Rechtsextreme Einstellungen in Bayern - Ergebnisse der Mitte-Studie der Universität Leipzig
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Rechtsextreme Einstellungen in Bayern Ergebnisse der Mitte-Studie der Universität Leipzig November 2014 1
PD Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler Inhalt Universität Leipzig 1. Die stabilisierte Mitte und der sekundäre Autoritarismus – Die bisherigen „Mitte“-Studien Im Auftrag der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag im Überblick 4 Bisher erschienene „Mitte“-Studien der Universität Leipzig: 2. Die rechtsextreme Einstellung im Freistaat Bayern Decker, O., Niedermayer, O. & Brähler, O. (2003). Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Er- – Die Ergebnisse der Untersuchung 6 gebnisse einer repräsentativen Erhebung. Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin 1, 65–77. 2.1 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern – Verteilung nach Items und in den Dimensionen 6 Decker, O. & Brähler, O. (2005). Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschehen 42, 8–17. 2.2 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern nach soziodemographischen Merkmalen 10 Decker, O., Geissler, N. & Brähler, E. (2006). Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin: FES. 3. Politische Zustände: Einstellung zu weiteren politischen Fragen in Bayern Decker, O., Rothe, K., Weißmann, M., Geissler, N. & Brähler, E. (2008). Ein Blick in die Mitte. Zur 2012 und 2014 11 Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen. Gruppendiskussionsstudie. Unter Mitarbeit von Franziska Göpner & Kathleen Pöge. Berlin: FES. 3.1 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Der sekundäre Antisemitismus und die Abwertung Decker, O. & Brähler, E. (2008). Bewegung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland von Muslimen 12 2008. Unter Mitarbeit von Johannes Kiess. Berlin: FES. 3.2 Die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma Decker, O., Kiess, J., Weißmann, M. & Brähler, E. (2010). Die Mitte in der Krise. Springe: und Asylbewerbern und die autoritäre Orientierung zu Klampen (2012). der Bevölkerung 15 Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen 4. Zusammenfassung und Diskussion 16 Deutschland 2012. Bonn: Dietz. Literatur 19 Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013). Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose. Gießen: Psychosozial. Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2014). Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014. Leipzig: Universität Leipzig. 2 3
Einführung 1. Die stabilisierte Mitte und der Wenn eine große Zahl von Gesellschaftsmitgliedern dem mit den Arbeitsmarktreformen des letzten Jahrzehnts hat Diese Studie erfasst die rechtsextreme Einstellung im Frei- sekundäre Autoritarismus – Die demokratischen Miteinander den Rücken kehrt, dann hat sich das Zugriffsrecht der Gesellschaft auf den Einzelnen staat Bayern, einem der bevölkerungsreichsten Flächen- bisherigen „Mitte“-Studien im das auch etwas damit zu tun, warum sie es unter normalen und seine Lebensführung noch einmal erhöht. Unabhän- länder der Bundesrepublik Deutschland. Mit ihr werden die Überblick Bedingungen akzeptieren. Die Integration in das politische gig davon, welche Berechtigung man diesen Maßnahmen System der Bundesrepublik Deutschland hat sich zu kei- im Einzelnen zubilligen kannman, zeigt sich hier, dass die Zahlen vorgelegt, die den langjährigen Mittelwert auf den Seit 2002 werden die „Mitte“-Studien der Universität Leip- nem Zeitpunkt allein über Input- oder Output-Legitimation übergeordneten Interessen der Allgemeinheit immer häu- Dimensionen des Leipziger Fragebogens zur rechtsextre- zig im zweijährigen Rhythmus durchgeführt.1 Seitdem ist vollzogen, sprich: über Wahlen oder Konsummöglichkeiten. figer und mit symbolischer Gewalt gegen die individuellen men Einstellung bilden: In welchem Maß befürworten die es in einmaliger Weise gelungen, auf der Grundlage von Zwar spielt die Teilhabe am wirtschaftlichen Reichtum für die Interessen durchgesetzt werden. Einwohner und Einwohnerinnen Bayerns eine rechtsauto- repräsentativen Erhebungen ein Barometer der antidemo- Integration eine große Rolle, weshalb ökonomische Krisen ritäre Diktatur? Wie ausgeprägt ist der Chauvinismus und kratischen Einstellung für Deutschland zu erstellen. In den zunächst Verteilungskrisen sind und dann erst zu politischen Am ursprünglichen Konzept des Autoritären Charakters die Verharmlosung des Nationalsozialismus? Wie stark ist Erhebungen geht es um zweierlei: Erstens – und das ist ein Krisen werden (Offe 1972), doch dem Wunsch nach Teilha- ist demnach die Annahme veraltet, die gesellschaftliche die auf Menschen bezogene Abwertung – die Ausländer- wichtiges Anliegen der Studienreihe – um das Gefahrenpo- be geht die Gewalt voraus, wodurch die Teilhabe erst ihre Gewalt werde vor allem durch die Eltern vollzogen. Doch feindlichkeit, der Antisemitismus und der Sozialdarwinis- tential für die demokratische Gesellschaft, das von einer an- zentrale Bedeutung für die Legitimation der Gesellschaft er- auch die Gegenwartsgesellschaft ist in gewisser Hinsicht mus? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die Erhe- tidemokratischen Einstellung der Menschen ausgeht. Zwei- hält. Mit Gewalt ist hier die Unterordnung der Gesellschafts- veraltet, da sie noch immer das Gemeinschaftsinteresse bungen, die seit 2002 im Rahmen der „Mitte“-Studien der tens geht es aber auch um ein Verständnis der Gesellschaft, mitglieder unter allgemeine herrschende Prinzipien gemeint, auf Kosten der Interessen Einzelner durchsetzt, denn so- Universität Leipzig durchgeführt wurden, in Bezug auf den die diese Bedrohung ihres Fundaments selbst hervorbringt. mit dem Ziel, dass die Menschen so handeln, dass der All- bald die Kompensation für den Einzelnen entfällt, entste- Freistaat ausgewertet (Kap. 2). Mit anderen Worten machen die über die Jahre dokumen- gemeinheit und nicht (nur) den jeweils eigenen Wünschen hen schnell jene autoritären Aggressionen, die sich gegen tierten Schwankungen in der Fieberkurve der antidemokra- und Bedürfnissen gedient sei. Doch Menschen müssen erst andere richten. Diejenigen, die zu schwach sind, sich der Da in der Erhebungswelle 2012 zusätzliche Fragebögen tischen Einstellung nicht nur sichtbar, wie krisenanfällig die dazu gebracht werden, so handeln zu wollen, wie sie han- herrschenden Rationalität zu entziehen, richten dann ihre eingesetzt wurden, die die politische Kultur erfassen, kön- Gesellschaft ist, sondern sie geben auch wertvolle Hinweise deln sollen. Für diese Disziplin werden sie dann entschädigt Ressentiments gegen die, die ihnen noch schwächer er- nen in der hier vorgelegten Studie auch Befunde zu den darauf, aus welchen Gründen sie so anfällig ist. (Output-Legitimation). Die Unterordnung vollzieht sich heu- scheinen. Diesen Befund haben wir im Konzept des se- politischen Zuständen in Bayern referiert werden. Kapitel te nicht mehr über direkte körperliche Gewalt – zumindest kundären Autoritarismus theoretisch neu gefasst (Decker, 3.1 wird sich den Einstellungen der Bayern gegenüber Ju- Theoretisch sind die „Mitte“-Studien an der Wirkung der nicht für diejenigen, die sich noch der Mehrheitsgesellschaft Kiess & Brähler 2015). Diese aktuelle Ausprägung des Au- den und Jüdinnen sowie Muslimen und Muslima widmen. Autorität orientiert (Horkheimer 1936), das heißt an der zurechnen dürfen – vielmehr ist die Einübung der gesell- toritarismus tritt immer dann zutage, wenn Krisen die Teil- Kapitel 3.2 schließlich erfasst die gruppenspezifischen Frage, wie stark die Gesellschaft auf Zwang setzt, um ihr schaftlichen Rationalität subtiler geworden (Bröckling, Kras- habe bedrohen (Decker et al. 2013b). Abwertungen von Sinti und Roma, Flüchtlingen und wie- Funktionieren sicherzustellen oder, umgekehrt formuliert, mann & Lemke 2000). Am Umstand allerdings, dass sich derum Muslimen, deren Akzeptanz im Jahr 2014 erhoben wie viel Raum sie dem Einzelnen zu seiner Entfaltung zuge- die Integration in die Gesellschaft durch Gewalt vollzieht, Nachdem in den bundesweiten Erhebungen der „Mitte“- wurde. Aus diesem Jahr stammen auch die Ergebnisse zur stehen kann. Empirisch orientiert sich die Studienreihe folg- ändert das nichts. Wie viel die Lebensentwürfe und Bedürf- Studien ein Anstieg der rechtsextremen Einstellung in den autoritären Orientierung und zur Akzeptanz der Demokra- lich an den Studien zum Autoritären Charakter der Berkley- nisse des Einzelnen zählen, das bekommen sie weiterhin Krisenjahren 2010 und 2012 zu verzeichnen war, bilden die tie in Bayern (Kap. 3.2). Gruppe (Adorno et al. 1950). Die Fragebogen-Erhebungen zu spüren, wenn sie nach ihren Bedürfnissen leben wollen. Daten des Jahres 2014 die Insellage Deutschlands ab. Poli- wurden allerdings durch Gruppendiskussionen ergänzt, tisch wie ökonomisch wird die Situation im Kontrast zur glo- um das Stimmungsbild der politischen Lage in Deutsch- Wie Kinder in die Gesellschaft hineinwachsen, kann als balen Politik und zur europäischen Wirtschaft als positiv er- land genauer zu erfassen (Decker et al. 2008). Theoretisch Beispiel dienen. Dass Eltern heute ihre Kinder nicht mehr fahren. Die Anstrengungen, sich dem Primat der Ökonomie wie empirisch geht es jedoch nicht darum, die Vorarbeiten körperlich züchtigen, ist ein bedeutsamer zivilisatorischer unterzurodnen, scheint sich auszuzahlen. Das erhöht die der ursprünglichen Studien zu autoritären Zuständen kri- Fortschritt. Die Gewalt findet heute nicht mehr vornehm- Akzeptanz der demokratisch verfassten Gesellschaft und tiklos zu replizieren. Gerade das Konzept des Autoritären lich in der Familie statt – was aber nicht heißt, dass es sie dämpft sowohl den Chauvinismus als auch den Wunsch Charakters lässt sich mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht mehr gäbe. In der Schule erfährt noch immer jedes nach einer Diktatur. Selbst die Abwertung von Ausländern, so nicht mehr bestätigen. Eine Formulierung von Herbert Kind, worin die Verkehrsformen der Gesellschaft bestehen die im Verdacht stehen, den Sozialstaat auszunutzen und Marcuse aufgreifend, stellten wir fest, dass der Autoritäre (Jackson 1975). Der Schulbeginn und der Stundentakt Deutschland zu überfremden, hat sich deutlich reduziert. Ob Charakter veraltet ist (Decker 2010). Und der Befund gera- hat so wenig mit den kindlichen Bedürfnissen zu tun, wie darauf jedoch langfristig Verlass ist, darf mit Fug und Recht de deshalb von hoher Aktualität. die Notengebung unter Konkurrenz. Auch der Erwachse- bezweifelt werden, denn in der Erhebungswelle 2014 zeigte 1 Von 2006 bis 2012 bestand eine Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. ne kann sich der Gewalt nicht entziehen, und spätestens sich auch, dass bestimmte Gruppen von Migrantinnen und 4 5
Migranten nun verstärkt das Ressentiment auf sich ziehen nehmende Hinweise auf die Existenz einer solchen Latenz Tabelle 2.1: Soziodemographische Merkmale der kumulierten Stichprobe (2002–2014) – diejenigen, die nicht als Beiträger, sondern als Bedrohung (Heyder & Decker 2011). Mit der kumulierten Stichprobe für Westdeutschland ohne Gesamtgruppe Bayern Ostdeutschland der starken deutschen Ökonomie wahrgenommen werden. Bayern wird auch dieses Potential der rechtsextremen Ein- Bayern (N=19.080) (N=2652) (N=4504) (N=11.924) Wer, mit anderen Worten, die Phantasie wachruft, zu tun, stellung schwankungsfrei dokumentiert. Alter Mittelwert 47,73 48,76 51,24 was man sich selbst nicht gestattet, nämlich die auferlegten Standardabweichung 17,67 18,04 18,36 Regeln zu missachten und das schöne Leben ohne Arbeit Die den folgenden Ergebnissen und Berechnungen zu- N % N % N % zu genießen, zieht die Abwertung verstärkt auf sich. For- grunde liegenden Erhebungen wurden durch das Mei- Altersgruppen 14–30 Jahre 521 19,6 2243 18,8 793 17,6 derungen danach, Sinti und Roma, Muslima und Muslimen nungsforschungsinstitut USUMA (Berlin) im Auftrag der 31–60 Jahre 1416 53,4 6134 51,4 2049 45,5 über 60 Jahre 715 27 3547 29,7 1662 36,9 sowie Asylsuchenden die Grundrechte abzuerkennen, sind Universität Leipzig durchgeführt. Um die Repräsentativi- Geschlecht männlich 1255 1397 5493 6431 2191 2313 weit verbreitet. Das zeigen für die Bundesrepublik Deutsch- tät der Stichprobe zu gewährleisten, wurde die besiedel- weiblich 47,3 52,7 46,1 53,9 48,6 51,4 land sowohl die „Mitte“-Studien 2014 (Decker, Kiess & Bräh- te Fläche der Bundesrepublik Deutschland zunächst in Schulabschluss ohne Abschluss 37 1,4 203 1,7 59 1,3 ler 2014) als auch die zunehmenden Ausschreitungen ge- Stichprobenflächen (Sample-Points) aufgeteilt. Räumlich Hauptschule/8. Klasse 1325 50 5333 44,7 1312 29,1 gen Flüchtlinge. 2 überschneidungsfrei definiert, wurden den Sample-Points Mittlere Reife/Realschule 794 29,9 3766 31,6 593 13,2 Haushalte und Einwohner zugeordnet, wobei möglichst POS 10. Klasse 16 ,6 182 1,5 1457 32,3 2. Die rechtsextreme Einstellung homogene und mengenmäßig gleich große Flächen gebil- Fachschule 76 2,9 270 2,3 260 5,8 im Freistaat Bayern – Die Ergeb- Abitur/o. abgeschl. Studium 176 6,6 1040 8,7 276 6,1 det wurden. Für dieses Vorgehen standen die Stichproben abgeschl. Hoch-/FH-Studium 148 5,6 722 3,4 486 10,8 nisse der Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Meinungsforschungs- Schüler/in einer allg. Schule 80 3 408 3,4 549 2,9 institute (ADM) zur Verfügung. Das vollständige Verfahren Berufstätigkeit Vollzeit mit > 35 h/Woche 1149 43,3 4532 38 1447 32,1 In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung wurde zuletzt in der Studie „Die stabilisierte Mitte“ (Decker, Teilzeit mit 15–35 h/Woche 266 10 1156 9,7 232 5,2 zur rechtsextremen Einstellung im Freistaat Bayern darge- Kiess & Brähler 2014) im Detail beschrieben. Teilzeit mit < 15 h/Woche 55 2,1 295 2,5 55 1,2 stellt. Um eine belastbare Stichprobengröße zu gewähr- Wehr-/Zivildienst oder Mutterschutz-/ 30 1,1 90 0,8 44 1 Erziehungsurlaub leisten, wurde ein langjähriger Mittelwert der Zustimmung Tabelle 2.1. gibt die soziodemographischen Merkmale in arbeitslos/0-Kurzarbeit 91 3,4 472 4 572 12,7 zu rechtsextremen Aussagen gebildet, der die Repräsen- der kumulierten Stichprobe wider. Die Angaben zu den Rentner/Vorruhestand 710 26,8 3389 28,4 1757 39 tativbefragungen der Jahre 2002 bis 2014 zu einer Stich- Teilstichproben sind den bisherigen Veröffentlichungen zu nicht berufstätig 166 6,3 1022 8,6 81 1,8 probe zusammenfasst (sog. kumulierte Stichprobe) (Kap. entnehmen (Decker, Niedermayer & Brähler 2003; Decker in Berufsausbildung 35 1,3 157 1,3 62 1,4 2.1). Aufgrund der Größe der Stichprobe können neben in Schulausbildung 149 5,6 806 6,8 251 5,6 & Brähler 2005; Decker & Brähler 2006; Decker & Brähler den globalen Ergebnissen für Bayern auch Zustimmungs- Kirchenzugehörigkeit evangelisch 649 24,6 5585 47 1165 26,1 2008; Decker et al. 2010; Decker, Kiess & Brähler 2012; werte in den einzelnen Dimensionen nach soziodemogra- katholisch 1698 64,2 4356 36,7 168 3,8 Decker, Kiess & Brähler 2014). keine Konfession 257 9,7 1542 13 3084 69,2 phischen Merkmalen (z.B. Bildung, Alter, Geschlecht) wie- dergegeben werden (Kap. 2.2). 2.1 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern – Vertei- Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen chend der Definition wird die rechtsextreme Einstellung lung nach Items und in den Dimensionen Mit den Fragebögen zur rechtsextremen Einstellung werden verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellun- darin in sechs Dimensionen erfasst: 1) Befürwortung einer Zur Operationalisierung der rechtsextremen Einstellung Vorurteile und autoritäre Orientierungen gemessen. Doch gen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich rechtsautoritären Diktatur, 2) Chauvinismus, 3) Ausländer- schließen wir an die Rechtsextremismus-Definition von Wil- nicht immer geben die Befragten ihre Einstellung preis, be- in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chau- feindlichkeit, 4) Antisemitismus, 5) Sozialdarwinismus und helm Heitmeyer an, der zwischen rechtsextremen Verhalten sonders, wenn sie vermuten, dass sie sozial nicht erwünscht vinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. 6) Verharmlosung des Nationalsozialismus. Den Befrag- (insbesondere Gewalt) und rechtsextremer Einstellung dif- sind. Das bedeutet, dass Vorurteile und antidemokratische Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Be- ten werden pro Dimension drei Aussagen rechtsextremen ferenziert (Heitmeyer 1987). Auch in dieser Studie wird zwi- Überzeugungen auch dort vorliegen können, wo sie nicht reich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, frem- Inhalts vorgelegt, die sie auf einer fünfstufigen Skala von schen der Einstellung und dem tatsächlich gezeigten Ver- geäußert werden. Diese Kommunikationslatenz ist für den denfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen. „lehne voll und ganz ab“ bis „stimme voll und ganz zu“ be- halten unterschieden (Decker & Brähler 2006), wobei unser Antisemitismus gut dokumentiert (Bergmann & Erb 1986; werten (Decker et al. 2013a). Die folgenden Prozentwerte Augenmerk auf der Einstellung liegt. Für die Definition der Salzborn & Brosig 2007; Beyer & Krumpal 2010), und auch Für die Erhebung wurde der Fragebogen zur rechtsextre- geben die Zustimmung zu den einzelnen Aussagen über rechtsextremen Einstellung schließen wir uns der Konsen- für andere Vorurteile und Überzeugungen gibt es ernstzu- men Einstellung in der Leipziger Form eingesetzt. Entspre- die fünfstufige Skala im langjährigen Mittel wieder. susgruppe führender deutscher Politikwissenschaftler3 an: 2 http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hetze/die-brandstifter-rechte-hetze-gegen-fluechtlin- 3 An dieser Konsensuskonferenz waren beteiligt: Elmar Brähler (Leipzig), Michael Edinger (Jena), (Berlin), Karl Schmitt (Jena), Siegfried Schumann (Mainz), Richard Stöss (Berlin), Bettina Westle ge/ (Abruf: 25.10.2014) Jürgen Falter (Mainz), Andreas Hallermann (Jena), Joachim Kreis (Berlin), Oskar Niedermayer (Erlangen) und Jürgen Winkler (Mainz). 6 7
Zwischen 2002 und 2014 fanden demnach die Aussagen Antisemitismus, einen Bruch mit den allgemeinen und be- folgenden Grafiken zeigen für jede der sechs Dimensionen, in Ostdeutschland ist dagegen nur jeder Sechste chauvi- mit ausländerfeindlichem Inhalt bei den Befragten beson- kannten Konventionen darstellen. Das Antwortverhalten ist wie hoch der Anteil der Befragten ist, die allen Aussagen nistisch eingestellt. ders große Akzeptanz. Die Antwortverteilung bei den Ein- also in die Richtung der sozialen Erwünschtheit modifiziert. zustimmen. Zu Vergleichszwecken werden die Zustim- zel-Items ist allerdings sehr heterogen. Bei allen zur Beur- Den 18 Aussagen des Fragebogens sind die sechs Dimen- mungswerte der ostdeutschen und der anderen westdeut- Grafik 2.1.3: Ausländerfeindlichkeit in Bayern in % teilung vorgelegten Aussagen rechtsextremen Inhalts fällt sionen der rechtsextremen Einstellung zugeordnet. Erst schen Bundesländer (ohne Bayern) mit abgebildet. (kumulierte Stichprobe 2002–2014) Ausländerfeindlichkeit zudem die relativ große Gruppe der teils/teils-Antworten wenn ein Befragter oder einer Befragte durchschnittlich al- 35 auf. Wer die „teils/teils“-Möglichkeit nutzt, lehnt die Aussa- len Aussagen der jeweiligen Dimension zustimmt, nehmen Grafik 2.1.1: Befürwortung einer rechtsautoritären 30 33,1 30,5 25 ge nicht ab, aber eine Zustimmung würde, wie etwa beim wir das Vorliegen einer rechtsextremen Einstellung an. Die Diktatur in Bayern in % 20 (kumulierte Stichprobe 2002–2014) 20 Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur 15 Tabelle 2.1.1: Zustimmung der Befragten in Bayern in % (kumulierte Stichprobe 2002–2014) 8 10 lehne über- stimme teils zu, stimme über- stimme voll und 5 Rechtsextremismus lehne völlig ab 7 wiegend ab teils nicht zu wiegend zu ganz zu 6 6,6 0 6,4 Im nationalen Interesse ist unter be- Bayern Westdeutschland Ostdeutschland 01 stimmten Umständen eine Diktatur die 54,8 21,2 14,1 7,9 2,1 5 ohne Bayern bessere Staatsform. 4 3,9 Die Ausländerfeindlichkeit ist im gesamten Bundesgebiet Ohne Judenvernichtung würde man Hitler 3 02 43 21,7 18,6 12,3 4,3 heute als großen Staatsmann ansehen. die Dimension, die die höchsten Zustimmungswerte er- 2 Was Deutschland jetzt braucht, ist eine 1 fährt. Im Vergleich zum westlichen Bundesgebiet (jeder 03 einzige starke Partei, die die Volksge- 31,1 20,2 23,5 16,8 8,4 meinschaft insgesamt verkörpert. 0 Fünfte) fällt das Ergebnis für Bayern aber noch drastischer Wir sollten einen Führer haben, der Bayern Westdeutschland Ostdeutschland 04 Deutschland zum Wohle aller mit starker 45,1 19,4 17,8 13,1 4,6 ohne Bayern aus: Mit 33,1% stimmt jeder Dritte den Aussagen mit aus- Hand regiert. länderfeindlichem Inhalt zu. Damit liegt die Ausländerfeind- Wie in der Natur sollte sich in der Gesell- Die Ergebnisse zeigen, dass eine rechtsautoritäre Diktatur 05 schaft immer der Stärkere durchsetzen. 37,6 22,2 21 14,8 4,4 lichkeit in Bayern sogar noch höher als in den ostdeut- im langjährigen Mittel nur von wenigen Probanden befür- Die Ausländer kommen nur hierher, um schen Bundesländern (30,5%). 06 10,1 17 29,3 25,4 18,1 unseren Sozialstaat auszunutzen. wortet wird. Bundesweit finden entsprechende Aussagen Auch heute noch ist der Einfluss der 07 24,1 20,9 27,8 19,2 8 bei nicht einmal jedem 14. der Befragten Zustimmung, in Juden zu groß. Grafik 2.1.4: Antisemitismus in Bayern in % (kumulier- Wir sollten endlich wieder Mut zu einem Westdeutschland (ohne Bayern) sind es sogar weniger als 08 10,2 13,1 29,1 29,7 17,9 te Stichprobe 2002–2014) starken Nationalgefühl haben. 4% der Bevölkerung. In Bayern und in Ostdeutschland Antisemitismus Eigentlich sind die Deutschen anderen 09 33,6 23,9 24,6 13,7 4,2 bevorzugen aber immerhin jeweils 6% der Befragten eine 14 Völkern von Natur aus überlegen. 12 Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte Diktatur als Regierungsform. 12,6 10 man die Ausländer wieder in ihre Heimat 14,3 16,9 27 24,7 17,1 10 zurückschicken. 8 8,4 Die Verbrechen des Nationalsozialismus Grafik 2.1.2: Chauvinismus in Bayern in % 6 11 sind in der Geschichtsschreibung weit 45,6 25 19,2 7,5 2,7 6,1 übertrieben worden. (kumulierte Stichprobe 2002–2014) 4 Chauvinismus Was unser Land heute braucht, ist ein 2 hartes und energisches Durchsetzen 30 12 15,9 15,7 30,5 25,8 12 0 deutscher Interessen gegenüber dem 25 Ausland. 26,4 Bayern Westdeutschland Ostdeutschland 20 ohne Bayern Die Juden arbeiten mehr als andere 13 Menschen mit üblen Tricks, um das zu 31 22,5 24,9 15,3 6,2 15 17,2 16,2 Die antisemitische Einstellung ist ein wesentliches Kenn- erreichen, was sie wollen. 10 Das oberste Ziel der deutschen Politik zeichen rechtsextremer Einstellung. Auch wenn sich die 5 14 sollte es sein, Deutschland die Macht und 17,2 17,7 31,6 24,6 9 0 Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden in allen poli- Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht. Bayern Westdeutschland Ostdeutschland 15 Es gibt wertvolles und unwertes Leben. 58,7 17,2 13 7,3 3,7 ohne Bayern tischen Lagern finden lässt (Ullrich 2012), ist sie integraler Die Bundesrepublik ist durch die vielen Bestandteil einer rechtsextremen, rassistisch begründeten 16 Ausländer in einem gefährlichen Maß 14,7 14,4 24,7 29,1 17,1 Die chauvinistische Einstellung ist in Bayern deutlich stär- überfremdet. Ideologie der Ungleichwertigkeit. Seit der Neuzeit sind Ju- ker ausgeprägt als die Diktaturbefürwortung. Im Freistaat Die Juden haben einfach etwas Beson- den und Jüdinnen für Antisemiten eine Projektionsfläche 17 deres und Eigentümliches an sich und 30,2 23,7 26,5 14,6 4,9 findet sich jeder Vierte bereit, allen Aussagen chauvinisti- passen nicht so recht zu uns. des „Fremden“ schlechthin. Der Nationalsozialismus hatte auch seine schen Inhalts zuzustimmen. Im übrigen Bundesgebiet und 18 35,7 22,7 27,5 9,7 4,4 guten Seiten. 8 9
Der Leipziger Fragebogen erfasst den klassischen primä- 2.2 Die rechtsextreme Einstellung in Bayern nach Tabelle 2.2.3: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen Tabelle 2.2.5: Rechtsextreme Einstellungsdimensio- ren Antisemitismus. Für Bayern fällt er vergleichsweise soziodemographischen Merkmalen (kumulierte in Bayern in Abhängigkeit vom Alter (in %) nen in Bayern in Abhängigkeit von der konfessionel- hoch aus: 12,6% der Befragten bejahen antisemitische Stichprobe) 14–30 31–60 älter 60 len Bindung (in %) Aussagen. Der sekundäre Antisemitismus wird in seiner Die Größe der Stichprobe für Bayern (N=2652) gestattet es, (N=514) (N=1406) (N=712) evange- katholisch ohne kon- Befürwortung Diktatur 4,5 6,8 7,2 lisch fessionelle Verbreitung in Kapitel 3 vorgestellt. die Häufigkeit der Zustimmung nach Bevölkerungsgrup- Bindung Chauvinismus 20 25,3 33,3 pen, entsprechend ihrer soziodemographischen Merkma- Ausländerfeindlichkeit 25,3 32,6 39,7 Befürwortung Diktatur 7,9 5,8 6,3 Grafik 2.1.5: Sozialdarwinismus in Bayern in % le, zu trennen. Im Freistaat zeigen sich dadurch ähnliche Chauvinismus 28,9 25,4 27,3 Antisemitismus 8,5 12,8 15,4 Sozialdarwinismus (kumulierte Stichprobe 2002–2014) Tendenzen wie im gesamten Bundesgebiet. So gibt es bei- Sozialdarwinismus 3,5 5,7 4,4 Ausländerfeindlichkeit 36,8 32,1 32,8 spielsweise einen deutlichen Unterschied zwischen Frau- Verharmlosung Nationalsozi- 3,5 4,8 5,8 Antisemitismus 12,7 11,9 18 6 alismus Sozialdarwinismus 4,2 5,3 2,7 5 5,6 en und Männern in der Zustimmung zu allen Dimensionen 4,9 Verharmlosung Nationalso- 5,3 4,6 5,5 4 rechtsextremer Einstellung. Frauen finden rechtsextreme zialismus 3 3,7 Werden die Zustimmungswerte in Bayern nach Alters- Aussagen durchweg seltener zustimmungsfähig als Män- 2 gruppen differenziert, zeigt sich ein klarer Anstieg mit dem ner. Diese Differenz ist bei der Ausländerfeindlichkeit am Bei den bayerischen Befragten mit konfessioneller Bindung 1 Lebensalter der Befragten. Dies gilt für alle sechs Dimen- 0 deutlichsten, gefolgt vom Antisemitismus. fallen die Gruppen, die rechtsextremen Aussagen zustim- sionen. Derselbe Zusammenhang ist auch im übrigen Bayern Westdeutschland Ostdeutschland men, verschieden groß aus. Unter den Christen kommen ohne Bayern westlichen Bundesgebiet zu beobachten. Anders verhält Tabelle 2.2.1: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen die Protestanten – mal mehr, mal weniger deutlich – fast Der Sozialdarwinismus spielt in den Einstellungen der Bun- es sich nur im Osten, wo die jüngste Altersgruppe zum in Bayern in Abhängigkeit vom Geschlecht (in %) durchgehend auf höhere Werte als die Katholiken. Was desbürger keine große Rolle. Im Vergleich zu den ostdeut- Teil deutlich höhere Zustimmungswerte aufweist. Dieser Männer Frauen die Dimension des Antisemitismus betrifft, fällt auf, dass schen Ländern finden die sozialdarwinistischen Aussagen (N=1250) (N=1382) Unterschied zwischen Ost und West verdeutlicht, dass es die Gruppe der Konfessionslosen hier mit 18% zu Buche in Westdeutschland eine noch geringere Zustimmung, al- Befürwortung Diktatur 7,4 5,6 sich weniger um einen Alters-, als um einen Kohorteneffekt schlägt, im Vergleich zu 12,7% bei den evangelischen und lerdings liegen wieder die Befragten aus Bayern vor denen Chauvinismus 27,4 25,6 handelt (Decker, Kiess & Brähler 2013b, 108ff). 11,9% bei den katholischen Befragten. Erstaunlicherweise aus den übrigen westlichen Bundesländern. Ausländerfeindlichkeit 35,3 31 ist unter den Christen – diesmal besonders bei den Katho- Antisemitismus 14,4 11 Tabelle 2.2.4: Rechtsextreme Einstellungsdimensionen in Sozialdarwinismus 5,3 4,6 liken (5,3%) – auch der Sozialdarwinismus zustimmungsfä- Grafik 2.1.6: Verharmlosung des Nationalsozialismus Bayern in Abhängigkeit vom Haushaltseinkommen (in %) Verharmlosung Nationalsozialismus 5,4 4,3 higer als bei Menschen ohne konfessionelle Bindung. in Bayern in % < 1250 1250– > 2500 Verharmlosung des Nationalsozialismus (kumulierte Stichprobe 2002–2014) (N=427) 2500 (N=866) Tabelle 2.2.2: Rechtsextreme Einstellungsdimensio- (N=1263) 3. Politische Zustände: Einstel- 6 nen in Bayern in Abhängigkeit von der Bildung (in %) Befürwortung Diktatur 5,9 6 7 lung zu weiteren politischen Fragen in Bayern 2012 und 2014 5 Chauvinismus 30,4 26,6 24,1 4,8 Abitur kein Abitur 4 Ausländerfeindlichkeit 37,4 33,6 30,4 (N=322) (N=2310) 3 3,8 Befürwortung Diktatur 5,9 6,5 Antisemitismus 13,1 11,8 13,2 Die überproportional häufigen sozialdarwinistischen Ein- 2 2,2 Sozialdarwinismus 5,6 4,6 5,2 Chauvinismus 14,6 28,1 stellungen bei Christen weisen auf den besonderen Stellen- 1 Ausländerfeindlichkeit 19,3 35 Verharmlosung 5,9 4,5 4,2 0 Nationalsozialismus wert hin, den die religiöse Zugehörigkeit in der modernen Bayern Westdeutschland Ostdeutschland Antisemitismus 7,5 13,4 ohne Bayern Gesellschaft für die Vorurteilsbildung bekommen hat. Dass Sozialdarwinismus 3,4 5,1 Über die Einkommensgruppen hinweg ist die Zustimmung wiederum die Konfessionslosen besonders antisemitisch Für die bayerischen Befragten ist die Verharmlosung des Verharmlosung Nationalsozialismus 3,1 5,1 zu rechtsextremen Aussagen in Bayern relativ homogen. eingestellt sind, legt nahe, dass sich der Antisemitismus Nationalsozialismus eher zustimmungsfähig als im übrigen Je niedriger das Einkommen ist, desto stärker sind die nicht allein aus einer älteren christlichen Judenfeindschaft Westdeutschland und in Ostdeutschland, wo verharmlo- Auch der bekannte Effekt des formalen Bildungsgrades ist Befragten ausländerfeindlich eingestellt. Andersherum gilt schöpft, sondern dass zum christlichen Anti-Judaismus sende Aussagen nur ein minimales Echo finden. in Bayern zu beobachten. Probanden, die die allgemeine aber auch: Je höher das Einkommen, desto eher wird der neue Quellen gekommen sind. Die fortschreitende religi- Hochschulreife besitzen, neigen den Aussagen des Frage- Wunsch nach einer Diktatur geäußert. öse Pluralisierung, aber auch die wachsende Bedeutung bogens auf allen Dimensionen weniger zu als Menschen des Islam in Deutschland, führt zu der Feststellung, dass mit formal niedrigerem Bildungsgrad. Die größten Unter- erneut Menschen als Projektionsfläche gewählt werden, schiede zeigen sich bei der Ausländerfeindlichkeit und deren behauptete Andersartigkeit an ihrer religiösen Zuge- dem Chauvinismus. 10 11
hörigkeit festgemacht wird (Decker & Kiess 2013). Die un- le 2014 wurde die Abwertung spezifischer Gruppen in der Bayern die islamische Welt für rückwärtsgewandt und den zustimmungsfähig. Fast 40% der Bayern schreiben Jüdin- terstellte Homogenität und Bedrohung, die von Jüdinnen Bevölkerung durch Zusatzfragebögen bestimmt. Zu diesen Islam für eine archaische Religion, während die übrigen nen und Juden „zu viel“ Einfluss auf die „Wall Street“ zu, und Juden, Muslima und Muslimen ausgeht, existiert le- Gruppen gehörten wiederum Muslime und Muslima, darü- westdeutschen Länder bei dieser Frage auf 54,6% kom- womit ein klassisches Motiv des Antisemitismus anklingt: diglich in den Augen des vorurteilsbehafteten Betrachters. ber hinaus aber auch Sinti und Roma sowie Asylsuchende. men. Nur in Ostdeutschland ist die Gruppe der islamfeind- Es bringt paranoide Phantasien von einer versteckten Dass sich genau diese Fläche für die Projektion anbietet, Hierfür wurden die entsprechenden Dimensionen der in lich Eingestellten noch größer: Fast alle Aussagen können Macht von Juden mit dem Vorurteil von der jüdischen Do- sagt wesentlich mehr über die Gegenwartsgesellschaft der Bielefelder Studie „Deutsche Zustände“ eingesetzten mit über 60% Zustimmung rechnen. minanz in der Finanzwirtschaft zusammen. aus, als das Vorurteil über das Objekt des Hasses (Decker, Fragebatterien verwendet (zuletzt Heitmeyer 2012). Kiess & Brähler 2013a). Für die Einstellungsforschung ist Wird der Antisemitismus getrennt für Bayern betrachtet, Jeder Dritte rechnet jüdischen Deutschen die Politik der is- somit verstärkte Anstrengung geboten, um die Ursachen Die Islamophobie gerät in den Blick der politischen Ein- zeigen sich auch hier abweichende Ergebnisse zu den raelischen Regierung zu. Die geringste Zustimmung findet für die Entstehung und Verbreitung von Vorurteilen zu er- stellungsforschung, weil sie ähnlich wie der Antisemiti- übrigen Landesteilen. Zwar wiesen bayerische Befragte die Behauptung, Jüdinnen und Juden hätten eine Mitver- fassen – und besonders von jenen Vorurteilen, die unter mus von einer projektiven Aufladung der Menschen lebt, bereits im Leipziger Fragebogen für diese Dimension deut- antwortung an ihrer Verfolgung, doch auch diese Aussage den Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit die als „Fremde“ wahrgenommen werden. Wer solcherart lich höhere Werte auf (vgl. Kap. 2.1), doch vergrößert sich findet noch bei fast jedemn siebten Befragten Bestätigung. fallen. Deshalb soll auch hier den islamfeindlichen, den an- islamfeindlich eingestellt ist, sieht „die Muslime“ als einen der Abstand zu den anderen Bundesländern noch einmal tisemitischen und anderen gruppenbezogenen Abwertun- einheitlichen Block, innerhalb dessen keine Abweichung durch die Ergebnisse des ergänzend eingesetzten Frage- Noch deutlicher fällt die Zustimmung zu den sekundär gen Aufmerksamkeit geschenkt werden. möglich ist. Als Ursache für diese scheinbar wesensgleiche bogens zum primären und sekundären Antisemitismus. antisemitischen Aussagen aus (vgl. Grafik 3.1.3). Die Er- Gruppe werden im Gegensatz zum klassischen Rassismus Den Grafiken 3.1.2 und 3.1.3 sind die Zustimmungswerte gebnisse zeigen, dass der sekundäre Antisemitismus in Das Kernstück einer jeden Erhebungswelle der „Mitte“- nicht mehr genetisch Gründe gedacht, sondern aus der je Aussage zu entnehmen. Die Befragten hatten die Mög- Bayern äußerst verbreitet ist. Jede der Aussagen findet Studien ist der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung Zugehörigkeit zum Islam hergeleitet. Bestehen bleibt die lichkeit, die Aussagen „voll und ganz abzulehnen“ oder ih- bei mindestens 43% der Befragten Zustimmung. Damit (Kap. 2.1 und 2.2). Neben diesem Fragebogen, der die projektive Aufladung „des Islam“. Der Islam bringt in dieser nen – am anderen Ende der fünfstufigen Skala – „voll und ist noch immer nahezu jeder Zweite mit der Aussage ein- gruppenbezogenen und sozialen Einstellungsdimensio- Logik eine Weltsicht mit sich, die mit der des Westens nicht ganz zuzustimmen“. Die Prozentangaben geben jenen Teil verstanden, dass der Holocaust heute von Jüdinnen und nen der rechtsextremen, antidemokratischen Einstellung kompatibel ist und von der sich die Muslime nicht emanzi- der Befragten wieder, die den Aussagen „zustimmten“ Juden ausgenutzt wird. misst, werden regelmäßig zusätzliche Fragebögen zur po- pieren können. Damit einher geht die Annahme, dass der oder „voll und ganz zustimmten“. litischen Situation eingesetzt. Im Jahr 2012 betraf das die Islam bzw. die islamisch geprägte Kultur eine hinreichende Die meisten Aussagen zur Erfassung des primären Antise- Auch dass die Folgen des deutschen Angriffs- und Vernich- Islamfeindschaft mit einem Fragebogen, der fünf Aussagen Erklärung für alle Schwierigkeiten innerhalb der mehrheit- mitismus (vgl. Grafik 3.1.2) sind für jeden dritten Befragten tungskrieges auf der einen Seite und die Bombardierung umfasste (Decker et al. 2012; Imhoff & Recker 2012). Da- lich islamischen Länder und bei der Integration von Musli- rüber hinaus wurde 2012 erstmals eine weitere Dimension men in westliche Länder sei. Debatten über gesellschaftli- des Antisemitismus erhoben: Während die „Mitte“-Studien che Missstände werden somit „religionisiert“ und Konflikte Islamfeindschaft Grafik 3.1.1: Islamfeindschaft 2012 (Zustimmung in %) schon seit 2002 den sogenannten primären Antisemitis- in sozialen Randlagen ethnisiert. 70 mus zum Gegenstand haben, kam 2012 der sekundäre 60 65,3 64,0 Antisemitismus hinzu (Imhoff 2010; Ullrich et al. 2012). 3.1 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Der 62,8 62,7 63,3 62,5 54,6 55,8 55,2 Die Notwendigkeit neben einem primären auch einen se- sekundäre Antisemitismus und die Abwertung von 50 53,0 47,8 kundären Antisemitismus zu bestimmen ist Folge des von Muslimen 40 44,1 45,5 43,9 44,3 Nazideutschland geführten Angriffs- und Vernichtungskrie- Die Ergebnisse der Erhebung 2012 (Westdeutsche ohne 30 ges. Mit der Shoah tritt seit dem Ende des Krieges ein neu- Bayern N=1558; Bayern N=371; Ostdeutsche N=486; 20 es Motiv für den Antisemitismus zutage. Denn Auschwitz Stichprobenbeschreibung vgl. Decker, Kiess & Bräh- 10 ist etwas, was die Ideologie des deutschen Nationalismus ler 2012) zeigen auffällige Werte für die Islamfeindschaft nachhaltig desavouriert. Die eigene Nation wertzuschätzen und den sekundären Antisemitismus. Die Ressentiments 0 Die islamische Welt Der Islam ist eine Ich denke, dass die Jegliche Kritik von Muslime und ihre ist schwer möglich, wenn zugleich Auschwitz Geschichte gegenüber Muslimen und Muslima sind bundesweit stark ist rückständig und archaische Religion, Nähe von Islam und Vertretern des Islam Religion sind so verweigert sich den unfähig sich an die Terrorismus schon im an der westlichen verschieden von uns, dieser Nation ist. Das aus dem Nationalismus im Angesicht ausgeprägt, doch in Bayern liegen sie – besonders für die neuen Realitäten. Gegenwart anzupassen. Islam selber und Welt ist übertrieben dass es blauäugig seinen aggressiven und ungerechtfertigt. wäre, einen gleichen seiner Schande resultierende Gefühl der Schuldabwehr ersten beiden Aussagen des Fragebogens – noch ein- Seiten angelegt ist. Zugang zu allen gesellschaftlichen verschafft sich Abfuhr und wird als „sekundärer Antisemi- mal deutlich über denen für die anderen westdeutschen Positionen zu fordern. Bayern Westdeutschland ohne Bayern Ostdeutschland tismus“ bezeichnet. In der darauffolgenden Erhebungswel- Bundesländer. Beispielsweise halten 62,8% der befragten 12 13
Primärer Antisemitismus Grafik 3.1.2: Einzel-Items primärer Antisemitismus 2012 (Zustimmung in %) Zusammengefasst lässt sich sagen, dass über 36% der Bundesweit fällt die stark ausgeprägte Abwertung von 40 Befragten in Bayern sekundär antisemitisch eingestellt Asylbewerbern, Muslimen und Muslima sowie Sinti und 35 39,1 sind. Mit einer Zustimmung von 12,4% der Befragten weist Roma auf. Die Zustimmungswerte zu den verschiedenen 30 32,3 der Wert des primären Antisemitismus in dieser Befragung Aussagen sind mal in Bayern, mal in den anderen west- 25 28,6 keine deutliche Differenz zu den restlichen Landesteilen deutschen und mal in den ostdeutschen Bundesländern 20 23,2 auf. Bei der Äußerung antisemitischer Einstellungen macht am höchsten. 15 sich somit eine deutliche Kommunikationslatenz bemerk- 15,1 10 bar. Erst den Aussagen zum sekundären Antisemitismus Tabelle 3.2.2: Zustimmung zur Demokratie 2014 in % 5 wird in Bayern ausdrücklicher zugestimmt (36,9%). West- Ost- 0 Demokratie ... Bayern deutschland deutschland Juden haben zu viel Juden haben zu viel Juden sorgen mit Durch ihr Verhalten Durch die israelische ohne Bayern Einfluss auf die Kontrolle und Einfluss ihren Ideen immer sind die Juden an ihren Politik werden mir die 3.2 Die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma ... als Idee 95,6 89,9 92,9 öffentliche Meinung an der Wall Street. für Unfrieden. Verfolgungen mitschuldig. Juden immer in diesem Land unsympathischer. und Asylbewerbern und die autoritäre Orientierung ... wie in der deut- 86,4 74,6 70,8 schen Verfassung der Bevölkerung niedergelegt In die Erhebung der „Mitte“-Studie 2014 (Westdeutsche ... wie sie in Deutsch- 60,5 56,3 46,8 Sekundärer Antisemitismus in Bayern land funktioniert ohne Bayern N=1588; Bayern N=341; Ostdeutsche N=503; Grafik 3.1.3: Einzel-Items sekundärer Antisemitismus 2012 (Zustimmung in %) 70 Stichprobenbeschreibung Decker, Kiess & Brähler 2014) 74,1 Die Bayern zeigen sich insgesamt sehr zufrieden mit der 60 flossen zusätzliche Aussagen aus der Bielefelder Studienrei- Demokratie, zufriedener noch als die Bürgerinnen und Bür- he „Deutsche Zustände“ ein. Mit Blick auf die erweiterte Ar- 50 54,5 ger der anderen Landesteile. Das betrifft zunächst die Idee 49,9 beitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus osteuropäischen 40 45,3 der Demokratie, die von 95,6% der bayerischen Befragten 43,1 Ländern und die Zunahme an Flüchtlingen interessierte vor 30 unterstützt wird. Aber auch die Verfassungsnorm und -re- allem die Akzeptanz von Sinti und Roma sowie Asylsuchen- 20 alität finden große Zustimmung im Freistaat.. den. In Kenntnis der starken Abwertung von Muslimen und 10 Muslima 2012 (vgl. 3.1) wurden auch diese Aussagen noch- 0 mals in die Erhebung aufgenommen (Heitmeyer 2012). Es macht mich wütend, Reparationsforderungen Ich bin es leid, immer Die Juden nutzen die Wir sollten uns lieber dass die Vertreibung an Deutschland nützen wieder von den Erinnerung an den gegenwärtigen Probleme der Deutschen und die oft gar nicht mehr den deutschen Verbre- Holocaust heute für ihren n widmen als Ereignissen, Bombardierung Opfern, sondern einer chen an den Juden eigenen Vorteil aus. die mehr als 60 Jahre deutscher Städte immer Holocaust-Industrie von zu hören. vergangen sind. als kleinere Verbrechen findigen Anwälten. angesehen werden. Tabelle 3.2.1: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 2014 (Zustimmung in %) Bayern Westdeutschland Ostdeutschland ohne Bayern deutscher Städte sowie die Vertreibung von Deutschen auf Grafik 3.1.4: Skalen des primären und sekundären Islamfeindschaft der anderen Seite unterschiedlich bewertet werden, löst Antisemitismus 2012 Verharmlosung des (Zustimmung in %) Nationalsozialismus Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 46,0 44,9 33,0 bei fast jedem Zweiten Ärger aus. 75% sehen wichtigere 40 Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder 35,5 35,1 39,7 im eigenen Land. 35 Aufgaben, als sich mit der deutschen Geschichte zu be- 36,9 Antiziganismus 30 schäftigen. Die Deutschen hätten ein Recht, nicht mehr Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend 53,7 54,0 57,5 25 aufhalten. mit dem Holocaust konfrontiert zu werden, forderte Franz- 20 22,0 18,8 Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. 47,5 45,0 46,9 Josef Strauß bereits in den 1950er-Jahren und damit kurz 15 10 Sinti und Roma neigen zur Kriminalität. 45,7 55,6 52,7 12,4 12,6 nach dem Ende der Massenvernichtung: „Ein Volk, das ein 11,0 5 Abwertung von Asylbewerbern solches Wirtschaftswunder geschaffen hat, hat ein Recht, 0 Ablehnung der Forderung: Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der 79,8 72,4 85,7 Bayern Westdeutschland Ostdeutschland Staat großzügig sein. nicht ständig an Auschwitz erinnert zu werden“ (zitiert nach ohne Bayern Primärer Antisemitismus Sekundärer Antisemitismus Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland 54,8 52,9 59,3 Kölsch 2000, 78). verfolgt zu werden. 14 15
Tabelle 3.3.3: Autoritarismus 2014 (Zustimmung in %) land. Der primäre Antisemitismus im Leipziger Fragebogen bundesweit die höchste Akzeptanz, sowohl als Idee, als Bayern Westdeutschland Ostdeutschland zur rechtsextremen Einstellung ist in Bayern häufiger anzu- auch in ihrer verfassungsmäßigen und alltäglichen Umset- ohne Bayern treffen als im restlichen Bundesgebiet, Ost wie West. Auch zung. Das bestätigt sich auch durch den mit 6% relativ ge- Autoritäre Unterwürfigkeit die sozialdarwinistische Einstellung findet in Bayern mehr ringen Anteil von Menschen, die eine Diktatur befürworten. Wichtigste Eigenschaft: unbedingter Gehorsam gegenüber der Autorität 20,1 19,4 26,7 Zustimmung als im übrigen Westdeutschland, nur die Ost- Dankbarkeit für führende Köpfe 15,7 19,1 23,5 deutschen liegen mit ihren Zustimmungswerten noch da- Autorität: Nein. Autoritäre Aggression: Ja. Gehorsam gegenüber den Eltern dem Kind dienlich 11,5 18,2 24,7 Autoritäre Aggression rüber. Allerdings verharmlosen in Bayern wiederum mehr Zu diesem Befund passt auch, dass die Gruppe derjeni- Kriminalität und sexuelle Unmoral lassen es unumgänglich erscheinen, 49 48,6 65,3 Menschen den Nationalsozialismus, zieht man zum Ver- gen, die die Unterwerfung unter eine Autorität fordern, im mit gewissen Leuten härter zu verfahren gleich den Mittelwert des restlichen Westdeutschlands und Vergleich zu anderen Landesteilen in Bayern am gerings- Ostdeutschlands heran. ten ist. Nicht beruhigen kann allerdings die mit knapp 50% Der Autoritarismus setzt sich aus verschiedenen Bestand- 4. Zusammenfassung und Zustimmung geforderte autoritäre Aggression. Diese Ag- teilen zusammen: aus dem Wunsch nach einer personellen Diskussion Hoher Anteil Unentschiedener bei allen rechtsextre- gression spiegelt sich auch in den oben bereits genannten Autorität, der autoritären Aggression und hohem Konventi- men Aussagen starken Ressentiments gegenüber Juden und Jüdinnen Die politische Einstellung und Kultur in Bayern hat ver- onalismus. Das Bild für den klassisch Autoritären ist das des Der hohe Anteil der Antworten, der auf die Kategorie „teils/ oder Muslimen und Muslima wider. Das macht deutlich, schiedene Facetten. Auf der Grundlage der Repräsentativ- „Fahrradfahrers in der Straßenbahnschiene“ – „nach oben teils“ entfällt (zwischen 19% und 31%), weist auf ein höhe- dass zwar Personen als autoritäre Führer in der Breite der erhebungen der „Mitte“-Studien wurde die rechtsextreme buckeln, nach unten treten und immer in den bewährten res rechtsextremes Potential hin. Der Inhalt der Aussagen Bevölkerung auf keine Akzeptanz mehr hoffen dürften, Einstellung, ihre Verbreitung und Ausprägung im Freistaat Bahnen der Norm bleiben“. In den „Mitte“-Studien kommt wird möglicherweise geteilt und die Antwort-Skalierung dass aber die autoritäre Dynamik in Kraft und der Hass Bayern dargestellt. Verschiedene soziodemographische ein Fragebogen zum Einsatz, der zwei der drei Komponen- gestattet es, sich abgeschwächt zu äußern. Diesen Ef- gegen Minderheiten und empfundene Abweichungen nicht Indizes wurden herangezogen, um die Bevölkerungs- ten erhebt: die autoritäre Aggression und die autoritäre Un- fekt konnten wir bereits in der Vergangenheit durch den versiegt ist. gruppen getrennt voneinander zu untersuchen. Zusätzlich terwürfigkeit (Schmidt, Stephan & Herrmann 1995). Vergleich der Einstellung mit den Äußerungen in unseren wurde die Abwertung von bestimmten Gruppen durch die Gruppendiskussionen feststellen. Um diese Ergebnisse zu interpretieren, greifen wir auf die bayerische Bevölkerung überprüft und die Akzeptanz der Wie bei der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit theoretischen Annahmen zurück, die wir einleitend erörtert Demokratie im Freistaat bestimmt. Abschließend wurden finden sich hinsichtlich der autoritären Orientierung der Abwertung von Jüdinnen und Juden, Muslima und Mus- haben (vgl. Kap. 1). Das bundesdeutsche Wirtschaftswun- die Ergebnisse eines Kurzfragebogens zur autoritären Ori- Bayern im Vergleich zum restlichen Westdeutschland kei- limen, Sinti und Roma und Asylsuchenden weit verbreitet der der Nachkriegsjahre legitimierte die junge Demokratie entierung in Bayern betrachtet. ne auffälligen Abweichungen. Positiv ist festzustellen, dass In Bayern ist auch die Zustimmung zu sekundär antisemi- durch eine starke Ökonomie und schuf gleichzeitig – als einige Aussagen in Bayern seltener befürwortet werden, tischen Aussagen ausgesprochen hoch. In der Befragung narzisstische Plombe – Ersatz für verlorene Größe (Decker Ausländerfeindlichkeit und primärer Antisemitismus z. B. die Dankbarkeit für führende Köpfe oder die Forde- von 2012 stimmte mehr als jeder dritte Bayer durchschnitt- et al. 2013b). Im Ressentiment gegen bestimmte Gruppen in Bayern stark ausgeprägt rung nach Gehorsam des Kindes gegenüber den Eltern. lich allen Aussagen zu, einzelne antisemitische Aussagen selbst unter besten Bedingungen zeigt sich eine autoritäre Die rechtsextreme Einstellung wird in Bayern von vielen Die Unterwerfung unter eine Autorität, die durch eine Per- waren für jeden zweiten Befragten zustimmungsfähig. Dies Dynamik, wird ein sekundärer Autoritarismus erkennbar. Menschen geteilt. Teilweise ist die rechtsextreme Einstel- son repräsentierte wird, fordern etwa 20% der Bayern, sind die höchsten Werte, die in den Untersuchungsgrup- Was landläufig als „Ökonomisierung“ kritisiert wird, ist fak- lung ausgeprägter als in den zum Vergleich herangezo- wogegen die autoritäre Aggression nahezu jedem zweiten pen erreicht wurden. Zwar ist die Abwertung von Sinti tisch die Durchsetzung des Primats einer sekundären Au- genen westdeutschen Bundesländern, teilweise findet sie Befragten in Bayern unproblematisch erscheint. und Roma, Muslimen und Muslima sowie Asylsuchenden torität. Die Unterwerfung unter eine Autorität – ob personell auch mehr Zustimmung als in Ostdeutschland. So ist der nicht ausgeprägter als im Rest der Republik, aber die hohe oder sekundär – hat stets eine psychische Wirkung. Auch Chauvinismus in Bayern deutlich ausgeprägter als in den Zustimmung zu diesen Aussagen ist auch in Bayern ein- die sekundäre Autorität setzt sich auf Kosten individuel- anderen Landesteilen. Jeder Vierte stimmt allen Aussagen drücklich. Die Bereitschaft, Minderheiten zu stigmatisieren, ler Lebensentwürfe und Wünsche durch, was nicht ohne dieser Dimension zu. Auch die Ausländerfeindlichkeit fin- ist weit verbreitet, die Einschränkung ihrer Grundrechte Aggressionen bei denen, die sich dieser Rationalität unter- det in Bayern bei einer größeren Gruppe Akzeptanz als in wird nicht als Problem wahrgenommen, sondern von rund werfen, abläuft. Zur autoritären Dynamik gehört, dass sich Ost- und in Westdeutschland. Mehr als jeder dritte befrag- 50% der Befragten gefordert. die Aggressionen nicht gegen die Autorität selbst richtet, te Bayer und fast jede dritte Bayerin kann den Aussagen sondern gegen andere Objekte. Das sind konkret Asylsu- mit ausländerfeindlichem Inhalt zustimmen. Die Befürwor- Demokratie findet große Zustimmung chende, Sinti und Roma, Muslima und Muslime, Jüdinnen ter einer Diktatur sind demgegenüber in Bayern eine kleine Dagegen ist die Zustimmung zur Demokratie in Bayern po- und Juden. Gruppe, allerdings ist diese fast so groß wie in Ostdeutsch- sitiv hervorzuheben. Die Demokratie hat auf allen Ebenen 16 17
Zu bedenken ist, dass grundsätzlich alle Menschen von et al. 2008), denn sie bringen Deutschland einen Ertrag Literatur 13-64. Gießen: Psychosozial. Abwertung bedroht sind. Jeder Mensch kann als Ange- und unterliegen demselben ökonomischen Primat wie die Adorno, T. W., Frenkel-Brunswik, E., Levinson, D. J. & Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Die Mitte im Um- höriger einer von der Mehrheitsbevölkerung unterscheid- hiesige Mehrheitsgesellschaft. Sandford, R. N. (Hrsg.) (1950). The Authoritarian Persona- bruch. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2012. baren Gruppe Stigmatisierung erfahren, wie die Bielefelder Sieht Giddens in der Konfrontation mit dem Unbekannten lity. New York: Harper. Bonn: Dietz-Verlag. Studien „Deutsche Zustände“ gezeigt haben. Jahr um Jahr die Schwierigkeit des Kontakts mit dem „Fremden“, kön- Bergmann, W. & Erb, R. (1986). Kommunikationslatenz, wurde der Fragebogen dieser Längsschnittuntersuchung nen wir für die autoritäre Aggression erweiternd feststel- Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013a). Alltagsreligi- Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegun- erweitert, bis zum Ende der Studienreihe elf Gruppen aus- len: Das Unbekannte ist oftmals das allzu Vertraute. Sinti on: Nationalismus, Antisemitismus, Islamfeindschaft. In: gen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutsch- gemacht waren, die aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft und Roma werden als jene wahrgenommen, die sich den Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.). Rechtsextreme land. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycholo- Stigmaträger waren. Sie reichten von Langzeitarbeitslosen Regeln der Autorität nicht unterwerfen („kriminell“), sie er- Einstellung in der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegen- gie, 223–246. über Obdachlose bis zu Muslimen (Heitmeyer 2012, 17). scheinen frei von der zurichtenden Gewalt, die die Autorität wartsdiagnise, 127-144. Gießen: Psychosozial. Auch die Gruppendiskussionen der „Mitte“-Studien haben an jeder Stelle der Gesellschaft ausübt. Sie scheinen sich Beyer, H. & Krumpal, I. (2010). „Aber es gibt keine Antise- zu entsprechenden Ergebnissen geführt: Die Erfahrung, ei- nicht in das eherne Gehäuse der Hörigkeit zu zwängen und Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2013b). Traditionslini- miten mehr“: Eine experimentelle Studie zur Kommunika- nes besonderen Merkmals wegen diskriminiert zu werden, versuchen nicht, diesen Umstand durch beständige Selb- en der Moderne. In: Dies. (Hrsg.). Rechtsextremismus der tionslatenz antisemitischer Einstellungen. Kölner Zeitschrift wurde von fast allen Teilnehmenden berichtet. Ob Arbeits- stoptimierung vor sich selbst zu verschleiern. Deswegen Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose, für Soziologie und Sozialpsychologie 62, 681–705. lose, Frauen, Zugezogene in kleinen Gemeinden, alternati- liegt nahe, dass Sinti und Roma gerade deshalb zum Ob- 97-126. Gießen: Psychosozial. ve Jugendliche oder Migrantinnen, sie alle haben autoritäre jekt der Wut werden, weil sie die Phantasie auf sich ziehen, Bröckling, U., Krasmann, S. & Lemke, T. (Hrsg.) (2000). Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2014) Die stabilisier- Aggressionen auf sich gezogen (Decker, Weißmann & Ro- sich der zurichtenden Gewalt der Autorität zu entziehen. Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomi- te Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland the 2013). Bei der Islamfeindschaft wird eine Minderheit diskriminiert, sierung des Sozialen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. 2014. Leipzig, Universität Leipzig, http://www.uni-leipzig. die als religiös identifiziert wird. Das hat die Islamfeindschaft Decker, O. (2010). Das Veralten des Autoritären Charak- de/%7Ekredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf. Alle Gruppen, die von der Mehrheitsgesellschaft in irgend- mit dem Antisemitismus gemeinsam. Die Abwertung von ters. In: Decker, O., Weissmann, M., Kiess, J. & Brähler, E. einem Punkt abweichen, laufen demnach Gefahr, mit Muslimen und Musliminnen haben wir bereits andernorts Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (2015). Rechtsextre- (Hrsg.). Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellung Ressentiments belegt und mit Aggressionen verfolgt zu vor dem Hintergrund einer nur schlecht vollzogenen Säku- mismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus. Gießen: in Deutschland 2010, 29-41. Springe: zu Klampen (2012). werden. Doch welche spezifischen Merkmale die Stigma- larisierung erklärt (Decker & Kiess 2013). Schon Max We- Psychosozial (in Druck). tisierung letztlich auslösen, ist nicht ganz beliebig, sondern ber wusste, dass die Zwangsstruktur der kapitalistischen Decker, O. & Brähler, E. (2005). Rechtsextreme Einstel- steht in engem Zusammenhang damit, was die Mehrheits- Gesellschaft in direktem Zusammenhang mit einer religi- Decker, O., Kiess, J., Weißmann, M. & Brähler, E. (Hrsg.) lungen in Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschehen 42, gesellschaft als Gruppe konstituiert, mit welchem gemein- ösen Sehnsucht steht (Weber 1920). Es ist Eigenes, nicht (2010). Die Mitte in der Krise. Springe: zu Klampen (2012). 8-17. samen Ideal sie sich identifiziert. Deshalb lässt sich über Fremdes, worüber die Islamfeindschaft Auskunft gibt: über Decker, O., Niedermayer, O. & Brähler, E. (2003). Rechts- das Objekt der autoritären Aggression vieles über die Mehr- Heilserwartungen, von denen auch die modernen Gesell- Decker, O. & Brähler, E. (2006). Vom Rand zur Mitte. extreme Einstellungen in Deutschland. Ergebnisse einer heitsgesellschaft erfahren. „Das Fremde“, schreibt Anthony schaften durchdrungen sind (Decker & Kiess 2013). Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in repräsentativen Erhebung. Zeitschrift für Psychotraumato- Giddens, „repräsentiert das Unbekannte“ (Giddens 1994, Deutschland. Berlin: FES. logie und Psychologische Medizin 1, 65-77. 152). Mit diesem „Fremden“ kann man unterschiedlich um- Decker, O. & Brähler, E. (2008). Bewegung in der Mitte. gehen, beispielsweise indem man es in den Horizont des Decker, O., Rothe, K., Weissmann, M., Geissler, N. & Bräh- Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2008. Berlin: FES. Eigenen holt, also den eigenen Zwecken unterwirft. Insge- ler, E. (2008). Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechts- samt manifestiert sich in der abnehmenden Zustimmung Decker, O., Hinz, A., Geißler, N. & Brähler, E. (2013a). Fra- extremer und demokratischer Einstellungen. Berlin: FES. zur Ausländerfeindlichkeit auf der einen und der deutlichen gebogen zur rechtsextremen Einstellung - Leipziger Form Zunahme der Abwertung bestimmter Gruppen auf der an- Decker, O., Rothe, K., Weißmann, M., Kiess, J. & Brähler, (FR-LF). In: Decker, O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.). deren Seite eine Tendenz, die wir bereits 2008 festgestellt E. (2013b). Economic Prosperity as “Narcissistic Filling”: A Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische haben: Die Wahrnehmung von Migrantinnen und Migran- Missing Link Between Political Attitudes and Right-wing Au- Gegenwartsdiagnose, 197-212. Gießen: Psychosozial. ten wird dadurch bestimmt, ob sie Deutschland einen Er- thoritarianism. Journal of Conflict and Violence 7, 135-149. trag bringen oder kulturell nahe stehen. Ein britischer Kraft- Decker, O. & Kiess, J. (2013). Moderne Zeiten. In: Decker, Decker, O., Schilling, B., Kiess, J. & Brähler, E. (2012). Is- fahrer oder eine polnische Ärztin sind der Diskriminierung O., Kiess, J. & Brähler, E. (Hrsg.). Rechtsextremismus der lamfeindschaft und Islamkritik. In: Decker, O., Kiess, J. & deutlich weniger ausgesetzt als Armutsflüchtlinge (Decker Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose, 18 19
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