimmten“                      Juden ausgenutzt wird.
misst, werden regelmäßig zusätzliche Fragebögen zur po-             pieren können. Damit einher geht die Annahme, dass der          oder „voll und ganz zustimmten“.
litischen Situation eingesetzt. Im Jahr 2012 betraf das die         Islam bzw. die islamisch geprägte Kultur eine hinreichende      Die meisten Aussagen zur Erfassung des primären Antise-                  Auch dass die Folgen des deutschen Angriffs- und Vernich-
Islamfeindschaft mit einem Fragebogen, der fünf Aussagen            Erklärung für alle Schwierigkeiten innerhalb der mehrheit-      mitismus (vgl. Grafik 3.1.2) sind für jeden dritten Befragten            tungskrieges auf der einen Seite und die Bombardierung
umfasste (Decker et al. 2012; Imhoff & Recker 2012). Da-            lich islamischen Länder und bei der Integration von Musli-
rüber hinaus wurde 2012 erstmals eine weitere Dimension             men in westliche Länder sei. Debatten über gesellschaftli-
des Antisemitismus erhoben: Während die „Mitte“-Studien             che Missstände werden somit „religionisiert“ und Konflikte      Islamfeindschaft
                                                                                                                                    Grafik 3.1.1: Islamfeindschaft 2012 (Zustimmung in %)
schon seit 2002 den sogenannten primären Antisemitis-               in sozialen Randlagen ethnisiert.
                                                                                                                                    70
mus zum Gegenstand haben, kam 2012 der sekundäre
                                                                                                                                    60                                                                           65,3                                              64,0
Antisemitismus hinzu (Imhoff 2010; Ullrich et al. 2012).            3.1 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Der                         62,8            62,7       63,3          62,5

                                                                                                                                                   54,6                                                                                            55,8    55,2
Die Notwendigkeit neben einem primären auch einen se-               sekundäre Antisemitismus und die Abwertung von                  50                                       53,0
                                                                                                                                                                                                 47,8
kundären Antisemitismus zu bestimmen ist Folge des von              Muslimen                                                        40                                                                  44,1                45,5   43,9    44,3

Nazideutschland geführten Angriffs- und Vernichtungskrie-           Die Ergebnisse der Erhebung 2012 (Westdeutsche ohne
                                                                                                                                    30
ges. Mit der Shoah tritt seit dem Ende des Krieges ein neu-         Bayern N=1558; Bayern N=371; Ostdeutsche N=486;
                                                                                                                                    20
es Motiv für den Antisemitismus zutage. Denn Auschwitz              Stichprobenbeschreibung vgl. Decker, Kiess & Bräh-
                                                                                                                                    10
ist etwas, was die Ideologie des deutschen Nationalismus            ler 2012) zeigen auffällige Werte für die Islamfeindschaft
nachhaltig desavouriert. Die eigene Nation wertzuschätzen           und den sekundären Antisemitismus. Die Ressentiments             0
                                                                                                                                          Die islamische Welt        Der Islam ist eine         Ich denke, dass die        Jegliche Kritik von     Muslime und ihre
ist schwer möglich, wenn zugleich Auschwitz Geschichte              gegenüber Muslimen und Muslima sind bundesweit stark                  ist rückständig und        archaische Religion,       Nähe von Islam und         Vertretern des Islam    Religion sind so
                                                                                                                                          verweigert sich den        unfähig sich an die        Terrorismus schon im       an der westlichen       verschieden von uns,
dieser Nation ist. Das aus dem Nationalismus im Angesicht           ausgeprägt, doch in Bayern liegen sie – besonders für die             neuen Realitäten.          Gegenwart anzupassen.      Islam selber und           Welt ist übertrieben    dass es blauäugig
                                                                                                                                                                                                seinen aggressiven         und ungerechtfertigt.   wäre, einen gleichen
seiner Schande resultierende Gefühl der Schuldabwehr                ersten beiden Aussagen des Fragebogens – noch ein-                                                                          Seiten angelegt ist.                               Zugang zu allen
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verschafft sich Abfuhr und wird als „sekundärer Antisemi-           mal deutlich über denen für die anderen westdeutschen                                                                                                                          Positionen zu fordern.
                                                                                                                                                  Bayern          Westdeutschland ohne Bayern            Ostdeutschland
tismus“ bezeichnet. In der darauffolgenden Erhebungswel-            Bundesländer. Beispielsweise halten 62,8% der befragten

                                                               12                                                                                                                                       13
Primärer Antisemitismus
Grafik 3.1.2: Einzel-Items primärer Antisemitismus 2012 (Zustimmung in %)
                                                                                                                                                      Zusammengefasst lässt sich sagen, dass über 36% der                          Bundesweit fällt die stark ausgeprägte Abwertung von
40                                                                                                                                                    Befragten in Bayern sekundär antisemitisch eingestellt                       Asylbewerbern, Muslimen und Muslima sowie Sinti und
35                                       39,1                                                                                                         sind. Mit einer Zustimmung von 12,4% der Befragten weist                     Roma auf. Die Zustimmungswerte zu den verschiedenen
30            32,3                                                                                                                                    der Wert des primären Antisemitismus in dieser Befragung                     Aussagen sind mal in Bayern, mal in den anderen west-
25                                                                                                                                   28,6             keine deutliche Differenz zu den restlichen Landesteilen                     deutschen und mal in den ostdeutschen Bundesländern
20                                                                    23,2                                                                            auf. Bei der Äußerung antisemitischer Einstellungen macht                    am höchsten.
15                                                                                                                                                    sich somit eine deutliche Kommunikationslatenz bemerk-
                                                                                                       15,1
10                                                                                                                                                    bar. Erst den Aussagen zum sekundären Antisemitismus                         Tabelle 3.2.2: Zustimmung zur Demokratie 2014 in %
 5                                                                                                                                                    wird in Bayern ausdrücklicher zugestimmt (36,9%).                                                                      West-
                                                                                                                                                                                                                                                                                         Ost-
 0                                                                                                                                                                                                                                 Demokratie ...               Bayern    deutschland
                                                                                                                                                                                                                                                                                      deutschland
       Juden haben zu viel        Juden haben zu viel         Juden sorgen mit                Durch ihr Verhalten       Durch die israelische                                                                                                                             ohne Bayern
       Einfluss auf die           Kontrolle und Einfluss      ihren Ideen immer               sind die Juden an ihren   Politik werden mir die        3.2 Die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma
                                                                                                                                                                                                                                   ... als Idee                   95,6         89,9          92,9
       öffentliche Meinung        an der Wall Street.         für Unfrieden.                  Verfolgungen mitschuldig. Juden immer
       in diesem Land                                                                                                   unsympathischer.              und Asylbewerbern und die autoritäre Orientierung                            ... wie in der deut-           86,4         74,6          70,8
                                                                                                                                                                                                                                   schen Verfassung
                                                                                                                                                      der Bevölkerung                                                              niedergelegt
                                                                                                                                                      In die Erhebung der „Mitte“-Studie 2014 (Westdeutsche                        ... wie sie in Deutsch-        60,5         56,3          46,8
Sekundärer Antisemitismus in Bayern                                                                                                                                                                                                land funktioniert
                                                                                                                                                      ohne Bayern N=1588; Bayern N=341; Ostdeutsche N=503;
Grafik 3.1.3: Einzel-Items sekundärer Antisemitismus 2012 (Zustimmung in %)
70                                                                                                                                                    Stichprobenbeschreibung Decker, Kiess & Brähler 2014)
                                                                                                                                  74,1
                                                                                                                                                                                                                                   Die Bayern zeigen sich insgesamt sehr zufrieden mit der
60
                                                                                                                                                      flossen zusätzliche Aussagen aus der Bielefelder Studienrei-
                                                                                                                                                                                                                                   Demokratie, zufriedener noch als die Bürgerinnen und Bür-
                                                                                                                                                      he „Deutsche Zustände“ ein. Mit Blick auf die erweiterte Ar-
50
                                                                   54,5                                                                                                                                                            ger der anderen Landesteile. Das betrifft zunächst die Idee
                                       49,9                                                                                                           beitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus osteuropäischen
40           45,3                                                                                                                                                                                                                  der Demokratie, die von 95,6% der bayerischen Befragten
                                                                                                    43,1                                              Ländern und die Zunahme an Flüchtlingen interessierte vor
30                                                                                                                                                                                                                                 unterstützt wird. Aber auch die Verfassungsnorm und -re-
                                                                                                                                                      allem die Akzeptanz von Sinti und Roma sowie Asylsuchen-
20                                                                                                                                                                                                                                 alität finden große Zustimmung im Freistaat..
                                                                                                                                                      den. In Kenntnis der starken Abwertung von Muslimen und
10                                                                                                                                                    Muslima 2012 (vgl. 3.1) wurden auch diese Aussagen noch-
 0                                                                                                                                                    mals in die Erhebung aufgenommen (Heitmeyer 2012).
      Es macht mich wütend,     Reparationsforderungen     Ich bin es leid, immer          Die Juden nutzen die           Wir sollten uns lieber
      dass die Vertreibung      an Deutschland nützen      wieder von den                  Erinnerung an den              gegenwärtigen Probleme
      der Deutschen und die     oft gar nicht mehr den     deutschen Verbre-               Holocaust heute für ihren      n widmen als Ereignissen,
      Bombardierung             Opfern, sondern einer      chen an den Juden               eigenen Vorteil aus.           die mehr als 60 Jahre
      deutscher Städte immer    Holocaust-Industrie von    zu hören.                                                      vergangen sind.
      als kleinere Verbrechen   findigen Anwälten.
      angesehen werden.                                                                                                                               Tabelle 3.2.1: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 2014 (Zustimmung in %)

                                                                                                                                                                                                                                        Bayern               Westdeutschland      Ostdeutschland
                                                                                                                                                                                                                                                                 ohne Bayern
deutscher Städte sowie die Vertreibung von Deutschen auf                  Grafik 3.1.4: Skalen des primären und sekundären                             Islamfeindschaft

der anderen Seite unterschiedlich bewertet werden, löst                   Antisemitismus 2012
                                                                          Verharmlosung des   (Zustimmung in %)
                                                                                            Nationalsozialismus                                       Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.                  46,0                     44,9               33,0

bei fast jedem Zweiten Ärger aus. 75% sehen wichtigere                    40                                                                          Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder               35,5                     35,1               39,7
                                                                                                                                                      im eigenen Land.
                                                                          35
Aufgaben, als sich mit der deutschen Geschichte zu be-                                       36,9
                                                                                                                                                      Antiziganismus
                                                                          30
schäftigen. Die Deutschen hätten ein Recht, nicht mehr                                                                                                Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend                 53,7                     54,0               57,5
                                                                          25
                                                                                                                                                      aufhalten.
mit dem Holocaust konfrontiert zu werden, forderte Franz-                 20                                           22,0
                                                                                                                                            18,8
                                                                                                                                                      Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden.                        47,5                     45,0               46,9
Josef Strauß bereits in den 1950er-Jahren und damit kurz                  15
                                                                          10                                                                          Sinti und Roma neigen zur Kriminalität.                                             45,7                     55,6               52,7
                                                                                    12,4                                            12,6
nach dem Ende der Massenvernichtung: „Ein Volk, das ein                                                       11,0
                                                                           5                                                                          Abwertung von Asylbewerbern
solches Wirtschaftswunder geschaffen hat, hat ein Recht,                   0                                                                          Ablehnung der Forderung: Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der                79,8                     72,4               85,7
                                                                               Bayern                      Westdeutschland        Ostdeutschland      Staat großzügig sein.
nicht ständig an Auschwitz erinnert zu werden“ (zitiert nach                                               ohne Bayern
                                                                                      Primärer Antisemitismus             Sekundärer Antisemitismus   Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland             54,8                     52,9               59,3
Kölsch 2000, 78).                                                                                                                                     verfolgt zu werden.

                                                                    14                                                                                                                                                        15
Tabelle 3.3.3: Autoritarismus 2014 (Zustimmung in %)                                                                                       land. Der primäre Antisemitismus im Leipziger Fragebogen            bundesweit die höchste Akzeptanz, sowohl als Idee, als

                                                                                 Bayern            Westdeutschland      Ostdeutschland
                                                                                                                                           zur rechtsextremen Einstellung ist in Bayern häufiger anzu-         auch in ihrer verfassungsmäßigen und alltäglichen Umset-
                                                                                                       ohne Bayern                         treffen als im restlichen Bundesgebiet, Ost wie West. Auch          zung. Das bestätigt sich auch durch den mit 6% relativ ge-
Autoritäre Unterwürfigkeit
                                                                                                                                           die sozialdarwinistische Einstellung findet in Bayern mehr          ringen Anteil von Menschen, die eine Diktatur befürworten.
Wichtigste Eigenschaft: unbedingter Gehorsam gegenüber der Autorität              20,1                 19,4                26,7
                                                                                                                                           Zustimmung als im übrigen Westdeutschland, nur die Ost-
Dankbarkeit für führende Köpfe                                                    15,7                 19,1                23,5
                                                                                                                                           deutschen liegen mit ihren Zustimmungswerten noch da-               Autorität: Nein. Autoritäre Aggression: Ja.
Gehorsam gegenüber den Eltern dem Kind dienlich                                   11,5                 18,2                24,7
Autoritäre Aggression
                                                                                                                                           rüber. Allerdings verharmlosen in Bayern wiederum mehr              Zu diesem Befund passt auch, dass die Gruppe derjeni-

Kriminalität und sexuelle Unmoral lassen es unumgänglich erscheinen,                49                 48,6                65,3            Menschen den Nationalsozialismus, zieht man zum Ver-                gen, die die Unterwerfung unter eine Autorität fordern, im
mit gewissen Leuten härter zu verfahren
                                                                                                                                           gleich den Mittelwert des restlichen Westdeutschlands und           Vergleich zu anderen Landesteilen in Bayern am gerings-
                                                                                                                                           Ostdeutschlands heran.                                              ten ist. Nicht beruhigen kann allerdings die mit knapp 50%
Der Autoritarismus setzt sich aus verschiedenen Bestand-                    4. Zusammenfassung und                                                                                                             Zustimmung geforderte autoritäre Aggression. Diese Ag-
teilen zusammen: aus dem Wunsch nach einer personellen                      Diskussion                                                     Hoher Anteil Unentschiedener bei allen rechtsextre-                 gression spiegelt sich auch in den oben bereits genannten
Autorität, der autoritären Aggression und hohem Konventi-
                                                                                                                                           men Aussagen                                                        starken Ressentiments gegenüber Juden und Jüdinnen
                                                                            Die politische Einstellung und Kultur in Bayern hat ver-
onalismus. Das Bild für den klassisch Autoritären ist das des
                                                                                                                                           Der hohe Anteil der Antworten, der auf die Kategorie „teils/        oder Muslimen und Muslima wider. Das macht deutlich,
                                                                            schiedene Facetten. Auf der Grundlage der Repräsentativ-
„Fahrradfahrers in der Straßenbahnschiene“ – „nach oben
                                                                                                                                           teils“ entfällt (zwischen 19% und 31%), weist auf ein höhe-         dass zwar Personen als autoritäre Führer in der Breite der
                                                                            erhebungen der „Mitte“-Studien wurde die rechtsextreme
buckeln, nach unten treten und immer in den bewährten
                                                                                                                                           res rechtsextremes Potential hin. Der Inhalt der Aussagen           Bevölkerung auf keine Akzeptanz mehr hoffen dürften,
                                                                            Einstellung, ihre Verbreitung und Ausprägung im Freistaat
Bahnen der Norm bleiben“. In den „Mitte“-Studien kommt
                                                                                                                                           wird möglicherweise geteilt und die Antwort-Skalierung              dass aber die autoritäre Dynamik in Kraft und der Hass
                                                                            Bayern dargestellt. Verschiedene soziodemographische
ein Fragebogen zum Einsatz, der zwei der drei Komponen-
                                                                                                                                           gestattet es, sich abgeschwächt zu äußern. Diesen Ef-               gegen Minderheiten und empfundene Abweichungen nicht
                                                                            Indizes wurden herangezogen, um die Bevölkerungs-
ten erhebt: die autoritäre Aggression und die autoritäre Un-
                                                                                                                                           fekt konnten wir bereits in der Vergangenheit durch den             versiegt ist.
                                                                            gruppen getrennt voneinander zu untersuchen. Zusätzlich
terwürfigkeit (Schmidt, Stephan & Herrmann 1995).
                                                                                                                                           Vergleich der Einstellung mit den Äußerungen in unseren
                                                                            wurde die Abwertung von bestimmten Gruppen durch die
                                                                                                                                           Gruppendiskussionen feststellen.                                    Um diese Ergebnisse zu interpretieren, greifen wir auf die
                                                                            bayerische Bevölkerung überprüft und die Akzeptanz der
Wie bei der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
                                                                                                                                                                                                               theoretischen Annahmen zurück, die wir einleitend erörtert
                                                                            Demokratie im Freistaat bestimmt. Abschließend wurden
finden sich hinsichtlich der autoritären Orientierung der
                                                                                                                                           Abwertung von Jüdinnen und Juden, Muslima und Mus-                  haben (vgl. Kap. 1). Das bundesdeutsche Wirtschaftswun-
                                                                            die Ergebnisse eines Kurzfragebogens zur autoritären Ori-
Bayern im Vergleich zum restlichen Westdeutschland kei-
                                                                                                                                           limen, Sinti und Roma und Asylsuchenden weit verbreitet             der der Nachkriegsjahre legitimierte die junge Demokratie
                                                                            entierung in Bayern betrachtet.
ne auffälligen Abweichungen. Positiv ist festzustellen, dass
                                                                                                                                           In Bayern ist auch die Zustimmung zu sekundär antisemi-             durch eine starke Ökonomie und schuf gleichzeitig – als
einige Aussagen in Bayern seltener befürwortet werden,
                                                                                                                                           tischen Aussagen ausgesprochen hoch. In der Befragung               narzisstische Plombe – Ersatz für verlorene Größe (Decker
                                                                            Ausländerfeindlichkeit und primärer Antisemitismus
z. B. die Dankbarkeit für führende Köpfe oder die Forde-
                                                                                                                                           von 2012 stimmte mehr als jeder dritte Bayer durchschnitt-          et al. 2013b). Im Ressentiment gegen bestimmte Gruppen
                                                                            in Bayern stark ausgeprägt
rung nach Gehorsam des Kindes gegenüber den Eltern.
                                                                                                                                           lich allen Aussagen zu, einzelne antisemitische Aussagen            selbst unter besten Bedingungen zeigt sich eine autoritäre
                                                                            Die rechtsextreme Einstellung wird in Bayern von vielen
Die Unterwerfung unter eine Autorität, die durch eine Per-
                                                                                                                                           waren für jeden zweiten Befragten zustimmungsfähig. Dies            Dynamik, wird ein sekundärer Autoritarismus erkennbar.
                                                                            Menschen geteilt. Teilweise ist die rechtsextreme Einstel-
son repräsentierte wird, fordern etwa 20% der Bayern,
                                                                                                                                           sind die höchsten Werte, die in den Untersuchungsgrup-              Was landläufig als „Ökonomisierung“ kritisiert wird, ist fak-
                                                                            lung ausgeprägter als in den zum Vergleich herangezo-
wogegen die autoritäre Aggression nahezu jedem zweiten
                                                                                                                                           pen erreicht wurden. Zwar ist die Abwertung von Sinti               tisch die Durchsetzung des Primats einer sekundären Au-
                                                                            genen westdeutschen Bundesländern, teilweise findet sie
Befragten in Bayern unproblematisch erscheint.
                                                                                                                                           und Roma, Muslimen und Muslima sowie Asylsuchenden                  torität. Die Unterwerfung unter eine Autorität – ob personell
                                                                            auch mehr Zustimmung als in Ostdeutschland. So ist der
                                                                                                                                           nicht ausgeprägter als im Rest der Republik, aber die hohe          oder sekundär – hat stets eine psychische Wirkung. Auch
                                                                            Chauvinismus in Bayern deutlich ausgeprägter als in den
                                                                                                                                           Zustimmung zu diesen Aussagen ist auch in Bayern ein-               die sekundäre Autorität setzt sich auf Kosten individuel-
                                                                            anderen Landesteilen. Jeder Vierte stimmt allen Aussagen
                                                                                                                                           drücklich. Die Bereitschaft, Minderheiten zu stigmatisieren,        ler Lebensentwürfe und Wünsche durch, was nicht ohne
                                                                            dieser Dimension zu. Auch die Ausländerfeindlichkeit fin-
                                                                                                                                           ist weit verbreitet, die Einschränkung ihrer Grundrechte            Aggressionen bei denen, die sich dieser Rationalität unter-
                                                                            det in Bayern bei einer größeren Gruppe Akzeptanz als in
                                                                                                                                           wird nicht als Problem wahrgenommen, sondern von rund               werfen, abläuft. Zur autoritären Dynamik gehört, dass sich
                                                                            Ost- und in Westdeutschland. Mehr als jeder dritte befrag-
                                                                                                                                           50% der Befragten gefordert.                                        die Aggressionen nicht gegen die Autorität selbst richtet,
                                                                            te Bayer und fast jede dritte Bayerin kann den Aussagen
                                                                                                                                                                                                               sondern gegen andere Objekte. Das sind konkret Asylsu-
                                                                            mit ausländerfeindlichem Inhalt zustimmen. Die Befürwor-
                                                                                                                                           Demokratie findet große Zustimmung                                  chende, Sinti und Roma, Muslima und Muslime, Jüdinnen
                                                                            ter einer Diktatur sind demgegenüber in Bayern eine kleine
                                                                                                                                           Dagegen ist die Zustimmung zur Demokratie in Bayern po-             und Juden.
                                                                            Gruppe, allerdings ist diese fast so groß wie in Ostdeutsch-
                                                                                                                                           sitiv hervorzuheben. Die Demokratie hat auf allen Ebenen

                                                                       16                                                                                                                                 17
Zu bedenken ist, dass grundsätzlich alle Menschen von                 et al. 2008), denn sie bringen Deutschland einen Ertrag             Literatur                                                            13-64. Gießen: Psychosozial.
Abwertung bedroht sind. Jeder Mensch kann als Ange-                   und unterliegen demselben ökonomischen Primat wie die               Adorno, T. W., Frenkel-Brunswik, E., Levinson, D. J. &
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Die Mitte im Um-
höriger einer von der Mehrheitsbevölkerung unterscheid-               hiesige Mehrheitsgesellschaft.                                      Sandford, R. N. (Hrsg.) (1950). The Authoritarian Persona-
                                                                                                                                                                                                               bruch. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2012.
baren Gruppe Stigmatisierung erfahren, wie die Bielefelder            Sieht Giddens in der Konfrontation mit dem Unbekannten              lity. New York: Harper.
                                                                                                                                                                                                               Bonn: Dietz-Verlag.
Studien „Deutsche Zustände“ gezeigt haben. Jahr um Jahr               die Schwierigkeit des Kontakts mit dem „Fremden“, kön-
                                                                                                                                          Bergmann, W. & Erb, R. (1986). Kommunikationslatenz,
wurde der Fragebogen dieser Längsschnittuntersuchung                  nen wir für die autoritäre Aggression erweiternd feststel-
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013a). Alltagsreligi-
                                                                                                                                          Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegun-
erweitert, bis zum Ende der Studienreihe elf Gruppen aus-             len: Das Unbekannte ist oftmals das allzu Vertraute. Sinti
                                                                                                                                                                                                               on: Nationalismus, Antisemitismus, Islamfeindschaft. In:
                                                                                                                                          gen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutsch-
gemacht waren, die aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft                und Roma werden als jene wahrgenommen, die sich den
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.). Rechtsextreme
                                                                                                                                          land. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycholo-
Stigmaträger waren. Sie reichten von Langzeitarbeitslosen             Regeln der Autorität nicht unterwerfen („kriminell“), sie er-
                                                                                                                                                                                                               Einstellung in der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegen-
                                                                                                                                          gie, 223–246.
über Obdachlose bis zu Muslimen (Heitmeyer 2012, 17).                 scheinen frei von der zurichtenden Gewalt, die die Autorität
                                                                                                                                                                                                               wartsdiagnise, 127-144. Gießen: Psychosozial.
Auch die Gruppendiskussionen der „Mitte“-Studien haben                an jeder Stelle der Gesellschaft ausübt. Sie scheinen sich
                                                                                                                                          Beyer, H. & Krumpal, I. (2010). „Aber es gibt keine Antise-
zu entsprechenden Ergebnissen geführt: Die Erfahrung, ei-             nicht in das eherne Gehäuse der Hörigkeit zu zwängen und                                                                                 Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013b). Traditionslini-
                                                                                                                                          miten mehr“: Eine experimentelle Studie zur Kommunika-
nes besonderen Merkmals wegen diskriminiert zu werden,                versuchen nicht, diesen Umstand durch beständige Selb-                                                                                   en der Moderne. In: Dies. (Hrsg.). Rechtsextremismus der
                                                                                                                                          tionslatenz antisemitischer Einstellungen. Kölner Zeitschrift
wurde von fast allen Teilnehmenden berichtet. Ob Arbeits-             stoptimierung vor sich selbst zu verschleiern. Deswegen                                                                                  Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose,
                                                                                                                                          für Soziologie und Sozialpsychologie 62, 681–705.
lose, Frauen, Zugezogene in kleinen Gemeinden, alternati-             liegt nahe, dass Sinti und Roma gerade deshalb zum Ob-                                                                                   97-126. Gießen: Psychosozial.
ve Jugendliche oder Migrantinnen, sie alle haben autoritäre           jekt der Wut werden, weil sie die Phantasie auf sich ziehen,        Bröckling, U., Krasmann, S. & Lemke, T. (Hrsg.) (2000).
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2014) Die stabilisier-
Aggressionen auf sich gezogen (Decker, Weißmann & Ro-                 sich der zurichtenden Gewalt der Autorität zu entziehen.            Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomi-
                                                                                                                                                                                                               te Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland
the 2013).                                                            Bei der Islamfeindschaft wird eine Minderheit diskriminiert,        sierung des Sozialen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
                                                                                                                                                                                                               2014. Leipzig, Universität Leipzig, http://www.uni-leipzig.
                                                                      die als religiös identifiziert wird. Das hat die Islamfeindschaft
                                                                                                                                          Decker, O. (2010). Das Veralten des Autoritären Charak-              de/%7Ekredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf.
Alle Gruppen, die von der Mehrheitsgesellschaft in irgend-            mit dem Antisemitismus gemeinsam. Die Abwertung von
                                                                                                                                          ters. In: Decker, O., Weissmann, M., Kiess, J. & Brähler, E.
einem Punkt abweichen, laufen demnach Gefahr, mit                     Muslimen und Musliminnen haben wir bereits andernorts
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2015). Rechtsextre-
                                                                                                                                          (Hrsg.). Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellung
Ressentiments belegt und mit Aggressionen verfolgt zu                 vor dem Hintergrund einer nur schlecht vollzogenen Säku-
                                                                                                                                                                                                               mismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus. Gießen:
                                                                                                                                          in Deutschland 2010, 29-41. Springe: zu Klampen (2012).
werden. Doch welche spezifischen Merkmale die Stigma-                 larisierung erklärt (Decker & Kiess 2013). Schon Max We-
                                                                                                                                                                                                               Psychosozial (in Druck).
tisierung letztlich auslösen, ist nicht ganz beliebig, sondern        ber wusste, dass die Zwangsstruktur der kapitalistischen
                                                                                                                                          Decker, O. & Brähler, E. (2005). Rechtsextreme Einstel-
steht in engem Zusammenhang damit, was die Mehrheits-                 Gesellschaft in direktem Zusammenhang mit einer religi-                                                                                  Decker, O., Kiess, J., Weißmann, M. & Brähler, E. (Hrsg.)
                                                                                                                                          lungen in Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschehen 42,
gesellschaft als Gruppe konstituiert, mit welchem gemein-             ösen Sehnsucht steht (Weber 1920). Es ist Eigenes, nicht                                                                                 (2010). Die Mitte in der Krise. Springe: zu Klampen (2012).
                                                                                                                                          8-17.
samen Ideal sie sich identifiziert. Deshalb lässt sich über           Fremdes, worüber die Islamfeindschaft Auskunft gibt: über
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Niedermayer, O. & Brähler, E. (2003). Rechts-
das Objekt der autoritären Aggression vieles über die Mehr-           Heilserwartungen, von denen auch die modernen Gesell-               Decker, O. & Brähler, E. (2006). Vom Rand zur Mitte.
                                                                                                                                                                                                               extreme Einstellungen in Deutschland. Ergebnisse einer
heitsgesellschaft erfahren. „Das Fremde“, schreibt Anthony            schaften durchdrungen sind (Decker & Kiess 2013).                   Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in
                                                                                                                                                                                                               repräsentativen Erhebung. Zeitschrift für Psychotraumato-
Giddens, „repräsentiert das Unbekannte“ (Giddens 1994,                                                                                    Deutschland. Berlin: FES.
                                                                                                                                                                                                               logie und Psychologische Medizin 1, 65-77.
152). Mit diesem „Fremden“ kann man unterschiedlich um-
                                                                                                                                          Decker, O. & Brähler, E. (2008). Bewegung in der Mitte.
gehen, beispielsweise indem man es in den Horizont des
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Rothe, K., Weissmann, M., Geissler, N. & Bräh-
                                                                                                                                          Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2008. Berlin: FES.
Eigenen holt, also den eigenen Zwecken unterwirft. Insge-
                                                                                                                                                                                                               ler, E. (2008). Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechts-
samt manifestiert sich in der abnehmenden Zustimmung
                                                                                                                                          Decker, O., Hinz, A., Geißler, N. & Brähler, E. (2013a). Fra-        extremer und demokratischer Einstellungen. Berlin: FES.
zur Ausländerfeindlichkeit auf der einen und der deutlichen
                                                                                                                                          gebogen zur rechtsextremen Einstellung - Leipziger Form
Zunahme der Abwertung bestimmter Gruppen auf der an-                                                                                                                                                           Decker, O., Rothe, K., Weißmann, M., Kiess, J. & Brähler,
                                                                                                                                          (FR-LF). In: Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.).
deren Seite eine Tendenz, die wir bereits 2008 festgestellt                                                                                                                                                    E. (2013b). Economic Prosperity as “Narcissistic Filling”: A
                                                                                                                                          Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische
haben: Die Wahrnehmung von Migrantinnen und Migran-                                                                                                                                                            Missing Link Between Political Attitudes and Right-wing Au-
                                                                                                                                          Gegenwartsdiagnose, 197-212. Gießen: Psychosozial.
ten wird dadurch bestimmt, ob sie Deutschland einen Er-                                                                                                                                                        thoritarianism. Journal of Conflict and Violence 7, 135-149.
trag bringen oder kulturell nahe stehen. Ein britischer Kraft-                                                                            Decker, O. & Kiess, J. (2013). Moderne Zeiten. In: Decker,
                                                                                                                                                                                                               Decker, O., Schilling, B., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Is-
fahrer oder eine polnische Ärztin sind der Diskriminierung                                                                                O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.). Rechtsextremismus der
                                                                                                                                                                                                               lamfeindschaft und Islamkritik. In: Decker, O., Kiess, J. &
deutlich weniger ausgesetzt als Armutsflüchtlinge (Decker                                                                                 Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose,

                                                                 18                                                                                                                                       19
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