ALT WERDEN IN DER FREMDE - Landesseniorenrat
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
LSR 4. Quartal 2019 Informationen vom Landesseniorenrat Baden-Württemberg ALT WERDEN IN DER FREMDE © Monica Silvestre / pexels Für alle, die persönlichen Service schätzen. | Gesundheit: AOK-Facharztvertrag Kardiologie ZGH 0065/30 · 09/19 · Foto: peterheck.de | KVJS: Moderne Wohnkonzepte im Alter ISSN 02364-3528 | Pflege: Kurzzeitpflege in Baden-Württemberg | Musik: Mit Musizieren mehr Lebensfreude – auch im Alter | Wir berichten: Seniorenräte tagen in den vier Regierungsbezirken AOK Baden-Württemberg
Vorwort 1 land umgezogen sind, viele davon sind berufs- Einen AugenBLICK, bitte! tätig. Aber die Zahl der Rentner, die auf Dauer Deutschland den Rücken kehren, wächst jedes Jahr kontinuierlich. Viele machen dies, weil die Kaufkraft in vielen Ländern geringer ist als in Deutschland: Man bekommt mehr für sein Geld. Viele der Rentner und Rentnerinnen brauchen sich über ihren Ruhestand wenig finanzielle Sor- gen machen. Aber es gibt eben auch die, die mit 900 Euro (allein) oder 1.300 Euro (zu zweit) hier jeden Monat schauen müssen, wie sie einiger- maßen satt werden und ein Dach über dem Kopf haben. Der Anteil der Menschen mit geringer Rente steigt und eine Reihe dieser Menschen macht sich auf in die Fremde. Ziele dieser Aus- wanderung waren früher Spanien, dann eine Zeit Liebe Leserinnen, liebe Leser, lang Ungarn, aber da diese Länder mittlerweile dieses Heft beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit ein ähnliches Preisgefüge haben wie Deutschland, dem Thema „Alt werden in der Fremde“. Zuerst sind diese Ziele nicht mehr gefragt. Heute sind es fiel mir ein biblisches Wort an Abraham ein: „Geh Länder wie Thailand, Rumänien und die Türkei. aus Deinem Vaterland in ein Land, das ich Dir zei- Ich selbst durfte ein Jahr als Seelsorger in einer gen werde.“ Nun ist „im blick“ keine Kirchenzei- „deutschsprachigen“ Auslandsgemeinde in Ala- tung und auch kein Gemeindeblatt und deshalb nya/Türkei unter ihnen leben. werde ich hier also kein „frommes“ Vorwort schrei- Von den 3.200 in der Türkei lebenden Rent- ben, Sie dürfen also getrost weiterlesen. nern wohnt über die Hälfte in Alanya und An- Mein Großvater ist in seinem Leben nur ein- talya. Viele dieser Menschen fühlen sich wohl mal umgezogen, meine Mutter schon zweimal – zumindest so lange keine gesundheitlichen Pro- und ich habe bereits mehr als ein Dutzend Um- bleme auftauchen. Denn im nichteuropäischen züge hinter mir. Das Thema „Aufbruch und An- Ausland gibt es keine Pflegeversicherung, keine kommen“ spielt in unserem Leben und im Leben ambulanten Pflegedienste… Und da man erst im unserer Kinder eine ganz andere Rolle als früher. Alter ausgewandert ist, spricht man die fremde Aber wie ist das, wenn man im Alter noch einmal Sprache nicht und kann sich auch in einem ein- aufbricht oder Umstände bewegen einen dazu, in heimischen Pflegeheim nicht wohlfühlen. Und die hohem Alter noch einmal umziehen zu müssen. Kinder und Enkelkinder sind so weit weg. Also Mehrere der Artikel in diesem Heft beschäftigen wieder ein Umzug – oft in hohem Alter und ho- sich mit Migration und Integration. Themen, die her Gebrechlichkeit – in ein deutsches Pflege- besonders in den letzten Jahren zu bestimmenden heim. Und hier ist man ja auch wieder fremd. Themen politischer und gesellschaftlicher Debat- Das Thema hat noch viele Dimensionen: Wie ten geworden sind. Bei all den Diskussionen ver- viele Eltern ziehen in hohem Alter in die Nähe gessen wir oft, dass auch von Deutschland aus eine ihrer Kinder und müssen wieder bei Null anfan- große Gruppe aufbrach, die in den Jahren 1870 gen. Das Thema lohnt sich für ein gemeinsames bis 1879 die ungewisse Reise nach Amerika an- Gespräch in Familien, Vereinen und Verbänden. trat. In dieser Zeit wurden ca. 500.000 Menschen In diesem Sinne wünsche ich Ihnen bei einem in den drei Häfen Hamburg, Bremen und Antwer- Neuanfang – aus welchen Gründen auch immer pen erfasst. Wer mal in Bremerhaven ist, der kann – ein gutes Ankommen und irgendwann auch ein sich im Auswanderermuseum diese leidvolle und gutes Wohlfühlen. entbehrungsreiche Reise anschauen. Neben den Ihr persönlichen und politischen Motiven der Aus- wanderer gab es auch viele, die aus ökonomischen Gründen ihr Heimatland verließen. Karl-Heinz Pastoors „Alt werden in der Fremde“: Mir fällt dazu ein, Stellv. Vorsitzender des Landesseniorenrates BW dass im letzten Jahr 202.000 Deutsche ins Aus- 4 / 2019
2 Impressum Impressum LSR „im blick“ ist eine Publikation des Anzeigen/Media-Service: Landesseniorenrates Baden-Württemberg (LSR). Stefan Steinacker (Anzeigenleitung), Der LSR ist die Interessenvertretung der älteren Dennis Woehlk (Anzeigenverkaufsberatung) Generation. Er versteht sich als Forum für Erfah- Tel. 0711 7863-7223 rungsaustausch und Meinungsbildung auf sozia- dennis.woehlk@kohlhammer.de lem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet. In Mediadaten 2019 gültig ab Februar 2019 ihm wirken die in der Altenarbeit tätigen Verbände und die Seniorenräte zusammen. Der LSR ist par- Bildrechte: teipolitisch unabhängig. Titel: © Monica Silvestre / pexels Inhalt: © Pixabay, © Unsplash Vorsitzender: Prof. Uwe Bähr Geschäftsführerin: Birgit Faigle Sie möchten einen Beitrag veröffentlichen? Erscheinungsweise: vierteljährlich E-Mail: landesseniorenrat@lsr-bw.de Herausgeber: Sie möchten mehr Informationen? Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V. https://lsr-bw.de Kriegerstraße 3, 70191 Stuttgart Tel. 0711 613824, Fax 0711 617965 Gefördert durch den Kommunalverband für Jugend und E-Mail: landesseniorenrat@lsr-bw.de Soziales Baden-Württemberg – Dezernat Soziales so- https://lsr-bw.de wie durch das Land Baden-Württemberg Gesamtherstellung: © Copyright 2019 by W. Kohlhammer Verlag W. Kohlhammer GmbH, 70565 Stuttgart, Artikel, die namentlich gekennzeichnet sind, stel- Tel. 0711 7863-0 len nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Redaktion: Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Leser- Birgit Faigle, Landesseniorenrat (V.i.S.d.P) zuschriften sind willkommen. 4. Quartal 2019 Veranstaltungen Mitgliederversammlung des Landesseniorenrates 35. Landersseniorentag Mittwoch, 20. November 2019 Mittwoch, 7. Oktober 2020 Stuttgart – Bad Cannstatt, Kleiner Kursaal Göppingen, Stadthalle Fachtagung für Seniorenräte und Interessierte Mai 2020 Die nächste Ausgabe des „im blick“ erscheint am 13.02.2020 zum Schwerpunktthema „Ernährung im Alter“. Redaktionsschluss: 16.01.2020 4 / 2019
Impressum 3 Inhaltsverzeichnis Einen AugenBLICK, bitte! 1 Impressum 2 Veranstaltungen 2 Alt werden in der Fremde 4 Alter und Migration 6 Der Verein Emin Eller und die Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz 8 Wenn die Fremde keine Fremde mehr ist 10 Immer mehr deutsche Rentner zieht es ins Ausland 12 Fremd bin ich nur dort, wo meine Familie nicht ist 13 Interkulturelle Beratung in der Apotheke 14 Gesundheit AOK-Facharztvertrag Kardiologie: Deutlich weniger Todesfälle für Herzpatienten 15 KVJS Moderne Wohnkonzepte im Alter 16 Aktiv, vernetzt, zukunftsfähig 17 Verbraucher Matratzenkauf im Internet 18 Mitgliedsverbände stellen sich vor Berufsschullehrerverband Baden-Württemberg 19 Blick ins Land 20 Abschlussveranstaltung Modellprojekt Demenz und Kommune (DeKo) 23 Pflege Kurzzeitpflege in Baden-Württemberg 24 Bezahlbare Pflege 25 Musik Mit Musizieren mehr Lebensfreude - auch im Alter 26 Wir berichten Seniorenräte tagen in den vier Regierungsbezirken 27 4 / 2019
4 Alt werden in der Fremde Alt werden in der Fremde Der diesjährige Landesseniorentag stand unter dem Motto „Alter hat Zukunft – Es liegt an uns!“. Angesichts der vielen Seniorinnen und Senioren, die aktiv sind, sich auf unterschiedli- che Weise engagieren und Baden-Württemberg mitgestalten, ist das ein mehr als passendes Motto. Ich möchte noch anfügen: Das Alter hat Zukunft, und es wird immer bunter. Das be- zieht sich nicht nur auf die vielfältigen Lebensstile, sondern auch auf die Vielfalt der Men- schen, die in unserem Land älter werden. Heute blicken über 30 Prozent der Menschen in Ba- sowie Informationsdefizite und Unkenntnis über das den-Württemberg auf eine Migrationsgeschichte deutsche Sozialsystem. Häufig wird auch die fehlende zurück. Die Zahl der über 65-Jährigen wächst auch kultursensible Ausrichtung der bestehenden Angebo- in dieser Gruppe immer weiter. Zahlreiche ältere te als eine Hürde für Migrantinnen und Migranten Migrantinnen und Migranten kamen in den 1950er beschrieben. Zudem kämpfen Menschen mit Migra- und 1960er Jahren als sogenannte Gastarbeiter nach tionshintergrund im Vergleich zur Mehrheitsbevöl- Baden-Württemberg, aus Italien, Griechenland, der kerung oftmals mit erhöhten Gesundheitsrisiken und Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien. Die meis- weisen einen schlechteren Gesundheitszustand auf. ten kamen mit der Absicht zu uns, spätestens im Al- Hierfür können die Umstände ihrer Migration so- ter wieder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. wie die Lebens- bzw. Arbeitsbedingungen eine Rolle 60 Jahre danach ist die Realität eine andere, denn vie- spielen. Auch erforderliche Anpassungsleistungen an le haben hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden. Es eine fremde Kultur oder Stigmatisierungserfahrun- ist längst klar, dass sie auch ihren Lebensabend in Ba- gen aufgrund der ethnischen Herkunft können zu den-Württemberg verbringen werden. In den späten erhöhten gesundheitlichen Belastungen führen. Da- 1980er und frühen 1990er Jahren waren es dann ins- rüber hinaus war insbesondere die erste Generation besondere (Spät-)Aussiedler aus der ehemaligen Sow- der sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter jetunion, die auf der Suche nach einer neuen Heimat häufig gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen nach Baden-Württemberg kamen. Sie alle haben ihre ausgesetzt. Darüber hinaus bringen Demenzerkran- eigene Geschichte und Erfahrungen mitgebracht. Sie kungen für Betroffene mit Migrationsgeschichte be- kamen aus unterschiedlichen Gründen und zu unter- sondere Herausforderungen mit sich. Denn das An- schiedlichen Zeiten nach Deutschland. Gemeinsam kommen in einem für sie fremden Land war oft mit ist ihnen jedoch, dass sie in der Fremde älter werden, Unsicherheit und Fremdheitsgefühlen verbunden. dort ins Renten- und auch ins Pflegealter kommen. Durch eine Demenz können sich diese Gefühle ver- Das Thema Altwerden und Pflege in der Einwan- stärken und zudem mit einem schleichenden Verlust derungsgesellschaft ist deshalb ein Zukunftsthema der Zweitsprache Deutsch einhergehen. und ein wichtiger Bereich der Integrationspolitik. Es Aufgrund dessen ist in den nächsten Jahren ver- ist uns wichtig, gleichberechtigte Teilhabechancen stärkt mit rat- und hilfesuchenden, zunehmend auch für alle Menschen in Baden-Württemberg unabhän- pflegebedürftigen Migrantinnen und Migranten gig von ihrer Herkunft zu schaffen. Das gilt für den zu rechnen. Und im Gegensatz zu früher wird die- Zugang zu Versorgungsleistungen ebenso wie für ser Personenkreis in Zukunft häufiger die Hilfe am- die Bereitstellung von geeigneten und passgenauen bulanter Pflegedienste in Anspruch nehmen oder in Angeboten für Migrantinnen und Migranten. Diese Pflegeeinrichtungen leben, da sich auch hier die fa- Gruppe und ihre spezifischen Bedürfnisse verstärkt miliäre Versorgungssituation wandelt. Dies stellt ei- in den Blick zu nehmen, ist daher von großer Bedeu- nerseits die Einrichtungen und Dienste vor die große tung. Herausforderung, ihre bestehenden medizinischen Denn ältere Migrantinnen und Migranten haben und pflegerischen Angebote auf den spezifischen oftmals mit besonderen Herausforderungen zu kämp- Bedarf älterer und pflegebedürftiger Migrantinnen fen. So besteht in der Regel – auch Jahre nach ihrer und Migranten auszurichten. Andererseits erleben Einwanderung – ein erhöhtes Armutsrisiko. Hierfür Migrantinnen und Migranten die Schwierigkeit, sich sind mehrere Faktoren ausschlaggebend wie etwa die in einem häufig noch unbekannten Gesundheits- und Arbeitsmarktbeteiligung, fehlende Rentenansprüche Pflegesystem orientieren zu müssen. 4 / 2019
Alt werden in der Fremde 5 Einrichtungen verpflichtet, die kulturelle Herkunft sowie religiöse, weltanschauliche und sexuelle Ori- entierung zu achten und geschlechtsspezifische Belange angemessen zu berücksichtigen. Die Aus- richtung der Pflegepraxis an den individuellen und kulturell geprägten Bedürfnissen des Menschen ist Voraussetzung für kultursensible Pflege. Um auch die Heimaufsichtsbehörden für die Bedeutung und Ziele kultursensibler Pflege zu sensibilisieren, wurde in der Orientierungshilfe für die Heimauf- sichtsbehörden in Baden-Württemberg hierzu ein eigenes Kapitel aufgenommen. Viele Einrichtungen engagieren sich bereits heute für eine kultursensible Ausrichtung ihrer Angebote. Auch Migrantenorganisationen spielen hier eine wichtige Rolle. Sie können Informationen weitergeben und Menschen mit Einwanderungs- geschichte dazu anregen, sich an der Selbsthilfe im Gesundheitssystem zu beteiligen. Sie sind auch wichtige Ansprechpartner, was die interkulturelle Öffnung von Pflegeeinrichtungen oder die Sensibi- lisierung von Behörden im Quartier anbetrifft. Wenn es um das Älterwerden in der Fremde geht, dürfen wir auch jene Baden-Württemberge- rinnen und Baden-Württemberger nicht verges- sen, die ihren Lebensabend im Ausland verbringen - sei es aufgrund der niedrigeren Lebenshaltungs- kosten oder weil das entsprechende Land aus vor- angegangenen Urlauben bereits bekannt und dort Minister Manfred Lucha MdL. Foto: Ministerium für über die Jahre vielleicht schon eine Art deutsche Soziales und Integration Baden-Württemberg Gemeinschaft entstanden ist. Ein solcher Schritt erfordert neben einer gehörigen Portion Mut eine Das Ministerium für Soziales und Integration Ba- gründliche Vorbereitung. Wie verhält es sich bei- den-Württemberg unterstützt und stärkt daher spielsweise mit der Rente, und was gibt es zu be- über das landeseigene Innovationsprogramm Pfle- achten, wenn man im Ausland pflegebedürftig ge insbesondere familiäre Pflegearrangements, wird? Ich kann allen Bürgerinnen und Bürgern um älteren Menschen mit und ohne Migrations- nur raten, sich vor einem solchen einschneidenden hintergrund und auch demenzkranken Menschen Entschluss wirklich umfassend zu informieren. möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in ih- Klar ist: Als Ministerium für den gesellschaft- rer gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Damit lichen Zusammenhalt haben wir die Belange älte- beugen wir auch einer zunehmenden Verarmung rer Menschen „im Blick“. Wir haben uns auf den und Vereinsamung vor, mit all ihren Nebenwirkun- Weg gemacht, und vieles ist bereits passiert, aber gen, die von gesundheitlichen Beeinträchtigungen es ist auch noch einiges zu tun. Schließlich geht bis hin zu fehlender gesellschaftlicher Teilhabe rei- es uns darum, nicht nur über das Älterwerden in chen können. der Fremde zu sprechen, sondern das Älterwerden Kultursensible Angebote können mögliche in der neuen oder zweiten Heimat gemeinsam be- Teilhabebarrieren abbauen. Zum Beispiel, wenn herzt zu gestalten. Hemmungen bestehen, Angebote in Anspruch zu nehmen oder fehlende Deutschkenntnisse schon die Information hierüber erschweren. Auf der Manfred Lucha MdL Grundlage des Wohn-, Teilhabe- und Pflegege- Minister für Soziales und Integration setzes (WTPG) sind die Träger von stationären 4 / 2019
6 Alt werden in der Fremde Alter und Migration Zuwanderung nach Deutschland Heute leben 19,3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, was einem Bevölkerungsanteil von etwa 23 Prozent entspricht (2017). Es ist das Ergebnis einer relativ kurzen Geschichte, die im Folgenden beschrieben wird. Die europäische Bevölkerung kam bereits wäh- Älter werden in der Fremde rend des Zweiten Weltkrieges in Bewegung. Es handelte sich u. a. auch um die deutschsprachige Unterschiede im Altersaufbau (in 1.000) nach Migrationshintergrund in Deutschland, 2016 Bevölkerung, deren erzwungene Auswanderung Alter in Jahren die Folge der nationalsozialistischen Gewaltherr- Männer 95 Frauen schaft gewesen war. Aber die eigentliche Zuwan- 90 derungsgeschichte begann im Westen Deutsch- 85 lands mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. 1955 80 unterschrieb die Bundesrepublik das Anwerbe- 75 abkommen mit Italien. Dann folgten Anwerbeab- 70 kommen mit den anderen südeuropäischen Län- 65 dern sowie mit der Türkei. Die Anwerbung der 60 Arbeitskräfte dauerte bis zum „Ölpreisschock“ von 55 1973. Im Zeitraum zwischen 1955 bis 1973 kamen 50 rund 14 Mio. Einwanderer ins Land des ‚Wirt- 45 schaftswunders‘. Etwa 11 Mio. der Eingewander- 40 35 ten kehrten zurück. Der Rest blieb. Heute bildet 30 die in Deutschland verbliebene „Gastarbeiter“-Ge- 25 neration die älteste aller Bevölkerungsgruppen 20 mit eigener Migrationserfahrung. 15 Seit Ende der 1980er und bis Mitte der 1990er 10 Jahre erreichte der Zuzug von Aussiedlern und 5 Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetuni- 0 on den Höhepunkt: So kamen zwischen 1988 und 800 600 400 200 0 0 200 400 600 800 1998 ca. 2,5 Mio. Aussiedler*innen und Spätaus- Anzahl in 1.000 Anzahl in 1.000 siedler*innen nach Deutschland. Heute stellen die Personen ohne Migrationshintergrund Personen mit Migrationshintergrund Spätaussiedler*innen mit rund 4,5 Mio. Personen Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus © BiB 2018 die größte Migrantengruppe dar. Neben den bereits erwähnten großen Zu- Aktuell ist die Bevölkerung mit Migrationshinter- wanderungsbewegungen gab es noch eine drit- grund in Deutschland noch deutlich jünger als die te Einwanderungswelle: die Asylsuchenden. Im Bevölkerung ohne Migrationshintergrund: der An- Zeitraum von 1990 bis 1994 haben ca. 1,5 Mio. teil der über 65-Jährigen liegt in der Gruppe der Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Wei- Zuwanderer unter 10 Prozent. Aufgrund des de- tere 2,1 Millionen kamen durch Familiennachzü- mografischen Wandels wird aber der Anteil der äl- ge oder im Rahmen ihrer Rechte als EG-Bürger teren Migrant*innen stetig zunehmen. Die älteren nach Deutschland. Migrant*innen, wie es das Bundesamt für Migration Im Zuge von mehreren Einwanderungswellen und Flüchtlinge in seinem Bericht feststellt, bilden kamen in den Nachkriegsjahrzehnten Menschen die Schnittmenge der beiden zentralen gesellschaft- aus den unterschiedlichsten Zuwanderergruppen lichen Prozesse „internationale Migration“ und „de- nach Deutschland: „Gastarbeiter“, Aussiedler*in- mografische Alterung“. Welche spezifischen Proble- nen und Spätaussiedler*innen, Asylsuchende und me haben ältere Migrant*innen? Wie unterscheiden jüdische Menschen, die ihren Lebensabend hier er- sich die Probleme der älteren Migrant*innen von lebt haben oder noch erleben werden. den Problemen der einheimischen Senior*innen? 4 / 2019
Alt werden in der Fremde 7 Die meisten Migrant*innen der ersten Generation eigneten Maßnahmen und Angeboten unterstützt verfügten über eine geringe Schulbildung und ein werden, damit sie möglichst lange gesund bleiben niedriges Qualifikationsniveau. Die Möglichkeiten und am gesellschaftlichen Leben, soweit es für sie zur Weiterbildung oder beruflichen Qualifizierung möglich ist, teilhaben. fehlten für sie in Deutschland. Zur Zeit der Anwer- Bevölkerung mit Migrationshintergrund* nach Altersgruppen in bephase war eine berufliche Qualifikation auch nicht Deutschland, 2005 und 2016 (Anteile in Prozent) so erforderlich wie heute, da die zugewanderten Ar- 2005 2016 beitskräfte schwere körperliche Arbeit – oft am Fließ- 7,9 3,0 6,9 10,0 band oder im Akkord – verrichteten. Sie hatten auch 9,0 22,4 3,8 9,9 21,5 mit psychosozialen Problemen zu kämpfen, weil das Leben in der Fremde an Zukunftsängste, Ausgren- 12,3 15,1 Mio. Personen 13,1 17,1 Mio. Personen zung und Diskriminierung sowie fehlende Perspekti- 15,6 13,4 ven gekoppelt war. Diese Versäumnisse der Vergan- 15,9 86,3 genheit wirken bis heute nach. Heute ist gerade bei 16,9 16,0 16,1 den Zuwanderern der ersten Generation das Risiko, alterstypische Erkrankungen zu bekommen und un- Altersgruppe unter 15 Jahre 35 – 44 Jahre 65 Jahre und mehr ter Pflegebedürftigkeit zu leiden, besonders hoch. 15 – 24 Jahre 45 – 54 Jahre Hinzu kommt, dass die meisten Rentner*innen mit 25 – 34 Jahre 55 – 64 Jahre Migrationshintergrund in schlecht bezahlten Beru- * Migrationshintergrund im engeren Sinn © BiB 2018 fen tätig waren, was negative Auswirkungen auf ihre Datenquelle: Statistisches Bundesamt Mikrozensus, Berechnungen: BiB Rente hat. Aus diesem Grund sind ältere Zuwanderer Junge und gesunde Rentner*innen mit Migrations- in besonderem Maße von Altersarmut betroffen. hintergrund (ab 60 Jahre) sollten günstige Bedin- Vielfältiges Altern gungen für das Engagement in den eigenen Milieus vorfinden, weil sie sich vor allem in ihrem kulturellen Das Leben der älteren Migrant*innen ist stark fa- Umfeld engagieren wollen. Viele von ihnen sind ger- milienorientiert. Meist leben sie mit ihren Kindern ne bereit, sich einzubringen und ihre transkulturellen und Enkelkindern in Mehrgenerationenhaushalten Erfahrungen weiterzugeben. zusammen. Dies hat eine positive Auswirkung auf Man sollte selbstverständlich auch die zukünftigen ihr Selbstwertgefühl. Die älteren Migrant*innen Rentner*innen nicht aus dem Auge verlieren. Für die agieren aktiv im familiären Umfeld: sie unterstüt- arbeitende Bevölkerung mit Migrationserfahrung zen die Familienangehörigen bei der Hausarbeit gilt, dass man die Potenziale jeder einzelnen Person und betreuen die Enkelkinder. Bei Krankheiten oder berücksichtigt und die individuellen Fähigkeiten ma- Pflegebedürftigkeit werden sie von ihrer Familie ximal fördert. Die oben beschriebenen Handlungen versorgt und unterstützt. Aber längst nicht alle Zu- sind aber keine migrantenspezifischen Maßnahmen, wanderer leben in großen Familien. 19 Prozent der sondern Bedürfnisse und Ansprüche, die für jeden früheren Arbeitsmigrant*innen sowie 22 Prozent Menschen unabhängig von seiner Herkunft ihre Gel- der (Spät-)Aussiedler*innen über 50 Jahre leben tung haben (sollen). Im Hinblick auf diese grundle- allein in einem Haushalt. Bei den Menschen ohne genden menschlichen Bedürfnisse unterscheidet sich Migrationshintergrund sind es 27 Prozent. Die die Migrationsbevölkerung kaum von der einheimi- Lebensformen sind auch im Migrantenmilieu sehr schen Bevölkerung. Wir alle sind in erster Linie vor vielfältig. Deshalb unterscheiden sich die Migran- allem Menschen und in zweiter Linie dann Europäer, tenbiografien stark voneinander. Es gibt in Wirk- Afrikaner, Amerikaner oder Asiaten. Die Menschen lichkeit keinen ‚Migranten‘ als solchen, sondern es waren schon immer - und sind auch heute - mobil. gibt Millionen unterschiedlicher Schicksale. Ohne diese Mobilität hätten wir heute keine Euro- Auch in der Gruppe der älteren Zuwanderer päer, Asiaten und Amerikaner gehabt. Was wir heute gibt es Vielfalt und wesentliche Unterschiede. Auf- ‚Zuwanderung‘ nennen, ist nichts anderes als die mo- grund dieser Vielfalt empfehlen die Spezialisten - derne Form dieser Mobilität. auch im Hinblick auf die ältere Migrationsbevöl- kerung - gruppenspezifisch vorzugehen und die Dr. Andreas Buller Menschen zu fördern: Geschäftsstelle des Demografiebeauftragten des Die ältesten Zuwanderer, die sich im vierten Landes Baden-Württemberg Lebensalter (ab 80 Jahre) befinden, sollten mit ge- 4 / 2019
8 Alt werden in der Fremde Der Verein Emin Eller und die Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz Emin Eller (türkisch für „In sicheren Händen“) wurde 2015 gegründet und ist der Name des Fördervereins, der die Senioren-Wohngemeinschaft in Stuttgart-Rot unterstützt. Der Verein hat den Zweck, Entwicklungen neuer Wohn- und Betreuungsformen für versorgungs-, betreuungs- und pflegebedürftige ältere Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern. Ziel ist auch die Förde- rung der Altenhilfe und des Stuttgarter Gesundheitswesens, die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen und Lobbyarbeit für Menschen mit Demenz. Die Senioren-WG wird unterstützt vom benachbarten Alten- und Pflegeheim der Caritas Stuttgart Adam-Müller-Guttenbrunn. Emin Eller führt Veranstaltungen zum Thema Gesundheit und Pflege im Stadtteil durch, dazu werden Interes- sierte, ältere Deutsche und Migranten eingeladen. Auf der großen Terrasse können die Bewohner*innen die frische Luft genießen. Foto: Verein Emin Eller, Fotograf: Murat Ertem. Die selbstverwaltete Wohngemeinschaft (WG) ist und den bürgerschaftlich Engagierten besteht. So für Menschen mit Migrationshintergrund gegrün- wurde eine neue lokale Pflegeform entwickelt. det worden, die demenziell erkrankt sind. Für ältere Die deutschsprachige Nachbarwohngemeinschaft des Menschen, die nicht mehr alleine zu Hause leben kön- Vereins hat ebenfalls acht Bewohner*innen mit De- nen und für Angehörige, die Entlastung suchen und menz. Beide Seniorengruppen und deren Angehörige dabei weiterhin Verantwortung übernehmen wollen. tauschen sich regelmäßig aus und es finden gemeinsa- Sie wurde als eine WG aus acht älteren Personen mit me (christliche und muslimische) Feste statt. türkischen Wurzeln konzipiert. Hier werden sie mut- Der Vermieter dieser Wohngemeinschaft in Stutt- tersprachlich und kultursensibel durch eine türkisch- gart-Rot ist die SWSG Stuttgarter Wohnungsbau sprachige ambulante Pflege betreut. Bei der Auswahl Gesellschaft. Für die Bewohner*innen fallen gerin- der ambulanten Pflege ist wichtig, dass eine enge Zu- gere Kosten an als in Pflegeheimen. Die Unterstüt- sammenarbeit zwischen der Pflege, den Angehörigen zungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Angehöri- 4 / 2019
Alt werden in der Fremde 9 Das große Esszimmer lädt die Bewohner*innen zum gemeinsamen Essen ein. Foto: Verein Emin Eller, Fotograf: Murat Ertem. gen und Ehrenamtlichen des Stadtteils sind hier eine Sinne der Betroffenen nachhaltig verbessert werden. wichtige Säule in der gemeinsamen Alltagsgestaltung, Seit 2018 sind die beiden WGs im Förderverein somit auch eine Kostenersparnis. Emin Eller zusammengeschlossen. Der Verein Emin Eller bestärkt die Wohngemein- schaften mit Kontakten zu den Diensten, zu Bildungs- Kontakt: angeboten und zur Bürgerschaft im Stadtteil. So soll Förderverein Emin Eller e.V., die Selbsthilfe in der Pflege und Betreuung der Bewoh- Ergun Can, Mail: Ergun.Can@t-online.de ner*innen der WGs ermöglicht, ausgeweitet und im Anzeige Ein Glücksfall für Baden-Württemberg 15 Millionen Euro jährlich für soziale Projekte Aus den Erträgen der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg werden soziale Projekte und Einrichtungen im Land gefördert. Davon profitieren unter anderem unsere Alten- und Pflegeheime. lotto-bw.de 4 / 2019
10 Alt werden in der Fremde Wenn die Fremde keine Fremde mehr ist Wenn einer den Spagat zwischen alter Heimat und neuem Zuhause geschafft hat, dann Halil Ibrahim Kaplan. Der gebürtige Türke kam Ende der 60er Jahre als Gastarbeiter nach Lauin- gen in Schwaben und wohnt schon lange in Ulm im eigenen Doppelhaus, Wand an Wand mit seinem Sohn. Halil Ibrahim Kaplan, inzwischen 73, ist vielfältig ehrenamtlich aktiv, so auch im Ulmer Seniorenrat als Vorstandsmitglied. im blick: Gibt es etwas in Deutschland, das Ihnen fremd geblieben ist, mit dem Sie sich nicht an- freunden können? Halil Ibrahim Kaplan: Nein, eigentlich nicht, weil wir uns integriert haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind. Wie nimmt Ihre türkische Verwandtschaft Ihr Leben und Ihre „Assimilation“ mit der deutschen Kultur auf ? Gibt es Konflikte? Meine Familie habe ich nicht verloren, aber mei- ne Freunde. Wenn ich in meinem (türkischen, Anm.d.Red.) Dorf bin, grüßen die nur noch. Aber wir essen und trinken nicht mehr zusammen. Neidet man Ihnen Ihren hier erarbeiteten Wohlstand? Neid ist etwas Menschliches, das spürt man schon. Nicht nur in der Gesellschaft, im Dorf, sondern auch bei den Verwandten. Obwohl meine Geschwister alle gute Berufe ausgeübt haben, neiden Sie mir ein we- nig, dass ich in Deutschland lebe, dem dort beliebtes- ten Land. Auch hier in der Nachbarschaft. Ich bin ein Migrant und habe ein Haus. Sind Sie damals mit Ihrer Frau nach Deutsch- Halil Ibrahim Kaplan beim Interview. Foto: Reinhard Kopp land gekommen? Nein. Weil ich in Deutschland keine Wohnung fand, Warum bleiben Sie im Rentenalter hier in musste meine Frau noch sechs Monate in der Türkei Deutschland? bleiben. Schließlich fand ich ein Gartenhaus, schick- Weil ich hier meine Existenz habe. In der Türkei habe te meiner Frau ein Flugticket und sie kam direkt aus ich zwar in meinem Dorf auch ein Haus gebaut, aber dem Dorf hierher. Sie kannte überhaupt keine Stadt ich bin ein vorausdenkender Mensch, der sich nicht und war hier also ganz fremd. Jeden Abend habe ich unbedingt an seinen Mitmenschen orientiert. Nach- ihr das, was ich an deutschen Sprachkenntnissen hat- dem meine Kinder erfolgreich das Gymnasium ab- te, weitergegeben. Sie erwies sich als sprachbegab- solviert hatten, habe ich entschieden, hier zu bleiben. ter als ich, besuchte einen Sprachkurs und lernte die In der Türkei hätte ich meine Kinder nicht studieren Grammatik besser als ich. Sogar Englisch hat sie noch lassen können. Also beschlossen meine Frau und ich, gelernt. Schließlich begann sie sich, mit meinem Ein- ein Haus zu kaufen. Das ist türkische Mentalität, ent- verständnis, sozial zu engagieren. (Anm.d.Red.: Frau weder ein Haus oder eine Wohnung zu erwerben. Als Rukiye Kaplan engagiert sich bis heute vielfältig eh- wir das taten, waren die türkischen Kollegen entsetzt renamtlich. Sie erhielt dafür 2008 die Verdienstme- und warfen mir vor, „deutsch“ zu sein. Doch die fol- daille des Landes Baden-Württemberg.) genden Jahre gaben mir recht. 4 / 2019
Alt werden in der Fremde 11 Haben Sie Heimweh? Heimweh habe ich fast gar nicht. Denn jeden Sommer Seniorenresidenz fahren wir mit dem Auto in unser Dorf. Das ist eine „Aquarius Beach“ Lebensart geworden. Wir bewegen uns dort genau- so wie Touristen von einer Sehenswürdigkeit zur an- Sri Lanka, Marawila, dern. Dadurch habe auch ich die Türkei richtig ken- Westküste nengelernt, in jede Himmelsrichtung. Wäre ich dort geblieben, wir hätten solche Möglichkeit nicht gehabt. – Deutsches Management – Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch Urlaub in an- 365 Tage im Jahr Sommer deren europäischen Ländern gemacht hätten. Gerade Durchschnittstemperatur 29 ℃ waren wir mit Hilfe unserer Kinder sogar in Japan. Dass die Kinder uns helfen, entspricht unserer türki- • Sie sind Rentner oder Pensionär schen Mentalität. und lieben die tropische Wärme • Sie mögen die südasiatische Mentalität • Sie sind aufgeschlossen gegen- über fremden Kulturen • Sie möchten umgeben sein von freundlichen Menschen • Sie lieben asiatische Kost • Sie möchten die Sicherheit, dass Sie im Pflegefall freundlich und liebevoll behandelt werden, von Pflegern/innen, die sich viel Zeit nehmen können Dann sind Sie richtig bei uns. Wir sind schon eine kleine deutsche Enklave von Duisburgern, Bad Kissingern und Stendalern, die Sri Lanka zu ihrer zweiten Heimat ge- macht haben - Und es nie bereut haben. Foto: Reinhard Kopp „Das Dorf in der Fremde“ Sprechen Sie mit mir oder emailen Sie: Halil Ibrahim Kaplan hat 2011 ein sehr empfehlenswer- tes Buch über sein Leben geschrieben. Fesselnd und Dietmar Doering, 65 Jahre detailreich schildert er seine Entwicklung vom türki- – Geschäftsführer Aquarius Beach Residenzen – schen Dorfjungen zum angesehenen Arbeitnehmer in Schwaben. Auch das ehrenamtliche Engagement seiner Seit 35 Jahren vor Ort in Sri Lanka, ehemals Natio- Frau Rukiye, die 2008 die Verdienstmedaille des Lan- naltrainer der Tischtennis Mannschaften Sri Lankas. des Baden-Württemberg erhielt, kommt hier ausführlich Diplom Sozialpädagoge zur Sprache. Studienrat Sekundarstufe 2 Das Dorf in der Ferne, 14,80 EUR, zu beziehen über Mobil: +94 777 870 694 gerne auch über Whatsapp Anzeige den BoD Buchshop, Amazon oder die Buchhandlung. E-Mail: agsep2013@gmail.com 4 / 2019 AquariusBeach_85x251.indd 1 15.10.19 11:17
12 Alt werden in der Fremde Immer mehr deutsche Rentner zieht es ins Ausland Regelmäßig melden verschiedene Medien, dass die Zahl der auswanderungswilligen Ruhe- ständler steigt. In den vergangenen zehn Jahren sei sie um ein Drittel gewachsen. Überwin- tern unter südlicher Sonne ist ebenso ein häufig genannter Grund, wie auch eine bessere Lebensqualität für das, was an monatlicher Rente zur Verfügung steht. Drohende Altersar- mut zieht immer mehr Rentner in Richtung Osteuropa, nach Bulgarien und Rumänien. Hier sind die Lebenshaltungskosten deutlich geringer und der Lebensstandard entsprechend höher. Essen gehen, shoppen und günstiges Wohnen sind gewichtige Gründe. Andere Länder, andere Sitten EU-Länder wie Bulgarien oder Rumänien machen es Foto: deutschen Seniorenauswanderern leicht, sich in ihrem © alexander- Land niederzulassen. Doch dauerhaftes Wohnen ist baumann etwas anderes, als ein mehrmonatiger Langzeiturlaub. – stock.adobe.com Es beginnt schon mit der Sprachbarriere. Senioren, den Kranken pflegt. Wer auswandern will, muss auch die auswandern wollen, sind gut beraten, sich mit der diese Seite im Blick haben. Denn schnell kann sich im Sprache des Ziellandes vertraut zu machen. Bulgarien Alter das gesundheitliche Blatt wenden. hat die kyrillische Schriftsprache. Verträge und Doku- mente zu verstehen, ist hier also besonders schwierig für Deutsche. Wer sich solchem Lernprozess verwei- Damit der Ruhestand im Ausland gelingt gert, wird leicht zum Opfer und kommt in eine Ab- • Klären Sie ab, ob Sie Ihre Rente und Sozialleistun- hängigkeit, die fatal werden könnte, angenehmes Kli- gen auch im Ausland beziehen können und ob Ihre ma, freundliche Menschen und stets frisches Obst und Krankenversicherung weiter bestehen bleibt. Gemüse hin oder her. • Neben den Lebenshaltungskosten schlagen an- fangs hohe Gesamtausgaben zu Buche: der Umzug Wenn die Familie zurückbleibt an sich und der Erwerb einer neuen Bleibe, sei es eine Wohnung oder ein Haus. Kinder, Enkel, Geschwister, Freunde, Nachbarn – • Machen Sie sich mit Sprache und Kultur Ihres Menschen, die unser soziales Umfeld bisher ausmach- Wunschlandes vertraut. Wenn es auch auf dem ten, müssen Auswanderer meistens zurücklassen. Für Markt oder im Geschäft reicht, sich mit Händen kinderlose Ehepaare weniger problematisch, wie für und Füßen und ein paar Brocken der Landesspra- Rentner, die dann getrennt von Kindern und Enkeln che verständlich zu machen, bei Behörden oder im Ausland leben. Sie sehen ihre Enkel nicht aufwach- im Krankheitsfall sind fehlende Sprachkenntnisse sen, können nicht einspringen, wenn Hilfe gebraucht ernst zu nehmende Hürden. wird und umgekehrt keine schnelle Hilfe von der Fa- • Williges Einleben. Was wir in Deutschland für milie erwarten. Auswanderungswillige Senioren soll- die Migranten als recht erachten, Respekt ge- ten also genau abwägen, ob die Vorteile ihres Sehn- genüber unserer Kultur und den Traditionen, suchtsortes den Verlust der verwandtschaftlichen und sollte deutschen Rentnern im Ausland ebenso familiären Verbindungen aufwiegen. wichtig sein: Nicht wir und unsere Gewohnhei- ten sind hier der Maßstab. Die Schattenseite vom sonnigen Ruhestand Hilfreich ist es deshalb, sein Sehnsuchtsland erst ein- mal zu „testen“. Vielleicht in einem längeren „Probe- Keine Frage, ob in Italien, Polen, Österreich oder Spa- wohnen“. Wer klug zu Werke geht, dem könnten an nien – wer krank wird, hat Anspruch auf Behand- seinem Sehnsuchtsort ein paar wunderbare Jahre in lung. Wer die Sprache nicht beherrscht, könnte unter Freiheit winken. Umständen eine böse Überraschung erleben. In Bul- garien ist es für einen Krankenhausaufenthalt üblich, Marianne Kopp seine Bettwäsche mitzubringen und eine Person, die 4 / 2019
Alt werden in der Fremde 13 Fremd bin ich nur dort, wo meine Familie nicht ist Als Katja Geier 1992 mit Mann und drei Kindern, das jüngste war gerade zehn Monate alt, aus Kasachstan nach Deutschland kam, wussten sie nicht, was sie in der fremden Heimat erwartete. Sich nicht länger demütigen zu lassen und für sich und die Kinder eine Perspektive zu haben, war für viele Russlanddeutsche der Grund, weshalb sie Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahr- hunderts in die Bundesrepublik ausreisten. Doch bekam ihre Euphorie, endlich wieder im Land ihrer Vorfahren zu sein, einen ziemlichen Dämpfer. Weil viele von ihnen kaum deutsch sprachen oder einen Akzent hatten, wurden sie alsbald als „Russen“ wahrgenommen. Sie haben sich nach den Kindern erkundigt. Zum Abschluss dieses Willkommensfestes bekamen wir eine Mappe, die ich heute noch habe, wo alles Wis- senswerte über den Kreis Holzminden drin war und über das Weserbergland.“ Ihre Ehe ist zwar inzwischen zerbrochen, den- noch, bereut hat sie den Wechsel nach Deutschland nie: „Ich bin sehr dankbar, dass wir diesen Schritt gewagt haben um der Kinder willen. Ihre Ausbil- dung, das Leben, kurz: was das für Menschen ge- worden sind. Wenn ich die Gleichaltrigen in Ka- sachstan betrachte, kann ich nur froh sein. Drogen, Gefängnis – all das hätte zwar auch hier passieren können, aber ist es nicht.“ Heimat, so hat ihre Mutter immer gesagt, sei dort, wo die Familie miteinander lebt. Marianne Kopp Anzeige Katja Geier ist ganz in Deutschland angekommen. In der Sowjetunion war sie als Lehrerin tätig. Fotos: Reinhard Kopp Doch Katja Geier ließ sich in ihrem Entschluss, we- nigstens den Kindern eine Zukunft zu bieten, nicht beirren. Inzwischen waren auch ihre Eltern und Ge- schwister gefolgt. Die ganze Familie landete in Ar- holzen, einem kleinen Dorf im Landkreis Holzmin- den. Frau Geier erinnert sich immer noch gern an ihre Ankunft: „Im Juni oder Juli haben die uns doch tatsächlich gefragt, ob wir einverstanden wären, sie würden uns ins Gemeindehaus einladen und will- kommen heißen. Da waren der Bürgermeister und Pflege macht arm! Wir müssen etwas dagegen tun. die Landfrauen. Da gab es ein Buffet, Kaffee und Ku- Ihre Stimme zählt! chen. Sie haben Fragen gestellt und sind mit uns ins Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V. Gespräch gekommen und waren sehr interessiert. Johannesstraße 22 | 70176 Stuttgart Sie haben uns in die verschiedenen Vereine eingela- den, in den Chor zum Beispiel, sie haben die Vereine Mehr Infos auf www.vdk.de/bawue vorgestellt und gesagt, sie hätten uns gerne dabei. 4 / 2019
14 Alt werden in der Fremde Interkulturelle Beratung in der Apotheke Alt werden wollen wir alle – und wenn die Gesundheit uns keinen Strich durch die Rechnung macht, steigen die Chancen auf das Erleben eines betagten Alters an. Doch die Vorstellung über das Altwerden und die Bedürfnisse der Älteren variieren in den unterschiedlichen Kulturen durch- aus. In unserer globalisierten Welt leben viele Kulturen Tür an Tür – auch wichtig für die Beratung in der Apotheke. Oft schon umgesetzt – Apothekenmitar- Wenn die Sprache versagt beiter aus vielen Nationen und Kulturen – nonverbale Kommunikation Schon heute gibt es oftmals bunte „Multi-Kul- Aber auch in einem „bunten“ Apotheken-Team ti-Teams“ in der Apotheke, zusammengesetzt kann es sein, dass Sprachbarrieren die Beratung aus Mitarbeitern unterschiedlichster Nationen: von Menschen mit Migrationshintergrund deut- Entsprechende Sprachkenntnisse, aber auch das lich erschweren. Auch die Gefahr von Missver- Verständnis über kulturelle und religiöse Hinter- ständnissen durch mangelnde Sprachkenntnisse gründe unterschiedlicher Länder und Kulturkreise oder fehlerhafte Übersetzungen gerade in sensib- erleichtern die sensible Beratung rund um die Ge- len Beratungsbereichen rund um die Gesundheit sundheit und der Medikation. kann bei den Betroffenen Konflikte und Ängste schüren. Die Apothekerschaft hat darauf reagiert. Kulturelle Unterschiede im Alter Es wurden zahlreiche Übersetzungshilfen in un- terschiedlichen Sprachen und Piktogramme zu – ein besonders sensibles Thema Darreichungsformen, Einnahmezeiten und mögli- Zuwanderung in Deutschland kann nicht als vor- chen Nebenwirkungen von Arzneimitteln erstellt übergehendes Phänomen gesehen werden. Viele und stehen allen Apotheken zur Verfügung. So Integrationsprogramme beziehen sich allerdings können Apotheken auf gute Arbeitshilfen für die insbesondere auf jüngere Zuwanderer, von denen Beratung von Menschen aus anderen Kulturkrei- auch der Arbeitsmarkt profitieren könnte. Zwi- sen zurückgreifen, wie das Beispiel unten zeigt. schenzeitlich zeichnet sich immer mehr ab, dass Das Medikament sollte wie folgt dosiert Рекомендации по дозировке и приему Konflikte in den Herkunftsländern der Betroffenen und eingenommen werden: лекарственного средства: nicht von kurzer Dauer sein werden. Menschen The drug should be dosed and taken as follows: Ilaçi duhet të merret i dozuar dhe si vijon: İlacın dozajı aşağıdaki gibi ayarlanmalı ve : دلا بئةعت بجيواناتو ءوتاىليلا نحولا ه عىل ل verbleiben damit länger in Deutschland, schlagen kullanılmalıdır: hier Wurzeln und werden natürlich auch älter. Äl- tere Menschen brauchen mehr Beratung und Un- terstützung, deshalb potenzieren sich die oben- genannten Probleme und Anforderungen an die Beratung und Betreuung in den Apotheken. ___ capsule/s every 2 hours ___ tablet/s every 4 hours ___ capsule/s every 6 hours Apotheken sind durch ihre oftmals multikultu- rellen Teams und durch gut gemachte Arbeitshil- fen recht gut gerüstet für diese Situation. Dennoch erfordert die Beratung und Betreuung von Men- schen mit Migrationshintergrund auf der einen Morning Noon Evening Night Seite die Bereitschaft, fremde Kulturen zu respek- Quelle: ABDA tieren, daraus resultierende Verhaltens- und Le- bensweisen zu akzeptieren und in der Beratung zu Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg berücksichtigen und schließlich hierfür einen ge- setzt sich für die unabhängige Beratung von Patienten, wissen Mehraufwand an Zeit einzuplanen. Gesundheitsprävention und die sichere Abgabe von Arzneimitteln ein. In Baden-Württemberg gibt es rund 2.500 öffentliche Apotheken. 4 / 2019
Gesundheit 15 AOK-Facharztvertrag Kardiologie: Deutlich weniger Todesfälle für Herzpatienten Herzkranke Patienten haben eine signifikant höhere Steuerung von Arztkontakten und der Vermeidung Überlebensrate, wenn ihre Versorgung besser gesteu- unnötiger Krankenhauseinweisungen sowie höherer ert wird. Dies ergibt eine vom Innovationsfond des Qualitätsanforderungen an die beteiligten Haus- und Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte wissen- Fachärzte. „Herzpatienten mit einem höheren Sterbe- schaftliche Evaluation, die Zahlen zu Versicherten im risiko profitieren von den Überlebensvorteilen erwar- Facharztvertrag Kardiologie der AOK Baden-Würt- tungsgemäß deutlich stärker und bereits nach wesent- temberg über einen Zeitraum von zwei Jahren ausge- lich kürzerer Zeit“, so Gerlach. wertet hat. In der Hochrechnung wurden 267 vermie- Die AOK Baden-Württemberg und ihre Ver- dene Todesfälle bei selektivvertraglich Versicherten tragspartner MEDI und der Hausärzteverband Ba- mit chronischer Herzinsuffizienz (HI) und 343 bei den-Württemberg sehen sich auf ihrem vor über 10 Versicherten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) Jahren begonnenen Weg einer qualitätsorientierten ausgewiesen. Zudem wurden den Patienten potenziell ambulanten Vollversorgung mit maßgeschneider- vermeidbare und belastende Krankenhausaufnahmen ten regionalen Strukturen erneut bestätigt. Doch erspart. Laut Evaluation wurden schon innerhalb die Fortsetzung des Erfolgsmodells im Südwesten von nur zwei Jahren bei HI-Patienten 1068 und bei sehen die Partner durch das in Berlin geplante Fai- KHK-Patienten 1128 Klinikeinweisungen vermieden. re-Kassenwettbewerb-Gesetz (FKG) gefährdet. Der „Der Überlebensvorteil zugunsten der Patienten im Entwurf des Gesetzes sieht unter anderem ein Ver- Haus- und Facharztprogramm kommt nicht unerwar- bot vor, vertragliche Leistungen und deren Vergü- tet, beeindruckend ist die Effektstärke im Vergleich tung an bestimmte Diagnosen zu binden – was aber zur Regelversorgung“, so Prof. Dr. Ferdinand Ger- die wesentliche Voraussetzung ist, um auf konkrete lach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Patientenbeschwerden zugeschnittene Versorgungs- Goethe-Universität Frankfurt/Main. „In den bisheri- konzepte erfolgreich anzubieten. „Damit stehen die gen Evaluationen zum AOK-Hausarztvertrag konn- Alternative Regelversorgung und andere Selektivver- ten wir schon feststellen, dass sich die Qualitätsschere träge am Abgrund“, sagt Dr. Christopher Hermann, von Jahr zu Jahr zugunsten der Hausarztzentrierten Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württem- Versorgung öffnet und nach fünf Jahren sahen wir berg. Das nun Erreichte sei aber durch das sogenann- einen Trend zu einer Verringerung der Sterblichkeit te FKG massiv bedroht. „Die aktuelle Evaluation für alle Teilnehmer.“ Die Vorteile ergäben sich wahr- zeigt eindrucksvoll, dass eine bessere ambulante Ver- scheinlich aus dem Zusammenspiel vertraglicher sorgungssteuerung, basierend auf passgenauen regi- Steuerungsinstrumente – unter anderem zur Opti- onalen Strukturen, nachhaltig zu eindeutigen Quali- mierung der Arzneimitteltherapie, in Bezug auf die tätsvorteilen bei geringeren Kosten führt. Geradezu grotesk mutet daher an, dass stationäre Leistungen seit vielen Jahren zur Optimierung der Versorgungs- steuerung nahezu ausschließlich nach Behandlungsdi- agnosen vergütet werden, während in der ambulanten Versorgung dieser Zusammenhang zukünftig verbo- ten werden soll“, so Hermann. Würde die Regelung so Gesetz, wird der mit viel Mühen zum Laufen gebrachte sinnvolle Wettbewerb um eine bessere ambulante Versorgung der Menschen abgewürgt. Derzeit nehmen mehr als 5.000 Haus- und Kinderärzte und 2.500 Fachärzte (davon 219 Kar- diologen) sowie Psychotherapeuten an den Verträgen der AOK Baden-Württemberg teil. Sie verantworten gemeinsam die Versorgung von mehr als 1,65 Milli- onen HZV-Versicherten und mehr als 700.000 Ver- sicherten im gemeinsamen Facharztprogramm von AOK Baden-Württemberg und Bosch BKK. 4 / 2019
16 KVJS Moderne Wohnkonzepte im Alter Immer mehr Senioren legen Wert darauf, auch im Alter und unabhängig von Pflegebedürf- tigkeit oder körperlichen Einschränkungen im gewohnten sozialen Umfeld leben zu können. Für eine altersgerechte Gestaltung von Quartieren sind Wohnangebote wichtig, die auf die verschiedenen Lebenslagen von Senioren abgestimmt sind. Ein Überblick. Wohnen im eigenen Zuhause wurden, liegen meist in Zentrumsnähe und beinhalten Eine besondere Rolle für die Lebensqualität – auch einen Hausmeisterservice. Darüber hinaus können oft- im Alter und bei Pflegebedürftigkeit – spielt die eige- mals zusätzliche Dienstleistungsangebote gewählt wer- ne Wohnung. Ältere Menschen möchten so lange wie den, zum Beispiel ein Mahlzeitendienst oder ein Ein- möglich in ihrer eigenen Wohnung leben. Wenn selb- kaufs-, Reinigungs- und Wäscheservice. ständiges Wohnen im Alter schwieriger wird, finden Senioren und Angehörige Hilfe bei Wohnberatungsstel- Betreutes Wohnen len, die über Möglichkeiten informieren, wie der Alltag Auch Wohnanlagen des Betreuten Wohnens bieten in zuhause erleichtert werden kann. In der barrierefreien der Regel abgeschlossene barrierefreie Wohnungen. Musterwohnung „Werkstatt Wohnen“ des KVJS sind Grundlage dieses Wohnkonzepts sind Serviceangebo- zahlreiche solcher Lösungen ausgestellt (www.barriere- te in Form von Grund- und Wahlleistungen. Das Ziel frei-wohnen.kvjs.de). des Betreuten Wohnens ist die möglichst selbstständi- Jedoch ist der Wunsch nach dem Verbleib in der ver- ge Haushalts- und Lebensführung bei gleichzeitiger trauten Wohnung nicht immer umsetzbar. Manchmal Betreuung. Betreute Wohnanlagen unterscheiden sich sind Anpassungen für mehr Barrierefreiheit nur in ge- in Größe, Qualität und Konzeption voneinander. Die ringem Umfang oder mit sehr hohem Aufwand mög- KVJS-Orientierungshilfe „Planen, Bauen und Betrieb lich. Wenn dies dazu führt, dass ältere Menschen nur Betreuter Wohnanlagen für Senioren in Baden-Würt- noch selten ihre Wohnung verlassen können oder das temberg“ bietet eine Übersicht über Qualitätskriterien eigene Haus zu einer Belastung wird, drohen Verein- und -standards. Die Onlinebroschüre kann auf www. samung und Überforderung. Falls der Verbleib in der kvjs.de abgerufen werden. Der Begriff des Betreuten eigenen Wohnung trotz Unterstützung nicht möglich Wohnens ist nicht geschützt und kann daher von An- sein sollte, ist es wichtig, für ältere Menschen bedarfs- bietern auch für Wohnungen für Senioren mit Haus- gerechte Wohnangebote in dem vertrauten Quartier meisterservice verwendet werden. anzubieten, die verschiedene Lebensphasen und indivi- duelle Wünsche berücksichtigen können. Mehrgenerationenwohnen Barrierefreie Wohnungen für Senioren Im Rahmen des Mehrgenerationenwohnens verfügen die Bewohner jeweils über eine eigene Wohnung. Sie verstehen sich als Hausgemeinschaft, die sich gegen- seitig unterstützt und bei Bedarf gemeinsam Hilfe in Anspruch nimmt. Meistens stehen zusätzlich zur eige- nen Wohnung Flächen oder Räume zur Verfügung, die gemeinschaftlich genutzt werden können. Hausgemein- schaften können selbst oder durch einen Träger oder Bauträger initiiert werden. Die Wohnungen können so- wohl gemietet als auch gekauft sein. Verschiedene Wohnkonzepte sind wichtig, um individuel- le Lebensphasen und Wünsche berücksichtigen zu Pflege-WG können. Foto: © Thomas Brenner In Wohngemeinschaften für Menschen mit Unter- stützungs- und Versorgungsbedarf leben bis zu Barrierefreie Wohnungen, die speziell für ältere Men- zwölf Menschen in einem gemeinsamen Haushalt schen oder Menschen mit Behinderung konzipiert zusammen und werden dort begleitet. Bei Bedarf 4 / 2019
KVJS 17 wird die Pflege durch Ambulante Dienste geleistet, hes Maß an Selbstbestimmung und ermöglichen sehr die frei gewählt werden kann. Primäres Ziel der flexible Unterstützungsangebote. Die Erfahrungen be- ambulant betreuten Wohngemeinschaften ist es, stehender Projekte zeigen, dass es hilfreich ist, bereits auch bei sehr umfassendem Pflegebedarf ein hohes frühzeitig externe Beratungsangebote – zum Beispiel Maß an individueller Selbstbestimmung und eine der Fachstelle ambulant unterstützte Wohnformen Wohn- und Pflegesituation zu gewährleisten, die (FaWo) beim KVJS – zu nutzen, um eine Wohngemein- sich an der eigenen Häuslichkeit orientiert. schaft ins Leben zu rufen. Außerdem ist es ratsam, be- Ambulant betreute Wohngemeinschaften für Men- reits in einem frühen Planungsstadium Kontakt zur schen mit Unterstützungs- und Versorgungsbedarf Heimaufsicht und zum Sozialamt aufzunehmen. Auch orientieren sich am Alltag eines Privathaushalts. Sie der Austausch mit bereits realisierten Wohngemein- bieten aufgrund der kleinen Zahl an Bewohnern ein ho- schaftsprojekten kann Anregungen bieten. Aktiv, vernetzt, zukunftsfähig Fachtag zur Quartiersentwicklung als kommunale Gestaltungsaufgabe Mehr als 300 Akteure widmeten sich am 24. Juli 2019 im Hospitalhof Stuttgart der Gestaltung zukunftsfähiger Quartiere. Auch die Fachstelle ambulant unterstützte Wohnformen (FaWo), die beim KVJS angesiedelt ist, war vor Ort und brachte Impulse ein. Der Fachtag ist bereits der zweite im Rahmen der FaWo informiert über Landesstrategie „Quartier 2020 - Gemeinsam. alternative Wohnformen Gestalten“ und hatte zum Ziel, den Akteuren wie Kommunen, Verbänden und Kirchen, Anregungen Auch die FaWo war auf der Veranstaltung mit einem für die Quartiersarbeit und -entwicklung vor Ort Stand vertreten. Sie informierte über ihre Leistungen mitzugeben. und alternative Wohnformen, die die Selbstbestim- Manne Lucha, Minister für Soziales und Integra- mung fördern und der eigenen Häuslichkeit nahe tion, stellte dar, wie die Bürger die Landesstrategie kommen. Die FaWo ist Teil des Informations- und Quartier 2020 mit Leben füllen und betonte die Be- Beratungsnetzwerkes der Landesstrategie. deutung dieses Engagements. Es habe sich daraus eine Bürgerbewegung entwickelt, aus der sich zusam- Austausch im Praxisforum men mit den Kommunen das Zusammenleben der Darüber hinaus wurden im Rahmen eines Praxisfo- Generationen von Morgen und das Leben im Alter rums ambulant betreute Wohngemeinschaften und neu gestalten lassen. Professor Frank Weidner vom selbstbestimmtes Wohnen in den Mittelpunkt ge- Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung stellt. Christiane Biber von der FaWo lud zum Aus- erläuterte in seinem Fachvortrag, wie sich bedarfsge- tausch mit kommunalen Gesprächspartnern ein, die rechte Angebote und Netzwerke in den Kommunen unter anderem inklusive Wohn- und Betreuungspro- entwickeln lassen. Er hob hervor, dass sich die aktive jekte sowie die Förderung von Pflege-WGs aufgriffen. Teilhabe an der Gestaltung des Quartiers positiv auf In insgesamt sieben Praxisforen mit unterschiedli- die Gesundheit älterer Menschen auswirke und sich chen Schwerpunkten haben die Besucher des Fach- daraus Möglichkeiten zur Stärkung des bürgerschaft- tags Aspekte der Quartiersarbeit kennengelernt und lichen Engagements bieten. an konkreten Projekten diskutiert. Aktiv-Markt voller Ideen Mehr Informationen zur FaWo finden Sie unter www.kvjs.de Ein breites Spektrum an Ideen für die Quartiersent- Mehr Informationen zur Landesstrategie wicklung wurde den Teilnehmern durch einen Ak- „Quartier 2020 – Gemeinsam. Gestalten“ tiv-Markt geboten. Auf interaktive Weise konnten sie finden Sie unter sich über Ansätze und Beispiele der Quartiersarbeit in www.quartier2020-bw.de Baden-Württemberg informieren und austauschen. 4 / 2019
Sie können auch lesen