Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands - Zeitliche Trends und regionale Variationen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands – Zeitliche Trends und regionale Variationen Jakob Holstiege • Manas K. Akmatov • Annika Steffen • Jörg Bätzing DOI: 10.20364/VA-20.04 Abstract Hintergrund Die ischämische Herzerkrankung ist in Deutschland, aber auch weltweit die häufigste Todesursache und mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden. Regionale Kennzahlen zur Prävalenz ermöglichen die Abschätzung medizinischer Versorgungsbedarfe und die Identifizierung von Zielgruppen für prä- ventive Maßnahmen. Ziel dieser Studie war die Quantifizierung aktueller raumzeitlicher Trends der Prävalenz der ischämischen Herzerkrankung. Methodik Als primäre Morbiditätskennzahl wurde die jährliche Diagnoseprävalenz auf Basis krankenkassenüber- greifender vertragsärztlicher Abrechnungsdaten für die Jahre 2009 bis 2018 auf Bundesebene und auf Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sowohl roh als auch alters- und geschlechtsstandar disiert bezogen auf die Gesamtheit aller in Deutschland ansässigen gesetzlich Versicherten bestimmt. Als prävalent galten Versicherte, die in mindestens zwei Quartalen eines Kalenderjahres eine als gesi- chert codierte ischämische Herzerkrankung aufwiesen. Ergebnisse Im Jahr 2018 wurde bei 4,42 Mio. Versicherten eine ischämische Herzerkrankung diagnostiziert, was einer rohen Prävalenz von 6,1 % entsprach. Die altersstandardisierte Prävalenz ging bei Frauen im Stu- dienverlauf kontinuierlich von 4,5 % (2009) auf 3,9 % (2018) zurück. Männer zeigten einen Anstieg der standardisierten Prävalenz von 8,0 % im Jahr 2009 auf 8,2 % im Jahr 2014 und einen Rückgang in den Folgejahren (2018: 8,0 %). Durch Alters- und Geschlechtsstandardisierung reduzierte sich die Variation der Prävalenz zwischen den KV-Bereichen im Jahr 2018 um 45 % (Variationskoeffzient, roh: 0,26, stan- dardisiert: 0,14). In den zehn Beobachtungsjahren nahm die standardisierte Prävalenz in den meisten ostdeutschen Bundesländern, die zu Studienbeginn besonders hohe Werte aufwiesen, überproportio- nal ab. Trotzdem konnte auch noch im Jahr 2018 eine um 25 % höhere alters- und geschlechtsstandar- disierte Prävalenz im Osten (6,7 %, ohne Berlin) gegenüber dem Westen Deutschlands (5,3 %) beob- achtet werden. Schlussfolgerung Divergenzen der Prävalenzentwicklung zwischen Frauen und Männern sind ein möglicher Ausdruck unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Entwicklungen von Neuerkrankungen und Prognose. Abnah- men der räumlichen Variationen infolge starker Reduktionen der alters- und geschlechtsstandardisier- ten Prävalenz in Ostdeutschland weisen auf einen Rückgang der auftretenden Neuerkrankungen in diesen besonders betroffenen Regionen hin. Korrespondierender Autor: Dr. Jakob Holstiege Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) Salzufer 8 – 10587 Berlin – Tel. (030) 4005 2467 – E-Mail: jholstiege@zi.de Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in dieser Publikation zumeist die Sprachform des generischen Maskuli- nums. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Verwendung der männlichen Form geschlechterunabhängig verstanden werden soll. Bericht Nr. 20/04, 12.08.2020 15/xx, veröffentlicht am xx.xx.2015
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Schlagwörter Angina pectoris, Diagnoseprävalenz, ischämische Herzerkrankung, Herzinfarkt, KHK, Koronare Herzkrankheit, Prävalenz, Trend Zitierweise Holstiege J, Akmatov MK, Steffen A, Bätzing J. Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärzt lichen Versorgung Deutschlands – Zeitliche Trends und regionale Variationen. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 20/04. Berlin 2020. DOI: 10.20364/VA-20.04. URL: https://www.versorgungsatlas.de/themen/alle-analysen-nach-datum- sortiert/?tab=6&uid=109 Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 2
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Abstract (English) Ischemic heart disease in German ambulatory care—Temporal trends and regional variations Background Ischemic heart disease is the leading cause of death worldwide including Germany and associated with high societal costs. Current data on regional prevalence of ischemic heart disease may inform health care planning and targeted prevention strategies. The aim of this study was to assess temporal trends and regional variations in ischemic heart disease prevalence. Methods Annual raw and age-sex standardized diagnosis prevalence of ischemic heart disease was assessed for Germany as a whole and on the level of regional Associations of Statutory Health Insurance Physicians in the population of all statutory health insured inhabitants for the years 2009 to 2018. Analyses were based on a full sample of ambulatory claims data from the years 2009 to 2018. Patients diagnosed with ischemic heart disease in at least two quarters of a given year were considered as prevalent cases. Results In 2018, 4.42 million insurants were diagnosed as having ischemic heart disease, corresponding to a raw diagnosis prevalence of 6.1%. Age-standardised prevalence in women decreased gradually over the years of study from 4.5% in 2009 to 3.9% in 2018. In men this figure rose from 8.0% in 2009 to 8.2% in 2014, but decreased in the two following years (2018: 8.0%). Regional variation of age-sex standardized prevalence was 45% lower in contrast to its raw values (coefficient of variation, raw: 0.26; standardised: 0.14). Eastern German states exhibited the highest age-sex standardized prevalence but also the strongest decline of morbidity over the 10 years of study. Nevertheless, after standardization for age and sex the 2018 prevalence of ischemic heart disease was still 25% higher in East Germany (without Berlin: 6.7%) compared to West Germany (5,3%). Conclusion Differences in trends of age-standardised prevalence between sexes may be a manifestation of varying sex-specific developments of incidence and prognosis of ischemic heart disease over time. Reductions of regional variations of ischemic heart disease prevalence during the years of study were the result of a disproportionatly stronger decline in prevalence in Eastern Germany. This likely corresponds to a more pronounced drop of ischemic heart disease incidence in these high prevalence regions in contrast to other German states. Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 3
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Kernaussagen • Mit einer altersstandardisierten Prävalenz von 8,0 % waren Männer im Jahr 2018 im Vergleich zu Frauen (3,9 %) etwa doppelt so häufig von einer ischämischen Herzerkrankung betroffen. • Während die altersstandardisierte Prävalenz in der vertragsärztlichen Versorgung bei Frauen im zehnjährigen Untersuchungszeitraum um 14 % zurückging, wiesen Männer in den Jahren 2009 und 2018 ein stagnierendes Prävalenzniveau auf. • In den zehn Beobachtungsjahren nahm die standardisierte Prävalenz in den meisten ostdeutschen Bundesländern, die zu Studienbeginn besonders hohe Werte aufwiesen, überproportional ab. • Dennoch war die standardisierte Prävalenz auch noch im Jahr 2018 im Osten (ohne Berlin) gegen- über dem Westen Deutschlands um 25 % erhöht und unterstreicht damit hohe Anforderungen an die medizinische Versorgung in diesen Regionen. Hintergrund Zusätzlich zur Mortalitätsentwicklung verweist ein Vergleich bevölkerungsrepräsentativer Sur- Die ischämische Herzerkrankung ist eine schwer- veydaten des Robert Koch-Instituts für Deutsch- wiegende chronische Krankheit des Herzens, die land auf einen insgesamt weitgehend stabilen durch eine fortschreitende arteriosklerotische und bei Frauen leicht rückläufigen Anteil jemals Verengung der Koronararterien gekennzeich- von einer ischämischen Herzerkrankung Betrof- net ist. Wichtige Komplikationen der entstehen- fener (Lebenszeitprävalenz) in der Bevölkerung den Mangeldurchblutung des Herzmuskels sind zwischen den Erhebungswellen 1997 bis 1999 die als anfallsartiger Brustschmerz auftretende und 2008 bis 2011 [11]. Demnach bezifferte Angina pectoris und der akute Myokardinfarkt sich die Lebenszeitprävalenz der ischämischen [1, 2]. Die ischämische Herzerkrankung ist in Herzerkrankung bei Teilnehmern der zweiten Deutschland, aber auch weltweit die häufigste Erhebungswelle in dem Alterssegment in 40 bis Todesursache [2 – 4] und geht mit hohen gesell- 79 Jahre auf 6,4 % bei Frauen und 12,3 % bei schaftlichen Kosten einher [5]. Männer erkran- Männern [11]. Gleichzeitig zeigen telefonische ken im Vergleich zu Frauen früher, sind alters- Befragungsdaten der auch vom Robert Koch- übergreifend deutlich häufiger betroffen und Institut durchgeführten Studie „Gesundheit in weisen als Folge eine höhere erkrankungsspezi- Deutschland aktuell“ (GEDA) deutliche regio- fische Mortalität auf [6]. nale Unterschiede der Prävalenz der ischämi- schen Herzerkrankung zwischen den deutschen Neben genetischer Prädisposition stellen insbe- Bundesländern im Jahr 2012. Diese waren mög- sondere Aspekte des Lebensstils wichtige Risi- licherweise aufgrund vergleichsweise kleiner kofaktoren für das Auftreten einer ischämischen regionaler Teilnehmerkollektive aber weitge- Herzerkrankung dar. Dazu zählen Rauchen, hend nicht statistisch signifikant [12]. Deutsch- Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Über- landweite kleinräumige Kennzahlen bezüglich gewicht und als Folge auftretende Hypertonien der Prävalenz der ischämischen Herzerkrankung und Fettstoffwechselstörungen [1, 2]. Es wird liegen nicht vor. angenommen, dass eine unter Frauen geringere Prävalenz der ischämischen Herzerkrankung im Der aktuellen Entwicklung der Prävalenz in Speziellen und von kardiovaskulären Erkrankun- der Bevölkerung auch unter Berücksichtigung gen im Allgemeinen auf einen protektiven bis zur regionaler Variationen kommt eine wesentliche Menopause vorhaltenden Effekt des Östrogens Bedeutung in der Abschätzung gesellschaftlicher zurückzuführen ist [7]. Kosten, der Planung medizinischer Versorgungs- bedarfe und der Identifizierung wichtiger Ziel- In Deutschland und anderen westlichen Ländern gruppen für präventive Maßnahmen zu. Deutsch- ist die erkrankungsbedingte Mortalität in der landweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten Bevölkerung bei beiden Geschlechtern seit drei erlauben die Schätzung der Häufigkeit der ischä Jahrzehnten rückläufig [2, 3, 8, 9]. Dieser Rück- mischen Herzerkrankung in der Population gang ist auch eine Folge der Abnahme von Inzi- aller gesetzlich Versicherten anhand der ärzt- denz und Sterblichkeit des Herzinfarktes [10]. lich gestellten Diagnosen. Ziel der vorliegenden Der Rückgang der Sterblichkeit wird auf eine im Arbeit ist die Analyse von aktuellen zeitlichen Zeitverlauf abnehmende Fallschwere als auch Trends der Diagnoseprävalenz der ischämi- auf eine verbesserte medizinische Versorgung schen Herzerkrankung in Abhängigkeit von Alter, zurückgeführt [9]. Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 4
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Geschlecht und Region auf Grundlage einer Vol- • I23.- Bestimmte akute Komplikationen nach lerhebung deutschlandweiter vertragsärztlicher akutem Myokardinfarkt Abrechnungsdaten der Jahre 2009 bis 2018. • I24.- Sonstige akute ischämische Herzkrankheit • I25.- Chronische ischämische Herzkrankheit Methodik Für die Erfassung von Erkrankungsfällen nach Datenbasis und Studienpopulation dem M2Q-Kriterium war es unerheblich, ob Diese Studie wurde auf Grundlage bundesweiter in zumindest zwei Quartalen identische oder pseudonymisierter, krankenkassenübergreifen- unterschiedliche Diagnoseschlüssel der obigen der vertragsärztlicher Abrechnungsdaten gemäß Liste vergeben wurden. § 295 SGB V der Jahre 2009 bis 2018 durchge- führt [13]. Bei dem Datenkörper handelt es sich Pro Berichtsjahr wurde die Diagnoseprävalenz um eine Vollerfassung administrativer Daten der sowohl roh als auch standardisiert unter Ver- vertragsärztlichen medizinischen Versorgung wendung der Alters- und Geschlechtsstruktur aller gesetzlich krankenversicherten Patienten, der GKV-Versicherten im Jahr 2009 [15] als Refe- die im Untersuchungszeitraum vertragsärzt renz berechnet (direkte Standardisierung). Für liche Leistungen in Anspruch genommen haben. die Betrachtung der geschlechtsspezifischen Neben soziodemografischen Merkmalen der Prävalenzentwicklung im Zeitverlauf wurden die Patienten wie Alter, Geschlecht und Wohnort Werte unter Rückgriff auf die geschlechtsüber- beinhalten diese Daten unter anderem Anga- greifende Altersstruktur in der Referenzpopula- ben zu den abgerechneten ärztlichen Leistun- tion für Frauen und Männer standardisiert. gen und Diagnosen als auch zu arztbezoge- nen Merkmalen wie der Fachgruppe und dem Regionale Unterschiede Praxisstandort [14]. Für die Untersuchung regionaler Variationen der ischämischen Herzerkrankung wurden die Prävalenzschätzung rohen und die standardisierten Prävalenzwerte Die Identifizierung von Patienten mit ischämi- pro KV-Bereich des Patientenwohnortes im Jahr scher Herzerkrankung erfolgte auf Basis der 2018 bestimmt. Die Bestimmung der Prävalenz ärztlichen Diagnosecodes gemäß der Internatio auf KV-Ebene erfolgte unter Bezug auf die Popu- nalen statistischen Klassifikation der Krank- lation aller in der jeweiligen Region ansässigen heiten und verwandter Gesundheitsprobleme gesetzlich Krankenversicherten [15]. (10. Revision, German Modification, ICD- 10-GM). Als primäre populationsbezogene Mor- Bei der Interpretation regionaler Prävalenzwerte biditätskennzahl wurde die Diagnoseprävalenz ist zu beachten, dass in Baden- Württemberg pro Berichtsjahr (2009 bis 2018) als prozentualer eine relativ hohe, aber derzeit nicht genau Anteil erkrankter Patienten an der Gesamtpopu- bestimmbare Zahl an gesetzlich Versicherten lation der in Deutschland ansässigen Versicher- ambulant selektivvertraglich im Rahmen der ten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hausarztzen trierten Versorgung (HZV) nach ermittelt (N = 72.318.540 im Jahr 2018). Die § 73b SGB V medizinisch versorgt wird. Diagno jährliche Gesamtversichertenzahl nach Alters- sen, die in dieser Versorgungsform ärztlich gruppe, Geschlecht und Bereich der Kassen codiert werden, sind nicht in den vertragsärzt- ärztlichen Vereinigung (KV) wurde der KM6- lichen Abrechnungsdaten erfasst. Daher ist eine Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit Unterschätzung der Prävalenz der ischämischen entnommen [15]. Herzerkrankung für diesen KV-Bereich wahr- scheinlich. Das gilt auch für Bayern, wo die HZV Versicherte wurden als prävalent erfasst, wenn ebenfalls eine wichtige, wenn auch geringere sie in mindestens zwei Quartalen des jewei- Rolle als in Baden-Württemberg spielt. ligen Jahres eine mit dem Zusatzkennzeichen „gesichert“ codierte Diagnose einer ischämi- Um das Ausmaß einer möglichen Unterschät- schen Herzerkrankung erhalten hatten (M2Q- zung in diesen KV-Bereichen näher eingrenzen Prävalenz). Die folgenden ICD-Codes fanden bei zu können, wurde die Stabilität der regiona- der Erfassung prävalenter Patienten Anwendung. len Prävalenzwerte für die Studienpopulation in einer Sensitivitätsanalyse durch Berechnung • I20.- Angina pectoris der hausärztlichen Diagnose- bzw. Versorgungs- • I21.- Akuter Myokardinfarkt anteile der ischämischen Herzerkrankung im • I22.- Rezidivierender Myokardinfarkt Jahr 2018 untersucht. Dies erfolgte für alle KV- Bereiche durch einen Vergleich der alters- und Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 5
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands geschlechtsstandardisierten Prävalenz (M2Q) Herzkatheter in der vertragsärztlichen zwischen der Gesamtpopulation aller gesetzlich Versorgung Versicherten und der Subgruppe der Versicher- Bei Patienten, für die in nichtinvasiven diagnos- ten, die von vertragsärztlich tätigen Hausärz- tischen Verfahren eine hohe Wahrscheinlichkeit ten medizinisch versorgt worden waren. Dem für eine vorliegende symptomatische ischämi- liegt die Annahme zugrunde, dass bei Patien- sche Herzerkrankung festgestellt wurde, ist nach ten, die durch vertragsärztlich tätige Hausärzte Leitlinie unter bestimmten Bedingungen eine versorgt wurden, keine Untererfassungen von frühe minimalinvasive Koronarangiografie mit- Diagnosen in relevanter Größenordnung auftre- tels Herzkatheter vorgesehen. Voraussetzung für ten. Überproportionale negative Abweichungen die Indikation zur Abklärung der koronaren Mor- der Prävalenz bei allen gesetzlich Versicherten phologie ist, dass unter Berücksichtigung von gegenüber der Subgruppe mit Versorgung durch Anamnese, Klinik und der Ergebnisse vorheri- vertragsärztlich tätige Hausärzte in Bayern und ger nichtinvasiver Diagnostik die Notwendigkeit Baden-Württemberg würden auf eine Unter einer Revaskularisation erwartet werden kann erfassung im Gesamtkollektiv der gesetzlich Ver- und der Patient dieser zustimmt [16]. Die spe- sicherten in diesen KV-Bereichen hinweisen. zifische Versorgung bei akutem Myokardinfarkt kann hier vernachlässigt werden, da diese pri- Kreisspezifische Prävalenz mär im stationären Versorgungssektor erfolgt. Um die räumliche Variation auch innerhalb der KV-Bereiche untersuchen zu können, wurde Das Ergebnis der Herzkatheteruntersuchung zusätzlich die Prävalenz auf Kreisebene berech- geht mit in die Entscheidung für oder gegen net. Auf dieser räumlichen Ebene stehen in der eine Revaskularisation und in die Wahl der Art KM6-Statistik allerdings keine Versichertenzah- der Revaskularisationstherapie ein. Neben einer len zur Verfügung [15]. Daher wurde als Nenner chirurgischen Revaskularisation (Bypass) kann die die Zahl der Versicherten mit Vertragsarztkontakt Blutversorgung des Herzmuskels auch anhand in den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten einer Weitung der Gefäße durch eine minimalin- genutzt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um vasive perkutane transluminale koronare Angio- eine Stichtagsgröße wie bei der KM6-Statistik, plastie (PTCA) und ggf. durch Einlage eines Stents sondern um einen Gesamtjahreswert aller Versi- erhöht bzw. wiederhergestellt werden [17]. Die cherten mit mindestens einem Arztkontakt. Die Durchführung einer PTCA erfolgt ad-hoc in der Bildung der Zähler auf Kreisebene erfolgte iden- derselben Herzkathetersitzung oder in einer tisch mit der Ebene der KV-Bereiche. Die Prä- weiteren Sitzung etwa nach Ausbleiben eines valenz auf Kreisebene ist aufgrund der metho- Therapieerfolges bei konservativer Behandlung dischen Abweichung mit der Prävalenz in den [16]. In Deutschland werden Diagnostik und The- KV-Bereichen nicht direkt vergleichbar, sondern rapie mittels Herzkatheter sowohl ambulant als stellt lediglich eine Annäherung an die tatsäch- auch stationär d urchgeführt [2]. liche epidemiologische Situation in der Gesamt- population aller gesetzlich Versicherten eines Die vorliegende Untersuchung fokussiert auf Kreises dar. zeitlichen Trends der Häufigkeit von Herz katheteruntersuchungen mit Koronarangiografie Vertragsärztliche Versorgung der ischämischen und PTCA in der vertragsärztlichen Versorgung. Herzerkrankung Erbrachte Leistungen wurden in den vertrags- Für das Jahr 2018 wurde untersucht, welche ärzt- ärztlichen Versorgungsdaten über die folgenden lichen Fachgruppen an der Versorgung der Pati- Gebührenordnungspositionen nach Einheitli- enten mit ischämischer Herzerkrankung beteiligt chem Bewertungsmaßstab (EBM) erfasst [18]. sind und die Diagnose verschlüsseln. Auf Basis der lebenslangen Arztnummer erfolgte eine • 34291 – Herzkatheteruntersuchung mit Zuordnung der beteiligten Ärzte in die nachfol- Koronarangiografie gend gelisteten übergeordneten Fachgruppen. • 34292 – Zuschlag zu der Gebührenordnungs- position 34291 bei Durchführung einer inter- • Hausärzte (Allgemeinmediziner, hausärztlich ventionellen Maßnahme (z. B. PTCA, Stent) tätige Internisten, Praktische Ärzte) • Kardiologie PTCA, deren Abrechnung im Rahmen von • Fachärztliche Internisten Behandlungsfällen erfolgte, die auch die Ziffer • Augenheilkunde, Gynäkologie, Urologie 40304 aufwiesen, wurden als Eingriffe an meh- • Andere Facharztgruppen reren Gefäßen gezählt. Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 6
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands • 40304 – Durchführung einer PTCA an mehre weiter zu (2009: 85,6 %, 2018: 88,8 %). Ein ren Gefäßen, ggf. einschließlich Stents ent- Anstieg des Anteils an allen Diagnosen einer sprechend der Gebührenordnungsposition ischämischen Herzerkrankung konnte auch für 34292 I21, Akuter Myokardinfarkt beobachtet werden (2009: 3,8 %, 2018: 4,5 %), während die relative Als Kennzahl für die populationsbezogene Leis- Bedeutung der Dreisteller I20, Angina pectoris tungshäufigkeit wurde die Leistungsrate pro (2009: 8,81 %, 2018: 5,7 %), I22, Rezidivierender 100.000 Versicherte im Jahr ermittelt. Die Quan- Myokardinfarkt (2009: 0,2 %, 2018: 0,1 %), I23, tifizierung der Leistungsrate erfolgte alters- und Bestimmte akute Komplikationen nach akutem geschlechtsstandardisiert auf Bundesebene und Myokardinfarkt (2009 und 2018 jeweils < 0,1 %) auf Ebene der KV-Bereiche. Analog zur Präva- und I24, Sonstige akute ischämische Herzkrank- lenz wurde die Standardisierung unter Nutzung heit (2009: 1,5 %, 2018: 0,8 %) im Zeitverlauf der Alters- und Geschlechtsstruktur der GKV- zurückging. Versicherten im Jahr 2009 [15] als Referenz vor- genommen (direkte Standardisierung). Daten In Abbildung 1 ist die prozentuale Verteilung von über die vertragsärztliche Abrechnung von Herz- Behandlungsfällen mit gesicherter Diagnose katheteruntersuchungen und PTCA aus Bremen einer ischämischen Herzerkrankung auf ärztli- waren aufgrund KV-spezifischer Abrechnungs- che Fachgruppen im Jahr 2018 dargestellt. Insge- modalitäten nicht in dem verwendeten Daten- samt 74,2 % der Behandlungsfälle entfielen auf körper enthalten. Daher wurden für diesen KV- Hausärzte, 10,9 % auf Kardiologen und 8,3 % auf Bereich keine Leistungsraten ermittelt. andere fachärztlich internistisch tätige Vertrags- ärzte (Abbildung 1). Im Jahr 2018 wurden 94 % aller Patienten mit ischämischer Herzerkran- Ergebnisse kung, die das M2Q-Kriterium erfüllten, wegen ihrer Erkrankung hausärztlich, 31 % kardiolo- Charakteristika der Studienpopulation und gisch und 10 % durch andere internistisch tätige Prävalenzentwicklung Fachärzte versorgt. Insgesamt 28 % der Patien- Im Jahr 2018 konnten insgesamt 4.417.035 Patien ten wiesen zumindest je einen Behandlungsfall ten eingeschlossen werden, die in zumindest bei einem Hausarzt und einem Kardiologen auf. zwei Quartalen eine gesicherte Diagnose einer ischämischen Herzerkrankung aufwiesen. Damit Erkrankungslast nach Alter und Geschlecht lag die rohe M2Q-Prävalenz in diesem Jahr bei Abbildung 2 veranschaulicht die geschlechtsspe- 6,1 % (Tabelle 1). Das mediane Alter der Patien- zifische Prävalenz pro Altersgruppe im Jahr 2018 ten belief sich im Jahr 2009 auf 74 Jahre (Män- und verdeutlicht die starke Altersabhängigkeit ner: 71 Jahre, Frauen: 77 Jahre) und stieg bis ins der Morbidität. Bei Männern wird in der Alters- Jahr 2018 auf 76 Jahre an (Männer: 73 Jahre, gruppe 45 bis 49 Jahre (2,2 %) und bei Frauen in Frauen: 78 Jahre). der Altersgruppe 50 bis 54 Jahre (1,6 %) erstma- lig das Niveau von einem Prozent überschritten Über den Studienzeitraum von zehn Jahren wies (Abbildung 2). Von da an nimmt der Anteil von die alters- und geschlechtsstandardisierte M2Q- Altersgruppe zu Altersgruppe schrittweise bei Prävalenz einen Rückgang um 7 % auf (2009: beiden Geschlechtern deutlich zu und erreicht 6,0 %, 2018: 5,6 %), während der rohe Wert bei Hochbetagten (≥ 90 Jahre) mit 43,5 % (Män- um 1 % geringfügig zunahm (2009: 6,0 %, 2018: ner) und 29,7 % (Frauen) die höchsten Werte. In 6,1 %, Tabelle 1). Bei Frauen ging die altersstan- nahezu allen Altersgruppen weisen Männer eine dardisierte Prävalenz zwischen 2009 und 2018 höhere Krankheitslast auf als Frauen. Der Unter- kontinuierlich und insgesamt um 14 % zurück schied steigt vom jungen bis ins mittlere Erwach- (2009: 4,5 %, 2018: 3,8 %). Demgegenüber stieg senenalter und erreicht mit einer Prävalenz- die altersstandardisierte Prävalenz unter GKV- Ratio von 3 in der Altersgruppe 55 bis 59 Jahre versicherten Männern von 2009 bis 2014 an und (Prävalenz, Männer: 4,3 %, Frauen: 1,4 %) seinen war in den Folgejahren rückläufig. Im Resultat Höhepunkt. Danach verringert sich der relative wiesen die Werte bei Männern zwischen 2009 Geschlechtsunterschied wieder schrittweise. und 2018 nur eine marginale Veränderung auf Dennoch weisen Männer auch noch im hohen und lagen jeweils bei etwa 8 % (Tabelle 1). Alter (≥ 90 Jahre) eine um 46 % höhere Prävalenz auf als Frauen (Abbildung 2). Die große Mehrheit gestellter Diagnosen entfiel in allen Jahren auf den ICD-Dreisteller I25, Chro- In den allermeisten Alters- und Geschlechtsgrup- nische ischämische Herzkrankheit und der pro- pen ging die Prävalenz im Studienverlauf zurück. zentuale Anteil nahm über den Studienzeitraum Ausnahme bildeten Männer der Altersgruppen Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 7
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Tabelle 1: Jährliche bundesweite Diagnoseprävalenz der ischämischen Herzerkrankung (M2Q), roh und alters- und geschlechtsstandardisiert sowie roh und altersstandardisiert pro Geschlecht im Zeitraum 2009 bis 2018, Angaben in Prozent 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Gesamt N 69.719.142 69.473.638 69.311.329 69.398.840 69.521.912 69.954.566 70.347.435 71.031.214 71.809.503 72.318.540 Patienten (M2Q) 4.200.733 4.228.218 4.303.691 4.342.972 4.363.141 4.426.146 4.429.774 4.454.829 4.445.597 4.417.035 M2Q-Prävalenz, 6,03 6,09 6,21 6,26 6,28 6,33 6,30 6,27 6,19 6,11 roh (%) M2Q-Prävalenz, 6,03 5,97 5,99 5,96 5,91 5,89 5,84 5,79 5,72 5,60 std.* (%) Männer N 32.771.699 32.677.126 32.626.447 32.723.662 32.836.432 33.140.246 33.422.898 33.882.290 34.397.050 34.736.972 Patienten (M2Q) 2.283.705 2.323.815 2.386.673 2.433.696 2.473.670 2.528.549 2.553.596 2.587.362 2.604.624 2.610.275 M2Q-Prävalenz, 6,97 7,11 7,32 7,44 7,53 7,63 7,64 7,64 7,57 7,51 roh (%) M2Q-Prävalenz, 8,02 8,01 8,09 8,12 8,13 8,15 8,14 8,12 8,07 7,96 std.** (%) Frauen N 36.947.443 36.796.512 36.684.882 36.675.178 36.685.480 36.814.320 36.924.537 37.148.924 37.412.453 37.581.568 Patienten (M2Q) 1.917.028 1.904.403 1.917.018 1.909.276 1.889.471 1.897.597 1.876.178 1.867.467 1.840.973 1.806.760 M2Q-Prävalenz, 5,19 5,18 5,23 5,21 5,15 5,15 5,08 5,03 4,92 4,81 roh (%) M2Q-Prävalenz, 4,53 4,45 4,42 4,36 4,28 4,23 4,15 4,09 4,00 3,88 std.** (%) Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V M2Q = Diagnosekodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres std.* = alters- und geschlechtsstandardisiert std.** = altersstandardisiert 80 70 60 Behandlungsfälle (%) 50 40 30 20 10 0 Hausärzte Kardiologie Fachärztliche Augenheilkunde, Andere Internisten Gynäkologie, Facharztgruppen Urologie Abbildung 1: Prozentuale Verteilung von Behandlungsfällen mit gesicherter Diagnose der ischämischen Herz- erkrankung auf ärztliche Fachgruppen im Jahr 2018 45 bis 54 Jahre und ≥ 85 Jahre mit relativen Prä- Altersgruppen ging die Prävalenz bei Frauen valenzanstiegen von 7 % (2009: 3,2 %, 2018: im Zeitverlauf zwischen 9 % (≥ 85 Jahre, 2009: 3,4 %) bzw. 5 % (2009: 40,9 %, 2018: 42,8 %, 31,1 %, 2018: 28,2 %) bzw. 10 % (55 – 64 Jahre, Abbildung 3). Demgegenüber zeigten Frauen 2009: 4,1 %, 2018: 3,6 %) und 18 % (65 – 74 Jahre, in den Altersbereichen 35 bis 44 und 45 bis 2009: 11,5 %, 2018: 9,4 %; 75 – 84 Jahre, 2009: 54 Jahre stabile Prävalenzwerte. In den höheren 23,4 %, 2018: 19,2 %) zurück (Abbildung 3). Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 8
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands 45 4,5 40 4 Prävalenz-Ratio (PR): Männer vs. Frauen 35 3,5 Diagnoseprävalenz (%) 30 3 25 2,5 20 2 15 1,5 10 1 5 0,5 0 0 Alter in Jahren Männer Frauen PR Abbildung 2: Altersgruppen- und geschlechtsspezifische Diagnoseprävalenz (M2Q) der ischämischen Herz erkrankung (Angaben in Prozent) und Prävalenz-Ratio als Quotient aus der Prävalenz bei Männern und Frauen im Jahr 2018 Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V Die linke Y-Achse skaliert die Diagnoseprävalenz, die rechte Y-Achse skaliert die Prävalenz-Ratio. Die jeweiligen Skalierungen sind nicht vergleichbar. M2Q = Diagnosecodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres 50 45 40 2009 2010 35 2011 2012 2013 2014 Diagnoseprävalenz (%) 30 2015 2016 25 2017 2018 20 15 10 5 0 0–24 ≥ 85 0–24 ≥ 85 25–34 35–44 45–54 55–64 65–74 75–84 25–34 35–44 45–54 55–64 65–74 75–84 Männer Frauen Alter in Jahren Abbildung 3: Trend der Diagnoseprävalenz (M2Q) der ischämischen Herzerkrankung nach Altersgruppe und Geschlecht in den Jahren 2009 bis 2018, Angaben in Prozent Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V M2Q = Diagnosecodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 9
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Regionale Unterschiede rückläufig (Abbildung 6). Mit einer Spearman- Die regionale Verteilung der rohen Prävalenz im Korrelation von −0,8 lag eine hohe bis sehr hohe Jahr 2018 variierte um den Faktor 2,3 (Extremal- negative Korrelation zwischen der Prävalenz im quotient) zwischen Baden-Württemberg (4,7 %), Jahr 2009 und der relativen zeitlichen Verände- der Region mit dem niedrigsten, und Sachsen- rung vor. Vier der fünf ostdeutschen Flächenlän- Anhalt (10,8 %), der Region mit dem höchsten der und Berlin wiesen sowohl eine relativ hohe Wert (Abbildungen 4 und 5). Der Variationskoeffi Prävalenz zu Beginn des Beobachtungszeitraums zient (VK) auf Ebene der KV-Bereiche bezifferte als auch einen starken Rückgang auf. Ausnahme sich auf 0,26. Die regionale Variation der alters- bildet Sachsen-Anhalt, wo sich bereits im Jahr und geschlechtsstandardisierten Prävalenz war 2009 die höchste Morbidität zeigte und außer- gegenüber den rohen Werten um 45 % reduziert dem nur eine vergleichsweise geringe Reduktion (VK standardisiert: 0,14, Abbildungen 4 und 5). erkennbar war (Abbildung 6). Im Resultat sank Die fünf höchsten rohen Prävalenzwerte wurden der Variationskoeffizient der standardisierten ausnahmslos in den östlichen Bundesländern Prävalenz von 0,21 in 2009 auf 0,14 in 2018 um beobachtet. Nach Standardisierung blieb die insgesamt 33 %. Rangfolge der Hochprävalenzwerte weitgehend erhalten. Sachsen-Anhalt zeigte mit 8,0 % auch Die Prävalenzdaten auf Kreisebene stehen für die mit Abstand höchste alters- und geschlechts- den gesamten Untersuchungszeitraum im inter- standardisierte Prävalenz. Allerdings rückten aktiven Teil des Versorgungsatlas unter www. das Saarland und Nordrhein noch vor Sachsen versorgungsatlas.de zur Verfügung. Die Spanne (5,8 %) auf den fünften (6,2 %) bzw. sechsten der alters- und geschlechtsstandardisierten Prä- (5,9 %) Rang vor. Niedrige rohe und standardi- valenz bewegte sich im Jahr 2009 zwischen 3,4 % sierte Prävalenzwerte konnten hingegen neben im Landkreis Reutlingen (Baden-Württemberg) Baden-Württemberg auch in Hamburg (roh: und 10,1 % in Landkreis Sonneberg (Thüringen). 4,7 %, std.: 5,1 %), Bayern (roh: 5,1 %, std.: 5,1 %) Im Jahr 2018 lag die Spanne der Prävalenzwerte und Bremen (roh: 5,3 %, std.: 5,1 %) beobachtet zwischen weiterhin 3,4 % in Reutlingen (Baden- werden (Abbildungen 4 und 5). Württemberg) und 9,7 % in Anhalt-Bitterfeld (Sachsen-Anhalt). Der Variationskoeffizient der In Abbildung 6 wird die alters- und geschlechts- rohen und standardisierten Prävalenz betrug im standardisierte Prävalenz im Jahr 2009 je KV- Jahr 2018 0,29 bzw. 0,18 und weist damit auch Bereich ihrer prozentualen Veränderung im Ver- auf Kreisebene auf eine Abnahme der regionalen lauf der Beobachtung gegenübergestellt. In 13 Variation gegenüber dem Jahr 2009 (roh: 0,32, der insgesamt 17 KV-Bereiche war die Prävalenz standardisiert: 0,24) hin. Baden-Württemberg Hamburg Bayern Bremen Hessen Berlin Westfalen-Lippe Standardisierte Prävalenz Niedersachsen Rohe Prävalenz Nordrhein Schleswig-Holstein Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Mecklenburg-Vorpommern Brandenburg Thüringen Sachsen-Anhalt 0 2 4 6 8 10 12 Diagnoseprävalenz (%) Abbildung 4: Rohe sowie alters- und geschlechtsstandardisierte Diagnoseprävalenz (M2Q) der ischämischen Herzerkrankung nach Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 2018, Angaben in Prozent Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V M2Q = Diagnosecodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 10
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands A B )ngnnnnneg))gnnnz)))) 00000 0000 0000 000000000 0000 0000 000000000 0000 0000 000000000 0000 nnnnnnnnnnnnnnnnnn nnnnnnnnnnnnnnnnnn 0000 00r0r0r0 2222 0000 nnnnnnngggnnnngenggngn nnnnnnngggnnnngenggngn ngggggn 0290 ngggggn 0002 6222 0011 ngngnn ngngnn 5,3 5,11 nnnnngngnnnnn nnnnngngnnnnn 0246 nngnnn 0050 nngnnn 0202 0045 nggnnnngggn nggnnnngggn 0294 ngnnnnnntnngnn 0042 ngnnnnnntnngnn ennnegnnnneneen 10202 ennnegnnnneneen 8005 0240 0008 nngngnnnn ngnnnnn nngngnnnn ngnnnnn 2221 nnggnnnnn 9204 0022 nnggnnnnn 0082 4201 0080 nnnnnn nnnnnn 0206 0050 znnnnngnnnzegnz znnnnngnnnzegnz 2220 0000 ngggngnn ngggngnn 9224 0025 ngsngn ngsngn 0216 0000 ngnnnneggnnggngn ngnnnneggnnggngn 6220 5002 Abbildung 5: Rohe (A) sowie alters- und geschlechtsstandardisierte (B) Diagnoseprävalenz (M2Q) der ischämi- schen Herzerkrankung nach Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung im Jahr 2018 in fünf entsprechend der Verteilung der rohen Prävalenz skalierten äquidistanten Werteklassen, Angaben in Prozent Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V M2Q = Diagnosecodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres std. = alters- und geschlechtsstandardisiert 9 8,5 ST Diagnoseprävalenz, std. (2009, %) BB TH 8 MV 7,5 SN 7 BE 6,5 RP NO WL SL 6 NI 5,5 SH HE 5 HH HB BY 4,5 BW 4 -22,5 -20 -17,5 -15 -12,5 -10 -7,5 -5 -2,5 0 2,5 5 Relative Veränderung von 2009 bis 2018 (%) Abbildung 6: Prozentuale Veränderung der alters- und geschlechtsstandardisierten Diagnoseprävalenz (M2Q) zwischen den Jahren 2009 und 2018 (x-Achse) und alters- und geschlechtsstandardisierten Diagnoseprävalenz (M2Q) der ischämischen Herzerkrankung im Jahr 2009 (y-Achse) je Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung; Spearman-Korrelation: −0,8 Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V BB, Brandenburg; BE, Berlin; BW, Baden-Württemberg; BY, Bayern; HB, Bremen; HE, Hessen; HH, Hamburg; MV, Mecklenburg-Vorpommern; NI, Niedersachsen; NO, Nordrhein; RP, Rheinland-Pfalz; SH, Schleswig-Holstein; SL, Saarland; SN, Sachsen; ST, Sachsen-Anhalt; TH, Thüringen; WL, Westfalen-Lippe M2Q = Diagnosecodierung in mindestens zwei Quartalen eines Jahres std. = alters- und geschlechtsstandardisiert Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 11
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands In Abbildung A-1 im Anhang werden die Ergeb- kontinuierlichen Rückgang seit dem Jahr 2009 nisse der Sensitivitätsanalyse für regionale dar, das noch eine Rate von 137,8 aufwies (Abbil- Variationen der Prävalenz auf Ebene der KV- dung 7). Im selben Zeitraum ging die Leistungs- Bereiche dargestellt. Auf Bundesebene war die rate der PTCA von 27,4 im Jahr 2009 auf 18,1 pro alters- und geschlechtsstandardisierte Präva- 100.000 Versicherte im Jahr 2018 zurück. Dabei lenz unter Patienten mit vertragsärztlich haus- reduzierte sich die Rate der PTCA an einem Gefäß ärztlicher Versorgung (5,8 %) gegenüber der von 25,5 (2009) auf 16,6 (2018) und an mehreren Gesamtpopulation aller gesetzlich Versicher- Gefäßen von 1,9 (2009) auf 1,5 (2018) abgerech- ten (5,6 %) um 0,23 Prozentpunkte erhöht. Mit nete Leistungen pro 100.000 Versicherte. einer Erhöhung um 11 % konnte die stärkste Abweichung in Baden-Württemberg beobachtet Abbildung 8 visualisiert die zeitliche Entwicklung werden. Demgegenüber waren die Abweichun- der alters- und geschlechtsstandardisierten Leis- gen der zwei Prävalenzwerte in Bayern unauffäl- tungsrate für Herzkatheteruntersuchungen mit lig (Abbildung A-1). Koronarangiografien in den 17 KV- Bereichen. Die Leistungsraten pro 100.000 Versicherte Herzkatheter in der vertragsärztlichen variierten im Jahr 2018 um den Faktor 20 zwi- Versorgung schen Hamburg (218) und Thüringen [15]. In Im Jahr 2018 wurden durch vertragsärztlich allen Regio nen nahm die Rate im Studien- tätige Mediziner insgesamt 72.605 Herzkathe- verlauf in unterschiedlichem Ausmaß ab. Die teruntersuchungen mit Koronarangiografien und stärkste relative Reduktion fand sich in Sachsen- 13.762 PTCA durchgeführt. Das entspricht einer Anhalt (−68 %, Rate 2009: 79, 2018: 25) und der alters- und geschlechtsstandardisierten Leis- geringste Rückgang in Bayern (−13 %, Rate 2009: tungsrate der Herzkatheteruntersuchungen von 157, 2018: 136). 96,8 pro 100.000 Versicherte und stellt einen A 160 Leistungen pro 100.000 Versicherte 140 120 100 80 Herzkatheteruntersuchung mit Koronarangiografie 60 PTCA 40 20 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 B 30 Leistungen pro 100.000 Versicherte 25 20 15 PTCA an einem Gefäß 10 PTCA an mehreren Gefäßen 5 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Abbildung 7: Jährliche alters- und geschlechtsstandardisierte Leistungsrate von Herzkatheteruntersuchungen mit Koronarangiografie und von perkutanen transluminalen koronaren Angioplastien (PTCA) (A) sowie alters- und geschlechtsstandardisierte Leistungsrate von PTCA an einem und an mehreren Gefäßen (B) in der ver- tragsärztlichen Versorgung pro 100.000 Versicherte in den Jahren 2009 bis 2018 Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 12
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands 600 500 2009 2010 2011 Leistungen pro 100.000 Versicherte 2012 2013 2014 2015 2016 2017 400 2018 300 200 100 0 HH HE NI BY RP WL SH BW NO SN ST BB MV BE SL TH Abbildung 8: Jährliche alters- und geschlechtsstandardisierte Leistungsrate von Herzkatheteruntersuchungen mit Koronarangiografie in der vertragsärztlichen Versorgung pro 100.000 Versicherte in den Jahren 2009 bis 2018 je Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Quellen: KM6-Statistik [15] und bundesweite krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V BB, Brandenburg; BE, Berlin; BW, Baden-Württemberg; BY, Bayern; NI, Niedersachsen; HE, Hessen; HH, Hamburg; MV, Mecklenburg- Vorpommern; NO, Nordrhein; RP, Rheinland-Pfalz; SH, Schleswig-Holstein; SL, Saarland; SN, Sachsen; ST, Sachsen-Anhalt; TH, Thüringen; WL, Westfalen-Lippe; für den KV-Bereich Bremen sind keine Leistungsraten dargestellt Diskussion Die ischämische Herzerkrankung in der Gesundheitsberichterstattung In der vorliegenden Studie wurde die Diagnose- Wichtige Basis für die Gesundheitsberichter- prävalenz der ischämischen Herzerkrankung in stattung zur ischämischen Herzerkrankungen Abhängigkeit von Raum und Zeit auf Grundlage in Deutschland sind unter anderem die Kran- aktueller deutschlandweiter und krankenkas- kenhausdiagnosestatistik [19] zu erkrankungs- senübergreifender Daten der vertragsärztlichen bedingten Krankenhausfällen und die Mortali- Versorgung untersucht. In allen Altersgruppen tätsstatistik [2, 3] zur bevölkerungsbezogenen waren Männer häufiger erkrankt als Frauen. Mortalität der ischämischen Herzerkrankung. Aufgrund eines stärkeren Rückgangs der rohen Zusätzlich werden aktuelle Zahlen zur Inzidenz und altersstandardisierten Prävalenz bei Frauen und Letalität des Herzinfarktes durch das Augs- nahm der absolute Überhang erkrankter Män- burger Herzinfarktregister bereitgestellt, das im ner sukzessive und deutlich über den Studien Rahmen der MONICA-Studie (Monitoring Trends verlauf zu. Dennoch zeigte sich auch bei Män- and Determinants in Cardiovascular Disease) der nern nach einer Zunahme zwischen 2009 und Weltgesundheitsorganisation (WHO) i nitiiert 2014 eine schrittweise Reduktion der alters- wurde [20]. Die Lebenszeitprävalenz ärztlich dia- standardisierten Prävalenz in den Folgejahren. gnostizierter ischämischer Herzerkrankungen Regionale Variationen manifestierten sich pri- für Deutschland wurde in den bevölkerungs- mär in Form eines Ost-West-Gefälles, aber auch repräsentativen befragungsbasierten Surveys anhand von besonders niedrigen Werten in Gesundheit Erwachsener in Deutschland (Erste Baden-Württemberg und Bayern. Durch die Kon- Erhebungswelle – DEGS1) für die Erhebungswelle trolle von Unterschieden der regionalen Alters- der Jahre 2008 bis 2011 [11] und Gesundheit in und Geschlechtsstruktur schwächten sich diese Deutschland aktuell (GEDA) [21] für das Jahr 2012 Variationen der Prävalenz stark ab. Dennoch bestimmt. Entsprechend der veröffentlichten wiesen vier der fünf ostdeutschen Flächenländer Zahlen bezifferte sich die Prävalenz der ischä trotz regional überproportionaler Reduktionen mischen Herzerkrankung in der GEDA- Studie der alters- und geschlechtsstandardisierten Prä- im Jahr 2012 auf 6,8 % (95 %-Konfidenzinter- valenz im Studienverlauf auch noch im Jahr 2018 vall, 95 %-KI: 6,1 % – 7,6 %) bei Frauen und 9,8 % die höchste Morbidität auf. (95 %-KI: 9,0 % – 10,7 %) bei Männern ab dem Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 13
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands Alter von 18 Jahren [21]. Im selben Jahr konnten Herzerkrankung vertragsärztlich versorgt. Im in der vorliegenden eigenen Analyse mit einer Vergleich zum Jahr 2009 verzeichnete die Patien rohen Diagnoseprävalenz von 6,2 % bei Frauen tenzahl damit einen moderaten Zuwachs von und 9,2 % bei Männern in der Altersgruppe etwa 200.000, wobei der Gipfel der Fallzahlen ab einschließlich 20 Jahren geschlechtsüber- im Jahr 2016 (4,45 Mio.) erreicht wurde. Die hier greifend näherungsweise vergleichbare Werte präsentierten Ergebnisse veranschaulichen, dass beobachtet werden. Aktuellere befragungs ein Großteil der vertragsärztlichen Versorgung basierte Prävalenzwerte aus der GEDA-Studie dieser Patienten durch Hausärzte und Kardiolo- wurden wegen geänderter Erhebungsmethodik gen erfolgte. Im zehnjährigen Studienzeitraum [22] nicht für die Gegenüberstellung herangezo- nahm die rohe Prävalenz der ischämischen Herz- gen. Ähnlich dem Vergleich mit der GEDA-Studie erkrankung zwischen 2009 und 2018 geringfügig wich die abrechnungsdatenbasierte Diagnose zu, während die alters- und geschlechtsstandar- prävalenz im Jahr 2010 in der Altersgruppe disierten Werte von 6,0 % auf 5,6 % zurückgin- 40 bis 79 Jahre für Frauen (5,8 %) und Männer gen. In Übereinstimmung mit dieser Entwicklung (10,9 %) von der Kennzahl aus DEGS1 einheitlich war auch die alters- und geschlechtsstandardi- nach unten ab, fiel aber noch in das für DEGS1 sierte Leistungsrate vertragsärztlich durchge- angegebene 95 %-Konfidenzintervall (Frauen: führter Herzkatheteruntersuchungen mit Koro- 6,4 % [95 %-KI: 5,4 % – 7,6 %], Männer: 12,3 % narangiografien und PTCA rückläufig. Allerdings [95 %-KI: 10,8 % – 14,0 %] [11]. Diese moderaten bleibt an dieser Stelle offen, ob eine abneh- Unterschiede zwischen vertragsärztlicher Dia- mende Leistungshäufigkeit teilweise durch gnoseprävalenz und den befragungsbasierten den Rückgang prävalenter Patienten oder auch Schätzern können vermutlich in erster Linie auf durch eine säkulare Veränderung der klinischen das verwendete relativ strenge M2Q-Kriterium Versorgungsprozesse erklärt werden kann. Mög- als Falldefinition zurückgeführt werden, aus dem liche Veränderungen der diagnostischen und tendenziell eine konservative Prävalenzbestim- therapeutischen Prozesse betreffen auch die mung folgt. Arbeitsteilung zwischen den Sektoren der ambu- lanten und der stationären Versorgung. Wäh- Die vorliegende Untersuchung ergänzt die rend ambulant sowohl für den diagnostischen Datenquellen der deutschen Gesundheits als auch therapeutischen Herzkathetereinsatz berichterstattung zu Morbidität und Mortalität ein deutlich rückläufiger Trend beobachtet wer- der ischämischen Herzerkrankung um die Dia- den konnte, blieb die alters- und geschlechts- gnoseprävalenz in der ambulanten medizini- standardisierte stationäre Leistungsrate von schen Versorgung auf Basis einer Vollerfassung Linksherzkatheteruntersuchungen gemäß der vertragsärztlicher Abrechnungsdaten der Jahre fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatis- 2009 bis 2018 und bildet damit die aktuelle tik in den Jahren 2011 bis 2018 weitgehend Bedeutung der ischämischen Herzerkrankung konstant (2011: 961 pro 100.000 Einwohner, in der ambulanten Versorgung ab. Sie ermög- 2018: 943 pro 100.000 Einwohner). Gleichzeitig licht eine Abschätzung der Größe der Patien- fand sich alters- und geschlechtsstandardisiert tenpopulation, die poten ziell auf sekundär- eine leichte Zunahme der stationär erbrachten präventive Maßnahmen und ein spezifisches PTCA von 703 auf 776 pro 100.000 Einwohner therapeutisches Angebot angewiesen sind. Fer- (zeitliche Entwicklungen für den stationären ner erlauben die durchgeführten Regionalana- Bereich in Abbildung A-2 im Anhang). Die hier lysen eine präzise räumliche Eingrenzung von durchgeführte ausschließliche Betrachtung der Hochprävalenz-Clustern und diesbezüglicher Häufigkeitsentwicklung erlaubt jedoch keine zeitlicher Veränderungen als Basis für die infor- Rückschlüsse auf Ursachen für unterschied mierte Ausgestaltung von medizinischer Versor- liche Trends, und das nicht zuletzt aufgrund nur gung und Prävention, ohne die Unsicherheiten, bedingt überlappender Indikatio nen zwischen die methodisch mit stichprobenbasierten Schät- den Versorgungsbereichen: Im Gegensatz zur zungen einhergehen. ambulanten Versorgung erfolgt ein wesentlicher Anteil der stationärer PTCA im Rahmen der Not- Trends der Diagnoseprävalenz auf fallintervention bei Patienten mit akutem Koro- Bundesebene narsyndrom [2]. Ausschlaggebend für die zeitliche Entwicklung erkrankungsbedingter Versorgungsbedarfe im Die geschlechtsbezogene Betrachtung der vertragsärztlichen Sektor ist die Veränderung Prävalenz der ischämischen Herzerkrankung der absoluten Zahlen Erkrankter in der GKV- verdeutlicht, dass die Abnahme der geschlechts- Population. Im Jahr 2018 wurden insgesamt übergreifend bestimmten standardisierten 4,42 Mio. Patienten mit einer ischämischen Prävalenz der ischämischen Herzerkrankung Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 14
Die ischämische Herzerkrankung in der vertragsärztlichen Versorgung Deutschlands primär auf eine über den Studienzeitraum kon- Männern ausgeprägte und kontinuierliche Rück- tinuierliche Reduktion der Prävalenz bei Frauen gang der altersstandardisierten Prävalenz bei zurückzuführen war. Demgegenüber stieg diese Frauen im sehr aktuellen Beobachtungszeitraum Kennzahl bei Männern zwischen 2009 und 2014 der vorliegenden Studie eine Folge geschlechts- sukzessive an und wies in den zwei Folgejahren spezifischer Zugangseinschränkungen zur ver- einen Rückgang auf, wodurch sich ein vergleich- tragsärztlichen Versorgung darstellt. bares Prävalenzniveau in den Jahren 2009 und 2018 ergab. Die Abnahme der Prävalenz unter Allgemein gilt, dass Veränderungen der Präva- männlichen GKV-Versicherten ab dem Jahr 2014 lenz im Zeitverlauf sowohl von der Rate der Neu- konnte in nahezu allen Altersgruppen beobach- erkrankungen als auch von der Überlebenszeit tet werden. Zukünftige Auswertungen werden nach Erkrankungsbeginn abhängen. Da die ischä zeigen, ob sich der rückläufige Trend bei Män- mische Herzerkrankung eine chronische, nicht nern weiter fortsetzt. heilbare Erkrankung darstellt, kann der konti- nuierliche Rückgang der altersstandardisierten Ursachen für die grundlegend unterschied- Ein-Jahres-Prävalenz bei Frauen als Hinweis auf liche Entwicklungsdynamik zwischen den einen Überhang jährlich verstorbener präva- Geschlechtern können nicht direkt aus den ver- lenter Patientinnen gegenüber neuerkrankten tragsärztlichen Abrechnungsdaten abgeleitet Frauen gedeutet werden. Eine solche Relation werden. Zusätzlich zur epidemiologischen Mor- von Verstorbenen und Neuerkrankungen wäre biditätsentwicklung können auch Aspekte, die demnach auch für Männer in den letzten Jahren den Zugang zur medizinischen Versorgung beein- des Beobachtungszeitraums denkbar. Allerdings flussen, mit zu den beobachteten geschlechts- liegen Zahlen zur Inzidenz der ischämischen spezifischen Prävalenzunterschieden in der ver- Herzerkrankung für Deutschland nicht vor. Aus- tragsärztlichen Versorgung beigetragen haben. wertungsergebnisse des Herzinfarkt registers Internationale Studien verweisen auf eine Augsburg zum Auftreten des Herzinfarktes – Unterrepräsentation geschlechtsspezifischer als häufige akut-klinische Ausprägungsform der Empfehlungen in klinischen Leitlinien [23], auf ischämischen Herzerkrankung – zeigen einen einen Mangel an Bewusstsein für das eigene weitgehend kontinuierlichen Rückgang sowohl kardiovaskuläre Risiko bei Frauen [24] und der Neuerkrankungsrate als auch der 28-Tage- auf geschlechtsspezifische Unterschiede der Letalität bei beiden Geschlechtern, und das klini schen Präsentation, die bei Frauen eine bereits seit den 1990er-Jahren [10]. Daten der Fehlinterpretation der auftretenden Symptom- deutschen Mortalitätsstatistik belegen zudem konstellation durch Mediziner begünstigen [25]. eine seit zwei Jahrzehnten rückläufige bevöl- Diese Faktoren können insgesamt das Risiko kerungsbezogene Mortalitätsrate der ischämi- einer Unterdiagnostik erhöhen, mit der Folge schen Herzerkrankung [2]. Diese positiven Ent- einer nicht ausreichend medizinischen Ver- wicklungen spiegeln einen allgemeinen Trend sorgung der ischämischen Herzerkrankung bei wider, der in ähnlicher Form in vielen westlichen Frauen. Allerdings sind geschlechtsspezifische Industrienationen beobachtet werden kann [8, Aspekte der ischämischen Herzerkrankung in 9, 30 – 33]. Sie werden ursächlich auf eine Ver- den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend in den besserung des kardiometabolischen Risikoprofils Fokus der klinisch-epidemiologischen Forschung in der Bevölkerung [34] durch ein verändertes und der wissenschaftlichen Debatte gerückt Gesundheitsverhalten einschließlich der Reduk- [26 – 28]. Aufgrund der einerseits wachsenden tion der Raucherquote sowie auf eine im Zeitver- Sensibilisierung von Frauen für ihr eigenes kar- lauf zunehmende leitliniengerechte Behandlung diovaskuläres Risiko und andererseits von Medi- von Hypertonien und Fettstoffwechselstörun- zinern für geschlechtsspezifische Unterschiede gen zurückgeführt [35 – 38]. der klinischen Präsentation der ischämischen Herzerkrankung kann im Untersuchungszeit- Auch in den Jahren 2009 bis 2018 ging in Augsburg raum tendenziell eine Zunahme diagnostizier- die altersstandardisierte Herzinfarktinzidenz in ter und behandelter ischämischer Herzerkran- der weiblichen und männlichen Bevölkerung ab kungen bei Frauen angenommen werden [29]. 25 Jahren weiter zurück, wies aber bei Männern Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass ein mit 354 gegenüber 163 Fällen pro 100.000 Ver- gewisser Teil der deutlichen Unterschiede des sicherte bei Frauen ein um 54 % höheres Niveau Prävalenz niveaus zwischen den Geschlechtern auf und eine geringere relative Reduktion in dem noch immer auf eine seltenere oder spätere 10-Jahres-Zeitraum (Männer: −22 % vs. Frauen: Diagnose bei erkrankten Frauen zurückgeführt −35 %) [10]. Deutliche Unterschiede der Neu- werden kann. Demgegenüber erscheint es als erkrankungsrate der ischämischen Herzerkran- unwahrscheinlich, dass der im Gegensatz zu kung zwischen Männern und Frauen stellen den Bericht Nr. 20/04, veröffentlicht am 12.08.2020 15
Sie können auch lesen